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8. 2 0 1 9    N ov e m b e r | D ez e m b e r

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L e i c a F o t o g r a f i e I n t e r n at i o n a l

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Mehrfacher Gewinner des TIPA-Awards – 2013/2017

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Lfi 8. 2019

p o rt f o l i o lO b a 2 0 1 9

F / s to p

88 | gewinner und Finalisten

74 | L e i c a S L 2 Das Herz der neuen SL2 ist ein 47-Megapixel-Sensor, angetrieben vom neuen Maestro-IIIProzessor. Auch sonst wurde nahezu jedes Bauteil optimiert

Den Leica Oskar Barnack Award 2019 hat Mustafah Abdulaziz gewonnen, Nachwuchspreisträgerin ist Nanna Heitmann. Die Serien der Gewinner und Finalisten im Überblick

8 0 | INTERVIEW Im zweiten Teil unseres Interviews mit dem Chef des Produktmanagements bei Leica, Stefan Daniel, geht es um die Q2, die APS-C-Linie, den L-Mount und die neue SL2

P h o to 104 | Bücher Tuan Anh Le: aus der Serie The Stranger

8 4 | s p e c i a l Ed i t i o n s Seit 1975 stellt Leica alljährlich Sondermodelle seiner Kameras in limitierten Auflagen vor. Gerade sind die M Monochrom „Signature“, die M10-P „ASC Edition“ und die Leica CL „Bauhaus“ in Schwarz erschienen

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Walter Vogel 6 | L e i c a h a ll o f fa m e

Ehrung für einen großen deutschen Reportagefotografen: Für sein Lebenswerk wird Walter Vogel in die Leica Hall of Fame berufen

Robin Hinsch 22 | JÌNDÙ

The future is happening now! Eine 23 Tage lange Reise führte den Fotografen durch acht chinesische High-Tech-Metropolen Mit ihrer optimierten Ergonomie wirkt die SL2 deutlich kompakter als die SL

Neue Publikationen von Tomas van Houtryve, Anja Conrad, Joel Meyerowitz und Lia Darjes

Tommaso Protti 3 4 | TERRA VERME L H A

In schonungslosem Schwarzweiß dokumentiert der Carmignac-Award-Preisträger die Konflikte in der brasilianischen Amazonas-Region

Herlinde Koelbl

Bildwelten erleben auf der Paris Photo, dem Photolux Festival in Lucca, Italien, und dem LagosPhoto Festival, Nigeria 108 | Leica Galerien Das Programm der Leica Galerien weltweit, unter anderem mit Ikonen aus Steve McCurrys Bilderschatz in der neu eröffneten Leica Galerie Madrid 1 1 0 | I n t e rv i e w Sebastião Salgado erhielt als erster Fotograf den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Ein Gespräch mit Jury-Mitglied Felicitas von Lovenberg 1 1 4 | m e i n B i ld Auf dem Weg nach L. A. erfuhr David Nissen, dass das Motiv Regie führt, nicht der Fotograf 114 | impressum

48 | präzise seismografin

Deutsche Wohnzimmer, Schießziele und Truppenübungsplätze, Porträts: Ein Blick auf Herlinde Koelbls Werk anlässlich ihres 80. Geburtstags

Tuan Anh Le 62 | the stranger

Eine fotografische Meditation über die Beziehung zwischen Mensch und Landschaft und eine Reise zu sich selbst

Cover: Walter Vogel, Junge, Düsseldorf 1955

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LFI-news

L FI - G e w i n n s p i e l Feiern sie mit uns 70 Jahre LFI!

1949 erschien die erste deutschsprachige Ausgabe der LFI – seinerzeit noch unter dem Titel Leica Fotografie. Die neue Zeitschrift der Kleinbildfotografie. Seither sind über 500 Ausgaben in deutscher, englischer und zeitweise auch französischer Sprache veröffentlicht worden. Unsere Zeitschrift begleitete zahlreiche Meilensteine der Leica-Fotografie, angefangen bei der Leica IIc über die Einführung des MSystems bis hin zur neuen Leica SL2 in dieser Ausgabe (Seite 74). In diesem Jahr freuen wir uns, mit Ihnen das 70-jährige Bestehen von Leica Fotografie International feiern zu können. Wir verlosen unter allen Abonnenten des LFI-Newsletters eine Leica Q und ein Leica CL Vario Kit. Weitere 70 Gewinner erhalten darüber hinaus ein digitales LFI-Jahresabo. Die Gewinner werden wir Ende Januar 2020 benachrichtigen. Sie sind noch kein Newsletter-Abonnent? Dann können Sie sich mit ein paar Klicks hier anmelden: http://bit.ly/LFI_Newsletter

Die Cover der Leica Fotografie (International) im Wandel der Zeiten

Contributor

Walter Vogel ist ein diskreter Beobachter – das belegt auch dieses Selbstporträt im Spiegel, das er 1994 im Pariser Café Chez Jeannette aufgenommen hat. Vogels zweite große Leidenschaft neben der Fotografie ist der Kaffee: Seine Bücher über die europäische Kaffeehauskultur sind beste Reportagefotografie und Kulturgeschichte zugleich. Wir präsentieren ein Portfolio aus der Fülle seines Lebenswerks, für das der Düsseldorfer Fotograf in diesem Jahr in die Leica Hall of Fame eingeführt wird. 4 |

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robin hinsch Neon trifft Tristesse, Euphorie trifft Einsamkeit: In den Bildwelten von Robin Hinschs Projekt Jìndù, das acht ostasiatische Ballungszentren porträtiert, scheint alles gleichzeitig zu passieren. Kein Wunder, dass der Fotograf bei solch einem Kulturschock seine eurozentrierte Perspektive ablegen musste. So gelang es ihm, Szenarien zu zeichnen, die kein ScienceFiction-Autor besser hätte beschreiben können. Jìndù macht deutlich, dass wir uns schon jetzt mitten in der Zukunft befinden.

To m m as o pr o tt i

Protti begab sich für sein aktuelles Projekt Terra Vermelha in die Tiefen des nordbrasilianischen Dschungels, wo er mit den Auswirkungen von Raubbau, Drogenschmuggel und Armut konfrontiert wurde. Auf die Frage nach der größten Herausforderung während dieser Reise reagierte er höchst souverän: „Als Fotograf ist es für mich immer dann am schwierigsten, wenn man tagelang auf etwas warten muss, etwa auf einen Zugang. Das Schlimmste ist also, wenn gar nichts passiert!“

Fotos: © Walter Vogel, © Robin Hinsch, © Gabriele Bianchini

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L e i c A H a ll o f f a m e

Walter Vogel

Chronist seiner Zeit und klassischer Reportagefotograf: Für sein Lebenswerk wird der Bildjournalist aus Düsseldorf nun in die Leica Hall of Fame berufen. Wir präsentieren eine Auswahl seiner besten Motive aus fünf Jahrzehnten — Dokumente aus analogen Zeiten in perfekter Präzision, die bis heute faszinieren. 6 |

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Im Uhrzeigersinn von oben: Giraffe und Kinder im Zoo Rotterdam, 1968; aus dem Spanischen National Circus: die Artistin Mara in ihrer Garderobe und am Trapez sowie der Clown Enders auf dem Weg zur Vorstellung, 1964; Gran Caffè Quadri, Venedig 1986. Vorherige Doppelseite: der Dalmatiner, der kein Interesse am Fußball hat, Düsseldorf 1956. Seite 7: Kommunionskinder vor der August-Thyssenhütte, Duisburg-Bruckhausen 1965

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Oben links: Clown Enders als Stelzenläufer vor dem Spanischen National Circus, Koblenz 1965; daneben: Joseph Beuys bei seiner Hasen-Aktion in der Galerie Schmela, Düsseldorf 1965; darunter: Selbstporträt mit dem spiegelnden World Trade Center, New York 1975. Linke Seite: Kopistin im Louvre, Paris 1973. Folgende Seiten: Mick Jagger, 1974 (links) und Daisy St. Denis, Barfrau im Chez Nous Cabaret, Berlin 1994 (rechts)

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Der Fotograf als Beobachter und Porträtist – eine Auswahl aus Vogels Langzeitprojekten über Italien, Kaffeekultur und Travestie. Links: Le Canardier im weltberühmten Pariser Restaurant Tour d’Argent, 1974; darunter: der Mailänder Dom, 1973; daneben: Oberkellner Franz im Café Frauenhuber, Wien 1994. Rechte Seite: Olaf als Marilyn Monroe, Frankfurt 1991

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Eines der bekanntesten Themen Vogels ist die italienische Kaffeehauskultur. Von oben im Uhrzeigersinn: die Bar im Hotel Vesuvio, Neapel 1989; der Eingang des Moulin Rouge, Montmartre, Paris 1974; Blick aus den Uffizien auf die Dachterrasse der Loggia dei Lanzi, Florenz 1977; im Gran Caffè Meletti, Ascoli-Piceno 1982; ein schneller Espresso in der legendären Camparino-Bar, Mailand 1982

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Ingenieur in der Chemieindustrie. Dabei hatte er schon als Jugendlicher die Fotografie für sich entdeckt. Straßenszenen zwischen Ruinen und Hochöfen, Ruß und typischen Ruhrgebietsszenen entsprachen dabei genau dem gängigen fotografischen Zeitgeist. Bereits als Amateur besaß er den richtigen Blick für das entscheidende Bild, im elterlichen Badezimmer wurden die Motive dann fachgerecht vergrößert und verfeinert. Das in der Maschinenschlosserlehre verdiente Geld wurde sorgsam gespart und 1954 konnte er sich eine Leica IIf leisten. Aber: „Die Fotografie lief immer nebenher. Abends, an den Wochenenden. Relativ früh bin ich dann in einen Amateur-Fotoclub eingetreten. In diesem Club war auch Horst H. Baumann: ein absoluter Frühstarter. Er kam mit Life an, kannte die Arbeiten von Henri Cartier-Bresson. Er wusste um die Weltfotografie – und besaß schon eine Leica. Von ihm habe ich viel gelernt,“ so Vogel im Leica-WorldInterview 2003. Mit dreißig Jahren dann der mutige Entschluss, noch einmal neu zu starten. Er fuhr nach Essen und präsentierte Otto Steinert eine Mappe mit Arbeitsproben. Steinert, damals bundesweit eine Institution in der Fotografenausbildung, erkannte das Potenzial, forderte und förderte ihn. Nach dem Examen begann die Selbstständigkeit, nach Werbe- und Modeaufnahmen wurde die Magazinfotografie wichtigstes Standbein. Mit seinem ersten Buch im Selbstverlag (For Sale, 1980) entdeckte Vogel eine neue Aufgabe, denn neben den Fotografien stammten die Begleittexte ebenfalls von ihm. Spätestens sein Espresso-Buch von 1993 war der publizistische Durchbruch, der ihm eine ganze Folge von Publikationen rund um das Thema Kaffee ermöglichte. Mit seiner von Authentizität, Präzision und manchmal auch sublimen Humor geprägten Bildsprache, gehört Vogel zu den großen deutschen Fotografen des analogen Zeitalters – die Auszeichnung der Aufnahme in die Leica Hall of Fame ist ein glücklicher, weiterer Beweis seiner Wertschätzung und Anerkennung. Ulrich Rüter

Walt e r Vo g e l Geb. am 18. Oktober 1932 in Düsseldorf. Nach Maschinenschlosserlehre, Ingenieursstudium und siebenjähriger Tätigkeit in der Industrie ab 1963 Studium an der Folkwangschule bei Otto Steinert. Nach dem Examen 1968 selbstständiger Bildjournalist in Düsseldorf. 1954 Erwerb der Leica IIf, später wurde die M2 seine bevorzugte Reportagekamera; danach erweiterten die Leicaflex SL 2, Leicaflex SL 2 MOT und eine Leica M5 seine Ausstattung. Bereits seit 1954 erste Veröffentlichungen in Zeitschriften, 1964 Auszeichnung beim Wettbewerb World Press Photo. Von 1977 bis 2002 Atelier in Frankfurt, danach wieder Düsseldorf. Seinen Vorlass hat Vogel 2016 größtenteils an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz gegeben, er wird dort von der bpk (Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte) betreut.

Bü c he r: Ewa Eva. Fotografien 1970–2014 (Kerber, Bielefeld 2016); Genova 1964–2014 (Kettler, Dortmund 2014); Caffè all’ italiana (Emons, Köln 2013); Deutschland. Die frühen Jahre 1951– 1969 (Brandstätter, Wien 2002); Die Schönen der Nacht (Brandstätter, Wien 1994); Espresso (Brandstätter, Wien 1993) Aus ste llu n g: Walter Vogel, Leica Hall of Fame; vom 14. November 2019 bis 27. Januar 2020 in der Leica Galerie Wetzlar

Fotos: © bpk/Walter Vogel

Milieu-Chronist des Ruhrgebiets, begeisterter Zirkusgänger, weltgewandter Reisefotograf, genussvoller Espresso-Liebhaber oder nachtschwärmerischer Travestiefotograf: Schaut man auf dieses Lebenswerk, so bieten sich viele Kategorisierungen an. Und ja, Walter Vogel ist alles zusammen, sein reiches Werk zeichnet ihn als einen der großen deutschen Reportagefotografen aus. Seine Motive suchte er meist auftragsfrei auf der Straße, zunächst im vertrauten Düsseldorf und im nahen Ruhrgebiet, später auf vielen Reisen weltweit. Vor allem sein Schwarzweißwerk zeigt ihn als Autorenfotograf mit humanistischem Gespür für seine Zeitgenossen und deren Lebensumstände. Zwar hat er auch immer wieder Prominente und Künstler fotografiert – insbesondere seine Serien über die legendäre Wuppertaler Tänzerin Pina Bausch oder die damals viel diskutierten Kunstaktionen von Joseph Beuys – aber sein Hauptaugenmerk galt den Alltagsmenschen: „Ich bin der KleineLeute-Fotograf, das heißt, ich schätze Leute, die eben nicht oben sind, sondern die hart um ihre Existenz kämpfen müssen, weltweit: die Handwerker, die Händler, die Baristas. Das ist meine Leidenschaft, denn ich fühle mich selbst auch als Handwerker“, so seine Selbsteinschätzung in einem Interview. Seine fotografische Leidenschaft war dabei immer mit großer Ausdauer gepaart. Über 20 Jahre hat er die Welt der Travestietheater fotografiert, noch mehr Jahrzehnte verbinden ihn mit dem Thema Kaffee. „Ich bin ein fanatischer Kaffeetrinker, die Café-Kultur in Italien kennenzulernen war für mich einfach sensationell.“ Prächtige Bildbände widmete er den Kaffeehäusern in Europa, lange bevor der Hype darum einsetzte. Ungewöhnlich spät fand Vogel seinen Weg in die professionelle Fotografie. Ganz solide, dem Wunsch der Eltern folgend, ging er zunächst in die Lehre, studierte und arbeitete als


STORE & GALERIE Konstanz 78462 Konstanz | Gerichtsgasse (gegenüber dem Landgericht KN) | Tel.: +49 (0)7531 916 33 00 | www.leica-store-konstanz.de | www.leica-galerie-konstanz.de

Öffnungszeiten: Mo - Fr 10.00 bis 18.30 Uhr, Sa 09.30 bis 14.00 Uhr

(Von links) Leica M60 Edition, Leica M-P Titanium Edition, Leica M Monochrom „Signature“ by Andy Summer, Leica M6 „Titan Edition“, Leica CL - „Jungle Edition“ designed by Jean Pigotti & Leica Monochrom „Drifter“ designed by Lenny Kravitz

Aktuelle Ausstellung

FOCUS: WERNER BISCHOF AUSSTELLUNG bis 17. November 2019, der Eintritt ist frei ÖFFNUNGSZEITEN Mo bis Fr 10.00 – 18.30 Uhr, Sa 09.30 – 14.00 Uhr oder nach Vereinbarung Bild: Germany. Friedrichshafen. 1945 © Werner Bischof / Magnum Photos


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Robin Hinsch JĂŒNDĂ™

Ein Fotograf, acht Metropolen, 23 Tage: einmal quer durch China mit der Leica M. Hinschs Serie zeigt die Versprechen der Zukunft und die Gebrechen der Gegenwart.

