LFI Magazin 3/2019 D

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3. 2019

APRIL

D 7,50 € A 8,50 € L 8,70 € I 8,80 € CHF 13,20

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L E I C A F O T O G R A F I E I N T E R N AT I O N A L

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Christian Werner Ana María Arévalo David Nissen Andy Summers

Nanna Heitmann


Mehrfacher Gewinner des TIPA-Awards – 2013/2017

„Das beste Fotolabor der Welt“

All rights reserved. We reserve the right to change prices and correct errors. Avenso Photo Art Inc. © Photo by Luke Stackpoole

Ausgezeichnet von den Chefredakteuren 29 internationaler Fotografie-Magazine

Ihre schönsten Momente in einzigartiger Galerie-Qualität. Ihr Motiv hinter Acrylglas, gerahmt oder als großformatiger Foto-Abzug. Unsere Produkte sind „Made in Germany“ – vertrauen Sie mehr als 100 Testsiegen und Empfehlungen! Einfach Ihr Foto hochladen und das Wunschformat festlegen, sogar vom Smartphone aus.

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LFI 3. 2019

P O RT F O L I O L I G H T B OX

F / S TO P

100 | LFI . GALERIE

8 6 | LEICA Q2

Über 25!000 Fotogafen präsentieren in der LFI-Galerie mehr als eine halbe Million Bilder. In diesem Heft: eine bunte Mischung aus Strukturen, Linien, City- und Porträtfotografie

Äußerlich hat sie sich kaum verändert, doch innerlich bietet sie einen neuen Sensor mit enormer Auflösung und viele weitere Möglichkeiten – die neue Q2

P H OTO

90 | SL SUMMICRON 35 Leica baut die Reihe der Summicron-SL-Objektive weiter aus und erweitert die Festbrennweiten für die Leica SL in Richtung Weitwinkel. Matt Stuart probierte das neue Objektiv aus

1 1 2 | I N T E RV I E W

Andy Summers: Montserrat, Lesser Antilles, July 1981

96 | M 1 0 - P „AS C 1 0 0 “ Das für den Herbst angekündigte Sondermodell Leica M10-P „ASC 100 Edition“ erscheint aus Anlass des hundertjährigen Jubiläums der American Society of Cinematographers

Das Design der Leica M10-P „ASC 100 Edition“ greift Elemente der Ur-Leica auf

Nach 100 Tagen im Amt hat sich der erste Direktor des Ernst Leitz Museums in Wetzlar unseren Fragen gestellt 116 | PHOTO LONDON

Christian Werner 6 | BONN

Werner nimmt uns mit auf eine Zeitreise in den früheren Regierungssitz Bonn. Eine Serie, durch die der Wind der 1960- und 70er weht

Die junge Fotomesse präsentiert zum fünften Mal eine sorgfältig kuratierte Auswahl von Galerien und Ausstellungen 117 | LEICA GALERIEN

Nanna Heitmann

Das Programm der Leica Galerien weltweit u.!a. mit Bruno Barbey in Istanbul und Nick Ut & Don Bartletti in Los Angeles

20 | AN FREMDEN UFERN

1 1 8 | AU S ST E L LU N G E N

Karge Steppen, verwunschene Wälder und besondere Menschen: An den Ufern des Jenissei fängt die Fotografin verzauberte Momente ein

Ana María Arévalo 36 | DIAS ETERNOS

Der jungen Venezuelanerin gelangen starke Bilder vom Alltag in sogenannten Haftzentren, zu denen der Zutritt eigentlich verwehrt ist

Garciela Itubide, Frankfurt; Robert Lebeck, Hamburg; Roger Melis, Berlin; Anja Niedringhaus, Köln; Miles Aldrige, Zürich 120 | BÜCHER Neue Publikationen von Felicia Honkasalo, Beat Schweizer und Antanas Sutkus sowie ein Werkverzeichnis von René Groebli 122 | MEIN BILD

David Nissen 5 0 | L I C H T U N D S C H AT T E N

In entsättigten Farben zeigt der französische Fotograf menschenleere Ladenfronten und Motels in den USA, die wie Kulissen wirken

Anatol Kotte fotografierte den übellaunigen Komponisten John Cage in Frankfurt 122 | IMPRESSUM

Andy Summers 6 2 | A C E R TA I N S T R A N G E N E S S

Seit 40 Jahren widmet sich der Ex-Gitarrist von The Police auch der Fotografie. Nun ist ein neuer Bildband mit seinen Aufnahmen erschienen

COVER: Nanna Heitmann,

aus der Serie Hiding from Baba Yaga

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L F I .G A L L E R Y

VO N D E R G A L E R I E Z U M B LO G FÜR BESONDERE BILDER

Die besten Aufnahmen in der LFI.Gallery – ab April auch im Blog

Über eine halbe Million Bilder – das zeigt die große Beliebtheit der LFI. Gallery. Damit die Perlen unter den Einsendungen nicht in den zahlreichen Neuzugängen untergehen, bieten wir zukünftig im LFI-Blog die Möglichkeit, Bilder einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen. Bisher hatten einzelne Fotografen die Chance, ihr Portfolio in einem gesonderten Blogbeitrag zu präsentieren. Ab April bauen wir dieses Angebot weiter aus: In einer neuen Blog-Rubrik zeigen wir regelmäßig Bilder von Nutzern der LFI. Gallery, die der Redaktion besonders gut gefallen haben. Ob es sich nun um ein spannendes Thema, eine besondere Bildkomposition, ein harmonisches Farbenspiel oder um technische Finessen handelt: Die Möglichkeiten aufzufallen, sind vielfältig! Genauso wie mit der Lightbox-Strecke in der gedruckten Ausgabe möchten wir auch mit dieser Online-Rubrik eine Plattform schaffen, um besondere Bilder hervorzuheben. lfi-online.de/blog

CONTRIBUTOR

Für den unverwechselbaren Sound von The Police sind nicht zuletzt die legendären Gitarren-Riffs von Andy Summers verantwortlich. Dass der Klangmaler sich auch auf visuelle Kompositionen versteht, hat er in den letzten Jahrzehnten bewiesen. Für ihn gehören Musik und Fotografie zusammen: „Die Qualitäten, nach denen ich suche, sind musikalisch. Das ist die Bedingung. Du denkst an Musik in Bezug auf Harmonie, Linie, Form, Ruhe, Dynamik … all das lässt sich in die Fotografie übertragen.“ 4 |

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CHRISTIAN WERNER Die Arbeit am Buchprojekt Bonn. Atlantis der BRD führte Werner immer wieder in die alte Bundeshauptstadt – eine schöne Erinnerung für den Berliner: „Ich bin ausschließlich auf aufgeschlossene und hilfsbereite Leute getroffen. Mitarbeiter im Bonner Stadthaus, im Kanzlerhotel oder im Bungalow, die mich allesamt freundlich empfangen haben. Ein Hausmeister hat sogar spontan einen Zahnarzttermin verschoben, um mir die ehemalige Bundespressekonferenz aufzusperren.“

NANNA HEITMANN

Unterwegs in der endlosen Taiga: „Sibirien ist unglaublich groß und große Teile wiederum sind nicht besiedelt: Wahrscheinlich ist Sibirien eine der letzten Regionen, wo es noch immer unerforschte Flecken gibt. Das Klima ist extrem. Im Sommer bis zu 50 Grad plus und im Winter sinkt das Thermometer auf bis zu 50 Grad minus. Auch dann schläft Valentin, den ich auf meiner Reise kennengelernt habe, draußen am Feuer. Er ist ein ehemaliger Offizier, traumatisiert durch Kriegseinsätze.“

Fotos: © Lawrence Impey; © Ilya Lipkin; © Andrej Soldatkin

A N DY S U M M E R S


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LEICA M

Christian Werner BONN

Rund 50 Jahre war Bonn Regierungssitz der BRD. In seinem Projekt hat sich Christian Werner der Erinnerung an diese Zeit verschrieben, mit ironisch-nostalgischem Blick betrachtet er die alte Bundesrepublik und ein StĂźck deutscher Geschichte.


Behutsam haben sich der Fotograf Christian Werner und der Autor Joachim Bessing für ihr Buchprojekt an ein Stück deutsche Geschichte herangetastet. Es ist eine Zeitreise in die Tage, als Bonn als Hauptstadt glänzte. Und zugleich ist es eine nüchterne Betrachtung dessen, was heute davon übrig ist: leere Tische und Stühle

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Die Gegenstände, die man auf den Bildern sieht, sind musealen Charakters. Kaum vorstellbar, dass es diese perfekt in Szene gesetzten Details noch gibt. 1991 hatte der Deutsche Bundestag Berlin zur Hauptstadt erklärt. 1999 zogen das Parlament und Teile der Regierung um. Sechs Bundesministerien blieben am Rhein

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„Auch oben, im 14. Stock, konnten wir bei keiner der Angestellten dort, mit denen wir ins Plaudern kamen, eine Art Distanz oder gar eine ironisch gebrochene Haltung herauspräparieren hinsichtlich ihrer Arbeitsumgebung“, so schildert der Autor Joachim Bessing seine Erfahrungen auf der Recherchereise

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Von Anfang an stand für mich der Titel fest für dieses Buch, aus dessen Bildteil die Motive größtenteils stammen, die auf den vorangegangenen Seiten zu sehen sind: Bonn. Atlantis der BRD. Ich dachte sofort an Christian Werner, der mir speziell durch zwei Monografien aufgefallen war als ein auf die selten gewordene Ästhetik des alten Westdeutschlands spezialisierter Künstler. Er war, das stellte sich heraus, wie ich selbst auch, so gut wie noch gar nie dort gewesen, in Bonn. All die Jahre nämlich, in denen Helmut Kohl der Bundeskanzler von Deutschland gewesen war, und somit meine gesamte Jugendzeit hindurch bis beinahe zum Abitur im Jahre 1990, war ich exakt null Mal in Bonn gewesen, immerhin die Hauptstadt der Bundesrepublik. Aus heutiger Sicht: eine Jugend ohne Berlin-Abenteuer – völlig undenkbar! Aber Bonn-Abenteuer – das klingt zwar ähnlich, war aber vermutlich von deutlich weniger pikantem Aroma. Selbst Helmut Kohl stellte kurz nach seinem Einzug in den Bonner Kanzlerbungalow fest: „Meine Theorie, dass die zwei Quadratkilometer um Bundeshaus und Kanzleramt nicht typisch sind für die Bundesrepublik Deutschland, hat sich für mich eindeutig bestätigt.“ Das würde Angela Merkel eventuell ähnlich ausdrücken hinsichtlich der 892 Quadratkilometer vor ihrer Bürotür, aber im Kleinen und Ganzen (in Wahrheit nimmt die Stadt Bonn ja mit sämtlichen Vororten doch etwas über 120 Quadratkilometer ein) war Bonn als Hauptstadt schon noch einmal anders speziell. Mit dem Berliner Regierungsviertel im Kopf, in dessen ideellem Zentrum sich das spielklötzchenhafte Kanzleramt und der aufgemotzte Veteranenschinken Reichstag gegenüberliegen, kann man in Bonn bloß staunen, wie in den paar Häuschen und Villen 60 Millionen Bundesdeutsche verwaltet und sogar regiert wurden. Dann kommt es einem plau-

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sibel vor, dass sich durch den Fall der Mauer und die sogenannte Wiedervereinigung die Bevölkerung vervierfacht zu haben scheint. Und entsprechend der Aufwand an Personal für die Regierung. Doch das Rätsel wird dann immer größer: Damals gab es noch keine PCs und es wurden Telexe verschickt aus gefriertruhengroßen Geräten, es gab Poststellen und keine Mobiltelefone, sondern klingelnde und surrende Schnurtelefonapparate in mehrfacher Ausführung in jedem Raum. Manche davon in Rot. Regalmeterweise Akten. Die Fragestellung der Atlantis-Forschung lautet: Wie gelang es zu Zeiten der Bonner Republik auf deutlich weniger Raum, mit einem deutlich größeren Volumen an Geräten und Ablage mit deutlich weniger Personal ein nur um ein Drittel kleineres Volk zu regieren? Oder umgekehrt: Was geschieht auf dem ganzen vielen Raum in Berlin? In Bonn fuhren wir zum Zwecke unserer Forschung zunächst ganz hinauf in das voluminöse Stadthaus, so heißt das Rathaus von Bonn. Man kommt gleich zu Beginn in eine mit Palisander getäfelte Welt, wie sie in Deutschland nur in den frühen 1970erJahren von Stuttgarter Architekten möglich gemacht werden konnte: mit raumgreifenden Aquarien, tadellos algenfrei gehalten, in denen Dreiecksfische vom Schlage Skalar müßig umhertreiben. Tiefstgelegtes Loungemobiliar und in den Sitzungssälen Sämtliches von Ray und Charles Eames – die mit den hübschen Rupfenstoffen bezogenen aus Aluminium, vintage. Aber ernst gemeint. Ich entdeckte in einer wie für Thomas Demand hergerichteten Ecke eine Schreibmaschine unter einer silbrigen Haube. Eine Olivetti. Es dauerte nicht lange, da fanden wir die Benutzerin. Frau Seul ist für die Vorschlagslisten zur Verleihung des Ordens für besondere Verdienste um das Land Nordrhein-Westfalen zuständig. Frau Seul sagte hinsichtlich des Einsatzgebietes ihrer Maschine: „Manchmal will ich einen Antrag beschriften.“ Frau Seul geht in diesem Jahr in Rente. JOACHIM BESSING

CHRISTIAN WERNER Der Berliner Fotograf arbeitet für viele nationale und internationale Magazine wie das Zeit Magazin oder Numéro. Der Fokus seiner Arbeit liegt auf Langzeitprojekten, aus denen mehrere Bücher entstanden sind: Stillleben BRD (Kerber 2016) und Die Blüten der Stadt (Suhrkamp 2018). Im Februar 2019 wurde sein Bildband Los Angeles im Korbinian Verlag veröffentlicht. Ebenfalls im Februar 2019 erschien Bonn. Atlantis der BRD (Matthes & Seitz Berlin). WWW.C H RISTI AN WE RNE R.ORG LF I- ON LI NE .DE /B LOG : SLIDESHOW MIT WEITEREN BILDERN AUS BONN

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BE S S ING, W E RN E R: BO N N. ATLAN TIS DE R B RD

Im Frühjahr 2019 erschienen Bessings und Werners Bonn-Beobachtungen als Buch beim Verlag Mattes & Seitz Berlin. Der Band umfasst 100 Seiten.


