Bodenart Reader

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BodenArt PROFILierungsprojekt: geSCHICHTEN sichtbar machen und den HORIZONT erweitern Technische Universität Berlin Ökologie & Umweltplanung (BSc) Fachgebiet Standortkunde und Bodenschutz Sommersemester 2017



BodenArt PROFILierungsprojekt: geSCHICHTEN sichtbar machen und den HORIZONT erweitern Technische Universität Berlin Ökologie & Umweltplanung (BSc) Fachgebiet Standortkunde und Bodenschutz Sommersemester 2017

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Impressum Betreuer Prof. Dr. Gerd Wessolek Dr. Björn Kluge Technische Universität Berlin FG Standortkunde und Bodenschutz www.boden.tu-berlin.de Initiatoren Josef Langanki David Fridtjof Nissen Lars Schulz Martin Schulz Redaktion und Layout Lars Schulz Betty Kolhoff

TeilnehmerInnen Betty Kollhoff David Fridtjof Nissen Jessica Gützkow Josef Langanki Julian Wendler Lena Rahab Ali Margit Kirmaier Martin Schütz Martin Schulz Ronald Müller Sarah Betty Lena Samson Ulrike Maria Theresia Klisch Valentin Elvis Fischer

Danksagung An dieser Stelle möchten wir uns bei allen Institutionen und Personen bedanken, die am Entstehen und Gelingen des Projekts beteiligt waren und letztendlich zum Erfolg des Projekts beigetragen haben.

Die Patches der Kleidungsstücke des Teilprojektes „SoilCoulture“ wurden von „Werkstück flicki“ zur Verfügung gestellt. Für die ansprechenden Fotos der Kleidungsstücke danken wir Michail Jahn von „produktfotoberlin“.

Unser Dank gilt in erster Linie Prof. Wessolek und Dr. Kluge vom Fachgebiet Bodenschutz und Standortkunde der TU Berlin. Danke, dass Sie das Projekt überhaupt möglich gemacht haben. Ihre fachliche Unterstützung und der dadurch entstandene Input haben uns immer wieder neue Denkanstößen und Ideen gegeben.

Ein weiterer Dank gilt den Interviewpartnern des Teilprojektes „Boden – Geschichten – Gesichter“. Ihre persönlichen Geschichten sowie unterschiedlichen Sichtweisen und Wahrnehmungen in Bezug auf das Medium Boden haben dessen Vielfalt und Bedeutung deutlich zum Ausdruck gebracht

Dank der ermöglichten Teilnahme an der Langen Nacht der Wissenschaft der TU Berlin hat unser Projekt noch mehr Aufmerksamkeit erlangt und besonders das Teilprojekt „Bodenfarben“ konnte davon profitieren.

Die Materialien für die Schaukästen aus dem Teilprojekt „Querschnitt Boden: Menschliche Einflüsse visualisieren  – Emotionen erfassen“ wurden von Herrn Christian Werkis von der Tischlerei Werkis zur Verfügung gestellt.

Weiterhin möchten wir uns bei Karl Böttcher bedanken, welcher uns den Herstellungsprozess der Bodenlackprofile nahegebracht hat und auch weitere praktische Anleitungstipps gab. Anja Lehmann und Dietmar Eisemann vom „Stromnetz Berlin“ danken wir für die Bereitstellung diverser Stromleitungen. 4 – Impressum

Die monetäre Unterstützung des Fachgebietes erfolgte durch das Projekt „WindNode“. Allen zusammen noch einmal herzlichsten Dank für Alles!


Vorwort Prof. Dr. Gerd Wessolek

BodengeSchichten sichtbar zu machen – mit diesem Wunsch und Anspruch trafen sich im Sommersemester 2017 vierzehn Studierende des Bachelor Studienganges Ökologie und Umweltplanung, um das Thema „Boden“ aus unterschiedlichen Perspektiven zu erkunden und mit Techniken aus dem Kreativbereich zu bearbeiten. Nicht die Naturwissenschaft stand dabei im Mittelpunkt, sondern die Frage, wie man Interesse, Gefühle und Faszination für den Bodens wecken und vermitteln kann. Herausgekommen sind ganz unterschiedliche Ideen und Ansätze, die in diesem Reader vorstellt werden. Dieser soll nicht nur unterhaltsam sein, sondern gleichsam und Mut und Impulse für die eigene Arbeit mit Boden geben. Es war uns Betreuern ein Vergnügen dieses Studienprojekt zu begleiten und wachsen zu sehen und wir danken den Studierenden, ganz besonders den Initiatoren des Projekts Lars und Josef.

Gerd Wessolek

Björn Kluge

Vorwort – 5


Inhalt Vorwort 5 Epilog 7 Hintergrund 9 Module 10 Bodenlackprofile 14 Boden – Geschichten – Gesichter

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Malen mit Böden

54

Böden haben viele Farben — und ihr könnt damit malen!

56

Querschnitt Boden

58

Boden hörbar machen.

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Von der Wissenschaft zum Gefühl, von der Emotion zum Bewusstsein 70 SoilCouture – Horizonte tragbar machen.

78

Ästhetik, Wissenschaft und ein Foto

82

6 – Inhalt


Epilog Als sich am 24.04.2017 erstmalig alle ProjektteilnehmerInnen in den Räumlichkeiten des Fachgebietes „Standortkunde und Bodenschutz“ der TU Berlin versammelten, war wohl noch keinem bewusst, wohin genau die hier beginnende Reise führen sollte. Eines war klar: im anstehenden Semester wird sich alles um den Boden drehen. Um den Boden und die Kunst, ihn erlebbar, ihn sichtbar zu machen. Wir würden uns auf den Weg machen, um verschiedene Böden in Form von Bodenlackprofilen kunstvoll zu archivieren. Eben das war ja die ursprüngliche Kernidee, aufgrund derer die Vorbereitungen für dieses studentisch-verwaltete Projekt überhaupt erst ins Rollen gekommen waren. Doch sehr schnell war klar, dass wir alle Lust hatten den Raum, den uns das Projekt bot, auch darüber hinaus mit Ideen rund um das Thema Kunst und Boden zu füllen. Es wurde fleißig beratschlagt, Ideen entwickelten sich, wurden umgeworfen, verändert, wieder aufgegriffen. So entwickelten sich sieben verschiedene Konzepte, die es zum Inhalt haben, die Sphäre unterhalb unserer alltäglichen Schritte erlebbar zu machen, kreativ zu verarbeiten und auf unterschiedlichstem Wege darzustellen. Dabei geht es inhaltlich um vielerlei. Beispielsweise werden aktuelle Probleme aus der Bodenkunde aufgegriffen, Fragestellung zur Energiewende thematisiert und dargestellt. Umweltbildung und -pädagogik spielen eine wichtige Rolle. Auch wird der Boden als Archiv für Emotionen und Gefühle vergangener Zeiten beleuchtet. Unsere Palette reicht bis hin zur abstrakten Kunst, wobei der Boden selbst, wie schon in den ältesten menschheitsgeschichtlichen Malereien, als Farbstoff dient, um so von uns mit den Erklärungsmodellen der Wissenschaft auf künstlerische Art und Weise verwoben zu werden. Wir trauten es uns sogar, uns dem Boden als Resonanzkörper auf akustischem Wege zu nähern – mit Kabel und Mikrofon. An dieser Stelle soll aber noch nicht zu viel vorweg genommen werden. Schauen Sie selbst, welch lebhaftes Programm sich hier entwickeln konnte. Auf den folgenden Seiten finden Sie die Beschreibung von Methoden und Ideen rund um unser Projekt, sowie Bilder und Beschreibungen der fertigen Exponate.

Epilog – 7


8 – Epilog


Hintergrund Böden und ihre Funktionen sind etwas, das die meisten Menschen als selbstverständlich hin­ nehmen. Sie befinden sich zwar direkt unter unseren Füßen, doch wir verschwenden kaum einen Gedanken im Alltag an sie. Zwar leben wir auf und auch von Böden, denn 90 % der globalen Nahrungsmittel werden durch sie produziert1, doch wer denkt beim Essen schon an die Rolle der Böden? Vielleicht weil alle Prozesse, denen wir ihre wichtigen Eigenschaften verdanken, nur im Verborgenen stattfinden? Neben Ackerbau spielen Böden eine wichtige Rolle in der Forstwirtschaft und beim Gewinn von Rohstoffen. Doch nicht nur wir Menschen verdanken ihnen unsere Lebensgrundlage, nein, sie sind auch der Lebensraum für unzählige Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen. Würden Böden keine Schadstoffe filtern, hätten wir Probleme mit verschmutztem Trinkwasser. In Böden sind große Mengen Kohlenstoff gebunden, mehr als in der Atmosphäre und der Vegetation der Erde zusammen. Ohne die Regulierungs- und Speicherfunktion von ­Böden würden die Stoffkreisläufe in der Natur fundamental anders verlaufen. Sie sind Zeitzeugen der natürlichen Entwicklung unserer Landschaften und archivieren so unsere Geschichte. Böden spielen also eine enorm wichtige Rolle für das Leben auf der Erde. Aber sie sind gefährdet. Denn durch falsche und fahrlässige Nutzung gehen jedes Jahr rund 24 Milliarden Tonnen fruchtbarer Boden ver­ loren2. Wie kann es sein, dass eine so wichtige Komponente des globalen Ökosystems so wenig Aufmerksamkeit erfährt? Es scheint, es fehlt an Bewusstsein für den Boden als wortwörtliche Lebensgrundlage. Es gab in den letzten Jahren verschiedene Versuche, ein Bewusstsein für die Rolle der Pedosphäre zu fördern: Seit 2002 ist der 5. Dezember ein Aktionstag – der Weltbodentag.

Das Jahr 2015 wurde von den Vereinten Nationen zum Jahr des Bodens erklärt. Im selben Jahr haben auch die Heinrich-Böll-Stiftung, Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS), BUND und Le Monde diplomatique das Buch „Bodenatlas: Daten und Fakten über Acker, Land und Erde“ veröffentlicht. Es gibt also zahlreiche Bemühungen, Böden auf sachlicher Grund­ lage in das Bewusstsein der Menschen zu bringen. Aber trotz dieser Bemühungen werden Böden immer noch wie eine endlose Ressource behandelt, obwohl sie nach menschilchen Maßstäben endlich sind. Kann es sein, dass man sich dem Boden nicht nur auf einer sachlichen Ebene nähern sollte? Boden hat auch eine emotionale und sinnliche Qualität, die vielen Menschen verborgen bleibt. Das Studienprojekt „BodenArt“ hat zum Ziel, einen neuen Zugang zum Thema Boden zu suchen.

„Nur was ich kenne, kann ich lieben und nur, was ich liebe, kann ich schützen“. (Konrad Lorenz)

Der emotionale Zugang zu Böden ist also eine wichtige Voraussetzung, um gesellschaftliche Akzeptanz für die Bedeutung von Böden zu erreichen. Das vorliegende Studienprojekt hat sich auf die Reise begeben.

1 Quelle: Kommission Bodenschutz beim Umweltbundesamt 2 Quelle: www.weltagrarbericht.de

Hintergrund – 9


Module Das Studienprojekt besteht aus acht verschiedenen Konzepten, entwickelt von den jeweiligen Projektgruppen. Sie alle haben sich kreativ mit Boden auseinandergesetzt und machen den Boden erlebbar – auf sehr unterschiedliche Art und Weise. Folgende Konzepte sind entstanden:

Modul 1

Modul 2

Modul 3

Bodenlackprofile u14 Bodenlackprofile zeigen den Boden wie er ist: oft vielschichtig und spannend. Bei dem Verfahren wird ein naturgetreues Abbild des Bodenprofils auf ein Trägermaterial übertragen. Der Betrachter kann sich ein eigenes Bild des Bodens machen, was für viele wissenschaftliche, didaktische und auch rein ästhetische Perspektiven spannende Möglichkeiten bietet.

Boden–Geschichten–Gesichter u28 Menschen haben in verschiedenen Kontexten mit Boden zu tun. Diese Vielfalt der Mensch-Boden-Interaktionen zu zeigen, ist die Intention der Portraitreihe „Boden – Geschichten – Gesichter“. Die Relevanz des Bodens für uns alle wird greifbarer, wenn Menschen von ihren persönlichen Erfahrungen, Wahrnehmungen und Emotionen mit Blick auf ihre Tätigkeit erzählen.

Malen mit Böden u54 Das Malen mit Erdpigmenten ist tief in der Kulturgeschichte der Menschen verwurzelt und bietet noch immer sinnliche ­Erfahrungen. Im Rahmen der Langen Nacht der ­Wissenschaft an der TU Berlin wurden Besucherinnen und Besucher einge­laden, mit selbst hergestellten Erdpigmentfarben zu experimentieren.

10 – Module


Modul 4

Modul 5

Modul 6

Querschnitt Boden u58 Das Modul hat es sich zur Aufgabe gemacht, ausgewählte negative menschliche Einflüsse sichtbar zu machen. In verschiedenen Dioramen werden diese visualisert.

Boden hörbar machen u62 Wer an Geräusche und Töne des Bodens denkt, assoziiert damit vielleicht als erstes das Wühlen eines Maulwurfes oder das Knacken von erdtektonischen Platten. Dass der Boden unter unseren Füßen jedoch weit mehr Geräusche zu bieten hat und einige Menschen sogar in der Lage sind, mit und über den Boden Musik zu komponieren, soll in diesem kurzen Beitrag aufgezeigt werden.

Wissenschaft und Gefühl u70 In der Wissenschaft werden Umstände sachlich diskutiert und faktisch erforscht, hier zählen „Desertifika­ tion“, „Erodierung“ und „Degration“ zur Alltagssprache. Doch um Böden zu schützen, müssen sie der Allgemeinheit zunächst vorgestellt und emotional besetzt werden, um sie liebenswert zu machen – denn leider gibt es keinen Panda-Boden.

Modul 7

Modul 8

Horizonte tragbar machen. u78 Gesprächsanlässe bieten! Über Bodenvorgänge aufklären! Interesse wecken! Doch wie dies bei Kindern? Kleidung als Medium kann hier einen Anreiz bieten, sich thematisch mit dem Verborgenen unterhalb unserer Gehwege auseinander zu setzen.

Ästhetik, Wissenschaft + Foto u82 Eine fotografische und essayistische Suche nach einem Motiv, dass diese Schnittmenge zwischen Wissenschaft und Kunst mit dem Thema Boden.

Module – 11




Bodenlackprofile Böden sichtbar machen – Bodenlackprofile aus Hülsebeck (Prignitz, Land Brandenburg) Josef Langanki und Lars Schulz

Bodenlackprofile werden durch eine besondere Technik hergestellt, indem eine aufgegrabene Profilwand mit Lack getränkt und anschließend mit Gewebe abgezogen wird. Diese Abbildungen geben naturgetreu und anschaulich den Bodenaufbau wieder und sind somit eine hervorragende Art der wissenschaftlichen Dokumentation. Oft weisen sie auch eine besondere ästhetische Schönheit auf und können so dazu beitragen, eine breitere Öffentlichkeit für das Thema Boden zu sensibilisieren. Im Rahmen unserer Exkursionswoche entstanden exemplarisch drei Lackprofile von Böden in und um Hülsebeck (Prignitz). Dort standen uns Flächen zur Profilabnahme (Acker- und Waldstandorte) sowie Räumlichkeiten zur weiteren Bearbeitung der Lackabzüge zur Verfügung.

