Arbeiten für das IDEAL! Magazin

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RALF SCHAFFER  ⁄  KAFFEEUNTERNEHMER

DER KAFFEE­ ROCKER VOM KALKBERG …

TEXT Harriet Lemcke  × FOTOS Oliver Reetz

alf Schaffer ist eine One-Man-Show, sprudelt vor Ideen und Erfindergeist. Mit vier Jahren wusste er, dass er Musiker werden will. Mit sieben gründete Ralf seine Band, der er fast 20 Jahre treu blieb. Mit 18 ließ er sich an der ersten Rock-Uni Deutschlands in Hamburg zum Sänger ausbilden, arbeitete für TVProduktionen, fürs Kino und mit den Rockern der Scorpions bis ein Autounfall die Sängerkarriere beendete. Ralf Schaffer war damals 27. Er fing an, Künstler zu betreuen, organisierte Sponsoren und wurde als Manager weiterempfohlen. Schon bald arbeitete er eng mit Peter Maffay zusammen, die Uni Münster engagierte ihn und mit der Entrée-Stiftung des Udo-Lindenberg Keyboarders Jean Jacques Kravetz förderte Ralf Schaffer benachteiligte Kinder mit musika­ lischem T ­ alent. Der bullige Zwei-Meter-Mann mit blonder Wallemähne war gut im Geschäft. Mit 45 entschied sich der Tausendsassa, noch einmal ein ganz neues Projekt zu starten. Vor den Toren Hamburgs produziert er hochwertige Kaffeespezialitäten. Die Bohnen röstet er in seiner Big Mama, die derzeit noch in der Garage steht, in Kürze aber ins eigene Geschäft umziehen wird. Damit nicht genug: Ralf Schaffer hat den Aufbau einer starken Regionalmarke zu seiner Mission gemacht.

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EX-MUSIKMANAGER RALF SCHAFFER GIBT SICH SEINEN LEIDENSCHAFTEN HIN. IN BAD SEGEBERG VERWIRKLICHT ER DAS, WAS IHN GLÜCKLICH MACHT: IDEEN ENTWICKELN, HOCHWERTIGEN KAFFEE ­RÖSTEN, NACHHALTIG ARBEITEN UND GUTES TUN. SEINE VISION: ER WILL DEN KREIS SEGEBERG ZU EINER BUNDESWEIT BEACHTETEN MARKE MACHEN.

Ralf, wie wird man vom Musikmanager zum Kaffeeröster? Ich hatte eine hartnäckige Allergie und konnte die Ursache dafür nicht finden. Nachdem ich fast alles durchprobiert hatte, kam meine Frau auf die Idee, dass es vielleicht am ­Kaffee liegen könnte. Damals habe ich bis zu anderthalb Kannen Filterkaffee am Tag getrunken. Ich fing an, mir hoch­wertigen Rohkaffee zu besorgen, legte mir eine Röstmaschine zu und röstete die Bohnen selbst. Dabei habe ich natürlich viel ­Material verdorben, bis ich den Dreh raus ­hatte. Mit der ­ersten Tasse meines richtig gerösteten eigenen Kaffees war ich meine Allergie los. Das ist jetzt zehn Jahre her. Worauf führst du das zurück – mit dem Wissen von heute? Genau in dem Moment habe ich mich gefragt, was denn wohl eigentlich dahinter steckt. Ich habe angefangen, im ­Internet über Kaffee zu lesen, habe mir Bücher besorgt, habe mit Experten gesprochen, Röstereien besucht und mich intensiv mit dem Thema beschäftigt. Fazit: Was die Indus­trie als Kaffee verkauft besteht aus allem, was man nicht zu sich nehmen sollte. Bei der Industrieröstung wird Kaffee erster, zweiter und dritter Wahl bei gut 450 Grad

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»Mit der ersten Tasse meines richtig ­gerösteten eigenen Kaffees war ich meine ­Allergie los. Das ist jetzt zehn Jahre her.«

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»Gelebte Inklusion und Nachhaltigkeit im Umgang mit Produkten – das ist Kalkberg Kaffee.«

­ ngefähr 90 Sekunden geröstet. Das hat zur Folge, dass einiu ge Bohnen verkohlt und andere noch gar nicht durchgeröstet sind. Nach dem traditionellen Verfahren, welches kleine Röstereien weltweit anwenden, wird hochwertiger Kaffee bei 200 Grad für etwa 20 Minuten schonend und gleichmäßig durchgeröstet. Ich selbst gehe mit der Temperatur noch einmal ein wenig runter und schlage das bei der Zeit drauf. Ergebnis ist ein Kaffee, von dem man so viel trinken kann, wie man möchte, ohne dass es negative Folgen hat. Ich habe dann für mich festgestellt, dass ich mich mit Kaffee beschäftigen möchte und auch ein Stück weit für Aufklärung sorgen möchte. Das geht los bei der Qualität und der Wirkung – immerhin ist richtig gerösteter Kaffee extrem magenschonend, krebsvorbeugend und konzen­ tra­tionssteigernd – bis hin zu der Tatsache, dass auf vielen

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Plantagen weltweit Kinder arbeiten müssen. Wenn ich im Laden zwei Pfund vermeintlich guten Kaffees für je 3 Euro 99 kaufe, dann verdient der Staat daran 2 Euro 19 plus Mehrwertsteuer. Nun muss ich kein Genie sein, um mir überlegen zu können, dass bei dem Geld, was nach Abzug der Steuern übrigbleibt, eine nachhaltige Produktion unmöglich ist. Das Thema Nachhaltigkeit ist dir sehr wichtig, oder? Auf jeden Fall. In meinem eigenen Laden wird die Produktion gläsern sein. Die Leute können mir beim Kaffee­rösten ­zuschauen, Fragen stellen und bekommen alle Informa­ tionen. Außerdem werde ich ausschließlich benachteiligte oder gehandicapte Mitarbeiter beschäftigen. Gelebte In­klusion und Nachhaltigkeit im Umgang mit Produkten – das ist Kalkberg Kaffee.

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in dieser Region etwas schaffen, was es hier noch nicht gibt. Bad Segeberg liegt im Dreieck zwischen Hamburg, Lübeck und Kiel. Wer an Bad Segeberg denkt, denkt an ein ­großes Möbelhaus und die Karl-May-Festspiele. Außer diesen beiden Unternehmen gibt es nichts, womit sich die ­Region rund um die Stadt identifizieren kann. Alle Menschen kennen aber den Kalkberg. Deshalb habe ich vor, die Region unter der Dachmarke Kalkberg zu vermarkten. Mit dem Slogan: So schmeckt Segeberg. Damit möchte ich den Menschen in der Region einen Bezug geben und ein WirGefühl schaffen. Wir nutzen dabei den allgemeinen Trend zu regio­nalen Produkten und das steigende Bewusstsein der Menschen für Qualität aus dem eigenen Umfeld. Starten wird »Kalkberg – so schmeckt Segeberg« mit der Untermarke Kalkberg Kaffee. Sie steht für hochwertigen und schonend selbstgerösteten Kaffee und jede Menge Kaffeeprodukte wie handgemachte Pralinen, meine schon jetzt extrem beliebte Kaffee-Essenz, für erlesene Liköre aus Kaffee und vielen weiteren Produkten. Der nächste Schritt sind dann weitere regionale Produkte unter der Dachmarke. Mit den Liefe­ran­ ten führe ich schon intensive Gespräche. Was ist dir bei der Auswahl der künftigen Markenpartner wichtig? Ich suche immer Menschen, die so ticken wie ich. Sie müssen für das brennen, was sie tun. Ich habe zum Beispiel eine Dame gefunden, eine gelernte Industrieschokoladenmeisterin, die in ihrer Manufaktur großartige Dinge aus Schoko­lade produziert. Sie wird zum Beispiel nach meinen Vorgaben und mit meinen Kaffeeprodukten die Pralinen für die Marke Kalkberg Kaffee herstellen. Mir ist wichtig, dass Menschen nach einer Philosophie arbeiten. Ich selbst habe auch noch einmal ein Röstseminar besucht und mir den Feinschliff geholt. Meine Lehrerin in Stendal hat das Rösten von einer Kaffee-Koryphäe in Wien gelernt.

»Mich reizt auch die Möglichkeit, später einmal in die Länder zu reisen, in denen der Kaffee produziert wird, und dort direkt auf den Plantagen dazu beizutragen, dass sich Dinge ändern. ­Vielleicht werde ich eine Stiftung gründen. Das ist schon sehr lange mein Wunsch.«

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Gibt es besondere Voraussetzungen, die zu beachten sind? Wenn man gehandicapte Menschen beschäftigen möchte, wird immer nach Aktenlage entschieden. So muss derjenige zu mindestens 50 Prozent behindert sein. Der künftige Arbeitsplatz, die Immobilie wird begutachtet und anhand dessen werden die Voraussetzungen für eine Beschäftigung definiert. Als Arbeitgeber muss ich diese dann umsetzen, um eine Unterstützung für mein Projekt zu bekommen. Nun möchtest du ja nicht einfach nur wie seit zehn Jahren Kaffee rösten. Du hast ja noch deutlich mehr vor, nämlich den Aufbau einer kompletten Regionalmarke. Kalkberg wird sie heißen. Was sind deine Pläne? Der wichtigste Schritt war, dass ich mir diese Marke geschützt habe. Bad Segeberg gibt es seit dem 12. Jahrhundert und seit 60 Jahren pilgern Hunderttausende Menschen pro Jahr zu den Karl-May-Festspielen. Umso mehr hat mich verwundert, dass noch niemand auf die Idee gekommen ist, sich die Marke Kalkberg schützen zu lassen. Ich ­möchte

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Wie viele Sorten Kaffee wird es bei dir geben? Starten werde ich mit zehn Sorten normalen, sortenreinen Kaffees. Normal heißt in diesem Falle, dass der Preis für den Verbraucher in einem normalen Rahmen liegt. Ich werde auch drei Raritäten anbieten, die preislich in einem deutlich höheren Segment liegen. Der ist für Menschen gedacht, die sich gelegentlich ein halbes Pfund Kaffee für ca. 30 Euro ­leisten können und wollen. Wenn das gut anläuft, werde ich die Sortenanzahl erhöhen. Da es insgesamt 6000 Sorten Kaffee auf der Welt gibt, ist ausreichend Luft nach oben. Woher beziehst du deinen Kaffee? Einen Teil des Kaffees kaufe ich bei einem Lieferanten in Hamburg ein. Einen weiteren Teil beziehe ich direkt von den Plantagen. Unser Investor stammt aus einer alten Kaffee­ familie und hat familiäre Bande unter anderem zu Plan­ tagen in Mexiko. Auf diesen wird ganz traditionell angebaut und geerntet. Das ist nicht mit industrieller Kaffeeproduktion vergleichbar. Das Ergebnis ist der beste biologische Kaffee, den man sich vorstellen kann. Zusätzlich beziehe

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»Ich bin überzeugt davon, dass die Marke Kalkberg – so schmeckt Segeberg sehr groß wird und auch über die Kreisgrenzen hinweg Ver­ breitung findet.«

ich Kaffee von zwei kleinen Plantagen in Südost-Asien. Damit unterstütze ich zum einen ein Projekt für Frauen in Indo­nesien und zum anderen ein Projekt zum Schutz der Orang-Utans. Meinen Kaffee verkaufe ich ausschließlich ­sortenrein. In Supermärkten und den meisten Handelsunternehmen findet der Verbraucher ausschließlich einen Blend aus verschiedenen Kaffeesorten unterschiedlicher Qualität, die dann miteinander geröstet und gemahlen werden. Das wird es bei mir ebenso wenig geben wie mit Plastik ausgeschlagene Papiertüten für den Verkauf. Auch hier gehe ich komplett ökologisch an die Sache ran und verkaufe ­Kaffee ausschließlich in Pfanddosen. Wenn du jetzt ein wenig in die Zukunft spinnst, wo siehst du dich dann im Jahr 2019? Wirst du dann der Manager ­einer starken Dachmarke »Kalkberg – so schmeckt Sege­ berg« sein und darunter eine Markenfamilie regionaler Produkte entwickelt haben? So wird es sein. Darum werde ich gar nicht herumkommen, denn irgendjemand muss den Job ja machen. (lacht) Ich bin überzeugt davon, dass die Marke »Kalkberg – so schmeckt Segeberg« sehr groß wird und auch über die Kreisgrenzen hinweg Verbreitung findet. Von mir wird es ganz klare Auf­ lagen geben, um die Qualitätsstandards sicherzustellen. Auch werde ich jeden, der unter der Marke Kalkberg Kaffee eine Kaffeerösterei eröffnen möchte, selbst ausbilden. Grund ist, dass ich anders röste als andere dies tun. Mir ist außerdem wichtig, dass in allen Filialen, die es in Zukunft geben wird, mit gehandicapten Menschen gearbeitet wird. Du hast einen Investor gefunden, der deine Idee fördert, du hast bereits Produkte für die Marke Kalkberg Kaffee ent­ wickelt und du hast neben Lieferanten und Geschäftspart­ nern auch schon diverse Kunden gewonnen, die bereits jetzt darauf warten, von dir beliefert zu werden. Wie schafft man das alles? Hattest du Helfer? Ich hatte einen Helfer, meine Frau. Wir sind ein eingespieltes Team. Meine Frau ist Künstlerin. Sie designt und versteht auch meine schrägen Gedanken. Wenn ich etwas skizziere, ist sie eine von wenigen, die genau weiß, wie ich das meine. Sie hat das gesamte CD (Corporate Design – Anm. d. Red.) umgesetzt. Mein riesiger Vorteil ist, dass ich ein