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LEICA M

Nanna Heitmann AN FREMDEN UFERN

Eine Reise ins Reich der Mythen: Der Jenissei, einer der längsten Ströme der Erde, leitete die Fotografin Nanna Heitmann wie ein roter Faden durch Sibirien. An seinen Ufern traf sie auf Einzelgänger, Aussteiger und Träumer, deren Welt sie in einfühlsamen Bildern festhielt.

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Von oben im Uhrzeigersinn: Ein kleines Fährboot ist die einzige Verbindung zur Außenwelt; Wildfeuer sind alltäglich in der dicht bewaldeten Gegend – hier brennt der Wald nicht weit von der Stadt Minussinsk; während sie auf den Bus warten, schläft Dolgas Tochter in der Sommerhitze auf dem Schoß; das Wasserkraftwerk Sajano-Schuschenskaja GES, dort wird die Wasserkraft des Jenissei nutzbar gemacht; ein Modellflugzeug, das Juri auf der Müllkippe fand, auf der er heute lebt. Vorherige Seite: Vaselisa lebt in dem kleinen Dorf Erzhey

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Nicht weit vom Ufer des Jenissei entfernt wohnt Juri zusammen mit seinen 15 Hunden. Auf der Müllkippe hat er sich eine Hütte gebaut und genießt die Freiheit, die das Leben ihm bietet – weitab von den Städten und ihren Bewohnern

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Oben: Hochzeitsgast in Znamenka; rechts: Aleksander bringt mit seinem Motorboot Anwohner Ăźber den Jenissei

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Schamanen vor einer Feuerzeremonie in der Tuwinischen Steppe. Während der Zeremonie werden die Geister um Schutz und Heilung gebeten. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion lebt auch der Schamanismus wieder auf

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Oben: Insekten- und Amphibiensammlung; rechts: Der Junge verletzte sich beim Kopfsprung

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Diese Seite: Der ehemalige Offizier Valentin lebt im Wald. Selbst im Winter schläft er unter freiem Himmel; Seite 33 im Uhrzeigersinn: weitere Schaustücke aus einer beeindruckenden Natur; Evgenii mit seiner Ratte Barclay in seinem Apartment in Krasnoyarsk – im Mai zieht er für ein halbes Jahr in die USA, um zu arbeiten und genug Geld für ein Auto zu sparen; die Schutzgeister des Heilers Adygzhi hängen in seinem Behandlungszimmer in der schamanischen Klinik. Viele Menschen suchen heute wieder Rat und Heilung bei einem Schamanen

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Ein traditionelles Pferderennen, die Temperatur betrug 43 Grad. Sieben Pferde starben in der Hitze

NANNA HEITMANN Geboren 1984 in Ulm, Studium des Fotojournalismus und der Dokumentarfotografie an der Hochschule in Hannover. Auslandssemester in Tomsk, Sibirien. FĂźr ihre Arbeit wurde Heitmann 2018 in die Shortlist der Emerging Talents des Online-Magazins Lensculture aufgenommen. Weitere Auszeichnungen: Vogue Italia Prize beim Women Photographers Grant des PHMuseum 2018.

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Natascha lief weiter und weiter. Nach einer Weile legte sie sich auf den Boden und hörte, wie die Erde zitterte und bebte. Da wurde dem Mädchen klar, dass die Hexe Baba Jaga schon ganz in der Nähe war. Sie holte den Kamm heraus und warf ihn über die rechte Schulter auf die Erde. An dieser Stelle entstand sofort ein hoher Wald. Da kam Baba Jaga angeflogen, sie versuchte den Wald zu passieren, doch sie stieß gegen die Bäume. Das Mädchen nahm das Handtuch und warf es über die rechte Schulter auf die Erde. An der Stelle entstand sofort ein Fluss, sehr tief und sehr breit. Baba Jaga gelangte ans Ufer und musste vor Zorn mit den Zähnen knirschen. Sie konnte nicht über den Fluss! Sie kehrte zurück zu ihrem kleinen Häuschen auf Hühnerbeinen. Meine Mutter stammt aus Russland. Abgesehen von Moskau war Russland für mich aber immer nur ein großer dunkler Fleck auf der Landkarte. Also entschied ich mich für ein Auslandssemester in Tomsk in Sibirien. Bislang waren meine Vorstellungen von Russland hauptsächlich von sowjetischen Kinderfilmen und slawischen Märchen geprägt, die ich als Kind gelesen habe und die mich auch für mein Fotoprojekt Hiding from Baba Yaga inspiriert haben. Baba Jaga ist eine wichtige Figur in der slawischen Folklore. Sie ist eine unberechenbare und gefährliche Hexe, die in einer kleinen Hütte mitten im Wald lebt. Für mein Fotoprojekt lieh ich mir einen russischen Jeep und eine Campingausrüstung von Freunden und fuhr mit ein paar Bildinspirationen und möglichen Zielen im Kopf in Richtung der Republik Tuwa. Dort half mir die Mutter einer Freundin, die dort als Geologin arbeitet, die richtigen Leute zu finden und an Orte zu kommen, die ich sonst wohl nicht gefunden hätte. Zumeist habe ich mich aber einfach treiben lassen. Der Jenissei, einer der längsten Ströme der Erde, leitete

mich auf meiner Reise wie ein roter Faden. Er entspringt in Tuwa an der Grenze zur Mongolei und schlängelt sich durch ganz Sibirien nach Norden, wo er schließlich in den arktischen Ozean mündet. Seinem Lauf folgend kam ich durch die raue Wildnis der sibirischen Taiga, einer Region, die reich an uralten Mythen und Ritualen ist. Ich sah meine Reise als eine Dokumentation des Lebens entlang des Flusses, aber auch der Mythen in dieser Region. Ich suchte nach traumähnlichen Bildern. Schnell wurde mir klar, dass der Fluss selbst keine große Rolle spielt. Meistens habe ich nach interessanten Charakteren Ausschau gehalten, denn seit jeher suchen an den Ufern des Jenissei und der angrenzenden Taiga Menschen Schutz und Freiheit: geflohene Leibeigene, Kriminelle, Abtrünnige oder einfach Abenteurer und Altgläubige. Visuell waren die alten russischen Maler eine große Inspirationsquelle für mich. Vor allem Iwan Bilibin, der alte russische Märchen illustriert hat, und Michail Nesterow, dessen symbolistische Bilder ich als kleines Mädchen in der Tretjakow-Galerie in Moskau bestaunt hatte. Das Ankommen in Tuwa ist mir noch sehr lebendig in Erinnerung. Man fährt immer höher durch das Sajangebirge und sieht weit und breit nur Wald und selbst im Juli noch Schnee. Hinter den Bergen hören die Wälder schlagartig auf und es breitet sich Hitze und eine endlose Steppe aus: die Republik Tuwa. Es ist, als würde man eine andere Welt betreten. Nahe der Quelle des Jenissei lebt Vaselisa. Ihre Eltern sind beide taubstumm und die einzigen Ungläubigen in einem Dorf, das nach jahrhundertealten Ritualen lebt. Vaselisas einzige Freundin wohnt im Dorf Sissim. Die Sommerferien über trennen sie der Jenissei und ein Fußmarsch voneinander. Nicht weit vom Ufer des Jenissei entfernt wohnt Juri, der sich auf einer Müllkippe eine kleine Hütte gebaut hat. Hier kann er seine 15 Hunde ernähren, hier lebt er frei. In der Stadt, wo sich im Winter dichter Kohlen-

staub auf die weiße Schneedecke legt, hält ihn nichts mehr. „Alle meine Freunde sind auf dem Friedhof. Drogen oder Alkohol.“ Wird er hier nicht mehr geduldet, findet er eine andere Müllkippe: „Sibirien ist groß.“ Folgt man dem Lauf des Jenissei in Richtung Norden, trifft man auf Valentin, einen anarchistischen Ökologen und ehemaligen Offizier, durch Kriegseinsätze traumatisiert. Heute lebt er auf seinem kleinen Grundstück mitten im Wald. Selbst bei minus 50 Grad schläft er noch draußen am Feuer. Vom Krieg hat er genug. „Alle Menschen dieser Welt, lebt im Frieden miteinander und schützt eure Wälder!“ Nur jenen erklärt er den Krieg, die die Wälder bedrohen. „Welch wunderbarer Wald. Wie viel wir hier von ihm haben! Aber wir brauchen mehr Wald zum Atmen. Die Menschheit rodete ihre Wälder. Sie müssen unverzüglich wiederaufgeforstet werden!“ Doch nicht alle Begegnungen auf dieser Reise erzählen von Freiheit und Sehnsucht. Manche spiegeln auch die Schwierigkeiten in der Region wider: die niedrige Lebenserwartung und die großen Alkoholprobleme. In einer Siedlung sprachen mich zwei ältere Damen an: „Heute ist die monatliche Rente ausgezahlt worden. Verschwinde von hier. Alle sind betrunken auf ihren Pferden unterwegs und mein Mann hat sich gerade erst erhängt.“ Heute zieht es viele Menschen in die großen Städte wie Moskau oder Sankt Petersburg. Umso spannender finde ich die Menschen, denen gerade die Weite Sibiriens den nötigen Freiraum gibt, um nach ihren Vorstellungen zu leben. AUFGEZEICHNET VON KATRIN IWANCZUK

N AN N AHE ITMAN N .CO M LF I -ON LI N E .DE/ BLOG : SLIDESHOW MIT WEITEREN BILDERN AUS DER SERIE EQUIPMENT: Leica M240 mit Summilux-M 1:1.4/50 Asph

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Ana María Arévalo

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Im südamerikanischen Krisenstaat Venezuela gibt es über 500 Haftzentren, in denen zum Teil willkürlich Inhaftierte oft jahrelang auf einen Prozess warten. Die venezolanische Fotografin Ana María Arévalo hat dort Zustände fotografiert, die sie als „dantesk“ bezeichnet.

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Von links im Uhrzeigersinn: Im regulären Gefängnis Ana Maria Campos II genießen die Inhaftierten deutlich mehr Privilegien; im Haftzentrum El Valle sind die Inhaftierten auf engstem Raum zusammengepfercht; die Frauen im Gefängnis Ana Maria Campos I vertreiben sich sie Zeit mit Domino. Vorherige Seite: Sarai Rivas, 20, befand sich zum Zeitpunkt der Aufnahme seit 45 Tagen im Haftzentrum La Yaguara, ohne einen Anwalt gesehen zu haben. Sie ist Mutter von zwei Kindern

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Von rechts im Uhrzeigersinn: Inhaftierte gehen den typischen Aktivitäten in La Yaguara nach – manche lesen, manche schreiben Briefe oder teilen sich eine Zigarette, Gefangene in La Yaguara, darunter ein minderjähriges Mädchen, suchen das Tageslicht; Daisy, 47, schaut in La Yaguara aus der Eingangstür, der einzigen Lichtquelle für sie und 22 weitere Gefangene. Vorherige Seite: Religion spielt in den Haftzentren eine große Rolle. Immer wieder finden, wie hier in La Yaguara, Gottesdienste statt, bei denen die Inhaftierten um Vergebung bitten

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VIEL E I N H A FT I E RT E FRAUE N S IN D D ROG E NAB H Ä N G I G . E S G I BT AU C H S C HWA N G E R E OH N E JE DE GE SU N D HE I T LI CH E V ERS ORGUN G.

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Das Tageslicht, das durch die vergitterten Fenster in die Zellen fällt, gibt den Frauen ein Gefühl für die Zeit. Ana María Arévalo setzt es geschickt als ästhetisches Mittel ein

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A R ÉVALOS AU FN AH M E N SIN D VON BE TÖR E N DE R IN T IM ITÄT – O HN E DAS GE SE H E N E ZU BE SC HÖNIGEN. DAS VER LE I H T I HN E N I HR E WUCH T.

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Von links im Uhrzeigersinn: Etwa 22 inhaftierte Frauen, darunter zwei minderjährige Mädchen, teilen sich eine winzige Zelle im Haftzentrum La Yaguara in Caracas, sie liegen den ganzen Tag auf Matratzen auf der Erde; auch ohne Spiegel und Besuche von außen legen die Inhaftierten in La Yaguara großen Wert auf ihr Äußeres, viele porträtierte Arévalo nur von hinten, auch um ihre Identität zu schützen; Daniela verbüßt in Poli-Valencia eine vierjährige Haftstrafe wegen Raubüberfalls, während ihre Tochter an Leukämie erkrankt ist

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Eine Inhaftierte im Gefängnis Maria Campos II hilft dabei, das Netz für ein Volleyballspiel aufzuhängen. Trotz ihrer Lage hat sie ihren Stolz nicht verloren

A N A M A R Í A A R É VA L O Geboren 1988 in Caracas, Venezuela, studierte sie Fotografie an der École superieur de Photographie in Toulouse. Arévalo nutzt die Fotografie für visuelle Erzählungen mit hohem dokumentarischen Wert. Für die Arbeit Dias Eternos erhielt sie ein Stipendium des Pulitzer Center on Crisis Reporting. Die Serie wurde bereits auf dem Lens-Blog der New York Times veröffentlicht.