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In Städten wie Hongkong, Chongqing oder Guangzhou hat Hinsch mit großem Gespür für Details nach einem gemeinsamen Nenner gesucht. Die logistischen Herausforderungen, die es im knapp bemessenen Zeitraum zu meistern galt, waren für ihn bald schon ein Teil des Projekts

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Der Mensch spielt in JĂŹndĂš eine untergeordnete Rolle, auch wenn er als Krone der SchĂśpfung die Oberhand in einem vermeintlichen Kampf gegen die Natur gewonnen hat. Er findet sich in einer Welt wieder, in der Fortschritt gleichsam wegweisend und destruktiv sein kann

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„Dem Projekt ging eine lange Recherche voraus“, berichtet der Fotograf. „Die Orte, die sich als relevant herausstellten, machen allein aber noch kein Bild.“ Die Bild- und Formsprache von Jìndù bildete sich erst im Laufe der Reise heraus

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Wie von einer gleiĂ&#x;enden Dystopie geprägt, fordern die Aufnahmen den Betrachter heraus, Geborgenheit im Fremden, Ruhe im Unruhigen und Ordnung in einem visuellen Chaos zu finden

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Wie kommen Menschen zur Ruhe in Städten, die nie schlafen? Assoziative Konstrukte aus Kunstlicht, Schatten, Farben und Formen hinterfragen in Hinschs Werk sowohl das Leben in der Gemeinschaft als auch die Rolle des Einzelnen in Gegenwart und Zukunft

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In den Millionenmetropolen dieser Welt drängen sich die Einwohner dicht an dicht. Es sind Städte wie Hongkong, Peking oder Shenzhen, in denen die Zukunft sich schon heute abzuspielen scheint – Zentren des Fortschritts mit hektischem Pulsschlag, die nie zur Ruhe kommen. Fasziniert von dieser Geschäftigkeit hat es sich Robin Hinsch zur Aufgabe gemacht, einige der größten Ballungszentren der östlichen Hemisphäre zu besuchen, um sie auf seine ganz eigene Art und Weise zu porträtieren. Er hat nicht die Menschenmassen im Fokus, sondern überrascht den Betrachter mit Szenarien, die an Isolation und Vereinsamung denken lassen. Und doch blitzen aus dunklen Ecken wieder Neonlichter auf, die Entdeckungslust in der unendlich wirkenden Fremde wecken. Oder trügt der Schein? „Das Projekt geht von der Annahme aus, dass wir in einer effizienzorientierten Welt leben und sich dieses Denken in den kommenden Jahren noch deutlich steigern wird,“ erklärt Hinsch im Gespräch. „Schon jetzt wird jeder Lebensbereich entsprechend kalkuliert, sodass die größten Werte der Weltwirtschaft in immateriellen Finanzprodukten generiert werden können.“ Der Fotograf versucht gar nicht erst, die gegenwärtige, technologisch geprägte Gesellschaft mittels bereits durchgespielter Metaphern zu symbolisieren. Wohl aber möchte er eine Metapher für eine mögliche gemeinsame Zukunft entwerfen, die sich aus vorhandenen Elementen aus Vergangenheit und Gegenwart zusammensetzt. Diese Zukunft könnte allerdings nicht wenigen Unbehagen bereiten, denn Jìndù bringt auf den Punkt, was zahlreiche literarische Erzählungen bereits vorhergesagt haben: „Eigentlich sind alle Science-FictionAlbträume mittlerweile Realität geworden. Man denke nur an Digitalisierung, Automatisierung, Überwachung, Vereinsamung …“, stellt Hinsch fest. Tatsächlich lassen die sanft leuch-

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tenden Dystopien ein Gefühl der Ungewissheit durchscheinen. In Jìndù hat der Mensch den Kampf gegen die Natur gewonnen und versucht sein Dasein in einer selbst geschaffenen, künstlichen Umwelt aufrechtzuerhalten – am Ende steht jedoch Einsamkeit, Tristesse und das Bewusstsein, dass die Menschheit im Begriff ist, sich selbst zu zerstören. Ist die Seele der modernen Gesellschaft in der Lage, mit solch einer Welt Frieden zu schließen, in der die Natürlichkeit immer mehr der Künstlichkeit weicht? Mit 23 Tagen hat Hinsch sein Projekt in einen extrem knappen Zeitraum gelegt, aber für ihn lag in diesem Zeitdruck der besondere Reiz. Haben die Städte eine ähnliche Handschrift, besitzen sie eine gemeinsame Syntax? Oder ist jeder etwas ganz Besonderes, Individuelles eigen? Mit diesen Fragestellungen begab sich Hinsch auf eine Reise konstanter Reizüberflutung; er suchte, fand und komponierte. Eine intensive Recherche im Voraus half ihm dabei, Orte von Interesse gezielt anzusteuern. Die Kunstlichter und Häuserschluchten, die Artefakte und Fabrikate formten allmählich eine gemeinsame Bildsprache, die sich dem Fotografen im Laufe seiner Reise wie von selbst erschloss. Kulturelle Unterschiede erforderten eine Veränderung seiner eurozentrisch geprägten Sichtweise – was Hinsch letztlich als angenehme Herausforderung empfand. So hinterfragen seine Aufnahmen eigene Bedürfnisse und setzen sich mit der latent manifestierten Selbstverständlichkeit eines Lebens in einem hochtechnisierten Zeitalter auseinander. Lässt man sich auf diesen Rausch aus Farben, Formen, Mustern und Strukturen ein, zeigt sich, dass viel scheint, aber wenig glänzt. Gespeichert bleibt ein surrealer Trip mit seltsam vertraut vorkommender Fremdartigkeit, der sowohl positiv stimuliert, aber auch beunruhigt. Was überwiegt, kann am Ende nur der Betrachter selbst entscheiden. Nur eines steht in Jìndù fest: In unserer modernen Welt kann man das Anderswo bereits im Hier und Jetzt finden. Danilo Rössger

Robin Hinsch Die Arbeit des 1987 geborenen Fotografen fokussiert sich vordergründig auf soziale und politische Themen. Er selbst beschreibt seinen Stil als assoziativ-subjektiv, zur Abstraktion neigend. Seine vielfach preisgekrönten Serien ruhen oft auf einem dokumentarischen Fundament, nehmen aber auch das Recht auf künstlerische Freiheit in Anspruch. Hinschs Arbeiten erschienen u. a. in Zeitschriften wie dem Spiegel, Zeit Magazin und SZ Magazin. rob in hin s c h.com LFI -On lin e .DE/Blog: Slideshow mit we it e re n Bilde rn vo n Ro bin H insch Equipment: Leica M10 mit SummicronM 1:2/35 Asph und Summilux-M 1:1.4/50 Asph


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Tommaso Protti

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T e rra V e r m e lha lFI

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Raubbau, Drogenschmuggel und gewaltsame Konflikte machen dem hochsensiblen Ökosystem des Amazonasgebiets zu schaffen – mit verheerenden Folgen für Mensch und Natur. Für die Fondation Carmignac reiste Tommaso Protti zusammen mit dem Journalisten Sam Cowie nach Brasilien, um die Situation zu dokumentieren.

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Der illegale Abbau von Holz steht aktuell wieder hoch im Kurs und ist für viele Menschen im Bundesstaat Rondônia im Nordwesten Brasiliens die einzige Erwerbsquelle. Die indigenen Bewohner der Gegend haben sich allerdings zusammengetan, um gemeinsam ihre Heimat zu beschützen. Nicht selten zerstören sie auf ihren Patrouillen Camps der Holzfäller und beschlagnahmen deren Ausrüstungsgegenstände. Besonders gefährlich wird es, wenn sie Holzfäller auf frischer Tat ertappen, da beide Seiten bewaffnet sind. Die Mehrheit der Tötungsdelikte um Land oder Ressourcen wird nicht aufgeklärt

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Die starken Spannungen im Amazonasgebiet sind sowohl in den Städten als auch in ländlichen Regionen zu beobachten. Oben: Ein Mitglied der Guajajara Forest Guard auf Patrouille. Indigene Aktivisten wie er werden regelmäßig belästigt, bedroht und schlimmstenfalls sogar ermordet. Links: Ein Anführer der Bewegung der landlosen Bauern nahe der Region Canaã dos Carajás. Die Bewegung kämpft für Agrarreformen in ganz Brasilien

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Protti begab sich immer mitten ins Geschehen, wie etwa in die illegale Siedlung Monte Horebe in Manaus (unten). Links (von oben nach unten): Ein Mädchen vom Stamm der Juruna im Fluss Xingu, dessen Trockenperioden sich häufen; Tausende Migranten suchten in den letzten Jahren Zuflucht in Manaus, rund 1000 Kilometer von der Grenze zu Venezuela entfernt; bedeckter Leichnam in einem Armenviertel von Manaus, Polizei und Anwohner vermuten ein TÜtungsdelikt aufgrund unbezahlter Drogenrechnungen


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Oben: Ein junger Mann wird in Manaus angeklagt, rund 50 Kilogramm eines Kokainderivats geschmuggelt zu haben. Vor den Reportern h端llt er sich in Schweigen. Die Amazonasregion ist ein bekannter Umschlagplatz f端r Drogen mit einem bl端henden lokalen Schwarzmarkt. Links: Eine obdachlose venezolanische Frau, die vor sechs Monaten in Manaus angekommen ist, lebt mit ihrem Kind in einem improvisierten Camp f端r Heimatlose

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Unten: Mitglieder vom indigenen Volk der Kayapó zelebrieren einen rituellen Tanz. Ihr Land dient als wichtige Barriere gegen die weitere Rodung in Richtung Süden. Rechts: Indigene der Kayapó bereiten sich auf ein Ritual vor (Mitte); Crepurizão dient als Basis für viele illegale Minenarbeiter, die von dort aus in die verschiedenen Abbaugebiete gebracht werden (unten); der 17-jährigen Prostituierten Beatriz wurde gesagt, dass es in Crepurizão mehr Geld zu verdienen gibt als in ihrer Heimatstadt Manaus (oben)

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Die unterschiedlichen Konflikte haben für einschneidende Veränderungen im Amazonasgebiet gesorgt. Tommaso Protti und Sam Cowie lag viel daran, das Erlebte möglichst detailliert und schonungslos zu dokumentieren

T o m m a s o P r o tt i Protti wurde 1986 in Mantua, Italien, geboren und wuchs in Rom auf. Nach einem Studium der Politikwissenschaften zog er 2011 nach London, wo er Fotojournalismus und Dokumentarfotografie am London College of Communication studierte. Seitdem arbeitet er als freiberuflicher Dokumentarfotograf mit zahlreichen Veröffentlichungen in renommierten Medien. Derzeit lebt er in São Paulo, Brasilien.

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Auf einer Fläche, größer als die Europäische Union, stellt das Amazonasgebiet als „Grüne Lunge“ der Erde ein Schutzschild gegen die zunehmende Erderwärmung dar. Man assoziiert das Areal weithin mit großer Artenvielfalt bei Flora und Fauna, mit Naturvölkern und Ursprünglichkeit. Doch je mehr man sich damit beschäftigt, desto offenkundiger werden die Probleme, denen die Amazonasregion ausgesetzt ist. Tommaso Protti zeichnet ein eindringliches Porträt einer Region, die elementar für das Fortbestehen der Menschheit ist – aber für viele die Hölle auf Erden bedeutet. LFI: Was hat Sie angespornt, die Situation im Amazonasgebiet zu dokumentieren? Tommaso Protti: Der britische Journalist Sam Cowie und ich haben die Region bereits häufiger für verschiedene Auftraggeber besucht – hauptsächlich, um über die dortigen Drogenkriege zu berichten. Als Brasilien sich immer mehr in die Krise manövrierte und sich die Probleme in der Region häuften, erkannten wir, dass etwas Größeres auf dem Spiel stand – nicht nur für Brasilien, sondern für den ganzen Planeten. In uns wuchs das Bedürfnis, unsere gemeinsamen Erfahrungen als Texter und Fotograf in einer großen Geschichte zu bündeln. Wir möchten über die sozialen Veränderungen sprechen und uns auf etwas konzentrieren, was uns so noch nicht gezeigt wurde: das Blutvergießen und die Zerstörung in der Region. Es scheint, als seien viele Situationen nicht ganz ungefährlich gewesen. Hatten Sie eine bestimmte fotografische Herangehensweise? Die meisten der Personen, die ich traf, fühlten sich verlassen und vergessen. Um solche Menschen zu fotografieren, muss man ihnen vermitteln, dass man nicht da ist, um über sie zu urteilen, sondern um ihre Geschichten zu erzählen. Sonst hielt ich mich an keine

bestimmten Regeln. Jede Situation ist anders, und am Ende hilft mir mein Instinkt am besten weiter. Wie wirkt sich die Politik von Präsident Jair Messias Bolsonaro auf die Amazonasregion aus? Um das soziale Gefüge im Amazonasgebiet ist es extrem schlecht bestellt. Es ist wichtig zu verstehen, dass viele von denen, die den Regenwald roden, zu jenen vergessenen Gemeinschaften gehören, die sonst keine Alternative haben, um zu überleben. Daher machen sie sich zu Komplizen der Umweltkriminalität. Diese wiederum wird von Großgrundbesitzern und multinationalen Konzernen überall dort legitimiert, wo der Klimawandel infrage gestellt und der Wald für die Ausbeutung freigegeben wird. Das bedroht gezielt indigene Völker und landlose Bauern. Straflosigkeit ist also der Schlüsselfaktor, um die Krise am Amazonas zu verstehen. Manaus ist ein bevölkerungsreicher Hot Spot in der Region. Wie würden Sie die Atmosphäre in der Stadt beschreiben? Manaus hat eine schmutzige Aura. Die Stadt wuchs während des Kautschukbooms Ende des 19. Jahrhunderts rasant und gehört heute zu den gewalttätigsten Orten der Welt. Ich verbrachte ganze Nächte damit, von einem Tatort zum nächsten zu wechseln und den polizeilichen WhatsAppGruppen zu folgen, die live über die Verbrechen berichteten. Das passiert jeden Tag, am Wochenende sogar Dutzende Male. An den Tatorten sieht man Frauen mit ihren Kindern, die von Kugeln durchsiebte Leichen betrachten, bis der Leichenwagen kommt – als wäre das alles eine Show. Gibt es etwas, das die dortige Situation verbessern könnte? Die Situation in der Region hat sich in den letzten Jahren verschärft, da Brasilien von einer politischen in eine wirtschaftliche Krise geschlittert ist und Ressourcen zur Bekämpfung illegaler Aktivitäten begrenzt. Mit dem Aufkommen der immer mächtige-