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sehr großes Netzwerk habe. Aus meiner Zeit als Sänger und Musikmanager kenne ich wahnsinnig viele Menschen aus verschiedensten Bereichen, die ich auch gezielt an­ sprechen kann. Darüber hinaus nutze ich soziale Netzwerke sehr ­intensiv. Ich möchte alle Schritte beim Aufbau meines Unter­nehmens gläsern machen und schreibe auch, wenn mal etwas total mies läuft. Die Resonanz ist beeindruckend und allein darüber habe ich schon viele Kunden und Geschäftspartner gewonnen. Seit fast einem Jahr bist du Vollzeit mit deinem Projekt ­beschäftigt. Wie finanzierst du dich in der Zwischenzeit? Das ist eine sehr gute Frage. Bevor ich mit meinem Markenprojekt gestartet bin, war ich als Berater und Koordinator für eine Hamburger Aktiengesellschaft tätig. Dort habe ich ein gutes Honorar in Rechnung stellen können. Allerdings warte ich noch auf eine nicht unerhebliche Summe bislang un­bezahlter Rechnungen, was sehr unerfreulich ist und die ­Sache doppelt schwer macht. In den vergangenen Monaten haben wir uns daher ausschließlich aus Rücklagen finanziert. In solchen Phasen muss man durchhalten und es wirklich wollen. Ich habe mich konsequent für diesen Weg entschieden und mir die Wahl nicht gelassen. Natürlich ­werde ich auch künftig noch mit zum Beispiel Peter Maffay arbeiten, aber es steht nicht mehr im Vordergrund. Diese ­klare Kante war ein wichtiges Signal an mich selbst, mich jetzt voll auf dieses Projekt zu fokussieren und zu konzen­trieren. Wie viele Stunden arbeitest du? Nicht mehr so extrem wie früher, aber immer noch viel. Früher habe ich mich komplett prostituiert – mit der Folge, dass ich einen Tinnitus hatte, einen Hörsturz bekam und erst mal für eine Weile gar nicht mehr arbeiten konnte. Daraus habe ich gelernt. Heute nehme ich mir bewusst Auszeiten und achte auf eine Balance. Immerhin bin ich meine wichtigste Ressource. Wenn meine Energie weg ist, dann ist da nichts mehr, was ich einsetzen kann. Hast du außer Kaffee und Musik noch weitere Leiden­ schaften? Ich bin chronisch neugierig. Das ist die größte Leidenschaft, die man als Mensch haben kann. Meine Neugierde hat dazu geführt, dass ich in meinem Leben schon ganz viele Er­ findungen gemacht habe. Nach dem Ende meiner Musiker­ karriere habe ich mir andere Medien gesucht, um mich kreativ auszudrücken. Ich habe Unmengen an Gebrauchsund Geschmacksmustern angemeldet. Hast du ein Beispiel für eine Erfindung? Ich koche für mein Leben gern. Dabei hat mich total genervt, dass beim Kochen immer der Topfdeckel irgendwie im Weg ist. Mit ein paar Ingenieuren habe ich also einen ­Deckel mit Halterung entwickelt, so dass man diesen am Topf oder an der Pfanne befestigen kann. Damit kann man den Deckel in verschiedenen Stufen offen stehen lassen. Für diese Entwicklung habe ich auch Preise gewonnen.

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Wenn mich ein Problem beschäftigt, dann muss das raus aus meinem Kopf und ich suche eine kreative Antwort darauf. Wie beantwortest du die Frage danach, was du beruflich machst? Wie siehst du dich selbst? Als Daniel Düsentrieb, Unternehmer, Kreativer …? Das ist in der Tat schwer. Auf meiner neuen Visitenkarte habe ich jetzt das erste Mal eine Bezeichnung für mich. Darauf steht Inhaber. Bisher hatte ich nie eine Antwort, wenn mich jemand gefragt hat, was ich eigentlich bin. Ich bin in jede kreative Richtung kreativ und mache wahnsinnig viel. Bist du mit deiner Idee, die Marke Kalkberg auf- und aus­ zubauen, vielleicht am Ziel deiner langen kreativen Reise angekommen? Das Projekt hat ja unendlich viel Potenzial, um dich die nächsten 20 Jahre zu beschäftigen … Ja und nein. Ja genau aus dem Grund, dass es so viel Potenzial hat. Es dürfte nicht einfach nur fertig sein. Das

wäre gefährlich, weil mir zu langweilig. Kalkberg hat genug Potenzial, um sich in ganz viele Richtungen zu erweitern. Mich reizt auch die Möglichkeit, später einmal in die Länder zu reisen, in denen der Kaffee produziert wird und dort direkt auf den Plantagen dazu beizutragen, dass sich Dinge ändern. Vielleicht werde ich eine Stiftung gründen. Das ist schon sehr lange mein Wunsch. — Wer Ralf Schaffer trifft, der kann gar nicht nders, als diesen großen Wikingertypen direkt ins Herz zu schließen. Sein Ideenreichtum ist ansteckend und er hat die Fähigkeit, Menschen für Visionen und Konzepte zu begeistern. Ganz nebenbei braut er tödlich leckere Kaffee-Essenz, welche nicht nur als Topping auf Eis ein gehöriges Suchtpotenzial hat. Auch die Liköre aus dem Hause Schaffer sind einzigartig und ein sicherer Geheimtipp. www.kalkbergkaffee.de

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NILS PICKENPACK  ⁄  MARKENMANAGER

Kuppler von Beruf TEXT Harriet Lemcke  × FOTOS Oliver Reetz

ER STAMMT AUS EINER HAMBURGER ­UNTERNEHMERFAMILIE MIT TRADITION UND SOLLTE ­EIGENTLICH AUCH ETWAS MIT ­SCHIFFFAHRT MACHEN. NILS PICKENPACK ZOG ES JEDOCH INS MARKETING. ER STUDIERTE BWL UND GRÜNDETE 2007 MIT C­ ONNECTING BRANDS SEIN EIGENES UNTERNEHMEN. ­DAFÜR ­SUCHTE ER SICH GESTANDENE PARTNER. s ist wohl eine der schönsten Aussichten Hamburgs: W0enn Nils Pickenpack auf dem Balkon des Konferenzraumes in der Großen Elbstraße 279 steht, dann guckt er direkt auf den Hafen. Der unverbaubare Blick auf das Wasser der Elbe, die Kräne des Hafengelän­ des und die vorbeifahrenden Schiffe – das alles hat in der Abenddämmerung dieses lauen Februar­ tages etwas Meditatives und Wildromantisches. »Wenn die Queen Mary zum Kreuzfahrtterminal einläuft, dann wird es bei uns in den Büros dunkel«, sagt Nils Pickenpack, der mit seinem Unternehmen connecting brands in den Räumen der etablierten Werbeagentur KMF residiert. Von der Decke des mondänen Konferenzraumes hängt ein riesiger Kristall­ lüster. Auf dem Besprechungstisch für geschätzt 15 Personen steht ein Karton. Darin die neueste von Nils Pickenpack vermittelte Markenkooperation. Die Müsli-Mischungen der Firma mymuesli werden gemeinsam mit den neuen Mandel­ drink- und Nussdrink-Kreationen der Marke Alpro vermark­ tet. Beides sind optimale Partner für ein reichhaltiges und gesundes Frühstück. Was als »Bartering« aus Marketing und Kommunikation bekannt ist, hat der 45-Jährige zu seinem Geschäftsmodell gemacht und ist damit erfolgreich.

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Herr Pickenpack, Sie haben connecting brands 2007 ­gegründet. Wie ist die Idee dazu entstanden? So, wie häufig Ideen für Unternehmungen entstehen. Ich habe einige Jahre in der Konsumgüterindustrie und danach sieben Jahre in einer Agentur gearbeitet und mir überlegt, dass es nun an der Zeit ist, etwas Anderes oder was Eigenes zu machen. Hier in diesem Raum ist dann eher zufällig die Idee zu connecting brands entstanden. Einen der beiden Geschäftsführer von KMF kannte ich über einen privaten Kontakt. Wir haben uns hier getroffen und über Möglichkeiten einer Zusammenarbeit gesprochen. Dabei kamen wir recht schnell auf Kooperationsmarketing – weil dieses ein interes­ santer Markt und ein Thema ist, welches so noch nicht be­ legt ist. Es gibt kaum Agenturen, die sich dieses Thema auf die Fahnen schreiben. Ich habe vorher schon im Promoti­ onbereich einer Agentur gearbeitet und dort Kooperationen umgesetzt. Dadurch habe ich über die Jahre ein sehr großes Netzwerk an Kontakten aufgebaut. Aus diesen Tatsachen heraus kam uns sehr schnell die Idee zu einer gemeinsa­ men Unternehmung. Wir saßen hier dreimal zusammen und ­haben uns dann beim Notar getroffen, um connecting brands zu gründen.

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»Kooperationen sind ­eigentlich gar nicht schwer – wenn man weiß, wen man in ­einem Unternehmen ­ansprechen kann.«

Womit beschäftigt sich Ihre Agentur hauptsächlich? Wie kann ich mir Ihren Arbeitsalltag in der Praxis vorstellen? Jedes Unternehmen will natürlich seine Produkte verkaufen und überlegt sich, was es in Marketing und Vertrieb für Maß­ nahmen durchführen muss. Kooperation ist ein Ansatz, die Marketing- und Vertriebsziele unter Einbindung eines geeig­ neten Partners zu erreichen. Unsere Hauptaufgabe ist es, das Matching vorzunehmen und für Kunden geeignete Partner zu suchen, die ihnen genau das bieten, was sie suchen und das brauchen, was sie anzubieten haben. Haben wir die ­passenden Partner gefunden, bringen wir beide zusammen.

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Heißt das, dass Sie von einem Unternehmen beauftragt ­werden, welches den Wunsch hat zum Beispiel den Produkt­ verkauf der Marke xy zu steigern? Oder kommen die Unternehmen zu Ihnen und fragen danach, mit wem sie ko­operieren können, um mehr Erfolg zu haben? Es gibt beide Varianten. Einige Unternehmen skizzieren ihre Problemstellung und möchten Vorschläge. Es gibt auch Un­ ternehmen, die bereits Vorstellungen haben, mit welchem Unternehmen sie kooperieren wollen und schon eigene Ide­ en mitbringen. Häufig ist den Verantwortlichen nicht klar, wie sie an ihr Wunschunternehmen herantreten sollen. Oder

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sie finden es professioneller, eine Kooperationsmarketing­ agentur dazwischenzuschalten. Kooperationen sind eigent­ lich gar nicht schwer – wenn man weiß, wen man in einem Unternehmen ansprechen kann. Im Idealfall ist es so, dass wir schon Ansprechpartner in den Unternehmen kennen. Wenn nun ein Kunde mit einem Kooperationswunsch zu Ihnen kommt, wie gehen Sie dann vor? Zunächst einmal erstellen wir ein Anforderungsprofil. Darin steht, was der Wunsch-Kooperationspartner an Leistungen mitbringen soll. Dazu müssen wir uns natürlich anschau­

en, welche Zielgruppe die Marke des Kunden hat. Dann ist es wichtig zu fragen, welche Zielgruppe der Partner haben und ob es eventuell die gleiche sein soll. Vielleicht möchte die Marke mit der Kooperation auch neue Kundengruppen erreichen. Wenn das Anforderungsprofil erstellt ist, dann definiere ich Kriterien, die der Kooperationspartner haben muss. Gegebenenfalls definiere ich auch Ausschlusskrite­ rien – zum Beispiel »no sex, drugs and alcohol«. Wenn ich das Profil habe, überlege ich mir, welche Marken in Frage kommen. In einer Angebotspräsentation stellen wir dann den Kooperationspartner und die Kooperationsidee vor. Darin steht dann zum Beispiel auch, was der Kooperations­ suchende in eine Kooperation einbringen kann, also welche Vorteile er einem potenziellen Partner bietet und natürlich auch, was er von dem Partner möchte. Wir ­recherchieren in Wirtschaftsdatenbanken, im Netz und in Sozialen Netz­ werken wie Xing und erstellen dann eine Liste von Unter­ nehmen, von denen wir glauben, dass sie für unseren Kunden interessant sind. Warum halten Sie Kooperationen für so besonders – ­vielleicht im Vergleich zu klassischer Werbung? Kooperationen sind einfach clever. Wir leben in einem Zeit­ alter, in dem alles miteinander vernetzt ist und sich jeder auf das fokussiert, was er am besten kann. Da man nicht alles selber machen kann, ist es clever, sich für die Bereiche, in denen man nicht so stark ist, einen Partner zu suchen. Kooperationen sind ja kein Selbstzweck. Ein Unternehmen

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»Wir saßen hier dreimal zusammen und haben uns dann beim Notar getroffen, um connecting brands zu gründen.«

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Auf die CO-BRANDS komme ich gleich noch einmal zurück. Können Sie mir vorab noch etwas zu Ihren Seminaren sagen? Gemeinsam mit drei Co-Autoren habe ich im vergangenen Jahr ein Buch über Markenkooperationen veröffentlicht. ­Darin haben wir unser geballtes Know-how niedergeschrie­ ben. Auf Basis des Buches haben wir anschließend ein Seminar entwickelt. Das theoretische Fachwissen wird ange­ reichert mit Praxisübungen und Case Studys. Wir bieten das Seminar auch als Inhouse-Veranstaltung für Unternehmen an. Wir stellen fest, dass es in Unternehmen im zunehmen­ den Maße Abteilungen gibt, die sich mit Kooperationsmar­ keting beschäftigen und dann geschlossen an unseren Se­ minaren teilnehmen. Häufig arbeiten sie nach dem Prinzip Learning by doing und möchten mit unserer Hilfe systema­ tisch an das Thema Kooperationsmarketing herangehen.