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Es liegt nicht gerade auf der Hand, sich als junge Fotografie-Absolventin „Haftzentren in Venezuela“ als erstes eigenes Thema – über das noch nie jemand berichtet hat – auszusuchen. Doch Ana María Arévalo hat den Sprung ins kalte Wasser gewagt und startete ihr Langzeitprojekt Dias Eternos an den wohl bedrückendsten Orten ihres Heimatlandes. Es sind die Ärmsten der Armen, die in den sogenannten Haftzentren untergebracht werden und jahrelang nicht herauskommen, weil sie sich eine Kaution nicht leisten können.Die Zustände seien „dantesk“, wie Arévalo sagt: viel zu viele Menschen auf engstem Raum, weder nach Schweregrad der vermeintlichen Tat noch nach Geschlecht getrennt. Erstmals von den Zentren erfahren hatte sie von einer Journalistin, die für die Nichtregierungsorganisation A Window for Freedom arbeitet. Über sie entstand der Zugang. Schnell war für Arévalo klar: „Die Öffentlichkeit muss erfahren, was in diesen Zentren vor sich geht. Ich habe jetzt Einblick und dadurch auch eine gewisse Verantwortung, etwas daraus zu machen.“ Zunächst konzentrierte sie sich auf die inhaftierten Frauen, die schwanger waren, fragte, ob sie Hilfe benötigten, besorgte Lebensmittel und stellte Kontakte nach außen her. Die Kamera hatte sie von Anfang an dabei und auch aus ihrem Beruf machte sie keinen Hehl. Dann erweiterte sich ihr Fokus auf alle Frauen: „Ich hatte einfach sofort Zugang zu ihnen. Oft habe ich mich stundenlang mit den Frauen unterhalten, bevor ich auch nur eine Aufnahme machte. Sonst spricht niemand mit ihnen, niemand repräsentiert ihre Rechte.“ Die Fotografin wollte zumindest eine Zeugin sein, die Interviews und Fotos macht, um sie der Welt zu zeigen. „Ich denke nicht, dass ich das Leben der Frauen ändern kann, aber zumindest kann ich durch meine Arbeit zeigen, dass sie existieren“, so Arévalo weiter. Unter den Frauen, die sie

interviewte, fand sie Frauen mit psychischen Störungen, Drogenabhängige sowie Frauen mit Missbrauchserfahrung. Sie erhielten keinerlei medizinische Betreuung und waren auf engstem Raum zusammengepfercht, einige schon mehrere Jahre lang. Die Haftzentren sind ein Aufbewahrungsort für unwillkommene Menschen. Manche von ihnen konnten Schutzgelder nicht bezahlen oder wurden von korrupten Polizisten fälschlich beschuldigt. Manche haben wirklich Straftaten begangen: „Es geht mir nicht darum, ob sie schuldig oder unschuldig sind. Es geht mir um die Haftbedingungen, bei denen die Menschenrechte außer Kraft gesetzt zu sein scheinen.“ Arévalo besuchte im Laufe der Jahre etwa zehn Haftzentren und immer noch passierte es ihr, dass sie in Tränen ausbrach, wenn sie die Anstalt wieder verließ. Sie fühlte so viel Wut, Verzweiflung und „Ekel gegenüber einem System, dass diese Menschen einfach vergessen hat“. Das treibe sie aber eher an, weiterzumachen. Und das tat sie auch: mit der Leica-Kamera, die die Wachkräfte für eine kleine analoge Hobby-Kamera hielten, einem Aufnahmegerät und einem offenen Herzen. Manchmal sang sie für die Frauen, manchmal sprach sie Deutsch mit ihnen – Arévalo lebt inzwischen in Hamburg. Und sie nahm ihre Geschichten mit in die Welt. Doch nicht nur menschlich, auch technisch war das Fotografieren in den Haftzentren eine Herausforderung: Auf engstem Raum mit vielen Menschen, wenig Platz und wenig Licht ist man gezwungen, nah heranzugehen und auf Details zu achten. „Das Gute war“, so die junge Fotografin, „dass ich stets noch einmal zurückgehen konnte, wenn mir ein Bild nicht gelungen war. Ich konnte das Bild also so oft wiederholen, bis ich mit dem Ergebnis zufrieden war.“ Durch ein Stipendium des Pulitzer Center on Crisis Reporting wurde ihr 2018 eine erneute Reise in ihre Heimat Venezuela ermöglicht, um weiter an dem Projekt zu arbeiten. Arévalo fand heraus, dass sich ihre Art zu fotografieren verändert hatte:

„Diesmal wusste ich genau, was ich wollte: Ich wusste, wie ich meine Porträts mag und wie ich mich positionieren muss. Mein Auge war viel schneller und genauer.“ Die Fotografin schafft es, die Frauen in dieser würdelosen Umgebung würdevoll erscheinen zu lassen. Die Gruppenbilder strahlen eine Intimität aus, die fast an ein „Freundinnen beim Sleepover“-Flair erinnern. Die Porträts wirken ikonenhaft. Nie stellt sie ihre Protagonistinnen bloß, sondern lässt sie inmitten der Misere strahlen. Trotz ihres ästhetischen Ausdrucks beschönigen die Bilder nichts. Das verleiht ihnen ihre Wucht. Schönheit spielt in der venezolanischen Gesellschaft eine große Rolle, so auch in der Welt hinter Gittern. Die Frauen hegen und pflegen ihre Haare, sodass es kaum verwundert, dass manch eine sich lieber von hinten ablichten lässt. Dass der glänzende Haarschopf auch die Identität der Frauen verbirgt, ist da ein gewünschter Nebeneffekt. Die Leica Q aus dem LFI-Leihpool, die Arévalo zur Verfügung stand, war für dieses Projekt ausgezeichnet geeignet, denn sie ist schnell, lichtstark und durch den Autofokus einfach zu bedienen – Eigenschaften, die unter den in den Haftzentren herrschenden Bedingungen so nützlich waren, dass sich Arévalo inzwischen selbst eine Q zugelegt hat. Zu der Frage, ob das Projekt nun beendet sei, sagt sie: „Ich habe mit der Veröffentlichung gewartet, bis ich genug Material zusammen hatte, um den Zugang nicht zu verlieren. Es kann sein, dass bestimmte Türen nun für mich verschlossen bleiben. Aber beendet wird es für mich erst sein, wenn die Zustände sich zum Besseren verändert haben.“ DENISE KLINK

AMAGOS PH OTO.COM LF I -ON LI N E .DE/ BLOG : ONE PHOTO — ONE STORY EQUIPMENT: Leica Q mit Summilux 1:1.7/28 Asph

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David Nissen L I C H T U N D S C H AT T E N

In einem surreal anmutenden Spektrum zwischen Farbe und Schwarzweiß zeigt Nissen menschenleere urbane Sujets, die wie Kulissen wirken. Hinter seiner atmosphärisch aufgeladenen Typologie steckt eine philosophische Verhandlung von Einsamkeit in den Städten.

Ein typisches Motel an einem US-amerikanischen Highway, von zwei Quellen beleuchtet – dem Licht des Mondes und der Straßenlaternen

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Gefragt nach seinen Vorbildern nennt Nissen auch William Eggleston, der sich schon frĂźh mit schlichten, seinerzeit als nicht bildwĂźrdig geltenden Motiven befasste LFI

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Dieses einsame Haus bei New Orleans wirkt in Nissens Ästhetik noch einsamer. „Was ich an den Vereinigten Staaten schätze, ist die Weite. Manchmal muss man von einem Haus zum nächsten zehn Minuten mit dem Auto fahren“, sagt der Fotograf

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„Ich mag jede Art von Schriften, ganz besonders die auf Vintage-Reklameschildern. Diese VintageFonts habe ich irgendwo entlang der Route 66 gefunden“, erläutert Nissen LFI

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Dieses Motiv verbindet Nissen mit besonderen Gefühlen: „Das habe ich in Texas fotografiert. Texas war der erste Staat in den USA, in dem ich mich nicht immer wohlgefühlt habe: Die Leute wirken recht misstrauisch, so als ob jemand gleich eine Pistole ziehen würde. Aber ihre Häuser haben mir gut gefallen.“

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„Fotografieren kann ermüdend sein, will man die richtigen Motive finden. Im Filmgeschäft wird alles so für einen hingebaut, wie man es braucht“, stellt Nissen fest

D AV I D N I S S E N Nissen, 1969 in Valenciennes, Frankreich, geboren, studierte dort Fotografie und Malerei an der École des beaux arts. Er ist als Regisseur von Reportagen und Werbefilmen tätig. Für ihn sind Film und Fotografie zwei Medien, die sich ergänzen, wenn es darum geht, eine Geschichte mit Licht zu schreiben. Sein erstes Buch Deep Night veröffentlichte er 2017. Sein jüngstes Buch Shapes of Light erscheint im April 2019.

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David Nissen fand die Motive für diese Serie auf nächtlichen Streifzügen, auf denen er nach Motiven im Spannungsfeld zwischen Begegnung und Einsamkeit sucht. Seine Perspektive gleicht der eines Schlafwandlers. Durch die Entkontextualisierung schafft er Projektionsflächen zum Weiterträumen. Starke Licht- und Schattenkontraste bei Mondlicht bilden dafür die ideale ästhetische Entsprechung. LFI: In Ihren Arbeiten lassen sich Referenzen an Film und auch Malerei ablesen. Erzählen Sie uns bitte von der Wechselwirkung der beiden Medien Film und Fotografie. David Nissen: Zunächst habe ich an der Kunstschule die Fächer Zeichnen und Bildhauerei belegt. Ich wollte als Tischler arbeiten, aber nach einigen Jahren wechselte ich in die Klasse für Fotografie. In dieser Zeit habe ich mir viele Gemälde und Ausstellungen angesehen. Das Malen liegt mir also immer noch im Blut. Für mich sind Fotografie und Film zwei Leidenschaften, die sich gegenseitig ergänzen. Wie bereits gesagt, weisen Ihre Arbeiten auch Anklänge an die Malerei auf, manche Bilder scheinen sich auf Edward Hopper zu beziehen. Edward Hopper ist in der Tat ein ganz großer Bezugspunkt für mich, allein wie er Einsamkeit darstellte, Architektur mit einer sehr schönen Lichtsituation, die ich sehr schätze. Wie unterscheiden sich denn ein Film-Still und eine Fotografie? Warum kann man nicht einfach ein Film-Still aus einem Film nehmen und hat dann eine Fotografie? Sehr gute Frage! Bei der Arbeit im Filmgeschäft sind so viele Menschen involviert. Ich arbeite mit einer großen Crew, alles wird für einen fertiggestellt. Ich kann Licht hinzufügen, Dinge bewegen und alles so anordnen, dass ich genau das bekomme, was ich will. Aber auf diese Weise arbeite ich nicht …

... es gibt also einen dokumentarischen Ansatz bei Ihnen. Ja, im Gegensatz zu Gregory Crewdson beispielsweise. Er hat eine große Crew, die alles für ihn arrangiert. Ich hingegen arbeite für mich selbst. Aus diesem Grund kann ich ein Film-Still nicht als mein Werk empfinden, auch deshalb nicht, weil das in meinen Augen nicht ganz ehrlich wäre. Ich bin allein und konfrontiere mich quasi mit mir selbst, ich muss alles selbst erledigen. Ich mag es, wenn die Fotografie buchstäblich auf mich zukommt. Nicht so beim Filmen. Eine schöne Komposition ist einfach, weil alles für einen vorbereitet wird. Der Zeitplan ist eng, es bleibt keine Zeit zum Nachdenken. Bitte sagen Sie etwas zu Ihrer Herangehensweise. Ändert sich diese? Ich streune gerne umher, fahre Auto und höre Musik und bin allein, wenn ich von Fotografie träume, von Licht und Atmosphäre. Wenn ich eine gute Komposition sehe oder Architektur, die eine Geschichte erzählt, Licht, das mich zum Träumen bringt, warte ich normalerweise ab, ob das ein gutes Bild ergeben könnte. Aber dafür habe ich kein Rezept oder eine Methode. Ich versuche, meine Kamera immer dabei zu haben und hoffe, dass die Aufnahme zu mir kommt und ich meine Augen dann offen habe. Deshalb mag ich die M sehr, sie ist sehr klein und diskret. Ich denke, meine Methode ändert sich mit der Umgebung. Das einzige, was ich zusätzlich brauche, ist gutes Schuhwerk zum Herumlaufen! Wo haben Sie diese Serie aufgenommen? Wie haben Sie die Schauplätze Ihrer Aufnahmen gefunden? Um die perfekten Orte zu finden, fahre oder laufe ich herum wie ein Regisseur, der den perfekten Drehort für seine Story sucht. Ich arbeite mehr oder weniger genauso. An manchen Tagen bin ich glücklich, weil ich etwas gefunden und einige Bilder gemacht habe, manchmal gehe ich leer aus. Diese Serie ist 2017 und 2018 entstanden, als ich zwei Monate im Süden und Westen der USA unterwegs war. Unter den Orten, an denen ich fotografiert habe,

waren Städte wie Los Angeles, Marfa, Las Vegas, New Orleans, Houston, San Francisco, Austin, Dallas, Albuquerque, und Philadelphia. Aber am Ende ist das überhaupt nicht wichtig. Warum haben Sie diese Serie zusammengestellt und was wollen Sie mit diesen Bildern erzählen? Eigentlich geht es um mich als jemand, der Entmenschlichung, Melancholie und eine dystopische Stimmung in Städten wahrnimmt, in denen die Menschen immer einsamer werden. Sie fühlen sich allein, wie Geister. Das Thema habe ich mit Licht bearbeitet, weil es so ein dunkles, verzweifeltes Thema ist. Ich werde dazu ein Fotobuch machen, es soll im April 2019 erscheinen und wird Shapes of Light heißen. Mit welchen stilistischen Komponenten versuchen Sie, diese Entmenschlichung zu unterstreichen? Ich bin nicht der Photoshop-Typ. Ich arbeite nur mit natürlichem Licht, Polarisationsfiltern und langen Belichtungszeiten. Das meiste passiert in der Kamera, ich mache kaum Postproduktion, nur ein wenig Lightroom. Ihre Bilder sind sehr atmosphärisch. Sie schaffen Projektionsflächen, indem keine Menschen im Bild auftauchen. Es gibt kaum Hinweise darauf, wo man sich gerade befindet. Was sagt das über Ihre Intention aus? Dass ich die Menschen stattdessen in meine Welt einladen möchte. Deshalb ist es überhaupt nicht wichtig, wo die Schauplätze liegen. Ich möchte ihnen die Möglichkeit geben, eine eigene Geschichte zum Bild zu erzählen. INTERVIEW: CARLA SUSANNE ERDMANN

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Andy Summers

Ein haariges Versteckspiel, aufgenommen im Februar 1982 in San Francisco

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FĂźr Andy Summers sind Musik und Fotografie Seelenverwandte. Neben der Musik spielt seit 40 Jahren auch die Fotografie eine entscheidende Rolle in seinem Leben. Ein neuer Bildband zeigt nun das vielschichtige, kraftvolle, aber auch sensible Werk in seinem ganzen Reichtum. Sein Stil: expressiv-experimentell, oft surreal, aber oft auch humorvoll. Und immer in SchwarzweiĂ&#x;. 64 |

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Augenblicke aus dem Leben eines Musikers und Fotografen (im Uhrzeigersinn von links): New York, Januar 1982; Toronto, Kanada, August 1982; San Sebastiรกn (Cuzco), Peru, Januar 2009; Mexiko-Stadt, November 1980

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Summers hat ein Faible für skurrile Begegnungen und merkwürdige Situationen. Gefunden auf den vielen Reisen durch die ganze Welt: Kopenhagen, Dänemark, Januar 1982 (links) und Paris, Frankreich, April 2014 (rechts)