Für unsere Profilabnahmen wählten wir zwei Standorte mit unterschiedlicher Nutzung aus. Das erste Profil wurde dabei einem Standort entnommen, der einer großflächigen und langen Ackernutzung unterliegt, zur Zeit der Profilabnahme war das Feld mit Roggen bestockt. Der zweite Standort lag unter Kiefernforst mittleren Alters, welcher forstwirtschaftlich genutzt wird. Die Nutzungsart spiegelt auch das Ertragspotential der Standorte wieder. Der Waldstandort befindet sich auf besonders sandigen Substrat, der eine wirtschaftliche ackerbauliche Nutzung ausschließt. Der lehmigere Ackerstandort verfügt über ein besseres Wasserretensionsverhalten. Die beiden Grubenstandorte spiegeln also das menschliche Nutzungspotential wider.

14 – Bodenlackprofile

Das Profil unter Ackernutzung wurde als (reliktischer) Gley angesprochen, welcher typisch für die Prignitzer Grundmoränenplatte ist. Unter einem mächtigen Pflughorizont zeigen sich die Merkmale eines einst vom Stauwasser geprägten Bodens. Vor allem der ockerbraun marmorierte Unterbodenhorizont ist im Lackprofil gut zu erkennen. Nach umfangreichen Meliorationsmaßnahmen der Fläche in den letzten Jahrzehnten haben sich die Muster bis heute erhalten. Das zweite Profil unter Wald zeigt einen ganz anderen Bodentyp. Das sandige Ausgangssubstrat sowie die häufigeren Niederschläge in der Prignitz führten zur Entstehung eines klassischen Podsols. Die dicht gelagerten Humusanreicherungen im Unterboden lassen sich als dunkle Stellen im Lackprofil deutlich erkennen. Die scharfe Abgrenzung des Ah-Horizonts deutet auf eine ehemalige Pflugbearbeitung hin.


Boden und Landschaft in und um Hülsebeck Hülsebeck ist ein kleines typisches Rundlingsdorf in der Prignitz und gehört zur Gemeinde Pirow. Es liegt ca. 20 km nördlich der Kreisstadt Perleberg. Die umgebende Landschaft ist geprägt vom sanft gewellten Relief der Prignitzer Grundmoränenplatte. Die ackerbauliche Nutzung der sandig-lehmigen Böden hat hier eine lange Tradition, jedoch sind die Bodenzahlen im Bereich 20-40 und liefern nur mäßige Ernteerträge. Die geologische Übersichtskarte 1:25.000 weist für das Gebiet in den höher gelegenen Bereichen Grundmöränenbildungen mit Geschiebelehm und -mergel, in den Senken Schmelz- und Altwassersande aus.


Prozess: Bodenlackprofile Unser Ziel war es, Profile von zwei unterschiedlichen Standorten (Wald und Acker) abzunehmen. Zu Beginn erkundeten wir die ausgewählten Flächen mit Hilfe eines Pürckauer-Bohrstockes, um einen ersten Eindruck der Bodenbeschaffenheit zu bekommen. Wir konnten so zwei Stellen finden, die einerseits ästhetisch vielversprechend aussahen, andererseits auch interessante Bodenprozesse zu zeigen schienen.

Schritt 1

Schritt 2

Ausheben der Gruben

Profilwand säubern

Nach einer Geländeprospektion wurden 2 Gruben in ausreichender Größe und Tiefe ausgehoben (mind. 2x1x2 m Länge/Breite/Tiefe). Dabei wurde auch darauf geachtet, besonders schöne Stellen im Bodenprofil herauszuarbeiten.

Nachdem die Gruben ausgehoben waren, wurden die Profilwände möglichst exakt geglättet. Lockere Steine wurden herausgenommen, um sie später in das fertige Lackprofil wieder einzusetzen. Außerdem wurden von jedem Horizont Materialproben genommen, die für eine spätere Nachbearbeitung des Lackprofils dienten. Nun folgte noch eine bodenkundliche Untersuchung und Beschreibung der fertig präparierten Profilwand, bevor die Wand lackiert wurde.

16 – Bodenlackprofile


Schritt 3

Schritt 4

Lackieren der Profilwand

Gase kaschieren

Das Lackieren der Profilwand erfolgte in mehreren Schritten. Mit einer Druckspritze wurde zuerst stark mit Aceton verdünnter Speziallack (ca. 5 zu 1) aufgebracht, der in den folgenden Durchgängen immer weniger verdünnt wurde, um die Profilwand möglichst tief zu infiltrieren. Nun musste der aufgebrachte Lack einen Tag durchtrocknen.

Nachdem der aufgesprühte Lackfilm ausreichend durchgetrocknet war, wurde die Gaze aufgebracht und gleichmäßig mit unverdünntem Lack bestrichen. Es wurde darauf geachtet, möglichst keine Hohlräume unter der Gaze entstehen zu lassen.

Bodenlackprofile – 17


Schritt 5

Schritt 6

Abnehmen der Lackprofile Aufgrund der günstigen Witterung konnten die durchgetrockneten Lackprofile bereits nach 1,5 Tagen abgezogen werden. Die „Felle“ erwiesen sich als erstaunlich schwer, es benötigte mehrere Personen, um die Profile auf vorher in entsprechender Größe gefertigte Holzplatten aufzulegen und abzutransportieren.

Nachbearbeitung und Fertigstellung Nachdem die Lackprofile einige Tage trocknen konnten, folgte die Nachbearbeitung. Es wurden dabei die Profile auf die Platten aufgeklebt, die Ränder abgeschnitten und eingefasst, einzelne Fehlstellen mit Originalmaterial ausgebessert zum Schluss die Oberfläche mit Lack versiegelt.

18 – Bodenlackprofile


Bodenlackprofile – 19



Podsol aus Schmelzwassersand Hülsebeck (Prignitz, 53.236 N 11.952 E) Vegetation: Kiefernforst | Speziallack, Gewebe, Spanplatte Ein sandiges Ausgangssubstrat in einer Schmelzwasserrinne sowie vergleichsweise höhere Niederschläge in der Prignitz führten unter Kiefernforst zur Entstehung eines klassischen Podsols. Die dicht gelagerten Humusanreicherungen im Unterboden lassen sich als dunkle Stellen im Lackprofil deutlich erkennen. Die scharfe Abgrenzung des Ah-Horizonts zum Unterboden deutet auf eine ehemalige Pflugbearbeitung hin. J. Langanki & L. Schulz | Juli 2017

Bodenlackprofile – 21



Gley auf Grundmoräne Hülsebeck (Prignitz, 53.248 N, 11.927 E) Vegetation: Getreide (Roggen) | Speziallack, Gewebe, Spanplatte Das Profil unter Ackernutzung kann als (reliktischer) Gley benannt werden, welcher typisch für die Prignitzer Grundmoränenplatte ist. Unter einem mächtigen Humushorizont zeigen sich die Merkmale eines einst vom Grundwasser geprägten Bodens: Ein schmaler, rot orangener Oxidationshorizont, darunter ein grau-bleicher Reduktionshorizont. Die orangenen Flecken/ Marmorierungen entstanden nach umfangreichen Entwässerungsmaßnahmen der Fläche in den letzten Jahrzehnten, welche dazu führte, dass Sauerstoff an diese Stellen gelangte und Eisenoxide ausfielen. J. Langanki & L. Schulz | Juli 2017

Bodenlackprofile – 23



Anthropogen verändertes Substrat mit Erdkabeln Künstliches Bodenprofil | Speziallack, 110-kV-Leiter, Spanplatte Menschliches Wirken greift in den Aufbau und die Schichtung von Böden ein. Bei der Anlage von Erdkabeltrassen, wie sie auch im Zuge der Energiewende als Alternative zu Hochspannungsmasten diskutiert werden, müssen Gräben von mind. 2 m Tiefe ausgehoben werden, in denen meist mehrere einpolige Leiter verlegt werden. Die Gräben werden mit thermisch und plastisch stabilem Substrat (meist reinen Sanden) aufgefüllt, unter Acker wird auch der Oberboden (Ap) wieder aufgebracht. Temperaturerhöhung und der veränderte Substrataufbau beeinflussen die Bodenentwicklung am Standort und das Ertragspotential. J. Langanki & L. Schulz | Juli 2017

Bodenlackprofile – 25


Reliktischer Gley aus der Prignitz Was ist reliktischer Gley? Gley ist ein hydromorpher Bodentyp. Aus dem Griechischem ὕδωρ (hydōr) „Wasser“ und μορφή (morphē) „Gestalt“ - das Wasser hat ihm seine Gestalt gegeben. Reliktisch bedeutet, dass der Prozess, der diesen Boden zu einem Gley formte, nicht mehr stattfindet. Grund dafür ist eine Grundwasserabsenkung, die nötig ist, wenn sehr feuchte, grundwassernahe Standorte als Äcker genutzt werden wollen. Böden werden durch ihre Horizontierung unterschieden. Ein Bodenhorizont ist eine Lage im Boden, die sich von den darunter bzw. darüber liegenden Lagen unterscheidet. Bei diesem Gley sind das ein gepflügter Oberbodenhorizont (Ap), darunter ein sehr schmaler, reliktischer Grundwasserhorizont mit oxidiertem Eisen (rGo) und ein darunter liegender, reliktischer Grundwasserhorizont mit reduziertem Eiden (rGr). Gleye aus Sand sind durch einen schmalen, orangenen Go-Horizont und einen nassen, durchgehend grauen GrHorizont gekennzeichnet Wo finden wir Gleye? Überall dort, wo Grundwasser ansteht. An Ufern von Bächen und Seen, in Meeresnähe, in Auen oder unter feuchten Wiesen. Dass in Preußens Ackerflächen großflächig drainiert wurden, um landwirtschaftliche Erträge zu steigern, lässt sich anhand der reliktischen Gleye noch heute in Brandenburgs Böden lesen.

Wie entsteht dieses Muster und warum ist der reliktische Gr-Horizont nicht grau wie beim Gley? Als das Grundwasser in diesem Gley noch hoch stand, wurde der Sauerstoff bis kurz unter dem Ah-Horizont aus dem Boden verdrängt. Im Boden lebende Bakterien atmen - wie wir - Sauerstoff, um aus kohlenstoffhaltiger Nahrung Energie zu gewinnen. Anders als wir haben manche Bodenbewohner jedoch die Möglichkeit den Sauerstoff aus Eisenoxiden zu „veratmen“ (Man stelle sich vor wir könnten unter Wasser mit Rost überleben). Wenn die Bakterien den braunen oder orangenen Eisenoxiden den Sauerstoff entzogen haben, bleibt farbloses, in Wasser gelöstes Eisen zurück. Dort, wo das Bodenwasser auf Luft trifft, verbindet sich gelöstes Eisen wieder mit Sauerstoff zu orangenen Eisenoxiden. Da die Konzentrationen des gelösten Eisens im Bodenwasser oben, wo es ausfällt, niedriger ist als unten, „wandert“ es im Wasser hinauf und fällt, wenn es dort auf Sauerstoff trifft, als Eisenoxid aus. So bildete sich der Go-Horizont, das feine rötliche Band unter dem Ap-Horizont. Bei tonigen Böden ist dieser Horizont viel mächtiger, da das Wasser in den feinen Poren zwischen den winzigen Tonkörnern höher ansteigen kann (Kapillareffekt). Wenn das Grundwasser absinkt, gelangt wieder Sauerstoff in den Gr-Horizont. Während die kleinen Poren der lehmigen Stellen das Wasser länger halten können , versiegt es schnell an den sandigen und macht Platz für Sauerstoff. So kann das Eisen dort ausfallen und bildet große orangene Flecken. Die „Wassergestaltung“ ist vollendet. Über Gleyen bildet sich häufig eine dicke Humusschicht, weil es zersetzenden Lebewesen zu feucht ist.

Quellen: Zech, W. et al, 2014: Böden der Welt, Springer Spektrum Berlin, 164 S. Stahr, W et al, 2012: Bodenkunde und Standortlehre, 2. Aufl. Verlag Eugen Ulmer Stuttgart, 318 S.

Sarah Betty Lena Samson


Podsol Was ist ein Podsol? Podsole sind stark saure in der Regel sandige Böden mit der Horizontfolge Aeh-Ae-Bsh-Bhs-C. Im Oberboden eines Podsols sind nicht selten pH-Werte von 3 bis 4,5 festzustellen. Bei diesen tiefen pH-Werten werden primäre und sekundäre Minerale zerstört und die Bruchstücke zusammen mit gelöster organischer Substanz (DOM) nach unten verlagert. Dieser Prozess wird auch als Podsolierung oder Cheluviation bezeichnet. Basenarmes, quarzreiches und gut durchlässiges Ausgangsgestein wie es auch in den sandigen Böden der Prignitz anzutreffen ist, schwer abbaubare Streu und fehlende Bodenwühler begünstigen die Akkumulation von Rohhumus, in dem niedermolekulare organische Säuren entstehen die als Komplexbildner wirken. Sie zerstören die Kristallstrukturen der Minerale und lösen Sesquioxide aus dem Gitter, die dann protoniert, reduziert und /oder als organische Komplexe (Chelate z.B. Fulvate) nach unten verlagert werden. Dadurch verarmt der Oberboden an Aluminium, Eisen, Mangan, Schwermetallen und organischer Substanz und färbt sich nach und nach grau (Sauerbleichung). Es ensteht der Bleich- oder Eluvialhorizont (Ae) während im Unterboden, wo die Sesquioxide wegen steigender pHWerte wieder ausfallen, dunkle bis rötliche-rostfarbene Anreicherungshorizonte entstehen (Bsh bzw. Bhs). Bei manchen Podsolen sind die Humusgehalte im Oberboden so hoch, dass die Verlagerung von OS in den Unterboden zwar analytisch nachweisbar ist, aber der Ae-Horizont nach wie vor dunkel gefärbt ist. Im oberen Subhorizont des B-Horizonts akkumulieren besonders organische Stoffe(Bh) während sich Sesquioxide vor allem darunter anreichern. Der Bsh-Horizont weist ein Kittgefüge auf. Solange er lockererdig ist spricht man von Orterde, nach Verfestigung von Ortstein.

Wegen ihrer schlechten Nährstoffversorgung, tiefer pHWerte und häufig niedriger Wasserspeicherleistung sowie niedriger biologischer Aktivität im Boden sind Podsole als Ackerböden nur schlecht geeignet. Auch der Ortstein ist ein Hindernis für den Ackerbau da er die Durchwurzelbarkeit des Bodens durch seine Festigkeit stark beeinträchtigt. Deshalb überwiegt die forstliche Nutzung auf Standorten mit Podsol. Die durch menschliche Aktivität hervorgerufene Versauerung der Niederschläge sowie die weite Verbreitung von Fichtenmonokulturen in der Forstwirtschaft, befördern die Versauerung der Böden zusätzlich. In diesem Zusammenhang wird auch von anthropogener Podsolierung gesprochen. Ein Prozess der mit Blick auf eine wachsende Weltbevölkerung und ihre Ernährungsprobleme als sehr negativ angesehen werden muss. Wo finden wir Podsole? Podsole entwickeln sich vorwiegend aus sauren, quarzreichen, kalk- und silikatarmen, häufig unverfestigten Gesteinen wie Quarzsanden (z.B. Flugsande) oder Granitgrus, aber auch aus Festgesteinen wie Granit, Gneis, Quarzit oder Kieselschiefer. Sie dominieren in der borealen Nadelwaldzone unter (zumindest gemäßigt) ozeanischem Klima und sind auch in Norddeutschland in den eiszeitlich geprägten Regionen mit ihren Sandböden oft zu finden.

