Erziehungskunst Spezial Oberstufe

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Oktober 2011 | 3,50 â‚Ź

erziehungskunst spezial Waldorfpädagogik heute

Wohin geht die Oberstufe?


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2 INHALT | IMPRESSUM 4 F. Osswald: Das Leben ist die Schule 4

7 W. Sommer: Lernen als Lebensvorgang – erst recht in der Oberstufe 7

11 H. Baumann: Gartenbau – Schule der Authentizität 11 J. Frank: Eurythmie verändert das Leben – nachhaltig 14 M. Zech: Nicht das Tafelsilber veräußern! 17

19 A. Denjean: Ein bisschen Drill am Schluss genügt 19 S. Sigler: Herausforderung Mathematik 22

26 K.-P. Freitag: Das Ende der Waldorfschule 26 D. Figura: Blick über den Tellerrand 28 D. Göttel: Den Anschluss an den Abschluss finden 29 L. Digomann: »Ich weiß jetzt, was ich nicht will« 32 A. Schnitzler u. A. Gottschalk: Das Waldorfberufskolleg 34 Portfolio und Waldorfabschluss – Fragen an R. Iwan, F. de Vries, Chr. Boettger u. T. Koch 36

38 Was erwarten Wirtschaft und Hochschulen von Berufs- oder Studienanfängern? Fragen an M. Rogowski, M. da Veiga u. T. Göbel 38 B. Kolass: Fragen eines Ehemaligen an die Waldorfschule 43

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erziehungskunst spezial Waldorfpädagogik heute 75. Jahrgang, Heft 01, Oktober 2011, Auflage 72.000 Herausgeber: Bund der Freien Waldorfschulen e.V., Wagenburgstr. 6, 70184 Stuttgart, Tel.: 07 11/2 10 42-0 Redaktion: Mathias Maurer, Lorenzo Ravagli, Dr. Ariane Eichenberg

Anschrift der Redaktion: Wagenburgstraße 6, D-70184 Stuttgart, Tel.: 07 11/2 10 42-50/-51 | Fax: 07 11/2 10 42-54 E-Mail: erziehungskunst@waldorfschule.de, Internet: www.erziehungskunst.de Manuskripte und Zusendungen nur an die Redaktion. Die Verantwortung für den Inhalt der Beiträge tragen die Verfasser. Gestaltungskonzept: Maria A. Kafitz Herstellung: Verlag Freies Geistesleben, Maria A. Kafitz Verlag: Verlag Freies Geistesleben, Postfach 13 11 22, 70069 Stuttgart, Landhausstraße 82, 70190 Stuttgart Tel.: 07 11/2 85 32-00 | Fax: 07 11/2 85 32-10, Internet: www. geistesleben.com

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Titelfoto: Jeff Gynane / iStock

Beirat der Redaktion: Christian Boettger, Hans Hutzel, Christine Krauch, Henning Kullak-Ublick


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EDITORIAL

Freiheit für die Oberstufe

Titelfoto: Jeff Gynane / iStock

Liebe Leserin, lieber Leser, Die Waldorfoberstufe ist ein seltsames Zwitterwesen: Scheinen die Waldorfmethoden nach dem Motto »Erziehung zur Freiheit« in der Klassenlehrerzeit noch unangefochten, werfen in der Oberstufe die Abschlüsse ihre Schatten voraus und bringen zunehmend »systemfremde« Elemente ins Spiel: Notendruck und Prüfungsstress. Manche Schulen »differenzieren« schon nach der zehnten Klasse: A-, B-, C-Kurse, sprich, Mittlere Reife, Fachhochschule oder Abitur. Gemeinsames Klassenspiel oder Abschlussfahrt ade – der Klassenverband hat sich bis zur Zwölften aufgelöst. Gegliedertes staatliches Schulwesen, nur etwas netter und kompakter? Dabei weiß seit der bayerischen Farce der Heraufsetzung des Abiturdurchschnitts per ministerialem Dekret jeder halbwegs informierte Mensch, wie absurd solche staatlichen Prüfungsveranstaltungen sind. Doch was ist in den letzten dreißig Jahren geschehen, dass sich in der Waldorfschule als hochgelobte Einheitsschule eine schleichende »Binnenselektion« einnistete? Elterndruck und Lehrernot? Haben sich die Schüler verändert, die Lehrer, die Eltern? Sind in der Oberstufe überhaupt genügend ausgebildete Waldorflehrer? Oder sind große Klassen mit Schülern aller Begabungsniveaus heute einfach nicht mehr zu unterrichten? Fragen tatsächlich die meisten Eltern schon bei der Einschulung nach den Abschlussmöglichkeiten? Ist es tatsächlich der Geldmangel, dem die waldorfspezifischen Fächer zum Opfer fallen? Endstation Waldorfgymnasium – Alternativschule mit Profilmerkmal Waldorf? Dabei haben Waldorfschüler nichts zu befürchten: Sie schneiden trotz der vielen Kunst und den exotischen Unterrichtsfächern genauso gut ab wie ihre Kollegen an staatlichen Schulen und leisten in ihren Berufen gesellschaftlich Außerordentliches. Also, was ist da los? Die Gründe für diese Entwicklung liegen auf politischem Felde, denn dort wird über die finanziellen und rechtlichen Rahmenbedingungen von Schulen entschieden. Könnte es sein, dass die politische Abstinenz der Waldorfidealisten diesem Pragmatismus Vorschub geleistet hat? – Darauf brachte mich ein leitender Beamter des Oberschulamtes. Er antwortete mir auf meine Frage nach den Aussichten auf ein eigenes Waldorfabitur: Das ist das einzig Vernünftige. Sie arbeiten doch auch nach ihren eigenen Waldorfmethoden. Andererseits: Waldorfschule heißt Waldorfpädagogik bis zur Zwölften. Danach mag (staatliche) Prüfungen ablegen, wer will. Denn eine Schule, die den Entwicklungsgesetzmäßigkeiten der Kinder und Jugendlichen gemäß unterrichten möchte, braucht vor allem Freiraum. ‹›

Mathias Maurer

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Waldorfschule heißt Waldorfpädagogik bis zur Zwölften

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4 GRUNDLAGEN

Das Leben ist die Schule von Florian Osswald

Die Oberstufenschüler sind Gäste auf Zeit in unserem Haus, die ein tiefes Anliegen in sich tragen. Wir brechen mit ihnen auf in das Abenteuer des Denkens, dem sie auf eigene Weise vertrauen lernen wollen.

Waldorfpädagogik kann die Zeit vom Säugling bis zum jungen erwachsenen Menschen umfassen. In der Oberstufe müssen sich die Lehrer anstrengen, den Zusammenhang mit dem Entwicklungsbogen vom Kleinkind bis zum Erwachsenen nicht zu verlieren. Wir spannen ihn dadurch, dass wir ihn nicht nur funktional organisieren, sondern innerlich in uns lebendig halten. Die Oberstufenschüler sind Gäste auf Zeit in unserem Haus, die ein tiefes Anliegen in sich tragen. Wir brechen mit ihnen auf in das Abenteuer des Denkens, dem sie auf eigene Weise vertrauen lernen wollen. Sie stehen auf diesem Wegstück ihres Lebens im Spannungsfeld zwischen der bewussten Entwicklung der eigenen Identität und den Forderungen der Gesellschaft. Und gerade hier setzt der Waldorfunterricht an. Er steht in diesem Spannungsfeld, indem er mit seinem fachlich orientierten Ansatz sowohl der Selbstfindung als auch der Gemeinschaftsbildung dient. Er geht auf die Fragen des Einzelnen ein, der sich selbst finden möchte und nach seiner Aufgabe in der Gemeinschaft sucht. Eine Schülerin beschreibt in ihrem Bericht von der Arbeit mit behinderten Menschen ihren Abschied im Praktikum: »Von mir bleibt nicht viel zurück; zwei Collagen und ein Gästebucheintrag, die Hälfte eines Papierdrachens und ein abgeschriebenes Gedicht in einem Heft. Und vielleicht im einen oder andern Herzen eine kleine Spur Erinnerung. ›Ade, ich gehe jetzt‹, sagte ich zu E. ›Wohin?‹ fragte sie. ›Nach Hause.‹ – ›Was machst du dort?‹ Ich lächle. ›Zu Hause sein.‹ – ›Ohne Himmel?‹, fragte E. ›Vielleicht nehme ich ihn mit‹, antwortete ich. Ich meine nicht das Blau des Himmels und nicht Gott. Ich spreche von den wunderbaren Menschen, die ich kennen gelernt habe. Von Menschen wie E.« Hier wird das wichtigste Moment von Unterricht dargestellt: das Öffnen eines Begegnungsraumes, der aus der Sache heraus ein individuelles Anliegen letztendlich mit der gesamten Menschheit verbindet. Steiner formulierte dieses Zusammengehen folgendermaßen: »Man hat in der Menschheitsentwicklung nicht das Recht, sich als Individualität zu fühlen, wenn man sich nicht zu gleicher Zeit als Angehöriger der ganzen Menschheit fühlt«.

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Foto: Charlotte Fischer

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Räume der Begegnung öffnen Wollen wir einen Begegnungsraum öffnen, dem die Fachlichkeit zugrunde liegt, sind wir aufgefordert, den Unterrichtsstoff in besonderer Weise durchzuarbeiten. Wir können nicht nur aus der Kenntnis des Stoffes heraus arbeiten. Ihn in Zusammenhang mit der Welt zu sehen, ist ein notwendiger Schritt, denn Verstehen ist die Leistung, einen Inhalt in Verbindung mit andern Inhalten zu bringen. Und auch wenn wir das erreicht haben, ist noch eine Steigerung möglich, ja erforderlich. Jeder Inhalt hat ein schöpferisches Potenzial. Bringen wir den Inhalt in Beziehung zum Menschen, dann kann er sich erst wirklich entfalten. Wir sprechen von lebendigen Begriffen und meinen damit diese Keimkraft.

Wir können nicht nur aus der Kenntnis des Stoffes heraus arbeiten. Ihn in Zusammenhang mit der Welt zu sehen ist ein notwendiger Schritt, denn Verstehen ist die Leistung, einen Inhalt in Verbindung mit andern Inhalten zu bringen.

Beziehungen schaffen Unter dem Aspekt des Spannungsfeldes Individuum – Gesellschaft ergeben sich noch weitere wesentliche Gesichtspunkte zur Gestaltung des Unterrichts in der Oberstufe. Um einem Individuum zu begegnen, braucht es Beziehungsfähigkeit. Wir wissen heute, wie bedeutend diese Fähigkeit für das Unterrichtsgeschehen ist. Beziehung setzt Interesse voraus, Interesse für die Lerntätigkeit der Schüler und Schülerinnen. Gute Lehrpersonen wissen, wie ihre Schüler lernen. Daraus entsteht eine wichtige Hilfe für den Unterrichtsaufbau. Ein Thema kann differenzierter aufgebaut werden, wenn die verschiedenen Arten zu lernen bekannt sind. Der gesellschaftliche Pol scheint mir weniger erforscht und bewusst zu sein. Wir tun

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6 GRUNDLAGEN

› schon viel, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf die Schulung der Gesprächskultur oder auf das Austragen von Konflikten richten. Aber es gibt noch weitere, weniger offensichtliche Arbeitsfelder, wie zum Beispiel die Vernetzung der Fachlehrkräfte in der Oberstufe. Wir arbeiten, ob wir es wollen oder nicht, fachübergreifend an einem Gesamtwerk: Der Begriff der Parabel kann in der Mathematik in verschiedenster Weise aufgegriffen werden. Er kann in der Physik im Zusammenhang mit der Steinwurfkurve und dem Scheinwerfer in Alltagserscheinungen studiert werden und in Lessings Ringparabel in einer unerwarteten Form wieder auftauchen. In der Kollegiumsarbeit schaffen wir das gemeinsame Bewusstsein für diese Gesamttätigkeit. Der Einzelne gibt seinen Beitrag in die Gemeinschaft und daraus entsteht etwas, das weit größer ist, als das, was der Einzelne schaffen könnte.

Der sozialpädagogische Impuls

Wir lassen uns inspirieren von der Begegnung mit dem Leben. Ich begegne der Welt, die Welt begegnet mir. So wird Unterricht Begegnungsraum.

Ein weiterer Aspekt, der in Zukunft weiter erforscht und gestaltet werden kann, ist der von Steiner angesprochene sozialpädagogische Impuls. Er gliedert ihn in zwei Gebiete: In »das Gebiet, das den Jugendunterricht umfaßt, jenen Unterricht und jene Erziehung, durch den die Menschen hineingestellt werden sollen in das, was heute und für die nächste Zukunft durch ein wirklich soziales Denken von diesen Menschen gefordert wird«, und in die Lebensebene. Der Mensch ist das Leben selbst, aber er hat es nicht selbst hervorgebracht. Wir begegnen ihm. Es scheint, als würde es uns von außen entgegenkommen. Steiner bezeichnet dieses Gebiet auch als »Lehre des Lebens«. »Finden wir die rechte Art, uns jedem Menschen, der uns begegnet, gegenüberzustellen, dann wird er für uns eine Quelle der Weiterentwicklung in allem, was er uns bewußt oder namentlich unbewußt gibt und ist. In allem, was wir tun, Stunde für Stunde, Tag für Tag, Woche für Woche, erleben wir uns selber so, daß wir durch das, was wir mit uns durch die Umwelt erleben, in uns eine Quelle der stetigen Fortentwicklung öffnen. Das Leben ist eine Schule für jeden gesunden Menschen.« Wir lassen uns inspirieren von der Begegnung mit dem Leben. Ich begegne der Welt, die Welt begegnet mir. So wird Unterricht Begegnungsraum. Wie sieht die heutige Realität in den Oberstufen der Schulen aus? Wir können es uns einfach machen und verschiedene Elemente von da und von dort nehmen und zusammenmischen. Aus Gelb und Blau wird dann Grün. Doch unterrichten heißt mehr. Wir müssen uns die Frage stellen, wie aus Gelb und Blau Rot wird. Das würde eine echte Steigerung sein. Ohne sie bleiben die Impulse Rudolf Steiners blass. ‹› Zum Autor: Florian Osswald ist Leiter der Pädagogischen Sektion des Goetheanum in Dornach

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METHODEN

Lernen als Lebensvorgang – erst recht in der Oberstufe Alte wie neue Lernformen haben ihre Berechtigung von Wilfried Sommer

In der heiteren Atmosphäre des Abiballs ergab sich mit den Schülern und ihren Eltern so manches gelöste, bilanzierende Gespräch. Ein Kollege vom benachbarten Gymnasium, dessen Sohn meine Klasse besucht hatte, sprach mich an und wir tauschten uns über die Lehr- und Lernformen der Schule aus. Er war längere Zeit an einem Oberstufengymnasium für die Klassen 11 bis 13 tätig, in das zahlreiche Waldorfschüler nach der 10. Klasse wechselten. Nach seiner Erfahrung kommen die Waldorfschüler mit den dort praktizierten Lehr- und Lernformen problemlos zurecht. – Seine Vermutung über die Gründe ließ mich aufhorchen: Eine Methodendiskussion, die sich nur auf die kognitiven Fächer des Hauptunterrichtes beziehe, greife viel zu kurz, meinte er. Es gebe doch in Form der vielen Exkursionen wie Heimatkunde, Feldmessen und Geographie zahlreiche Elemente des Projektlernens, die dann im Sozialpraktikum und in den handwerklichen und künstlerischen Epochen vielfältig ausgebaut oder abgewandelt würden. Außerdem hätten die Klassenlehrer und -betreuer große Spielräume für soziale Lernprozesse. Die Schüler könnten seiner Erfahrung nach die verschiedenen Lehr- und Lernformen auf neue Situationen übertragen. Sie verfügten über ein reiches Methodenrepertoire, das sie selbstständig anwendeten. Der Vater und Kollege machte mir ein Element der Waldorfpädagogik neu bewusst: Als Lehrer dürfen wir darauf vertrauen, dass die Schüler aus der Vielheit der Fächer und den dort praktizierten unterschiedlichen Lernformen ein Ganzes bilden können. Zu dieser »Integrationsleistung« werden sie aufgerufen, weil sie beides erleben: im Hauptunterricht zum Beispiel eher geführte, gedankliche und kognitive Herausforderungen, im Projektunterricht offene Situationen, in denen sie auf sich selbst gestellt sind und aus sich heraus kreative Lösungen entwickeln sollen. Den Blick wieder frei bekommen zu haben und das Ganze anschauen zu können, verdanke ich diesem Gespräch.