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Westliches Punk-Styling, längst auch bei der jungen Generation in China en vogue, entdeckt in Peking im August 2012


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FlĂźchtige Begegnungen auf der StraĂ&#x;e: Mexiko, April 1991 (links) und Tokio, Februar 2008 (rechts)


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In dem Traditionsorchester fällt die Sonnenbrille richtig auf: ein verkleideter Rockstar? Lijiang, China, Oktober 2013


Rätselhaftes und Merkwürdiges (von oben im Uhrzeigersinn): gesehen in Tokio, Japan, Oktober 2017, in São Paulo, Brasilien, April 2014, in New York, Juli 2008 und in Rio de Janeiro, Dezember 2007

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Licht- und Schattenspiel und ein enger Anschnitt sind typische Gestaltungsmerkmale des Fotografen Summers: gesehen in Shinjuku, Tokio, Februar 2008 (links) und Marseille, Frankreich, Juni 2008 (rechts)

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Details und Verfremdungen (von links oben im Uhrzeigersinn): Mexiko, Dezember 2017; eine gespenstische Hotelzimmerszene in Chicago, August 1982; Kalifornien, September 2010; Los Angeles, Mai 1983

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Der Dreiklang: Andy Stewart Sting – Fankultur von The Police, fotografiert in San Bernardino, Kalifornien, August 1982


Was für ein Segen, dass sich die Kreativität von Andy Summers nicht nur auf die Musik erstreckt, sondern dass auch die Fotografie seit 40 Jahren zu seinem Leben gehört. Alles begann 1979 auf einer Tournee, als The Police ihre ersten größeren Erfolge auch in den USA feierten: „Als ich im September 1979 in einem Midtown-Hotelzimmer in New York saß, amerikanisches Fernsehen sah und mit den Fingern den Hals meiner angeschlagenen Telecaster-Gitarre hinauf- und herunterlief, kam mir in den Sinn, dass ich mir eine echte Kamera besorgen sollte.“ Erfreulicherweise war die Fotografie für Summers aber von Anfang an mehr als bloße Ablenkung, denn schaut man heute auf seine ersten Motive, wird schon damals sichtbar, mit welch spezieller Wahrnehmung er seine Umgebung und sein eigenes Leben beobachtete. Aber es war noch ein weiter Weg des Lernens, des Ausprobierens und tiefgreifender Erkenntnisprozesse, bis die Fotografie so selbstverständlich wie die Musik ihren Platz in seinem Leben finden sollte. Als blutiger Anfänger startete Summers allerdings nicht, denn er hatte schon als Teenager eine erste Erfahrung mit der Fotografie im britischen Bournemouth: „In den Sommern jener Jahre arbeitete ich als Strandfotograf. Ich hatte eine große quadratische Box-Kamera und meine Technik bestand einfach darin, hinter einem Stapel Liegestühle hervorzuspringen und die Leute zum Lachen zu bringen, während ich den Auslöser drückte. Dann gab ich ihnen einen Gutschein, mit dem sie das Bild am nächsten Tag abholen sollten. Das war in der Tat das erste Mal, dass ich durch ein Kameraobjektiv schaute, durch ein Rechteck komponierte und versuchte, ein gutes Bild zu machen.“ Sein eigentlicher Traum war es allerdings, ein berühmter Musiker zu werden: „Zu Hause übte ich Gitarre wie ein Mönch betet und hörte mir meine kleine Sammlung amerikanischer

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Jazz-Platten an. Als Autodidakt in dieser Musikrichtung las und studierte ich alle Covertexte und wünschte mir, dass ich einer der Musiker auf den Covern dieser Langspielplatten wäre. Fast alle Bilder waren in Schwarzweiß und für mich ging die Gleichung ganz einfach auf: Diese Fotos waren das coole visuelle Pendant zur Musik.“ Und noch eine weitere frühe Prägung war für die spätere Fotografie entscheidend: der Film. In einem kleinen Vorstadtkino entdeckte Summers als Jugendlicher die großen, meist europäischen Regisseure: Truffaut, Fellini, Godard, Bergmann, Varda, Melville und Kurosawa begeisterten ihn: „Ich starrte auf die Leinwand, als wäre ich in einer anderen Realität angekommen. Die meisten dieser Filme waren in Schwarzweiß, und dieser Stil traf mich auf eine kraftvolle, emotionale Weise, die das Reale noch realer erscheinen ließ.“ Aber erst einmal sollte es mit der Musik vorangehen: Summers wurde Teil der Jazz-Szene in Bournemouth, spielte in verschiedenen Bands, studierte in den USA klassische Gitarre und Komposition an der California State University. Nach der Rückkehr nach England war er bald ein gefragter Gast- und Studiomusiker und dort lernte er bei Aufnahmen für Eberhard Schoener auch Sting und Stewart Copeland kennen, mit denen er dann in ein völlig anderes Leben katapultiert werden sollte. Ab Sommer 1978 startete die Weltkarriere von The Police, die als Pop-Rock-Band ihren unverwechselbaren Stil fand, indem sie Elemente von Reggae, Punk, Ska und später auch Jazz integrierte. Und ein stilistischer Crossover bestimmt vielleicht auch Summers’ Fotografie. Zunächst war es lediglich ein Ausprobieren, ein Treibenlassen durch die Straßen von New York: „Ich machte Fotos, aber es fühlte sich eher wie eine Karussellfahrt an, als die Stadt mit ihrem Kaleidoskop von Formen, Schatten und Linien auf mich einstürzte. Ich hatte das alles schon einmal gesehen, aber jetzt war es so, als sähe ich das alles zum ersten Mal, wenn ich die ganze Szene durch ein 50-mm- →

Das Leben als Rockstar, fotografiert in Nashville, August 1982 (oben), in Saint Louis, April 1982 (Mitte) und in NYC, August 1982 (unten). Zu der merkwürdigen Begegnung mit einem Zebra kam es im Januar 2017 in L.A. (rechts)


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einbringen könnte, so wie eine Outside-Improvisation über einen Gitarrenakkord.“ 1983 war die Zeit dann reif für den ersten Bildband. In der Vorbereitung kam es zu jener wegweisenden Begegnung, die Summers’ fotografische Arbeit entscheidend beeinflussen sollte. In Ralph Gibson hatte er nicht nur den idealen Berater für die Buchgestaltung gefunden, sondern auch jemanden, der die gleichen Leidenschaften wie er hegte: für die Gitarre und für die Fotografie. Durch ihn erhielt Summers nicht nur einen tieferen Zugang zur New Yorker Fotoszene, sondern Gibson gab ihm auch den Tipp, eine Leica auszuprobieren. Mit der M4-2 entdeckte Summers die Fotografie noch einmal ganz neu: „Ich war sofort begeistert. Ich fühlte, dass die Leica mein Fotografieren verlangsamte, meditativer machte, mich mehr nachdenken ließ, bevor ich auslöste – mit dieser Kamera fühlte ich mich, als ginge ich endlich auf dem wahren Weg. Ihr Body lag perfekt in meiner Hand, ich schätzte den Messsucher und die Art und Weise, wie ich beide Augen offenhalten konnte, während ich die Kamera führte. Das ergab einen ganz anderen Prozess des Komponierens. Es war eine neue Form, mit der Kamera eins zu sein, eine andere Art des Sehens und damit ging der Schwarzweißfilm einher. Das Kino, das ich als Teenager geliebt hatte, die Filme von Truffaut plus die Fotografie von CartierBresson – alle waren durch das Objektiv der Leica vereint.“ Nun war Summers als Fotograf am Ziel angekommen – das neue Buch zeichnet diesen Entwicklungsprozess nach und es ist spannend, frühe Arbeiten mit aktuelleren Motiven zu vergleichen. Die Idee der Bildgestaltung, der bewusste Anschnitt der Motive, aber auch der subtile Witz sind gleich geblieben, allerdings wirkt es so, als hätten sich die Bilder noch einmal verdichtet. Auch der regionale Radius hat sich vergrößert, denn auf seinen vielen Reisen hat Summers bis heute immer seine Leica dabei. Und an Bildmotiven wird es ihm auch in Zukunft ganz gewiss nicht mangeln. ULRICH RÜTER

A N DY S U M M E R S Geboren am 31. Dezember 1942 in Blackpool und in Bournemouth aufgewachsen. Mit elf Jahren begann er mit dem Gitarrenspiel. Zusammen mit Sting und Stewart Copeland wurde er als Gitarrist von The Police von 1977 bis 1984 weltberühmt. Seit 1979 ist der heute als Solist arbeitende Künstler auch Fotograf. Seine Aufnahmen wurden vielfach ausgestellt und publiziert. AN DYSUMM E RS.COM LF I- ON LIN E .D E/B LOG : SLIDESHOW MIT WEITEREN BILDERN VON ANDY SUMMERS EQUIPMENT: Leica M4-2 und Leica M Monochrom

A N DY SU MME RS : A CE RTA IN ST RAN GE N E S S

Mit Texten von Andy Summers und Gilles Mora. 160 Seiten, 184 Schwarzweißabb., 27 × 24 cm, University of Texas Press (englisch) und Éditions Hazan (französisch) AUS STE LLU NG

A Certain Strangeness, Photographies 1980–2017, 6. Juni bis 27. Oktober 2019 im Bonnefantenmuseum, Maastricht, Niederlande, bonnefanten.nl

Fotos: © Andy Summers; alle Zitate aus dem Bildband A Certain Strangeness

Objektiv mit einer 1⁄25 Sekunde auf Tri-X-Film quetschen musste.“ Während The Police immer erfolgreicher wurde, die Touren immer anstrengender und der Alltag einer Band seinen Tribut forderte, entstand ein eindrückliches visuelles Tagebuch dieser Zeit. Summers hielt die ekstatischen Fanmassen fest, die nicht nur bei Konzerten, sondern auch schon vor den Hotels auf die Band warteten, er fotografierte unterwegs, fand durch die Fotografie einen Filter, die Absurdität und den Wirbel des Lebens in eine visuelle Form zu bringen. Surreal anmutende Aufnahmen entstanden, denn in den USA war „der größere Surrealismus das Land selbst und alles, was wir durchquerten, zusammen mit der Tatsache, dass wir, wohin wir auch kamen, mit der zunehmenden Berühmtheit unserer Band mit Hysterie konfrontiert waren.“ Sein probates Gegenmittel für alle Einschränkungen, den der Starkult mit sich brachte, war der Griff zum nächsten Tri-X-Film: „Ich hatte keine formale Ausbildung in Fotografie, aber inmitten von Dantes Inferno war ich selten ohne Kamera unterwegs. Ich studierte verschiedene Monografien von Henri Cartier-Bresson, Brassaï, Lee Friedlander, Diane Arbus, Garry Winogrand, Ralph Gibson und vielen anderen. Ich imitierte, eiferte nach, aber folgte auch eigenen Instinkten.“ Dabei entdeckte er zwischen Musik und Fotografie zahlreiche Gemeinsamkeiten: „Einfach ausgedrückt, ist es so, dass der Sehsinn oder das Auge erwärmt werden müssen, so als ob man sich an einem Musikinstrument aufwärmt. Was ich mir selbst sagte, war einfach: ‚Fotografiere einfach jeden Mist, wenn du anfängst‘ – und schließlich zieht das Auge mit. Man muss es nur aufwecken und nach einer Weile sieht alles wie ein Foto aus. Also hielt ich meine Augen offen und suchte nach formalen Elementen – Gleichgewicht, Winkel, grafische Qualitäten, Tiefenschärfe – aber auch nach allem, was ein unerwartetes Element


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VÖ L L I G AU F G E LÖ S T LEICA Q2

Auf den ersten Blick sieht die neue Q2 ihrer Vorgängerin zum Verwechseln ähnlich, doch innerlich bietet sie einen neuen Sensor mit enormer Auflösung und neue Möglichkeiten, die auch ein virtuelles 75-Millimeter-Objektiv umfassen.

Die neue Leica Q2 weiß zu beeindrucken, sowohl mit ihren Neuerungen wie mit ihrer Beständigkeit. Einerseits bietet sie gegenüber der Vorgängerin eine enorme Steigerung der Auflösung auf stolze 47 Megapixel und natürlich noch einige weitere Neuerungen. Andererseits wirkt die Q2 optisch und haptisch so, als sei praktisch nichts passiert und als seien die letzten paar Jahre vollkommen spurlos an ihr vorbei gegangen. M EH R AU FLÖ SUNG. Schon als Leica vor einigen Jahren die erste Q vorstellte, griff man mit dem 24-MegapixelChip recht weit oben ins Regal und wählte einen Sensor mit einer selbst für eine Kleinbildkamera sehr hohen Auflösung. Mit ihm wurde die Leica Q zu einem echten Exoten und letztlich auch

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zu einem großen Erfolg auf dem Markt. Sie verstieß vollkommen gegen den Trend, Kompaktkameras immer kleiner und handlicher zu machen und dabei kleine Sensoren und immer weniger lichtstarke Zoomobjektive mit möglichst großen Brennweitenbereichen zu bieten. Die Q und nun die Q2 setzen ganz im Gegenteil auf einen Sensor im Kleinbildformat. Und das Objektiv ist kein Zoom, sondern eine 28-mm-Festbrennweite, dafür aber großer Anfangsöffnung von 1:1.7. Die hohe Auflösung und Qualität des Sensors gepaart mit dem exzellenten Objektiv versetzt die Leica Q und erst recht ihrer Nachfolgerin in die Lage, längere Brennweiten durch Ausschnittvergrößerungen zu simulieren. Schon die bisherige Q bot neben den „nativen“

28 mm des Objektivs auch die engeren Bildwinkel von 35- und 50-mm-Objektiven, die Q2 nutzt die deutlich gewachsene Auflösung nun auch für ein virtuelles 75-mm-Objektiv. Natürlich sinkt die Auflösung der resultierenden Bilder dabei umso stärker, je mehr sich der Bildwinkel verengt. Das klingt ziemlich dramatisch, solange man die Auflösung in Megapixeln angibt. Aus den knapp 47 Megapixeln bei 28 mm werden 30 MP bei 35 mm, nur noch 14,7 bei 50 mm und sogar nur noch 6,6 MP bei 75 mm. Die Dramatik fällt womöglich weniger stark aus, wenn man die realen Auflösungen betrachtet und das Produkt in seine Bestandteile aufteilt: Aus wahnwitzigen 8368 mal 5584 Pixeln bei vollem Bildwinkel werden bei 35 mm immer noch üp-

pige 6704 mal 4472 und bei 50 mm ausreichende 4688 mal 3128 Pixel. Und letztlich kann man selbst mit den 3136 mal 2096 Pixeln bei 75 mm „Brennweite“ noch eine ganze Menge anfangen. Die höhere Auflösung ermöglicht der Q2 also, stets eine Stufe weiter zu gehen als ihre Vorgängerin, die bei 35 mm gut 15 und bei 50 mm rund 7,5 Megapixel bot. Das bedeutete, dass man zwischen 28- und 35mm-Brennweite recht ungeniert umschalten konnte, die 50 mm aber meist vermied. Die Normalbrennweite lässt sich bei der Q2 nun praktisch frei nutzen, während die 75 mm die Auflösung dann doch auf ein Niveau sinken lassen, auf das man sich mit der edlen Q2 eher selten begeben möchte, obwohl man es im Einzelfall durchaus einmal →