Ronald Müller


Boden – Geschichten – Gesichter Portraitreihe | L. Ali & M. Kirmaier | April–Juli 2017

Menschen haben in verschiedenen Kontexten mit Boden zu tun. Diese Vielfalt der Mensch-Boden-Interaktionen zu zeigen, ist die Intention der Portraitreihe „Boden – Geschichten – Gesichter“. Die Relevanz des Bodens für uns alle wird greifbarer, wenn Menschen von ihren persönlichen Erfahrungen, Wahrnehmungen und Emotionen mit Blick auf ihre Tätigkeit als beispielsweise Landschaftsgärtner oder Bauarbeiter erzählen. Sie zeigen auf, welche Rolle Boden speziell für sie spielt und warum dies so ist. In Form von Erzählungen und Fotos bzw. Videosequenzen wurden Böden mit einer persönlichen Geschichte verknüpft und daraus Portraits erstellt. Zunächst wurden Menschen ausfindig gemacht, die mit verschiedenen Hintergründen auf das Thema Boden blicken können und von ihrer speziellen Beziehung, ihrem persönlichen Verhältnis zu Boden berichten wollten. Dafür haben wir Vereine angeschrieben, persönliche Kontakte herangezogen oder auch spontan Menschen an ihrem Arbeitsplatz aufgesucht. Mit ihnen haben wir in einem nächsten Schritt ein persönliches oder telefonisches Interview geführt, das sich an einigen Leitfragen orientiert hat, aber bewusst offen gehalten wurde um damit Raum für unvoreingenommene Berichterstattungen und damit Ergebnisse zu schaffen. Dieser flexible Rahmen spiegelt sich wider u.a. in der Länge der Erzählungen der verschiedenen GesprächspartnerInnen und deren Schwerpunktsetzung. Auch der Erzählstil wurde weitestgehend gewahrt und findet sich in den authentisch wiedergegebenen Geschichten wieder. Zusätzlich zu den Interviews wurden die GesprächspartnerInnen für ihr Portrait fotografiert oder haben uns ein Foto zukommen lassen. Die Geschichte von Frau Helga CentVelden zur Nachkriegszeit und der Entstehung der Trümmerberge in Berlin haben wir in Form eines Textes und Videosequenzen des Interviews aufgearbeitet. Mit ihr als Zeitzeugin war die Möglichkeiten geboten, diese bemerkenswerte Geschichte umfassender zu dokumentieren und die Zeit sowie die Arbeit der Trümmerfrauen auch ein Stück weit davor zu bewahren, in Vergessenheit zu geraten.

28 – Boden – Geschichten – Gesichter

Im Ergebnis sind neben der Geschichte von Frau Cent-Velden elf weitere Gespräche zu einer Portraitreihe zusammengeführt worden, welche einen Einblick in verschiedenste Berufsfelder, Meinungen und Emotionen zum Thema Mensch und Boden gewährt. Es zeigt sich, dass die Art der Beschäftigung mit Boden, die Sicht auf Boden und die persönliche Verbindung bzw. der emotionale Bezug zu Boden, sowie die Bewertung des Bodens als natürliche Ressource sehr unterschiedlich ausfällt. Während es dem Bauarbeiter eine Last sein kann, Boden wegzuschaffen, sorgt sich der Landwirt um die Zukunft des Bodens als Nahrungslieferant und Lebensgrundlage. Boden kann ganz nüchtern betrachtet werden, reduziert etwa auf seinen wirtschaftlichen Wert. Auf der anderen Seite wird aber auch deutlich, dass Boden faszinieren kann und als schön empfunden wird, aufgrund seiner Beschaffenheit, Funktion, Geschichte und – wie mehrere Personen erwähnten – aufgrund seines Geruchs! Frischer Boden riecht gut und allein der Gedanke daran ruft Emotionen und Bilder hervor. Die Portraitreihe vermittelt diese Vielfältigkeit der Eindrücke zum Boden und beleuchtet die unterschiedlichen Bedeutungen, die der Boden für uns als Menschheit, aber auch für uns ganz persönlich einnimmt.



30 – Boden – Geschichten – Gesichter


Thomas Augustin, ehemaliger Totengräber & Bauarbeiter Berlin Wir haben in unserer Firma die Löcher von Hand ausgehoben. Manchmal hat man Glück und man hat weichen Sand. Da schafft man es locker in zwei Stunden eine Gruft auszuheben. Die Grube muss so 1,90 Meter tief, 2,10 Meter lang und 0,90 Meter breit werden. Je nach Konsistenz des Bodens braucht man eine Verschalung. Manchmal, bei zu weichem Sand, muss man das Loch auch mehrmals ausheben. Und manchmal hast du auch echt die Arschkarte gehabt. Ich kann mich erinnern, auf einem Kirchfriedhof in Bernau im Frühjahr war das von der Grasnabe an knochenharter Lehmboden. Das einzige, was wir an elektronischen Geräten hatten, war ein Stemmhammer, betrieben vom Generator. Da hast du locker mal von morgens um neun bis abends um halb zehn gebraucht, um das Loch freizumachen. Es gab also weichen Sand, der zu weich war, dann gab es Sand, der war zum buddeln okay und es gab knochenharten Lehmboden. Könnte der Boden fühlen, wie würde der sich fühlen? Wenn man so mitbekommt, was alles in den Boden gegraben wird: jede Menge Stahl, Beton, Plastikzeug… Ganz schön beschissen, würd ich mal sagen. Der Boden würde zu uns, glaube ich, sagen: „Ihr könnt froh sein, dass es mich noch gibt, weil ohne mich würdet ihr wahllos durchs Universum fliegen. Und was macht ihr mit mir? Ihr vergiftet mich.“

Boden – Geschichten – Gesichter – 31


32 – Boden – Geschichten – Gesichter


Harry, Landwirt Hülsebeck Meine Familie lebte bis 1953 hier, dann mussten wir Haus und Hof verlassen, wegen der Reformen, den Gründungen von landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPGs). Erst nach dem Mauerfall haben wir das Land inklusive Haus wiederbekommen. Ich bin 1992 hier her gezogen. Die ursprünglichen Grenzen der Flächen waren zu dieser Zeit nicht mehr erkennbar. Nur die Älteren wussten noch, wo ihr Land anfing und aufhörte. Wir haben unseren Acker für die Viehfutterproduktion bewirtschaftet, auch Milchvieh hatten wir. Heute baue ich Getreide für den Verkauf an. Hier um Hülsebeck gibt es am meisten Weizen, Roggen und Mais. In Pirow wurden allerdings Flächen auch umgenutzt für die Windkraft, da sind einige umgestiegen. Problematisch ist, dass aufgrund der massiv gestiegenen Landpreise heute praktisch nur noch institutionelle Anleger Land erwerben können, der einfache Bauer kann das nicht mehr bezahlen. In dieser Hinsicht sind politische Entscheidungen dringend nötig. Mein Lieblingsboden ist hier der lehmige mit vielen Bodenpunkten. Er ist ertragreich und gut zu bearbeiten. Meine Tochter hat ja nun den Hof mit ihrem Mann übernommen, der ist Traktorfahrer in dritter Generation. Ihm wurde die Tätigkeit also schon in die Wiege gelegt. Unserem Boden geht es alles in allem gut. Wenn der pH-Wert mal nicht so gut ist, habe ich Kalk hier, der dann auf die Flächen kommt. Boden ist unsere Lebensform und Grundlage, er ernährt uns schließlich. Dies muss auch für die nächsten Generationen noch gelten, daher müssen wir verantwortungsvoll mit ihm umgehen.

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Stefan & Silke, Garten- und Landschaftsbau Bernau Man braucht, glaube ich, ein gewisses Alter um zu begreifen, dass wir eine Generationenverpflichtung haben. Wir sind jetzt diejenige Generation, die dafür zuständig ist, dass auch die folgenden Generationen noch auf dem Boden leben können, mit dem Boden produzieren können und dass sie Trinkwasser haben. Der Mensch hat durch sein Dasein in den letzten Jahren das Klima so weit verändert, dass wir die Auswirkungen spüren und das wird sich auch auf den Boden auswirken. Wenn das Wasser fehlt, die Böden versiegelt sind, die Pflanzen fehlen und der Boden dadurch ausdörrt, leiden die Bodenlebewesen und diverse Mikroben, die zum Beispiel selbst Mineralöl aufspalten können. Vom Mensch verursachte Umweltschäden können teilweise durch Mikroben wieder aufgehoben werden. Wenn aber der Boden letztendlich so stark beeinflusst ist, durch Klimabedingungen, durch Austrocknung, dann funktioniert das nicht mehr. Die Bedeutung des Bodens wird einem schon bewusst, wenn man damit arbeitet. Finden Sie Boden schön? Silke: Besonders nach einem Sommerregen, wenn er dann richtig intensiv frisch duftet, mag ich Boden. Außerdem fasst sich Boden schön an, wenn er dann für die Pflanze vorbereitet ist und man ihn auch formen kann. Doch, Boden ist schon was besonderes. Stefan: Ich spüre Boden gern zwischen meinen Händen, ich arbeite nie mit Handschuhen. Das kann ich nicht.

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Frank & Frank, Bauleiter und Polier Berlin, Baustelle für die Errichtung eines Bahntunnels Auf dieser Baustelle sind wir seit fünf Jahren. Das ist ungewöhnlich, die Bauzeit sollte insgesamt drei Jahre betragen und musste dann aber aufgrund verschiedenster Vorkommnisse ausgedehnt werden. Hier war es zum Beispiel so, dass wir sehr mächtige Torfschichten gefunden haben. Die waren zum Teil in dem Bodengutachten drin, aber nicht in der Mächtigkeit, wie wir sie dann rausholen mussten. Bauvorhaben müssen in der vertraglich festgelegten Zeit fertig gestellt werden, oft sind die Termine mit Vertragsstrafen verbunden. Daher bleibt in unserem Metier nicht so viel Zeit, sich mit dem Boden selbst zu beschäftigen. Wir haben dann eben den Auftrag, dass 18.000 m³ Boden gelöst, verladen und entsorgt werden müssen. Wir müssen einfach sehen, dass wir ausreichend Bagger da haben und ausreichend LKW kommen. Einmal hatten wir einen riesigen Berg Erde auf der Baustelle, weil die LKW nicht kamen. Die Bagger fuhren und haben den Boden gefördert, aber konnten ihn nicht verladen. Das sind unsere Probleme mit dem Boden. Ob das jetzt ein besonderer Boden hier war, das nehmen wir nicht wirklich wahr. Für uns war es viel schlimmer, dass man mit den Stiefeln in den nassen Torfboden gleich 10, 15 Zentimeter eingesackt ist und es furchtbar und anstrengend war, da zu laufen. Ich kann mich aber erinnern, dass sich von dem Torf dann schon mal einer eine Schubkarre mit nach Hause genommen hat für seinen Garten. Das ist so eine Situation, in der man sich denkt „Das ist doch ein guter Boden, was Besonderes, davon nehme ich mir was mit“. In Berlin wird zur Zeit sehr viel gebaut und Boden dient in diesem Rahmen als reiner Baugrund. Andere Bodenfunktionen gehen damit teilweise verloren. Man denkt da nicht drüber nach, aber von der Sache ist das schon so. Jetzt kommt ein Betonklotz nach dem andern, viel Erde dazwischen bleibt nicht mehr. Im Gegenteil, da kommt noch eine Straße dazwischen mit Kanälen, Elektrokabeln, Gasleitungen und so weiter. Da bleibt nicht mehr viel Erde im Boden. Dass die Bäume noch wachsen, ist manchmal schon erstaunlich.

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Uta, Landschaftsökologin Eberswalde Ich bin von Haus aus Landschaftsökologin. Der Boden ist für mich das am stärksten integrative Landschaftskompartiment. Er ist abhängig vom Klima, von den hydrologischen Verhältnissen, der Vegetation, des Ausgangssubstrats usw., all das wirkt im Boden zusammen. Er ist für mich deshalb ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis von Landschaften. Im Rahmen eines Forschungsprojekts haben wir uns näher mit den Rieselfeldern beschäftigt. Zunächst ist die Rieselfeldlandschaft nicht unbedingt schön, aber sie ist hoch interessant. Man muss sich nur einmal mit der Geschichte auseinandersetzen und sich anschauen, welch enormen Wandel die Landschaft innerhalb der letzten 100 Jahre erlebt hat. Das kann man auch am Boden ablesen, Bodenprofile beispielsweise erzählen uns davon. Für die meisten Menschen ist Boden irgendwo einfach nur „Dreck“. Das merkt man schon bei Eltern, wenn sie ihren Kindern sagen: „Mach dich nicht dreckig, fass das nicht an!“ Und ich finde es so wichtig, Boden eben auch zu fühlen und ihm eine gewisse Wertschätzung entgegenzubringen. Gerade die Rieselfeldböden haben, wenn man so will, gigantisch viel geleistet. Bei Böden, die tatsächlich zu einer Rieseltafel gehört haben, sieht man die mächtige Humusakkumulation, die sich in vergleichsweise kurzer Zeit gebildet hat. Bodenbildung ist sonst Rieselfelder in Berlin ein so schwer zu veranschaulichender Prozess, Im ausgehenden 19. Jahrhundert begann der dauert Tausende von Jahren. Wenn man z.B. man in Berlin die Abwässer mithilfe der vor einem drei Meter großen Torfprofil steht und neu gebauten Kanalisation aus der Stadt zu sich denkt, da sind jetzt 3.000 Jahre Erdgeschichleiten und auf Feldern zu verrieseln. Die te vor mir, das ist sehr beeindruckend, regelrecht durch die Berieselung mit Nährstoffen sehr Ehrfurcht erregend. Speziell die Rieselfelder stark angereichterten Felder wurden für können nach der Zeit ihrer landwirtschaftlichen die landwirtschaftliche Produktion, etwa Nutzung z.B. als Erholungslandschaft weiterentvon Gemüse oder Tierfutter, genutzt, und wickelt werden. Auch in dieser Geschichte zeigt warfen zu Beginn sehr hohe Ernteerträge sich: Boden ist mehr als nur „Dreck“. ab. Bereits in den 1920er Jahren litten die Böden jedoch unter der Berieselung und Könnte der Boden fühlen, wie hätte er sich der damit einhergehenden Verschlämmung, damals gefühlt? dem Ungleichgewichte im NährstoffhausAlso während der Berieselung hat ihm wohl halt und der Schadstoffbelastung („Riedie Luft zum Atmen gefehlt durch die Last der selmüdigkeit“). Noch bis in die 1980er Schadstoffe. Und jetzt mit der Sanierung ist es wurden viele Felder berieselt, einige wurden ein langsames Aufatmen. gar als Intensivfilterflächen angelegt. Großflächige Stilllegungen erfolgten mit dem Finden Sie Boden schön? Ausbau der Berliner Klärwerke, die letzten Ja, in jedem Fall! Alleine die verschiedenen FarTeilflächen wurden 1998 stillgelegt. Inzwiben der Horizonte. Das hat immer etwas Ästheschen dienen einige der Flächen Erholungstisches. zwecken und werden als Havarieflächen für einen eventuellen Klärwerksausfall freigehalten. Quelle: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung & Wohnen, Berlin

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Floyd, 4 Jahre Berlin Die Exkursion vom Projekt war toll. Ich habe gebuddelt und den Bohrstock reingehauen, das hat Spaß gemacht. Es war aber ganz schwer. Ich habe auch etwas gelernt: wie man hämmert. Wir haben im Boden etwas Besonderes gefunden, einen Fuchs, einen jungen Fuchs. Der Fuchs war tot und ganz tief in der Erde eingebuddelt. Fandest du den Boden denn schön? Ja! Welcher Boden hat dir besser gefallen, der am Acker oder der im Wald? Beide. Bei uns zuhause gibt es im Hinterhof schwarzen Boden. Da wachsen Pflanzen drauf.