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Als Lehrer dürfen wir darauf vertrauen, dass die Schüler aus der Vielheit der Fächer und den dort praktizierten unterschiedlichen Lernformen ein Ganzes bilden können.

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› Zwischen Frontalunterricht und Gruppenarbeit Lehrer, die nicht nur für ihr Fach brennen, sondern auch ein Gespür dafür entwickeln, wie sie ihr Fach in die Bildungsprozesse der Jugendlichen begeisternd einbringen können, sind ein Geschenk. Gleichzeitig wird durch sie der Bildungsprozess zu einem erfrischenden Lebensvorgang.

So bestätigend das oben referierte Gespräch sein mag, so klar ist auch, dass es nicht als Rechtfertigung für ein ermüdendes, lehrerzentriertes Vorgehen ohne Methodenwechsel im Haupt- oder Epochenunterricht dienen darf. Auch befreit es einen als Lehrer nicht von der Aufgabe, im Blick zu behalten, ob die Arbeitstechniken des eigenen Faches von den Schülern selbstständig beherrscht werden. Die Frage, ob neuer Stoff in einer zusammenhängenden Darstellung oder über Arbeits- und Aufgabenmaterial eingeführt und ausgebaut werden kann, muss täglich neu abgewogen werden. Ist in einer offenen Unterrichtssituation genügend Material und Vorwissen vorhanden, damit nicht nur die Begabten die Aufgabe angehen können? Was muss ich als Lehrer einführen, damit der Stoff erlebnisstark von allen realisiert wird, wo schweige ich besser oder moderiere allenfalls?

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METHODEN

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Menschenkunde und Erziehung 43

Geschichte Christoph Lindenberg

Geschichte lehren

Vor dem Hintergrund solcher Fragen stellt sich der Haupt- oder Epochenunterricht in der Oberstufe als Ansatz dar, den Lernvorgang der Schüler als Lebensvorgang in den Blick zu nehmen, der in seiner Ausdifferenzierung das volle Methodenrepertoire zulässt. Das schließt ausdrücklich anspruchsvolle kognitive Leistungen der Schüler in der oberen Oberstufe ein. »Das Bewährte« ist der Lebensvorgang, »das Neue« sind die Fülle kollegialer und universitärer Anregungen, die immer neue Unterrichtsmethoden, Lehr- und Lernformen thematisieren.

www.geistesleben.com

Verlag Freies Geistesleben

Christoph Lindenberg Geschichte lehren Thematische Anregungen zum Lehrplan. Menschenkunde und Erziehung 43 3., durchges.Auflage 281 Seiten, gebunden € 24,90 | ISBN 978-3-7725-0243-9

Ein Stück Weltbegegnung wird für alle durch den Lehrer gestaltet, damit sie selbst darin die Zusammenhänge aufsuchen, die Gesetze erschließen und das Allgemeine entdecken können.

Das Standardwerk zum Geschichtsunterricht

Lernen im Epochenunterricht – ein Lebensvorgang Wenn Schüler den Eindruck haben, dass das, was sie in der Schule lernen, nicht nur für sich interessant ist, sondern auch mit dem Leben im Allgemeinen und mit ihnen im Besonderen etwas zu tun hat, ist das für alle Seiten eine große Freude. Lehrer, die nicht nur für ihr Fach brennen, sondern auch ein Gespür dafür entwickeln, wie sie ihr Fach in die Bildungsprozesse der Jugendlichen begeisternd einbringen können, sind ein Geschenk. Gleichzeitig wird durch sie der Bildungsprozess zu einem erfrischenden Lebensvorgang. Der Epochenunterricht baut darauf, dass Lehrer diese Aufgabe angehen: An einem Tag wird ein Stück Welt von den Lehrern möglichst erlebnisstark im Unterricht entfaltet, so dass alle, unabhängig von ihrem Vorwissen, in »das Leben« einer Sache eintauchen können. Begegnung ereignet sich – und den Schülern muss die Gelegenheit gegeben werden, für sich diese Begegnung zu ordnen. Nicht reflexive Belehrungen, sondern unmittelbare Begegnungen stehen an; keine allgemeinen Erklärungen, sondern sprechende Tatsachen. – Nach dieser Begegnung kann erst einmal durchgeatmet werden: Das Eine oder Andere wird notiert und vorläufig bewertet, dann folgt oft die Pause. Warum diese Zäsur? – Damit die Schüler die Zusammenhänge in einer nächsten Unterrichtsphase, die für gewöhnlich zu Beginn des folgenden Hauptunterrichtes liegt, selbst finden können! Ein Stück Weltbegegnung wird für alle durch den Lehrer gestaltet, damit sie selbst darin die Zusammenhänge aufsuchen, die Gesetze erschließen und das Allgemeine entdecken können. Die sprechende Einzelheit wird Thema, damit alle in einem nächsten Schritt dabei sein können, wenn die Zusammenhänge

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Dieses Buch bietet dem Klassenund dem Geschichtslehrer wesentliche Arbeitsanregungen. Christoph Lindenberg orientiert umfassend über den Geschichtsunterricht an Waldorfschulen, stellt didaktische Überlegungen an und zeigt an vielen anschaulichen Beispielen, wie lebendiger Geschichtsunterricht aussehen kann.Von der 5. bis zur 12. Klasse werden Methode und Inhalt im Einzelnen dargestellt.

Darüberhinaus wendet sich Lindenberg übergreifenden Aspekten der Geschichtserkenntnis zu: demVerhältnis vonVergangenheit und Zukunft in der Geschichtsauffassung, der Beschleunigung der gesellschaftlichen Prozesse oder demVerständnis einer geschichtlichen Symptomatologie.

Freies Geistesleben


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10 METHODEN

› gesucht und bewusst werden. – Unmittelbarkeit und reflexive Distanz sind wie zwei

Was ist »typisch waldorf« im Hauptunterricht der Oberstufe? – Dass der Lernvorgang zum Lebensvorgang wird. Das bildet den Leitfaden für die Lehrmethoden.

Pendelschläge des Lebens, die den Unterricht von Tag zu Tag durchziehen. Hat man als Lehrer diesen Lebensvorgang vor sich und immer wieder erlebt, wie er einen interessanten und begeisternden Unterricht tragen kann, so mag man in ihm ein bewährtes methodisches Profil sehen und gleichzeitig das Bedürfnis entwickeln, diesen Lebensvorgang methodisch originell auszugestalten. In der Unterrichtsphase, in der man die Weltbegegnung für die Schüler anlegt, steht man, je nach Fach, vor unterschiedlichen Fragen: Setze ich die Begegnung mit einem Stück Literatur als szenisches Spiel, als Lesung oder als Überblicksdarstellung an? Bietet sich eine Partnerarbeit mit Aufgaben an einer historischen Quelle an? Führe ich eine Versuchsreihe mit einer bestimmten Ästhetik und Dramaturgie selbst vor oder wähle ich Schülerversuche? Wofür kann ich Lernstationen einrichten? – Hier haben sich unterschiedlichste Lernformen bewährt, getragen von dem Ziel, für alle eine starke Begegnung zu schaffen und allen den Freiraum zu geben, für sich diese Begegnung zu ordnen. In der Unterrichtsphase, in der es gilt, Zusammenhänge zu finden, stellt man als Lehrer zu Beginn oft eine »offene Frage«, moderiert dann nur noch das Gespräch und sorgt dafür, dass es sich in Übersichten, Tabellen und Grafen konzentriert. Höchste Schüleraktivität und eine zurückhaltende, moderierende Rolle des Lehrers sind der Weg. Die Schüler können Podiumsdiskussionen veranstalten, in Gruppen Argumente schmieden oder in Form des Gruppenpuzzles arbeiten. Nicht Frontalunterricht steht im Fokus, sondern die Schüleraktivität, die sich um ein Lernziel gruppiert, das sich aus der vorangegangenen Unterrichtsphase ergibt. Gleichzeitig werden dadurch die Grundlagen für eine eigenständige Arbeit am Epochenheft oder Portfolio gelegt. Und die Heft- oder Portfolioarbeit? – Meiner Meinung nach ist sie ein Stück Individualisierung im Lernprozess, die sich aus den gerade entwickelten Lernschritten ergibt. Sie hält Zentrales wie selbstverständlich geordnet fest, gibt aber auch die Freiräume, in persönlicher Weise Stellung zu beziehen oder nach eigenen Vorstellungen Übersichten auszudifferenzieren. Dafür muss, wenn das Lernziel erreicht ist, Unterrichtszeit zur Verfügung gestellt werden, bevor ein nächster Pendelschlag im Leben oder in der Lernbiographie des Unterrichtsfaches beginnt. ‹›

Zum Autor: Prof. Dr. Wilfried Sommer ist Oberstufenlehrer für Physik und Mathematik, Dozent am Waldorflehrerseminar Kassel und Juniorprofessor an der Alanus Hochschule, Alfter.

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BESONDERHEITEN

Gartenbau – Schule der Authentizität von Holger Baumann Als Kind stellte ich mir manchmal vor, wie ich mich wohl verändern würde, wenn mir plötzlich ein Körperteil fehlte, ein Finger, ein Arm, ein Bein? Was würde das verändern? Wäre ich dann noch derselbe? »Waldorf« ohne Praktika, ohne Klassenspiele, ohne künstlerische Abschlüsse, ohne Jahresarbeit und Theaterprojekt, ohne Eurythmie, ohne diese markanten Attribute und Waldorf-Highlights – was wäre die Waldorfschule dann?, frage ich mich heute. Oder ohne pädagogischen Gartenbau? – Schauen wir auf die Zeit der ersten Waldorfschule in den 1920er Jahren: Ein Großteil der Menschen arbeitet in einer kleinbäuerlichen, chemiefreien und unmotorisierten Landwirtschaft. Durch die Städte fahren noch Pferdedroschken. Die Menschen träumen davon, abends bei elektrischem Licht vor tönenden Radiofunkempfängern zu sitzen … Und in dieser Zeit, die uns heute technisch rudimentär und doch relativ erdverbunden erscheinen muss, regt Rudolf Steiner an, in der Waldorfschule Gartenbau-Unterricht zu »machen« – sogar obligatorisch bis einschließlich Klasse 10. Fast ein Jahrhundert später hat sich der »Drive« der Zivilisation durch technische Innovationen dramatisch beschleunigt. Jeder Punkt der Erde ist mit modernen Transportmitteln binnen kurzem zu erreichen. Coca Cola ist in jeder Bude am Himalaya zu erstehen. Jeder Mensch ist via Satellit von überall her in Sekunden zu »kontakten«. Neben der seit Jahrhunderten gewohnten »Realwelt« und der sinnlich erfahrbaren Natürlichkeit des Augenblicks hat sich mittels Computertechnologie und Internet eine ganz neue »Realität« aufgetan: Nicht nur Jugendliche können den größten Teil des Tages in dieser »virtuellen Realität« verbringen und in Sekündärwelten sogar andere Identitäten annehmen. Wie vielzitierte Studien aufzeigen, hat die Entfremdung von der Natur und den kreatürlichen Lebensgrundlagen seit den 1980er Jahren bei Kindern und Jugendlichen zugenommen. Es ist fast müßig, sich die Frage zu stellen, was Rudolf Steiner wohl über die Notwendigkeit von Gartenbau-Unterricht heute sagen würde. Der Gartenbau-Unterricht an Waldorfschulen brennt vor Aktualität. Zumindest wenn der freie, der aufgeklärte

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Es ist fast müßig, sich die Frage zu stellen, was Rudolf Steiner wohl über die Notwendigkeit von Gartenbau-Unterricht heute sagen würde. Der Gartenbau-Unterricht an Waldorfschulen brennt vor Aktualität. Zumindest wenn der freie, der aufgeklärte Mensch, die selbstbewusste, die ganzheitlich entwickelte Persönlichkeit unser »Erziehungsziel« ist.

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12 BESONDERHEITEN

› Mensch, die selbstbewusste, die ganzheitlich entwickelte Persönlichkeit unser »Erziehungsziel« ist. »Erdung, Ausgleich, Balance!« sind die Forderungen der Gegenwart. Sie sind zugleich die Medizin für seelisch-geistige Einseitigkeiten, die die »digitale Revolution« mit sich bringt. Viele Autoren aus der Waldorfszene haben dazu beigetragen, den Gartenbau-Unterricht immer wieder zu gründen und zu begründen. Es liegt ein detaillierter und doch frei lassender »Rahmen-Lehrplan« vor, menschenkundlich wie alterstufengerecht (vgl. Heft 4/2011). Bundespräsident Christian Wulff hat bei der Eröffnung der Bundesgartenschau in Koblenz am 15. April 2011 davon gesprochen, dass es im Gartenund Landschaftsbau um Kunst, Kultur und Nachhaltigkeit gehe! Weiter verlautete er, dass es pädagogisch sinnvoll sei, wenn Kinder Beete anlegen würden. Wow!

Da dieses Fach frei finanziert werden muss, sind die Gartenbaulehrer immer wieder gefordert, ihren pädagogischen Beitrag zur Entwicklung des Kindes zu einer Gesamt-Persönlichkeit ins Bewusstsein der Kollegen zu heben. Besonders wenn die jährliche »Wir-müssen-sparen-Welle« in die Gremien schwappt. Eine weitere Gefährdung von »Waldorf-Substanz« sehe ich darin, dass in unserer Schullandschaft immer wieder gerne Waldorf-Charakteristika in Frage gestellt werden. Das wirkt geradezu abstrus, wenn sich öffentliche Schulen zeitgleich genau für diese Dinge stark machen und sich dann gern als Urheber dieser »neuen« Ideen publikumswirksam in den Medien darstellen. Das gilt auch für den GartenbauUnterricht. »Das praktische Arbeiten bildet das polare Gegenstück zur Beschäftigung mit scharfem abstraktem Denken wie es vor allem in der Mathematik und in den naturwissenschaftlichen Fächern als Antwort auf die erwachenden Kräfte des Intellekts geübt werden muss. Im ergänzenden Zusammenwirken dieser Polaritäten, verbunden über die empfindende Mitte künstlerischen Schaffens und Erlebens, liegt eine große Chance. Schüler im Pubertätsalter davor bewahren zu können, die Welt mit abstraktem Denken ›erobern‹ zu wollen und sich dabei in lebensfremden theoretischen Modellen über die Wirklichkeit zu verlieren« fasst Christoph Leuthold, Waldorflehrer aus dem Schweizerischen Steffisburg, die pädagogische Aufgabe des Gartenbaus zusammen. Genau deshalb haben viele staatliche Schulen und Internate begonnen, GartenbauUnterricht, Landbau und Tierpflege nicht nur als vorübergehende Arbeitsprojekte einzuführen. Und wie viel mehr Naturkunde-Lehrer wünschten es sich an ihren staatlichen Schulen! Bundespräsident Christian Wulff hat bei der Eröffnung der Bundesgartenschau in Koblenz am 15. April 2011 davon gesprochen, dass es im Garten- und Landschaftsbau um Kunst, Kultur und Nachhaltigkeit gehe! Weiter verlautete er, dass es pädagogisch sinnvoll sei, wenn Kinder Beete anlegen würden. Wow!