ren, umwelt- und menschenrechtfeindlichen Legislative ist das kein Phänomen, das in naher Zukunft verschwinden wird. Es gibt keine Möglichkeit, die Umwelt zu retten, ohne auch die Armut zu bekämpfen! Was können Nichtbeteiligte tun? Die Gewalt im Amazonasgebiet betrifft uns alle und manchmal sind wir unwissentlich Mittäter. Die Gewalt ist eine Folge der Dynamik des Weltmarkts und der Nachfrage nach Konsum – von Kokain bis Rindfleisch. Wissenschaftlern zufolge hat der Regenwald als Folge illegaler Abholzung und landwirtschaftlicher Expansion den point of no return erreicht. Hinzukommen Entwicklungs- und Abbauprojekte unter staatlicher und privatwirtschaftlicher Führung. Ich glaube, dass es wichtig ist, das Bewusstsein für diese Situationen zu schärfen und zu hinterfragen, was passiert. Ist ein anderer Weg der Lebensgestaltung möglich – und wenn ja, was hielte uns davon ab, diesen einzuschlagen? Ihr Projekt wurde mit dem renommierten Carmignac Fotojournalismuspreis ausgezeichnet. Was bedeutet diese Auszeichnung für Sie? Es war eine große Ehre und ein Privileg, diese Auszeichnung zu erhalten. Ich bin der Jury und der CarmignacStiftung für diese großartige Gelegenheit ewig dankbar. Mit einem solchen Preis stehen genug Zeit und Ressourcen zur Verfügung, um sich ausschließlich auf die Geschichte zu konzentrieren – und zwar völlig unabhängig. interview: Danilo RöSSger

tommas oprotti.com LFI -On lin e .DE/Blog: One Photo — One Story Equipment: Leica SL mit Vario-Elmarit-SL 1:2.8-4/24-90 Asph, Leica M Monochrom mit Summicron-M 1:2/28 Asph und SummicronM 1:2/35 Asph Alle Bilder © Tommaso Protti für

die Fondation Carmignac

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LeicA Klassiker

Herlinde Koelbl P R Ä Z ISE SEISMO G R A FIN

Ein unvergleichlich dichtes Lebenswerk, eine ganz eigene Art des Erzählens – die vielfältigen Projekte und Bildserien der Fotografin sind immer Dokument und Kommentar zugleich – der Erkenntnisgewinn ist garantiert. Eine Hommage zu Herlinde Koelbls 80. Geburtstag.

Die Serie Das Deutsche Wohnzimmer gab 1980 Einblicke in diverse gesellschaftliche Milieus: hier im Haus des Ehepaars Rudolf und Inge R. (Fabrikant und Malerin)

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Vincent und Victoria Poklewski (Finanzberater und Malerin), London (aus der Serie: Schlafzimmer von 2002). Links oben: Alois und Katharina W. (Kranfahrer und Hausfrau); unten: Hans Heinrich und Maria H. (Landwirt­schaftsmeister und Hausfrau) aus der Serie Das Deutsche Wohnzimmer von 1980

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Schlafzimmer (2002) entstand in London, Berlin, Moskau, Rom, New York und Paris. Modedesigner Wolfgang Joop fotografierte Koelbl in Berlin


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Frau mit Ei aus der Serie Eier (2004/2005). Rechts: Eine Zielscheibe auf einem Ăœbungsplatz im Libanon, aus der Serie Targets (2014), entstanden in fast 30 Ländern und eines der aufwendigsten und schwierigsten Projekte der Fotografin

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Kunstvoller Haarknoten aus der Serie Haare (2007). Links: Die Hände des Schriftstellers Ernst Jünger (1895–1998), die Koelbl im Jahr vor seinem Tod fotografierte, aus der Serie Im Schreiben zu Haus. Wie Schriftsteller zu Werke gehen (1998)

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Der Komponist John Cage, München 1992; links oben: der Künstler Joseph Beuys, Kassel 1977. Links unten: der Regisseur Christoph Schlingensief, 2000. Nächste Seite: aus der Serie Feine Leute (1986), fotografiert mit einer Leica R4

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Fotos: © Herlinde Koelbl/Agentur Focus


H e rl i n d e Ko e l b l geb. am 31. Oktober 1939 in Lindau; Modestudium in München. Ab Mitte der 1970er Entdeckung der Fotografie als Autodidaktin. Erste Ausstellung Frauen in Deutschland 1979 im GoetheInstitut Ankara. Frühe Veröffentlichungen im Stern, dann in allen bedeutenden Magazinen. Aus einigen Projekten entstanden Dokumentarfilme, u. a. Spuren der Macht. Die Verwandlung durch das Amt (1999), Die Meute. Macht und Ohnmacht der Medien (2001) sowie Videoinstallationen, u. a. Goldmund (2005) oder Haare (2007). Auszeichnungen, u. a. Leica Medal of Excellence (1987), Dr.-Erich-Salomon-Preis der DGPh (2001), Bundesverdienstkreuz am Bande (2009), Bayrischer Verdienstorden (2013). Sie lebt in Neuried bei München.

www.h e rli n d e ko el b l .co m Aus st e llu n g : Mein Blick, 30. Okto-

ber 2019 bis 31. Januar 2020, Eröffnung der neuen Leica Galerie Stuttgart Bü c h e r : (Auswahl) Targets (2014); Kleider machen Leute (2012); Mein Blick (2009); Hair (2007); Schlafzimmer (2002); Spuren der Macht (1999); Feine Leute (1986); Das Deutsche Wohnzimmer (1980)

Die Welt beschreibend und fotografisch ergründen; Wissen erlangen, hinterfragen, bewahren – so ließe sich die Arbeit der Fotografin und Autorin Herlinde Koelbl umschreiben. Mit Blick auf die umfangreiche Projekt- und Publikationsliste ist es erstaunlich, dass sie erst mit Mitte Dreißig die Fotografie für sich entdeckte. Und das eher zufällig, war sie doch als Modedesignerin sehr erfolgreich und auch als vierfache Mutter vollauf beschäftigt. Doch was mit einer alten Agfa Silette und ein paar Triple-X-Filmen begann, sollte Koelbl in den folgenden Jahren zu einer der bedeutendsten deutschen Fotografinnen der Gegenwart werden lassen. „Als ich die Fotografie entdeckte, war es wie ein Ankommen. Ich wusste, ich habe das Richtige gefunden“, so ihre treffende Selbsteinschätzung. Wie keiner anderen Fotografin ist es ihr immer wieder gelungen, mit höchst unterschiedlichen Langzeitprojekten wichtige gesellschaftspolitische Themen für ein großes Publikum zu erarbeiten. Insbesondere die Wandlungsfähigkeit in Ästhetik und Stil sind typisch für Koelbl. Auch wenn sie immer wieder im Auftrag von Magazinen arbeitet, sind ihre freien Projekte heute die sichtbarsten Ergebnisse ihrer unvergleichlichen Ausdauer und Hartnäckigkeit, mit der sie ihre Themen verfolgt und erarbeitet. Den Auftakt bildete 1980 Das deutsche Wohnzimmer, ein soziologisches Porträt der deutschen Gesellschaft, gegliedert nach Milieus. Auch bei den später fotografierten Schlafzimmern ging es um weit mehr als die Selbstdarstellung der Porträtierten. Wirkten die Wohnzimmer noch stärker wie statische Bühnenräume, erscheinen die Schlafzimmer reportagehafter und auch die Protagonisten wirken souveräner vor der Kamera. Das liegt nicht nur an der Verwendung von Farbe, sondern auch an der größeren Vielfalt der Orte. Zwar sind die Blicke der Porträtierten zumeist auf die Kamera ausgerichtet, aber trotzdem ist die Fotografin nicht als Regisseurin wahrnehmbar. So unsichtbar sie erscheint, so genau und urteilsscharf ist ihr Blick. Schon

eine ihrer ersten Serien, Feine Leute, war ein bitterböses Schaulaufen der sogenannten besseren Gesellschaft, die in ihren Ritualen und Party-Exzessen präsentiert wurden. Das Wechselspiel und die Fallhöhe zwischen Schein und Sein sind Konstanten im Werk der Fotografin. Immer geht es auch um Image, Status, Selbstund Fremdbild. Und auch die Fragen der Macht werden in vielen Projekten sichtbar. Wobei Spuren der Macht, eine ihrer bekanntesten Serien, in eine andere Richtung verweist. Hier geht es nicht um das Verhältnis von Macht und Zeit, das sich in die Gesichter ihrer Protagonisten eingeschrieben hat. Begleitet von intensiven Video-Interviews beweist die Fotografin auch hier ihr Geschick, in der Langzeitbeobachtung den Porträtierten ungestellte Momente und ehrliche Statements zu entlocken. Wichtigste Strategie war dabei, immer vorurteilsfrei, unbefangen, aber bestens vorbereitet zu sein. Prägend und für Koelbl ihre wichtigste Arbeit waren die Jüdischen Porträts, bei der sie sich mit Fotografien und Interviews intensiv mit der deutschen Geschichte auseinandersetzte. Längst ist Koelbl selbst eine Zeitzeugin, die Liste ihrer Projekte ist lang: von Akten, Haaren über die Uniformen von Kommissarinnen und Händen von Schriftstellern reicht sie bis zu Targets, einer Auseinandersetzung über Aussehen und Funktion militärischer Zielscheiben. Aus allen Projekten spricht ihre Neugier und Empathie. Viele der Zyklen – auch über tabuisierte Themen – haben Geschichte geschrieben. Koelbl ist weit mehr als eine Fotografin. Sie ist Künstlerin, Autorin, Chronistin oder – noch passender – Seismografin ihrer Zeit. Wir gratulieren zum Geburtstag und freuen uns auf neue Projekte – denn selten geht ihr Blick zurück. Kein Ausruhen auf den verliehenen Lorbeeren, denn die spannenderen Aufgaben liegen für die Koelbl typischerweise immer in der Zukunft. Ulrich Rüter

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LeicA sL

Tuan Anh Le th e s tra n g e r

In seiner Serie The Stranger erzählt Tuan Anh Le vom Dasein des Menschen in der Weite der Natur, von der Beziehung zwischen Mensch und Landschaft. Mit fantasievollen, surrealen Kompositionen sucht er nach dem eigenen Ich.

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Mode an sich, sagt Anh Le, spiele in seinen Arbeiten nicht die wichtigste Rolle. Im Mittelpunkt stehe der Mensch im Zusammenspiel mit der Natur. Ein wiederkehrendes Motiv auf den Bildern ist der Baum, fĂźr den Fotografen das Symbol des Lebens

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Tuan Anh Le arbeitet ohne komplexe Beleuchtungseinrichtungen. Eine Herausforderung, bei der er schnell reagieren und sich an die Situation anpassen muss. Aus Spontaneität entsteht Magie

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Große Räume, ob innen oder außen, sind für den Fotografen das wichtigste Mittel seiner Arbeit. Sind sie nicht alle von Menschen direkt oder indirekt für ihre eigenen Bedürfnisse geschaffen worden?

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„Fotograf zu sein bedeutet für mich ganz wörtlich, ein Lichtschreiber zu sein. Meiner Meinung nach ist die Beleuchtung der schwierigste, aber auch der interessanteste Aspekt eines Fotos.“

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In Albert Camus’ Roman Der Fremde gibt sich der Held Meursault gleichgültig. Er ist ein Mörder, ohne Gefühl und ohne Trauer, ohne Verständnis für Gut und Böse. Er bewegt sich am Rande der Gesellschaft und außerhalb der von ihr festgelegten moralischen Werte. Der Fremde ist eines der Lieblingsbücher von Tuan Anh Le und hat seiner Modeserie ihren Namen gegeben. Sie zeigt den Menschen allein in seiner Umwelt, inmitten großer Flächen. Wüste, Feld, Plantage. Er wirkt dabei verloren und einsam, wie ein Fremder am falschen Platz. „Es gab Momente in meinem Leben, in denen ich mich selbst entfremdet fühlte, fern von meinem eigenen Ich“, erzählt Anh Le. „So beschloss ich, mich irgendwann in die Wildnis zu begeben.“ Vor fünf Jahren kündigte Anh Le seine Anstellung als Kreativdirektor und ließ sich auf das Abenteuer Selbstständigkeit ein. Die bloße Auftragserfüllung hatte mit ihm als Autor eigener Werke nicht mehr viel gemein. Wie Meursault in Der Fremde weigerte er sich, weiter zu „performen“. Die Serie The Stranger sei ein Produkt dieser Entfremdung gewesen, sagt er. „Sie zeigt meine Abkehr von den gängigen Studio-Aufnahmen und meine Ablehnung der von der Gesellschaft diktierten ästhetischen Prinzipien. Ich wollte mich in der Natur verlieren, sie beobachten, sie fühlen und mich von Dingen überraschen lassen.“ Im Fokus seiner Arbeiten steht die Beziehung zwischen Mensch und Landschaft. In den Aufnahmen paart sich die Schönheit der Objekte mit exakter Komposition. Die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit, Realität und Surrealem, scheint auf den Bildern zu verschwimmen. Wie die großen Räume, in denen sie sich bewegen, haben auch die Modelle eine Struktur in ihrer Kleidung. So, als würden sie sich ihrer Umgebung anpassen. „Ich bin zwar ziemlich wählerisch bei der Auswahl der richtigen Modelle

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und der richtigen Outfits“, meint Anh Le; „aber Mode an sich war noch nie ein wichtiger Faktor für meine Fotos. Stoffe, Strukturen, Muster der Kleidung und sogar die Models sind für mich nur ein Mittel, um meine Botschaft zu überbringen.“ Die Serie The Stranger hat Anh Le sowohl mit der Leica S007 als auch der Leica SL produziert. Es sei seine beste Erfahrung überhaupt gewesen, sagt er, in der Postproduktion hätte es kaum etwas zu tun gegeben. Neben der Faszination für große Räume liefern seine Bilder einen ständigen Verweis auf das Licht, das beim Shooting oft künstlich erzeugt wird. Anh Le benutzt das Licht nicht nur als Stilmittel, sondern auch als Plot seiner Geschichten. „Fotograf zu sein bedeutet für mich ganz wörtlich, ein Lichtschreiber zu sein“, sagt er. „Meiner Meinung nach ist die Beleuchtung der schwierigste, aber auch der interessanteste Aspekt eines Fotos.“ Beim Arbeiten im Freien verzichtet er auf komplexe Beleuchtungseinrichtungen. Stattdessen experimentiert er mit verschiedenen Möglichkeiten, um natürliches und künstliches Licht zu mischen, um seine Gefühle für die Umgebung zu bewahren. „Wer das Licht versteht, versteht das Universum“, heißt es unter Naturwissenschaftlern. Und so sind Anh Les Bilder ein Ort voller Magie. Oft puristisch, aber geheimnisvoll erzählen sie vom Dasein des Individuums in einem Makrokosmos. Ein wiederkehrendes Motiv in seinen Arbeiten ist der Baum. Stark und weit verzweigt behauptet er seinen Platz in der Natur. Der Baum ist der Riese unter den Pflanzen, unübersehbar und mächtig. „Ich betrachte ihn als Symbol des Lebens“, sagt Anh Le. Wie können wir Natur heute definieren? Was ist überhaupt die Natur? Und können wir Natur in Zukunft nur noch in Form von Nationalparks oder Naturschutzgebieten erleben? Das sind die Fragen, mit denen sich der Fotograf nicht nur in seinen Aufnahmen auseinandersetzt. Um eine Antwort auf diese Fragen zu finden, meint Anh Le, sollte man vor allen Dingen eines tun: innehalten. Katja hübner

T ua n A n h L e

Tuan Anh Le, 35, schloss die Fotografieschule EFET in Paris mit Auszeichnung ab. Er war Kreativdirektor, freier Fotograf, Lehrer für Fotografie und gründete ein eigenes Studio. Er war für internationale Magazine wie Elle, Harper’s Bazaar, Dep und Citizen K tätig. Seine Serie The Stranger wurde 2018 als Einzelausstellung im Deutschen Haus in Ho-ChiMinh-Stadt präsentiert. tuan .f r Equipment: Leica SL mit Vario-ElmaritSL 1:2.8–4/24–90 Asph und Leica S007 mit Apo-Macro-Summarit-S 1:2.5/120


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E i n gr o s s e r w u r f Leica sl2

Die neue Leica SL2 bietet nicht nur eine gigantische Auflösung, sondern wurde in beinahe allen Punkten verbessert. Da sie nahezu zu jedem Leica-Objektiv kompatibel ist, ist sie das große Universaltalent unter den Leicas.