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Christoph, Landwirt mit Biogasanlage Ottobeuren Kühe waren nie so ganz mein Ding, aber ich wollte immer einen Hof und selbstständig sein, die Außenbewirtschaftung hat mir immer gefallen. Früher hatte ich Milchvieh, dies ist finanziell aber sehr schwierig und wenig lukrativ. Ein Bekannter kam auf die Idee mit der Biogasanlage und daraufhin haben wir uns darüber informiert und sind zusammen eingestiegen. Die Bewirtschaftung meiner Felder hat sich mit dem Umstieg auf Biogas wenig verändert, ich lasse lediglich das Gras länger wachsen vor der Mahd. Als Landwirt kümmert man sich um seine Felder, beobachtet sie und möchte, dass sie in einem guten Zustand sind. Das heißt, man füllt vielleicht an einer Stelle mal den Boden auf oder stellt sicher, dass keine Staunässe entsteht. Weil ich auf meine Felder achte und Arbeit hineinstecke, sind sie mir schon wichtig. Den Großteil meiner Flächen habe ich vererbt bekommen und möchte sie auch weiter vererben. Ich denke, dass vielen Menschen der Boden sehr viel wert ist, sonst wäre der Quadratmeterpreis für den Kauf nicht so hoch. Vor zehn Jahren habe ich Grünland gekauft, das war wenig wert damals. Heute würde ich bestimmt dreimal sie viel bekommen, würde ich wieder verkaufen. Immer mehr Menschen wollen Boden kaufen, aber davon gibt es eben nur so und so viel Quadrameter und nicht mehr. Finden Sie Boden schön? Wenn ich das Feld vorbereitet habe zum Säen, dann finde ich Boden schön, auch ein Humushaufen ist was Schönes. Nur, wenn mir der Boden an den Stiefeln klebt, das ist weniger schön.

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Michael, Anwohner und Aktiver bei der „Asse“ Wolfenbüttel In der Umgebung von Wolfenbüttel gibt es viele alte Salzbergwerke. Die Asse ist ein ca. 10 km langer und 3 km breiter Höhenzug, wo man ebenfalls über Jahrzehnte Salz abgebaut hat. Die Dörfer hier ringsum haben richtig so eine Bergmannstradition. Als aber die wirtschaftliche Bedeutung abnahm, Arbeitsplätze vor Ort gerettet werden sollten und zugleich ein Lager für Atommüll gesucht wurde, kam die Idee auf, diesen bei der Asse einzulagern. Allerdings handelt es sich um ein Bergwerk, das nicht entsprechend den Sicherheitskriterien für eine Atommülllagerung gebaut und bewirtschaftet worden war. Bis heute fließt Regenwasser auf nicht eindeutig nachzuvollziehenden Wegen in den Schacht, wo nach wie vor ca. 125 Tsd. Fässer schwach- bis mittelstark radioaktiven Materials wie in einem unterirdischen Hochhaus auf verschiedenen Etagen liegen. Anfang der 2.000er Jahre hatten Teile der Bevölkerung dann doch vermehrt Bedenken, es könne durch den Wassereintritt und die dadurch angegriffenen Salzstrukturen eine radioaktive Suppe entstehen. Irgendwann kam es zu einem Neubewertungsprozess mit dem Ergebnis: Das Zeug muss rausgeholt werden. Sowieso war die Schachtanlage Asse offiziell ja nur ein Versuchsendlager gewesen. Ich selbst beschäftige mich seit 1986 mit der Thematik, habe in verschiedenen Funktionen und Rollen daran gearbeitet und mich beteiligt, z.B. in der Asse2-Begleitgruppe, also einer Vertretung der Bürgerschaft im Zusammenwirken mit Ministerium und Bundesamt für Strahlenschutz etc., um den Rückholprozess des Atommülls zu begleiten. Gleichzeitig bin ich sozusagen als Anwohner davon betroffen. Auf der persönlich-emotionalen Ebene heißt das jetzt aber keine ständige Angst durch das Wissen um den Atommüll unter den Füßen, oder eine ständige Bedrohung. Worüber wir hier reden, ist ein Zeitproblem, ein Bedrohungsszenario. Wenn man sich die pure Menge anguckt, die gesamte Radioaktivität, ist das z.B. im Vergleich zu einem Castor-Behälter in Gorleben nicht viel. Aber das ändert nichts daran, dass das hier nicht sicher aufgehoben ist und wir es mit langlebigem Plutonium zu tun haben. Dass radioaktives Material zukünftig mit dem Grundwasser weitertransportiert werden könnte, sind natürlich Befürchtungen bspw. auch eines Biobauern hier in der Nähe. Zudem regt sich in der Bürgerschaft teilweise Widerstand gegen ein Zwischenlager vor Ort. Wenn das Zeug rausgeholt wird, muss es irgendwo hin, ein Endlager gibt es in Deutschland bisher eben nicht. Die bundesdeutsche Politik sagt: Endlagerung in tiefen, geologischen Formen. Das können z.B. Salz, Ton, Granit sein. Unter Abwägung aller Vor- und Nachteile wird ein geeigneter Standort weiterhin gesucht. Was die Schachtanlage Asse betrifft, so ist sie jedenfalls ein Archiv der Zeitgeschichte, tief unter dem gleichnamigen Höhenzug Asse gelegen.

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Willy, Bodenzoologe und Leiter des Forschungsinstituts Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz Görlitz Ich bin Bodenzoologe und leite ein Forschungsinstitut, das Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz. Ich beschäftige mich mit den Tieren im Boden, auch mit Pilzen, Bakterien und Algen. Hier am Museum untersuchen wir beispielsweise wie Recyclingprozesse im Boden ablaufen, woran die Tiere ja maßgeblich beteiligt sind. Bakterien, Pilze und Bodentiere schließen 80–90 % der Nekromasse in terrestrischen Systemen auf, d.h. sie sorgen dafür, dass Nährstoffe wieder verfügbar sind. Ohne sie gäbe es uns nicht. Die Tiere, die wir hier am Museum untersuchen, umfassen u.a. Springschwänze, Milben, Fadenwürmer oder auch Bärtierchen und Mikrotubellarien, daneben Spinnen und Regenwürmer. Warum wird der Wert des Bodens oft nicht wahrgenommen? Die Verstädterung und Loslösung vom Boden hat dazu geführt, dass man keine Beziehung mehr zum Boden hat, z.B. weil man nicht mehr selber anbaut. Außerdem gibt es ein Problem bei der emotionalen Wahrnehmung von Böden. Wir arbeiten momentan an einer virtuellen Station zum Bodenleben, mit der man in den Boden eintauchen kann und ihn erleben mit seiner Struktur, seinen skurrilen Organismen und auch seinen Funktionen. Boden wird in erster Linie auch einfach nur als „Dreck“ bezeichnet, das wird schon Kindern so beigebracht. Wir vom Senckenberg Museum sehen es als unsere Aufgabe an, Menschen den Boden näherzubringen und ihnen zu zeigen, was im Boden alles lebt und geschieht und damit letztendlich die Begeisterung für das Thema zu wecken. Als ökosystemare Leistungsträger sind nicht der Bär oder die Gazelle von Bedeutung, wohl aber der Regenwurm. Wir haben auch Lehrmaterialien erstellt, denn in Lehrplänen kommt der Boden bisher so gut wie nicht vor. Damit versuchen wir Boden auch mit z.B. Kunst zu verbinden oder mit Musik, durch den Regenwurmrap oder ähnlichen Ideen. Wie ist Ihre persönliche Bindung zum Boden? Da habe ich ein Kindheitserlebnis, das sehr eindrücklich war. Meine Eltern hatten eine große Gärtnerei und haben Boden für die Herstellung von Komposterde gedämpft. Der Geruch des Bodens danach war sehr stark und so wie Boden eben riecht. Nachdem der Boden etwas abgekühlt war, habe ich mich da hineingelegt. Das war so das stärkste körperliche Empfinden mit Boden: er war „mütterlich wärmend“.

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Marco, Mitgründer der Prinzessinnengärten Berlin Bevor wir überhaupt angefangen haben hier in den Prinzessinnengärten, wussten wir, dass wir mit mobilen Hochbeeten arbeiten werden. In der Regel sind Böden in der Stadt mit Schwermetallen belastet, daher mussten wir ein System entwickeln, womit man trotzdem nachhaltig gesunde Lebensmittel anbauen kann. Am Anfang ließen wir uns Kompost von einem Betrieb aus der Nähe Berlins liefern, inzwischen kompostieren wir selbst. Mit den Hochbeeten erwecken wir zwar den Eindruck, dass das urbane Gärtnern gut funktioniert – tut es ja auch. Es ist aber schwierig zu vermitteln, dass das Thema Boden nicht so einfach zu lösen ist, im Sinne von man stellt einen Korb auf und füllt irgendwas rein. Daher bieten wir Leuten, die unser System z. B. auf ihrem Balkon anwenden wollen, neben dem Saatgut vor allem auch Boden an. In der Stadt ist es sehr schwierig, überhaupt an Boden ranzukommen. Man ist fast gezwungen in den Baumarkt zu gehen und man weiß dann überhaupt nicht, woher die Bestandteile der Erde, die man dort kaufen kann, überall herkommen. Ich bin mit vielen AktivistInnen in Kontakt, die sagen, und das denke ich auch, die Aufgabe des urbanen Gärtnerns ist es, die Böden, die wir in der Stadt haben, zu sichern und auch zu entgiften, was unter Umständen Jahrzehnte dauert. Das Problem ist allerdings, dass die meisten urbanen Gärten in prekären Situationen sind, langfristig keine Perspektive haben und dadurch gar nicht diese Art von Arbeit dauerhaft aufnehmen können. Sobald Boden eine Ware ist, die global auf einem angeheizten Finanzmarkt gehandelt wird, dann gibt es gegen Beton keine Chance. Die Versiegelung ist im Finanzsystem mit extremer Macht eingeschrieben, weil jedes Stück Boden wahnsinnig viel Geld wert wird, wenn darauf gebaut wird, egal was. Für mich ist eines der Hauptprobleme, dass wir bestimmte Güter in Waren verwandeln, die keine sein dürfen. Der Druck auf die Flächen wird dadurch viel zu groß. Und es gibt eigentlich keinen Anreiz, Flächen frei zu halten oder sie zu entsiegeln. Das müsste ja unsere Aufgabe heute sein: nicht die Versiegelung zu verlangsamen, sondern massiv zu entsiegeln.

Seit ich mit den Prinzessinnengärten angefangen habe, hat sich meine Sicht auf Boden komplett verändert, vor allem durch den Austausch mit LandwirtInnen und Akti­vistInnen im landwirtschaftlichen Bereich. Es ist das eine von Degradation und Überdüngung zu lesen und das andere, wenn man rausfährt nach Brandenburg und tatsächlich mit Leuten Kontakt hat, die damit zu kämpfen haben. Vor allem Landgrabbing in Ostdeutschland ist ein riesiges Problem. StädterInnen, mich eingeschlossen, sehen in der Regel ja nicht, dass das, was so grün aussieht, wächst und blüht, also der Mais, der Raps oder die Fichtenmonokultur, eine Industriealisierung der Landschaft darstellt, mit erheblichen Auswirkungen auf die Bodenqualität, aber auch auf den Zugang zu Boden und die Möglichkeit, mit Boden anders umzugehen. Junge BäuerInnen in Brandenburg, die eine andere landwirtschaftliche Praxis aufbauen wollen, haben keinen Zugang zu Land. Wenn wir anders mit Boden umgehen würden, könnten wir tatsächlich viel stärker regionale Ernährungssysteme umsetzen. Es ist teilweise krass zu sehen, wenn man dann durch Brandenburg fährt, dass die besten Böden tatsächlich auch nur für den Maisanbau genutzt werden. Ist Boden schön? In dampfenden Kompost zu greifen oder auch der Geruch davon hat natürlich sinnliche Qualitäten. Ich finde die größte Qualität ist der Geruch von einem Boden. Ein dampfender Waldboden ist total schön.

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Stefan, Vorstand der BioBoden Genossenschaft eG Rothenklempenow Ohne Boden könnten wir nicht überleben, er ist die Grundvoraussetzung für alles, nicht nur für den Landwirt, sondern für alle Menschen. Von daher ist es wichtig, wie man damit umgeht. Hier kann man jetzt unterscheiden zwischen konventionell und ökologisch, aber das ist zu kurz gegriffen. Man kann nicht sagen, konventionelle Betriebe beuten den Boden aus und ökologische machen das nicht. Es gibt auch konventionelle Betriebe, die sich Gedanken um ihren Boden machen und genauso gibt es auch Fehler von ökologisch wirtschaftenden Betrieben im Umgang mit Ihrem wichtigsten Produktionsfaktor, dem Boden. Aber vom Grundgedanken her versuchen wir im ökologischen Landbau einen sinnvollen Kreislauf zu schaffen, über Fruchtfolgen und die Art der Tierhaltung. Und dazu müssen wir auch die Bodenorganismen, z.B. die Regenwürmer füttern. Das muss man immer im Hinterkopf behalten, wenn man Landwirtschaft betreibt. Unsere Produkte sind deswegen teurer, weil Umweltleistungen aber auch höhere Auflagen in der Tierhaltung honoriert werden. In den Preisen für konventionell erzeugte Produkte spiegeln sich die tatsächlichen Kosten hingegen nicht wider. Trinkwasserverunreinigung, Nitratbelastung, Pestizidrückstände, Artenrückgang in Monokulturen – diese externen Kosten werden von der Gesellschaft getragen, nicht aber beim Kauf des Produkts bezahlt. Der Boden als Naturressource wird aber auch im konventionellen Bereich immer mehr ins Bewußtsein dringen. Sie fangen nicht umsonst mit Zwischenfrüchten und solchen Dingen an. Der Druck seitens der Gesellschaft wird größer, es wird zum Beispiel immer weniger akzeptiert, im großen Stil Glyphosat einzusetzen, um dann im Anschluss zu ernten oder auszusäen. Welche Verbindung haben Sie zum Boden? Schon mit zwölf Jahren habe ich mit dem Traktor den Acker des elterlichen Betriebes gepflügt und ich weiß heute noch genau, wie ich an einem Tag den Pflug angehängt habe, losgefahren bin und ich dann diesen Boden riechen konnte. Die Heckscheibe bei den Traktoren waren früher offen, man hatte noch keine abgeschlossene Kabine mit Klimaanlage, da konnte man noch was riechen. Das hat sich bei mir richtig eingebrannt, wie Boden riechen kann und wie gut er riechen kann.

BioBoden Genosschenschaft eG Die BioBoden Genossenschaft ist ein eigenständiges landwirtschaftliches Unternehmen, welches selbst Landwirtschaft betreibt und auf Veranlassung von Landwirten Flächen mit Anteilen der Mitglieder kauft und diese langfristig an die Landwirte verpachtet. Daneben kauft die BioBodenGenossenschaft Betriebe (ökologisch und konventionell bewirtschaftete Betriebe) und übergibt diese in unterschiedlicher Form an Landwirte zur Bewirtschaftung und zur Umstellung. Außerdem unterstützt sie Betriebe bei der Vermarktung der Produkte.