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BESONDERHEITEN

Wie schön, dass Kinder genau das im Rahmen ihrer Waldorfschulzeit tun können! Die Kinder erleben die gärtnerischen Grundtätigkeiten. Über eine Fülle von praktischen Tätigkeiten, welche stets Bezug zu allen Lebensgebieten haben, führt der waldorfmäßige Gartenbau-Unterricht über die Landschaftspflege und Biotop-Gestaltung der Neunt- und Zehntklässler zum Erkennen der schöpferischen Eigentätigkeit und Verantwortlichkeit. Und wie schön auch, dass Kunst, Kultur und Nachhaltigkeit Leitlinien der Waldorfpädagogik sind. Man muss einmal mehr hier und jetzt feststellen: Noch nie war der pädagogische Gartenbau-Unterricht so wertvoll wie heute! – Und das wird er im Zuge zunehmender »virtual reality« und damit einhergehender Naturentfremdung wohl auch die nächsten Jahrzehnte bleiben! ‹› Zum Autor: Holger Baumann ist Lehrer für Biologie, Gartenbau, Geographie, Chemie und Ethik

Foto: Charlotte Fischer

an der Waldorfschule Oberberg.

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»Erdung, Ausgleich, Balance!« sind die Forderungen der Gegenwart.

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14 BESONDERHEITEN

Eurythmie verändert das Leben – nachhaltig von Jürgen Frank

Den Erkenntnissen der modernen Hirnforschung zufolge funktioniert das Lernen im Wesentlichen, wenn das Gefühl beteiligt ist.

»Man kann alles tanzen«, sagte die Malerin Margarita Woloschin, »alles, was man fühlt«. »Aber auf das Gefühl kommt es doch heute an«, antwortete Rudolf Steiner. Das war Teil des ersten Gespräches über die Eurythmie im Jahre 1908. Jahre später wurde die neue Bewegungskunst Unterrichtsfach in der ersten Waldorfschule. Bis heute ist sie das an allen Waldorfschulen. Es gibt sogar einige wenige, in denen sie bis in die 13. Klasse unterrichtet wird. Aber es gibt auch Schulen, in denen Eurythmie in der Oberstufe gar nicht mehr oder nicht in vollem Umfang unterrichtet wird. Mir persönlich hat sich die Antwort Steiners erst vor einigen Jahren in ihrer Tiefe erschlossen. Den Erkenntnissen der modernen Hirnforschung zufolge funktioniert das Lernen im Wesentlichen, wenn das Gefühl beteiligt ist. Lernen bedeutet, sich gefühlsmäßig mit den Inhalten zu verbinden. Lernen ist eben nicht ein bloßes Abspeichern von Informationen, auch wenn es in vielen Bereichen der Pädagogik so gehandhabt wird.

In der heutigen Zeit sind wir in vielen Bereichen unseres Lebens mit Handlungen konfrontiert, die offensichtlich ohne Gefühl stattfinden. Die Schüler, die wir auf ihre Zukunft vorbereiten, benötigen Fähigkeiten, die weit über das lineare Denken und Handeln hinausgehen. Wir brauchen Menschen, die Denken, Fühlen und Wollen nicht voneinander abkoppeln, sondern verbinden können. Lernen durch Bewegung ist ein wohlbekanntes Mittel, das auch in Regelschulen, besonders in der Unterstufe, genutzt wird. In der Oberstufe sind heutzutage Tanzprojekte populär.

Wir brauchen Menschen, die Denken, Fühlen und Wollen nicht voneinander abkoppeln.

Roisten Maldoon, der bekannte britische Tänzer und Choreograf, inszeniert mit großem Erfolg fantastische Projekte mit Jugendlichen, die von der normalen Pädagogik schon aufgegeben wurden. Auf pädagogischen Kongressen ist er ein beliebter und angesehener Redner.

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Foto: Charlotte Fischer

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»You can change your life in a dance class« ist eine seiner Kernaussagen und er hat recht damit. Wer einmal erlebt hat, wie es sich anfühlt, in vollkommener Balance gerade und aufrecht zu stehen, der wird sich immer danach zurücksehnen und nicht mehr geduckt durchs Leben gehen wollen. Im Unterschied zur Eurythmie benötigt der Tanz den Spiegel zur Korrektur; mühseliger ist es, den Spiegel in sich selbst zu bilden. Aber wenn diese Fähigkeit einmal entwickelt wurde, dann bleibt sie dem Menschen erhalten und ermöglicht es ihm, sich selber von innen heraus zu korrigieren. Die Waldorfschule deckt diesen Bereich der äußeren und inneren Bewegungsschulung mit dem Fach Eurythmie ab. Alle anderen Fächer sind für einzelne Facetten der Entwicklung des Schülers förderlich, wie zum Beispiel ästhetisches Empfinden, Kunstverständnis, die Fähigkeit des Hörens. Aber kein anderes Fach schult den jungen Menschen umfassender und zielt so zentral auf die Entwicklung seiner Persönlichkeit. In der Oberstufe geht es mehr und mehr darum, den Leib als Ausgangspunkt für die eigene Entwicklung zu erfahren und gespiegelt zu bekommen, wie wir uns selbst und

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Im Unterschied zur Eurythmie benötigt der Tanz den Spiegel zur Korrektur; mühseliger ist es, den Spiegel in sich selbst zu bilden.

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› wie uns andere wahrnehmen. Im Allgemeinen klaffen Eigen- und Fremdwahrnehmung in diesem Alter auseinander. Der Unterricht in den Oberstufenfächern soll zu vergleichbaren Abschlüssen führen; dadurch tritt der Entwicklungsgedanke der Waldorfpädagogik in den Hintergrund, da man sich den kurrikularen Zwängen anpassen muss. Eurythmie hingegen bietet in der Oberstufe weiterhin die große Freiheit, die Inhalte des Unterrichtes den Entwicklungsbedürfnissen der Schüler anzupassen. Als Eurythmielehrer kann ich sogar noch in der 13. Klasse frei entscheiden, was die Schüler brauchen, um sich weiterzuentwickeln. Im Oberstufenunterricht geht es um Balance: Ausgleichende Übungen gegen den Stress und die Bewegungslosigkeit in den anderen Unterrichten sollten dem tiefen künstlerischen Impuls, der in der Eurythmie liegt, die Waage halten. Hier liegt auch eine der Schwierigkeiten des Eurythmieunterrichtes in der Oberstufe, denn der Spagat zwischen den verschiedenen Bereichen des Faches ist groß. Eine Kernaufgabe der Eurythmie ist die gefühlsmäßige Vorbereitung dessen, was in den anderen Fächern inhaltlich und denkerisch erfasst wird.

Eine Kernaufgabe der Eurythmie ist die gefühlsmäßige Vorbereitung dessen, was in den anderen Fächern inhaltlich und denkerisch erfasst wird.

Die Projektive Geometrie ist nur gedanklich erfassbar. Erleben Schüler vor der Mathematikepoche in der Eurythmie am eigenen Leib solche Vorgänge im Raum, dann können sie viel leichter in diesen Gedankenprozess eintauchen. Wenn die Schüler vor der Poetikepoche die Sprachrhythmen mit ihrem ganzen Leib im Raum bewegt haben, dann haben sie konkret erlebt, was ein Metrum ist und sind damit bestens vorbereitet für diese Epoche des Deutschunterrichts. Wenn Dur und Moll nicht nur verstanden werden, und nicht nur von den musikalischen Schülern gehört werden, sondern für alle ein wirkliches Erlebnis darstellen, das mit ihnen selbst zu tun hat, dann können die Schüler auch in den Musikunterricht ganz anders einsteigen. So könnte ich für jedes Fach Beispiele geben, um die Befruchtung durch die Eurythmie deutlich zu machen. Zusätzlich geben Konzentrationsübungen und meditative Körperübungen den Schülern das Rüstzeug für die kognitiven Fächer und den Alltag. Die Eurythmie ist das modernste und zukunftsweisendste Fach der Waldorfpädagogik. Sie fördert die Entwicklung des ganzen Menschen. ‹›

Zum Autor: Jürgen Frank ist Eurythmielehrer an der Waldorfschule Hamburg-Bergstedt

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Nicht das Tafelsilber veräußern! Ein Plädoyer zur Beibehaltung der historischen von Michael Zech Überblicksepoche in der 12. Klasse Schüler, die das Abitur machen wollen, müssen solide auf die Prüfungen vorbereitet werden. Das bringt mit sich, dass der Unterricht spätestens in der 12. Klasse auf die vorgegebenen Lernziele und Unterrichtsinhalte ausgerichtet sein muss. Das kann mit der Zielsetzung des Waldorflehrplans kollidieren und zwingt zu kreativen Lösungen. Die Streichung der historischen Überblicksepoche zugunsten des Regelschullehrplans ist allerdings keine Lösung. Der für die 12. Klasse im Waldorflehrplan vorgesehene geschichtliche Überblick will die Voraussetzungen der Urteilsfähigkeit der Schüler in Sachen Geschichte und Kultur bewusst machen. Historizität und Bewusstseinswandel werden durchdacht, Sinnstiftungskonzepte reflektiert. Geschichte wird als Menschheitsgeschichte und damit als eigene Geschichte fassbar. Dieses Vorgehen ist ein Alleinstellungsmerkmal der Waldorfschulen, das dem Orientierungsbedürfnis des Schülers in einer globalisierten, interkulturellen Gesellschaft Rechnung trägt. Denn das Zeitalter der Globalisierung fordert, sich auf fremde Lebens- und Denkformen einzulassen. Der 2003 verstorbene amerikanische Kulturkritiker Neil Postman schlug in seinem Spätwerk »The End of Education« die Revision des national orientierten Geschichtsunterrichts vor. Er sah es als notwendiges Bildungselement an, sich mit den Denkangeboten alter Kulturen zu beschäftigen und dabei archäologische und anthropologische Methoden anzuwenden. Der Geschichtsdidaktiker Bodo von Borries schlägt vor, die Geschichte in ihrer Gesamtheit zu thematisieren und auf mehreren Ebenen zu reflektieren. Er verweist auf eine Analyse deutscher Abituraufgaben, in der festgestellt wird, dass die europäische und universale Dimension der Geschichte unterschätzt und die Aufgaben auf deutsche Themen verengt würden. Unter Weltgeschichte versteht der Waldorflehrplan einen Unterricht, der die gesamte Geschichte betrifft und die frühen Kulturen einschließt. In jeder Unterrichtsstunde soll er dazu beitragen, dass die Schüler sich selbst und die Herausforderungen ihrer Epoche verstehen. Der Waldorfpädagoge und Historiker Christoph Lindenberg bezeichnet einen solchen Geschichtsunterricht als historische Anthropologie. Von Borries vertritt die Auffassung, dass sich Geschichtsunterricht hin zu einer

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Unter Weltgeschichte versteht der Waldorflehrplan einen Unterricht, der die gesamte Geschichte betrifft und die frühen Kulturen einschließt.

Geschichte wird als Menschheitsgeschichte und damit als eigene Geschichte fassbar.

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› Kategorienliste und weg von einem Stoffkanon entwickeln muss. Denn der globalen

Unter Weltgeschichte versteht der Waldorflehrplan einen Unterricht, der die gesamte Geschichte betrifft. In jeder Unterrichtsstunde soll er dazu beitragen, dass die Schüler sich selbst und die Herausforderungen ihrer Epoche verstehen.

Dimension kann nicht mit festgelegten Inhalten entsprochen werden, sondern nur dadurch, dass Kulturphänomene anhand von Beispielen verdeutlicht werden. Aus eben solchen Überlegungen aber resultieren die Vorschläge des Waldorflehrplans, in der 12. Klasse geschichtliche Überblicke zu erstellen. Von Borries stellt in seiner Expertise zu einem Kerncurriculum Geschichte fest, dass Gymnasiasten sich schwer tun, das Fremde zu verstehen und den Wandel wahrzunehmen. Hier zeigt der Lehrplan der Waldorfschule mit seinem doppelten Durchgang durch die Kulturgeschichte und der abschließenden Reflexion geschichtlicher Erzählstrukturen in der historischen Überblicksepoche der 12. Klasse andere Möglichkeiten. In den Klassen 10, 11 und 12 werden Verfahren mit den Schülern praktiziert und eingeübt, wie sie die Fachdidaktikerin Susanne Popp für einen modernen Geschichtsunterricht anregt. Sie schlägt vor, zu vergleichen, was zur gleichen Zeit in verschiedenen Weltteilen geschah, oder wie verschiedene Kulturen mit ähnlichen geographischen Gegebenheiten umgingen. Solche methodischen Ansätze ermöglichen nach Ansicht Popps, lokale und nationale Ereignisse oder Prozesse in den Wandel großer Zeitlinien einzuordnen und somit das Bewusstsein für geschichtlichen Wandel differenzierter zu entwickeln. Und eben solche Zusammenhänge werden in der Überblicksepoche der 12. Klasse an der Waldorfschule hergestellt. Es hängt sicherlich stark vom jeweiligen Lehrer und seiner Unterrichtskultur ab, ob und wie die politikorientierte nationale Geschichtsbetrachtung, wie sie in den Abschlussklassen der Gymnasien praktiziert wird, in Beziehung zum kultur- und bewusstseinsgeschichtlichen Konzept der Waldorfschulen gebracht wird. Tragisch aber wäre es, wenn die Waldorfschule mit der Überblicksepoche in der 12. Klasse das Element aufgäbe, das zu einem differenzierten und reflexiven Geschichtsbewusstsein entscheidend beiträgt. Dann würde ausgerechnet das abgeschafft, was als Zukunftsaufgabe gefordert ist, und was bislang nirgends außer an Waldorfschulen in dieser Weise geboten wird. ‹› Zum Autor: Michael Zech ist Oberstufenlehrer für Deutsch, Geschichte und Sozialkunde und arbeitet als Dozent am Lehrerseminar für Waldorfpädagogik in Kassel. Literatur: Bodo von Borries: Historisch Denken Lernen – Welterschließung statt Epochenüberblick. Geschichte als Unterrichtsfach und als Bildungsaufgabe. Opladen&Framington Hills 2008; Bodo von Borries: »Kerncurriculum Geschichte in der gymnasialen Oberstufe.« In: Kerncurriculum Oberstufe II, Weinheim 2004; Christoph Lindenberg: Geschichte lernen. Thematische Anregungen zum Lehrplan. Stuttgart 1981; Susanne Popp: »Orientierungshorizonte erweitern – welt- und globalgeschichtliche Perspektiven im Geschichtsunterricht.« In: Informationen für den Geschichts- und Gemeinschaftskundelehrer, Heft 69/ 2005

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Ein bisschen Drill am Schluss genügt

von Alain Denjean

Nicht oder mangelhaft ausgebildete Lehrer, veraltete Methoden, Drill statt Kreativität, demotivierende statt erwärmende Texte – zum Glück kommen alle diese Elemente selten zusammen vor! Dennoch wird der Fremdsprachenunterricht in den Oberstufenklassen mancher Waldorfschulen als Problemfach angesehen, nicht nur von Eltern und Schülern, sondern auch von Kollegen selbst. Auf der anderen Seite kennen ehemalige und jetzige Waldorfschüler, Eltern und Kollegen, einen gediegenen Fremdsprachenunterricht mit großem Erfolg beim Abitur, der auch die Schüler begeistert und von welchem manche später sagen, dass sie durch ihn die Liebe zum fremden Land entwickelt haben. – Hier berühren wir schon die Grundfrage: Wer kann sachlich beurteilen, wie die Situation in den Waldorfschulen wirklich ist? Negatives erzählt man gerne. Schon deshalb, weil man durch Gleichgesinnte sein Teilurteil bestätigt haben möchte. Häufung ersetzt Sachlichkeit.