Dass die Q2 gründlich erneuert wurde und nicht nur einen neuen Bildsensor, sondern auch eine verbesserte Bedienung bietet, sieht man ihr von außen kaum an. Das exzellente und sehr lichtstarke Objektiv blieb praktisch unverändert, doch der leistungsstarke Bildsensor ermöglich nun auch ein 75-Millimeter-Teleobjektiv

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kann. Bei 28 mm ist die Auflösung geradezu verschwenderisch, bei 35 mm immer noch gigantisch und bei 50 mm völlig ausreichend. Gegenüber der Vorgängerin hat man also einen deutlich größeren Spielraum bei der Wahl der Brennweite vom echten Weitwinkel bis zum Normalobjektiv, während man bisher eigentlich nur zwischen zwei Weitwinkeln wählen konnte – und bei Bedarf kann man mit dem 75er immer noch ausgezeichnet Porträts aufnehmen. OPT I K T R IF FT S E NS O R. Die Leica Q2 ist nun komplett gegen Staub und Wasser geschützt. Schlechtes Wetter ist also keine Ausrede mehr dafür, nicht zu fotografieren

Was an der Q2 aber frappiert, ist die riesige Lichtstärke des Objektivs in Verbindung mit der hohen Sensorempfindlichkeit. Wie bei der Vorgängerin lässt sich der ISO-

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Wert auf bis zu 50!000 stellen, doch wirklich nutzbare Qualität darf man nur bis ISO 12!500 erwarten, was bei Blende 1.7 aber bereits Aufnahmen bei Kerzenschein ermöglicht. Wer erwartet, dass die Q2 wegen der höheren Auflösung und der damit verbundenen kleineren Pixel eher zum Rauschen neigt als die Vorgängerin, hat dafür sogar einen Grund, denn das Rauschen setzt minimal früher ein. Doch das sieht man nur auf Pixelebene und die ist angesichts der gigantischen Auflösung weit von der Sichtdarstellung entfernt und hält sich deutlich im Hintergrund. Praktisch beeinträchtigt das die exzellente Feinauflösung des Sensors nicht. Dass Leica

das Summilux 1:1.7/28 Asph praktisch nicht verändern musste, um die Auflösung des Sensors in sichtbare Bildqualität umzusetzen, spricht für die exzellente Qualität, die das Objektiv schon immer besaß. Deutlich verbessert haben sich auch die Filmmöglichkeiten, denn die Q2 beherrscht nun auch 4KVideo. Was in der Praxis vielleicht noch schon wichtiger ist, ist die Abdichtung der gesamten Kamera gegen Staub und Wasser, die nicht nur das Fotografieren bei jedem Wetter ermöglicht, sondern auch den Transport stark vereinfacht: Einfach umhängen und mitnehmen, auch im strömenden Regen. Um zu erkennen, dass auch das Bedienkonzept der

DIE L EI C A Q 2 V E RKN Ü P FT DU RC H IHR E N H OC HAU FLÖS EN D EN S E N S OR D IE QUAL ITÄT EIN E S OB J EKT IVS MIT FESTER BRENNW EIT E U N D DI E FLEXIBILITÄT EINES ZOOM S.

Q2 leicht verändert wurde, muss man schon genau hinsehen. So verschwand die bisher am Hauptschalter angesiedelte Serienbildfunktion im Menü. Auch dass der neu entwickelte Okularsucher nun auf OLED-Technologie beruht, fällt insofern kaum auf, als seine Auflösung mit 3,69 MP schon vorher enorm war. Es ist eben gar nicht so leicht, eine Kamera zu verbessern, die kurz nach Erscheinen bereits ein moderner Klassiker war. So steht die Q2 mehr als viele andere für die klassischen LeicaFähigkeiten, nämlich stets exzellente Fotos zu machen, ohne dass man dabei auf ausreichendes Licht, gutes Wetter oder eine volle Zubehörtasche angewiesen wäre. HOLGER SPARR

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FLEXIBEL UND SCHNELL LEICA APO-SUMMICRON-SL 1:2/35 ASPH

Was macht ein Street Photographer wie Matt Stuart, wenn er das neue 35er für das SL-System ausprobieren kann? Es trieb ihn natürlich auf die Straße, wo er die Flexibilität und Schnelligkeit des Objektivs für beeindruckende Aufnahmen nutzte.

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Fotos: Matt Stuart, Leica Camera AG


Es zog sich ja ein wenig, bis Leica die Reihe der Summicron-SL-Objektive weiter komplettieren konnte. Endlich erweitert das nun erschienene Apo-SummicronSL 1:2/35 Asph die Reihe der Festbrennweiten für die Leica SL in Richtung Weitwinkel – zumindest leicht, denn bei vielen geht ein 35er auch gerade noch als Normalobjektiv durch. Wie immer man es aber nennt: Das 35er ist eine klassische Reportage-Brennweite und gerade bei dieser dürften nicht wenige Fotografen eine schnelle Alternative zum Die Konstruktion und das Gehäuse des 35ers ähneln der der anderen Summicron-SL-Objektive und erweisen sich in der Kombination mit der Kamera als sehr handlich

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schon verfügbaren Zoom objektiv vermisst haben. Das inspirierte auch den britischen Fotografen Matt Stuart, der normalerweise mit einer Leica M fotografiert und die Bilder auf diesen Seiten spontan in der Nähe des Hotels Ritz in London im Nachmittagslicht schoss. Das Apo-SummicronSL 1:2/35 Asph ist Teil einer Objektiv-Familie, zu der auch ein 50er, 75er und 90er gehören. Die Objektive teilen sich nicht nur große Bereiche des optischen Designs, sondern auch der Fokussierung, der Elektronik, der gesteuerten Blende und sogar des Gehäuses. Das 35er ist das vielleicht ungewöhnlichste Mitglied dieser Familie, denn es ist für ein 35er extrem aufwendig


geraten und trägt den für ein Weitwinkel sehr ungewöhnlichen Beinamen „Apo“, der auf in Objektiv mit apochromatischer Korrektur und generell sehr hoher Leistung hinweist. HÖCHST E L EIST U N G sollte

man auch erwarten können, wenn satte 13 Linsen mit einer Reihe asphärischer Oberflächen eingesetzt werden und gleich neun dieser Linsen aus Spezialgläsern bestehen, die mit anomaler Teildispersion vor allem für die Korrektur chromatischer Fehler zuständig sind. Ein Weitwinkel mit ApoPrädikat ist durchaus ungewöhnlich und soll in diesem Fall eher auf ein generell sehr gesteigertes Leistungsniveau hindeuten, das weit

über die Korrektur des Farblängsfehlers, für den der Begriff apochromatisch eigentlich steht, hinausgeht. Vielmehr sind bei diesem Objektiv auch alle anderen Bildfehler, ob nun chromatisch oder monochrom, auf ein extrem geringes Maß korrigiert worden. Diese Eigenschaften teilt das 35er letztlich mit der kompletten Summicron-SLReihe und sie sorgen dafür, dass sämtliche Objektive der Reihe sich in ihrer Bildqualität deutlich am oberen Rand der Möglichkeiten bewegen. Und das sorgt auch für den von Leica stets betonten Effekt des höheren Schärfentiefeneindrucks, der stärker ausfällt, als man es von der gewählten Blende erwarten würde. Schärfen-

DAS NEUE 35ER IST L EIC AS MO D ERN E INT ER P R ETAT IO N DER K LAS S IS C H E N BR E N N W EIT E M IT E I N E M RA S E N D SCHNELLEN AUTOFOKUS U N D Ü B ER RAG EN DER B IL D QUA L ITÄT.

tiefe wird als Unterschied zwischen Schärfe und Unschärfe empfunden und je größer die Schärfe ausfällt, desto größer ist das Empfinden der Schärfentiefe. Damit wird zumindest zu einem gewissen Teil auch das Verlangen nach noch größerer Lichtstärke gestillt. Dieser Effekt funktioniert sichtbar auch beim Apo-Summicron-SL 1:2/35 Asph, zumal eine Anfangsöffnung von 1:2 bei einem 35er bereits für eine recht hohe Lichtstärke steht. Durch Öffnen der Blende lässt sich ein sehr guter Freistelleffekt erreichen, der dem Summicron ganz andere Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet, als man sie mit den bisherigen SL-Zooms erreichen kann. →

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Gleichzeitig ermöglicht der Verzicht auf die äußerste Lichtstärke aber auch eine deutlich kompaktere Bauweise. Der Vergleich der beiden 50er für die SL zeigt deutlich, wie viel größer und schwerfälliger ein Summilux gegenüber einem Summicron ausfallen kann. Absolut betrachtet ist das Apo-Summicron-SL 1:2/35 Asph für ein 35er relativ groß, vor allem dann, wenn man es mit den sehr kompakten M-Objektiven vergleicht, die sich per Adapter ja auch sehr gut an der SL betreiben lassen. Doch der Vergleich ist nicht wirklich fair, denn das SL-Objektiv bietet zusätzlich einen Autofokus und eine elektronisch gesteuerte Blende,

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die beide nicht nur Platz benötigen, sondern auch eine vollkommen andere Herangehensweise bedingen. Bei den SummicronObjektiven für die SL führte das zu einer besonderen Konstruktion, die Leica als „Dual Synchro Drive“ bezeichnet: Nur zwei einzelne und voneinander unabhängige Linsen werden zur Fokussierung verstellt, was für besonders kleine bewegte Massen und damit für einen rasend schnellen Autofokus sorgt. Die Synchronisierung der beiden Linsen erfolgt dabei sehr präzise auf elektronische Weise. Die gesamte Bauweise ist überhaupt nur dadurch möglich, dass die Fertigung gegenüber den ohnehin schon sehr hohen Leica-Ansprüchen nochmals

präziser ausfällt und nicht nur der Schliff der Linsen genauer wird, sondern auch deren Zentrierung, was die Fertigung der SummicronObjektive für die SL zu einem sehr ambitionierten Unterfangen macht. PRAKTIS CH GE SE H E N

ist das Apo-Summicron-SL 1:2/35 Asph zwar nicht das kompakteste Leica-Weitwinkel aller Zeiten, aber dennoch gemeinsam mit der Leica SL ein sehr handliches Werkzeug. Um es überhaupt von seinen Summicron-Geschwistern mit 50, 75 und 90 mm Brennweite unterscheiden zu können, muss man beinahe schon nach der orangen Brennweitengravur schauen. Für den Fotografen hat das aber den

Vorteil, dass er sich stets sofort zurechtfindet und den Einstellring für die Entfernung sofort im Griff hat. Abgesehen davon ändert sich die sehr gute Balance aus Kamera und Objektiv unabhängig von der verwendeten Brennweite nicht, was dazu beiträgt, dass der Fotograf mit seiner Kamera geradezu eine Einheit bilden kann. Mit der Vorstellung des 35er-Summicrons wird das SL-System jedenfalls ein weiteres Mal reizvoller. Mittlerweile stehen Festbrennweiten von 35 bis 90 mm zur Verfügung, die die drei Zoomobjektive sehr gut ergänzen. Gerade das 35er füllt dabei eine Lücke, die viele SL-Besitzer bisher etwa mit adaptierten MObjektiven füllten. Das ist

durchaus im Sinne der Leica-Entwickler, denn die SL eignet sich wie keine zweite Kamera für die Nutzung aller möglichen Objektive per Adapter, von denen Leica selbst eine ganze Reihe, etwa für M- oder R-Objektive, anbietet. Doch nur die nativen SL-Objektive sind wirklich optimal an die Kamera angepasst, lassen sich mit dem Autofokus sowie allen Belichtungssteuerungen einsetzen und können so sehr flexibel verwendet werden. Die Kombination aus Leica SL und Apo-SummicronSL 1:2/35 Asph jedenfalls ist eine sehr schnelle, moderne Alternative für die Reportage und markiert zudem die qualitative Messlatte unter den Kleinbildsystemen. HOLGER SPARR

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22.02.2017 16:19:05 Uhr


M OV I E S I S M AG I C L E I CA M 1 0 - P „AS C 1 0 0 E D I T I O N “

Ungewöhnlich früh hat Leica im Februar eine Sonderedition der M10-P für kommenden Herbst angekündigt. Die Zielgruppe sind Filmschaffende, der Anlass das hundertjährige Jubiläum der American Society of Cinematographers.