»Ich strebe gar nicht an, eine 50-Mann-Agentur aufzubauen. Die Größe, die wir jetzt haben, finde ich gut. So habe ich die Möglichkeit, operativ im Tagesgeschäft mitzuarbeiten.«

sollte sich fragen, ob es seine Marketing-, Vertriebs- oder Kommunikationsziele mit Kooperationen schneller oder auch günstiger erreichen kann. Gerade bei beschränkten Budgets sind Kooperationen ein Weg, eine größere Leistung zu erzielen. Kooperationen schaffen immer Win-Win-Win ­Situationen. Deshalb stoße ich bei Anrufen in den Unter­ nehmen auch auf offene Ohren. Wären wir eine reine Pro­ motion- oder Werbeagentur, dann würde ich bei Unterneh­ men häufiger und schneller auf verschlossene Türen treffen. Welches war denn die ungewöhnlichste Kooperation, die Sie arrangiert haben? Wir haben einmal zwei schwer Vermittelbare zusammen­ gebracht – die Partnervermittlung Elitepartner und den Kondomhersteller Billyboy. Einer Partnervermittlung haftet immer etwas der Ruf des Verruchten an, obgleich Elitepart­ ner grundsolide arbeitet und deren Kunden nicht auf das schnelle Abenteuer aus sind. Auf der anderen Seite ist eine

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Kondommarke auch kein leicht zu vermittelnder Koopera­ tionspartner. Die Kunden bekamen beim Kauf eines 10er Packs Billyboy seinerzeit einen 100-Euro-Rabatt auf den Abschluss einer Jahresmitgliedschaft bei Elitepartner. Das Angebot wurde sehr gut angenommen. Für den Verbraucher ist es wichtig, dass die Partner zusammenpassen und er versteht, warum die beiden kooperieren. Im Marketing geht es ja gern einmal um den USP. Welches ist der USP Ihrer Agentur? Auf dem deutschen Markt gibt es kaum eine Agentur, die rund um das Thema Kooperationen ein so umfangreiches Leistungsportfolio hat. Neben der operativen Vermittlung von Kooperationen und Kooperationssamplings bieten auch Beratung und Seminare zu Markenkooperationen an. Außerdem veranstalten wir mit der CO-BRANDS ein Koope­ rationsmarketing-Event. Auch dieses Veranstaltungskonzept einzigartig in Deutschland.

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Sie haben die CO-BRANDS eben bereits angesprochen. Im Mai findet die Veranstaltung bereits zum sechsten Mal statt. Woher stammt die Idee, Marketingentscheider zusammen zu bringen und quasi im Speeddatingverfahren miteinander zu verkuppeln? Wenn man im Marketing arbeitet, bekommt man ständig Einladungen zu Kongressen, Messen und Workshops. Wir haben festgestellt, dass viele Besucher diese Veranstaltun­ gen hauptsächlich besuchen, um Kontakte zu knüpfen und weniger, weil sie das Thema der Vorträge interessiert. Unsere Mission ist es, Marken zusammenzubringen und so haben wir uns überlegt, dass es sinnvoll wäre, ein Veranstaltungs­ format zu entwickeln, bei dem das Zusammenbringen, das Matchen von Marken, im Mittelpunkt steht. Anders als beim Speeddating gibt es auf der CO-BRANDS keine Blind-Dates, sondern organisierte und gematchte Treffen. Im Vorfeld der Veranstaltung registrieren sich die Unternehmen auf einem dafür bereitgestellten Portal. Dabei füllen sie einen recht umfangreichen Fragebogen zum Unternehmen, zum Teilnehmer und zu ihrem Kooperationsprofil aus. Auf Basis der Kooperationsprofile macht die Software dann Vorschlä­ ge, welche anderen Partner passen könnten. Im Vorfeld der CO-BRANDS können die Teilnehmer dann Gesprächspartner aussuchen. Jeder Teilnehmer kann bis zu zehn Gesprächs­ termine vereinbaren und fährt also bereits mit einem vollen Terminkalender zur Veranstaltung. Pro Gesprächspartner haben die Teilnehmer auf der Veranstaltung 30 Minuten Zeit, um Kooperationsmöglichkeiten auszuloten und das weitere Vorgehen zu vereinbaren. Das ist sehr effizient. Nun sind die Teilnehmer bzw. die Marken, die sie verkör­ pern, ja unterschiedlich attraktiv. Wie stellen Sie sicher, dass alle ausreichend viele Gesprächstermine vereinbaren können und nicht einige überlaufen werden und andere keine Anfragen bekommen? Natürlich gibt es Unternehmen und Marken, die für beson­ ders viele Partner sehr attraktiv sind. Vom Prozess her haben wir es so angelegt, dass jeder Teilnehmer zunächst fünf Termine machen kann und weitere fünf Termine dann erst

zum Ende der Anmeldephase freigeschaltet werden. Manch­ mal ergeben sich aus den Gesprächen, die zwei vermeintlich nicht so interessante Partner miteinander führen die frucht­ barsten Kooperationen. Die vorab organisierten Dates sind auf der CO-BRANDS aber nicht alles. Es gibt immer wieder so genannte Networking breaks, damit die Leute sich mitein­ ander austauschen können, die keine Termine vereinbart haben. Außerdem gibt es ein gemeinsames Mittagessen und auch eine Abendveranstaltung. Aus welchen Branchen kommen die Teilnehmer? Es ist komplett bunt gemischt. Vom Dax-Konzern bis zum Startup-Unternehmen ist alles vertreten. Die Branchen reichen von Automobil über Konsumgüter bis hin zu Ver­ sicherungen. Wir achten darauf, dass die Teilnehmer wirk­ liche Kooperationen anbieten. Es dürfen zum Beispiel keine Agenturen teilnehmen, die ein Unternehmen vertreten oder Sales Manager von Medien, die dann ihre Medialeistung verkaufen wollen. Die Teilnehmer wollen an dem Tag nichts kaufen, sondern Leistungen tauschen. Haben Sie Wunschkunden, die Sie gerne einmal in einer Kooperation zusammenbringen möchten? Wir sind gerade an einer Luxus-Automarke dran, die wir für eine ganz bestimmte Idee mit einer Luxus-Kreuzfahrtgesell­ schaft zusammenbringen wollen. Wenn wir das schaffen, dann wäre das wohl der Ritterschlag. Nun sind Sie seit 2007 am Markt. Klassische Frage an einen Unternehmer: Wo möchten Sie in fünf bis zehn Jahren sein? Ich strebe nicht an, eine 50-Mann-Agentur aufzubauen. Die Größe, die wir jetzt haben, finde ich gut. So habe ich die Möglichkeit, operativ im Tagesgeschäft mitzuarbeiten. Also ganz nach dem Motto: klein, aber fein. Wie viele Mitarbeiter hat connecting brands derzeit? Wir sind drei Mitarbeiter, haben aber ein großes Netzwerk an Partnern, mit denen wir zusammenarbeiten. Hier nutzen wir zum Beispiel die Infrastruktur unserer Partneragentur. IT, Buchhaltung, Grafik haben wir dorthin ausgelagert. Dadurch, dass wir so viele Leistungen rund um das Thema Kooperationen anbieten, werden wir in der Regel viel größer wahrgenommen, als wir eigentlich sind. — Der Vater von zwei sechs und acht Jahre alten Kindern ­arbeitet gern, achtet aber auf eine ausgewogene Work-Life-­ Balance. Selbstständig zu sein heißt für Nils Pickenpack, das tun zu können, wofür sein Herz schlägt, aber auch selbst zu entscheiden, wie viel er arbeitet. www.connectingbrands.de, www.co-brands.de

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ALEXANDER TEBBE UND LUCIUS BUNK  ⁄  SCHIFFFAHRTSUNTERNEHMER

Schifffahrt im Zeichen des Ahornblattes TEXT Harriet Lemcke  × FOTOS Oliver Reetz

SEIT 2010 MISCHEN SIE DIE TRADIERTE SCHIFFFAHRTSBRANCHE AUF. ALEXANDER TEBBE UND LUCIUS BUNK SIND GRÜNDER UND JUNGUNTERNEHMER. STÜCKGUT STATT CONTAINERFRACHT IST IHR ERFOLGSREZEPT. AUERBACH SCHIFFFAHRT HAT SICH BINNEN KÜRZESTER ZEIT EINEN NAMEN GEMACHT UND IST AUF ERFOLGSKURS.

oran erkennt man Unternehmer? Sie trampeln nicht unaufhörlich im Hamster­ rad und träumen ihr Leben – von einer besseren Welt, tollen Jobs, mehr Freiheit, mehr Geld. Unternehmerpersönlichkei­ ten ticken anders. Sie steigen aus dem Hamsterrad vermeintlicher Sicherheit aus und machen einfach. Alexander Tebbe und Lucius Bunk sind von diesem Schlag. Die beiden jungen Männer Anfang dreißig haben etwas gewagt und ihr Schicksal selbst in die Hand genommen. Mitten in der weltweiten Schifffahrts­ krise haben sie ein Schifffahrtsunternehmen gegründet und damit frischen Wind in eine Branche gebracht, die von Tradition und konservativem Denken geprägt ist. Erklärtes Ziel der beiden ist, mit Auerbach Schifffahrt ein Geschäft aufzubauen, welches altbewährte Tugenden mit frischen Ideen verbindet. Ihr Unternehmen mit dem Ahornblatt als Wahrzeichen ist in einem Gründerzeitbau in der Hamburger Innenstadt beheimatet. An den weiß getünchten Wänden des Empfangsraumes hängt das riesige Steuerrad eines 1926 gebauten Dampfers. Auf diesem war der Großvater von Alex­

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ander Tebbe Kapitän. Die bequemen Sessel und die Stuck­ decke machen den gediegenen Gesamteindruck des Raumes komplett. Die beiden Jungunternehmer selbst wirken in Jeans und Pulli dagegen frisch und lässig. Alexander und Lucius – die Schifffahrt steckt seit einiger Zeit in der Krise. Wie kommt es, dass ihr euch entschieden habt, eine Reederei zu gründen? Alexander  Vor über zehn Jahren habe ich einmal Schiff­ fahrtskaufmann gelernt. Vor über 15 Jahren bin ich mit ei­ nem Schiff von Hamburg nach St. Petersburg gefahren. Mein Großvater war Kapitän. Ich bin in einem maritimen Umfeld groß geworden und fand Schifffahrt immer schon toll. Lucius  Mit der Schifffahrt bin ich als Kind zwar nicht in Berührung gekommen, aber ich komme aus einer Unter­ nehmerfamilie. Mein Vater und auch meine Großväter ­waren Unternehmer. Für mich war es schon immer ein Traum, unternehmerisch tätig zu sein. Mich hat es ge­ reizt, in einer altehrwürdigen und von Tradition geprägten In­dustrie Gedanken neu zu denken und moderne Dinge auszu­probieren.

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Wie seid ihr euer Projekt angegangen? Alexander  Zuerst muss ich dazu sagen, dass das alles nicht über Nacht kam. Es könnte ja sein, dass Leute denken: Da kommen mal eben zwei junge Typen aus dem Studium und kaufen einfach ein Schiff. Ich habe Lucius 2005 beim Hamburger Eisbeinessen kennengelernt. Das Hamburger Eisbeinessen ist die größte Schifffahrtsveranstaltung der Welt. Wir verstanden uns auf Anhieb. Wie der Zufall es will, haben wir zwei Jahre später einen Schreibtisch geteilt und bei einer sehr alt eingesessenen Hamburger Reederei gemeinsam an einem Projekt gearbeitet. Über den Zeitraum von zwei Jahren lernten wir uns intensiver kennen und stell­ ten fest, dass wir gut zusammen arbeiten können. Wir sind zwei sehr unterschiedliche Typen und ergänzen uns hervor­ ragend. Wir sind öfter mal abends ein Bier trinken gegangen und haben uns gesagt: irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem wir etwas Eigenes machen. Mit Beginn der Schifffahrtskrise 2008 sind wir ganz unterschiedliche Wege gegangen. Lucius ist nach Shang­

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»ICH BIN IN EINEM MARITIMEN UMFELD GROSS GEWORDEN UND FAND SCHIFFFAHRT IMMER SCHON TOLL.«

»ICH KOMME AUS EINER UNTERNEHMERFAMILIE. MEIN VATER UND AUCH MEINE ­GROSSVÄTER WAREN UNTERNEHMER.«

Alexander Tebbe

Lucius Bunk

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hai gegangen. Ich habe angefangen, bei einem Hamburger Emissionshaus zu arbeiten. Anfang 2010 haben wir telefo­ niert und uns gesagt, dass wir vor einigen Jahren immer von »hätte, wäre, wenn« geträumt haben. Und wir haben uns gefragt, ob jetzt der Zeitpunkt ist, um unsere Träume zu verwirklichen. Wir haben immer häufiger gesprochen und angefangen, unsere Wochenenden durchzuarbeiten – ich in Hamburg und Lucius in Shanghai. Nach einem halben Jahr Brainstorming haben wir es dann einfach gemacht. Lucius  Im März 2010 kam der Anruf von Alex. Ich musste nicht besonders lange nachdenken, weil ich den Wunsch hatte, irgendwann zu gründen und sich die Frage nach dem richtigen Partner nicht stellte. Der Zeitpunkt ist dann richtig, wenn man das Gefühl hat, das man zusammen etwas auf die Beine stellen kann. Wir wussten, dass die Krise noch e­ inige Jahre andauern wird. Wir hatten relativ schnell das Gefühl, dass es Dinge gibt, die man in der Schifffahrts­ branche anders anpacken kann und dass antizyklische Grün­ dungen auch in anderen Branchen schon erfolgreich waren.