Unterricht in Fremdsprachen wird in der Oberstufe aus unterschiedlichsten Gründen oft als problematisch erlebt. Alain Denjean, langjähriger Lehrer an der Freien Waldorfschule Uhlandshöhe in Stuttgart und zuständig für die Didaktik an der Freien Hochschule in Stuttgart, setzt sich mit den unterschiedlichen Facetten des Problems auseinander.

Ich möchte daran erinnern, dass man Leistungen von Künstlern immer in Frühwerk, Hauptschaffenszeit und Spätwerk gliedert. Da der Fremdsprachenlehrer in der Waldorfschule bei allem wissenschaftlichen Anspruch vor allem ein Erziehungskünstler ist, muss man berücksichtigen, in welcher Phase seines Werks er sich gerade befindet, wenn man ein Urteil über ihn fällt. Wenn der Lehrerwechsel häufig ist, so befinden sich diese Lehrerpersönlichkeiten mitten oder am Anfang ihres Frühwerks. Wer hat den frühen Van Gogh für einen großen Künstler gehalten? Umso zentraler wird die Frage: Wie halten wir junge Lehrer in unseren Schulen? Einige können mit dem Künstlerischen nichts anfangen, zögern, die Arbeitsmenge auf sich zu nehmen, oder stellen bald fest, dass ihre pädagogischen Motive den Zielen der Waldorfpädagogik nicht entsprechen. Von diesen Lehrern im Vorfeld der Waldorfpädagogik sprechen wir zu oft.

Ein Teil der Probleme ist also ein Profilproblem: Möchte man einen wissenschaftlich orientierten Fremdsprachenlehrer mit aufgeweichten Staatsschulmethoden haben

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› oder einen Erziehungskünstler? Der allein wissenschaftlich ausgebildete Lehrer ist

Wir Lehrer stehen oft in der Kritik der Eltern und Schüler.

am Ende seiner Ausbildung fertig; er braucht nur noch ein wenig Erfahrung. Der Erziehungskünstler beginnt sein Wirken erst am Ende seiner Ausbildung, indem er sich künstlerisch betätigt. Von vornherein braucht der Waldorflehrer mehr Zeit als andere. Deshalb spielt die Fortbildung in der Waldorfpädagogik eine große Rolle. Ein zweiter Aspekt, nun bei Lehrern, die sich mit der Waldorfpädagogik verbunden fühlen, ist die Methodenfrage. Als ich anderthalb Jahre lang den Fremdsprachenunterricht in Waldorfschulen besuchte, habe ich oft gemerkt, wie die Unzufriedenheit von Schülern und Eltern sich an ungeschicktem Verhalten im Methodischen entzündete. Einige Ratschläge nach dem Unterrichtsbesuch wirkten Wunder und selbst die Kinder merkten schnell, dass sich etwas änderte. Ein »Softmentorierung« durch erfahrene Kollegen, die nicht dem eigenen Kollegium angehören, hilft sehr.

Zu Recht, weil wir eine gewisse Einseitigkeit in der Ausübung unseres Berufs aufweisen.

Eine dritte Ebene von Unzufriedenheit betrifft die Didaktik des Fremdsprachenunterrichts. Ist der Fremdsprachenunterricht ein Lern- oder ein Erlebnisfach? In der 1. Klasse ist er auf jeden Fall ein Erlebnisfach. Danach auch noch lange … und eigentlich bis zum Ende der 12. Klasse. Aber irgendwann wird er auch ein Lernfach. Ich meine, dass der Fremdsprachenunterricht erst mit der Einführung der Schrift in der 4. Klasse auch zum Lernfach wird, und zwar durch die Grammatik. In der

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M Menschenkunde unde und Erziehung u 69 ung

Lehrplan LLehr hrplan l

Pädagogischer Pädagogischer o A Auftrag und Un terrichtszie ele – Unterrichtsziele vom Lehrplan rplan der Waldor Waldorfschule W e Herausgegeben g g ben von TTobias Richter R

Lektürearbeit und in allem anderen muss der Unterricht Erlebnis bleiben. Das ist das größte Problem des Lehrbuchs, das alles auf die Ebene der Grammatik herunterzieht und langweilige, didaktische Texte anbietet. In der 6. Klasse kommt die Wortschatzarbeit zum Lernfach hinzu, und in der 7.-8. Klasse wird auch die Lektüre zum Teil Lernfach. Daneben lebt der Fremdsprachenunterricht in der Waldorfschule von Rezitationen, Theaterszenen oder kleinen Theaterstücken, Singen, Tanzen, Spielen, Referaten und später von spannenden kulturgeschichtlichen Elementen, die auf Monatsfeiern, Elternnachmittagen, Festen und in Portfolio-Mappen zum Ausdruck kommen. Diese Progression des Lernfachmäßigen innerhalb des Erlebnismäßigen kann anthropologisch begründet werden und erfordert von den Lehrern große Geistesgegenwart. In der Realität des Alltags bedeutet das, dass Lehrer sich trauen sollten, alle Methoden, die die Fremdsprachenpädagogik anbietet, ob neu oder alt, so einzusetzen, wie sie es brauchen, um ein pulsierendes Leben und eine Lernstimmung im Unterricht zu erzeugen. Dafür ist der Austausch zwischen den Kollegen hilfreich. Der Lehrer muss selbst entscheiden, ob er sich – je nach Altersstufe – vorwiegend an das Intellektuelle (Denken und Kopf), an das Gemüt (Herz) oder an den Willen des Schülers (Gliedmaßenaktivität) wendet. Durch die Berücksichtigung dieser Kriterien individualisiert sich der Unterricht von selbst und jeder kann in ihm das finden, was er braucht. Wir Lehrer stehen oft in der Kritik der Eltern und Schüler. Zu Recht, weil wir eine gewisse Einseitigkeit in der Ausübung unseres Berufs aufweisen. Die einen sind geniale Dilettanten, andere sind von einer einzelnen Methode überzeugt oder sind pedantische Experten, Klassiker, Modernisten, Drillspezialisten, Theaterliebhaber … Richten wir uns nach dem Menschen, dann spüren es Schüler und Eltern, und es entsteht spätestens in der Oberstufe ein anderer Dialog, in dem der Fremdsprachenunterricht nicht als Problemfach angesehen wird, sondern als Fach, in dem einzelne Probleme auftauchen können, die Lehrer, Schüler und Eltern trotz ihren jeweiligen Einseitigkeiten miteinander durch konkrete, der Situation angemessene Lösungen bewältigen können.‹›

Zum Autor: Alain Denjean ist Französisch- und Religionslehrer an der Waldorfschule Uhlandshöhe und Dozent an der Freien Hochschule in Stuttgart. Literatur: Rudolf Steiner: Die Erneuerung der pädagogisch-didaktischen Kunst durch Geisteswissenschaft, Vortrag vom 26.4.1920, GA 301, Dornach 1977

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www.geistesleben.com

Verlag Freies Geistesleben

Pädagogischer Auftrag und Unterrichtsziele – vom Lehrplan der Waldorfschule Herausgegeben von Tobias Richter. Menschenkunde und Erziehung 69 3., erw. und akt. Auflage 616 Seiten, gebunden € 25,– | ISBN 978-3-7725-2569-8

Der umfassende Lehrplan der Waldorfschule Dieses Buch dokumentiert den aktuellen Stand der Lehrplanarbeit und die Unterrichtstätigkeit an Waldorfschulen. Es bietet sowohl eine horizontale Übersicht – die Beschreibung dessen, was in den verschiedenen Altersstufen der Kinder und Jugendlichen unterrichtet wird – als auch eine vertikale Übersicht, die die Inhalte aller Fächer vom ersten bis zum zwölften Schuljahr skizziert. Die Angaben haben dabei keinen normierenden Charakter, damit die Freiheit gewährleistet bleibt, die jede Schule und jeder Lehrer benötigt. Ein unentbehrliches Arbeitsmittel für Waldorflehrer und eine Fundgrube für alle an Waldorfpädagogik interessierte Leser.

Freies Geistesleben


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Herausforderung Mathe von Stephan Sigler

Was unterscheidet den Mathematikunterricht in der Waldorfschule vom herkömmlichen Unterricht?

Die Mathematik hat bei Schülern den Ruf, ausschließlich ein Fach für Spezialisten zu sein: Die einen haben Freude daran und den Durchblick, die anderen empfinden es als lebensfern, weil sie all den auf sie einprasselnden Symbolen keinerlei Sinn und biographischen Bezug abringen können – Mathematik das Angstfach par excellence. Auch in der Waldorfschule gibt es das Fach Mathematik! Die pädagogischen Ideale sind dort diesbezüglich hoch: Es soll Vertrauen in das Denken geschaffen werden, das geordnet und erkraftet werden soll. Mathematik ist somit – verkürzt gesagt – eine »Vorschule zum Geist«. Welch wunderbare Aussichten für Waldorfschüler…! Doch was unterscheidet den Mathematikunterricht in der Waldorfschule eigentlich vom herkömmlichen Unterricht? Vielleicht nur die »nettere« Atmosphäre?

Auf die Methode kommt es an

Bildung ist nicht Entgegennahme von etwas, sondern der Prozess des Welt-Bildens (Hartmut Köhler).

Der Kenner der Waldorfpädagogik wird auf andere inhaltliche Schwerpunkte verweisen. Der Standardstoff muss allerdings ebenfalls unterrichtet werden, sodass es in erster Linie doch auf das Methodische ankommt. Auf diesem Felde ist auch nach über 90 Jahren Waldorfpädagogik noch sehr viel zu erarbeiten, denn schon ein Blick auf die aktuellen Entwicklungen der akademischen Mathematikdidaktik zeigt einen erheblichen Nachholbedarf! Die rein platonische Sicht, die Mathematik sei ein zu bestaunendes aber hermetisches Gebäude, ehern beständig in seiner Wahrheit, muss radikal aufgebrochen werden: Die Welt der Mathematik muss auch die Welt des Schülers werden – aber nicht so, dass der Schüler seine Welt verliert, sondern dass er seine Welt ins Mathematische erweitert. Bildung ist nicht Entgegennahme von etwas, sondern der Prozess des Welt-Bildens (Hartmut Köhler). Der Schüler wird in den Prozess des Bauens mit hinein genommen und wird so zum Selbstbauer. Die Einsicht in die allgemeine Richtigkeit und Gültigkeit der Sache muss zur Einsicht in die zueigen gemachte und gleichzeitig hervorgebrachte Wahrheit für den Schüler werden. Um diesen Schritt im Unterricht zu gehen, kann die methodische

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Gliederung, die Rudolf Steiner für den Hauptunterricht in der Oberstufe vorschlägt, wegweisend sein (siehe Literaturhinweis).

Drei Schritte zur Erkenntnis Ein erster Unterrichtsschritt besteht darin, dass Schüler in den zu erarbeitenden Phänomenbereich eintauchen. Da mathematische Phänomene nur vorhanden sind, wenn sie vom Schüler selbst hervorgebracht werden, muss gerechnet, gezeichnet und vorgestellt werden. Die Kunst dabei ist die, dass der innere Zusammenhang der Sache zwar in den Phänomenen lebt, aber noch nicht explizit wird und dass alle Schüler eintauchen können. Es handelt sich also darum, in das Werden der Erscheinung wahrnehmend tätig einzutauchen. Der Schüler lebt in der Sache mit, ist mit ihr zusammen. Die Sache selbst spricht sich in konturierter Weise aus. In einem nächsten Schritt werden die Phänomene nochmals ins Bewusstsein gehoben, beschrieben, geordnet, Entdeckungen ausgesprochen. Dadurch kann der Schüler sich etwas zueigen machen und gleichzeitig ein freieres Verhältnis zu der Sache gewinnen, in die er in der ersten Phase vollständig eingespannt war. Eine zufriedene, entspannte, zuweilen humorvolle Stimmung kann im Klassenzimmer herrschen. Bildlich gesprochen hat man sich mit dem Neuen befreundet und es sich mit ihm innerlich gemütlich gemacht. In der dritten Unterrichtsphase, die erst am nächsten Morgen, also nach einer Nacht, beginnt, werden die Phänomene auf ihren inneren Zusammenhang befragt.

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Welchen geistigen Funken kann man aus den Phänomenen schlagen?


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› Welchen geistigen Funken kann man aus den Phänomenen schlagen? Welches Licht wirft dieser Funke auf andere Bereiche, auf das, was sich der Schüler schon erarbeitet hat? Die Erklärungen werden weniger an die Phänomene herangetragen, als aus ihnen herausanalysiert. Sie zeigen nichts Neues, Anderes oder gar eine »Theorie«, die etwas »erklärt«, sie zeigen nur sich selbst. Sie sind durchsichtig geworden. Man kann durch sie hindurch auf das Wesen einer Sache blicken. Dabei kommt dem Lehrer ausschließlich eine moderierende Rolle zu; inhaltlich nimmt er sich vollständig zurück. Höchste Aktivität des betrachtenden Denkens ist schülerseitig gefragt. Die Schüler können und müssen dabei aber auf die gemachten Erfahrungen zurückgreifen. Alles lag ja schon vor Augen, jetzt wird es nur sichtbar gemacht. Dadurch entsteht überhaupt erst die Möglichkeit, wirklich selbstständig Gedanken an der Erfahrung zu bilden. In diesem Erlebnis der Selbstständigkeit des Denkens, das sich nicht abschließt, sondern in die (auch mathematische) Welt hineinführt, liegt ein Quellpunkt der Entwicklungsmöglichkeit von Jugendlichen.

Aufgaben der Schulbewegung

Man stelle sich vor, Eltern schickten ihre Kinder auf eine Waldorfschule, weil diese in der Oberstufe ein eigenes wissenschaftliches Profil hat.