Am 9. Februar dieses Jahres hat Leica die M10-P „ASC 100 Edition“ vorgestellt. Die Abkürzung ASC steht für American Society of Cinematographers, die 2019 ihr hundertjähriges Jubiläum feiert. „Cinematographers“ einfach mit „Kameraleute“ zu übersetzen, griffe zu kurz, gemeint sind damit im Jargon der Filmbranche die „directors of photography“, die Bildregisseure, die für die gesamte Licht- und bildatmosphärische Gestaltung eines Films verantwortlich zeichnen. So erklärt sich vielleicht, dass der Vereinigung lediglich rund 450 Personen angehören – neue Mitglieder benötigen vor der Aufnahme zudem die Empfehlung dreier regulärer Mitglieder. Die ASC, die älteste Gesellschaft von Filmschaffenden weltweit, versteht sich weniger als 96 |

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Berufsverband oder Gewerkschaft, sondern als Forum, in dem die anerkanntesten Experten neue Ideen entwickeln, sich über die Techniken ihres Fachs austauschen und über das, was sie zum Film als Kunstform beisteuern können. D IE M F Ü R CIN EMATO GRA F EN . Die Vorstellung

der M10-P „ASC 100 Edition“ – von Leica „die M für Cinematografen“ genannt – erfolgte anlässlich der 33. Verleihung der Annual ASC Awards in Hollywood. Auf den Markt kommt die Sonderedition erst im Herbst 2019; wie hoch die Auflage sein wird, steht noch nicht fest. Das Set besteht aus der Leica M10-P mit Summicron-M 1:2/35 Asph, dem elektronischen Aufstecksucher Visoflex und dem Leica M-PL-Mount-Adapter,

sodass die Kamera zu nahezu allen am Markt erhältlichen PL-Mount-Cinelenses kompatibel ist. Zusammen mit ASC-Mitgliedern hat Leica zudem zwei authentische Kinolooks entwickelt, die über das Menü auswählbar sind. Während ASC Cine Classic den Look eines klassischen, analogen 35-mmKinofilms simuliert, ahmt ASC Contemporary den digitalen Look unserer Zeit nach. Eine weitere Veränderung gegenüber der Standardversion der M10-P sind die Bildseitenverhältnisse aus dem Kinobereich, die, einmal aktiviert, im LiveView-Modus als Rahmen angezeigt werden. Die M10-P „ASC 100 Edition“ erlaubt es Filmschaffenden, Szenen noch vor Drehbeginn durch jedes gewünschte Objektiv zu begutachten. Zusam-

men mit der App Leica Fotos lässt sich auch die Location-Suche vereinfachen, da man neue Vorschläge sofort mit allen Beteiligten teilen kann. Die Kombination von Aufstecksucher, PL-MountCinelenses, Kino-Looks und -Bildseitenverhältnissen ermöglicht den Einsatz der Kamera als digitalen Motivsucher und macht sie zu einem besonderen Werkzeug für Filmschaffende. K I ND DE R K I NE MATO G RA F I E . Tatsächlich ist das ASC-Jubiläum ein Anlass wie er passender für diese Kamera kaum sein könnte, prägt die Vereinigung doch seit 100 Jahren die Sehgewohnheiten von Menschen auf der ganzen Welt – genauso wie die Wetzlarer LeitzWerke, die heute als Leica Camera AG firmieren. Hinzu kommt, dass die Leica →


Das Design der Leica M10-P „ASC 100 Edition“ zum 100-jährigen Jubiläum der ASC greift Elemente der Ur-Leica auf: ein tiefschwarzer Body gepaart mit einem goldfarben eloxierten Summicron-M 1:2/35 Asph. Der ebenfalls zum Set gehörende Visoflex-Sucher würde die Verwandtschaft noch deutlicher zeigen

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Eine Traditionslinie, die offensichtlicher kaum sein könnte: Zwischen Oskar Barnacks Ur-Leica von 1914 und der M10-P „ASC 100 Edition“ liegen 105 Jahre

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ja ein Kind der Kinematografie ist: 1893 hatte William K. L. Dickson in den Labors von Thomas Edison durch Halbierung des 70-mm-Kodak-Rollfilms den perforierten 35-mm-Film konzipiert, der zum Normalfilm für Kinoproduktionen wurde. 35 mm Filmbreite mit Perforationsrand bedeuteten eine Bildfläche von 18 mal 24 mm in den Kinokameras und -projektoren, die das Filmband senkrecht durchläuft. Wahrscheinlich hat sich Oskar Barnack, der Schöpfer der Ur-Leica, schon um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert bei Zeiss in Jena mit der Möglichkeit befasst, den Kinofilm als Material für eine Standbildkamera einzusetzen. Tatsächlich lag der Gedanke, diesen Film für Fotokameras zu nutzen, in jenen Jahren in der Luft, sodass Barnack zwar nicht der Einzige war, der die Idee einer „Kleinfilmfotografie“ hatte, aber der Erste, der sie konsequent zu Ende gedacht hat: Unter anderem auch dadurch, dass er das Aufzeichnungsformat auf 36 mal 24 mm verdoppelte, weil es bequemer ist, wenn der Film in einer Fotokamera quer, nicht senkrecht läuft.

Das außergewöhnliche Design der M10-P „ASC 100 Edition“ interpretiert die ursprüngliche Vision Barnacks, die in der Ur-Leica Gestalt annahm, neu: Die Gravuren auf der schwarz verchromten Oberfläche des Kamera-Bodys sind ebenfalls schwarz ausgelegt. Dieser technischfunktionale Schwarz-inschwarz-Look setzt sich in der mit einem rautenförmigen Muster geprägten, ebenfalls schwarzen Bele. derung fort, wie sie ähnlich auch bei der Leica SL zu finden ist. Als Kontrapunkt zum Design des KameraBodys hat Leica das zum Set gehörende SummicronM 1:2/35 Asph gesetzt: Seine goldfarbene Eloxierung interpretiert das Messing des Objektivs der UrLeica auf zeitgenössische Weise. Die ebenfalls goldfarben gehaltene Deckkappe der Leica M10-P „ASC 100 Edition“ schließlich ziert das Logo der American Society of Cinematographers: eine Kamera-Schönheit, die im kommenden Herbst sicherlich nicht nur auf das Interesse von Filmschaffenden stoßen wird. BERND LUXA


BLOG G LO B E T R OT T E R LFI VOR 50 JAHREN

ST E R N - FOTO G RA F U L R I C H M AC K Ü B E R D I E S I C H V E RÄ N D E R N D E N A R B E I TSW E I S E N IN DER PRESSEFOTOGRAFIE.

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Dieser Wandel [in der Arbeitsweise der Pressefotografen] begann schon bald nach dem Krieg mit der Gründung der ersten Illustrierten. Die Welt öffnete sich wieder, und die ersten Fotografen wurden von den Redaktionen hinausgeschickt. Sie hatten keinen besonderen Auftrag, sondern trotteten um den Globus und fotografierten, was ihnen gerade in den Weg kam. Sie hatten auch keine besondere Eile, kehrten oft erst nach Monaten zurück, blätterten ihre Vergrößerungen auf den Tisch und erzählten dazu ihre Geschichten. Die daheimgebliebenen Redakteure schrieben danach die druckreifen Geschichten.

So viele Bilder und so begrenzt der Platz? Mehr Bilder, mehr Interviews, mehr Rezensionen und mehr Hintergrundberichte finden Sie online im LFI-Blog. Aktuell, überraschend und informativ!

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Diese Arbeitsweise erwies sich bald als ungenügend, und die Zeitungen gingen dazu über, gezielte Einzelaufträge mitzugeben und vor allem Teams von je einem Fotografen und einem Schreiber zusammen loszuschicken. Jeder konnte sich jetzt voll seiner Aufgabe widmen: Der Fotograf arbeitete nur noch mit der Kamera, während der Schreiber die Reportage exakt recherchierte. Nicht nur die Arbeitsweise der Fotografen änderte sich, sondern auch ihre Technik. Erst hatten sie hauptsächlich mit dem Tele gearbeitet – als ob sie sich scheuten, die Dinge und Ereignisse näher zu betrachten. Nun griffen sie immer mehr zum Weitwinkel, versuchten sich ganz nahe mit den Dingen zu befassen, ja, geradezu „hineinzukriechen". L FI 2/ 1 969 : Meister der Leica – Erich Vetter, Leica-Farbdias als Druckvorlage, Theaterfotos mit der Leicaflex SL u. v. m. für 1,09 Euro in der LFI-App für Android und iOS

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B E S T O F L F I . G A L L E RY

SPIEL MIT AU S S I C H T „Ich hatte den Plan, die Skyline Manhattans zu fotografieren – deshalb hatte ich auch nur ein Objektiv dabei. Da entdeckte ich die Basketballspieler, doch ein Zaun erlaubte es mir nicht, näher heranzutreten. Sofort bereute ich, kein 75er-Objektiv mitgenommen zu haben.“ Rudy Mareel Leica M9 mit Elmarit-M 1:2.8/28 Asph

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L IG H T B OX


WER BIN ICH? In ihrer Serie I Know Who I Am beschäftigt sich die Fotografin mit der Entdeckung der sexuellen Identität: „Dieses Bild hat eine besondere Bedeutung für mich. Die Abgebildete, meine Arbeitskollegin Ruth, wusste von meinem Projekt und hat mir erlaubt, ihr Comingout zu zeigen.“ Elizabeth Cowle Leica M Monochrom mit Noctilux-M 1:0.95/50 Asph

S C H AT T E N MALEREI „Portugal ist ein sonniges Land, bunte Farben, tolle Kontraste. Das Bild entstand in Caldas da Rainha auf dem Parkplatz eines Supermarkts. Es geht mir darum, die Schönheit im Alltäglichen zu finden und die Geheimnisse des Lichts im Alltag einzufangen“, erklärt der Fotograf. Vasco Trancoso Leica Q, Summilux 1:1.7/28 Asph

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GEDULD G E F RAG T Am Taikoo Place, einem Komplex von Geschäftsgebäuden in Hongkong, entdeckte der Fotograf zufällig die Werbung für einen neu eröffneten Snackshop – im Kopf entstand bereits das perfekte Bild. Also wartete er ab, bis ein Passant genau die richtige Position erreicht hatte. Chan Chun Ming Leica X Vario, Elmar 1:3.55.6/18-46 Asph

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ECHTER MOMENT „Dieses Foto entstand auf einer bekannten Einkaufsstraße in Tokio. Ich fotografierte für ein japanisches Magazin eine Serie von Porträts bei Nacht. Die Frau auf dem Foto ist ein Model, aber ich wollte, dass es wie ein authentischer Moment aussieht. Ich finde, das ist mir gelungen.“ Akiomi Kuroda Leica M10 mit Summicron-M 1:2/50

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VISUELLES ZEN „Auf dem Gelände des 2001 zerstörten WTC ist bis 2016 der neue Verkehrsknotenpunkt Oculus entstanden. Die nach einem Entwurf des Architekten Santiago Calatrava gestaltete Haupthalle erinnert an das Innere einer Kathedrale und strahlt eine gewisse Ruhe aus.“ Mario Uribe Leica CL mit VarioElmar-TL 1:3.5-5.6/ 18-56 Asph

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DER ERSTE SCHUSS

EIN GERÜST AM STRAND

„Das ist das erste Bild, das ich jemals mit einer Kamera des M-Systems gemacht habe. Um die Kamera zu testen, lief ich in Kopenhagen herum und sah dieses perfekte Licht. Ich bat meinen Bruder, ein paar Tricks vorzuführen und da wusste ich, dass es die richtige Kamera für mich war.“

„Ich bin Windsurfer und der Strand bei Pärnu in Estland ist einer meiner liebsten. Nach dem Surfen wurde mir diese Situation praktisch auf dem Tablett serviert, als ein paar Arbeiter ein Gerüst am Strand aufbauten. Es ist gut, wenn man seine Kamera immer dabei hat.“

Claus Schwarz Berg Leica M262 mit Summarit-M 1:2.4/35 Asph

Kalevi Tam Leica M Monochrom mit Summarit-M 1:2.4/90

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KO P F H O C H ! „Der Vergnügungspark Tivoli in Kopenhagen ist für mich eine Art Spielplatz für Fotografie. Die vielen glücklichen Gesichter und das magische Licht inspirieren mich. Mein Tipp: Denken Sie immer daran hochzuschauen, vielleicht wartet genau dort das perfekte Bild.“ Bo Nymann Leica Q, Summilux 1:1.7/28 Asph

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P H OTO – B Ü C H E R – AU S S T E L L U N G E N – F E S T I VA L S – AWA R D S –

Christer Strömholm: Nana, Place Blanche, Paris 1961, aus der Ausstellung Augen auf! 100 Jahre Leica Fotografie

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„ D I E AU RA D E S E C H T E N E R L E B E N .“ I N T E RV I E W

Seit Dezember 2018 ist Reiner Packeiser Direktor des Ernst Leitz Museums in Wetzlar, das im Juni 2019 mit der Retrospektive Dr. Paul Wolff und Tritschler offiziell eingeweiht wird. Ein Gespräch über Herausforderungen und Ziele des Hauses.

Fotos: © Christer Strömholm/Strömholm Estate, 2014, © Fred Herzog, 2014 courtesy of Equinox Gallery, Vancouver, © Walter Vogel

LFI: Sie sind jetzt 100 Tage im Amt –

wie haben Sie ihre Zeit bisher im entstehenden Ernst Leitz Museum in Wetzlar erlebt? REINER PACKEISER: Die ersten Monate waren eine inspirierende Zeit für mich – kaum zu glauben, wie schnell sie vergangen ist! Zunächst wollte ich erfahren, welche Vorüberlegungen und Erwartungen existieren, wie die Strukturen bei Leica aufgebaut sind. Dazu haben wir viele Gespräche geführt, in denen schnell klar wurde, dass das Projekt „Museum“ bereits seit Jahren ein Thema ist. Die Familie von Dr. Andreas Kaufmann, dem Mehrheitsaktionär und Aufsichtsratsvorsitzenden der Leica Camera AG, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben begeistert Ideen und Konzepte für das Museum erarbeitet. Hier wurden gute Voraussetzungen geschaffen, die vieles erleichtern – dafür bin ich sehr dankbar. Auf dieser Basis haben wir eine konkretere Idee für die Positionierung

des Museums entwickelt und an der Programmplanung gearbeitet. LFI: Was reizt Sie an der Planung für das Museum besonders? PACKEISER: Leica ist ein Mythos. Vor allem reizt mich die Aufbauarbeit an diesem Ort. Außerdem mag ich Fotografie, denn ein gutes Foto hat die Kraft zu berühren. Das Museum verfügt über fantastische Ausstellungsräume und der Leitz-Park bietet Besuchern viele Möglichkeiten für unterschiedliche Erlebnisse. Neben herausragenden Ausstellungen gibt es Fotoworkshops und spannende Führungen durch die Leica Erlebniswelt mit Einblicken in die Manufaktur. Auch für das leibliche Wohl ist gesorgt: Im Leitz-Park gibt es ein Café mit exzellentem Kuchen – sehr wichtig! – ein Restaurant und Hotel. Wir verfügen über ein wunderbares Unternehmensarchiv sowie eine umfangreiche Sammlung an Fotografien. Wir wollen hier ein Museum mit internationaler Strahlkraft aufbauen.