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Videos im Internet: https://goo.gl/J1Tq9s

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Helga erzählt: Die Trümmerberge Berlins – stumme Zeugen der Geschichte Helga Cent-Velden war 18 Jahre alt, als der zweite Weltkrieg zu Ende war. Kurz nach dem Einmarsch der russischen Truppen in Berlin half sie mit anderen Frauen und Männern die zerstörte Stadt Berlin aufzuräumen. „Wir haben im Leben nicht daran gedacht, Heldinnen zu sein“, kommentiert sie den Mythos um die Trümmerfrauen. Sie sagt, ihnen blieb gar keine andere Wahl als den Schutt wegzuräumen, denn sie wollten sich wieder bewegen können in der Stadt. Außerdem bekam, wer arbeitete und beim Aufräumen mithalf Lebensmittelmarken mit kalorienreicherer Nahrung und diese waren in der Zeit nach dem Krieg überlebensnotwendig (Video 1). Ein halbes Jahr lang schaffte sie mit einfachsten Mitteln, oft nur alten Handschuhen als Schutzkleidung, den Trümmerschutt aus den zerbombten Häusern und Straßen und verlud sie in sogenannte Loren, Transportwagen auf Schienen, die eigens für die Aufräumarbeiten eingesetzt wurden. Die großen Trümmerteile wurden dann auf einem der vielen Plätze in Berlin, aus denen mit den Jahren die Trümmerberge wuchsen, aufgeschüttet (Video 2). Was von den Trümmern wieder verwendet werden konnte, wurde für den Wiederaufbau verwertet. Auch das frühere Wohnhaus von Fr. Cent-Velden wurde aus Hohlsteinen, die aus zerkleinertem Schutt und Zement hergestellt wurden, und noch brauchbaren Ziegeln aufgebaut (Video 3). Frau Cent-Velden arbeitete vor allem in der Nähe ihres Wohnhauses am Tiergarten, aber wo genau die Loren mit dem schweren, unbrauchbaren Schutt hinfuhren, weiß sie nicht. Da die Trümmer möglichst ohne großen Aufwand verkippt werden sollten, wurden in der Nähe der Entstehungsorte der Trümmer Flächen gesucht, die bereits hügelig waren und so hatte fast jeder Bezirk seine eigene ‚Müllhalde‘ (s. Karte 14 Trümmerberge in Berlin). Der nächste Trümmerberg zu Frau Cent-Veldens Wohnhaus ist der Fritz-Schloss-Park in Moabit. Vermutlich liegen also dort viele der Trümmer, die sie weggeräumt hatte (Video 4). Im Jahr 1946 begann Frau Cent-Velden dann in Brandenburg eine Ausbildung und hörte auf mit dem ‚Trümmern‘. Bis Ende der 1950er Jahre waren die Aufräumarbeiten in Berlin bereits größtenteils beendet.

Auch wenn die Begrünung der Trümmerberge mehrere Jahre dauerte, entstanden mit der Zeit wertvolle neue Grünflächen für die Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt. In den Jahren nach den Aufräumarbeiten war Frau Cent-Velden selbst öfters mit ihrer Familie auf dem nun begrünten Teufelsberg und hat dort schöne Sommertage verbracht (Video 5). Auf die Nachfrage, ob sie denn an den Schutt unter ihren Füßen gedacht habe, wenn sie dort war, reagiert sie zögerlich: „Ich glaube, die Generationen danach stellen sich da immer ein bisschen was anderes vor. Für uns war das ja gängiger Alltag. Das wurde einem nicht immer bewusst. Den Tag, den man frei hatte, hat man dann genossen.“ (Video 6). Nachgehakt, ob es heute nicht wichtig wäre, die Entstehungsgeschichte der Trümmerberge der Stadt zu erzählen, ob sie Denkmalwert besitzen, ist Frau Cent-Velden der Meinung, dass das davon abhängt, wie man mit der eigenen Stadtgeschichte umgeht und ob man sich dafür interessiert. Als sie selbst noch Kind war, lief ihr Vater mit ihr durch das alte Berlin, um ihr die Stadt und auch um ihr andere Lebensumstände zu zeigen (Video 7). In ähnlicher Form könnte man, so ihre Idee, Stadtspaziergänge oder Radtouren anbieten, die an den Trümmerbergen vorbei führen und auf Schildern ihre Entstehungsgeschichte erzählen. Andernfalls bleiben sie unerzählt, die vielen tausend Geschichten, die in den Trümmern stecken. Frau Cent-Veldens Geschichte ist eine davon und sie wird verbunden bleiben mit den Trümmern, die heute nur noch stumme Zeugen darstellen (Video 8).

Verortung von 14 Trümmerbergen in Berlin © European Union, 1995-2017 & Forßbohm 2009 Forßbohm, U. 2009: Kriegs-End-Moräne. Zum Denkmalwert der Trümmerberge in Berlin. Diplomarbeit an der Technischen Universität Berlin

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Malen mit Böden Julian Wendler

Farben spielen eine große Rolle in unserem Leben, sie sind aufreizend oder schrill, sie wecken unser Interesse, stiften Gefühle von Zufriedenheit und Harmonie. Oder sie stoßen uns ab. Ob bei der Auswahl eines Lippenstiftes, dem Kauf eines Pullovers, der Anschaffung eines Autos, der Renovierung einer Fassade oder der Zusammenstellung eines Blumenstraußes – immer hat das Thema Farbe eine große Bedeutung. Aber erst seit etwa 100 Jahren sind wir von synthetischen Farbstoffen aus der ­Kohleund Ölindustrie mit einer schier unendlichen Zahl von Farben umgeben. Wann und wo liegt also der Ursprung unserer Farben? Menschen haben von prähistorischen Zeiten an ihre Spuren in der ganzen Welt in Form von gemalten Bildern hinterlassen. Ob als feine Kunstwerke, einfache Handabdrücke oder Graffiti. Die ersten Höhlenmalereien sind nachweislich vor über 70.000 Jahren in Südafrika entstanden und zeigen geometrische Muster [1]. In Europa sind die ältesten Höhlenmalereien über 30.000 Jahre alt[4]. Farbe wurde außerdem zur Körperbemalung genutzt, für religiöse Zwecke und als Kriegsbemalung zur Abschreckung, aber ebenso als Schutz vor der Sonne[1]. Chemische Analysen zeigen, dass vorwiegend Pigmente aus Eisen-, Manganoxid und Holzkohle verwendet worden sind [3]. Daraus resultierte ein hauptsächlich von Schwarz, Rot und Gelb dominiertes Farbspektrum[3]. Wahrscheinlich wurde auch Kreide benutzt, es konnten aber bisher keine Spuren von weißen Pigmenten in Höhlenmalereien gefunden werden[3]. Erste Belege für die Nutzung von weißen Pigmenten aus Lehm gibt es in Asien, noch bevor in Europa in der Malerei Calciumcarbonat verwendet wurde[2]. In Ägypten begannen die Menschen schon vor 6.000 Jahren mit der Farbherstellung im großen Maßstab [1]. Sie nutzten Calciumsalze und Kupferverbindungen zur Farbherstellung[1]. Aus Malachit schufen die Ägypter den ältesten bekannten Grünton[1].

Höhlenmalerei mit Rot-, Gelbtönen und Schwarz

Der Beitrag der Griechen zur Malerei war die Herstellung von weißem Bleipigment vor etwa 3.000 Jahren, welches das meist verwendete weiße Pigment für Künstler bis ins 19. Jahrhundert blieb [1]. Im mittelalterlichen Europa waren helle Farbtöne gefragt, zum Beispiel Zinnober oder Umber, welches aus hydratisiertem Eisenund Manganoxid hergestellt ­wurde[1]. Das erste chemisch synthetisierte Pigment „Preußisch Blau“ wurde 1704 in Deutschland von Diesbach unter Verwendung von Kali und Alkali hergestellt[1]. Auch heutzutage verwenden Maler Erdpigmente, welche in Läden für Künstlerbedarf erhältlich sind oder eigens für die Farbherstellung gesammelt werden.

Barnett, J., Miller, S., & Pearce, E. (2006). Colour and art: A brief history of pigments. Optics & Laser Technology(38), S. 445–453. [2] Hradil, D., Grygar, T., Hradilová, J., & Bezdicka, P. (2003). Clay and iron oxide pigments in the history of painting Apllied Clay Science(22), S. 223-236. [3] Lambourne, R., & Strivens, T. (1999). Paint and Surface Coatings: Theory and Practice. Amsterdam: Elsevier. [4] Valladas, H., Clottes, J., Geneste, J.-M., Garcia, M., Arnold, M., Cachier, H., et al. (4. Oktober 2001). Palaeolithic Paintings: Evolution of Prehistoric Cave Art. Nature(413), S. 479. Abbildung: © Rudolpho Duba / pixelio.de [1]

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Herstellung von Erdpigmentfarben – Farbige Partikel (Pigmente, z.B. aus verschiedenfarbigen Böden) – Binde-/Klebmittel (Acrylbinder, Kartoffelmehl, Maisstärke, Ei, Kleister) – Lösungsmittel/Verdünner (Wasser) Verschiedenfarbige Erden sammeln. Diese trocknen und danach Fremdstoffe (Steine, Pflanzenreste, …) entfernen. Die getrockneten Erden fein sieben und nach Bedarf mit einem Mörser weiter zerkleinern. Danach werden die gewonnenen Pigmente, außer bei einer Farbherstellung mit Ei, mit Wasser leicht aufgeschlämmt. Zuletzt kommt ein Bindemittel dazu. Bei Acrylbinder empfehlen Kersberg & Lackmann (1994) ein Verhältnis von sechs Teilen Erdmasse zu einem Teil Bindemittel. Mehl oder Stärke muss erst mit Wasser aufgekocht werden, damit ein gutes Klebmittel entsteht. Dabei sollten etwa 2 Esslöffel Mehl/Stärke nach und nach in 300 ml Wasser eingerührt werden. Bei Ei als Binder kann man sofort die Pigmente einrühren. Das jeweilige Mischungsverhältnis sollte selbst ausprobiert werden, da es je nach Bodenart variiert. Es empfiehlt sich einen Behälter mit Deckel zu nutzen, weil man diesen zur Durchmischung der einzelnen Komponenten einfach schütteln kann. Fest verschlossen bleiben die Farben längere Zeit frisch und können, wenn sie eintrocknen, mit etwas Wasser wieder geschmeidig gemacht werden. Quelle: Kersberg, H., & Lackmann, U. (1994). Spiele zur Natur- und Umwelterfahrung - Ein Beitrag zur erlebbaren Umwelterziehung. Verband dt. Schullandheime.

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Böden haben viele Farben — und ihr könnt damit malen! Julian Wendler Ein Erlebnisbericht zur Langen Nacht der Wissenschaften 2017 Berlin — Technische Universität, 24.06.2017, 15 Uhr, zusammen mit dem Team des Instituts für Ökologie beginnen meine Vorbereitungen zur Langen Nacht der Wissenschaften. Am Kindercampus im Haus der Ideen (auch TU-Hauptgebäude genannt) wird mir ein Tisch zur Verfügung gestellt und ich bereite zwei Plätze vor, damit Kinder wie Erwachsene mit meinen selbst hergestellten Farben aus BodenPigmenten malen können. Die unterschiedlichen Farben entstammen Berliner Böden: Aus dem fein zersetzten Komposthaufen meiner Eltern wurde ein dunkler Braunton gewonnen, aus dem quietschgelbem Sand einer Baustelle ein Gelbton. Die Bodenfarben zeigen eine wunderbare Struktur und Farbgebung und können unterschiedlich intensiv aufgetragen werden. Sie wurden mittels Acrylbinder hergestellt, eine Anleitung zur Herstellung gibt es ganz unten. Ab 17 Uhr kamen die Gäste in Strömen: Kinder mit ihren Eltern, Jugendliche und Erwachsene  – bis 22 Uhr ebbte der Strom nicht ab. Die Begeisterung über selbst gemachte Farben aus der Umgebung war groß. Nicht nur Kinder wollten unbedingt mit meinen Bodenfarben malen, auch deren Eltern sowie andere Erwachsene und Jugendliche probierten sich damit aus. Bei mir konnte man Postkarten oder kleine, quadratische Seiten aus dickem Papier nutzen um sie frei nach Lust und Laune zu gestalten. Zuerst war die Arbeit mit den Kindern sehr fordernd für mich. Jedoch merkte ich schnell, dass eine Anleitung gar nicht von Nöten war, alle waren sehr konzentriert und gingen in der Arbeit auf. Es war schön die Freude beim Malen und die entstandenen Werke zu sehen. Die Farben waren so beliebt, dass meine zwei vorbereiteten Plätze nicht mehr ausreichten.

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Da natürlich alle ihre schönen Kunstwerke mit nach Hause nehmen wollten, fotografierte ich diese nach dem Trocknen ab und erstellte aus den Fotos eine Collage. Ein herrliches Bild aus Mustern, Botschaften, Formen und Landschaften entstand. Erstaunlicherweise wurden Postkarten fast ausschließlich im Querformat bemalt. Bestimmte Muster und Formen tauchten, ohne Absprachen oder Ahnung voneinander, immer wieder auf. Dies hängt wahrscheinlich mit der gegebenen Farbpalette zusammen. Meine Teilnahme an der Langen Nacht der Wissenschaften hat mir sehr viel Spaß gemacht. Besonders die Reaktionen der Menschen auf die selbst gemachten Farben und die Freude aller beim Malen waren meiner Anstrengung Belohnung genug. Aber auch schon das Sammeln der verschiedenfarbigen Erden war spannend und hat mir Einblicke in ein Thema ermöglicht, mit welchem ich mich vorher wenig beschäftigt habe. Der Boden wurde dadurch zu mehr als nur dem Untergrund meiner Füße. Ich denke, dass ein Malkurs mit Bodenfarben der Umweltbildung in jeglicher Altersstufe zuträglich ist. Allein beim Sammeln der verschiedenfarbigen Böden wird das Interesse für dieses Thema geweckt. Die haptische Erfahrung und die Freude dabei lassen dem Boden eine ganz andere Wertschätzung zu eigen werden. Außerdem ist es eine sehr entspannende Arbeit, bei der man zur Ruhe kommt und den Stress des Alltags ablegen kann. Probiert es aus!


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Querschnitt Boden Menschliche Einflüsse visualisieren –  Emotionen erfassen Betty Kollhoff, Ulrike Maria Theresia Klisch Das Projekt Querschnitt Boden hat es sich zur Aufgabe gemacht, ausgewählte negative menschliche Einflüsse sichtbar zu machen. Des Weiteren setzte sich das Projekt mit den daraus entstehenden Emotionen auseinander. In der Exkursionswoche wurden vier Schaukästen zusammengebaut und anschließend mit dem Bodentyp Pseudogley sowie mit im Vorfeld gesammelten Materialien befüllt. Folgende Einflüsse wurden dargestellt: Feste Kontamination, Flüssige Kontamination, Energiewende/Mechanische Einwirkung und Verdichtung.

Bodenkontaminationen Unter einer Bodenkontamination versteht man das Vorhandensein von Schadstoffen im Medium Boden. Diese können aus organischen oder anorganischen Verbindungen bestehen. Ein großer Anteil der Bodenkontaminationen ist auf einen anthropogenen Ursprung zurückzuführen. Dabei sind die durch den Menschen verursachten Bodenverschmutzungen äußerst vielfältig, wie z.B. durch Abwässer, illegale Müllentsorgungen, Nebeneffekte der Landnutzung oder der Einsatz von Schadstoffen.

Um die Emotionen und Reaktionen der Betrachter einzufangen, wurde eine online Umfrage erstellt, dabei wurden den Teilnehmern Bilder der vier Szenarien gezeigt. Nach Abschluss der Umfrage wurde die Intention erklärt. Durch diese Methode sollte ermittelt werden, inwieweit den Studienteilnehmern das betreffende Szenario bekannt ist. Eine ausführliche Auswertung ist im Projektblog „BodenArt - Mensch Boden! geSCHICHTEN sichtbar machen und den HORIZONT erweitern“ auf der Website ‚Medium’ unter dem Stichwort BodenArt zu finden.

Bodenverschmutzung können durch direkten Kontakt nicht nur ernsthafte Gesundheitsschäden bei Mensch und Tier hervorrufen, sie führen vor allem im Medium Boden zu Funktionsbeeinträchtigungen. Neben der funktionalen Beeinträchtigung führen Schadstoffe im Boden zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Bodens als Lebensraum. Es können die Bodenfauna zerstört, das Grundwasser beeinflusst sowie Störungen in der Vegetation verursacht werden. Je nach Art, Ort und Ausmaß der Kontamination ist es sinnvoll, eine Bodensanierung vorzunehmen.