Um dem in der Waldorfpädagogik Veranlagten noch näher zu kommen, braucht es dringend zweierlei: Einmal eine pädagogische Forschung, die den beschriebenen Lernvorgang genauer untersucht und befragt, die Fragen wie Binnendifferenzierung, Fähigkeitserwerb, Methodenvielfalt, Arbeitsformen in diesen Gang einordnet. Zum anderen muss die Waldorflehrerausbildung und -weiterbildung für die Oberstufe ein eigenes Profil gewinnen und deutlich intensiviert werden. Die Anstrengungen, auch finanzieller Art, würden sich lohnen: Man stelle sich vor, Eltern schickten ihre Kinder auf eine Waldorfschule, weil diese in der Oberstufe neben den üblichen Events Klassenspiel und Praktika ein eigenes wissenschaftliches Profil hat, weil dort der ungeheure, latente Idealismus der Schüler geistig Nahrung bekommt und neue, junge, akademisch gut ausgebildete Lehrer in die Oberstufen drängen, weil sie dort in obigem Sinne unterrichten dürfen. Wenn es nach über 90 Jahren Waldorfschule gelingt, in diese Richtung deutlich sichtbare Schritte zu tun, würde aus einem Zukunftstraum eine reale Perspektive. ‹›

Zum Autor: Stepahn Sigler ist Oberstufenlehrer an der Freien Waldorfschule Kassel und Dozent am Lehrerseminar in Kassel für Mathematik und Geographie. Literatur: Hartmut Köhler: Bildung und Mathematik in einer gefährdeten Welt. Buxheim/Eichstätt 1993; Rudolf Steiner: Menschenerkenntnis und Unterrichtsgestaltung 1921 (GA 302), dort besonders der 2. und 3. Vortrag, und Allgemeine Menschenkunde 1919 (GA 293), 9. Vortrag

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Bist Du wesentlich?

Hast Du Humor? Bist Du phantasievoll?

u D t s Bi n? 채 r e v sou Bist Du

diskussionsfreudig?

Stehst Du hinter

Deinen Aussagen?

Lehrs t D u m i ch selbs ts t

채nd iges

Arbeiten

?

Nimmst Du mich ernst? Was siehst Du in mir?

? h c i m u D Mags t


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Das Ende der Waldorfschule von Klaus-Peter Freitag

Wenn Abschlüsse ausschließlich Ziel und Wegbestimmung sind, dann würde Schule ihren Sinn verfehlen.

Jeden Morgen das Gleiche. Gymnasiasten in der Bahn auf dem Weg zu ihrer Schule: »Wie viele Notenpunkte hast Du?« Kein Wort über Inhalte, nur Noten. Die Zeit, in der das Fundament für das weitere Leben gelegt wird, verbringen die jungen Menschen die meiste Zeit in der Schule. Kann das Ziel wirklich nur ein »Abschluss« sein? Befragen Sie sich selbst, wie Ihre Schulzeit Sie geprägt hat. Was konnten Sie dagegen mit Ihrem Abschluss machen? In der Regel tauschen wir ihn nur gegen einen Ausbildungs- oder Studienplatz. Bildung hat aber einen »Nutzwert«, keinen »Tauschwert«. »Nicht gefragt werden soll: Was braucht der Mensch zu wissen und zu können für die soziale Ordnung, die besteht; sondern: Was ist im Menschen veranlagt und was kann in ihm entwickelt werden«, schwebte Rudolf Steiner als Ziel der Bildung vor. Haben wir heute schon ein Bild von dem, was in den einzelnen Schülern wirklich veranlagt, – heute würde man sagen – mit ihnen entwickelt werden kann? Auch wir Waldorfpädagogen sollten nicht so tun, als würden wir immer wissen, wie wir gute Schule – gerade auch in der Oberstufe – machen können. Vieles von dem, was Steiner sich erhofft, oder erträumt hat, muss von uns überhaupt noch entdeckt und entwickelt werden. Es reicht nicht, wenn Ehemalige sich an die Klassenfahrten, die Klassenspiele und Jahresarbeiten erinnern. Diese stellen zweifelsohne Höhepunkte dar, aber nur einen kleinen Teil des alltäglichen Unterrichts. Die Abschlüsse mit ihren Prüfungen sind nicht generell das Problem. In der Regel ist es sogar gut, wenn Schüler, wie Erwachsene auch, sich messen können. Wenn jedoch Abschlüsse ausschließlich Ziel und Wegbestimmung sind, dann würde Schule allgemein ihren Sinn verfehlen. Alle Überlegungen zur Gestaltung des Abschlusses – wir sprechen hier auch lieber von »Aufschlüssen« – müssen zum Ziel haben, pädagogische Freiheit in der Gestaltung und Begegnung zu ermöglichen. Auch Waldorfschulen kommen nicht ohne Abschlüsse aus. Ein eigener Ab-

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Menschenkunde und Erziehung 96

Bildungsplan W. M. Götte | P. Loebell | K.-M. Maurer

Entwicklungsaufgaben und Kompetenzen Zum Bildungsplan der Waldorfschule

www.geistesleben.com

Verlag Freies Geistesleben

Auch wir Waldorfpädagogen sollten nicht so tun, als würden wir immer wissen, wie wir gute Schule – gerade auch in der Oberstufe – machen können. Vieles von dem, was Steiner sich erhofft oder erträumt hat, muss von uns überhaupt noch entdeckt und

Wenzel M. Götte | Peter Loebell | Klaus-Michael Maurer Entwicklungsaufgaben und Kompetenzen Zum Bildungsplan der Waldorfschule. Menschenkunde und Erziehung 96 437 Seiten, gebunden € 28,90 | ISBN 978-3-7725-1696-2

Vom Leben lernen können

entwickelt werden.

schluss, der staatlicherseits anerkannt und zum Beispiel als Hochschulzugangsberechtigung anerkannt wäre, ist in Deutschland in absehbarer Zeit nicht zu realisieren. Daher wird zurzeit versucht, durch die Konzeption eines »European Diploma of Secondary Education«, wie es in England auf den Weg gebracht wurde, ein Tor, auch für eine formale Anerkennung zu öffnen. Darüber hinaus gibt es zwei weitere Projekte, die mit den Portfolioansätzen arbeiten. Das europäische Projekt »European Portfolio Certificate (EPC)« und das Projekt »Abschlussportfolio der Schulen in NRW«. – Dabei geht es in erster Linie um Befähigungsnachweise, nicht um Zugangsberechtigungen. Gleich, welchen Abschlüssen man sich stellt, das Entscheidende wird sein, ob man zu den Schülern und für sie steht und mit ihnen gemeinsam lernend einen wesentlichen und prägenden Lebensabschnitt beschreitet. Dann ist auch das Ende der Waldorfschule nicht das Ende der Waldorfschule.‹›

Zum Autor: Klaus-Peter Freitag ist Oberstufenlehrer für Mathematik und Philosophie und Geschäftsführer des Bundes der Freien Waldorfschulen

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Welche Entwicklungsaufgaben stellen sich in welchem Alter für die Kinder und Jugendlichen? Und welche Kompetenzen müssen entwickelt werden, um diesen Aufgaben gerecht zu werden? Die Darstellungen von Wenzel M. Götte, Peter Loebell und KlausMichael Maurer ergänzen den Lehrplan der Waldorfschulen um die Frage der Kompetenzen, die sich die Schüler in den verschiedenen Klassenstufen und den einzelnen Fächern aneignen – inhaltlich, methodisch und in sozialer Hinsicht. Für alle Lehrer und pädagogisch Interessierten gibt dieser Band vielfältige Anregungen; zugleich ist er ein wichtiger Beitrag in der gegenwärtigen Bildungsdiskussion.

Freies Geistesleben


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Blick über den Tellerrand Berufsorientierung in Bremen von Dagmar Figura

Es liegt an uns als Lehrer und Eltern, die Begeisterung des Jugendlichen fürs Leben zu stützen.

Es liegt an uns, Zukunft optimistisch zu beschreiben und ihre Veränderung zuzulassen.

Die Berufsorientierung ist eine Orientierung fürs Leben. Eine Projektgruppe der Waldorfschule Touler Straße in Bremen hat sich zum Ziel gesetzt, die Berufsorientierung als Angebot für die Weiterentwicklung der Persönlichkeit zu begreifen. Sie bietet Projekttage und einen Berufemarkt an, der von Eltern als Experten in ihrem Beruf gestaltet wird. Zudem begleitet die Projektgruppe Schüler im Praktikum. Darüber hinaus steht sie in engem Kontakt mit der Lehrerschaft und berät sich über den Stand der unterschiedlichen Bedürfnisse der Schüler – eine ungewöhnliche Perspektive für diese. Konkret heißt das: • Brücken bauen zwischen persönlichen Interessen und beruflicher Welt • Bewerbungstraining und Praktikumsreflexion als Angebot der Schule • Motivation von Schülern zu stärkerem Austausch untereinander • Informationsbörse zum Thema: Schule – was dann? • Eltern zeigen sich als Experten in ihrem Beruf • Kontakt zu Ehemaligen herstellen. In den Projekttagen gehen die Schüler in Kleingruppen auf Tuchfühlung mit ihren eigenen Interessensgebieten. Über eine Collagenarbeit entdecken die Schüler Verbindungen zwischen sich selbst, ihrem Interesse und beruflichen Ideen. In Gruppenprozessen und Bewerbungstrainings erleben und erkennen sie ihre Positionen. Mehrere Informationsbörsen präsentieren Angebote nach dem Schulabschluss – von Auslandsaufenthalten über Ausbildungen bis hin zu Studiengängen. Die Praktikanten zeigen sich hoch motiviert, wenn sie mit der »echten« Berufswelt in Berührung kommen, wenn »echte« Betriebe, den Zeugnisentwurf nutzend, die Potenziale der Schüler sichtbar machen. Die Spannung zwischen persönlichen und beruflichen Zielen weckt ungeahnte Ressourcen in den jungen Menschen und bietet Möglichkeiten, inne zu halten und zu reflektieren. Es liegt an uns als Lehrer und Eltern, die Begeisterung des Jugendlichen fürs Leben zu stützen. – Es liegt an uns, Zukunft optimistisch zu beschreiben und ihre Veränderung zuzulassen. – Es liegt an uns, Raum und Möglichkeiten zu bieten, damit Jugendliche Brücken zwischen sich und der Welt bauen können. ‹› Zur Autorin: Dagmar Figura ist Berufsberaterin für Schüler und Erwachsene und leitet eine Praxis für Familiencoaching: www.beratung-andiamo.de


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ANSCHLÜSSE & ABSCHLÜSSE

Den Anschluss an den Abschluss finden von Daniela Göttel

Seitdem ich vor etwa zehn Jahren zum ersten Mal das Chemieabitur an unserer Schule betreut habe, besuche ich regelmäßig unsere Abiturfeiern. Es war anfangs üblich, die Absolventen öffentlich über ihre Zukunftspläne zu befragen. Die Antworten waren wenig aufregend: »Erst einmal Pause machen«, »Mich selbst im Ausland finden«, »Ein soziales Jahr zur Selbstfindung«, »Ich weiß noch nicht«, »Ich geh erst mal zur Bundeswehr, dann sehen wir weiter. … « So oder so ähnlich klang es meistens. Konkrete Berufs- oder Lebensziele waren die Ausnahme. Um seinen Weg zu finden, ist es wichtig, ein breit gefächertes Angebot zu kennen und sich selbst richtig einzuschätzen. Eine Analyse und ein realistisches Bewusstsein für die persönlichen Stärken und Kompetenzen ist Grundvoraussetzung für eine (hoffentlich) gelingende Zukunftsplanung. Dabei kann Schule helfen. Unsere Schule bietet den Schülern vielfältige Möglichkeiten zur Selbsterfahrung. Diverse Auslandsaufenthalte und die bekannten Praktika gehören dazu. Eine Besonderheit ist der Handwerkerhof in der 9. Klasse, wo die Schüler verschiedene praktisch-handwerkliche Tätigkeiten auch außerhalb des Schulbetriebs erleben. Das Betriebspraktikum in der 10. Klasse bietet die Möglichkeit, für drei Wochen in einen selbst gewählten Bereich intensiv hineinzuschnuppern. Vermehrt werden Berufe aus der Mediengestaltung, dem Film, Funk und der Fotografie gewählt. Bewerbungsunterlagen, Vorstellungsgespräche, soziale und fachliche Kompetenzen müssen jetzt in der Arbeitswelt erprobt werden. Ebenfalls eine Besonderheit bildet das JUNIOR-Projekt in der 10. Klasse, das vom Institut der Deutschen Wirtschaft gefördert wird. Hier erfahren die Schüler die Arbeitgeber- und Unternehmerseite des Wirtschaftslebens als Vorstandsvorsitzende, Leiter der Finanz-, Verwaltungs-, Marketing- oder Technikabteilung und übernehmen Führungsaufgaben und unternehmerische Verantwortung. Ein ähnliches Feedback erhalten die Schüler der 11. Klasse im dreiwöchigen Sozialpraktikum, wobei hier natürlich soziale Neigungen oder Kompetenzen im Mittelpunkt stehen.

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Erfahrungen in Gröbenzell

Handwerkerhof Betriebspraktikum Junior-Projekt Sozialpraktikum

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Begegnung mit Ehemaligen

Lebensplanung

Berufsplanung Abitur Mittlere Reife Aufgaben Stärken und Schwächen

› Meine Konsequenz aus den ersten Begegnungen mit den Abgängern unserer Schule war es, einen Austausch mit Ehemaligen zu organisieren. Zu diesem freiwilligen Abend für Schüler der 11. bis 13. Klassen hatten wir, je nach Schwerpunkt der 12. Klasse Besuch von der Studienberatung einer Münchener Hochschule, einer Kunstakademie und von Hochschulprofessoren unterschiedlicher Fachrichtungen oder auch von der Agentur für Arbeit. Neben dem Impulsreferat dieser Gäste waren für die Schüler vor allem die Podiumsdiskussion mit Ehemaligen und die Berichte aus verschiedenen Fachbereichen bereichernd. Auf der diesjährigen Abiturfeier wurden die Schüler nach längerer Pause wieder nach ihren Zukunftsideen gefragt. Erfreulich war für mich, dass die meisten jetzt konkretere Pläne und Vorstellungen von ihrer Zukunft hatten. Die Gruppe von Schülern, die sich auf die Mittlere Reife vorbereiteten, begleitete ich über eine ganze Woche hinweg zum Thema Lebensplanung-Berufsplanung. Dabei spannten wir den Bogen von der Frage nach den Aufgaben in unserer Gesellschaft bis hin zum perfekten Bewerbungsgespräch. Zunächst beschrieben wir verschiedenste Aufgabenfelder der Gesellschaft. Soziale, kulturelle, wirtschaftliche, politische Berufe, Dienstleistungen oder produzierendes Gewerbe wurden charakterisiert und wir überlegten, welche Qualifikationen jeweils gebraucht werden. Über eine Stärken- und Schwächen-Analyse sollten die Schüler eine realistische Vorstellung für ihre Möglichkeiten entwickeln. Im Gegensatz zu ihren Schwächen können die Schüler ihre eigenen Stärken nur schwer benennen. Interaktive Spiele dienen dazu, die Aktivitäten der Schüler in Bezug auf Eigenorganisation, Teamfähigkeit und Zielorientierung zu beobachten. Die Beobachtung geschieht zum einen in Eigenwahrnehmung, aber auch durch Mitglieder der Gruppe, die nicht mitspielen. Die Ergebnisse werden mittels Fragebögen im Gespräch ausgewertet. Eigen- und Fremdwahrnehmung stehen sich gegenüber und ergänzen sich. Im »blinden Seilfünfeck« wird fünf bis zehn Schülern die Augen verbunden, einer bekommt ein wirres Seil in die Hand. Nun müssen sich alle so organisieren, dass nach 20 Minuten ein ordentliches Fünfeck mit etwa vier Metern Durchmesser am Boden liegt.