Ist es wirklich schon vier Jahre her, dass Leica die SL präsentierte? Als diese Kamera erschien, war sie noch eine kleine Revolution, denn damals hatte – abgesehen von den Anhängern der Leica M natürlich – noch kaum jemand verinnerlicht, dass die Zukunft nicht mehr den bis dato führenden DSLRs, sondern den spiegellosen Systemkameras gehören würde. Nun gibt es mit der Leica SL2 die Fortsetzung der Erfolgsgeschichte. Wer die Kamera nur oberflächlich betrachtet, wird die Unterschiede zur Vorgängerin kaum sehen und Veränderungen hauptsächlich im Innenleben vermuten. In Wirklichkeit ist aber praktisch jedes Teil an der Kamera neu, sie hat nicht nur einen wesentlich leistungsfähigeren Sensor, sondern ist auch deutlich schneller, kann wesent74 |

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lich besser filmen, hat ein neues Bedienkonzept und noch eine Reihe von Tricks auf Lager. N eu e s G eh äus e. Wer

auf den ersten Blick kaum einen äußeren Unterschied zur SL sieht, täuscht sich gewaltig: Das Gehäuse ist völlig neu gestaltet und nun klassisch dreigeteilt aufgebaut. Der Mittelteil des Gehäuses besteht aus Magnesium, Boden und Gehäusedeckel werden hingegen weiterhin aus Aluminium gefräst. Und auch wenn es kaum auffällt: Das Gehäuse wurde in sehr vielen Bereichen überarbeitet, die Kanten wurden stärker gerundet, auch die Vorderseite ist jetzt beledert. Der Handgriff ist nicht nur ein wenig kleiner, sodass man ihn auch mit kleineren Händen besser greifen kann, sondern er

hat auch auf der Innenseite eine Vertiefung verpasst bekommen, die den Grip deutlich verbessert. Obwohl die SL2 nahezu genauso groß ist wie die SL, haben die Designer durch diese Maßnahmen erreicht, dass die Kamera wesentlich kompakter wirkt und ergonomischer ist. Auf der Rückseite fällt auf, dass die vier unbeschrifteten Knöpfe an den Rändern des – leicht vergrößerten und deutlich höher auflösenden – Displays drei klar beschrifteten Tasten links vom Display gewichen sind. Das Bedienkonzept stammt von der Leica Q2 und funktioniert schon deshalb wesentlich flotter, weil der Bildschirm mittlerweile auch auf Berührungen reagiert. Für die SL2 ersann Leica zusätzlich Statusmenüs – über die sich Fotound Videokamera völlig

unabhängig voneinander konfigurieren lassen –, die nach dem Drücken des Menü-Knopfs auf dem Display erscheinen – für das klassische Menü muss man zweimal drücken. Im Statusmenü sieht man die wichtigsten Belichtungsdaten, kann aber auch über einen Fingertipp ganz simpel wichtige Einstellungen wie etwa die Empfindlichkeit ändern. Ein Blick durch den Leica EyeRes® Sucher zeigt, dass dort ein neues OLEDDisplay mit 5,76 MP seinen Dienst verrichtet, das qualitativ hervorragend ist. →

Für die Leica SL2 wurde ein neues Gehäuse gestaltet, das nun auch vorn beledert ist. Auf der Rückseite befinden sich nur noch drei Tasten neben dem Display, die eindeutig beschriftet sind und von der Q2 übernommen wurden


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Diese Szene fotografierten wir vom Einbeinstativ und entwickelten das DNG mit Adobe Photoshop. Trotz des Vorserienstatus der Kamera mussten wir die Rauschunterdrückung kaum in Anspruch nehmen

camera obscura fotografie für die leica M

für alle kameras mit leica m-bajonett

subjektiv pancake

N e u e s I nne nl e be n . Das Herzstück einer Digitalkamera ist aber ihr Bildsensor und in diesem Punkt legt die SL2 deutlich zu: Satte 47 Megapixel beträgt die Nettoauflösung ihres Bildsensors, der bereits vor kurzem seine Premiere in der Q2 feierte. Damit übertrifft die SL2 die SL um beinahe das Doppelte, was natürlich ein gewaltiger Schritt ist. Es klingt aber vielleicht etwas weniger dramatisch, wenn man die 6000 mal 4000 Pixel einer Leica SL mit den 8368 mal 5584 Pixeln einer Leica SL2 vergleicht. Und damit wird auch klar, dass der neue Sensor zwar kleinere Pixel hat, die bekanntlich eine höhere Neigung zum Rauschen aufweisen, doch durch den Fortschritt in der Sensor-

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technologie fällt das Rauschen sogar geringer aus als bei der Vorgängerin. Tatsächlich konnten wir in der Praxis auch mit relativ hohen Empfindlichkeitseinstellungen sehr hochwertige Aufnahmen machen, deren Rauschen sehr gering und vor allem sehr gut in der Nachbearbeitung zu beseitigen war. Die Detailauflösung, die der Sensor der SL2 in die Aufnahmen bringt, ist atemberaubend. Die Kamera kann die höhere Auflösung des Sensors voll umsetzen, sodass hier definitiv die Qualität der Objektive gefordert ist. Die hohe Bildqualität nützte aber nicht viel, wenn die Kamera nicht auch ausgesprochen schnell wäre. Der deutlich beschleunigte

Maestro-III-Prozessor sorgt gemeinsam mit dem Sensor, dessen AF-Pixel sich um ein Vielfaches schneller auslesen lassen als beim Vorgänger, auch für einen extrem schnellen und zuverlässigen Autofokus. Dabei gibt es einen neuen – und erstaunlich gut funktionierenden – AFModus, der automatisch Bewegungen im Bild erkennt und intelligent zwischen Schärfe- und Bewegungspriorität umschaltet und natürlich auch alle anderen Modi bis hin zur Gesichtserkennung, die sich in manchen Aufnahmesituationen sehr bewähren können.

d e r B i ld s ta b i l i sator ist prakt is c h ü b er j ed en Zweifel erhaben – e r e r m ö gl i c ht B el ic htu n g sz eit en, d ie s on st aus f r eier Ha n d völlig u n d en kbar wär en .

B ew egter s en so r . Was

man der SL2, die äußerlich praktisch genauso groß wie ihre Vorgängerin ist, nicht

ansieht, ist ihr beweglich aufgehängter Bildsensor, mit dem sie eine Kamerainterne Bildstabilisierung realisiert. Der ganze Sensor gleicht die Bewegungen und Ruckeleien aus, die der Fotograf ins System bringt. Normalerweise ist die Bildstabilisierung eher im Objektiv durch eine seitenverschiebbare Linse realisiert, aber laut Leica ist die Methode mit dem verschiebbaren Sensor vor allem bei kurzen und mittleren Brennweiten deutlich effektiver. Erst im Tele-Bereich reicht sie zumeist nicht mehr aus und dann schaltet die Kamera – falls vorhanden – auf den Bildstabilisator im Objektiv um. Der eigentliche Clou ist natürlich, dass alle →

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Selbst der Blitzschuh wurde neugestaltet und hält die Systemgeräte von Leica nun sicherer. Das zentrale Einstellrad wurde beibehalten

Objektive, selbst ganz alte M-Objektive, plötzlich mit Bildstabilisator genutzt werden können. Und die Funktionalität des Stabilisators ist in der Praxis über jeden Zweifel erhaben – teils wirkte das Bild bei mittleren Brennweiten wie eingerastet und es wurden Belichtungszeiten möglich, die normalerweise aus freier Hand undenkbar wären. Definitiv ein sehr stabiles Stativ wird man aber für eine zweite Spezialität des verschiebbaren Sensors benötigen, die Leica zügig per Firmware-Update nachliefern will: Im Multishot-Modus macht die Kamera insgesamt acht Aufnahmen in schneller Folge, zwischen denen der Sensor in Schritten von einem halben Pixel verschoben wird. Dabei entstehen Aufnahmen mit rund der vierfachen Auflösung von satten 187 Megapixeln – 16736 mal 11168 Pixel sind es ganz genau. F ü r V i d e o - f r e u nd e .

Trotz des beweglich gelagerten Bildsensors blieben die Gehäusetiefe und das Gewicht der Leica SL2 gegenüber der Vorgängerin praktisch gleich

Die Leica SL2 nutzt den gleichen Akku wie die SL, aber der neue Bodendeckel machte ein neues Design für den zusätzlichen Hochformat-Handgriff nötig

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Auch für die Freunde bewegter Bilder hat die neue SL2 etwas im Gepäck. Alle Einstellungen zur Belichtung, Empfindlichkeit und so weiter erfolgen für Foto und Film völlig unabhängig voneinander, was zwar ungewöhnlich, aber sehr praktisch ist. Die Kamera beherrscht einen 5K-Modus mit dem für Videos ungebräuchlichen Seitenverhältnis von 4 zu 3, einen Cine4K-Modus mit 4096 mal 2160 Pixeln und Bildraten bis 60 Bilder pro Sekunde sowie die normalen 4K- und Full HD-Aufnahmemodi. Ton-Equipment muss man nun nicht mehr umständlich über einen Adapter anschließen, sondern es gibt

jetzt zwei Klinken-Anschlüsse für Mikrofon und Kopfhörer. Und Puristen dürfen statt des Video-Modus auch „Cine“ wählen. Dort ist nur noch manuelle Belichtung erlaubt, die Belichtungszeit wird nicht in Sekundenbruchteilen, sondern wie bei klassischen Filmkameras in Grad der Umlaufblende angegeben. ISO sind ASA und statt des Blendenverhältnisses in geometrischen F-Stopps werden T-Stops angezeigt, die neben der Blendeneinstellung auch die Lichtdurchlässigkeit der Optik berücksichtigen. Faz i t. Die Leica SL2 gab

sich bereits im ersten Test nirgends eine Blöße: Der Autofokus ist rasend schnell, die Bildqualität herausragend, ihre Auflösung erreicht selbst mit den APS-C-Objektiven der Leica TL2/CL noch mehr als 20 Megapixel, durch ihren externen Lichtsensor kann sie auch bei M-Objektiven, die per Adapter angeschlossen werden, die Blendeneinstellung abschätzen und dank der LMount-Alliance lassen sich auch Objektive von Drittanbietern anschließen. Und bekanntlich sind ja auch die SL-Objektive selbst von erlesener Qualität. Es gäbe noch so viel mehr zu ihr zu erzählen, beispielsweise, dass sie extrem leise ist, doch wie gut sich die finale Ausführung in der Praxis wirklich schlägt, werden in einer der nächsten Ausgaben renommierte Fotografen für uns ausprobieren. Holger sparr


Au to m at i s c h s c harF L F I v o r 5 0 J ah r e n

W i e d e r P r a d o v i t- C o l o r - A u t o f o c u s f ü r e i n e n g e l u n g e n e n D i a- a b e n d s o r g t – v o llko m m e n a u t o m at i s c h .

Die in den letzten zehn Jahren erzielten Fortschritte bei Diaprojektoren betreffen sowohl Verbesserungen der Leistungen als auch des Bedienkomforts: So wurden etwa durch die Einführung von Niedervoltlampen und besonders durch die Halogenlampen höhere Lichtleistungen bei geringerer Wärmebelastung des Dias erreicht. Die Bedienung wurde durch Einführung von Magazinen und Fernbedienung vereinfacht oder angenehmer gemacht. Mit der Verringerung der Wärmebelastung und der teilweisen Vorwärmung von Dias ist zwar das unangenehme Poppen ungeglaster Dias zurückgegangen, aber nicht ganz ausgeschaltet. Die Nachstellung der Schärfe mit der Fernbedienung ist aber auch keine reine Freude, so daß die Einführung einer automatischen Nachstellung der Schärfe, wie sie am Pradovit-Color-Autofocus ausgeführt ist, den I-Punkt im Bedienungskomfort darstellt. Der Pradovit-Color-Autofocus ist imstande, geglaste und ungeglaste Dias im gemischten Wechsel automatisch scharf zu projizieren. Es läßt sich zeigen, daß zwischen geglasten und ungeglasten Dias ein gewisser Restfehler in der Einstellung der Diabühne bleibt. Die Größe dieses Fehlers ist abhängig von der Glasdicke und der Maskenstärke. Sie ist naturgemäß am kleinsten bei Rähmchen, in denen der Film unmittelbar zwischen zwei Anti-Newton-Gläser geklemmt wird. L FI 6/ 1 969 : Meister der Leica: Anton Kaiser; Leicavision – neue Wege der Projektion; Die Fotografie in der Biologie u. v. m. für 1,09 Euro in der LFI-App für Android und iOS.

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l e i c as z u ku n f t s plä n e i n t e rv i e w

Im zweiten Teil unseres Interviews mit Stefan Daniel, Produktmanagement-Chef bei Leica, geht es um das Konzept der Q/Q2, um die L-Mount-Allianz sowie die mit diesem Bajonett ausgestatteten Kamerasysteme.