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Feste Kontamination Feste Bodenkontaminationen werden vor allem durch illegal oder nicht fachgerecht entsorgten Müll hervorgerufen. Zu den typischen Kontaminationsarten zählen Kronkorken, Zigarettenstummel, Feuerzeuge und vor allem Verpackungen sowie Plastiktüten. Viele dieser achtlos weggeworfenen Gegenstände brauchen mehrere Jahre bis Jahrhunderte bis sie vollständig abgebaut werden können. Andere Lebewesen, wie z.B. Vögel, können diese mit Nahrung verwechseln und daran sterben. Um diese Art der Kontaminationen zu verhindern, muss vor allem der Konsum bestimmter Gebrauchsgüter eingeschränkt werden. Beispielsweise werden pro Jahr weltweit rund 1 Billion Plastiktüten verbraucht. Nur 10 % davon werden tatsächlich recycelt. Ein weiteres Beispiel stellen To-Go Kaffeebecher dar. Pro Stunde werden in Deutschland circa 320.000 Kaffeebecher entsorgt. Darüber hinaus kann auch ein Umdenken im Bereich der Verpackungsindustrie die „Vermüllung“ der Böden minimieren.

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Flüssige Kontamination In der Gruppe der organischen Schadstoffe verursachen vor allem Mineralölkohlenwasserstoffe (MKWs) wie Heizöl, Benzin oder Diesel die meisten Bodenkontaminationen. Öl gehört zu den häufigsten Altlasten in Böden. Bereits wenige Liter können viele Kubikmeter Boden und Wasserkörper verunreinigen. Verunreinigungen durch Öl wirken sich besonders negativ auf Bodenfauna sowie auf die Vegetation aus. Schwerere Öl-Kontaminationen können auch bis in das Grundwasser oder auch Oberflächengewässer vordringen und stellen somit auch eine akute Vergiftungsgefahr für Menschen dar. Um einen solchen kontaminierten Boden zu reinigen, ist ein besonders hoher und kostenintensiver Sanierungsaufwand nötig. Aufgrund des hohen negativen Einflusses auf die Bodeneigenschaften sollten vor allem Chemikalien, die Öl enthalten, fachgerecht entsorgt werden. Auch die in der Industrie vorgegeben Sicherheitsstandards sind zwingend einzuhalten.


Energiewende/ mechanische Einwirkungen: Weltweit wird der Ausbau von erneuerbaren Energien vorangetrieben. Im Jahr 2016 lag deren Anteil bei 31,7 % der deutschen Stromversorgung. Bis zum Jahr 2025 sollen 45 % des Stroms aus erneuerbaren Quellen stammen. Um diesen Bedarf zu decken, wird die Windkraft weiter ausgebaut. Die Auswahl der Standorte fällt oftmals auf Ackerflächen. Um den erzeugten Strom weiterzuleiten müssen die Windkraftanlagen mit Umspannwerken verbunden werden. Um dies zu gewährleisten werden Kabeltrassen durch den Boden verlegt, was wiederum einen mechanischen Eingriff bedeutet. Dadurch kann die Archiv- sowie die Bodenfunktion des Bodens beeinträchtigt werden.

Verdichtung Eine intensive Land- und Forstwirtschaft trägt maßgeblich zu Verdichtungen sowie zu Funktionsverlusten des Bodens bei. Ausschlaggebend für Verdichtungen auf den genutzten Böden sind zum einen die Struktur des Bodens, zum anderen bestimmen bei Fahrzeugen das Fahrzeuggewicht, die Reifen und die Überfahrten auf derselben Spur den Druck der auf den Boden wirkt. Durch diese Faktoren werden Bodenpartikel und Hohlräume, die sich zwischen den Partikeln befinden und mit Luft bzw. Wasser gefüllt sind, verdichtet. Die hervorgerufenen Verdichtungen reduzieren das Volumen der Hohlräume und es können nicht reversible Schäden eintreten. Durch die Verhinderung des Wasser- und Lufttransports kann das Pflanzenwachstum und die Versickerung des Niederschlags beeinflusst werden. Dies wiederum vermindert die Erträge und gleichzeitig steigt der Aufwand der Bodenbearbeitung, um ein gleichbleibendes Ertragsniveau zu erreichen. Durch den behinderten Gasaustausch kann es zu einer gesteigerten Produktion der klimarelevanten Gase Methan und Lachgas kommen. Durch ein Ausschöpfen der technischen Möglichkeiten an Fahrzeugen und einer Optimierung der Arbeitsabläufe, kann die Verdichtung des Bodens reduziert werden. Querschnitt Boden – 61


Boden hörbar machen. Bodenakustik – Kunst trifft Wissenschaft David Fridtjof Nissen, Martin Schulz & Martin Schütz

Wer an Geräusche und Töne des Bodens denkt, assoziiert damit vielleicht als erstes das Wühlen eines Maulwurfes oder das Knacken von erdtektonischen Platten. Dass der Boden unter unseren Füßen jedoch weit mehr Geräusche zu bieten hat und einige Menschen sogar in der Lage sind mit und über den Boden Musik zu komponieren soll in diesem kurzen Beitrag aufgezeigt werwden. Anfangen möchte ich mit Tobias Morgenstern und seiner Bodenkantate. Diese hat er im Rahmen der Theaterveranstaltung „Bloß nicht den Boden unter unseren Füßen verlieren – ein Abend voller Einblicke“ am 5. Oktober 2015 komponiert und uraufgeführt. „Diese zeigt mit künstlerischen Mitteln in Ton und Film die Schönheit und Vielfalt des Bodens, aber auch eine Gefährdung und Schutzbedürftigkeit.“(Jeannette Mathews)[1] Bei Geräuschen, Tönen und Klängen handelt es sich um Schallwellen die vom menschlichen Ohr erfahrbar gemacht werden. Schallwellen wiederum sind Schwingungen des Luftdrucks bzw. der Luftdichte. Schallwellen gibt es jedoch auch in festen oder flüssigen Stoffen. Der Mensch hat ein relativ eingeschränktes Hörvermögen welches sich über ungefähr 16 bis 20.000 Hz erstreckt. Schallwellen die schneller oder langsamer schwingen sind von Menschen nicht hörbar, wobei es jedoch Hinweise darauf gibt, dass Menschen Infraschall (Schallwellen unter 20Hz) zwar nicht im klassischen Sinne hören, jedoch fühlen können. Neben diesen biologischen Einschränkung ist ein weiteres Problem, dass wohl die wenigsten Menschen ihr Ohr an den Boden legen (auch wenn wir dieses Verhalten von amerikanischen Ureinwohnern zumindest aus Büchern und Filmen kennen),um sich mit den Geräuschen im Boden auseinander zu setzen. Daher haben sich einige Künstler und Wissenschaftler daran gemacht die akustischen Vorgänge im Boden für den Menschen hörbar zu machen. 62 – Boden hörbar machen.

Hervorgetan hat sich hier vor allem der Schweizer Künstler Marcus Maeder.Dieser hat unter dem Titel soundingsoil begonnen, Geräusche die im Boden entstehen aufzunehmen und somit für den Menschen hörbar zu machen. Dies geschieht mit hochsensiblen Mikrofonen, die in den Boden eingelassen werden. Die Ergebnisse sind in seinem Blog (https://blog.zhdk.ch/soundingsoil/) an hörbar. Neben den Geräuschen im Boden hat er auch Insekten aufgenommen, die auf und in dem Boden leben und für einige der gefundenen Geräusche verantwortlich sein dürften. Vor allem die Maulwurfsgrille ist bekannt für ihre lauten und penetranten Paarungsrufe. Die wenigstens jedoch werden wissen, dass sie dies mit Hilfe des Bodens tut. Die männlichen Grillen sitzen dazu in einem speziellen Teil ihres Baus, der zur Oberfläche hin wie zwei Trichter angelegt ist, sodass der Schall verstärkt wird und die Grillen so bis zu 600m weit zu hören sind.[2] Lautsprecher im Boden kennt allerdings auch der Mensch. So gab und gibt es immer wieder Spezialanfertigungen von Lautsprechern die dauerhaft in den Boden eingelassen sind. Hier fungiert der Boden teilweise als Resonanzkörper. Das erste Mal wurden solche Lautsprecher 1938 auf dem „Deutschen Turnund Sportfest“ verbaut und eingesetzt, um den Zuschauer*Innen ein freies Bild auf die Sportler*Innen bieten zu können.[3] Doch es gibt nicht nur Lautsprecher im Boden sondern auch aus Boden. So gibt es derzeit ein Projekt, welches Lautsprecher mit Gehäusen aus Ton produzieren und vertreiben möchte. Prototypen gibt es bereits, derzeit wird Geld über eine crowd-funding Kampagne gesammelt um die Produktion starten zu können.


Bei diesen Lautsprechern stehen allerdings weniger akustische sondern vielmehr ökologische Überlegungen im Vordergrund, da die Gehäuse Materialien regional gewonnen werden sollen.[4] Dass auch andere Säugetiere durchaus akustisch mit dem Boden verbunden sind zeigt das folgende Beispiel. Elefanten können im Gegensatz zum Menschen Infraschallwellen, also sehr tiefe Töne hören. Sie kommunizieren teilweise sogar über diese. Es wird jedoch sogar vermutet, dass sie Töne im Infraschallbereich, über die Füße spüren können. Diese breiten sich über den Boden schneller als in der Luft aus. Es wird davon ausgegangen, dass somit für Elefanten Erschütterungen wie beispielsweise von herannahenden Erdbeben spürbar sind. Einem ähnlichen Phänomen sind auch verschiedene Wissenschaftler*Innen auf der Spur. Im Schwarzwald forscht z.B. das Black Forest Observatory, ein geowissenschaftliches Gemeinschaftsprojekt des Karlsruher Instituts für Technologie und der Universität Stuttgart an einer ähnlichen Thematik.Sie erforschen die sogenannten Hintergrundeigenschwingungen der Erde.Bereits im Jahre 1998 wurde nachgewiesen, dass unsere Erde nicht nur nach Erdbeben wie ein Resonanzkörper schwingt, sondern auch zwischen solchen Ereignissen. Diese Signale sind jedoch so schwach, dass sie nur mit hochsensiblen Geräten aufgenommen werden können. Da diese von jeglichen anderen Geräuschen und Vibrationen gestört werden, bedingt dies einen tiefen Forschungsplatz in einem stillgelegten Bergwerk in Schiltach im Schwarzwald.

Mit Hilfe anderer auf der Welt verteilten Forschungsstationen, wollen die Forscher über die Schwingungen Rückschlüsse über den genauen Aufbau des Erdinneren bekommen.[5][6] Zwar nicht im eigentlichen Sinne um Akustik aber dennoch um Boden und Wellen geht es bei den, schon von Einstein hervorgesagten, Gravitationswellen. Sie entstehen, wenn Massen beschleunigt werden, wie etwa zwei umeinander kreisende Schwarze Löcher. Wenn diese Wellen durch den Raum laufen, verkürzen und verlängern sie Distanzen darin. Da diese Änderungen aber nur Bruchteile eines Protonendurchmessers umfassen ist die direkte Messung sehr schwierig und der Nachweis dementsprechend schwer. Im September 2015 wurden die passenden Signale aufgezeichnet und Einsteins Theorie wurde nach Jahrzehnten bewiesen. Dies geschieht mit Kilometer langen Lasern die in den Boden eingelassen sind. Mehr zu Gravitationswellen und deren Nachweis erklärt anschaulich das verlinkte Video der Max-Planck-Gesellschaft: https:// www.youtube.com/watch?v=mtCAmb_Mg1k Zu guter Letzt soll hier noch ein wenig Platz für ein bisher unerklärtes Phänomen aus der Arktis eingeräumt werden. Im Norden Kanadas hören die dort lebenden Inuit seit dem Sommer 2016 Geräusche die sie auf dem Meeresboden verorten.Es wird von ohnen zumeist als ein Piepen oder Summen beschrieben. Nachdem weder Tourismus noch Bergbau oder das Militär dafür verantwortlich scheinen, hat sich das kanadische Verteidigungsministerium eingeschaltet und die Fläche untersucht. Bisher ohne die Ursache zu finden. Dass das Geräusch keine Einbildung ist sondern Realität sollen die vom Geräusch vertriebenen Beutetiere und die damit einhergehende geringere Jagderfolg der Inuit belegen.[7]

http://www.bodenwelten.de/content/boden-ton-und-film-bodenkantate-ist-jetzt-online http://jeb.biologists.org/content/jexbio/52/3/619.full.pdf [3] http://www.medienstimmen.de/exzerpte/auszug-aus-musik-aus-der-erde-telefunken-bodenlautsprecher-1938/ [4] http://www.documentarydesign.com/portfolio/mapuguaquen/ [5] http://www.geo.de/natur/4225-rtkl-geophysik-das-lied-von-der-erde [6] https://www.gik.kit.edu/black_forest_observatory.php [7] http://www.sueddeutsche.de/panorama/kanada-das-raetsel-des-pingenden-meeres-in-der-kanadischen-arktis-1.3234915 [1] [2]

Boden hörbar machen. – 63


Den Aufnahmeprozess miterleben. Vorbereitungen Nachdem wir uns dazu entschieden hatten uns dem Boden auf akustischem Wege zu nähern, mussten wir das Thema zu aller erst thematische eingrenzen. Zu aller erst entschieden wir, dass wir uns dem Boden als Klang- und Resonanzkörper direkt mit dem Mikrofon nähern wollten. Es sollte also kein Musikstück oder ähnliches produziert werden, das den Boden zum Thema hat, nein – wir wollten selbst Klänge aufnehmen, die mit dem Boden und den Thematiken und Problematiken rund um diesen Verbindung stehen. Wir setzten uns zwei Ziele: Als erstes wollten wir mit den aufgenommenen, normalisierten und zurechtgeschnittenen Klangbildern eine Klangcollage kreieren, die als akustischer Hintergrund während der Ausstellung diese thematisch begleitet. Die zweite Idee war es, ein Midi-Instrument mit „Bodensounds“ wie den Geräuschen von Spitzhacke oder Schaufel zu erstellen. Diese können dann mit Midi-kompatiblen Geräten, wie einer Keyboardtastatur oder einem Midi-Schlagzeug angesprochen und zum rhythmischen Musizieren verwendet werden. In diesem Zuge bastelten wir auch ein Ratespiel. Hierbei ging es darum zu erraten, auf welche Taste der MIDIKlaviertastatur von uns welches Geräusch gelegt worden war. Für diese Vorhaben entwarfen wir im Vorfeld Aufnahmekonzepte. Wir überlegten uns Geräusche und Kulissen, die man in unserem Exkursionsgebiet – der Prignitz – und natürlich in Berlin realisieren konnte. Als Ausrüstung wählten wir ein Großmembran-Kondensatormikrofon mit einem Frequenzbereich von 30 – 20.000 Hz. Da dieses eine Phantomspeisung benötigt, koppelten wir es an ein USB-Interface, welches wiederum an ein Notebook mit einer darauf installierten, handelsüblichen Digitalen Audioworkstation angeschlossen wurde. Mit dieser zogen wir dann ins Feld. Die Aufnahmen beginnen Als wir mit den Aufnahmen begannen, waren wir sehr gespannt darauf, welches Ergebnis wir erzielen würden. Wir hatten uns viele Gedanken gemacht, welche Klangkulissen wir mit welchen Mitteln einfangen wollten. Ob sich unsere theoretischen Überlegungen jedoch praktisch realisieren ließen, war noch mit vielen großen 64 – Boden hörbar machen.