Über eine Stärken- und Schwächen-Analyse sollten die Schüler eine realistische Vorstellung für ihre Möglichkeiten entwickeln. Im Gegensatz zu ihren Schwächen können die Schüler ihre eigenen Stärken nur schwer benennen. erziehungskunst spezial Oktober | 2011


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Foto: Charlotte Fischer

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Eine anderes Spiel: Jedem Schüler wird ein Bogen Papier auf den Rücken geklebt, auf den jeder jedem Mitschüler eine positive Eigenschaft schreibt. Die Schüler sind erstaunt, welche Resonanz sie erhalten. Desweiteren verfolgten wir verschiedene Fragestellungen: Wie soll mein Arbeitsumfeld aussehen? (Ist es drinnen oder draußen, theoretisch oder praktisch? ...) Welcher Arbeitstyp bin ich? (spontan oder überlegt, Einzelkämpfer oder Teamarbeiter …) Was ist mein Arbeitsmotiv? (Einkommen, Anerkennung, Karriere, Zufriedenheit …) Dann erstellte jeder Schüler für sich ein kleines Profil mit den für ihn charakteristischen Merkmalen. Dabei wird besonders auf die Intimsphäre geachtet. Die Schüler geben nur Preis, worüber sie gerne Auskunft geben. Kaum ein Schüler hatte sich bisher die Frage gestellt, wie er sich seine Zukunft in zwei oder fünf Jahren vorstellt oder was er unternimmt, um dieses Ziel zu erreichen. Jetzt steht er vor dieser Frage und sie wird ernst und realistisch beantwortet. Im nächsten Schritt erkunden wir konkrete Berufsbilder im Internet oder mit Hilfe verschiedenster Lektüren (jobworld.de, bewerbung-forum.de, berufenet.de …). Wie ein Bewerbungsgespräch ablaufen kann und welche Fragen zur Falle werden könnten, beschäftigte uns abschließend. Wir spielten die Gespräche konkret durch und lernten anhand von Filmausschnitten richtiges und sicheres Auftreten. Die Resonanz bei den Schülern war positiv. Oft haben die Gespräche sehr persönlichen Charakter; deshalb ist eine Gruppengröße von maximal zehn Schülern empfehlenswert. – Allerdings sind wir von einem durchgängigen Berufsorientierungskonzept noch weit entfernt. ‹› Zur Autorin: Daniela Göttel ist Oberstufenlehrerin für Biologie und Chemie an der Rudolf Steiner Schule Gröbenzell, leitet die Schülerfirma »Junior« (10. Klasse) und betreut das Betriebspraktikum.

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»Ich weiß jetzt, was ich nicht will« Langzeitpraktika an der Freien Waldorfschule am Kräherwald von Ludwig Digomann

Mit der Einrichtung einer Klasse 11 P, deren Schwerpunkt auf das Praktische gerichtet ist, änderte sich unser Projekt zur Berufsorientierung völlig. Während die Schüler, die auf das Abitur zusteuerten, die Möglichkeit bekamen, die verschiedenen Unis im Rahmen des »Tages der offenen Tür« zu besuchen, bekamen die Schüler der 11 P über eine dreimonatige Praktikumsstelle einen tiefergehenden Einblick in das Berufsleben.

Mitte der 1990er Jahre bildeten Lehrer der Freien Waldorfschule am Kräherwald in Stuttgart zusammen mit einigen Eltern einen Kreis, der einen »Tag der Berufsfindung« organisierte. Zwei Mal im Jahr wurden an einem Samstag Persönlichkeiten aus den verschiedensten Berufen eingeladen, die auf Fragen der Schüler fachkundige Antworten geben konnten. Zuerst gab es kein bestimmtes Thema für diese Tage, in einem Eingangsreferat ging es über das Thema Beruf im allgemeinen und Ausbildung im Besonderen. Mit der Zeit wurden diese Berufsfindungstage unter ein Motto gestellt, wie »… rund um den Computer« oder »Traumjob oder Albtraum«, zu dem Referenten aus der IT-Branche, aus Fernsehen, Funk, Fußball und der Musikbranche gewonnen werden konnten. Im Laufe der Jahre kamen Oberstufenschüler dazu, die mit Herzblut die Tage mitorganisierten. 2003 änderte der Vorbereitungskreis das Konzept. Er holte nicht mehr Fachkräfte von außen in unsere Schule, sondern organisierte Besuche bei verschiedenen Firmen in Stuttgart und Umgebung, wobei die Schüler vor Ort Informationen über die verschiedenen Berufsfelder und die Ausbildungsmöglichkeiten bekamen. Vor allem große Firmen und Institutionen wurden besucht, wie Bosch, Daimler, das Diakonissenkrankenhaus oder das Staatstheater. Mit der Einrichtung einer Klasse 11 P, deren Schwerpunkt auf das Praktische gerichtet ist, änderte sich unser Projekt zur Berufsorientierung völlig. Während die Schüler, die auf das Abitur zusteuerten, die Möglichkeit bekamen, die verschiedenen Unis im Rahmen des »Tages der offenen Tür« zu besuchen, bekamen die Schüler der 11 P über eine dreimonatige Praktikumsstelle einen tiefergehenden Einblick in das Berufsleben. Dieses Berufspraktikum liegt zwischen den Weihnachtsund Osterferien und soll den Schülern das Berufsleben mit all seinen Facetten viel intensiver erlebbar machen, als es ein einwöchiges Praktikum je vermag. Wenn möglich, sollen die Schüler eine Praktikumsstelle für diese Zeit suchen. Die Erfahrung zeigt aber, dass sie oft aus verschiedenen Gründen zwei Stellen suchen müssen. Den Schülern der 11 P wird viel Eigenverantwortung übertragen. Sie suchen ihre Praktikumsstellen selbst und formulieren ihre Bewerbungsschreiben in Eigenregie.

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Während des Praktikums wird jeder Schüler von einem Lehrer der Klasse begleitet und betreut, der die Schüler vor Ort besucht, und mit ihnen und ihrem verantwortlichen Betreuer spricht.

Natürlich unterstützt die Schule diese Eigenverantwortlichkeit: Wir versuchen, vor den Praktika den Schülern in zwei Stunden pro Woche die Arbeitswelt, die Bewerbungssituation und alles, was damit zusammenhängt, näherzubringen. Während des Praktikums wird jeder Schüler von einem Lehrer der Klasse begleitet und betreut, der die Schüler vor Ort besucht, und mit ihnen und ihrem verantwortlichen Betreuer spricht. In der Woche nach den Osterferien findet nach dem regulären Hauptunterricht täglich von 10.00 bis 14.00 Uhr ein einwöchiges Berufsfindungsseminar statt. In diesem Seminar werden die Erfahrungen aus den Praktikumsstellen gesammelt und darüber hinaus beim Besuch großer Firmen und Institutionen in einen passenden Rahmen gestellt. In dieser Zeit machen die Schüler auf freiwilliger Basis den gevaEignungstest »Berufswahl«, der weitere Hinweise geben kann. Seinen Abschluss finden das Praktikum und das Berufsfindungsseminar in Form einer Präsentation der verschiedenen Praktikumsstellen vor Lehrern, Eltern und den ehemaligen Betreuern. Da ziehen dann oft die Schüler ein Resümee, bei dem man hören kann: »Das Praktikum nahm mir die Angst vor dem echten Berufsleben« oder »Das frühe Aufstehen und die Pünktlichkeit fielen mir schwer« oder »Ich weiß jetzt, was ich nicht will.« ‹› Zum Autor: Ludwig Digomann ist Oberstufenlehrer und mit anderen Kollegen zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit an der Freien Waldorfschule am Kräherwald in Stuttgart.

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Das Waldorfberufskolleg

Fünf Waldorfschulen – die Windrather Talschule, die Freie Waldorfschule HaanGruiten, Schloss Hamborn, die Freie Waldorfschule Bielefeld und die Emil Molt Akademie in Berlin – gehen mit dem Berufskolleg neue Wege in der Oberstufe. Die Schüler – die nicht alle Waldorfschüler sind – legen in diesem zweijährigen Ausbildungsgang nicht nur die Fachhochschulreife ab, sondern absolvieren auch Langzeitpraktika in Betrieben. Zwei Schulen berichten nach einem Jahr Erfahrung.

»Wann seid Ihr denn endlich mal wieder da ...?« werde ich immer wieder gefragt, wenn ich durch unsere Schule gehe. In der Tat, »wir« oder vielmehr »sie« – die Schülerinnen und Schüler unseres Berufskollegs – sind relativ selten »da«. Unsere Kollegiaten arbeiten nämlich zwei Drittel ihres ersten Jahres an ihren Praktikumsstellen in Jugendhilfeeinrichtungen, Kindergärten, Krankenhäusern, Wohn- und Arbeitsstätten für Menschen mit Behinderungen und erleben dort, was es bedeutet, wirklich gebraucht zu werden. Dies scheint mir eines der wesentlichsten Elemente zu sein, die das erste Jahr des Berufskollegs für Sozial- und Gesundheitswesen prägen. Einige der Kollegiaten habe ich, da sie von anderen Schulen kamen, im Rahmen ihrer Praktikumsstelle zum ersten Mal kennengelernt und war beeindruckt, welch hochmotivierte, zuverlässige und selbstständig arbeitende junge Menschen sich bei uns eingefunden haben. Auch über unsere eigenen Schülerinnen und Schüler bekamen wir nur Positives zu hören. Und so freuten wir uns sehr auf die wenigen Wochen, die wir mit ihnen epochenweise in der Schule zusammen arbeiten konnten. Irgendwie schienen manche schnell vergessen zu haben, dass Pünktlichkeit auch in der Schule Sinn macht und dass ihr Verhalten eine Auswirkung auf die Gesamtstimmung des Unterrichts haben könnte. Trotzdem und gerade weil wir um die Erfahrungen aus den Praktika wussten, konnten wir sehr gut mit ihnen arbeiten. Und ganz wichtig: ihre Erfahrungen im Praktikum gaben ihnen immer wieder die Möglichkeit, über ihre »Schülerrolle« hinauszuwachsen. Für die Zeit des Unterrichts stellt sich die Frage, ob an einem Berufskolleg, das sich an die staatlichen Richtlinien halten muss, überhaupt noch waldorfpädagogische Inhalte und Arbeitsweisen zum Zuge kommen. Wir haben den Eindruck, dass dies sehr gut möglich ist. Gerade für das erste Jahr sind die Richtlinien sehr freilassend formuliert und es gibt viel Gestaltungsfreiraum. Wie dies im zweiten Jahr aussieht, in dem die Kollegiaten das ganze Schuljahr Unterricht haben, der mit der Fachhochschulreife abschließt, können wir leider noch nicht sagen. Eine Illusion wurde uns allerdings genommen. Nämlich die, dass der Klassenverband vom Übergang aus der 11. in die 12. Klasse erhalten bleiben könnte. Durch die

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Jugendlichen, die von anderen Schulen kommen, entsteht eine völlig neue Gruppe und es beginnt ein neuer Abschnitt in ihrer Schullaufbahn. Und das ist, wenn man sie fragt, genau richtig! Sie wollen sich in diesem Alter in neuen Zusammenhängen und Gruppen erleben und neue Rollen für sich finden. ‹› Zur Autorin: Anne Schnitzler ist Oberstufenlehrerin für Mathematik an der Freien Waldorfschule Velbert-Langenberg und leitet das Berufskolleg.

Hochmotiviert erobern im August 2010 dreizehn junge Menschen »ihr« neues Berufskolleg. Zusätzlich zu Mathematik, Deutsch, Englisch und Gesellschaftslehre steht viel Technik in den Naturwissenschaften auf dem Stundenplan, da dies die fachliche Ausrichtung der zweijährigen Fachoberschule ist. Schwerpunkt des ersten Jahres sind jedoch eindeutig die rund 30 Wochen Praktikum, in denen die Schüler Berufe wie Fluggerätemechaniker, Medizinisch-Technischer Assistent, Veranstaltungstechniker oder Baubiologe kennen lernen. So vielseitig wie die Erfahrungen in der Berufswelt sind auch die Werdegänge der Schüler. Neben Gymnasiasten und Realschülern, Berufskollegiaten und VHSSchülern sind sechs Schüler mit Waldorfbiographie dabei. Sie haben es leichter mit Fächern wie Eurythmie und Musik oder Klassenspielproben, aber auch die anderen sind offen für Waldorfspezifisches. So konnte zuletzt ein gelungenes Klassenspiel zusammen mit der Klasse 12 über die Bühne gehen, wobei der Prozess bis dahin nicht unproblematisch war. Die Integration der Berufskollegiaten gestaltete sich wegen ihrer langen Abwesenheit in den Praktika schwierig, aber auch die selbstverständliche Identifikation mit einem Klassenprojekt fehlte zunächst. Im nächsten Jahr werden die Praktikumszeiten regelmäßig an drei Tagen pro Woche liegen, um den fachbezogenen wie auch künstlerischen Unterrichten eine größere Kontinuität zu ermöglichen. Der jetzige erste Jahrgang wird dann während eines rein schulischen Jahres auf die Prüfungen zur Fachhochschulreife vorbereitet. ‹› Zur Autorin: Astrid Gottschalk ist Oberstufenlehrerin für Mathematik und Geographie an der Freien Waldorfschule Haan-Gruiten und leitet das Berufskolleg.

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Erfahrungen im Praktikum geben die Möglichkeit, über die »Schülerrolle« hinauszuwachsen.

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› Portfolio und Waldorfabschluss

Es gibt viele verschiedene Arten von Portfolios: Von einfachen Mappen mit Schülerarbeiten mit Epocheheftcharakter bis hin zu umfangreichen Darstellungen der Entwicklung mit Selbstbeurteilungen der Schüler und Beurteilungen der Lehrer. Und es gibt viele verschiedene Auffassungen, wie Portfolios im Unterricht eingesetzt werden können. Wäre es denkbar, dass sich das Portfolio zu einem Waldorfabschluss entwickelt, der gleichwertig ist mit dem Abitur? Wir haben vier Experten gebeten, ein kurzes Statement abzugeben.