Marktzahlen des japanischen Industrieverbands Camera & Imaging Products Association (CIPA) zeigen, dass es in der Kameraindustrie zumindest in einigen Produktsegmenten kriselt, aber der Wetzlarer Traditionshersteller scheint durch innovative Kameras wie die Q/Q2 gut für die Zukunft gerüstet zu sein. LFI: Die Q und jetzt die Q2 lassen sich ja auch als Vorschlag zur Güte für diejenigen sehen, die am liebsten eine M mit elektronischem Sucher und Autofokus hätten. Leica könnte vermutlich nicht noch eine komplett neue AF-Objektivreihe auflegen, aber mit der Q2 gibt es eine vom Konzept her durchaus Mähnliche Kamera, die automatisch fokussiert – wenn auch nur mit einer einzigen, festen Brennweite. Stefan Daniel: Eine Vollformatkamera und dazu passende AF-Objektive mit den aus dem M-System ge80 |

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wohnten Abmessungen wären nach dem Stand der Technik nicht zu realisieren. Schließlich benötigen die Elektronik und Mechanik des Autofokus einschließlich der AF-Motoren zusätzlichen Platz. Hinzu kommt, dass AF-Objektive ganz anders konstruiert sein müssen. Zur Fokussierung sollte möglichst nur eine kleine und leichte Linsengruppe genutzt werden, die schnell und präzise bewegt werden kann. Das macht die Optikdesigns verglichen mit MObjektiven relativ aufwendig und die Zahl der Linsenelemente ist deutlich höher. Hier kann die M ihren Vorteil ausspielen, eben weil sie keinen Autofokus hat. Es bleibt ein Alleinstellungsmerkmal der manuellen M, dass wir dafür sehr kompakte Objektive bauen können. Insofern ist die Q tatsächlich eine Antwort auf den Wunsch nach Autofokus. Ein fest verbautes Objektiv fester Brennweite bietet ganz andere Möglich-

keiten. Man kann auf einen Schlitzverschluss verzichten und den Verschluss stattdessen in das Objektiv einbauen. Die Hinterlinse sitzt bei der Q-Linie praktisch unmittelbar vor dem Sensor, was eine sehr kompakte Bauweise erlaubt. Solche konstruktiven Kniffe reduzieren die Abmessungen der Kamera, setzen aber ein nicht auswechselbares Objektiv voraus. Mit einem Bajonett, elektronischen Kontakten, einem Schlitzverschluss und so weiter würde die Kamera schnell größer. LFI: Im Rahmen der LMount-Allianz hat inzwischen auch Sigma die erste Kamera mit diesem Anschluss vorgestellt. Wie will sich Leica in diesem Bereich neben seinen Lizenznehmern Panasonic und Sigma positionieren? Stefan Daniel: Als Erfinder des L-Mount wird auch Leica das System weiterentwickeln, im Kleinbild- ebenso wie im APS-C-Bereich.

Wir werden das System mit beiden Formaten mit neuen Kameras und Objektiven ausbauen. Das beste Beispiel dafür ist die neue Leica SL2 (siehe Seite 74): Sie führt die Grundidee der SL als extrem vielseitige, schnelle und leistungsfähige Kamera konsequent fort. Zugleich unterscheidet die SL2 sich im Design – und vielleicht noch wichtiger – in ihrer einfachen Bedienung deutlich von anderen Angeboten in diesem Bereich. Ebenfalls einzigartig ist die Kombination von hoher Sensorauflösung und sehr performanter Video-Funktion. Und wir sind froh, dass Panasonic und Sigma jetzt auch mit eigenen Systemkomponenten auf dem Markt sind oder kommen werden, weil der Kunde damit natürlich eine ganz andere Auswahl an Kameras und Objektiven hat, die er kombinieren kann. Von Sigma kommen vermutlich auch bald Objektive,die es von Leica so nie geben wird – die →


Leica TL2

Leica CL

Leica Q2

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Stefan Daniel: Die gibt es auch. Manche Fotografen kaufen sich bewusst neben der SL eine CL, um dank des Cropfaktors weiter in den Telebereich vorzustoßen. Sie nutzen beispielsweise ein Apo-Vario-Elmarit-SL 1:2.8–4/90–280 an der CL und haben damit ein effektiv noch stärkeres Tele bei immerhin 24 Megapixeln. Vorwiegend richtet sich die CL aber an Kunden, die gerne fotografieren und hochwertige Bilder mitbringen möchten, ohne dafür Experte sein zu müssen. Auch finanziell möchten sie lieber auf einem anderen Level einsteigen, als es eine SLAusrüstung erforderte. Der CL kommt damit die Rolle einer Einsteiger-Systemkamera zu, was wir auch

Entwicklung etwa eines Superteles würde sich bei unseren typischen Stückzahlen gar nicht rechnen. LFI: Wie teilt sich im APSC-Bereich das Interesse der Kunden zwischen der TL2 und der CL auf? Stefan Daniel: Der Favorit ist eindeutig die CL. Sie hat mehr vom Leica-Touch; sie ist eher traditionell gestaltet – auch von der Bedienphilosophie her – und daher die populärere Kamera unter den beiden. LFI: Ist es eine ganz andere Gruppe von Fotografen, die durch das APS-C-Format statt durch Kleinbild angesprochen wird, oder gibt es auch Fotografen, die beide Formate nutzen?

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LFI: Im ersten Teil des Interviews (siehe LFI 7/2019, Seite 86) haben wir über die Daten zur aktuellen Marktentwicklung gesprochen und Leica-Mitbewerber wie Canon haben in letzter Zeit ganz offen darüber gesprochen, dass man Probleme habe. Kann Leica vielleicht gerade als kleinerer Hersteller in Bereichen Erfolg haben, in denen den großen dieser Erfolg verwehrt bleibt? Stefan Daniel: Leica war ja in der Situation, nach dem

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Ende des R-Systems nicht mehr mit einem VollformatSpiegelreflexsystem im Markt präsent zu sein. Damit war für uns der Weg frei, auf die spiegellose Technologie zu setzen. Wir hatten nicht die Bürde, ein Spiegelreflexsystem, das noch aus der analogen Zeit stammt, weiter pflegen zu müssen. Daher konnten wir mit der SL und jetzt der neuen SL2 konsequent in den Bereich des spiegellosen Vollformats einsteigen, und damit hatten wir einen Vorteil gegenüber den beiden Großen. Wir können auch Nischen besetzen, in die große Hersteller nicht hineingehen würden – die Stichworte lauten hier etwa M Monochrom und M ohne Display, aber vor allem natürlich extrem hochwertige

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Objektive, die zwar teuer sind, aber qualitativ ihresgleichen suchen. Auch eine Kamera wie die Q2 gibt es so von keinem anderen Hersteller. LFI: Ich finde es sehr interessant, dass Leica einerseits mit der M einen sehr traditionellen Ansatz pflegt, andererseits aber bei Modellen wie der S, SL und TL neue Bedienkonzepte einführt und damit moderner als viele andere Hersteller erscheint. Stefan Daniel: Ja, das haben wir auch als ein Alleinstellungsmerkmal identifiziert – neben dem Design, das sich ja auch stark abhebt. Unsere Maxime ist, dass sich unsere Kameras möglichst einfach und intuitiv bedienen lassen und nicht mit Funk-

tionen überladen sind – weniger ist mehr. Die Kunden bestätigen uns auch, dass sie Freude am Produkt haben und dass sie zu viele Menüs, zu viele Knöpfe und zu viele Optionen eher störend fänden. Wenn die Menüs zu komplex sind, genügen sonst schon vier Wochen, in denen man die Kamera nicht genutzt hat, um den Überblick zu verlieren. Wir versuchen, die richtige Balance zwischen vielfältigen fotografischen Möglichkeiten und einer einfachen Bedienung zu finden und würden im Zweifelsfall eher eine Funktion weglassen.

„Unsere Maxime ist, dass sich unsere Kameras möglichst einfach und intuitiv bedienen lassen und nicht mit Funktionen überladen sind – weniger ist mehr.“

pflegt, sondern als moderner Hersteller mit innovativen Konzepten? Stefan Daniel: Ja, es setzt sich langsam durch, dass wir nicht nur für die M stehen, sondern mit Produkten wie der Q, SL und CL für einen kleinen Hersteller sehr breit aufgestellt sind, sodass für jeden etwas dabei ist. Mit der Sofort oder der S können wir auch Spezialgebiete abdecken. Es gibt eigentlich kaum etwas, das man nicht mit einer Leica fotografieren könnte. Auch die Kooperation mit Huawei zeigt ja, dass wir technologisch ganz gut aufgestellt sind. LFI: Herr Daniel, vielen Dank für das Gespräch!

LFI: Leica wird heute also nicht mehr nur als Traditionshersteller wahrgenommen, der die M weiter

Das Interview hat Michael J. HuSSmann geführt

Das SAMMLERSTÜCK des Tages! Wir bieten Ihnen täglich exklusiv auf meister-camera.com eine LEICA-Rarität aus den unterschiedlichsten Bereichen: seltene Leica-Kameras, Objektive, Zubehör, Schriftstücke und Kuriositäten.

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20.09.2019 16:17:20 Uhr


besondere stücke L e i c a-s o n d e r e d i t i o n e n

Die Sondereditionen haben ihren festen Platz im Leica-Programm und werden zu Ehren bedeutender Fotografen oder Organisationen aufgelegt. Doch hinter den Sondermodellen steckt oft noch sehr viel mehr als nur ein besonderes Design.

Sondermodelle haben bei Leica eine lange Tradition. Hinter den Special Editions steckt fast immer mehr als nur eine speziell designte Sonderauflage. Oft gibt es auch technische Besonderheiten, die auf die Person oder Organisation, die mit dem Sondermodell geehrt werden, Bezug nehmen. Im Folgenden werfen wir einen Blick auf die jüngsten Special Editions, die – hoffentlich – trotz Limitierung noch nicht völlig ausverkauft sind. Leica M Monochrom „ Si gn at ur e “. Diese Sonderserie ist etwas wirklich Besonderes, denn die Kamera ist nicht nur eine Hommage an Andy Summers, den legendären Gitarristen der Rockband The Police, sondern parallel erschien auch im genau abgestimmten

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Design eine passende Gitarre des amerikanischen Instrumentenherstellers Fender. Beide Instrumente verbinden Musik und Fotografie auf ihre ganz eigene Weise. Man muss kein von der Fotografie begeisterter Gitarrist sein, der sowohl das optische wie das Musikinstrument erwirbt – auch wer Musik nur bewundert, Fotografie aber als Leidenschaft ausübt, findet in der Leica M Monochrom „Signature“ by Andy Summers womöglich genau die Kamera, die er sucht. Summers ist bekanntlich von Musik und Fotografie gleichermaßen besessen. Bereits als der Erfolg über The Police hereinbrach, war er leidenschaftlicher Fotograf und nutzte fast seine ganze Freizeit, um seine Umgebung fotografisch festzuhalten. Natürlich über-

strahlte anfangs der Ruhm des Musikers den des Fotografen bei weitem. Doch Summers ist eben auch seit beinahe vier Jahrzehnten als Fotograf tätig und hat bereits diverse Ausstellungen, Fotobücher und andere Veröffentlichungen präsentiert. Dass die Leica M Monochrom als Grundlage für diese Special Edition gewählt wurde, ist natürlich kein Zufall, denn Summers arbeitet fast ausschließlich in Schwarzweiß und nutzt das Spiel von Licht und Schatten. Die Belederung der M Monochrom „Signature“ zeigt eine Collage ausgewählter Aufnahmen aus Summers’ Werk, auf der Oberseite findet sich seine gravierte Unterschrift in Rot, die den einzigen Farbtupfer setzt. Sie läuft in einer roten Linie aus, die die gewählte Belichtungs-

zeit markiert. Während die M Monochrom glänzend schwarz lackiert ist, sind die Bedienelemente silbern verchromt ausgeführt. Zum „Signature“-Set gehört eine besondere Ausführung des Leica Summicron-M 1:2/35 Asph, das mit einer runden Gegenlichtblende im Retro-Design ausgestattet ist. Richtig rund wird das Set durch das Zubehör. Die schwarze Ledertasche von Oberwerth passt ebenso perfekt dazu wie der Tragegurt mit seiner roten Ziernaht im schwarzen Leder. Er ist dem Design von Gitarrengurten nachempfunden, womit sich der Bogen zur Fender Stratocaster schließt. Das Unternehmen ehrt mit seinen Signature-Editionen regelmäßig besonders profilierte Gitarristen und hat die Summers-Version genau →


Die Leica M Monochrom „Signature“ ehrt den Gitarristen der Rockgruppe The Police, der sich in fast 40 Jahren auch großes Renommee als Fotograf erworben hat. Die Belederung der Kamera zeigt eine Collage seiner Arbeiten

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Leica M10-P „ASC 100 Edition“

Leica CL Bauhaus

auf die Kamera abgestimmt. Den grifffest lackierten Korpus ziert die gleiche FotoCollage wie die Kamera. Eine weitere Parallele sind die Knöpfe für die Drehregler, die dem silbernen Zeitenrad der Kamera nachempfunden sind. Sowohl das Kameraset als auch die Fender Stratocaster sind streng limitiert und werden jeweils nur in einer Auflage von 50 Exemplaren gefertigt. Leica M10-P „ASC 10 0 Ed i tion“. Die American

Society of Cinematographers feiert 2019 ihr 100-jähriges Jubiläum und schon Anfang des Jahres kündigte Leica eine Special Edition der Leica M10-P aus diesem Anlass an (siehe LFI 3/2019, S. 96). Nun ist es endlich so weit, dass man dieses ganz besondere Kameraset 86 |

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Mit den Sondereditionen Leica M10-P „ASC 100 Edition“ (oben) und der Leica CL „Bauhaus“ mit schwarzem Gehäuse und Objektiv werden zwei ganz besondere Organisationen geehrt

Al s sc hwarze Sonderedition w i rkt d i e Le i c a CL noch viel su bt i l e r , w e i l s i e o pt i sc h e h er a n die SchraubLeic as au s d e r Z e i t d e s Bau hau se s e r i n n e rt.

auch erwerben kann. Die Vorfreude dürfte schon groß gewesen sein, denn die „ASC 100 Edition“ sieht einfach umwerfend aus: Die tiefschwarze Kamera mit dem goldfarben eloxierten Summicron-M 1:2/35 Asph ist nicht nur optisch etwas Besonderes. Denn auch die American Society of Cinematographers ist eine spezielle Vereinigung. Bekannt ist das Kürzel ASC vielleicht aus dem Abspann mancher Filme, wo es den Namen des Kameramannes ziert, der als „director of photography“, also als Bildregisseur bezeichnet wird. Schon deshalb ist die ASC eine sehr exklusive Vereinigung mit etwa 450 Mitgliedern, in die nur derjenige aufgenommen wird, den drei reguläre Mitglieder empfehlen. Das erklärt auch, warum die „ASC 100 Edition“ nicht nur besonders gestaltet ist, sondern sich auch technisch von einer regulären M10-P unterscheidet: Sie dient als Werkzeug für Filmschaffende: Zwei nur hier verfügbare Looks ahmen den visuellen Eindruck klassischer 35-mm-Kinofilme und den digitalen Look heutiger Produktionen nach. Außerdem lassen sich einige der im Kino üblichen sowie selbstdefinierte Bildformatrahmen einstellen und in Live View im Aufnahme- und im Playbackmodus anzeigen. Zum Lieferumfang gehören auch der Visoflex-Aufstecksucher, der die Bildformatrahmen auch im Sucherokular sichtbar macht, und der Leica M-PL-Mount-Adapter, mit dem sich fast alle Cine Lenses mit PL-Mount an der „ASC 100 Edition“ betreiben lassen.