Oben: Walter Vogel: Dalmatiner ... Kein Interesse an Fußball, Düsseldorf 1956; unten: Fred Herzog: Man with Bandage, 1968 – beide zu sehen in der Ausstellung Augen auf! 100 Jahre Leica Fotografie

mit Großmeistern der Fotografie und jüngeren Fotografen: Es ist tatsächlich die letzte Chance, dieses Projekt in Europa zu sehen. Das wollen wir natürlich bekannt machen. Daneben müssen wir ein funktionierendes Team aufbauen, Arbeitsstrukturen etablieren und ein klares Profil für das Museum entwerfen. Was muss das Ernst Leitz Museum leisten, um nicht als reines Unternehmensprojekt gesehen zu werden? PACKEISER: Das Ernst Leitz Museum bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Unternehmensmuseum und Fotomuseum. Es befasst sich mit der Vergangenheit, Gegenwart → LFI:

LFI: Was sind aus Ihrer Sicht die größ-

ten Herausforderungen? PACKEISER: Das Ernst Leitz Museum wird im Juni 2019 offiziell eingeweiht. Mit der ersten Retrospektive des um 1930 bekanntesten deutschen Fotografen – Dr. Paul Wolff. Der große Ausstellungsraum des Museums ist allerdings bereits jetzt für Besucher geöffnet. Wir zeigen hier aktuell die Ausstellung Augen auf! 100 Jahre Leica Fotografie

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und Zukunft der Fotografie. Ich glaube, Besucher erwarten von uns zu Recht eine vielseitige Arbeit: FotografieAusstellungen genauso wie Projekte zur Unternehmensgeschichte oder zu technischen Aspekten der Fotografie. Ein Teil der Präsentationen wird also sehr firmenspezifische Inhalte zeigen. Andere Ausstellungen, das sind eher die fotografischen Themen, wollen wir mit Museumspartnern koproduzieren und anderen Museen als Wanderausstellung zur Verfügung stellen. Das sind Projekte, die über die Arbeit eines Unternehmensmuseums hinausgehen und zu einer differenzierten internationalen Anerkennung beitragen werden. Generell, wozu soll ein gutes Museum heutzutage verführen? PACKEISER: Es gibt ja die klassische Museumsdefinition vom ICOM, dem International Council of Museums. Da dreht es sich um Begrifflichkeiten wie Beschaffen, Bewahren, Erforschen, Bekanntmachen und Ausstellen. Das ist wichtig. Gerade heute im digitalen Zeitalter kommen die Menschen ins Museum, um die einzigartige Aura des „Echten“ zu erleben. Wir wollen nicht nur die Objekte ausstellen, sondern Geschichten erzählen und die Geschichten hinter den Kameras und Bildern zeigen. Aber, anders als vor 20 Jahren, erwarten Besucher heute stärker inszenierte Ausstellungen und Erlebnisräume. Zudem wollen wir viele Inhalte digital verfügbar machen.

„W I R WO L L E N E I N M U S E U M M I T I N T E R N AT I O N A L E R S T RA H L K RA F T AU F B AU E N . “

Oben: Installationsansicht der Ausstellung Augen auf! 100 Jahre Leica Fotografie in Wetzlar. Unten: René Burri, Gedächtniskirche, Westberlin 1959, aus seinem Buch Die Deutschen, präsentiert in der Ausstellung Augen auf! 100 Jahre Leica Fotografie

Oben: François Fontaine, Brigitte Bardot in Le Mépris (Jean-Luc Godard, 1963), aus der Ausstellung Augen auf! 100 Jahre Leica Fotografie; darüber: Jeff Mermelstein, Sidewalk, 1995

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Welche Präsentationsformen haben sich aus Ihrer Erfahrung im Vitra Design Museum am besten bewährt? PACKEISER: Wenn Sie eine gute Kunstausstellung machen, reicht es oft, nur die Kunstwerke zu präsentieren. Denken Sie beispielsweise an die Sunflower Seeds Installation von Ai Weiwei in der Tate Modern. Diese Strategie funktioniert bei Design-Ausstellungen nicht. Deshalb haben wir immer versucht, Geschichten um die Objekte herum zu erzählen: Wir haben die Hintergründe recherchiert und den Kontext erklärt. Im Ernst Leitz Museum werden wir unterschiedliche LFI:

Fotos: © Jeff Mermelstein, © François Fontaine, © René Burri/Magnum Photos, © Leica Camera AG

LFI:


Strategien entwickeln müssen. Bei der geplanten Oskar-Barnack-Ausstellung werden wir nicht nur die technischen Entwicklungen von Barnack präsentieren, sondern auch den Menschen und die mit ihm verbundenen Geschichten. Auch bei der PaulWolff-Schau werden wir begleitendes Material vorstellen. Welchen Anteil wird das Leica Archiv im Museum haben? PACKEISER: Viele Besucher im LeitzPark wollen Leica Technik und Geschichte sehen. Diesem Bedürfnis wollen wir entgegenkommen, zum Beispiel mit der bereits erwähnten Ausstellung über Oskar Barnack, den Entwickler der Ur-Leica. Dann ist es wichtig, auch die echte Ur-Leica, Briefe von Barnack oder historische Unterlagen zu präsentieren. Es gibt fantastisches Material in unserer Sammlung und im Archiv: historische Kameras und Zubehör, Broschüren, Publikationen, Vintage Prints von LFI:

Welche Projekte planen Sie im nächsten Schritt? PACKEISER: Momentan konzentrieren wir uns sehr stark auf die offizielle Museumseröffnung im Juni und die Dr.-Paul-Wolff-Retrospektive. Ein weiteres wichtiges Projekt ist die Oskar-Barnack-Ausstellung. Außerdem möchte ich das Museum für Schulklassen interessant machen und führe dazu die ersten Gespräche. LFI:

INTERVIEW: INAS FAYED, ULRICH RÜTER

RE I NE R PAC KE IS E R geboren 1963 in Nürn-

berg. Studium der Malerei bei Jörg Immendorff und Stefan Wewerka. Ab 1998 Head of the Exhibition Department, dann Head of Exhibition Cooperations am Vitra Design Museum in Weil am Rhein. Seit Dezember 2018 Direktor des Ernst Leitz Museums, Wetzlar. AUS STE LLU N GE N : Augen auf! 100 Jahre Leica, bis 9. Juni 2019; Dr. Paul Wolff und Tritschler, 27. Juni 2019 bis Januar 2020; Ernst Leitz Museum, Wetzlar, www.ernst-leitz-museum.de

Fotos: © Leica Camera AG, © Dr. Paul Wolff und Tritschler, Historisches Bildarchiv Offenburg/Ernst Leitz Museum

Von oben: der von Oskar Barnack konstruierte Prototyp, die Ur-Leica von 1914; Dr. Paul Wolff, Eröffnung Opelbad, 1934; Alfred Tritschler, aus Große Köpfe (Hedwig Haegely, die spätere Frau Tritschlers), beide Motive zu sehen in Dr. Paul Wolff und Tritschler

Fotografien, Filme und vieles mehr. Natürlich wollen wir das auch zeigen.

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P H O TO LO N D O N 2 0 1 9

Vom 16. bis zum 19. Mai 2019 versammelt die Fotomesse zum fünften Mal über 100 Top-Galerien aus aller Welt im Londoner Somerset House. Auf der Photo London treffen führende Fotografen, Kuratoren, Aussteller, Händler und die Öffentlichkeit zusammen, um die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Fotografie zu feiern. Neben dem öffentlichen Programm mit Ausstellungen von Roger Fenton, Vivian Maier, Gavin Turk und anderen wird in der „Discovery“-Sektion vor allem aufstrebenden Galerien und Künstlern 116 |

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eine Plattform geboten. So zeigt die Galerie Sofie Van de Velde aus Antwerpen Werke des belgischen Fotografen Max Pinckers, Preisträger des Leica Oskar Barnack Award 2018. Der Amerikaner Stephen Shore wird mit dem Photo London Master of Photography Award ausgezeichnet und mit einer Sonderausstellung neuer, bisher ungesehener Werke geehrt. Das Format Photo London Talk wird der Kurator und Autor William A. Ewing betreuen, auf den Veranstaltungen werden bekannte Fotografen zu Wort

kommen. Leica wird auch in diesem Jahr auf der Messe vertreten sein. So werden unter dem Titel Shadow and Light zeitgleich seltene Werke und Vintage-Prints von Leica-Legende Ralph Gibson in der gerade eröffneten Leica Galerie London präsentiert. Von links im Uhrzeigersinn: Tony Gum, Milk the Bok, 2017; Valérie Belin, Porcelain Parrot Bird (China Girls), 2018; Gavin Turk, Oeuvre (Verdigris), 2018 Photo London: 16.—19. Mai 2019, Somerset House, London; www.photolondon.org

Fotos: © Tony Gum; © Valérie Belin; © Gavin Turk

Z W I S C H E N V E R G A N G E N H E I T, G E G E N WA R T U N D Z U K U N F T


LEICA GALERIEN BA N G KO K

PRAG

H.R.H Princess Sirivannavari Nariratana: Little Wild

Miroslav Hucek: Homes

8. März — 28. April 2019

26. April — 16. Juni 2019

Peerapat Wimolrungkarat: A Sense of Place

SALZBURG

TCH | 110 00 Prag 1, Školská 28

Alan Schaller: Metropolis

30. April — 16. Juni 2019 THA | 10330 Bangkok, 2nd Floor Gaysorn Village, 999 Ploenchit Road

AUT | 5020 Salzburg, Gaisbergstr. 12 12. April — 20. Juli 2019

BOSTON

S ÃO PAU L O

Neal Preston: Exhilarated and Exhausted

Aktuelle Ausstellung stand bei Redaktionsschluss nicht fest

USA | Boston, MA 02116, 74 Arlington St. 25. April — 7. Juli 2019

BRA | 01240–000 São Paulo, Rua Maranhão, 600 Higienópolis

FRANKFURT

Régis Bossu: More than just a Kiss GER | 60311 Frankfurt am Main, Großer Hirschgraben 15 22. März — 22. Juni 2019 KYOTO

Herbie Yamaguchi: Atlas of the Time JPN | Kyoto, 570–120 Gionmachi Minamigawa, Higashiyama-ku 23. Februar — 23. Mai 2019

B R U N O B A R B EY L E I C A G A L E R I E I S TA N B U L

Magnum-Fotograf Bruno Barbey verbrachte seine ersten zwölf Lebensjahre in Marokko. In der Serie My Morocco spürt er dem besonderen Lebensgefühl und der einzigartigen Farbigkeit seines nordafrikanischen Geburtslandes nach. Die Leica Galerie Istanbul präsentiert nun eine Auswahl aus der Serie. TUR | 34381 Şişli/İstanbul, Bomontiada – Merkez, A Birahane Sk. No:1 | 14. März — 25. Mai 2019

UK | London, 64–66 Duke Street W1K 6JD 4. Mai — 29. Juni 2019

Tadeusz Wański: Summer on the Adriatic

Fotos: © Bruno Barbey / Magnum Photos; © Don Bartletti

Manfred Baumann: The Collection

POR | 4000-427 Porto, Rua d. Sá da Bandeira, 48/52 6. April — 8. Juni 2019

TA I P E H

WA R S C H A U

MELBOURNE

5 x 5 – Eduardo Marques, Jaime Sá, Jaime Silva, Luis Mota, Ricardo Marques

SIN | Singapur, Raffles Hotel Arcade, #01-20/21, 328 North Bridge Rd., 188719 März — Mai 2019

JPN | Tokio, 6-4-1 Ginza, Chuo-ku 7. Februar — 14. Mai 2019

ITA | 20121 Mailand, Via Mengoni 4 19. März — 30. April 2019

PORTO

Aik Beng Chia

Leslie Kee: Bookish

Araki: Love by Leica

GER | 90403 Nürnberg, Obere Wörthstr. 8 4. Mai — 6. Juli 2019

SINGAPUR

TOKIO

MAILAND

Norbert Rosing: Wilde Arktis – Im Reich der Eisbären

AUT | 5020 Salzburg, Arenbergstr. 10 17. November 2018 — Mai 2019

TWN | Taiwan, No. 3, Ln. 6, Qingtian St., Da’an Dist., Taipei City 106 Ende April — Juli 2019

Ralph Gibson: Shadow and Light

NÜRNBERG

Josef Pausch: Sichtbares und Unsichtbares

Wu Bai: It’s Not Far, Actually

LONDON

AUS | Melbourne, VIC 3000, Level 1 St Collins Lane, 260 Collins Street 7. Februar — 1. Mai 2019

SCHLOSS ARENBERG

POL | 00–496 Warschau, Mysia 3 12. April — 24. Mai 2019 WETZLAR

D O N B A RT L E T T I & N I C K U T LEICA GALERIE LOS ANGELE S

Die Doppelausstellung präsentiert gleich zwei Pulitzer-Preisträger: Don Bartletti zeigt mit Between Two Worlds seine Aufnahmen zum Thema Migration in den USA (oben). Jeder kennt das Bild des Napalm-Mädchens von Nick Ut – in From Hell to Hollywood ist es neben vielen anderen Arbeiten zu sehen. USA | West Hollywood, CA 90048, 8783 Beverly Boulevard | 11. April — 3. Juni 2019

Leica Oscar Barnack Award 2018 – Gewinner und Finalisten GER | 35578 Wetzlar, Am Leitz-Park 5 27. Februar — 5. Mai 2019 WIEN

Ekaterina Sevrouk: Last Paradise AUT | 1010 Wien, Walfischgasse 1 5. April — 15. Mai 2019 ZINGST

Lars Borges: Imperial County GER | 18374 Zingst, Am Bahnhof 1 16. Februar — 30. April 2019

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MILES ALDRIDGE CHRISTOPHE GUYE, ZÜRICH

REINBECKHALLEN, BERLIN

28. Februar — 4. Mai 2019; Foto: Miles Aldridge: Bang! Bang!, 2017

2019 erinnert sich Deutschland daran, dass vor 30 Jahren, am 9. November 1989, durch den friedlichen Fall der Mauer, ein getrenntes Land zusammenwachsen konnte. Die Ostdeutschen – Fotografien aus drei Jahrzehnten DDR heißt die große Retrospektive, die die Stiftung der Reinbeckhallen in Kooperation mit der Loock Galerie und dem Roger Melis Archiv aus diesem Anlass organisiert hat. Der Fotograf Roger Melis (1940– 2009) gehört zu den bedeutendsten Dokumentaristen der untergegangenen Deutschen Demokratischen Republik, seine Schwarzweißaufnahmen sind sensible Zeugnisse von Alltag, Leben und Arbeit, sie erzählen von Menschen, die in einem sozialistischen System groß und erwachsen wurden. Sie zeigen die Zuschauer einer Parade zum Tag der Befreiung, die Besucher auf einem Rummelplatz, eine Arbeiterin in einem Chemiewerk und einen Fischer auf seinem Boot. Seit den 1960er-Jahren hat sich Roger Melis auf den Weg durch die DDR begeben, er fotografierte Schriftsteller und Künstler, Arbeiter und Betriebsdirektoren, Bauern und Waldarbeiter, Handwerker und Händler, Kinder und Halbstarke, Funktionäre und Dissidenten. Jede seiner Fotografien sei eine Shortstory, hat der Schriftsteller Christoph Hein einmal über Melis’ Bilder gesagt. Und so liefern seine Porträts gleichsam auch Geschichten – über Sehnsüchte, Resignation, Mut, Trotz und Selbstbewusstsein der Ostdeutschen, die mehr waren als nur ein Volk. Sie waren eine Lebensgemeinschaft. 12. April — 28. Juli 2019; Foto: Roger Melis: Chemiefaserwerk Premnitz, 1975