Rüdiger Iwan: Das Portfolio – gleichwertig mit dem Abitur? Wohl eher höherwertig! Wenn ein Schüler ein Portfolio erstellt und den damit verbundenen dialogischen Prozess durchläuft, wenn er in der Lage ist, über sein Lernen (in formalen und informellen Bereichen), seine Kompetenzen (fachlicher, personaler und sozialer Art) und über seine persönliche Vision beredt und begründet Auskunft zu geben, dann dürfte das die Einlösung dessen sein, was das Reife-Zeugnis immer vorgegeben hat zu sein, aber nie gewesen ist. – So kann sich das Portfolio zu einem Waldorfabschluss entwickeln. Mit Betonung auf: Entwickeln. Wir dürfen das Pferd nicht von hinten aufzäumen. Dort, wo das Portfolio primär als alternatives Prüfungsinstrument, als Abschluss-Mappe, eingeführt wird – noch bevor es die Chance hatte, die Unterrichtskultur und den Lehrerhabitus zu wandeln – bleibt alles beim Alten. Frank de Vries: Zurzeit vergeben 20 Waldorfschulen in Nordrhein-Westfalen einen eigenen Waldorfabschluss in Form eines Abschlussportfolios nach der 12. Klasse. Die Schülerleistung wird im Abschlussportfolio so dokumentiert, dass das individuelle Kompetenzprofil der Schüler direkt und unmittelbar in Erscheinung tritt. Dabei kann ein Kompetenzportfolio den Übergang von der Schule zum Beruf und den Zugang zum Studium wesentlich besser gestalten, als vergleichbare staatliche Abschlüsse. Obwohl heute bei Unternehmen und Hochschulen allgemein »Schlüsselqualifikationen« wie Eigenmotivation, Teamfähigkeit, Lernbereitschaft, Kommunikationsstärke und Kreativität gefragt sind, werden sie im staatlichen Berechtigungswesen nicht weiter berücksichtigt. Wenn die Waldorfschulen weiterhin nur auf staatliche Abschlüsse setzen, nehmen sie diesen Widerspruch und Verlust an Substanz für die Lern- und Berufsbiographie und für die beruflichen Chancen ihrer Schüler in Kauf. Es wird daher höchste Zeit, dass auch auf Bundesebene die Waldorfschulen einen eigenen Waldorfabschluss entwickeln und zur Anerkennung bringen! Christian Boettger: Ist es möglich, bei Eltern, Schülern und bei Universitäten und Betrieben parallel und alternativ zu den staatlichen Prüfungen ein Vertrauen in ein Abschlussportfolio zu vermitteln? Werden dann Schüler die gleichen Chancen haben, einen Studien-, Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu finden? – Ich bezweifle, dass das in absehbarer Zeit eintreten wird. – Im Mittelpunkt stehen doch die Schüler! Und für die liegen die Abschlussprüfungen in der 9. bis 11. Klasse weit weg – manchmal so

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Rüdiger Iwan: Das Portfolio kann sich zu einem Waldorfabschluss entwickeln.

weit, dass man als Lehrer etwas nervös in Bezug auf deren Arbeitshaltung werden könnte. – Durch das Portfolio zwingen wir die Schüler, früher an die Zeit nach der Schule zu denken. Lassen wir ihnen damit noch genügend persönlichen Entwicklungsfreiraum? Werden die schwächeren Schüler, die Spätzünder und Träumer mit ihren relativ schwachen Portfolios in Hinblick auf ihren Abschluss nicht zu früh mit ihren Schwächen konfrontiert? Wie motivieren wir sie? Durch (indirekten) Prüfungsdruck mit dem Portfolio? Oder durch die Inhalte der Epochen und Unterrichte? Ich habe bei meinen Schülern immer eine Art Wettbewerb mit den Freunden an den staatlichen Schulen erlebt. Sie wünschen zu erfahren, ob sie die zentralen Prüfungen genauso gut bestehen können. Und ich habe mich in meiner Arbeit als Waldorflehrer nie durch diese Forderung eingeschränkt gefühlt. Die Prüfungen waren eher eine Art Abfallprodukt. Thilo Koch: Portfolio als Abschlussdokumentationsmappe für Waldorfschulabgänger? JA! Das ist mit dem Europäischen Abschluss-Portfolio/ European Portfolio Certificate (EPC) bereits von zwölf Waldorfschulen aus acht EU-Ländern entwickelt worden und kann von allen Waldorfschulen Europas mit einer Oberstufe genutzt werden. Gleichwertig mit dem Abitur? NEIN! Er müsste MEHR-wertig sein. Das wäre beim EPC gegeben. Aber »gleichwertig« meint auch staatlich anerkannt und hier blockiert der deutsche Staat. Es gibt keine rechtliche Handhabe, mit der die Anerkennung eines gleichwertigen oder sogar mehrwertigen Waldorfabschlusses erzwungen werden könnte. Das hat der Arbeitskreis »Zukunft der Abschlüsse« in einem Rechtsgutachten klären lassen. Portfolio als Waldorfabschluss, mehrwertiger als das Abitur? JA! Mit dem in der Entwicklung befindlichen European Waldorf Diploma, das auf dem Waldorflehrplan beruht und das EPC als integralen Bestandteil nutzt, wird es in Europa – und Deutschland ist Teil davon – möglich. Ein Abschlussportfolio, das nur die »WaldorfExotika« beinhaltete, wäre kein Waldorfabschluss. Es müsste dann schon alle Fächer, Praktika, Projekte, Präsentationen und internen Prüfungen – und warum nicht auch die staatlich anerkannten Prüfungen – adäquat spiegeln. Ein solches Abschlussportfolio hätte eine positive Innen-Wirkung; das revolutionär-dynamische, am Kind, an der Klasse orientierte Lehrplan-Ideal Steiners könnte stärker und bewusster gelebt werden. ‹›

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Frank de Vries: Die Waldorfschulen sollten auf Bundesebene einen eigenen Abschluss anstreben.

Christian Boettger: Prüfungen sind eher eine Art Abfallprodukt des Unterrichts.

Thilo Koch: Das europäische Waldorfdiplom könnte an die Stelle des Abiturs treten.


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Was erwarten die Wirtschaft und die Hochschulen von Berufsanfängern? Dr. Michael Rogowski, Vorsitzender des Stiftungsrates der HannsVoith-Stiftung, langjähriger Vorsitzender des VoithKonzerns und ehemaliger Waldorfschüler.

Wenn gegen Ende der Schulzeit die Entscheidung für eine berufliche Erstausbildung oder einen dualen Studiengang ansteht, ist der Entscheidungsprozess für die jungen Menschen und ihre Eltern nicht so einfach. Was möchte ich gerne machen? Wo sind meine Stärken? Werde ich in dem Beruf erfolgreich sein? Auch die Firmen, die Ausbildungsplätze anbieten und Bewerbungen erhalten, haben ähnliche Fragen. Hat der Bewerber die Stärken beziehungsweise das Potenzial, das für diese Berufsrichtung entscheidend ist? Wird er erfolgreich die Ausbildung absolvieren? Passt er zu uns?

Für Antworten auf diese Fragen und um sich über die Bewerber ein Bild zu verschaffen, vermitteln auch heute noch die schriftliche Bewerbung, die formalen Zugangsvoraussetzungen und das entsprechende Zeugnis einen ersten Eindruck. Generell gilt, dass Noten in Hauptfächern und in auf das spätere Berufsbild bezogenen Schlüsselfächern bei der ersten Sichtung von Bewerbungen eine zentrale Rolle spielen. Noten erlauben einen Rückschluss auf Wissen und Intelligenz sowie auf Fleiß, Engagement, Leistungsbereitschaft, die Fähigkeit zum Denken in Zusammenhängen, Neigungen und Stärken. Noten sind ein wichtiges Selektionskriterium im Bewerbungsprozess. Je nachdem wie begehrt eine bestimmte Ausbildung ist, desto höher liegt der Notendurchschnitt in den berufsrelevanten Fächern. So liegt zum Beispiel bei der Voith GmbH der Notendurchschnitt bei Bewerbern für das duale Studium als Maschinenbauingenieur bei 2,5 in den Fächern Mathematik und Physik, Deutsch und Englisch.

Um den Erfolg einer Ausbildung besser prognostizieren zu können, verwenden viele Firmen heute Testverfahren. In den Testverfahren werden einerseits kognitive Fähigkeiten wie zum Beispiel analytische Fähigkeiten, Denken in Prozessen, Kombinations- und Abstraktionsfähigkeit sowie Selbstmanagement gemessen und andererseits Persönlichkeitsfaktoren wie Frustrationstoleranz, Selbstvertrauen und Zielorientierung. Während Testverfahren nicht überall eingesetzt werden, führt an dem persönlichen Vorstellungsgespräch kein Weg vorbei, das heute auch oft in Form eines

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www.geistesleben.com

gemeinsamen Auswahltages durchgeführt wird. Hier geht es darum, den zuvor gewonnenen Eindruck durch vertiefende Fragen – zum Beispiel in Bezug auf die soziale Kompetenz – abzurunden. Dazu gehören das Auftreten, die Zusammenarbeit und der Umgang mit Anderen, persönliche Interessen, Hobbys, das Engagement in Vereinen und Institutionen. In dieser Phase spielt auch die Frage, ob der Bewerber und die Firma zueinander passen, eine wichtige Rolle. Wenn der entsprechende Mix aus fachlichen und sozialen Kompetenzen stimmt, spielt es keine Rolle, aus welchem Schultyp der Bewerber kommt. Ich selbst war Waldorfschüler und habe es – alles in allem – nicht bereut. Zumindest vermute ich, dass gerade dieser Schultyp wesentlich zur Entwicklung einer authentischen Persönlichkeit beitragen kann. ‹›

Bestanden – Lebenswege ehemaliger Waldorfschüler 19 Gespräche, aufgezeichnet von Monika Schopf-Beige. 135 Seiten, kartoniert € 12,90 | ISBN 978-3-7725-1769-3

Individuelle Lebenswege

Kein Studium ohne eine Sehnsucht

« Nicht weil ich Waldorfschüler war, bin ich ein guter Geiger geworden, sondern durch ihre Pädagogik hat mir die Waldorfschule eine positive Grundeinstellung für mein Leben gegeben und insofern auch eine angemessene Vorbereitung, die Kunst, die in mir lebt, auszubilden.» Eckhard Fischer, Professor für Violine

Nach welchen Kriterien wählen Hochschulen heute Studienanfänger aus? Haben sie dabei besondere Erfahrungen mit ehemaligen Waldorfschülern gemacht? – Antworten gibt Professor Marcelo da Veiga, Gründungsrektor an der Alanus Hochschule in Alfter. Junge Menschen, die heute studieren, haben es mit ganz neuen Möglichkeiten zu tun. Bologna gliedert das Studium in Bachelor- und Master-Abschlüsse. Nach drei bis vier Jahren ist man fertig und kann sich dann entweder im eigenen Fach weiter spezialisieren oder im Masterstudium einen ganz neuen Schwerpunkt setzen und ist dann trotzdem mit 25 Jahren bereit für den Beruf. Jemand kann zum Beispiel im Erststudium ein künstlerisches Fach und dann im Master Wirtschaft studieren. Der Schulabgänger kann angesichts dieser Freiheit gelassener auf das Studium zugehen. Die Alanus Hochschule achtet darauf, dass die Bewerber die Bereitschaft zeigen, sich kritisch mit Zeitfragen zu beschäftigen und auf die ethische Verantwortung zu blicken, die sie mit einem Beruf übernehmen werden. Wer bei uns zum Beispiel Wirtschaft studiert, wird im Studium mit Fragen der ökologischen Nachhaltigkeit oder der sozialen Verantwortung konfrontiert. Wer für das

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« Zusammenfassend kann ich sagen, dass ich nicht weiß, was ich ohne die Waldorfschule gemacht hätte. Ich sehe in der Möglichkeit sie zu besuchen, einen der wichtigsten Faktoren in meinem Leben.» Dr. Konrad Schily,Arzt

Was wird aus Waldorfschülern? Wie blicken sie zurück auf ihre Schulzeit? 19 ehemalige Schülerinnen und Schüler geben Antwort.

Freies Geistesleben


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› Lehramt studiert, den versuchen wir für die hohe Verantwortung für den einzelnen

Professor Marcelo da Veiga, Gründungsrektor an der Alanus Hochschule in Alfter.

Menschen und für die Gesellschaft zu sensibilisieren. Ferner erwarten wir die Bereitschaft, über den Tellerrand des eigenen Studienfaches hinauszublicken und sich mit Studierenden anderer Disziplinen auseinanderzusetzen. Wir laden jeden Bewerber zu einem Gespräch ein und versuchen uns, ein Bild von seiner Motivation und seinen Fähigkeiten zu verschaffen. Es ist wichtig, mit einem Anliegen, mit einer Frage, mit einer Beunruhigung oder Sehnsucht in ein Studium einzutreten, sonst findet man keine Antworten. Zwar kommt der überwiegende Teil unserer Studenten nicht aus Waldorfschulen, aber unsere Erfahrung mit Absolventen von Waldorfschulen ist sehr positiv. Waldorfschüler sind häufig sehr motiviert, engagiert und fühlen sich in der Regel bei uns sehr wohl. Aus Gesprächen habe ich erfahren, dass dies daran liegt, dass sie einerseits das Gefühl haben, an einer ganz normalen Hochschule zu studieren, und andererseits doch die Möglichkeit sehen, an Dinge anzuknüpfen, die sie aus ihrer Schulzeit kennen. Im Kunstbereich bietet das Studium auch eine Alternative zum Abitur, denn nach einer Begabtenprüfung ist der Einstieg in das Studium auch ohne Abi möglich, und der Abschluss des Kunststudiums enthält neben dem Hochschulabschluss automatisch auch das Abitur. Das heißt, ein Kunstabsolvent kann anschließend auch noch andere Studiengänge an anderen Universitäten beginnen. Die Alanus Hochschule ist eine Kunsthochschule mit universitärem Status. Sie bietet verschiedene künstlerische und wissenschaftliche Studiengänge an. Regelvoraussetzung für ein Studium ist die allgemeine Hochschulreife, doch die Alanus Hochschule kann in ihre Studiengänge auch Studierwillige mit Berufsausbildung und -praxis aufnehmen sowie Anwärter ohne Hochschulreife, die eine besondere künstlerische Begabung in einem Aufnahmeverfahren nachweisen. ‹›


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Was wünscht eine Uni von ihren Studenten? Über entscheidende Anforderungen an heutige Studierende oder Berufsanfänger zu schreiben, fällt nicht leicht. Und das vor allem, weil wir in Zeiten hohen Erwartungsdrucks leben: Sobald Sie heute gewisse Anforderungen artikulieren, produzieren Sie hochgejazzte Lebensläufe, die versuchen, genau diese Kriterien zu erfüllen. Im Wissen um diese Paradoxie stelle ich dennoch drei Anforderungen aus meinen Beobachtungen der letzten zehn Jahre an der Zeppelin Universität und an vielen Schulen zusammen – verbunden mit der Empfehlung, einfach so zu bleiben, wie man ist:

Tim Göbel, Vizepräsident der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen

Die Grundfertigkeiten müssen sitzen: Lesen, Schreiben, Rechnen, Reden. Das Studium an einer Hochschule und die Beschäftigung mit wissenschaftlichem Wissen sowie die im Laufe des Studiums einsetzende eigene Produktion von wissenschaftlichem Wissen kann ohne diese Fertigkeiten nicht geleistet werden. Da helfen auch keine ausgeprägten sozialen Kompetenzen oder der Gewinn von sieben Planspielen. Die Schule muss den Schülern die Möglichkeit gegeben haben, sich diese vier Fertigkeiten anzueignen.

Erfolgreiche Menschen beobachten ihre jeweiligen Umwelten und Märkte und entdecken Nischen, die andere nicht sehen. Eine präzise Beobachtungs- und Wahrnehmungskompetenz hilft Studierenden, ihre eigene Nische zu finden. Hochschulen können dies fördern, indem sie Möglichkeiten des Beobachtungstrainings anbieten: Von der Bildanalyse in den Kunstwissenschaften bis hin zu kleinen intimen Runden, in denen Studierende mit Vorständen und Unternehmern plaudern und diese auf ihre Kompetenzen und Kompetenzsimulationen hin beobachten.

Heute ist es nicht ausreichend, etwas zu wissen oder zu können. Man muss es auch kommunikativ vermitteln können und wissen, wer die wichtigen »Spieler« sind. Hausarbeiten bereits in unteren Semestern können die schriftlichen Ausdrucks-

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› fähigkeiten von Studierenden fördern und unter Beweis stellen. Mündliche Präsentationen in Seminaren können für den späteren Elevator-Talk vorbereiten.