L e i ca C L „ Bau h aus“ sc h wa rz . Anlässlich des 100. Geburtstags des Bauhauses präsentierte Leica in diesem Jahr schon eine Leica CL „Bauhaus“ in Silber (siehe LFI 4/2019, S. 94). Leica und das Bauhaus haben einiges gemeinsam und Leicas Motto der „Reduzierung auf das Wesentliche“ geht unmittelbar auf das erste Bauhaus-Gebot zurück. So gesehen setzte bereits die erste Version der Leica CL „Bauhaus“ diese Philosophie perfekt um. Neben der Kamera enthielt das Set das Elmarit-TL 1:2.8/18 Asph und einen Trageriemen. In die Belederung der Kamera und den Riemen ist sehr subtil der BauhausSchriftzug eingeprägt, den Joost Schmidt im Jahr 1929 entworfen hat. Und das Leica-Logo ist eine echte Besonderheit, denn statt des bekannten roten Punkts zeigt es den geschwungenen Leica-Schriftzug auf schwarzem Grund. Das schwarze Logo ist nur an wenigen Leicas zu sehen. Das Fehlen des roten Punkts macht die Kamera deutlich unauffälliger, was üblicherweise nur den professionellen Versionen vorbehalten bleibt. Nun gibt es eine erneute Auflage von 150 Exemplaren der Leica CL „Bauhaus“, allerdings mit schwarzem Gehäuse und Objektiv. In dieser Form sieht die Kamera noch wesentlich subtiler aus und ähnelt optisch den klassischen Schraub-Leicas aus der Zeit des Bauhauses – eine äußerst gelungene Hommage. Holger sparr


© Herlinde Koelbl

mein blick Herlinde Koelbl Die Leica Camera teilt mit vielen Menschen weltweit die Leidenschaft zur kreativen Fotografie auf hohem Niveau. Daher ist es für Leica seit jeher von großer Bedeutung, solche fotografischen Werke und ihre Schöpfer den Menschen zugänglich zu machen, die sie zu schätzen wissen. Das ideale Forum dafür sind die Leica Galerien. Die neue Leica Galerie Stuttgart präsentiert die Eröffnungsausstellung „MEIN BLICK“ von Herlinde Koelbl, eine herausragende Persönlichkeit in der Fotografie. Die Ausstellung umfasst ausgewählte Aufnahmen aus dem umfassenden Werk und repräsentiert das Schaffen der renommierten deutschen Fotokünstlerin in seiner ganzen Vielfalt. Das besondere Interesse von Herlinde Koelbl gilt dem Menschen: seinem kulturellen Umfeld, seinem Alltag, seiner Körperlichkeit, seiner Individualität. Mit präziser Beobachtungsgabe beschäftigt sie sich mit kulturellen, gesellschaftlichen, politischen und philosophischen Themen und gibt Einblicke in die Vielschichtigkeit menschlicher Persönlichkeiten und Befindlichkeiten. Ausstellung 30. Oktober 2019 – 31. Januar 2020 Öffnungszeiten Montag – Freitag 10 –19 Uhr, Samstag 10 –18 Uhr Erleben Sie die Faszination Fotografie in der Leica Galerie Stuttgart!

Leica Galerie Stuttgart I Calwer Straße 41 I 70173 STUTTGART I DEUTSCHLAND I www.leica-camera.com


Leica

Oskar Barnack Award 2019

LFI-So n d e rhe ft: Die LFI-Sonderausgabe zum LOBA 2019 mit Informationen zu allen Serien finden Sie im LFI-Shop (lfi-online.de/shop). LOBA-Aus st e llu n g : Photolux Festival, Lucca,

16. November bis 8 Dezember 2019

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Jedes Jahr spiegelt der Leica Oskar Barnack Award nicht nur ein breites Spektrum gesellschaftlich relevanter Themen wider, sondern sorgt auch immer wieder für überraschende Einblicke in die Welt der künstlerischen Fotografie. Im Idealfall ist es die Verbindung eines dokumentarischen und artifiziellen Ansatzes, wie ihn in diesem Jahrgang der Gewinner des Wettbewerbs, Mustafah Abdulaziz, und die Gewinnerin des Nachwuchspreises, Nanna Heitmann, gefunden haben. In seinem monumentalen Projekt Water, an dem er seit acht Jahren arbeitet, untersucht Abdulaziz den Umgang des Menschen mit der Natur auf elementarer, hedonistischer und religiöser Ebene. In seinem metaphorisch verdichteten Foto-Essay zeigt er von subtil bis plakativ unsere Abhängigkeit von der Versorgung mit dem existenziellen Element. Nanna Heitmann versteht ihre Serie Hiding from Baba Yaga zwar durchaus als Dokumentation des Lebens an dem sibirischen Strom Jenissei, aber mehr noch als Dokumentation der Mythologie der Region: „Ich suchte nach traumähnlichen Bildern.“ Die Jury des Wettbewerbs bildeten in diesem Jahr Milena Carstens (Leitung Fotoredaktion ZEITmagazin), Steve McCurry (Fotograf ), Max Pinckers (LOBA-Gewinner 2018), Karin RehnKaufmann (Art Director & Chief Representative Leica Galleries International) und Enrico Stefanelli, (Director Photolux Festival Lucca). In ihrem Glückwunsch an die Gewinner hob Rehn-Kaufmann hervor, dass sich „Mustafah Abdulaziz und Nanna Heitmann gegen rund 2300 Mitbewerber aus 99 Ländern durchgesetzt und die gesamte Jury mit ihren ausdrucksstarken, relevanten und bewegenden Bildserien überzeugt haben“. Die Gewinnerserie wird mit 25 000 Euro und einer Leica-M-Ausrüstung im Wert von rund 10 000 Euro honoriert; die Nachwuchspreisträgerin erhält 10 000 Euro und eine Leica M mit Objektiv. Die zehn anderen Finalisten auf der Shortlist können sich über ein Preisgeld in Höhe von 2500 Euro freuen. Neben Abdulaziz und Heitmann sind auch Rafael Heygster, das schwedische Fotografen-Duo Johan Willner & Peo Olsson und insbesondere Tomas van Houtryve in ihren Serien über die bloße Dokumentation hinausgegangen. Dennoch lässt sich sagen, dass die „klassische“ Reportage-Fotografie in aktuellem Kontext – Krieg, Migration, Krisen und Konflikte – auch beim LOBA 2019 einen Schwerpunkt bildet. Dazu Jury-Mitglied Steve McCurry: „Zeitgenössische Reportage-Fotografie spielt kreativer mit politischen, sozialen und umwelttechnischen Aspekten des Lebens. Sie erreicht ein größeres Publikum, da sie über Magazinpublikationen hinausreicht. Heute sieht man Reportage-Fotografie in Ausstellungen, Büchern, Projektionen oder auf der Straße. Ich glaube wirklich, dass alle Mauern, Papiere, Bücher, Monitore, die die Welt, in der wir leben, zeigen, dazu beitragen werden, die Menschen zu bilden. Der LOBA spielt bei dieser Aufgabe eine aktive und positive Rolle. Ich kann mir nichts Wichtigeres vorstellen, als all das zu dokumentieren, was die Menschen auf unserem Planeten beeinflusst. Fotografie wie Malerei, Literatur oder Skulptur sollte von Freiheit und künstlerischem Ausdruck geprägt sein. Allerdings tendiere ich eher zu Geschichten, die mir die Welt durch das Objektiv eines anderen erklären. In der Zeit, in der wir leben, gibt es so wichtige Geschichten zu erzählen: Rasse, Migration, Klimawandel, das sind die Themen, die bedeutend sind, die wir untersuchen müssen.“ Bernd Luxa


Mustafah Abdulaziz, Water, LOBA-Gewinner 2019, siehe auch nächste Seite

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L e i c a o s k a r B a r n a c k Awa r d 2 0 1 9

M u s ta fah A b d u laz i z Mit Water will Mustafah Abdulaziz, geboren 1986, in symbolisch verdichteten Einzelbildern darstellen, wie Wasser jeden Aspekt der menschlichen Existenz berührt – sei es als lebensnotwendiges Element, als Teil religiöser Zeremonien, als Basis von Handelsrouten oder als Mittel zur Begrünung von Freizeiteinrichtungen. Was auf seinen Bildern erscheint, ist die Quintessenz dessen, was als Metathema über dem Projekt seht: „Water ist ein Langzeitprojekt darüber, wie Menschen mit der Natur interagieren und was das für unsere Zivilisation und unsere Zukunft bedeutet“, so der Fotograf.

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S n e zha n a vo n B ü d i n g e n Finalistin 2019

Sofie malt, raucht und hat das Down-Syndrom. Mit ihren Eltern lebt sie auf einem Gutshof in SachsenAnhalt. Snezhana von Büdingen, geboren 1983, hat viel Zeit bei Sofie und ihrer Familie verbracht und sie in ihrem Alltag begleitet. So entstand die berührende Serie Meeting Sofie, die vom Leben einer ganz normalen Heranwachsenden erzählt. Es sind Bilder voller Idylle und Gelassenheit. Sie erzählen von einer jungen Frau, die sich aufmacht ins Erwachsenenleben, die sich schminkt und mit Freunden abhängt, die cool sein kann und verletzlich, sehnsuchtsvoll, gelangweilt und eitel.

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S e b a s t i a n W e ll s Finalist 2019

Nach einem Besuch im Flüchtlingslager von Dadaab, Kenia, in dem 300 000 Menschen lebten, war Sebastian Wells, geboren 1996, von den dort herrschenden Verhältnissen derart gefesselt, dass er 24 weitere Flüchtlingsunterkünfte besuchte. Seine Serie benannte er nach dem altgriechischen ou-topós Utopia, wörtlich übersetzt Nicht-Ort. Utopia zeigt ungewohnte Innen- und Außenansichten aus solchen NichtOrten, die die Isolation ihrer Protagonisten und den Alltag in diesen nicht auf natürliche Weise entstanden Lebensräumen ungewohnt nahebringen.

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R a fa e l H e yg s t e r Finalist 2019

Voll ausgestattete Soldaten, Waffen im Einsatz – doch einige Details wirken unstimmig. Bei genauem Hinsehen wird klar: Heygster, geboren 1990, dokumentiert keine realen Kriegsszenarien. Er fotografiert, wo sich Aufrüstung in Big Business verwandelt, auf Waffenmessen wie der International Defence Exhibition in Abu Dhabi. Und er gibt Einblick in die Airsoft-Szene, in der Krieg zur Freizeitbeschäftigung wird. Mit der nüchtern und distanziert fotografierten Serie “I Died 22 Times” hinterfragt er, wie sich Kriege, in denen keiner stirbt, in konsumierbare Ereignisse verwandeln.

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Fra n c e s c o A n s e l m i Finalist 2019

Rund 3200 Kilometer zieht sie sich durchs Land, Präsident Trump will sie um jeden Preis schließen: die Grenze der USA zu Mexiko. Zäune und Mauern gibt es hier schon lange, doch nun verschärft sich die Lage. „Nationalismus wächst in jedem Land, das sich mit dem Thema der Einwanderung auseinandersetzen muss. Ich persönlich denke, dieser Punkt wird die große Herausforderung dieses Jahrhunderts sein“, erklärt Anselmi, geboren 1984, die Motivation für sein Projekt Borderlands, in dem er verschiedene Abschnitte auf der US-amerikanischen Seite der Grenze dokumentiert.

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E n ayat A s ad i Finalist 2019

Asadi, geboren 1981, hatte bereits den Krieg in Afghanistan dokumentiert, als er sich entschloss, in Rising from the Ashes of War auch dessen Folgen zu zeigen. In der Grenzregion im Ostiran haben Rebellen, Schlepper und Drogenkartelle das Sagen. Dort fotografierte Asadi, in ständiger Angst um sein Leben, die unmenschlichen Fluchtbedingungen derer, die im Iran eine bessere Zukunft suchen. Von seinen unter denkbar schlechten Bedingungen entstandenen Aufnahmen geht eine Kraft aus, die sie zu einem besonderen Zeugnis der Zeitgeschichte machen.

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M u s ta fa H a s s o n a Finalist 2019

In der Serie Palestinian Rights of Return Protests dokumentiert Hassona, geboren 1981, die Demonstrationen, die 2018 auf der arabischen Seite des Grenzzauns um den Gazastreifen stattfanden. Sie begannen am „Tag des Bodens“ (30. März), als dort für den „Marsch der Rückkehr“ mobilisiert worden war. Bei Auseinandersetzungen mit israelischen Sicherheitskräften starben nach arabischen Angaben mindestens 15 Personen. Große Bekanntheit erreichte die Serie durch diese Aufnahme, die viele Betrachter an Eugène Delacroix’ berühmtes Gemälde Die Freiheit führt das Volk erinnerte.


Tada s K azak e v i Č i u s Finalist 2019

In seiner Serie Soon to be Gone schlägt der litauische Fotograf Tadas Kazakevičius, geboren 1984, einen Bogen von der anhaltenden Landflucht in Litauen seit den 1990er-Jahren in die Zeit der Wirtschaftskrise der 1930er-Jahre in den Vereinigten Staaten. Ihn inspirierten die Bildsprache und -kompositionen der Fotografen der Farm Security Administration wie Dorothea Lange, Walker Evans und Gordon Parks. Mit dokumentarischem und zugleich liebevollem Blick entstand eine melancholische Serie über das Verschwinden und zugleich eine Zeitreise in die europäische Gegenwart.

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J o ha n W i ll n e r & P e o Ol s s o n Finalisten 2019

Heaps, Haufen, lautet der schlichte, aber aussagekräftige Titel der Serie des schwedischen Fotografenduos. Ob Baustelle oder Landschaft, ob aus verschiedenen Materialien und unterschiedlichen Entstehungszeiten, ob temporär oder vermeintlich zeitlos: Die Vielzahl der Möglichkeiten wird in der Serie mit großer Ernsthaftigkeit, aber auch mit feinem Humor zelebriert. Ergänzt wird das Thema durch die hier bespielhaft gezeigten eigenen Studien, in denen die Künstler selbst aufgeschichtete Haufen als Forschungsgegenstände in ein Verhältnis zu Form und Elementen setzen.

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M i c hal S o lar s k i Finalist 2019

Der polnische Fotograf, geboren 1977, hat die Ferien oft am Balaton, Ungarn, verbracht, fand aber für seine Erinnerungen keine Entsprechungen im elterlichen Fotoalbum. Seit 2008 setzt er der etwas anderen Art, wie man im Ostblock Urlaub machte, ein Denkmal. Die Serie Rest Behind the Curtain zeigt ehemalige und noch betriebene Sanatorien als Kulisse traumhafter Sequenzen: „Die Fotos sind so fröhlich und schrullig wie meine Erinnerungen an diese Zeit. Charaktere, Orte und Situationen sind übertrieben, fast so, als hätte sie ein kleiner Junge aus seiner Perspektive beobachtet.“

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T o m a s Va n H o u tr y v e Finalist 2019

Als Folge des Mexikanisch-Amerikanischen Kriegs 1846–1848 verschob sich die Grenze der USA um 1100 Kilometer nach Süden und die Legende von einer Einwanderung in menschenleere Gebiete entstand. Da fotografische Dokumente aus dieser Zeit fehlen, stellte sie van Houtryve, geboren 1975, mit einer alten Plattenkamera und der historischen Technik des Nass-Kollodium-Verfahrens nach. Lines and Lineage zeigt in Diptychen Porträts von Nachkommen früherer Bewohner zusammen mit Landschaften oder Architektur aus mexikanischer Zeit.