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Wenn man sich mit Anfang dreißig sagt: Ich könnte ja erst noch einige Jahre Erfahrungen sammeln, vielleicht nochmal den Job wechseln und eine Managementaufgabe übernehmen und dann überlege ich nochmal, ob ich mich selbstständig mache. Das ist in der Regel der Anfang von einem lebenslangen Angestelltendasein, weil man dann am Ende doch nicht springt. Ich war zum Zeitpunkt der Grün­ dung schon verheiratet und hatte zwei Kinder. Ich habe mir gesagt: wenn ich jetzt nicht springe, dann weiß ich nicht, ob ich es nochmal mache. Was ich aber weiß ist, dass ich mich dann mit 40 ärgere und mir wünsche, ich hätte es probiert. Wenn man einen Imbiss eröffnen möchte, dann sind die To Do’s ja recht überschaubar. Was muss man alles tun, wenn man ein Schifffahrtsunternehmen gründen möchte? Alexander  Unheimlich viel. (lacht) Ein Schifffahrtsunter­ nehmen aufzubauen ist eine Lebensaufgabe. Das war uns von vornherein klar. Wir haben uns fünf Jahre Zeit genom­ men, eine kleine Schifffahrtsflotte auf die Beine zu stellen. In dieser Zeit machen wir uns darüber Gedanken, wie wir aus der Flotte ein Schifffahrtsunternehmen machen, denn dafür braucht es mehr als nur eine Anzahl von Schiffen. Nun ist es nicht so, dass wir uns gesagt haben: Wir haben viel Geld, gehen los und kaufen Schiffe. Die erste Frage, die sich stellt, ist: Wo bekommen wir viel Geld her? Wir haben bisher drei Schiffe gekauft und jedes hat rund zehn Millio­ nen Euro gekostet. In der Krise ist es sehr schwer, Banken zu überzeugen. Diverse Regularien erlauben es ihnen nicht, Neugründungen zu unterstützen. Neben dem Fremdkapi­ tal brauchten wir Eigenkapital, also Investoren. Auch das ist schwer, denn alle großen Investoren haben sich in den letzten Jahren ebenfalls die Finger verbrannt. Schiffe kaufen ist auch nicht so einfach – zumindest, wenn man so wie wir den Anspruch hat, sie auch langfristig zu betreiben. Ein Netzwerk ist hier Gold wert und das hatte Lucius aufgrund der Tatsache, dass er lange in Asien gelebt hat. Lucius  Jeder Gründer steht erst einmal vor derselben ­Herausforderung. Es gilt, einen Namen zu finden, den im Handelsregister anzumelden, einen Schreibtisch zu orga­ nisieren und einen Computer, mit dem man mit der Welt kommunizieren kann. Dann macht man sich Gedanken darüber, wie man nach außen hin auftreten will. Die Fragen,

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die sich allen Gründern stellen sind: Wie vermarkte ich mein Business und wie vertreibe ich das, was ich machen will? Sehr schnell stellt man fest, dass man für das brennen muss, was man tun will. Man muss Menschen davon über­ zeugen, dass diese Leidenschaft das Unternehmen trägt und zum Erfolg bringt. Wenn man das transportieren kann und außerdem kon­zentriert an dem Aufbau arbeitet, dann hat man eine Chance, seine Pläne auch erfolgreich umzusetzen. Wie haben denn die Banken auf eure Pläne reagiert? Alexander  Positiv war, dass alle Banken uns eingeladen haben. Mehr als Schulterklopfen haben wir allerdings nicht bekommen. Die durchgängige Paradeantwort war: Wenn ihr zehn Schiffe finanziert, dann machen wir das elfte. Die elfte Bank, eine Regionalbank, war es am Ende, die gesagt hat: Wir machen das. Am Telefon sagte man uns, dass wir eigentlich durch jedes Raster durchfallen. Trotzdem wollte die Bank das erste Schiff finanzieren. Das war wahrschein­ lich unser Sechser im Lotto. Welches waren dann die nächsten Schritte vom Businessplan zur Unternehmung Auerbach? Lucius  Eine Unternehmung entwickelt sich über die Zeit. Zunächst mal mussten wir einen Pflock einschlagen und das war der Kauf des ersten Schiffes. Unsere Vision ist es, ein voll integriertes Schifffahrtsunternehmen aufzubauen, welches nicht nur Schiffe betreibt, sondern auch die Ladung akquiriert und die Crew managt. Letztlich ist und bleibt eine Unternehmung ein dynamischer Prozess. Vor drei Jahren hätten wir sicher nicht in Gänze skizzieren können, wo wir heute stehen. Es hat sich vieles über die Zeit weiter­ entwickelt. Was macht ihr anders als andere Schifffahrtsunternehmen? Alexander  Wir haben das Rad nicht neu erfunden. Wir ­haben uns angeschaut, was unserer Meinung nach in die Krise geführt hat, in der wir heute sind. Und wir haben uns angeschaut, wie Schifffahrt in den letzten hundert Jahren funktioniert hat. Schifffahrtsunternehmen zu sein, bedeutet für uns, Schiffe zu besitzen und sie auch zu betreiben. Die Realität der letzten Jahrzehnte sah anders aus: Einige Leute finanzieren Schiffe, andere vermieten Schiffe, wieder andere

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»WIR HATTEN RELATIV SCHNELL DAS ­GEFÜHL, DASS ES DINGE GIBT, DIE MAN IN DER SCHIFFFAHRTSBRANCHE ANDERS ANPACKEN KANN UND DASS ­ANTIZYKLISCHE GRÜNDUNGEN AUCH IN ANDEREN BRANCHEN SCHON ERFOLGREICH WAREN.« Lucius Bunk

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befrachten Schiffe. Nun ist Schifffahrt ein sehr zyklisches ­Geschäft. Wenn wenig konsumiert und produziert wird, dann geht es der Branche schlecht und wenn die Welt­ wirtschaft boomt, dann boomt die Schifffahrt enorm. Wenn ein Schifffahrtsunternehmen diese Zyklen aushalten möchte, dann muss es eine gewisse Kapitalstärke vorhalten. Aus un­ serer Sicht geht das nur, wenn man eigene Schiffe finanziert, Ladung von A nach B bringt und sich ein Polster anfrisst. Lucius  Der Fokus auf die Nische war extrem wichtig. Es ist leichter, eine solche Vision zu verkaufen, weil Menschen sich an einem Gesamtbild festhalten können. Die Projekt­ ladungsschifffahrt ist ein relativ kleiner Teil des weltweiten Schifffahrtsmarktes, der hier auch in Hamburg kaum zu sehen ist. Gerade in den Entwicklungsländern in Südameri­ ka und Südostasien werden Projektladungsschiffe eine un­ glaubliche wichtige Rolle spielen. Für Infrastruktur­projekte braucht man diese Schiffe mit starken eigenen Kränen. Es passt eben nicht alles in einen Container. Euer Schifffahrtsunternehmen heißt Auerbach. Jedem, der einmal Goethes Faust gelesen hat, ist das ein Begriff. Wie seid ihr auf diesen Namen gekommen? Lucius  Die Namensfindung ist bei Unternehmensgrün­ dung immer eine der größten Baustellen. Wir haben uns überlegt, welche Idee, welche Werte wir eigentlich transpor­ tieren wollen. Schnell waren wir uns einig, dass das Unter­ nehmen einen deutschen Namen haben und damit deutsche Tugenden transportieren sollte. Gerade in Asien, in Süd­ amerika und den USA wird deutsche Herkunft immer noch mit Qualität verbunden. Die Idee zu Auerbach kam von Alex. Wir haben ja beide in der 13. Klasse den Goethe gelesen und Auerbach ist ein urdeutscher Begriff. Ich musste eine Nacht darüber schlafen, aber am nächsten Tag war ich begeistert und dann haben wir das auch so gemacht. Alexander  Was wir nicht wollten, war ein Name wie New Hamburg Maritim Investment Limited Company. Wir wollten die Werte ausdrücken, mit denen wir 1954 Fußball­ weltmeister geworden sind. Um den Namen allerdings ins Handelsregister eintragen lassen zu können, mussten wir uns einen Mitgründer mit dem Namen Auerbach suchen. Wir haben also das Telefonbuch aufgeschlagen und Auer­ bachs in ganz Deutschland angerufen.

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Wie sieht euer Arbeitsalltag als Schifffahrtsunternehmer aus? Alexander  Wir haben uns als Ziel gesetzt, zehn Schiffe zu besitzen. Heute haben wir drei, es sind also noch sieben Schiffe nach. Gerade haben wir unser Kapital verdoppelt. Die Investoren, die wir heute an Bord haben, finden den Weg spannend, wollen ihn mitgehen und werden die nächs­ ten Schiffe finanzieren. Parallel geht es darum, Banken von unseren Plänen zu überzeugen und auch die passenden Schiffe zu finden, was nicht ganz einfach ist. Nach drei Jahren stellt sich jetzt auch die Frage, wie wir die Vision Bereederung, Befrachtung und Bemannung auf die Reihe bekommen. Heute haben wir sehr gute asiatische Seeleute auf den Schiffen. Der nächste Schritt wäre nun, europäische Seeleute mit an Bord zu nehmen. Männer, die AuerbachSeeleute sind und sich auch als solche verstehen. Wenn ihr jetzt ins Jahr 2024 schaut. Wo wollt ihr stehen? Lucius  Ich wünsche mir, dass wir in Bereichen Flotten­ größe, technische Betreuung und Befrachtung der Schiffe und handverlesenes Personal an Bord einen deutlichen Schritt nach vorne gegangen sind und das Thema voll­ integriertes Schifffahrtsunternehmen umgesetzt haben. In zehn Jahren sollte es so sein, dass wir den Befrachter an Land haben, der mit dem Kapitän an Bord über die von uns akquirierte Ladung spricht – wann diese in Hamburg ab­ zuholen und nach Mumbai zu verschiffen ist. ­ Erfolgreiche Schifffahrtunternehmer müssen nicht unbedingt — waschechte Hamburger sein. Lucius Bunk, bei Auerbach Schifffahrt der Experte für internationalen Handel und Kulturen, stammt aus der Nähe von Frankfurt. Erst durch das Studium in Schottland, Hong Kong und Shanghai wurde seine Leidenschaft für die Schifffahrt geweckt. Alexander Tebbe, der Experte für Finanzthemen, stammt aus Haren an der Ems. Das 20 000-Einwohner-Städtchen hat 20 Reedereien und belegt nach Hamburg und Leer in Ostfriesland damit Platz drei in Deutschland.

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EDITORIAL

Liebe Erstleser, Wiederholungstäter und Freunde des IDEAL! Magazins, was macht einen Menschen zu einer interessanten Persönlichkeit? Diese Frage diskutieren wir regelmäßig und zum Teil recht kontrovers in unserer Redaktion. Wenn man sich umschaut, dann wird schnell klar: Unser Leben wird von der Dominanz der Lauten, Schrillen und Schnellen geprägt. Denjenigen Menschen, die in den Mittelpunkt drängen, Auf­merksamkeit wie die Luft zum Atmen brauchen und sich bei jeder sich bietenden ­Gelegenheit selbst in Szene setzen. Sie sind omnipräsent und ihr Überschwang kann zum Teil Schwindel auslösen. Ganz bestimmt kennt ihr auch mindestens eine solche Person. Ob nun aus dem Alltag oder den Medien. Die wirklich spannenden Menschen sind häufig jedoch die der leisen Töne, fernab des Mainstreams. Es sind Macher mit Vision, die den Mut haben, auch ungewöhnliche Wege zu gehen. Es sind (Lebens-)Künstler, die mit Leidenschaft ihrer Passion nachgehen. Und es sind Menschen, die eine Mission haben, sich dieser verschreiben und sich selbst nicht so wichtig nehmen. Sie zu finden bedarf eines geübten Blickes und wir freuen uns ganz ­besonders, dass wir auch für diese Ausgabe einige von ihnen aufgespürt haben. Viel Spaß beim Lesen, Staunen, Wundern und Genießen. Eure Harriet Lemcke Chefredakteurin

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TIM FISCHER ⁄ CHANSONNIER

Der Chanson-König wandelt auf neuen Pfaden TEXT Harriet Lemcke  × FOTOS Ilona Habben

SEINE LIEDER SIND HERRLICH BÖSE, MELANCHOLISCH, TRAURIG UND SCHREIEND KOMISCH. DAS PUBLIKUM ERLEBT EINEN GROSSEN MIMEN UND EIN WECHSELBAD DER GEFÜHLE. EBEN NOCH LACHT ES AUS VOLLER KEHLE, DANN ROLLEN TRÄNEN UND GLEICH WIEDER WIRD ES KOMISCH. TIM FISCHER UNTERHÄLT NICHT NUR, ER ERREICHT DIE HERZEN. it 15 trat Tim Fischer erstmals vor größerem Publikum auf. Mit 16 zog Tim von zu Hause aus, landete auf der Reeperbahn: mit allem, was dazu gehört auf Deutschlands sündigster Meile. Mit 17 arbeitete er im Schmidt Theater. Stricherlieder und Chansons alter Meister haben ihn groß gemacht. Wandelbar wie kein Zweiter brachte er Zarah Leander, Jacques Brel und Georg Kreisler auf die Bühne. Er wurde gefeiert und gewann etliche Preise. »Ihm gelingt, was mittlerweile fast unmöglich geworden ist: zu singen, ohne zu lügen«, schrieb einst Frankfurter Allgemeine Zeitung. Der »Wunderknabe des Chansons« aus Delmenhorst in Niedersachsen ist inzwischen 40. Um seine Augen haben sich leichte Fältchen eingegraben, die ersten Haare sind grau. Mit seinen 1,73 m und seiner sehr zarten Gestalt wirkt Tim dennoch knabenhaft und zerbrechlich. Privat ist Tim Fischer sehr natürlich, unprätentiös und distanzlos herzlich – ein Mensch mit einem weiten Herzen und einer tiefen Demut. Seine Augen leuchten wie die eines kleinen Jungen – neugierig, schelmisch und offen für das, was die Welt zu bieten hat.

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»Ich bin die Rinnsteinprinzessin, Gelegenheitsbraut. Küss mir das taube Gefühl von der Haut. Du bist mein Prinz auf dem staubigen Pferd. Morgen ist unser Palast nichts mehr wert …« Au s z u g au s »R innsteinprinzessin«

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»Mit 40 kann man noch einmal ganz von vorn ­beginnen«, hat kürzlich die Berliner Morgenpost über dich getitelt. Inwiefern stehst du vor einem Neuanfang, Tim? Ich habe es jetzt im Kleinkunst-, Kabarett-, Chansonbereich sehr weit gebracht. Teilweise habe ich die Programme auf den Kleinkunstbühnen mit ganzen Orchestern präsentiert. Der Hildegard-Knef-Abend wurde sogar mit dem groß­ artigen NDR Pops Orchestra aufgeführt. Ich habe mit Georg Kreisler, einer echten Legende, über viele Jahre arbeiten dürfen. Wir haben insgesamt drei Programme zusammen gemacht, davon ein Musical und zwei Chansonprogramme. Jetzt möchte ich den Sprung schaffen aus der nostalgischen Chanson- und Kabarettwelt in die Gegenwart. Viele Jahre habe ich mich mit Georg Kreisler beschäftigt und sein zweifellos zeitloses Werk ins Hier und Jetzt gebracht und damit auch junge Leute angesprochen. Nun ist es an der Zeit, mit zeitgenössischen Künstlern zusammenzuarbeiten. Zum Beispiel mit Peter Plate (ehem. Rosenstolz – Anm. d. Red.), der eine absolute Bereicherung im deutschen Pop ist.