Fragezeichen behaftet. Wird das Mikrofon empfindlich genug sein, um das Rieseln von Sand auf Papier aufzunehmen? Ist eine einfahrende U-Bahn vielleicht sogar zu laut? Wird uns der Wind einen Strich durch die Rechnung machen und alles mit lautem Rauschen füllen, wenn wir versuchen das Ächzen der Spitzhacke beim Graben im offenen Gelände aufzunehmen? Wir waren wirklich sehr gespannt, also legten wir los. Bei den ersten Aufnahmen begleiteten wir das Ausheben einer 2x1x1,50 m-Grube am Feldrand. Hier sollte später ein Bodenlachprofil entstehen. Erwartungsvoll nahmen wir die ersten Takes. Mir war schon etwas mulmig, da der Wind schwach aber beständig an uns vorbei pfiff. Und tatsächlich: Die Testaufnahmen waren stark von dem Windpfeifen stark verunreinigt. ‚Wie geht’s weiter ?‘, fragte ich mich. Natürlich hatten wir keinen Windschutz für unser Großmembran-Kondensatormikrofon dabei. Das war schlecht, weil wir uns in der Prignitz befanden, weit ab vom nächsten Musikgeschäft. Erst probierten wir verschiedene Mikrofonausrichtungen aus, drehten es man frontal in den Wind oder zeigten ihm den Mikrofonrücken, dann ließen wir den Wind von der Seite vorbeziehen. Ein zufriedenstellendes Ergebnis erzielten wir jedoch nicht. Kurze Denkpause, kurzes Innehalten. Dann sprang David auf: „Ich hab’s!“. Erwartungsvoll schauten Martin und ich zu ihm auf. „Eine Socke!“, führte er fort. „Ne Socke?“ entgegnete ich und verstand aber noch in diesem Moment, dass wir eine Alternative zum Windschutz gefunden hatten. David hatte es mal auf einem Konzert gesehen, bei dem der Tontechniker auch Probleme mit dem Wind gehabt hatte. Gesagt, getan! Wir organisierten eine stinknormale Socke - Größe 46, Farbe: rot – zogen sie über das Mikrofon uuund: TAAADAAA das Rauschen war weg. Und zwar komplett! Ein Aufatmen ging durch die Runde. Nun konnten wir uns ganz entspannt unserem eigentlichen Vorhaben widmen: Dem Aufnehmen von „Bodengeräuschen“, was auch immer das bedeuten mag. Gesagt, getan. Wir richteten das Mikrofon auf die Grube, während da drin ordentlich geschaufelt wurde. Ich hatte dabei


richtig Herzklopfen. Man muss verstehen, dass für unser gesamtes Vorhaben alles vom Gelingen dieser und den folgenden Aufnahmen abhing! Aber auch hier ein Aufatmen: Die Takes waren klasse! Wir hörten an Ort und Stelle in die Aufnahmen herein, alles war unverzerrt und klar hörbar, nicht übersteuert. Und das völlig ohne digitale Nachbearbeitung. Das stimmte uns sehr positiv, nun konnten wir richtig loslegen. Wir begannen also unseren Streifzug durch die Prignitz und ließen unserer Phantasie freien Lauf. Als erstes nahmen wir alles rund ums Graben und Schaufeln auf. Natürlich mit unterschiedlichen Werkzeugen – von der Schaufel, über den Spaten zur Spitzhacke. Da gab es auch ein Werkzeug, das wohl schon sehr lange in der alten Bauernhof-Scheune verstaubte, bis wir es fanden. Es machte sich nicht so gut zum Graben, machte dafür aber tolle Geräusche. Es war ein hundert Jahre altes Werkzeug, um Setzlinge in den Boden zu bringen, erfuhren wir dann später vom Gutsherren. Das Graben und Hacken verteilten wir dann systematisch über die unterschiedlichen Horizonte. Das Ganze dann an zwei Profilen, nämlich dem Pseudogley und dem Podsol, von denen dann auch die Lackprofile genommen wurden (Siehe Kapitel „Bodenlackprofile“). Weiterhin versuchten wir den Klang der Schritte auf den unterschiedlichsten Böden festzuhalten, vom Barfuß-Stapfen auf Kienäpfeln im sandigen Kiefernforst, über das Schmatzen von Moorböden, bis hin zum Rennen über kiesbeschütteten Asphalt. Hier war die Idee, dass unterschiedlich beschaffener Boden auch unterschiedlich resoniert, unterschiedlich klingt. Und das tut er auch. Dasselbe Prinzip gilt natürlich auch für die Geräusche, die von Autos auf verschiedenen Oberflächen ausgehen.

Ein weiteres Vorhaben war es, das Streuen von unterschiedlichen Bodenmaterialen auf Papier aufzunehmen. Glücklicher Weise hatten wir über das Fachgebiet Zugriff auf reine Bodentexturen, sprich hatten wir jeweils eine Tüte Ton, Schluff, Feinsand, Grobsand und Kies. Wir konnten es also so richtig Rieseln lassen. Und das taten wir auch. Unser Aufnahmeequipment leistete ganze Arbeit, die Mitschnitte waren glasklar. Alles in allem wurde die Exkursion ein voller Erfolg. Zurück in Berlin ging es gleich weiter. Eine unserer Ideen war es ja einen Kontrast zwischen Stadt- und Landgeräuschen zu kreieren, also machten wir in gewohnter Manier weiter. Aufnehmen wollten wir alles, was einen Bezug zum Boden hatte und somit auch ein Wegweiser zu Problematiken rund um urbane Böden darstellte. Das waren dann Baustellenlärm zum Spannungsfeld der Bodenbearbeitung, Schrittgeräusche zum Thema Bodenverdichtung. Weiterhin nahmen wir alles auf, was sich innerhalb der U-Bahnstationen – also auch innerhalb der Bodensphäre – befand. Aber auch Verkehrslärm wurde festgehalten - Reifen- und Bremsenabrieb bilden hier ja markante Punkte zum Problemkreis der Bodenverschmutzung. Auch in der Stadt leisten unsere Gerätschaften hierfür sehr gute Arbeit. Was jetzt noch anstand war die digitale Nachbearbeitung, sowie das Zusammenschneiden der Aufnahme zuhause im „Home-Studio“...

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Der Weg von der Aufnahme über die Soundcollage bis zum virtuellen Bodeninstrument

Verwendetes Material Unser Ziel war es qualitativ hochwertige Audioaufnahmen im Gelände anzufertigen. Wir haben uns für eine Arbeitsumgebung aus einem Laptop mit der DAW-Software Ableton (Aufnahmesoftware und mobile Bearbeitungsmöglichkeit), das Audiointerface Steinberg UR22 (reduziert Latenz beim Aufnehmen; Phantomspannung für das Kondensatormikrofon), Kopfhörer (Abhören), das Großmembranmikrofon MXL 2006 (Nierencharakteristik, um zwar gezielt Schallquellen aufzunehmen, aber weiterhin Umgebungsgeräusche im Hintergrund einfangen zu können), einen Windschutz und einen Mikrofonständer entschieden.

66 – Boden hörbar machen.

Aufnahmen Im Gelände haben wir unsere normalen Hörgewohnheiten abgelegt und uns auf die die Suche nach interessanten Geräuschen begeben. Wir wurden fündig – und inspiriert durch die Klangwelten haben wir weitere Geräusche bewusst inszeniert oder initiiert. In unserem Fall gab es zwei technische Parameter, auf die wir Einfluss nehmen konnten um die Aufnahmen nach unseren Wünschen zu gestalten: Die Positionierung des Mikrofons (in unserem Fall mit Nierencharakteristik) und die Stärke des Pegelsignals, die de facto die Empfindlichkeit des Mikrofons widerspiegelt.

Nachbearbeitung Nachdem alle Aufnahmen abgeschlossen waren, ging es an die digitale Nachbearbeitung. Die Aufnahmen von Anfang an mit der DAW-Software durchzuführen war sehr hilfreich – dadurch konnten wir bereits während der Aufnahmen selektieren und die Geräusche und Klänge sortieren. So konnten die rund 80 Minuten Aufnahmematerial schnell gesichtet werden. Die Aufnahmen mussten jetzt noch geschnitten, normalisiert, teilweise von Störgeräuschen befreit und mit Equalizern ausbalanciert werden. Die fertigen Samples wurden anschließend zur lizenzfreien Verfügung ins Internet gestellt. Links können dem projektbegleitenden Blog entnommen werden.


Soundcollage Aus den aufbereiteten Aufnahmen haben wir eine Soundcollage angefertigt. Sie orientiert sich an einem Land-Stadt Gradient. Nach einem ersten Crescendo, das mit einer einfahrenden U-Bahn endet, werden die Schichten des Bodens auditiv freigelegt, danach die Texturen der einzelnen Schichten erkundet, um sich dann klanglich wieder der Stadt zu nähern, um in den Geräuschen unterzugehen und in einer starken Kakophonie des Stadtlärms zu enden.

Virtuelles Bodeninstrument Das Erkunden von Bodengeräuschen hat seinen ganz eigenen Reiz. Um Interessierten einen ähnlichen Zugang zu bieten, haben wir ein virtuelles Bodeninstrument eingerichtet: Einzelne Soundaufnahmen wurden zurechtgeschnitten und unterschiedlichen Tönen des VST-Instruments „Sampler“ in Ableton zugeordnet. Hierbei ist es wichtig die Samples so zu bearbeiten, das unmittelbar bei Tastendruck auch ein Geräusch ertönt und beim Wechsel keine Störgeräusche auftreten. Für die einzelnen Samples wurden dann noch individuelle Einstellungen durchgeführt um die Spielbarkeit zu erhöhen. Dieses VST-Instrument kann nun mit einer Midi-Tastatur angespielt werden. In unserem Fall haben wir auf das Akai Apc Key 25 zurückgegriffen. Interessierte können nun über die Tastatur in die Klangwelten des Bodens eintauchen und eigene Rhythmen erschaffen. Das VST-Bodeninstrument kann auf dem projektbegleitenden Blog runtergeladen werden.

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Soil Sounds. David Fridtjof Nissen, Martin Schulz & Martin Schütz Interaktive Soundinstallation DAW, Midi-­Keyboard, Farben, Karton, Kopfhörer, Laptop

Bevor wir Schallwellen als Geräusche, Töne oder Klänge wahrnehmen können, müssen sie erst durch das Ohr erfahrbar gemacht werden. Trotz seines komplexen Aufbaus kann es nur Schallwellen mit einer Frequenz zwischen 16 und 20.000 Hz verarbeiten. Auf das Ohr folgt der auditive Cortex, der im höchsten Maße assoziativ arbeitet, das heißt er vergleicht Hörinformationen mit Bekanntem, ordnet sie ein und bewertet sie. Doch welche Geräusche, die aus dem Boden kommen, erscheinen einem denn vertraut? Wie klingen pure Geräusche, Töne oder der Klänge, wenn sie von allen Assoziationen befreit sind? Was ist die Ursache der Schallwellen, die von unseren Ohren erfahrbar gemacht wurden?

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https://goo.gl/6ANpXL


Von der Wissenschaft zum Gefühl, von der Emotion zum Bewusstsein Sarah Betty Lena Samson | Texte und Kreationen

Die meisten Menschen bezeichnen das, woraus Pflanzen wachsen als „Erde“. Das, was nach dem Spielen an den Hosen klebt ist „Dreck“. „Erde“ dagegen ist in der Bodenwissenschaft kein geläufiger Begriff, „Dreck“ ein Schimpfwort für das geliebte Medium. Diese unterschiedliche Wertschätzung und Wahrnehmung gilt es zu überbrücken und Boden für die Gesellschaft attraktiver, seinen Wert für die Gesellschaft sichtbar zu machen. Im Rahmen dieses Studienprojekts wurden zu diesem Zweck Objekte aus der Perspektive einer Person, welche sich wissenschaftlich mit ihm befasst, erstellt. Im besten Fall wird so Interesse erweckt und das Thema Boden emotional besetzt. Die Auseinandersetzung mit dem Medium Boden und damit Objekte zu formen ist einfach. Die Lust, in Erde zu graben, mit verschiedenen Korngrößen zu spielen, sie nach Farben zu sortieren und daraus etwas Neues zu schaffen, beginnt im Sandkasten oder am Strand unserer Kindheit und ist wieder entfacht, sobald die Materialsuche beginnt… Als Material dienten hier mineralische Körner unterschiedlicher Gesteine, unter anderem Schiefer, Buntsandstein, Kalkstein, feinster, weißer Meersand, Löss. Weiter Gartenerde, Humus, Torf, verschiedenste Pflanzenteile, Knochen, Muscheln und ähnliche Leichenteile ... Als Grundlage dienten zunächst einfache Ausschnitte aus Kartons. Zur Fixierung dienten Tapetenkleister, Sprühkleber-Acetongemisch und Sprühkleber aus dem Bastelladen.

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Boden – Was Wir Wissen Die Sammlung „Boden – Was Wir Wissen“ stellt wissenschaftliche Definitionen bzw. Erkenntnisse abstrakt dar, mit der Intention, beim Betrachter ein Gefühl für das Medium Boden hervorzurufen und Interesse zu erwecken. Durch die direkte Übersetzung der Wissenschaft in plastische Darstellungen kann zwar ein Zugang zur Materie geschaffen werden, auf der anderen Seite führt Abstraktion zur Entfremdung der Natürlichkeit. Im Segment „Pedosphärenteile“ ist Boden reduktionistisch dargestellt. Durch die differenzierte Darstellung der fünf Sphären verfehlt das Objekt einen Anspruch auf Vollständigkeit, ganz im Sinne Aristoteles, der erkannt hatte, dass „[d]as Ganze […] mehr [ist] als die Summe seiner Teile“. Die Pedosphäre be- und entsteht aus den Elementen Luft, Gestein, Organik und Wasser. Trotzdem umfasst sie ein Medium, welches für den Betrachter so klar von Atmos-¬, Lithos-, Bios- und Hydrosphäre zu differenzieren ist wie sie voneinander. Warum, das zeigt sich bei näherer Betrachtung, denn mit Überschneidung der jeweiligen Sphären erfolgt eine grundlegende Veränderung ihrer Schnittmenge: Bodenluft hat eine andere Zusammensetzung als unsere Atmosphäre, sie unterscheidet sich zum Beispiel im CO2-Gehalt, in der Luftfeuchtigkeit und Temperatur, ähnlich verhält es sich mit Bodenwasser. Die zum Boden zählende Biosphäre umfasst die tote organische Substanz und ihre Umwandlungsprodukte: der beste Langzeitdünger, die Huminstoffe. Die mineralischen Bestandteile eines Bodens entspringen der Lithosphäre, ob locker oder fest. Eine Vielzahl von Prozessen und Einwirkungen in der Pedosphäre führen zur Umwandlung des Gesteins in immer kleinere Körner und neue Minerale.