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L e i c a o s k a r B a r n a c k Awa r d n e w c o m e r 2 0 1 9

Na n n a H e i t m a n n Ein schier endloser Fluss, verwunschene Wälder und Menschen auf der Suche nach Freiheit: Für Hiding from Baba Yaga dokumentierte Heitmann, geboren 1994, das Leben entlang des Jenissei. Der Fluss leitete sie wie ein roter Faden durch Sibirien: eine Reise ins Reich der Mythen. Vor ihrem Auslandssemester im westsibirischen Tomsk war Heitmanns Vorstellung von Russland, der Heimat ihrer Mutter, hauptsächlich von sowjetischen Kinderfilmen und slawischen Märchen geprägt. So lernte sie Baba Jaga kennen – eine Figur der slawischen Folklore, die ihrer Serie den Namen gab.

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ph oto – b ü c h e r – Au s s t e ll u n g e n – f e s t i val s – Award s –

Lia Darjes, Stillleben mit Kamille, aus dem Buch Tempora Morte

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A n ja C o n rad E v e r y t h i n g i s a lway s s o p e r f e c t w h e n yo u a r e i n i t

To m a s va n H o u try v e L i n e s a n d L i n e ag e

Farbe und Form bestimmen die Motive der 1971 geborenen Fotografin. Alltägliche Wahrnehmungen im Großstadtleben werden erst durch Ausschnitt und buntes Farbspiel zu spannungsvollen Bildern. Conrad präsentiert in ihrem Werk keine klassische Street Photography, sondern einen rasanten Exkurs zur Wahrnehmung des Übersehenen.

Fotos: © Tomas van Houtryve; © Anja Conrad; © Joel Meyerowitz; © Lia Darjes

124 Seiten, 86 Farbabbildungen, 24 × 28.8 cm, englisch, Kehrer

Die Geschichte eines Landes nachträglich fotografisch zu bebildern erscheint unmöglich. Und doch unternimmt der 1975 geborene belgische Künstler den faszinierenden Versuch, einer verdrängten Phase der US-Historie ein Gesicht zu geben. Sein Buch präsentiert Porträts und verbindet diese mit Landschaften zu eindrücklichen Diptychen. Die Porträtierten sind Nachkommen der einstigen Bewohner mit indigenen oder spanischen Wurzeln im heute amerikanischen Gebiet an der mexikanischen Grenze. Erst nach dem Sieg der USA über Mexiko 1848 erfolgte diese bis heute gültige Grenzziehung, die das Staatsgebiet der USA um 1100 Kilometer Richtung Süden erweiterte. Zeitgleich entstand der Mythos, die Siedler hätten ein leeres Land besetzt, obwohl diese Region jahrhundertlang spanisches und danach mexikanisches Gebiet war. Die fehlenden fotografischen Dokumente dieser Zeit stellte van Houtryve mittels einer alten Plattenkamera und der aufwendigen historischen Technik des Nass-Kollodium-Verfahrens nach. Mit dieser Serie und begleiten den Interviews vermittelt der Fotograf ungewöhnlich sinnlich zwischen Gegenwart und häufig geleugneter Vergangenheit. Dabei verweist er nicht nur auf die Identität der Region, sondern problematisiert auch die aktuelle Grenzpolitik der US-Regierung, die vor allem von Missachtung, Abgrenzung und Mauerbau bestimmt ist. Mit Lines and Lineage war Houtryve in diesem Jahr auch als Finalist beim Leica Oskar Barnack Award vertreten (siehe Seite 88 und 101). 160 S., 80 Abb., 22,4 × 33,8 cm, englisch/spanisch, Radius Books

J o e l M e y e r o w i tz P r ov i n c e tow n

Diese wunderbar melancholische Hommage erinnert an die Sommer, die der US-amerikanische Fotograf, Jahrgang 1938, in den 1970er- und 80erJahren in der kleinen Stadt Provincetown an der Spitze von Cape Cod, Massachusetts, verbrachte und mit seiner Großbildkameras Nachbarn und Freunde porträtierte. 160 Seiten, 100 Farbabbildungen, 27 × 32,1 cm, englisch, Aperture

L i a Darj e s Tempora Morte

Kunstvoll beleuchtete Stillleben aus Früchten, Gemüse, Fisch und manchmal auch Ikonen: Doch die Motive, die hier so perfekt wie im Atelier inszeniert aussehen, sind Alltagsarrangements auf improvisierten Marktständen, die die 1984 geborene deutsche Fotografin in Kaliningrad entdeckt hat. Erst mithilfe des Blitzlichts bei gleichzeitiger Unterbelichtung entstanden diese leuchtenden Tableaus vor tiefschwarzem Hintergrund. Wenige Porträts ergänzen die

Serie, die zum einen an Stilllebentafeln des 17. Jahrhunderts denken lässt, zum anderen aber auch deutlich auf die fatale wirtschaftliche Situation in vielen osteuropäischen Staaten verweist. 72 S., 30 Farbabb., 22 × 24 cm, engl./ russisch/deutsch, Hartmann Books

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L ag o s P h o to 28. O K to b e r — 1 5 . N ov e m b e r 2 0 1 9, N i g e r i a

Ein Pass ist das Zeugnis unserer Identität. Er gibt Auskunft über Name, Herkunft, Geschlecht, Größe und Augenfarbe. Fast wie ein Tattoo tragen wir ihn beständig mit uns herum, jederzeit bereit, ihn auf Befehl zu zücken. Der Pass ist die Eintrittskarte für ferne Welten. Mit dem Thema

Par i s P h o to 7. — 1 0 . N o v e m b e r 2 0 1 9, F r a n k r e i c h

gespräche sowie ein Showroom für aufstrebende, zukunftsträchtige Fotografen. Mit der Begegnung von Alt und Jung sowie Historie und Moderne bietet die Messe einen Einblick in die Kunst der Fotografie von ihren Anfängen bis in die Gegenwart sowie einen Überblick über globale Trends und innovative Herangehensweisen. Für die Artist Talks mit Fotografen sind in diesem Jahr über 30 Gesprächspartner eingeladen, darunter Martin Parr, Valérie Berlin, Tom Wood, Joel Meyerowitz und Roger Ballen. Gleichzeitig wird mit einer Ausstellung der Brüsseler Fondation A Stichting unsere Wahrnehmung in einer Welt voller Bilder in Frage gestellt. Wie viele visuelle Reize können wir überhaupt noch verkraften? www.parisphoto.com

Steven Arnold: Desire for Extravagance, 1982; Yan Morvan: Serie Blousons noirs, Nogent sur Marne 1977, 1994; Guy Bourdin: French Vogue, September 1972; Inez van Lamsweerde & Vinoodh Matadin: 3 Queen Annes Lace, 2013; Julio Bittencourt: Ramos 38, 2010

Maïmouna Guerresi: Green transition/Beyond the border

Passports beschäftigt sich die zehnte Ausgabe des LagosPhoto Festivals. Es stellt die Funktion des wichtigsten amtlichen Dokuments infrage, befasst sich mit dessen Einschränkungen und Problemen. Künstler verschiedener Nationalität sind eingeladen, Möglichkeiten und Perspektiven zu erkunden, wie eine Welt aussehen könnte, in der Nationalität, Geschlecht und historische Ungleichgewichte zweitrangig sind. Denn welche Möglichkeiten gibt es, in einer von Grenzen bestimmten Welt frei zu leben? Dieser Frage gehen die beteiligten Fotografen aus Afrika und Europa auf ihren Bildern nach – und zwar nicht als Antwort für eine bloße Utopie, sondern für eine wirkliche Alternative. www.lagosphotofestival.com

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Fotos: © Steven Arnold/courtesy of the Fahey/Klein Gallery and The Steven Arnold Archive; © Yan Morvan/courtesy Galerie Sit Down; © The Guy Bourdin Estate 2019/courtesy of Louise Alexander Gallery; © Inez van Lamsweerde & Vinoodh Matadin; © Julio Bittencourt; © Maïmouna Guerresi; © Vincent Fournier

Was für ein Fest! Am historischen Grand Palais in der französischen Hauptstadt versammelt sich in diesem Jahr zum 23. Mal die Crème de la Crème der Fotografie. 180 Galerien und 213 Aussteller aus 31 Ländern präsentieren Arbeiten namhafter Künstler aus zwei Jahrhunderten. Vier Tage lang wird Paris zum Hotspot des visuellen Genusses. Joel-Peter Witkin, Juergen Teller, Steven Arnold, Jim Goldberg und Julio Bittencourt sind nur einige der 30 Fotografen, die in den Einzelausstellungen vertreten sind. Dazu kommen Gemeinschaftsausstellungen, Künstler- und Galeristen-


P h oto lu x Lu c c a 1 6 . N o v e m b e r — 8 . D e z e m b e r 2 0 1 9, I ta l i e n

Vor 50 Jahren landete der erste Mensch auf dem Mond. Vor 40 Jahren ging die Iranische Revolution zu Ende. Und vor 30 Jahren fiel in Berlin die Mauer zwischen Ost und West. „In einem Jahr, in dem zentrale Ereignisse der Geschichte ihr Jubiläum haben, wollten wir unseren Blick durch fotografische Erzählungen auf einige der Höhepunkte des 20. Jahrhunderts richten“, teilt der Direktor der International Biennial of Photography, Enrico Stefanelli, in Lucca mit. Mit Mondi/New Worlds widmet sich das PhotoLux Festival in diesem Jahr also

prägenden historischen Ereignissen. Über 20 Ausstellungen an sechs verschiedenen Orten im Herzen der toskanischen Stadt erzählen Geschichten von Eroberungen, Revolutionen oder technischen Errungenschaften. Ob das Mars-Missionsprojekt von Joan Fontcuberta, Abbas’ Serie über die Iranische Revolution 1979 oder die Arbeiten des Italieners Romano Cagnoni über sich verändernde Systeme in Vietnam, Chile, Rumänien und Jugoslawien – die Vergangenheit rückt diesmal in den Mittelpunkt des Fotofestivals in der toskanischen Stadt.

Damit aber, so Stefanelli weiter, solle das Festival gleichzeitig den Blick für die Zukunft schärfen: „Das Festival steht für den ungestümen Willen, die Vergangenheit zu verändern und in der Gegenwart eine neue Welt aufzubauen, die der Zukunft dient.“ Jedes Jahr benennt das Team des PhotoLux Festivals ein Thema, das nachhaltig sein soll. 2019 heißt es: Hoffnung. Foto: Vincent Fournier, NASA LEH Space Shuttle Pressure helmet (Launch-Entry), Johnson Space Center, Houston, 2017 www.photoluxfestival.it

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Er ö f f n u n g m i t St e v e M c c u rry L e i c a GAl e r i e M a d r i d

Am 7. November 2019 öffnet in Madrid die 25. Leica Galerie ihre Pforten. Die 100 Quadratmeter große Galeriefläche nimmt das gesamte erste Stockwerk des neuen Leica Stores in der spanischen Hauptstadt ein. Kuratorischer Leiter der Galerie ist der spanische Fotograf Alvaro Ybarra Zavala. Die ersten Fotografien, die in der Galerie zu sehen sein werden, sind Aufnahmen eines der bekanntesten zeitgenössischen Fotografen, Steve McCurry. Der 1950 in Philadelphia geborene US-Amerikaner, der seit 1986 Mitglied der Agentur Magnum Photos ist, wurde international als einer der ersten westlichen Fotografen bekannt, der die sowjetische Invasion in Afghanistan dokumentierte. 1984 gelang ihm in Afghanistan auch seine wohl berühmteste Aufnahme: Im Schulzelt des Camps Nasir Bagh traf er auf Sharbat Gula, besser bekannt als das afghanische Mädchen. Sechs Monate später erschien das Bild auf dem Cover der National Geographic und wurde zu einer weltweiten Ikone. Schon in den 90er-Jahren versuchte McCurry vergeblich, die Identität des Mädchens zu ergründen. Im Auftrag von National Geographic reiste er 2002 erneut nach Afghanistan und begab sich auf Spurensuche. Über viele Umwege konnte er Sharbat Gula ausfindig machen – erst jetzt erfuhr er ihren Namen – und so kam es zu einem weiteren Treffen der beiden. Und zu einem weiteren Bild … Auf die Ausstellung der Bilder des vielfach ausgezeichneten Fotografen – McCurry erhielt u. a. die Robert Capa Gold Medal, die Centenary Medal der Royal Photograpic Society und zwei erste Preise beim World Press Photo Award – folgt im Januar 2020 eine Ausstellung mit Bildern der in Mexiko lebenden brasilianischen Fotografin Adriana Zebrauskas. Im Jahresprogramm der Leica Galerie Madrid soll insbesondere die lateinamerikanische Fotografie und Kultur eine zentrale Stellung einnehmen. Foto: Steve McCurry, Afghanisches Mädchen 7. November 2019 — 17. Januar 2020, Leica Galerie Madrid, Calle de José Ortega y Gasset 34, 28006 Madrid

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L e i c a G al e r i e n Ba n gk o k

P o rt o

Chutchawarn Janthachotibutr: Was, Is, Will, Be

Nicolas Pinto: Alma POR  |  4000-427 Porto, Rua d. Sá da Bandeira, 48/52 16. November 2019 — 15. Januar 2020

THA  |  10330 Bangkok, 2nd Floor, Gaysorn Village, 999 Ploenchit Road 29. November 2019 — 10. Februar 2020

Salz b u rg

Franziska Stünkel: Coexist

Fra n k f u rt

Emanuele Scorcelletti

AUT  |  5020 Salzburg, Gaisbergstr. 12 18. Oktober 2019 — 15. Februar 2020

GER  |  60311 Frankfurt am Main, Großer Hirschgraben 15 21. November 2019 — 1. Februar 2020

S ão Pau l o

Bei Drucklegung nicht bekannt

I s ta n b u l

Sinem Disli: Hollows & Mounds – A Take on Göbekli Tepe TUR  |  34381 Şişli/İstanbul, Bomontiada – Merkez, A Birahane Sk. No:1 4. September — 15. Dezember 2019 K o n s ta n z

Ursula Böhmer: Die Kuh – eine Feldforschung GER  |  78462 Konstanz, Gerichtsgasse 10 29. November 2019 — 15. Februar 2020 Kyoto

Yoshihiro Tatsuki JPN  |  Kyoto, 570–120 Gionmachi Minamigawa, Higashiyama-ku 24. August — 4. Dezember 2019