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— »Ich fühle mich jung und so frisch wie schon lange nicht mehr.« —

Du hast Peter Plate gerade angesprochen. Ist das jetzt ein Schritt hin zu einem etwas poppigeren Chansonnier Tim Fischer? Absolut, ja. Das finde ich auch wirklich wichtig. Durch Zarah Leander bin ich ja überhaupt zu meinem Beruf gekommen. Ich wollte singen und auf der Bühne stehen. Zarah Leander ist ein bisschen old fashioned und eher im frühen SchwarzWeiß-Film angesiedelt. Das hat mir als junger Mensch ganz gut zu Gesicht gestanden, mich mit etwas ganz Altem zu beschäftigen – einer alten Kunstform und einem alten Filmstar. Da gab es eine Reibung, das war interessant. Heute hat sich das ein wenig überdauert. Jetzt kann ich ruhig heutig werden und eine frischere Kunstform annehmen. Du stehst jetzt schon seit 25 Jahren auf der Bühne und hast auch schon recht früh gewusst, dass Chanson das ist, was du machen möchtest. Für einen Teenager ist es ja doch sehr ungewöhnlich, eine so klare Vorstellung von seinem Berufswunsch zu haben. Wie kam es dazu? Ich muss an dieser Stelle noch einmal auf Zarah Leander kommen. Sie hat mich tief beeindruckt. Als ich sie das erste Mal im Fernsehen sah, dachte ich, ich sehe meine beiden Großmütter durchgemixed in einer Person. Zarah Leander wurde damit für mich zu einer dritten Oma und meine Großmütter wiederum für mich zu Filmstars. Da hat sich dann ein eigener Charakter entwickelt, den ich dann auf die Bühne gebracht habe. Im Grunde war mir klar, dass ich auch sowas wie Zarah Leander werden möchte: ein unterhaltender und singender Künstler, der die Menschen begeistert. Und das habe ich ja inzwischen auch geschafft. Wie hat denn deine Umwelt damals auf deinen doch recht ungewöhnlichen Berufswunsch reagiert? Die hat gestaunt. Ich glaube, dass das ein Punkt ist, der wichtig ist. Die Leute haben mich wahrgenommen.

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»Ich glaube, dass ich mit einer Diva nichts gemein habe. Ich glaube, ich bin einfach ich – eher ein Chamäleon als eine Diva.« 38

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oder auch Zarah Leander – alle hatten ’ne Fluppe in der Hand. Also habe ich auch geraucht, denn ich wollte mich ja meinen Vorbildern annähern. Janis Joplin fand ich sehr ekstatisch und habe sie sehr geliebt. Es ist ja bekannt, dass sie auch Drogen genommen hat. Genau wie Zarah Leander, die furchtbar gesoffen hat. Vorbilder haben nicht nur positive Auswirkungen auf ihren Bewunderer, sondern durchaus auch negative. Vielleicht ist es aber auch ganz gut, dass ich intensive Erfahrungen gemacht habe. Es hat mich ja letztlich auch zu dem gemacht, der ich heute bin. Und heute weiß ich, dass ich das nicht mehr brauche. Mit der Nummer bin ich definitiv durch. Wie hast du es denn geschafft, dir trotz exzessiven Alkohol-, Drogen- und Zigarettenkonsums eine jugendliche Ausstrahlung zu erhalten? (lacht) Ich empfinde mich als ziemlich schrottelig. Ich glaube, wenn es etwas Jugendliches an mir gibt, dann ist es das, dass ich nicht versuche, mein Alter zu vertuschen. Ich nehme mich einfach so an wie ich bin und lache mich über mich selbst kaputt. Also nimmst du dich selber nicht so ernst? Richtig. Wenn man diese Verbissenheit nicht hat, sondern sich selbst mir Humor nehmen kann – ich glaube, das verleiht eine große Portion Jugendlichkeit.

Bist du unterstützt worden? Das brauchte ich nicht, denn ich wusste ja genau, was ich machen wollte. Ich habe ja nicht etwas getan, um aufzufallen, sondern es hat mein Naturell angesprochen. Ich bin dann mit einer Klavier spielenden Freundin auf die Bühne gegangen und habe angefangen zu singen. Die Leute waren aus dem Häuschen. Mit 17 hatte ich dann im Hamburger Schmidt Theater mein erstes abendfüllendes Programm. Deine Anfänge als Künstler waren ja nicht nur Glamour pur. Gibt es Phasen, an die du dich heute lieber nicht mehr erinnern möchtest? Nein. Ich erinnere mich an jede Zeit ganz gern und finde, auch die schlechten Zeiten haben mir auch heute noch was zu geben. So ein Künstlerleben ist – wie jedes andere Leben auch – nicht gradlinig, sondern hat Höhen und Tiefen. Bei mir stellte sich ja sehr früh der Erfolg ein. Und damals war es auch gang und gäbe, dass man Drogen nimmt. Vor der Vorstellung bekam man irgendwas in die Hand gedrückt und schluckte es. Und dann guckte man und fragte sich: »Wie bin ich denn heute auf der Bühne?« oder »Wie flippe ich denn heute aus?«. Heute kann ich mir das alles nicht mehr leisten. Ich muss mich sehr stark konzentrieren und vorbereiten. Außerdem muss ich meine Energien bündeln, damit ich eine Tournee kräftemäßig überstehe.

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Du hast es eben schon angesprochen. Du bist mit Liedern wie »Rinnsteinprinzessin« auf St. Pauli bekannt geworden und es ist oft geschrieben worden, dass du eine Lebens­ erfahrung vorgespielt hast, die du in dem Alter noch gar nicht hast haben können. Braucht es denn aus deiner Sicht auch grenzwertige Erfahrungen, um in einem solch jungen Alter mit solchen Themen auch authentisch sein zu ­können? Es kommt drauf an, was du für ein Einfühlungsvermögen hast. Ich glaube, dass das Mitfühlen ganz ausschlaggebend ist. Diese Fähigkeit hatte ich schon als kleiner Junge. Wenn meine Großmütter, die ich sehr geliebt habe, unglücklich waren, habe ich mich völlig mit ihnen identifiziert, mitgelitten und versucht, ihnen zu helfen. Das hat man oder man hat es nicht. Wenn du später die Erfahrung selber machst, kannst du noch einen gewissen Teil dazutun. Du hast gesagt, dass du vor einer Show alles genommen hast, was man dir angeboten hat. Haben vielleicht deine Vorbilder in jener Zeit auch eine Rolle gespielt? Ja, auf jeden Fall. Die Identifikation mit Filmstars überhaupt und die Definition, die ich von Stars hatte. Dazu gehörte es natürlich zu rauchen wie die Stars auf den Fotos. Das war einfach cool. Es wurde einem vermittelt, dass es cool ist zu rauchen. Marlene Dietrich, James Dean, Elvis Presley

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Wenn du den Tim von heute mit dem Tim von damals vergleichst – worin unterscheidet ihr euch? Künstlerisch stelle ich jetzt einfach mich auf die Bühne. Früher habe ich sehr viel mehr Rollen gespielt und mich in andere hineinversetzt. Heute kann ich sehr gut aus mir selber schöpfen. Du bist oft als Diva bezeichnet worden. Wie siehst du dich selber? Bist du eine Diva und wenn ja, bist du heute eine andere Diva als früher? Den Begriff Diva finde ich schwierig. (überlegt) Ich glaube, dass ich mit einer Diva nichts gemein habe. Ich glaube, ich bin einfach ich – eher ein Chamäleon als eine Diva. Tim, du hast eine unglaubliche Bühnenpräsenz. Mit deiner Mimik kannst du ganze Geschichten erzählen. Bist du speziell ausgebildet worden, hast du Schauspielunterricht genommen oder hast du dir das alles selbst beigebracht? Ich versuche einfach, nicht zu übertreiben. (lacht) Ich ver­suche, kurz und knackig das rüberzubringen, was ich meine. Mit Gesten, mit Mimik und mit einem Augen­ zwinkern, vor allem aber durch das Weglassen und das »pur sein« versuche ich, dem Publikum zu helfen, die teilweise doch schnellen Texte und den manchmal auch komplizierten Inhalt schnell zu verstehen. Eine Ausbildung hatte ich nicht, ich bin Auto­didakt. Es ist nicht so, dass ich keine Ausbildung wollte. Ich musste aber schon früh mein eigenes Geld verdienen und hatte weder die Mittel noch die Zeit, so eine Ausbildung zu machen. Ich bin einfach auf die

»Ich musste schon früh mein eigenes Geld ­verdienen und hatte ­weder die Mittel noch die Zeit, so eine Aus­bildung zu ­machen. Ich bin ­einfach auf die ­Bühne ­gesprungen und habe nach dem ­Prinzip ­»learning by doing« ­gearbeitet.«

Bühne gesprungen und habe nach dem Prinzip »learning by doing« gearbeitet. Eigentlich war das Publikum meine Schule. Wenn es sich zurückgezogen hat, dann wusste ich, dass ich nicht auf dem richtigen Weg bin. Ich habe sowieso die Einstellung, dass ich nie fertig bin, sondern mich immer weiter entwickle. Das, was gestern vielleicht noch stimmte, kann heute schon völlig hinfällig sein. Auf der Bühne ist es wichtig, immer wach und präsent zu sein und nicht in Routine zu erstarren. Wie eben angesprochen hattest du als Künstler ja nicht immer nur Erfolg. Kam dir in den 25 Jahren auch mal in den Sinn, alles hinzuschmeißen und was ganz anderes zu machen? (nachdenklich) Nee, die Frage hat sich für mich nicht gestellt. Wie wichtig ist dir Ruhm? Ruhm? (überlegt) Natürlich steuert man auf Ruhm zu, denn wenn man berühmt ist, kann man sich im Arbeitsbereich ganz andere Dinge erlauben. Mit einem berühmten Künstler wollen andere berühmte Künstler etwas zu tun haben, so dass sich da ganz schöne Geschichten entwickeln können. Andererseits macht Ruhm auch unfrei und engt ein. Du stehst jetzt ein Vierteljahrhundert auf der Bühne. Ist Lampenfieber für dich noch ein Thema? Ja und es wird auch immer schlimmer. Weil natürlich der Anspruch von draußen wächst und ich natürlich immer was Neues bieten möchte und muss. In den letzten Jahren ist es immer spannender und aufregender geworden. Wenn eine Premiere bevorsteht, dann flippe ich eigentlich aus.

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Hast du Strategien dagegen? Ich fange ein Jahr vorher an, aufgeregt zu sein. Und dann versuche ich, das bis zur Premiere soweit in den Griff zu kriegen und unter Kontrolle zu haben, dass ich dann einigermaßen entspannt sein kann. Nach der Premiere macht es dann »flopp« und dann bin ich entspannt und der Albtraum ist vorbei. Was war das Schlimmste, was dir auf der Bühne mal passiert ist? Oh, da gibt es viele Sachen, aber ich erzähle mal eine der ekelhaftesten Geschichten. (lacht) Es heißt ja so schön: »Kommt der Herbst mit Sturm und Niesen, dann beginnt für uns die Season«. Im Winter, wenn Saison ist, steht man als Künstler ja auch erkältet auf der Bühne. Während des Singens löst sich dann schon mal etwas Schleim, den man dann in eine Seitentasche packt, um bei einem Black, also wenn das Licht aus ist, mal kurz hinter sich zu spucken. Ich hatte allerdings vergessen, dass der Vorhang direkt hinter mir ist. Ich habe also den »Flemmi« direkt an den Vorhang gehängt und er seilte sich dann den Rest des Konzertes sehr langsam und zähflüssig hinter mir ab. Ich konnte auch mit aller Engelhaftigkeit, mit der ich ins Publikum guckte, die Würde des Abends nicht mehr richtig herstellen. (kichert) Ist es außer dir auch anderen aufgefallen? Das haben alle gesehen. Wo vorher kein Fleck war, war auf einmal ein großer Fleck. (lacht) Dein aktuelles Album »Geliebte Lieder« hört sich ein wenig an wie eine Reise durch die Zeit. Welche Beziehung hast du zu diesen Liedern? Zuerst einmal muss ich sagen: Die Lieder, die ich jetzt ausgewählt habe, liegen mir alle wahnsinnig am Herzen. Es ist mir schwer gefallen, mich auf 30 Lieder zu beschränken. Es hat auf allen Seiten, auch bei den Musikern, Tränen gegeben, weil man sich irgendwann von Liedern verabschieden musste. 60 hatten wir ausgewählt, die wir unbedingt spielen wollten. Wir haben dann nach Proben entschieden, welche Lieder in das Programm kommen und welche nicht. Es sind Lieder aus ganz unterschiedlichen Bereichen. Es ist natürlich ein Lied von Georg Kreisler dabei. Auch ein Lied von Zarah Leander musste ich machen, denn mein Publikum hat mich für mein Leanderprogramm auch wirklich verehrt und geliebt. Ich bin auch der Meinung, dass man als Künstler dankbar sein muss, wenn einen das Publikum mit etwas verbindet und Lieder von einem hören möchte. Dieses mit den neuen und persönlichen Aspekten zu mischen ist die Kunst. Von der Auswahl, die du jetzt für deine Tournee und das ­Album getroffen hast – gibt es da ein erklärtes Lieblingslied? Die Frage kann ich nicht mit ja oder nein oder mit einem Lied beantworten. Es gibt ein »geliebtes Lied« und das ist ­natürlich die »Rinnsteinprinzessin«, weil es eben zu mir

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gehört und mein Lied ist. Das Programm hätte auch »Rinnsteinprinzessin« heißen können, weil mich dieses Lied in den letzten 25 Jahren wie kein anderes begleitet hat. Die »Rinnsteinprinzessin« und »Schöner war’s mit dir« verbinden sich in diesem Programm. Das Eine ist mein altes Leben und ein Song, der zu mir gehört und auch immer gehören wird. Das Andere, »Schöner war’s mit dir«, der Song von Peter Plate, ist ein Aufbruch zu neuen Ufern und gibt eine Richtung vor, wo es hingehen kann. Ich finde, dass Peter Plate unglaublich tolle Texte macht. Wir werden zusammen arbeiten. Ich freue mich darauf wahnsinnig und bin ganz, ganz gespannt. Es ist auch vom Gefühl her etwas völlig Neues für mich. Welches sind die Herausforderungen, wenn du jetzt etwas poppigere Chansons singst? Es ist ja eine andere Art des Singens. Musst du dich sehr umstellen? Absolut! Es ist eine Sprache, die heute gesprochen wird und in der ich mich sehr wohl fühle. Ich würde mich jetzt nicht so wohl fühlen, eine alte Diva zu spielen und mich damit abzufinden, dass mein Publikum mich in dieser Rolle sieht. Das wäre eine Bürde für mich. Ich fühle mich jung und so frisch wie schon lange nicht mehr.