Ähnlich abstrakt verhält es sich im Segment „Bodenspirale“: Der Boden als solches ist darin nicht zu erkennen. Der Vater der Bodenkunde, der Geologe Vasily Dokuchaev (1846-1903), erkannte Boden als eigenen Naturkörper, der Bodenkundler Hans Jenny Boden quantifizierte ihn als Funktion seiner genetischen Ausgangsfaktoren: B = f (G, K, O, R, M) · Z. (Boden, Gestein, Organik, Relief, Mensch, Zeit). In diesem Zusammenhang kann Boden nicht als Sache oder definiertes Objekt, sondern muss im Kontext seiner selbst, der Umgebung und der Zeit betrachtet werden. Jede Beschreibung eines Bodens ist nur ein Schnappschuss seines derzeitigen Zustandes. Die in ihm ablaufenden Stoff- und Energieflüsse, Prozesse und deren Wechselwirkungen sind in ihrer Ganzheit noch nicht verstanden und können demnach auch nicht in ihrer Ganzheit abgebildet werden. Die in die Spirale fließenden, bzw. aus der Spirale tretenden Materialien und Prozesse entspringen und entwachsen Böden oder finden ihn ihnen statt. Sie beinhalten bzw. zeigen Böden und Bodenbestandteile auf Mikro- bis Makroebene. Das Segment „Bodenkultur-Kulturboden“ zeigt den Boden als unsere Lebensgrundlage, auf ihm stehen und leben wir, entnehmen ihm Nahrung und Rohstoffe. Vor der Globalisierung war eine Gesellschaft direkt abhängig von dem Boden auf dem sie lebte, denn seine Beschaffenheit und die in ihm liegenden und aus ihm wachsenden Rohstoffe bestimmten deren Entwicklung. Wir erleben gerade einen Bruch in der direkten Verbindung zwischen dem Menschen und dem Boden, der ihn ernährt: Zum einen durch technische Errungenschaften und Intensivierung in der Landwirtschaft, zum anderen durch globalen Nahrungs- und Futtermittelhandel. Verluste von Böden durch Erosion und Degradierung betreffen nunmehr die ärmsten Menschen dieser Welt direkt und umsomehr, da sie die Auswirkungen der nicht-nachhaltigen Bodennutzung ihrer Böden durch Industrienationen gewissermaßen mittragen. Sarah Betty Lena Samson

Von der Wissenschaft zum Gefühl, von der Emotion zum Bewusstsein – 71


Pedosphärenteile

Kulturboden – Bodenkultur

„Boden ist ein Naturkörper im Durchdringsbereich der Atmos-, Lithos-, Bios- und Hydrosphäre.“

„Boden erfüllt natürliche Funktionen, Funktionen als Archiv der Natur- und Kulturgeschichte und Nutzungsfunktionen.“

Boden ist ein Resultat einer Spärenfusion und weniger bis zehntausende Jahre anhaltender Entwicklung – durch nur kleine Unterschiede in der Einwirkungsintensität oder Zusammensetzung der Elemente entstehen mannigfaltige Böden mit unterschiedlichster Gestalt. Jedes terrestrische Objekt lässt sich mindestens einer Sphäre zuordnen – ausgenommen den vom Menschen geschaffenen. Die Einwirkung des Menschen ist allgegenwärtig, sie hat, ob durch Einzelprojekte oder (Um-)Gestaltung ganzer Landschaften – die Böden unserer Welt geprägt.

Die Vielfalt der Böden unserer Welt spiegelt sich wieder in der Vielfalt unserer Gesellschaften. Davon ausgehen ist Boden als Herz der Kulturen dargestellt, denn die Beschaffenheit der Böden bestimmt die Kultur, die auf ihm wächst. Nomadische Kulturen wissen auf wenig ergiebigen Böden zu überleben, indem sie große Gebiete periodisch nutzen. Auf fruchtbaren Böden konnten sich große, sesshafte Gesellschaften entwickeln, indem sie die Böden „kultivierten“. Die Degradierung der Böden wird mit dem Zerfall einiger Hochkulturen in Zusammenhang gebracht. Wenn sich eine Gesellschaft sich die Lebensgrundlage nimmt, zerstört sie sich selbst. Das Bodenschutzgesetz quantifiziert diese für den Menschen essenzielle Lebensgrundlage, indem es die Bodenfunktionen definiert.

72 – Von der Wissenschaft zum Gefühl, von der Emotion zum Bewusstsein


Prozessspirale „Boden ist ein offenes, dynamisches System“ Die Böden unserer Welt entstehen aus der Erdkruste und jedem Material, welches über einen längeren Zeitraum hinweg auf ihr zu liegen kommt. Die bodenbildenden Prozesse erschaffen und verwandeln ihn in immerwährenden Kreisläufen, dabei findet ein ständiger Energie- und Massenfluss statt: Neues Leben entsteht aus ihm – totes kehrt zu ihm zurück: Ehemalige Gebirge waren einst Meeresböden, aus deren kalkhaltigem Sedimentgestein sich fruchtbare Landböden entwickelten. Aus jetzigen Mooren werden einst vielleicht Ölquellen.

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Parabraunerde Löss, dem Gletscher vorangeweht, Mergel, unsortiert abgelegt, oder auch Gestein aus Kalk, gebildet in Meeren lang vor uns´rer Zeit. Ton, von Carbonat befreit, von oben verlagert und unten verklebt. Dass es dich gibt ist ein Glück, das den Landwirt verzückt, bist mit Äckern bestückt

Pseudogley Wenn Regen im Boden zuweilen staut, so Eisen von den Körnern saugt, hat Mutter Erde entsprechend geschichtet, oder verlagerter Ton verdichtet. Es fällt an der Luft dann wieder aus, In trockenen Zeiten, oder an einer Quelle – vorausgesetzt es gibt ein Gefälle. Solch schöne, rostig-marmorierte Stelle.

Gley Ob Aue, ob Meer, ob am Bach, ob unter Teer, dich finde ich immer: Du bist dort wo Wasser ist, wo Pfeifengras und Segge sprießt. Dich färbt Eisen, vertikal erstreckt. Dein Kopf ist rot, dein Bauch ist grau oder auch mal schwarz und blauein pedologischer Pfau, dank dem Kapillareffekt. 74 – Von der Wissenschaft zum Gefühl, von der Emotion zum Bewusstsein


Braunerde Ein Haufen Sand und Gestein, mit Moosen und Flechten darauf - wenngleich nur ein Hauch, wirst dich bald braun färben, geogenes zu pedogenem Eisen werden und Körner entstanden sein. Die Menschen mehr und mehr säten, dann lernten sie´s pflügen und verlernten zu jäten. Noch heute wirst gefüttert mit allerlei Dung – und ernährst mich wiederum.

Podsol Altmoräne, Deck- und Flusssand, ehemalig Gletscherstrand, bist hier am End zur Ruh´ gekommen, an Alter stetig zugenommen. Allmählich mehr und mehr versauert, bis der Schopf an Farb´ verliert: Eisen, Humus komplexiert, Im Wasser abwärts transportiert. Kiefer, Eiche überdauert.

Von der Wissenschaft zum Gefühl, von der Emotion zum Bewusstsein – 75


Erde Tiefe Land Sand Acker Basis Sohle Dreck Grund Terrain Gelände Anwesen Grundlage Fundament Grundstück Liegenschaft Zu Boden gehen Fass ohne Boden Grund und Boden An Boden verlieren An Boden gewinnen Bodenlose Frechheit Am Boden zerstört sein Auf dem Boden bleiben Moral mit doppeltem Boden In Grund und Boden schämen Auf fruchtbaren Boden gefallen Etwas aus dem Boden stampfen Etwas in Grund und Boden reden Einer Sache den Boden entziehen Schlägt dem Fass den Boden aus Sich auf sicherem Boden bewegen Sich auf unsicheren Boden begeben Den Boden unter den Füßen verlieren Festen Boden unter den Füßen haben 76 – Von der Wissenschaft zum Gefühl, von in der Emotion Bewusstsein Jemanden ungespitzt denzumBoden rammen Jemanden den Boden unter den Füßen wegziehen


Von der Wissenschaft zum Gefühl, von der Emotion zum Bewusstsein – 77


SoilCouture – Horizonte tragbar machen. Jessica Gützkow

Gesprächsanlässe bieten! Über Bodenvorgänge aufklären! Interesse wecken! Doch wie dies bei Kindern? Kleidung als Medium kann hier einen Anreiz bieten sich thematisch mit dem Verborgenen unterhalb unserer Gehwege auseinander zu setzen. Im Alltag integriert wird die Konversation über unterirdische Schätze und Rätsel Normalität und die Wertschätzung gesteigert. Für die kleine Kollektion wurde für Jungen und Mädchen eine Longsleevesvariante gewählt, welche aus weichem Jersey alltagstauglich sein sollte. Mit Hilfe von Stofffarben wurden auf den einzelnen Kleidungspartien verschiedene Bodentypen und die darauf wachsende Vegetation dargestellt.

78 – SoilCouture – Horizonte tragbar machen.

Die Auswahl fiel auf gut darstellbare und in Deutschland häufig auftretende Böden: Gley und Braunerde. Abschließend wurden beide Kleidungsstücke mit einem einheitlich sandfarbenen Stoff abgerundet und mit Habitat typischen, hochwertigen Tieraufnähern einer Berliner Manufaktur bestickt (www.flickli.de). Für eine professionelle Darstellung der Boden Couture wurden Photographien im Hollow – Style erstellt und somit die Einzigartigkeit der Kleidungsstücke untermalt (www.produktfotoberlin.com). Entstanden ist ein tragbares Produkt, welches für weit mehr dient, als nur zu kleiden.


Herstellungsprozess SoilCouture

Brainstorming

Übertragung

Am Anfang standen eine Idee und die Vision Bodenhorizonte für Kinder interessant in Mode einfließen zu lassen. Dafür wurden erste Entwürfe und Ideen gesammelt. Die Idee des Einfärbens von Meterware festigte sich immer mehr.

Zunächst wurde die Kollektion auf ein Kleidungsstück für einen Jungen und eines für ein Mädchen festgelegt. Zu Hilfe kamen Schnittmuster einer Zeitschrift für Kindermode. Diese mussten aus dem Schnittbogen abgezeichnet und auf eine Schablone übertragen werden. Anschließend wurde mit Hilfe Schablone der Schnitt auf den Stoff übertragen und zurechtgeschnitten.

Horizonte auf Stoff Vor dem Färben der eigentlichen Stoffpartien mussten Färbetechnik und Darstellung der Bodentypen geübt werden. Danach wurden die einzelnen Teile des Kleidungsstücks eingefärbt und mit passender Vegetation vollendet. Passende Tierpatches einer Friedrichshainer Stickerei rundeten das Bild ab.

Fertigstellung Der letzte Schritt war das Zusammennähen der Stoffpartien und Einfügen der Bünde mit einer normalen Nähmaschine und einer Overlook – Nähmaschine.




Ästhetik, Wissenschaft und ein Foto Am Anfang standen für mich vor allem Fragen: Welche Methode soll ich nutzen? Wie nähere ich mich dem Objekt Boden? Wie den Bogen schlagen zur Naturwissenschaft, zur Ökologie? Begriffe standen im Raum: Ästhetik, Kunst, Wissenschaft. Sie schienen klar, sind und waren aber immer umkämpft, schwer zusammenzubringen aber scheinbar auch schwer zu trennen. Und es wurde oft versucht. Beides. Die Naturwissenschaft des 19. Jahrhunderts beispielsweise war stark geprägt von Abgrenzungsbemühungen gegenüber allen Formen subjektiver und auch ästhetischer Verfahren. Die damalige Vorstellung von Objektivität beruhte darauf, mit Hilfe mechanischer Aufzeichnungsmedien die „menschliche Intervention zwischen Natur und Repräsentation“ abzuschaffen oder doch zumindest zu minimieren (Daston L., Galison P., Das Bild der Objektivität, 2002, S. 29-99). Der französische Mediziner Claude Bernard benannte in seinem 1865 erschienen Werk „Einführung in das Studium der experimentellen Medizin“ die Trennung von Kunst und Wissenschaft sogar als Voraussetzung für den Fortschritt der Wissenschaft. Zur gleichen Zeit näherte sich jedoch die ästhetische Theorie immer stärker an die Naturwissenschaften an. Und so stand dem Versuch die Kunst aus der Wissenschaft auszutreiben die Integration wissenschaftlicher Methoden in die Kunst gegenüber. So machte z.B. Emile Zola das von Bernard beschriebene experimentelle Verfahren der Naturwissenschaft zur Grundlage seines 1879 erschienen Experimentalromans und die Fotografie entwickelte sich recht schnell vom Werkzeug zur objektiven Wiedergabe wissenschaftlicher Fakten zu einer eigenen Kunstrichtung.

Aber auch in der Naturwissenschaft finden sich spätestens im 20. Jahrhundert andere Tendenzen. Niels Bohr, Paul Dirac, Albert Einstein, Werner Heisenberg, Hermann Weyl und Chen-Ning Yang unbestritten die einflussreichsten Naturwissenschaftler ihrer Epoche. Sie alle äußerten sich zur Bedeutung von Schönheit und Ästhetik in ihrer Arbeit. So schrieb Paul Dirac beispielsweise: „it‘s more important to have beauty in one‘s equations than to have them fit experiment“ und Hermann Weyl sagte:“ my work always tried to unite the true with the beautyful, but when i had to choose one or the other, i usually chose the beautyful“. Davon abgesehen, dass sie schwer greifbar scheint die Schönheit in der Mathematik theoretischer Physiker deutet sie doch auf etwas Grundsätzliches hin. Harmonien, Symmetrien, Schönheit sie scheinen nicht nur Konzepte menschlicher Versuche zu sein die Welt und das eigene Innere zu erklären wie die Kunst es mit verschiedenen Mitteln versucht. Nein, sie fanden und finden auch immer wieder Bestätigung als grundlegende Konzepte bei der wissenschaftlichen Erkenntnissuche über die Welt, das Universum und Alles andere.

farbene fließen, alles kontrastiert von fast weißen Flecken die wie Wolken über einer seltsamen Flusslandschaft wirken. Symmetrie, Harmonie, Schönheit. Es scheint keine weitere Erklärung notwendig.

Da ist sie also die Schnittmenge zwischen Wissenschaft und Kunst und die wörtliche Bedeutung des Wortes Ästhetik: Lehre von der Wahrnehmung, bekommt plötzlich einen neuen Sinn.

Was ist nun also das Ergebnis meiner Projektarbeit? Ein Foto von einem kleinen Stück Bodenprofil. Hoffentlich ein Foto das mit seinen schönen Farben und eleganten Formen Interesse wecken kann an seinem Objekt: dem Boden, den interessanten chemischen und biologischen Vorgängen die in ihm ablaufen und damit vielleicht auch der Bedeutung, die Boden für das menschliche Über-/Leben hat. Oder anders gesagt: Boden verdient unsere Aufmerksamkeit aus ästhetischen und wissenschaftlichen Erwägungen. Ronald Müller

Und so machte ich mich dann fotografisch auf die Suche nach einem Motiv, dass diese Schnittmenge zwischen Wissenschaft und Kunst mit unserem Thema Boden verband und wurde nach einigen Fehlversuchen endlich fündig. Durch die Brille des Künstlers zeigen sich elegant geschwungene Linien in verschiedenen Brauntönen die sich von rostfarbenen dunklen Flächen in hellere Pastell-

82 – Ästhetik, Wissenschaft und ein Foto

Dem Bodenökologen zeigen sich Bänder von Sequioxiden und gelöster organischer Substanz die sich in Folge der Translokationsprozesse der Podsolierung in verschiedenen Bodenhorizonten abgelagert haben. Die dunkle rostfarbene Fläche zeigt Ortstein. Ausgelöst durch Säureverwitterung wurde hier während der Podsolierung auch das Anion Phosphat mobilisiert und bildete Aluminium und Eisen sehr schwerlösliche Ortophosphate. Die abgeschiedenen Metalloxide und die organische Substanz verkitteten dabei die Minerale und die Körner im Unterboden stark. Die Eigenfarben der Minerale sind nichtmehr erkennbar und es bildete sich ein zementhartes Kittgefüge. Die hellen Flecken zeigen dem Betrachter Anzeichen versteckten Lebens. Hier haben Mikroorganismen die gelöste organische Substanz, die sich als dunkle Bodenfarbe zeigt, wieder abgebaut und hinterließen das pure helle Ausgangsgestein also Sand.






Einige Teilnehmer sind aus dem Bild gesprungen i

Blog: www.medium.com/bodenart Twitter: @bodenart



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