D e b o rah A n d e r s o n LeicA Galerie Boston

Die Amerikanerin Anderson hat das Pine Ridge Reservation in South Dakota bereist und sich mit der Frauengemeinschaft der Oglala Lakota Nation befasst. Filmisch und fotografisch dokumentiert sie ihr Leben und ihren Kampf gegen Unterdrückung. Die Fotografien präsentiert jetzt die Leica Galerie Boston. USA  |  Boston, MA 02116, 74 Arlington St. 7. November 2019 — 12. Januar 2020

S c hl o s s A r e n b e rg

Paolo Burlando: American Icons AUT  |  5020 Salzburg, Arenbergstr. 10 17. November 2019 — 7. März 2020 S i n gap u r

Steve McCurry SIN  |  Singapur, Raffles Hotel Arcade, #01-20/21, 328 North Bridge Rd., 188719 9. November 2019 — 10. Januar 2020 St u ttgart

Herlinde Koelbl: Mein Blick GER  |  Calwer Straße 41, 70173 Stuttgart 30. Oktober 2019 — 31. Januar 2020

London

Ta i p e h

Nan Goldin: A Diary

Jeff Mermelstein: Sidewalk/Arena

GBR  | London, 64–66 Duke Street W1K 6JD 1. November — 1. Dezember 2019

TWN  |  Taiwan, No. 3, Ln. 6, Qingtian St., Da’an Dist., Taipei City 106 4. September — 13. November 2019

Los Angeles

Tokio

Neal Preston: Big Rock Linda Troeller: Living in the Chelsea

Yoshihiro Tatsuki

JPN  |  Tokio, 6-4-1 Ginza, Chuo-ku 23. August — 4. Dezember 2019

USA  |  West Hollywood, CA 90048, 8783 Beverly Boulevard 24. Oktober — 2. Dezember 2019

war s c ha u

Ma i la n d

Łódź Kaliska: Janina Kochanowska

Jacob Aue Sobol: Retrospectives

POL  |  00–496 Warschau, Mysia 3 22. November 2019 — Januar 2020

ITA  |  20121 Mailand, Via Mengoni 4 21. Oktober — 7. Dezember 2019 Fotos: © Deborah Anderson, © Craig Semetko

BRA  |  01240–000 São Paulo, Rua Maranhão, 600 Higienópolis

N ü r n b e rg

Hardo Reimann: „Mitrata“ – Hilfe für Nepals Kinder GER  |  90403 Nürnberg, Obere Wörthstr. 8 26. Oktober 2019 — 18. Januar 2020 P rag

Krzysztof Miller TCH  |  110 00 Prag 1, Školská 28 7. November 2019 — 5. Januar 2020

Cra i g S e m e tko LeicA Galerie Melbourne

For Your Amusement – so der Titel der neuen Ausstellung des amerikanischen LeicaFotografen, dessen Werk oft die humorvollen Seiten unseres Alltags zeigt. Die Leica Galerie Melbourne präsentiert das Konvolut aus den Serien Unposed und India Unposed sowie bisher nicht veröffentlichte und neue Arbeiten. AUS  |  Melbourne, VIC 3000, Level 1, St Collins Lane, 260 Collins Street; 25. Oktober 2019 — 31. Januar 2020

W e tzlar

Walter Vogel: Leica Hall of Fame 2019 GER  |  35578 Wetzlar, Am Leitz-Park 5 14. November 2019 — 27. Januar 2020 wien

Jürgen Schadeberg AUT  |  1010 Wien, Walfischgasse 1 6. Dezember 2019 — 29. Februar 2020 Zingst

Götz Schleser: Politische Porträts GER  |  18374 Zingst, Am Bahnhof 1 1. Oktober 2019 — 2. Februar 2020

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Fotos: Š Sebastião Salgado, aus der Serie Gold, 1986


„ D i e Lu n g e u n s e r e r W e lt i s t i n G e fahr .“ i n t e rv i e w

Mit Sebastião Salgado wurde zum ersten Mal ein Fotograf mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Wir sprachen mit der Verlegerin Felicitas von Lovenberg über die Juryentscheidung.

Nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe wird dem brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado am 20. Oktober 2019 in der Frankfurter Paulskirche der Friedenspreis des deutschen Buchhandels verliehen. Zuvor sprachen wir mit Felicitas von Lovenberg über seine Fotografie und die Begründung der Jury. LFI: Frau Lovenberg, Sie sind seit 2012 Mitglied im Stiftungsrat des Friedenspreises. Wie haben Sie die Juryarbeit in diesem Jahr empfunden? Felicitas von Lovenberg: Die Juryarbeit war, wie in jedem Jahr, einfach großartig: engagiert, abwechslungsreich, offen und vertrauensvoll. Der Friedenspreis ist nach meiner

Erfahrung die einzige Auszeichnung, bei der man als Mitglied der Jury jedes Mal viel Neues lernt und erfährt. LFI: Wodurch hat sich Sebastião Salgado als erster Fotograf für die angesehene Auszeichnung qualifiziert? Von Lovenberg: Er hat uns durch sein künstlerisches Werk und die Spanne seiner Themen beeindruckt, aber auch als Persönlichkeit, die durch die Fotografien hervorscheint. Sein Engagement für die Wiederaufforstung des Regenwalds, sein Verständnis und sein Respekt für indigene Völker und deren Kulturen – das alles zeigt, dass hier jemand nicht nur davon spricht, dass wir uns für den Schutz unserer Welt einsetzen müssen, sondern der selbst aktiv wird. Der Friedensgedanke des Preises kommt darin auf klare und einleuchtende Weise zum Tragen.

Sie haben sich intensiv mit Salgados Werk auseinandergesetzt: Welche Arbeiten und Projekte haben Sie persönlich am meisten beeindruckt? Von Lovenberg: Besonders beeindruckt hat mich Salgados Fotoreportage über die Arbeiter in der Goldmine bei Serra Pelada in Brasilien aus den 1980er-Jahren, ebenso wie seine → LFI:

Als Sebastião Salgado 1986 erstmals zum damals weltgrößten Goldtagebau im Norden Brasiliens reiste, wusste er nicht, was ihn erwartete. Am Ende blieb er einen Monat, um die unglaublichen Zustände in der Mine bei Serra Pelada zu dokumentieren

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Salgados monumentale Bilder der Mine bei Serra Pelada erinnern an archaische Motive wie den Turmbau zu Babel oder Dantes Hölle. Die Veröffentlichung in den 1980er-Jahren machte den Fotografen weltbekannt und die Mine wurde für immer geschlossen

Über 30 Jahre nach seinen Besuchen in der Mine ist Gold in einer Neuauflage mit bisher unveröffentlichten Bildern erschienen. Die Abbildung links zeigt das Cover der handsignierten Collector’s Edition (Nr. 101 bis 1100)

Gold. Lélia Wanick Salgado, Sebastião

Salgado, Alan Riding, 24,8 × 33 cm, 208 Seiten, deutsch/englisch/franz., Taschen

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Fotos: © Sebastião Salgado, aus der Serie Gold, 1986

„ F oto gra f i e , w i e S e b as t i ão Salgad o s i e v e r s t e ht, i s t u n i v e r s e ll v e r s tä n dl i c h . “


fotografische Dokumentation Sahel – The End oft he Road über die Hungernden in der Sahel-Zone. Auch das Projekt Exodus, für das er mehrere Jahre durch die Welt reiste und Menschen porträtierte, die durch Krieg, Völkermord oder Hunger gezwungen waren, ihre Heimat zu verlassen, hat mich tief berührt. Und schließlich kulminieren all seine Projekte geradezu folgerichtig in Genesis. Was kann Fotografie gesellschaftlich bewirken? Ist sie in ihrer Wirkung mit der von Literatur vergleichbar? Von Lovenberg: Wir leben in einer extrem visuellen Welt, in der ein Bild zwar vielleicht nicht mehr sagt als tausend Worte, aber das viel unmittelbarer und wirkungsvoller. Darum hat die Bedeutung von Fotografie seit ihrer Erfindung kontinuierlich zugenommen. Bilder, auch wenn sie, wie Literatur, interpretationsbedürftig sind, halten Tatsachen fest, legen Zeugnis ab. Und man braucht sie nicht in verschiedene Sprachen zu übersetzen. Insofern ist Fotografie, so wie Salgado sie versteht, universell verständlich. Das hat sie der Literatur voraus. LFI:

Sollte Fotografie Ihrer Meinung nach politisch sein? Von Lovenberg: Diese Frage lässt sich für mich nicht pauschal beantworten, sondern das kommt auf den jeweiligen Fotografen an. Aber da Fotografie immer etwas zeigt, liegt der aufklärerische Gestus hier für mich ohnehin sehr nah, ganz gleich, ob er formuliert wird oder nicht. LFI:

Stößt die Entscheidung für Salgado als Gewinner auch auf Widerstand? Von Lovenberg: Ich habe gehört, dass einige Fotokünstler Salgados Fotografie als Kitsch bezeichnen. Auf diese Idee kann man aber nur kommen, wenn man ihn oberflächlich betrachtet und sich nur die Aufnahmen auf den Einbänden seiner Fotobücher angesehen hat. Bei mir lösen diese Bücher regelrecht einen Sog aus: Ich kann mich in sie vertiefen und den Menschen dahinter erkennen, sowohl den Fotografen als auch diejenigen, LFI:

die er – und zwar immer nur mit ihrem Einverständnis – fotografiert hat. Wie hat Salgado selbst auf die Auszeichnung reagiert? Wird er bei der Verleihung anwesend sein? Von Lovenberg: Eines der wichtigsten Elemente der Friedenspreisverleihung sind die Reden, die dort gehalten werden, besonders natürlich die des Preisträgers. Sie sorgen im Nachhinein oft für Diskussionen, manchmal sogar für Debatten. Das wird sich Salgado nicht nehmen lassen. Selbstverständlich wird er kommen und seine Dankesrede halten, in die sicherlich auch das mit einfließen wird, was gerade in Brasilien und im Amazonasgebiet passiert. Die Lunge unserer Welt ist in Gefahr. Darüber zu reden, ist ihm ein großes Anliegen. LFI:

Denken Sie Ihr Bild zu Ende. Sehen. Fühlen. Staunen. Archivsichere Premium FineArt Papiere von MOAB

LFI: Der Regisseur Wim Wenders

wird die Laudatio halten. Was erwarten Sie von seiner Rede? Von Lovenberg: Wim Wenders hat zusammen mit Juliano Salgado, dem Sohn des Preisträgers, einen Dokumentarfilm über ihn gedreht. Salz der Erde zeigt auf beeindruckende Weise Salgados Leben, seinen Werdegang, seine Krisen und seine Leidenschaften, aber auch, wie er die Farm seiner Eltern wieder in einen Urwald verwandelt hat. Die Art und Weise, wie sich Wenders und Juliano Salgado dem Menschen Salgado genähert haben, hat die Jury sehr beeindruckt. Natürlich wird er in seiner Laudatio andere Schwerpunkte setzen und vielleicht, weil auch er ein angesehener Fotograf ist, wird er über die Fragen reden, die Sie mir gestellt haben. Besonders darauf bin ich gespannt.

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Interview: Denise Klink F el ic itas von Love n b e rg ist eine deut-

sche Journalistin, Literaturkritikerin, Buchautorin und Verlegerin. Seit 2012 ist sie Mitglied im Stiftungsrat des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Im Jahr 2016 übernahm Felicitas von Lovenberg die verlegerische Geschäftsführung des Piper Verlags.

Grünbergstrasse 41, D 47445 Moers Kostenlose Hotline: 0 800 / 60 92 210

www.LifeFoto.de


Leica Fotografie I n t e r n at i o n a l

Dav i d N i s s e n m e i n B i ld

Auf dem Weg nach Los Angeles schuf Nissen diese Aufnahme. Später stellte er fest, dass sie die Quintessenz seiner fotografischen Herangehensweise zeigt.

71. Jahrgang | Ausgabe 8. 2019

LFI PHOTOGR A PHIE GMBH Springeltwiete 4, 20095 Hamburg Telefon: 0 40/2 26 21 12 80 Telefax: 0 40/2 26 21 12 70 ISSN: 0937-3969 www.lfi-online.de, mail@lfi-online.de Chefredaktion Inas Fayed A rt Direction Brigitte Schaller REDA KTION Katrin Iwanczuk (ltd. Redakteurin), Denise Klink, Bernd Luxa, Danilo Rößger, David Rojkowski bildredaktion Carol Körting layout Thorsten Kirchhoff MITA RBEITER DIESER AUSGA BE Katja Hübner, Michael J. Hußmann, Ulrich Rüter, Holger Sparr, Katrin Ullmann Geschäftsführung Steffen Keil A nzeigenleitung & M arketing Kirstin Ahrndt-Buchholz, Samira Holtorf Telefon: 0 40/2 26 21 12 72 Telefax: 0 40/2 26 21 12 70 E-Mail: buchholz@lfi-online.de holtorf@lfi-online.de Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 47 vom 1.1.2019

Auf dem Weg nach Los Angeles, 2012

Diese Aufnahme habe ich auf dem Weg nach Los Angeles gemacht. Es herrschte stürmisches Wetter und ich hatte das Glück, dass ein alter Schulbus vorbeifuhr, der gerade in diesem Augenblick von einem schönen Lichtstrahl erleuchtet war. Fünf Minuten früher oder fünf Minuten später hätten völlig andere Licht- und Wetterverhältnisse geherrscht. Auf indirekte Weise verdeutlicht diese Aufnahme meine Herangehensweise an die Fotografie ziemlich gut: Meine Kamera hängt immer um meinen Hals oder ich habe sie zumindest griffbereit in der Nähe. In der Meditation ist es so: Wir müssen immer das nehmen und annehmen, was als Nächstes kommt. Mir gefällt der Gedanke, dass eigentlich nicht der Fotograf über die nächste Aufnahme entscheidet, sondern die nächste Aufnahme über dich, den Fotografen. David Nissen, geb. 1969 in Frankreich, studierte Fotografie und Malerei an der École des Beaux-Arts. Er ist als Regisseur von Reportagen und Werbefilmen tätig. Sein erstes Buch Deep Night erschien 2017, sein jüngstes, Shapes of Light, im Juni 2019.

LFI 1/ 2020 erscheint am 16. Dezember 2019

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lFi

REPRODUKTION: Alphabeta, Hamburg DRUCK: Optimal Media GmbH, Röbel/Müritz PA PIER: Igepa Profimatt A BO-Bezugsbedingungen LFI erscheint achtmal jähr­lich in deutscher und englischer Sprache. Jahresabonnement (inkl. Ver­sandkosten): Deutschland: 69 € Belgien, Österreich, Luxemburg, Niederlande, Schweiz: 74 € weltweit: 80 €; digital: 49 € LFI gibt es auch als kostenlose App im Apple iTunes Store und bei Google Play. Ältere Hefte sind als dort als In-App-Käufe erhältlich LFI-A boservice Postfach 13 31, D-53335 Meckenheim Telefon: 0 22 25/70 85-3 70 Telefax: 0 22 25/70 85-3 99 E-Mail: lfi@aboteam.de Für unverlangt eingesandte Fotos und Texte übernimmt die Redak­tion keine Haftung. Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen einzelnen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheber­ rechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verla­ges unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Leica – eingetragenes Warenzeichen.


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