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Deine Songs werden etwas poppiger. Wo soll die Reise denn hingehen? Na, ich werde Popstar, das ist doch klar! (lacht) Kommen wir zu Tim Fischer privat. Seit fünf Jahren lebst du in einer eingetragenen Partnerschaft mit deinem Mann Rolando zusammen … … fast sechs Jahre. Im Februar werden es sechs Jahre. Wie hat die Tatsache, privat einen sicheren Hafen angelaufen zu haben, deinen Lebenswandel beeinflusst? Natürlich extrem. Die Abende, die ich früher in einer Kneipe verbracht und nach den schnell runtergekippten fünf Wodkas irgendwo unter dem Tresen gelegen habe, die verbringe ich jetzt mit meinem Mann. Wir gehen gerne gut essen und gucken uns kulturell viel an. Ich lebe ja in Berlin, da ist kulturell viel los. Wir besuchen auch gern Freunde in Hamburg, kommen ins »Polittbüro« oder besuchen das St. Pauli Theater, wo viele Freunde und Kollegen auftreten. Seid ihr auf der Tour immer zusammen? Ja, immer. Demnächst werden wir uns aus ganz praktischen Gründen mal ein wenig aufteilen. Wir ziehen nämlich um. Rolando muss dann ein wenig zu Hause arbeiten und ich muss auf Tournee sein.

Du sammelst seit vielen Jahren für Aids-Kranke in Afrika und hast schon fast eine halbe Million Euro zusammen­ getragen. Wie kam es zu diesem Engagement? Ganz simpel. Ich habe einen Bericht im Fernsehen gesehen über die Zustände dort, was die Versorgung von Aids-Kranken im Endstadium angeht. Dass keine Gelder für Medika­ mente vorhanden sind und dass die Spenden eigentlich gleich Null sind. Das war für mich unvorstellbar. Da sind wir wieder beim Thema mitfühlen. Man muss sich einmal in die Lage der Menschen dort hineinversetzen. Wenn man sich selbst nicht mehr helfen kann und wahnsinnige Schmerzen hat. Wenn man noch nicht einmal Medikamente bekommt, um die körperlichen Schmerzen einzudämmen und in ­Würde zu sterben. Wie groß muss dieses Gefühl von Einsamkeit und Alleingelassen werden sein? Dass ich helfen wollte, war klar, aber ich wusste noch nicht wie. Ich habe damals einen befreundeten Arzt angesprochen, der auf Aids spezialisiert ist. Mit ihm zusammen bin ich dann nach Johannesburg geflogen. Wir haben die Townships besucht und die Krankenhäuser. Was ich da an Elend gesehen habe, ist mir heute noch sehr präsent. Ich habe aber auch gleich Hoffnung geschöpft, weil die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer in den Hospizen trotz allem einen solchen Lebensmut haben. Dadurch, dass sie selbst so hoffnungsvoll sind und nicht aufgeben, vermitteln sie auch den Kranken Mut und Kraft. Betroffen sind häufig ganz junge Menschen, denn viele werden mit dem Virus bereits geboren und erkranken an ganz banalen Sachen wie Pilzentzündungen im Rachen. Pilzmittel gibt es aber nicht. Und die Menschen im Endstadium brauchen vor allem Morphium. Das erste Hospiz, welches ich unterstützt habe, war rund eine Autostunde von Johannesburg in Südafrika entfernt. ­Inzwischen unterstützen wir seit Jahren ein Hospiz in Harare in Zimbabwe. Wir sammeln nach jeder Show und weisen darauf hin, wofür es ist und dass es auf meiner Website weitere Informationen gibt. Uns kostet das nicht viel Mühe. Und die Leute spenden – das macht mir auch Mut. Was ist dir persönlich im Leben besonders wichtig? Immer wieder zu spüren, dass Menschen füreinander da sind. — Bereits seit Ende der 1990er Jahre sammelt Tim Fischer mit seinem Projekt »Songs against Aids« Spenden für die Versorgung von Aids-Kranken in Afrika. Nach jeder Show bedanken sich Tim und seine Musiker persönlich bei den Zuschauern für jeden Euro, den sie für sein Projekt in Harare spenden. Und immer nimmt Tim sich Zeit für persönliche und auch private Worte, für Autogramme und kurze Anekdoten. Wer als Zuschauer kommt, hat das Gefühl, als Freund zu gehen. Alle Informationen zu dem Projekt und aktuelle Tourdaten auf www.timfischer.de.

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THOMAS HORN ⁄ UNTERNEHMER

Das ­ Schlaraffenland ist süß TEXT Harriet Lemcke  × FOTOS Oliver Reetz

THOMAS HORN IST BÄCKER UND KONDITOR AUS LEIDENSCHAFT, CLEVERER GESCHÄFTSMANN UND EIN HAMBURGER UNIKUM MIT HUMOR. KEIN AUFTRAG IST ZU UNGEWÖHNLICH. GEHT NICHT, GIBT’S NICHT. ­SEINE KREATIVITÄT HAT IHM SCHON EINE EIGENE TV-SENDUNG EINGEBRACHT. IM HAMBURGER NORDEN LEITET ER EIN KLEINES BACK-IMPERIUM. m Schlaraffenland fließen Milch und Honig statt Wasser durch die Flussbetten. Ge­ bratene Tauben fliegen durch die Luft. Die Häuser bestehen aus Kuchen. Die Bewohner des Schlaraffenlandes genießen den lieben langen Tag alle nur erdenklichen Köstlich­ keiten. Wer das Märchen kennt, dem ist beim Vorlesen oder Zuhören ganz bestimmt die Spucke im Mund zusammengelaufen. Für Hamburger Leckermäuler befindet sich das Schlaraffenland in der Papenreye 6. Dort gibt es zwar keine Zäune aus Bratwürsten, aber dafür alles, was man aus Butter, Zucker, Mehl und anderen leckeren Zutaten herstellen kann. Schon beim Betreten des gerade wiedereröffneten großzügigen Verkaufsraumes schlägt einem der Duft von frischen Backwaren entgegen und löst direkt im Gehirn einen Impuls aus. Lecker! Essen! Jetzt!

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Kein Job für Morgenmuffel Wer sich für den Beruf des Bäckers entscheidet, der ­entscheidet sich gegen durchfeierte Nächte und Spät­ filme im Fernsehen. Für einen Bäcker ist die Nacht dann zu Ende, wenn sie für Nachteulen gerade angefangen hat. Um 1.30 Uhr beginnt in der gläsernen Backstube von Thomas Horn der Betrieb. Die fünfköpfige ausgeschlafene

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Bäckertruppe arbeitet erst mal rund 2500 Brötchen weg. Drei Fahrer sorgen im Anschluss dafür, dass diese ihre Ab­ nehmer – fünf Lieferkunden, zwei Wiederverkäufer und das Hauptgeschäft der Konditorei Horn in der Grelckstraße 10a in Hamburg-Lokstedt noch duftend erreichen. 35 Sorten Brötchen verlassen täglich die Backstraße. Den Teig setzen die Bäcker mit einem Tag Vorlauf an. Brotteig wird stets sofort verarbeitet und das hat seinen Grund. »Durch den Sauerteig ist eine Kühllagerung nicht möglich«, erklärt Thomas Horn. Sind die Brötchen vom Blech, staubt es also ordentlich in der Backstraße. Die großen Knet­ maschinen werden befüllt. Die Bäcker bereiten sämtliche Brotteige vor und setzen den Teig an, aus dem am Folgetag dann Brötchen, Franzbrötchen, Baguettes und Croissants werden. Die Handgriffe sitzen, das Team ist eingespielt. Circa 30 Brotsorten sind wöchentlich im Programm. Nicht jede Sorte jeden Tag, sondern nach Plan, sagt Thomas Horn: »Ich backe zum Beispiel montags, mittwochs und freitags Schwarzbrot, Vollkorn-Dinkelbrot und dänisches Schwarzbrot. Das sind die Tage für die Spezialbrote. An den anderen Tagen findet das Pflichtprogramm aus Weizen-, Roggen- und Mischbroten statt.« Noch Stunden, nachdem auch die ­letzten Brote aus den Öfen gezogen wurden, hält sich der Duft von Frischgebackenem in der gesamten Back­ straße.

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Frühschicht im Zucker-Paradies Im Vergleich zu ihren Bäckerkollegen können sie zwar ausschlafen. Um 3 Uhr nachts beginnt aber auch für die fünf Konditoren die Schicht. Noch bevor Otto Normalmensch seinen ersten Kaffee getrunken hat, backen sie Teige, rühren literweise Sahne steif, stellen leckere Mousse oder Pudding­ füllungen her. Konditor zu sein heißt, den ganzen Tag köstlichen Sünden ausgesetzt zu sein. Das wird mit einem Rundblick schnell klar. Überall in der Konditorei stehen süße Verlockungen: hier Bleche mit vorbereiteten Böden für Törtchen, dort eine riesige Rührschüssel gefüllt mit echtem Vanillepudding, gegenüber Berge von eingeschmolzener und geformter Schokoladendekoration für die Torten. Etwa 30 verschiedene Tortenkreationen werden in der Kondito­ rei regelmäßig hergestellt – von Himbeer-, Zitronen- oder Mangomousse über Käsesahne bis hin zu Sachertorte oder Exoten wie Dattelmousse. Welche Torten gerade gefertigt werden, entscheidet Konditormeister Loui anhand der vorhandenen Rohstoffe. »Wir waren eine der ersten Kondito­ reien in Hamburg, die die sehr konsequent mit frischen Früchten gearbeitet hat«, erklärt Thomas Horn, während im Hintergrund eine Konditorin mehrere Kilogramm Himbee­ ren in einer überdimensionalen Küchenmaschine püriert. Zusammen mit Zucker, Sahne, Gelatine und weiteren Zutaten wird daraus eine köstliche Mousse, die im Laufe der nächsten Stunden zu etwa 20 Torten verarbeitet wird. Diese werden in so genannten Sahneklimaschränken gelagert und bleiben dort bei Temperaturen zwischen minus und plus einem Grad bis zur Auslieferung frisch und aromatisch. Tortenkunstwerke für jeden Anlass Dass Konditor ein höchst kreativer Beruf ist, wird beim Blick in die Bildergalerie der individuellen Tortenkreatio­ nen schnell klar. Die Hochzeitstorte ist der Klassiker unter den Mottotorten. Längst werden Mottotorten aber auch zu anderen Anlässen in Auftrag gegeben – vom Junggesellen­ abschied über Geburtstage, Taufen bis hin zu Geschäfts­ eröffnungen. Individualität liegt im Trend und so ist jeder Auftrag eine Herausforderung für Thomas Horn und seinen Konditormeister Loui. In einem Vorgespräch klären sie den Anlass für den Auftrag und Vorstellungen des Kunden und entwickeln daraufhin Ideen für die Umsetzung. Jede Mottotorte ist einzigartig und ein kleines, wenn auch höchst vergängliches Kunstwerk. Ein ganz besonderer Auftrag Heute wird in der Konditorei Horn eine ganz spezielle Motto­torte entstehen – das IDEAL! Magazin als Kuchen­ traum. Dazu hat Thomas Horn bereits Biskuitteig gebacken und eine Puddingcreme mit frischer Vanille hergestellt. »Spanische Vanille« hieße die Kreation, sagt der Chef. Die Puddingmasse platziert er nun gekonnt zwischen den Schichten des aufgeschnittenen Tortenbodens. Zu guter

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»Ich esse am liebsten Schwarzbrot.« Thomas Horn

Letzt bestreicht er die gesamte Torte von außen mit der Creme, um Kanten zu glätten, bevor dann eine schützende Marzipandecke alles in Form hält. Bis hierhin war es Hand­ werk, nun beginnt die künstlerische Arbeit. Gemeinsam mit Konditormeister Loui hat Thomas Horn Fondant in unter­ schiedlichen Farben vorbereitet. Diese Masse besteht zu nahezu 100 Prozent aus Puderzucker, welcher mit Glucose, Zitronensäure und Gelatine zu einer festen Modelliermasse verarbeitet wird und eines der wichtigsten Materialien beim Kreieren von Mottotorten ist. Als Erstes knetet Thomas Horn eine grau eingefärbte Fondantmasse, um sie dann in einer riesigen Ausrollmaschi­ ne auf die gewünschte Dicke zu bringen. Die Ausrollmaschi­ ne gleicht einer Nudelmaschine im Verhältnis 1:250. Unter lautem Getöse wird der Teig mehrfach von der einen auf die andere Seite der Walzen befördert. Dann er flach und dünn ausgerollt und kann nun als zweite Decke für die IDEAL!Torte dienen. Vorsichtig platziert Thomas Horn die zuckrige Decke auf dem kalorienreichen Tortenwerk, drückt Ecken an und glättet Kanten. Geschafft. Als nächstes ist blaue Fon­ dantmasse an der Reihe. Auch sie wird geknetet und hauch­ dünn ausgerollt. Mit filigranen Schneidwerkzeugen rückt Thomas Horn der dunkelblauen Masse nun zu Leibe. Nach der Vorlage eines ausgedruckten Magazin-Covers schneidet er filigrane Formen aus dem Teig. Die mehrere Zentimeter langen Teigstückchen platziert er anschließend mit ruhiger Hand auf der mit grauem Fondant abgedeckten Torte. So entsteht Stück für Stück der typische blaue Schriftzug des IDEAL! Magazins.