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R O B E RT L E B E C K FREELENS, HAMBURG

Der Fotograf wäre am 21. März 90 Jahre alt geworden. Die Hamburger Galerie ehrt Robert Lebeck mit seiner Serie Deutschland im März, die im Vorfeld der Bundestagswahl 1983 entstand und ein Stimmungsbild der alten Republik lieferte. Seine Bilder sind ein schonungsloses Dokument der Zeitgeschichte. 21. März — 16. Mai 2019; Foto: Robert Lebeck: Tanzende Paare, 1983

A N JA N I E D R I N G H AU S KO L LW I T Z M U S E U M , KÖ L N

Eine ihrer ersten Aufnahmen zeigt den ehemaligen Bundeskanzler Willy Brandt. 1990 fotografierte Anja Niedringhaus ihn auf einer Kundgebung in Leipzig. Willy Brandt war Friedensnobelpreisträger, in Zeiten des Kalten Krieges suchte er nach Versöhnung. 24 Jahre nach dem Entstehen des Bildes wird die Fotografin in Afghanistan von einem Attentäter erschossen. Der Krieg, wenn auch ein anderer, ist seit Jahren wieder weltweit präsent. Und Anja Niedringhaus, die Bilderkriegerin, hielt ihn fest: Zivilisten auf der Flucht im Irak oder Taliban-Kämpfer in Afghanistan. Sie führte Schrecken und Alltag in Krisenregionen

vor Augen. 80 Bilder werden in einer ersten posthumen Ausstellung zu ihrem 5. Todestag präsentiert. 29. März — 30. Juni 2019; Fotos: Anja Niedringhaus: Zivilisten auf der Flucht, Basra, Irak, 30. März 2003; US-Marine mit Maskottchen GI Joe, Falludscha, Irak, November 2004

Fotos: © Roger Melis; © Miles Aldridge/courtesy of Christophe Guye Galerie; © Robert Lebeck; © Anja Niedringhaus/AP

ROGER MELIS

Jeder könne ein anständiges Foto aufnehmen, meint der britische Fotograf Miles Aldridge. Und stellt sich die Frage, was das Medium Fotografie heute bedeutet. Seine neue Form der fotografischen Herangehensweise – der Siebdruck – steht im Mittelpunkt der Ausstellung Screenpoints, Polaroids and Drawings. Sie zeigt den Entwicklungsprozess von der ersten Idee bis zum Kunstwerk.


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G RAC I E L A I T U R B I D E

Foto: © Graciela Iturbide/Colecciones Fundación MAPFRE, 2019

FOTOGRAFIE FORUM FRANKFURT

Als ihre Tochter im Alter von sechs Jahren plötzlich stirbt, beginnt Graciela Iturbide mexikanische Rituale zu fotografieren, die den Abschied toter Kinder begleiten. Eines Tages jedoch überkommt sie das Gefühl, damit aufhören zu müssen, um auf andere Weise weiterleben zu können. So fängt sie an, die Tradition, die Kultur und die Menschen in ihrem Heimatland festzuhalten: die matriarchale Gemeinschaft im südmexikanischen Bundesstaat Oaxaca, die Zapoteken, die indigenen Seri-Indianer in der SonoraWüste. Und sie bereist viele Länder – die USA, Italien, Indien, Korea, Madagaskar. „Die Kamera ist für mich ein Vorwand, um das Leben und die Kultur auf der ganzen Welt zu erkunden“, sagte Iturbide einmal in einem Inter-

view mit dem Guardian. „Was mich führt, ist die Überraschung, wenn ich Dinge betrachte. Wenn mich nichts überrascht, kann ich keine Fotos machen.“ Das Fotografie Forum Frankfurt widmet der 1942 in MexikoStadt geborenen Künstlerin nun eine erste große Retrospektive in Deutschland. Gezeigt werden Arbeiten aus ihrem ein halbes Jahrhundert währenden Schaffen, geheimnisvolle Bilder in Schwarzweiß, dokumentarische und poetische Schattierungen der menschlichen Existenz inmitten von Natur, Glaube und Religion. Das Œuvre von Iturbide gilt zurecht als essenziell für das Verständnis Mexikos und Lateinamerikas. 8. März — 30. Juni 2019; Foto: Self-portrait with the Seri, SonoraWüste, Mexiko, 1979

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B E AT S C H W E I Z E R

Stille, Kälte, Einsamkeit: Zwischen 2012 und 2018 besuchte der Schweizer Fotograf (*1982) immer wieder drei polarnahe Städte im äußersten Norden Russlands. Seine Ausgangsfrage war zunächst, was die Bewohner dort trotz all der widrigen Bedingungen verharren lässt. Die dreiteilige Werkserie gibt überraschende Antworten und Einsichten, denn der Bildband erzählt in sensiblen Bildern zwar von den extremen Lebensbedingungen, aber auch von der Schönheit der Einsamkeit und der Sehnsucht nach Freiheit. 120 |

LFI

In der Minenstadt Norilsk leben immerhin 175!000 Einwohner und die Stadt erweckt vordergründig urbane Normalität, doch der Abbau der Nickelerze hat zu extremen Umwelt- und Gesundheitsschäden geführt. Die während der Stalin-Herrschaft als Gulag genutzte Stadt ist bis heute für Ausländer geschlossen und nur mit einer Sondergenehmigung zu betreten. Dikson galt in der Sowjetzeit als nördlichste Stadt der Welt, war Ausgangspunkt vieler Polarexpeditionen, doch heute leben dort nur noch we-

nige hundert Menschen, die ihr Auskommen als Mechaniker, Grenzschützer oder Wetterdatensammler finden. Und auch die dritte Stadt, Teriberka, leidet seit dem Niedergang der Küstenfischerei an Bevölkerungsschwund. Doch Beat Schweizer setzte seinen Blick für Komik, Tragik und Absurdität ein und präsentiert ein vielschichtiges und lebensbejahendes Bild der vermeintlichen Ödnis. 184 S., 94 Farb- und 27 Schwarzweißabbildungen, engl./russ./dt., 24 × 28 cm, Kehrer

Foto: © Beat Schweizer

M I K H A I LOV N A C A L L E D


RENÉ GROEBLI W E R KV E R Z E I C H N I S

Hinter dem schlichten Titel verbirgt sich ein riesiges Lebenswerk, nun vom Autor nochmals gewichtet. Die Arbeiten des großen Schweizer Fotografen (*1927) belegen eindrücklich seine unbändige künstlerische Kreativität und den unstillbaren Experimentierwillen. Neben den Klassikern gibt es viele erstmals publizierte Motive zu entdecken. 250 Seiten, 1200 Abb., deutsch/engl., 29 × 30 cm, Sturm & Drang

A N TA N A S S U T K U S

Fotos: © Antanas Sutkus, © René Groebli, © Fred Stein, © Felicia Honkasalo 2019, courtesy Loose Joints

P L A N E T L I T H UA N I A

Seine erste Kamera kaufte er mit vierzehn Jahren, seither entstand ein beeindruckendes Werk, das Antanas Sutkus (*1939) zum wichtigsten litauischen Fotografen werden ließ. Familie, Arbeit, Spiel, Freude, Elend, Hoffnung, Humor, Interaktion, Frustration, Einsamkeit, Poesie, Rätselhaftigkeit. All das sind Kriterien einer Chronik des Lebens in Litauen, die David Campany in seinem Text zu Sutkus’ Werk benennt, denn der Fotograf „empfindet sich als Teilhaber des Lebens der Personen, die er fotografiert, nicht als losgelöster Beobachter.“ Seinen Zyklus Menschen aus Litauen hat er nie abgeschlossen – einen umfassenden Einblick mit Aufnahmen aus den Jahren 1958 bis 1991 bietet nun dieser Bildband, der eine Ausstellung begleitet, die nach ihrer Premiere in der Nationalgalerie Vilnius ab September in den Reiss-Engelhorn-Museen, Mannheim, präsentiert wird. Im Juni 2017 erhielt er anlässlich der Verleihung des Dr.-Erich-Salomon-Preises der Deutschen Gesellschaft für Photographie als besondere Auszeichnung eine Leica M10 mit Namensgravur. Noch immer fotografiert Sutkus – nun auch digital. 272 Seiten, 206 Schwarzweißabbildungen, litauisch/englisch/ deutsch/französisch, 23,5 × 26,5 cm, Steidl

FRED STEIN KINDER – CHILDREN

Aus dem Werk des LeicaFotografen zeigt der Bildband eine besondere Facette. Immer wieder hat Fred Stein (1909–1967) Kinder fotografiert: in Paris, seiner ersten Exilstation, oder in New York, wo er nach der Flucht lebte. Besonders berührend: die Motive von Kindern, die vor dem spanischen Bürgerkrieg in Frankreich Zuflucht fanden. 176 S., 130 Duplex-Abb., dt./engl., 27 × 24 cm, Kunstblatt-Verlag

F E L I C I A H O N KASA LO G R E Y C O B A LT

Wie nähert man sich jemandem, den man nicht kannte, von dem man aber einen Haufen von Objekten, Dokumenten und Fotografien geerbt hat? Vielleicht durch eine sehr poetische Aneignung, aus der dann eine Ausstellung und ein vielschichtiges Buch entstehen. Diesen Weg ist die finnische Fotografin (*1986) gegangen: Zwar hat sie ihren als Mineralogen tätigen Großvater zu Lebzeiten nie kennengelernt, fand aber im Nachlass zwischen den Boxen mit Steinen und Mineralien auch Fotografien, Briefe und Notizen, die sie neu geordnet zu einem Erinnerungswerk zusammenfügte. „Im Laufe der Entstehung dieses Werks sind diese ungewöhnlichen Erbstücke in meinen Augen zu animierten Charakteren mit unabhängigen Körpern und Kräften geworden“, so Honkasalo, die mit ihrem Buch eine radikale und anschauliche Form der Geschichtsschreibung gefunden hat. 144 Seiten, 80 Abb., englisch, 18,5 × 21 cm, Loose Joints

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LEICA FOTOGRAFIE I N T E R N AT I O N A L

A N ATO L KOT T E MEIN BILD

Schlechte Laune, ein riesiger Stuhl aus Dachgebälk und so gar keine Begeisterung für die Bildidee: Es bedarf keiner Sympathie, um ein brillantes Foto entstehen zu lassen.

71. Jahrgang | Ausgabe 3. 2019

LFI PHOTOGR A PHIE GMBH Springeltwiete 4, 20095 Hamburg Telefon: 0 40/2 26 21 12 80 Telefax: 0 40/2 26 21 12 70 ISSN: 0937-3969 www.lfi-online.de, mail@lfi-online.de CHEFREDA KTION Inas Fayed A RT DIRECTION Brigitte Schaller REDA KTION Michael J. Hußmann, Katrin Iwanczuk, Denise Klink, Bernd Luxa, Danilo Rößger, David Rojkowski BILDREDA KTION Carol Körting L AYOUT Thorsten Kirchhoff MITA RBEITER DIESER AUSGA BE Joachim Bessing, Carla Susanne Erdmann, Katja Hübner, Ulrich Rüter, Holger Sparr, Katrin Ullmann GESCH Ä FTSFÜHRUNG Steffen Keil A NZEIGENLEITUNG & M A RKETING Kirstin Ahrndt-Buchholz, Samira Holtorf Telefon: 0 40/2 26 21 12 72 Telefax: 0 40/2 26 21 12 70 E-Mail: buchholz@lfi-online.de holtorf@lfi-online.de Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 47 vom 1.1.2019 REPRODUKTION: Alphabeta, Hamburg DRUCK: Optimal Media GmbH, Röbel/Müritz PA PIER: Igepa Profimatt

John Cage, Frankfurt am Main 1987

Die Aufnahme entstand im Rahmen einer Kulturveranstaltung in Frankfurt am Main. Ein Bekannter hatte diesen unglaublichen Stuhl, der backstage stand, gebaut. John Cage war in Frankfurt, um dort seine Oper Europeras 1 & 2 zu inszenieren. Doch ein Brand hatte die Frankfurter Oper unbespielbar gemacht, in der die Uraufführung stattfinden sollte. Cage war entsprechend schlecht gelaunt und mochte auch meine Porträtidee nicht. Nach zwei, drei Belichtungen sagte er: „Ich mag nicht mehr, ich will nach Hause.“ Also hob ich ihn runter und er taperte davon. Nach diesem Bild, es ist eines meiner absoluten Lieblinge, bin ich überzeugt, dass Fotograf und Protagonist sich nicht sonderlich gut verstehen müssen, um ein tolles Bild entstehen zu lassen. Anatol Kotte, 1963 in Westfalen geboren, begann 1981 als Fotoassistent bei verschiedenen Werbefotografen. Die Leidenschaft für Porträts zieht sich bis heute durch sein Werk. Kottes Arbeiten werden national und international publiziert.

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LFI

A BO-BEZUGSBEDINGUNGEN LFI erscheint achtmal jährlich in deutscher und englischer Sprache. Jahresabonnement (inkl. Versandkosten): Deutschland: 58 € Belgien, Österreich, Luxemburg, Niederlande, Schweiz: 63 € weltweit: 69 € LFI gibt es auch als kostenlose App im Apple iTunes Store und bei Google Play. Ältere Hefte sind als dort als In-App-Käufe erhältlich LFI-A BOSERVICE Postfach 13!31, D-53335 Meckenheim Telefon: 0 22 25/70 85-3 70 Telefax: 0 22 25/70 85-3 99 E-Mail: lfi@aboteam.de Für unverlangt eingesandte Fotos und Texte übernimmt die Redaktion keine Haftung. Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen einzelnen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Leica – eingetragenes Warenzeichen.


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