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Jannik Sinner: Der lockere Normale

Tennis

Anne-Sophie Mutter ist eine der berühmtesten Geigerinnen der Welt, schon als 13-Jährige begeisterte sie die Musikwelt. Heute genießt sie weltweiten Ruhm – und sieht einige Parallelen zwischen der Musik und dem Tennissport. Wenn ein Ball im Tennis elegant und präzise und mit Gefühl geschlagen wird, erinnere sie das an das Musizieren, erzählte die Violinvirtuosin der Süddeutschen Zeitung. „Weil der Tennisschläger, wie der Geigenbogen, nach einiger Zeit der Betätigung vom Gehirn als Teil des Körpers anerkannt wird.“ Es sei „diese vollkommene Symbiose zwischen Körper und Werkzeug, die den Sport und die Musik zur Kunst machen können“, sagte sie. „Der Künstler auf dem Tennisplatz möchte, wie ein Musiker, das Beste aus sich und seiner Begabung herausholen.“

Jannik Sinner sieht das ähnlich. Manchmal sei Tennis ein bisschen wie die Musik, sagte er Ende des Jahres im Interview mit Sky Italia. „Man muss locker sein, niemals starr.“ Das gelang dem jungen Pustertaler im Jahr 2020 sehr gut. Er startete als Nummer 78 der Weltrangliste ins Jahr – und beendete es als Nummer 37. Sinners Tennis-Jahr war eines zum Einrahmen.

Der Durchstart im Herbst

Bereits im Februar erreichte er beim ATP-Turnier in Rotterdam das Viertelfinale und schlug auf dem Weg dorthin erstmals in seiner noch so jungen Karriere einen Spieler aus den Top-Ten der Weltrangliste: den Belgier David Goffin. Es sollte der erste von drei Top-Ten-Spielern sein, die er im Jahr 2020 bezwang. Aufgrund der Corona-Pandemie legte die ATP kurz darauf eine mehr als fünfmonatige Zwangspause ein, doch Sinner ließ sich davon keineswegs beeindrucken – und startete im Herbst so richtig durch. Bei den US Open lieferte er der Nummer 16 der Welt, Karen Khachanov, in Runde eins einen harten Kampf und schied in einem packenden Fünf-Satz-Match erst nach 3.44 Stunden Spielzeit aus. Diese Leistung hinterließ in der Tennis-Welt großen Eindruck. „Manchmal wirkt es so, als würde er einen anderen Sport spielen. Der Ball fliegt so schnell von seinem Schläger“, sagte Paolo Lorenzi. Für den italienischen Routinier war klar, dass diese Partie „ein großer Schritt“ für Sinner gewesen sei.

Diesen Eindruck bestätigte der Pustertaler in den darauffolgenden Wochen, speziell auf Sand setzte er seine Entwicklung beeindruckend fort. In Rom bezwang er Stefanos Tsitsipas, die Nummer sechs der Welt und bei den French Open spielte er sich durch Siege über Goffin und Alexander Zverev, die Nummer sieben der Welt, dann endgültig Richtung Weltspitze. Die Belohnung, ein Viertelfinal-Duell mit dem größten Sandplatzspieler aller Zeiten, Rafael Nadal. Sinner, der als erster Spieler seit Nadal im Jahr 2005 gleich bei seinem French-OpenDebüt das Viertelfinale erreichte, beeindruckte beim 6:7, 4:6 und 1:6 auch gegen den Spanier. Der Südtiroler habe „alles, um einer der besten Spieler der neuen Generation zu sein“, sagte Nadal nach dem Spiel. Und legte nach: „Er ist ein Kandidat für die Weltnummer 1.“ Nadal lobte Sinners „herausragendes Potential“ und dessen Fähigkeit, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln: „Er steigert sich von Woche zu Woche“, sagte der 13-malige French-Open-Sieger. Sinner bewege seine Hand sehr schnell und sei imstande, „fantastische Schläge“ zu fabrizieren, schwärmte Nadal.

Ein Leben für den Sport

Sinners großes Plus ist sein Fleiß. „Er lebt für seinen Sport. Während des Lockdowns hat er jeden Tag daheim trainiert. Diese Opferbereitschaft ist eine fundamentale Charakteristik,

Jannik Sinner, Riccardo Piatti

Foto: FIT

wenn du ein Champion werden willst“, sagte sein Trainer Riccardo Piatti der Gazzetta dello Sport. Viele der Profispieler dächten, das sei ein „Job, den sie machen müssen“, erklärte Piatti. Sinner dagegen „liebt es, zu trainieren.“ Sinner selbst sagt, dass der Kopf, sprich der mentale Teil, im Tennis 70 Prozent des Erfolges ausmache. „Er zählt mehr, als alles andere“, betont er. Und in Sachen mentale Stärke ist Sinner trotz seines jungen Alters schon sehr weit. „Er hat die Schläge, aber vor allem hat er den Kopf. Ich habe noch nie mit einem 18-Jährigen gearbeitet, der mental so stark wie Jannik ist“, sagte sein Trainer Piatti, der dann von mentaler Stärke spricht, wenn Dinge einfach von der Hand gehen. „Bei Jannik“, erklärte er, wirke „alles was er macht, ziemlich einfach“.

Der erste Turniersieg auf der Tour

Diese Qualität half Sinner bei seinem letzten Auftritt im Jahr 2020. Nachdem er kurz zuvor in Köln das Halbfinale erreicht hatte, feierte er Anfang November im bulgarischen Sofia seinen ersten Turniersieg auf der ATP-Tour. In seinem ersten ATPFinale bezwang er im Alter von nur 19 Jahren, 2 Monaten und 29 Tagen den Kanadier Vasek Pospisil mit 6:4, 3:6 und 7:6. Sinner bezeichnet diesen Triumph als „das Bild“ seines Tennisjahres 2020.

Piatti definiert den Pustertaler trotz der ersten Erfolge als „den Normalen“, kompliziert seien die anderen. Und diese Normalität kommt auch bei den Tennis-Größen gut an. Roger Federer bezeichnet Sinner als ein „super sweet kid“, sprich einen ganz lieben Burschen. Er freue sich immer darauf, ihn zu sehen, sagte Federer über den aufstrebenden Südtiroler. Der ist auch aufgrund seiner fleißigen und angenehmen Art zu einem der Lieblings-Trainingspartner der ganz großen Namen im Welt-Tennis geworden. In Vorbereitung auf die French Open trainierte er mit den Top-3 der Weltrangliste: Novak Djokovic, Nadal und Dominic Thiem. Für den Weltranglistenersten Djokovic bringt Sinner aufgrund seines „kraftvollen und hochqualitativen Spiels“ die Voraussetzungen mit, „ein Topspieler zu werden“. Tennis-Legende John McEnroe geht sogar noch weiter, der US-Amerikaner sieht im Südtiroler das Potential für „mehrere“ Grand-Slam-Siege.

Sinner nimmt all diese Lobeshymnen gelassen. Sein Wunsch für das Jahr 2021 lautete, dass es hoffentlich eine normale Saison werde. Er zeigte sich zufrieden mit der Entwicklung, die er mit seinem „großartigen Team“ gemacht habe, „aber es gibt immer noch viel zu tun.“ In ein paar Jahren werde man sehen, „wo ich stehe“, sagte er. Geht es nach Roger Federer, kann sich Sinner auf eine tolle Zukunft freuen. Der Schweizer geht davon aus, dass „wir noch so viel mehr von ihm sehen werden“.

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