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Thomas Horn bei der Arbeit – die IDEAL! Torte entsteht

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Für das Cover haben sich Thomas Horn und Konditor­ meister Loui etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Ein Foto der letzten Ausgabe in Fondant war den Zuckerkünst­ lern nicht kreativ genug. Sie haben sich gefragt, was das IDEAL! Magazin neben den exklusiven Begegnungen mit spannenden Persönlichkeiten noch ausmacht. Die Antwort: exklusive Fotos. Und dafür braucht es eine Kamera, haben die beiden beschlossen. Dreidimensional soll sie auf dem Cover des süßen Magazins Platz finden. Hierfür haben die beiden schwarze Fondantmasse vorbereit. Auch sie wird geknetet und mit der Ausrollmaschine in Form gebracht. Anschließend schneidet und schnitzt Thomas Horn gekonnt diverse Teile aus dem schwarzen Zuckerteig, die er dann zu einer Kamera zusammenfügt. Mit filigranem Gerät werden nun Feinheiten eingearbeitet und modelliert. Zuckergruß kommt für die Beschriftung zum Einsatz. Und schon ist die

»Die bisher größte Herausforderung war die »Queen Mary« – eine Mottotorte für 3000 Personen.« Thomas Horn

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individuelle IDEAL!-Magazin-Torte fertig. Sogar den ISBNCode platziert Thomas Horn originalgetreu auf dem Cover. Diese Ausgabe wird wohl aber nicht ohne weiteres über den Buchhandel bestellbar sein. Geht nicht, gibt’s nicht Thomas Horn ist keine Herausforderung zu groß. Die aufwändigste Mottotorte, die er jemals gebaut habe, sei die »Queen Mary« gewesen, erzählt er. Eine Torte für 3000 ­Leute. Zehn Tage habe die Produktion gedauert. Die größte Heraus­forderung dabei war, die riesige Torte kühl zu lagern. Jeden Tag musste die überdimensional große Torte mit einem Gabelstapler in einen Kühlcontainer transportiert werden. Ein heikles Unterfangen. Projekte dieser Größen­ ordnung setzt Thomas Horn gemeinsam mit einem befreun­ deten Konditor um. Die beiden haben sich auf Nischen­ produkte spezialisiert: Aufträge, die für die Industrie zu klein sind, für die meisten Konditoren jedoch zu groß. »Es gibt nichts, was wir nicht machen«, sagt Thomas Horn. Sein kuriosester Auftrag sei ein Panzermotor als Mottotorte für 300 Personen gewesen. Gemeinsam mit seinem KonditorenKumpel wurde Thomas Horn vor einigen Jahren für das Fernsehen entdeckt. Bei einem Privatsender bekamen die beiden ein eigenes Format. Von seiner Fernsehkarriere profitiert Thomas Horn noch heute. Gerade sei eine Anfrage aus der Schweiz für eine Hochzeitstorte eingegangen. Die Kunden haben den

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Fernseh-Konditor für ihren Auftrag buchen wollen, erzählt Thomas Horn. Der Preis sei dem Kunden dabei egal gewe­ sen. Auch zwei Jahre nach Ablauf der TV-Staffel kommen im­ mer wieder Anfragen von Menschen, die Thomas Horn noch aus dem Fernsehen kennen. Der Meister selbst hat sich seit seiner TV-Zeit jedoch verändert. Mit eiserner Disziplin, viel Sport und einem strikten Ernährungsplan hat Thomas Horn innerhalb von zwölf Monaten 85 Kilogramm Gewicht verloren. Eine stolze Leistung – vor allem für jemanden, der täglich von zehntausenden Kalorien in Form leckerster Verführungen umgeben ist. Bäcker war nicht sein Traumberuf Auch wenn Thomas Horn seit fast 20 Jahren erfolgreich als Unternehmer tätig ist – Bäcker zu werden war nicht sein Traumberuf. Er sei ein ziemlich fauler Schüler gewesen, erzählt Thomas Horn. Groß war die Auswahl an Lehrbe­ rufen für ihn daher nicht. Etwas Handwerkliches wollte er lernen, Zimmermann oder Tischler. Beides klappte nicht. Gegen den Widerstand seiner Eltern entschied sich Thomas

Horn dann, Bäcker zu werden. Das frühe Aufstehen nahm er dabei in Kauf. 1980 ging Thomas Horn in die Bäckerlehre, drei Jahre später wechselte er in die Hotelerie und ließ er sich zum Konditor ausbilden. Dann zog es ihn in die Welt hinaus. Norwegen, England, Amerika waren Stationen auf seiner Entdeckertour. Innerhalb von zehn Jahren wechselte ­Thomas Horn 15 Mal den Arbeitgeber, wollte lernen und immer besser werden. Die Frage, ob er seinem Sohn ans Herz legen möchte, ebenfalls Bäcker zu werden und den väterlichen Betrieb zu übernehmen, beantwortet Thomas Horn mit einem klaren Nein. Der 15-Jährige solle selbst ent­ scheiden, welchen Beruf er lernen wolle. Natürlich freut es Thomas Horn, wenn der Junior in seine Fußstapfen treten und den Betrieb eines Tages übernehmen möchte – und sei es »nur« als Geschäftsführer ohne eigene Bäckerausbildung. ­ Mehr über die Bäckerei und Konditorei von Thomas Horn im — Netz unter www.konditorei-horn.de.

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MIRCO WIEGERT  ⁄  FRITZ-KOLA-MITGRÜNDER

KLEIN, STARK, SCHWARZ TEXT Harriet Lemcke  × FOTOS Oliver Reetz

JEDER KENNT SIE UND FAST JEDER HAT SIE SCHON MAL ­GETRUNKEN: MIT »VIELVIEL« KOFFEIN HAT FRITZ-KOLA DEN MARKT EROBERT. MITGRÜNDER MIRCO WIEGERT BERICHTET ÜBER DEN WEG VON DER IDEE ZUR STARKEN EMOTIONALEN SZENEMARKE.

as Getränk ist stark und die Kommunikation ist frech. »Gourmetkoffein«, »sausebrause« oder »koksen ist achtziger« steht auf den Plakaten, die überall in der Clubszene zu finden sind. Nicht nur Partypeople und Kreative ­lieben die Hamburger Wach­ macher-Brause in der Retro-Flasche. Vor zehn Jahren schickten sich die beiden Freunde und Studen­ ten Lorenz Hampel und Mirco Wiegert an, den Kolamarkt aufzumischen. Mittlerweile sind die Pfadfinderkumpel von einst gestandene Unternehmer. Von ihrem Firmensitz in der ehemaligen Colgate-Fabrik in Hamburg-Billbrook aus, lenken und leiten sie ihr stetig wachsendes Limonaden­ geschäft. fritz-kola ist hipp und verkörpert ein Lebensgefühl. Die Macher setzen auf Kreativität und Nachhaltigkeit.

D

Mirco, wie seid ihr auf die Idee gekommen, die Kola neu zu erfinden? Lorenz und ich kennen uns schon seit knapp 30 Jahren. Schon bei den Pfadfindern waren wir befreundet. So richtig mit Halstuch, Lagerfeuer und Gitarre. Wir haben

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alle Klischees erfüllt und hatten damals einen mordsmä­ ßigen Spaß. Dann haben wir beide jeweils eine Ausbildung gemacht: Lorenz zum Energieelektroniker und ich zum Spe­ ditionskaufmann. Im Anschluss haben wir beide studiert: Lorenz Medientechnik, ich Außenwirtschaft und internatio­ nales Management – hier in Hamburg. Als sich das Studium dem Ende neigte, war uns klar, dass wir beide irgendwann wieder arbeiten müssen. (lacht) Da hieß es: Finde den Fehler in der Situation nach dem süßen Studentenleben. Schnell haben wir beschlossen, uns selbstständig zu machen. Das hat den Vorteil, dass man sich selbst ausbeu­ ten kann und selbst entscheiden kann, wann und wie viel man arbeitet. Das fanden wir gut. Was wir nun brauchten, war eine zündende Idee. Wir haben 1999 erst mal eine Interrail-Reise durch halb Europa gemacht. Und während dieser Reise haben wir unsere Ideen in einem Ideenheftchen festgehalten. Was waren das für Ideen? Hausmeisterservice zum Beispiel. Oder einen Coffeeshop mit belegten Brötchen nach spanischem Vorbild. In Deutschland waren Coffeeshops zu der Zeit noch nicht so weit verbreitet. Außerdem gab es die Idee, ein Hostel aufzumachen oder ein Busreiseunternehmen zu gründen. Die spannendste Idee war aber tatsächlich, ein Getränk zu entwickeln. Getränke haben den großen Vorteil, dass ich sie produzieren und einlagern kann. Zudem halten sie sich eine ganze Weile. Dann kann man sie verkaufen, sie verbrauchen sich und man kann sie erneut verkaufen. Was ja bei Brötchen zum Beispiel auch der Fall ist … Die halten sich aber nicht so lange. Für Brötchen muss man ganz früh aufstehen – so um drei Uhr nachts. Dann verkauft man sie und muss am nächsten Morgen frisch backen. Wir fanden das doof, immer so früh aufstehen zu müssen. Also haben wir an diese Idee sehr schnell einen Haken gemacht. Limonaden dagegen werden produziert, halten sich dann ein Jahr und länger. Sie müssen lediglich staubfrei verpackt werden und sind ansonsten unkompliziert. Wir sind in vielen Clubs und Bars unterwegs gewesen und dabei fiel uns auf, dass man zwar verschiedene Biere und Säfte trinken kann, dass es in der Regel aber nur eine Kola gab. Viele Gastronomen haben Literware verwen­ det und die Kola im offenen Ausschank, also in Gläsern verkauft. Wir dachten uns, dass es möglich sein muss, eine andere und vielleicht sogar eine bessere Kola zu machen. Außerdem sieht es für einen Typen um die 30 auf Braut­ schau auch reichlich uncool aus, wenn er mit einem Glas Kola in der Hand irgendwo in einem Club rumsteht. Mit

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e­ iner Flasche in der Hand macht er dagegen eine viel bes­ sere Figur, dachten wir uns. Also war klar: Wir machen eine Kola und auch nur in Portionsflaschen. Hattet ihr nicht ein wenig Schiss, allein auf dem Markt gegen so einen Giganten anzutreten? Da überhaupt wahrgenommen zu werden, ist ja schon vielen anderen nicht geglückt. Ein übermächtiger Wettbewerber ist relativ. Das muss man auf dem Markt nicht allzu ernst nehmen. Immerhin hatten wir nur einen einzigen Wettbewerber. Wenn Leute ver­schiedene Biere trinken können, dann können sie auch verschiedene Kolasorten trinken. Inzwischen ist der Markt ja auch viel bunter geworden. Es gibt verschiedene Kola­ sorten, verschiedene Limonaden. Das heißt: Zehn Jahre später hat sich der Verbraucher heute daran gewöhnt, dass er in der Gastronomie eine breite Auswahl an alkoholfreien Ge­tränken hat. Damals konnte der Gast bei alkoholfreien Getränken in der Regel zwischen Apfelsaftschorle, Apfelsaft pur, Orangensaft, Kiba und Wasser wählen. Und es gab viel­ leicht noch ein alkoholfreies Bier. Heute gibt es bestimmt 15 bis 20 Limonaden. Der Gast hat also eine breite Auswahl. Das wollten wir damals er­ reichen und haben deshalb seinerzeit beschlossen, eine neue Kola herzustellen. Wie habt ihr eure Rezeptur gefunden? Erst einmal haben wir Google befragt und auch Kolarezepte gefunden. Wir haben aber schnell gemerkt, dass es so nicht funktioniert. Im Gegensatz zu anderen Limonaden ist die Zusammensetzung von Kola sehr kompliziert. Also haben wir andere Leute gefragt. Diese haben uns dann geholfen, an ein Kolarezept und die Zutaten ranzukommen.

Wie seid ihr dann gestartet? Noch während des Studiums haben wir unsere Bauspar­ verträge aufgelöst und Ersparnisse zusammengesammelt. Damit hatten wir rund 7000 Euro Startgeld. Wir haben uns durch die Republik telefoniert und uns eine Brauerei ge­ sucht. Die hat uns geholfen, unsere ersten 170 Kisten abzu­ füllen. Unsere Kola wurde in braune Bierflaschen abgefüllt und die Etiketten haben wir im Copy-Shop drucken lassen und selbst drauf geklebt. Bei mir im Studentenwohnheim in Hamburg-Othmarschen gab es freitags oft eine Studenten Bar. Lorenz und ich, wir haben dort einmal einen Barabend veranstaltet. Es gab Kola-Whisky, Kola-Rum und Kola pur – jeweils für rund einen Euro. Wir hatten eine Kola-Rezeptur mit einem weißen Deckel und eine Rezeptur mit einem ­grünen Deckel. Am Ende des Abends konnten die Leute dann abstimmen, welche Rezeptur ihnen besser schmeckt. Allerdings wussten unsere Mitbewohner damals nicht, dass wir so viel Koffein in der Kola haben. Mit dem Ergebnis, dass sie den ganzen Abend gefeiert und gebechert haben und dann natürlich bis morgens um zehn hellwach waren.

­ aben wir uns fotografiert und die Bilder eingescannt. Eine h Digitalkamera hatten wir damals noch nicht. Eine Nach­ barin im Studentenwohnheim hat das Foto noch einmal bearbeitet. Wir haben das Foto dann im Copyshop schwarzweiß drucken lassen, weil Schwarz-Weiß das Günstigste ist. Beim Markenamt in München haben wir online prüfen lassen, ob der Markenname »fritz-kola« noch frei ist. Für das Schützen des Markennamens haben wir etwa 600 Euro bezahlt.

Wie viel mehr Koffein habt ihr in eurer Kola? Normale Kolasorten haben zwischen acht und zehn Milli­ gramm Koffein pro 100 ml. Wir haben für eine Limonade das gesetzliche Maximum von 25 Milligramm Koffein pro 100 ml. Ein Energydrink darf eine noch höhere Koffein­ konzentration haben. Das ist dann aber keine Limonade mehr.

Wie habt ihr eure neue Kola dann in den Markt getragen? Jeder von uns hat sich einen Kasten Kola geschnappt und hat Clubs, Bars und Restaurants abgeklappert. Wir haben den Verantwortlichen gesucht und ihm unsere Kola vor­ gestellt. Einige Gastronomen waren auch motiviert und haben unsere Kola ausprobiert. Wir sind also ganz klassisch von Tür zu Tür gelaufen.