Graf Ferdinand von Zeppelin erlebte im Jahr 1908, acht Jahre nach der Jungfernfahrt des Zeppelins, den Absturz seines Luftschiffs bei Echterdingen. Er gab trotzdem nicht auf, glaubte an seine Idee, und heute gibt es immer noch Zeppeline. Der richtige Umgang mit dem Scheitern – sei es bei einer Klausur oder einer Jobbewerbung – will gelernt sein.

An der Zeppelin Universität gibt es unter den 772 Studierenden auch mehrere Dutzend, die von Waldorfschulen zu uns gekommen sind. Bei ihnen stechen drei Wesensmerkmale hervor: Erstens: Eine hohe Identifikation mit der Bildungsinstitution und der Philosophie der Schule oder Hochschule. Der Schüler ist in solch einem Verhältnis kein reiner Konsument, der die Institution für seine Zwecke der Bildung nutzt, sondern setzt sich mit ihr und ihrer Entwicklung aktiv auseinander. Dieses Sich-Auseinandersetzen trägt somit auch zur Identitätsbildung des Schülers bei. Viel Kritik an der Institution und den leitenden Personen bedeuten keine Abkehr des Schülers von der Schule, sondern sind Zeichen einer starken Bindung. Zweitens: Ein hohes Maß an Eigeninitiative. Das Umfeld wird aktiv (mit-)gestaltet, neue Ideen werden entwickelt und realisiert. Der Schüler versteht sich als aktiver Gestalter seiner jeweiligen Umwelten, nicht als reiner Konsument von Gegebenheiten. Diese Haltung hält oft ein Leben lang. Drittens: Passende Unangepasstheit als Haltung gegenüber Autoritäten. Wer sich in moderner Weise mit der Idee der Universität auseinandersetzt, konzentriert sich auf den kritischen Umgang mit Wissen und auf das Misstrauen dem Wissen gegenüber, das im Prozess zu immer neuem Wissen führt. Eine gute Mischung aus Demut vor Erwachsenen – vor allem auf Basis des Erfahrungsvorsprungs der Älteren – sowie eine selbstbewusste Haltung vor dem Hintergrund des eigenen Wissens zeichnen Waldorfschüler aus. ‹›

Waldorfschüler bringen die passende Unangepasstheit als Haltung gegenüber Autoritäten mit. erziehungskunst spezial Oktober | 2011


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Fragen eines Ehemaligen an die Waldorfschule von Benjamin Kolass

1. »Die Welt brennt, und wir machen Eurythmie« lautete der Titel unserer bundesweiten Schülertagung. Es war die Zeit des ersten Irakkriegs, ich besuchte die 11. Klasse, nachmittags gingen wir demonstrieren. Der Satz war ernst gemeint. Können wir nette Kunst machen, solange Notärzte, Lebensmittel für hungernde Kinder oder Feuerwehrleute dringender gebraucht werden? Mit der Frage blieben wir allein. Kein Lehrer griff sie auf … bis auf einen: Er rezitierte mit uns Goethes »Prometheus« auf dem Schlossplatz. Wir verstanden ihn ohne große Erklärung. Wahrscheinlich würde er heute keine Anstellung in der Oberstufe bekommen – als Schauspieler ohne Prüfungsberechtigung. Doch bei ihm war Kunst mehr als bürgerliches Statussymbol, Sahnehäubchen, lauwarmes Gewedel oder Ego-Shooting. Kunst hatte bei ihm keinen Zweck, sie hatte Sinn.

2. Erziehungskunst. Ich hatte damals nur eine dunkle Ahnung und verstand erst später, dass das, was die Erziehung in der Waldorfschule ausmacht, nicht in der direkten Anwendungsmöglichkeit zu suchen ist. Freilich habe ich eine Menge Praktisches gelernt, vom Melken über das Musikinstrument bis zum Grundverständnis eines Computer-Chips. Und nebenbei erlangte ich ein sehr gutes Ergebnis im MatheLeistungskurs. Doch solche allgemeinen Kulturpraktiken kann jede Pädagogik vermitteln. Dagegen waren die Bewegungen der Eurythmie, die genauen Beobachtungen in der Naturwissenschaft oder die Denkübungen anhand von Parabeln und Parallelen keine Vorbereitungen für gute Künstler oder Bauzeichner. Sie stärkten das Denken, trainierten den Umgang mit Gefühlen und waren anregend für eine produktive Auseinandersetzung mit der Welt. 3. Im Sportverein oder im Tanzkurs begegneten uns die Standardfragen: Fühlt Ihr Euch eigentlich irgendwie anders? Habt Ihr es schwerer, in der Gesellschaft zu bestehen, Euch zu bewerben oder einzugliedern? Schön, dass Ihr so viel Musik macht, aber was ist das eigentlich, dieser Tanz mit Schleiern, die – wie heißt das noch mal …? Jeder Waldorfschüler hat seine Antworten darauf. Auch wenn er sich fühlt, 2011 | Oktober erziehungskunst spezial

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› wie ein bemitleideter Eisbär im südländischen Zoo, wenn er versichert, dass er sehr

Wir haben mehr zu bieten als konservative Innenminister und Hollywood-Sternchen.

gut in dieser Welt klar kommt. Heute möchte ich dem widersprechen. Wir kommen nicht klar. Weil die Gesellschaft anders ist. Und es wäre doch schade, wenn die exotischen Unterrichtsfächer, die vielen Elternabende und Konferenzen nur dazu dienten, uns besser einzugliedern, erfolgreicher zu sein. Woran misst die Waldorfwelt ihren Erfolg? Welche Maßstäbe könnte es geben außer der Abi-Quote und der Anzahl akademischer Titel? Die vielen interessanten und individuellen Persönlichkeiten, die jährlich die Schule verlassen, sind schwer messbar. Doch ihre Qualitäten könnten sichtbarer werden, wenn zum Beispiel Dinge wie die Jahresarbeiten einen höheren Stellenwert bekämen. Denn wir haben mehr zu bieten als konservative Innenminister und Hollywood-Sternchen.

4. Was brauchen Waldorfschüler nach der Schule? Gewiss sollen sie sich mit der Welt, in der sie leben, auseinandersetzen, mit ihr ringen und sie verändern. Eine konstruktive Auseinandersetzung steht mit der Frage der Berufsfindung an. Brauchen wir Arbeitsamt-Broschüren im Schülercafé? Der eben neu erschienene Film »Berufswege« (www.berufswege.com) zeigt beispielhaft, wie es anders gehen kann. Wo setzen wir fort, was wir als Ideal in der Erziehung etabliert haben: etwas aus Interesse und Begeisterung zu tun? Oder: Wie erhalte und entwickle ich Begeisterung, auch später an den Aufgaben in der Gesellschaft? Wo sind die anthroposophisch orientierten Institutionen, die akzeptieren, dass wir anders sind? Nicht schräger, bunter, künstlerischer – sondern anders! 5. Spätestens als ich meine Tanzkurs-Liebe für einen Tag im Gymnasium besuchte, war klar, dass ich auf der richtigen Schule war. Jetzt wollte ich wissen, was an meiner Schule anders ist. Und bis heute bedauere ich die Angst vor zu viel Ideologie. Die beinahe feige Verdrängung, das Nicht-Wissen macht uns zum Sklaven der Gewohnheiten. Wissen um die Herkunft, um die Grundlagen einer Erziehung ermöglicht einen produktiven Umgang damit.

Wo sind die anthroposophisch orientierten Institutionen, die akzeptieren, dass wir anders sind? Nicht schräger, bunter, künstlerischer – sondern anders!

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Ist es vielleicht an der Zeit, am Ursprung wieder anzuknüpfen, an dem die Waldorfschule Teil und Folge einer Bewegung war, die alle Bereiche der Gesellschaft berührte, die die feudale und bürgerliche Restkultur ablöste und die sozialistische Bewegung wesentlich transformierte? – Vielleicht wird das jetzt im Ländle wieder möglich. Inwieweit sind die Waldorfschulen noch ein ernstzunehmender, erneuernder Kulturfaktor? Oder werden sie von den Medien nur deshalb abwechselnd mit halbwohlwollender Ironie besprochen oder in die Rassismus-Ecke geschubst, weil man sie als Privatschulbewegung in dieser Größe mit einer Zielgruppe, die überdurchschnittlich viele lesende Menschen aufweist, nicht ganz vernachlässigen kann? Was bewegen die Waldorfschulen darüber hinaus?

6. Manchmal frage ich mich: Sollte ich in guter alter Familientradition, nach Großvater und Vater nicht auch Waldorflehrer werden? Doch nach wie vor schreckt mich die Institution Schule als solche ab. Sie ist wie ein Krankenhaus oder Altenheim, eine Welt in der Welt, mit starren eigenen Regeln, sozialen Beziehungen und Verhaltensmustern. Das ist sinnvoll, denn heranwachsende Menschen brauchen das. Und es ist Unsinn, denn die Regeln und Verhaltensmuster sind längst nicht mehr für alle gleich. Würde mich ein erfahrener Lehrer zur Hospitation in einer Epoche einladen, ich würde wahrscheinlich kommen. Doch ins Seminar sitzen? Mein Unterrichtsstoff wäre sekundär. Ich würde unterrichten, was aktuell im Leben ansteht und an diesem Stoff Methoden vermitteln, grundlegende Fähigkeiten die überall gebraucht werden. An meiner alten Schule unterrichtete ich Projektmanagement parallel zum Einstudieren eines Klassenspiels. Ich freute mich darauf, mit den Schülern etwas zu entwickeln. Doch sie waren vor allem darin geschult, Aufgaben im 45-MinutenTakt abzuarbeiten. Wo sind das selbstständige Denken, das eigenverantwortliche Bearbeiten von Aufgaben über einen längeren Zeitraum geblieben?

7. Die eigentliche Frage ist jedoch nicht, was ich erlebt habe und anders oder gleich machen würde. Die Frage ist, wie muss Erziehung sein in einer Gesellschaft, in welcher Menschen heranwachsen, die eine Welt ohne Handy und Computer nicht mehr erlebt haben, die völlig neue Kommunikations- und Beziehungsformen, ein anderes Rezipieren der Welt, ein anderes Denken und neue Umgangsformen entwickeln? Was braucht es im neuen Jahrtausend, um Schule zu machen? Sind die Waldorfschulen da noch unserer Kultur voraus? Oder rennen sie hinterher? ‹› Zum Autor: Benjamin Kolass, Jahrgang 1975, besuchte die Waldorfschule Engelberg. Studium der Literatur und Geschichte in Berlin, Young Entrepreneur Programm, Kunstschaffender und Herausgeber der »projekt.zeitung«.

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projekt.zeitung. Texte zu Arbeit und Berufsfindung mit DVD des Films »Berufswege« von J. Conens und C. Schwarz über drei ungewöhnliche Berufswege. Beiträge von W.-U. Klünker, J. Conens, J. v. d. Meulen, O. Bishop, F. Lück. ISBN 978-3-941667-15-0 Zu beziehen über: www.projektzeitung.org projekt.zeitung, Wichertstr. 44, 10439 Berlin E-Mail: info@projektzeitung.org,


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46 SERVICE & INFO Links:

www.schule-beruf.de www.info3.de (Sonderheft Berufsbildung, erscheint jährlich als Beilage) www.freunde-waldorf.de (Freiwilligendienste) www.eos.de (Freiwilligendienste) www.jugendseminar.de www.waldorfschule.info (grundständige Waldorflehrerausbildung, Tagungen, Fortbildungen Oberstufe) www.bildung-fuers-leben.de www.waldorf-aktuell.de www.waldorfkindergarten.de (Waldorferzieherausbildung) www.youthsection.org www.horizoninternational.de (Auslandsaufenthalte während der Schulzeit) www.freunde-waldorf.de (Schüleraustausch) www.waldorf-sv.de (Waldorfschülervertretung/Schüleraustausch national) www.waldorf-direkt.com

Literatur:

Wenzel Götte: »Oberstufe und Jugendalter«, in: P. Loebell: Waldorfschule heute, Stuttgart 2011 Wenzel Götte: »Das Jugendalter«, in: W. Götte/ P. Loebell/ K.-P. Maurer: Entwicklungsaufgaben und Kompetenzen, Stuttgart 2009 Tobias Richter: Pädagogischer Auftrag und Unterrichtsziele. Vom Lehrplan der Waldorfschule, Stuttgart 2010 Monika und Helmut Kiel-Hinrichsen: Pubertätssprechstunde, Stuttgart 2009 Henning Köhler: Jugend im Zwiespalt, Stuttgart 2009

Therapie / Time out:

Schülermediation / Streitschlichter: Abschlüsse / Portfolio:

Freizeit / Ferienlager:

Sonstiges:

www.bli-hamburg.de (Bernard Lievegoed-Institut) www.janusz-korczak-institut.de (Henning Köhler) www.forum-zeitnah.de (Monika Kiel-Hinrichsen) www.naatsaku.de (Markus von Schwanenflügel) www.interesse-ev.de (Angelika Ludwig-Huber) www.apf-nrw.de www.ecswe.org www.epc-group.org www.cg-sozialwerke.de www.artaban.info www.aventerra.de www.eos-ep.de www.jugendsymposion-kassel.de www.freie-schule.de

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Pädagogische Forschungsstelle beim Bund der Freien Waldorfschulen

Das Handbuch zum Abschlussportfolio Kompetenznachweis und Lernbegleitung in Waldorfschulen. Ein Handbuch von Frank de Vries. 111 S. inkl. CD zum Handbuch

Das Abschlussportfolio der Waldorfschulen in Nordrhein-Westfalen ist auf eine breite Dokumentation von Kompetenzen und waldorfspezifischen Unterrichtsinhalten angelegt und wird am Ende der 12. Klasse vergeben.

• Befähigungsnachweis statt Berechtigungsschein • Vielfalt statt Einheit und Normierung • Individualisierung und Chancengerechtigkeit • Lernkompetenz fĂźr lebenslanges Lernen • Ăœbergang von Schule zu Beruf

ISBN 978-3-940606-75-4 | 12.00 Euro inklusive CD im Buch

Bestellen Sie im Internet: www.waldorfbuch.de oder per Fax bei: DRUCKtuell, Benzstr. 8, 70839 Gerlingen, Fax: (07156) 2008-26


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Faszinierende Farberscheinungen

Johannes Kühl

Höfe, Regenbögen, Dämmerung Die atmosphärischen Farben und Goethes Farbenlehre

Johannes Kühl lädt den Leser zu einem Streifzug durch die Farberscheinungen der Erdatmosphäre ein. Sorgfältige Beschreibungen und reiche Bebilderung regen dazu an, eines der schönsten Gebiete der Natur aufmerksamer zu betrachten. Zugleich ist diese Darstellung eine Einführung in Goethes Farbenlehre. Die teilweise selbst durchführbaren Experimente – in Anlehnung an die Goethesche Methode – führen zu einem Verständnis der Phänomene. Es zeigt sich, dass alle heute bekannten Arten, wie Farbe entsteht oder erscheint, in der Atmosphäre anzutreffen sind. Johannes Kühl: Höfe, Regenbögen, Dämmerung. Die atmosphärischen Farben und Goethes Farbenlehre. 173 Seiten, mit zahlr. farb. Fotos, gebunden mit SU | € 22,90 (D) | ISBN 978-3-7725-2380-9 www.geistesleben.com | Jetzt neu im Buchhandel!

Verlag Freies Geistesleben : Wissenschaft und Lebenskunst


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