Euer Logo mit euren beiden Gesichtern kennt inzwischen wohl jeder. Wie seid ihr auf die Idee gekommen, eure Köpfe zum Markenlogo zu machen? Wir brauchten ein Logo, konnten uns aber eine klassische Logoentwicklung, die in der Regel ab 20 000 Euro kostet, nicht leisten. Wir hatten ja nur 7000 Euro Budget. Also

Wie lange hat es gedauert, bis ihr wusstet, dass ihr davon leben könnt? Drei Jahre. In der Zwischenzeit haben wir zu Ende studiert und nebenher noch gearbeitet. Lorenz hat in der ­Aufnahme für eine Fernsehsendung gejobbt und ich in der Buch­ haltung einer Optikerkette.

Wie kam es denn, dass eure Kola den Namen »Fritz« bekam? Wir wollten einen norddeutschen Namen und haben eine Liste mit rund 40 Namen angelegt. Dann haben wir uns in Hamburg vor ein Einkaufszentrum gestellt und haben die Leute bewerten lassen, welchen Namen sie für eine Kola nehmen würden. Fritz war der Gewinner. Welche Namen standen noch zur Auswahl? Kola Wilhelm, Kola Franz, Kola Alster, Kola Hamburg und noch viele mehr.

Wie viele Stunden in der Woche arbeitet ihr? Damals ganz sicher 80 Stunden. Heute sind es etwa 50 Stun­ den in der Woche. Mehr nicht. Man schafft es auch nicht, das Tempo vom Anfang zehn Jahre lang durchzuhalten.

»Man braucht eine ­Vision, ein l­ angfristiges Ziel, ­welches man ­versucht zu erreichen. Manchmal auch auf Umwegen.« 64

Wie alt bist du jetzt? Lass mich überlegen … 38. (lacht) Mittlerweile habt ihr ein riesiges Sortiment und bietet neben Kola mit unterschiedlichen Geschmacksrichtungen auch diverse Limonaden an. Wie kam es zu der, wie der BWLer sagt, Diversifikation eures Produktportfolios? Wir haben nach einem Jahr angefangen, weitere Limo­ naden zu produzieren und zu verkaufen. Die Gastronomen, unsere Kunden, kamen seinerzeit auf uns zu und sagten: »Ihr wisst ja jetzt, wie man Limonade macht. Macht bitte noch mehr. Wir wollen uns auch als Gastronomen noch weiter differenzieren.« Dann haben wir weitere Sorten produziert wie zum Beispiel Apfelsaftschorle, Zitrone und ähnliche.

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Welche Geschmackskombination hältst du selbst für die exotischste? Am exotischsten in unserem Sortiment ist wahrscheinlich die fritz-kola »Stevia«. Auf dem europäischen Markt gibt es nicht allzu viele mit Stevia gesüßte Kolasorten. Auf dem deutschen Markt waren wir die ersten, die 2011 mit unserer Kola auf den Markt gekommen sind. Wie viele Flaschen produziert fritz-kola über das gesamte Sortiment in einem Jahr? Mit Zahlen haben wir es ja nicht so. (lacht) Es sind viele. Unsere Branche ist nach Tabak und Öl die härteste Branche. Da sind Zahlen immer ein wunder Punkt. Wenn du ein wenig in die Zukunft denkst. Gibt es Pläne für neue Produkte? Wir haben uns auf Kola und Limonaden fokussiert und haben den Anspruch, dort zu den Besten zu gehören. Den Vorsprung, den wir uns heute schon erarbeitet haben, wollen wir in den kommenden Jahren weiter ausbauen. Kola und Limonade ist ein Bereich, in dem man sich sehr spezialisieren und auch ein Vertrauen in der Kundenbezie­ hung aufbauen kann. Das bedeutet: Der Kunde muss sich darauf verlassen können, dass er von uns die beste Kola und die beste Limonade für seine Gastronomie bekommen kann. Wenn wir jetzt zum Beispiel Bonbons oder Spaghetti machen würden, dann würden wir den Fokus verlieren. Wir müssten dann Ressourcen, Geld und Arbeitszeit in ganz neue Themen stecken, um uns auch dort wieder einen Vor­ sprung zu erarbeiten. Wo werden eure Getränke produziert? Wir haben drei Produktionspartner. Im deutschsprachigen Raum und im europäischen Ausland setzen wir auf GlasMehrweg. Wir versuchen, diese Glas-Mehrweg-Flaschen verbrauchernah abzufüllen. Damit ist es einfacher, die Flaschen wieder zurückzuführen. Das spart Ressourcen und auch Verpackungsmüll. Unsere Glasflaschen schaffen fast beliebig viele Umdrehungen. Und selbst, wenn sie irgend­ wann zerkratzt und unansehnlich sind, kann man sie wieder einschmelzen und eine neue Flasche draus machen. Der Rohstoff verliert also nicht an Wert. Wir wollen so umwelt­ schonend wie möglich produzieren. Kommen wir nochmal zurück zur Marke fritz-kola. Ist fritz-kola eine Marke, die in Hamburg und Umgebung am etabliertesten ist oder hat sie sich schon deutschlandweit so durchgesetzt, dass du sagen kannst, fritz-kola ist überall ein Begriff? Auf jeden Fall ist fritz-kola im deutschsprachigen Raum ein Begriff. Im europäischen Ausland findet man uns in Ge­bieten, in denen viele junge Gastronomen zu Hause sind. Zum Beispiel in Amsterdam, Kopenhagen, Warschau, ­Krakau oder auch Zürich.

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»Wir haben uns auf Kola und Limonaden ­fokussiert und haben den ­Anspruch, dort zu den Besten zu gehören.«

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»Den Vorsprung, den wir uns heute schon erarbeitet haben, wollen wir in den kommenden Jahren weiter ­ausbauen.«

Nun gibt es ja nicht so viele Menschen, die auf die Idee kommen, eine etablierte Marke mit einem neuen Produkt anzugreifen und die damit dann auch noch dauerhaft Erfolg haben. Welche Charaktereigenschaften sind denn entscheidend, um so straight an einer Idee dranzubleiben und sie auch zum Erfolg zu führen? Dazu gehört ganz viel Ausdauer, ganz viel Fleiß und eine bestimmte Vision. Helmut Schmidt hat zwar einmal gesagt: »Wer Visionen hat, gehört ins Krankenhaus«. Bei allem Respekt denke ich da doch ein wenig anders. Man braucht eine Vision, ein langfristiges Ziel, welches man versucht zu erreichen. Manchmal auch auf Umwegen. Wie viel Kola trinkst du pro Woche? Das variiert. Ich trinke aber bestimmt eine Portion von ­unserem Sortiment pro Tag. Auch nach zehn Jahren trinke ich unsere Kola und unsere Limonaden immer noch gern. Wie viele Mitarbeiter hat fritz-kola mittlerweile? Das ist eine Zahl, über die wir sprechen können. (lacht) Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir von 30 Mitarbeitern sprechen. Es geht also voran mit fritz-kola. Ist es denn jetzt öfter mal drin für euch, ein wenig zu chillen? Leider nicht. Es gibt einfach zu viele spannende Projekte. Wenn das Geschäft erst einmal so läuft, und man nicht mehr unbedingt in der Tagesroutine steckt, dann kann man neue Projekte anschieben. Mit denen kann man dann das ganze Unternehmen weiter nach vorn bringen.

auf unserer Internetseite nachlesen. Außerdem unterstützen wir zwei soziale Projekte: einmal Nestwerk e. V., ein Verein, der sich um Kinder und Jugendliche in den eher schwieri­ gen Hamburger Stadtteilen kümmert. Das tut der Verein zum Beispiel mit dem Jamliner, einem umgebauten Hoch­ bahnbus. In diesen Bus wurde ein Musikstudio eingebaut. Die Kinder und Jugendlichen können in dem Jamliner selbst Musik schreiben und aufnehmen und bekommen dann zum Schluss eine fertige CD mit ihrer eigenen Musik in die Hand. Für das Selbstwertgefühl und die Entwicklung kann das ein spannender Impuls sein. Als Zweites unterstützen wir die Initiative »Pfand ge­ hört daneben«. Das ist eine bundesweite Initiative, die die Menschen dazu bewegen will, beim außer Haus Konsum von Getränken Pfandflaschen nicht einfach wegzuwerfen, sondern neben den Mülleimer zu stellen. Die Pfandsamm­ ler, die wir alle aus dem Straßenbild kennen, laufen dann nicht Gefahr, sich beim Suchen im Müll zu verletzen. Beide Projekte unterstützen wir inzwischen seit Jahren. — Innerhalb von zehn Jahren haben Lorenz Hampel und Mirco Wiegert ihre Studenten-Idee in ein erfolgreich laufendes Getränke­unternehmen verwandelt. fritz-kola ist zu einer starken Marke geworden. Im Jahr 2010 wurden die beiden engagierten Macher mit dem Gründer Preis geehrt. Mehr über fritz-kola unter www.fritz-kola.de

Welches sind denn Beispielprojekte? Betätigt ihr euch als Sponsoren oder Förderer? Wir unterstützen verschiedene junge Musiker, zum Beispiel die Band Tonbandgerät. Das kann man unter »Fritz Töne«

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E x k l u s i v e I n t e r v i e w s  ⁄  Ausgabe 10  ⁄  Dezember 2013

Film em ac her

MICHAEL »BULLY« HERBIG —

S p o r tl e r

SVEN HANNAWALD TIM FISCHER Chansonnier

Su rvivaltr ainer

RÜDIGER NEHBERG MIRCO WIEGERT Fr itz- ko la- Mitg rü nder


MICHAEL »BULLY« HERBIG  ⁄  FILMEMACHER

Uuuuuund Action! TEXT Harriet Lemcke  × FOTOS Oliver Reetz

ER FÜLLT DIE KINOSÄLE WIE KAUM EIN ANDERER UND BRINGT NAHEZU JEDEN ZUM LACHEN. MICHAEL »BULLY« HERBIG IST DAS, WAS MAN EINEN MEDIEN-TAUSENDSASSA NENNT: ER SCHREIBT DREHBÜCHER, FÜHRT REGIE, IST PRODUZENT UND HAUPTAKTEUR IN EINER PERSON. SCHON FRÜH WUSSTE ER, WAS ER EINMAL MACHEN WILL: KINOFILME. IN SEINEM NEUESTEN STREIFEN SPIELT ER EINEN SCHUTZENGEL MIT CHARME, DER AUCH EINE ECHTE NERVENSÄGE SEIN KANN.

ully, du bist einfach toll!«, ruft eine etwa 40-jährige Frau mit einem Lächeln auf dem Gesicht, während sie mit ihrer Begleitung das Berliner Concorde-Hotel durch die Drehtür verlässt. Es ist früh an diesem kalten und sonnigen Dezember­morgen, aber in dem Luxushotel nahe dem Kurfürstendamm herrscht bereits rege Betriebsamkeit. Während sich Michael Herbig, genannt »Bully«, in einer gemütlichen Sofaecke der Hotel-Lounge für das Shooting in Pose bringt, schleppen TV-Kollegen ihr Equipment durch die gläserne Eingangstür. In Suite 823 wird bereits Ton und Licht aufgebaut, später soll Bully hier vor einem Hintergrund zu seinem neuen Film »Buddy« ein Interview geben. Eines von vielen in den kommenden drei Tagen, die von früh bis spät in engem

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Rhythmus durchgetaktet sind. In der Suite drängeln sich zu viele Menschen, verkleben Stromkabel, leuchten ein und testen den Ton. An der Tür hängt ein Schild »Interviews, bitte Ruhe«. Sketche und Parodien haben Michael »Bully« Herbig zum Liebling der Nation und zum gefeierten Filmemacher gemacht. »Erkan und Stefan«, »Der Schuh des Manitu« und »(T)Raumschiff Surprise« waren Blockbuster. Nun wartet ganz Deutschland mit Spannung auf den neuesten Coup. Das Medieninteresse ist gigantisch, dem 45-jährigen Bully merkt man den Druck an diesem Morgen jedoch nicht an. Vielleicht liegt es daran, dass dieses Interview den Frageund-Antwort-Marathon eröffnet. »Buddy« ist eine Komödie, deren Hauptakteur, der neureiche Erbe einer Hamburger Limonadenfabrik, plötzlich einen Schutzengel an seiner Seite hat. Wer sich den neuen Streifen anschaut, wird feststellen, dass »Buddy« ein anderer Film ist. Lustig, aber nicht ulkig, mit Seele und einer Portion Romantik. Bully scheint gereift zu sein. In einigen Tagen kommt dein neuer Film »Buddy« in die Kinos. Zwischen der Idee und der Umsetzung lagen sechs Jahre. Warum hat das so lange gedauert? Es war kein Druck drauf. Ich habe ja auch nicht sechs Jahre lang an diesem Film gearbeitet. Ich trage mehrere Ideen mit mir herum. Die älteste Idee ist, glaube ich, fast 25 Jahre alt. Das ist eine Idee für einen Science-Fiction, mit der ich mich damals an der Filmhochschule beworben habe. Es hat

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damals nicht geklappt. Die Idee finde ich aber immer noch gut. Bei mir Zuhause gibt es eine Schublade mit Post-its. Da sind einfach Stichpunkte drauf und manchmal übertrage ich die in ein Buch. Zu jedem Film gibt es auch ein dickes Notizbuch. Wenn man Jahre später in dem Buch blättert, ist es ganz interessant zu sehen, welche Ideen es in den Film geschafft haben und welche nicht. Ich habe die Philosophie, dass man eine wirklich gute Idee gar nicht aufschreiben muss. Die beißt sich fest. Dann trägt man diese Idee Monate oder auch Jahre mit sich herum. Und irgendwann habe ich dann auch mal die Zeit, mich darum zu kümmern. Ähnlich ist es auch mit der aktuellen Geschichte. Als mir ca. 2006 der erste Gedanke dazu kam, war ich gerade mit »Lissi« (Lissi und der wilde Kaiser, ein ­Animationsfilm – Anm. d. Red.) fertig. Dann kamen »Wickie und die starken Männer«. Da hatte ich natürlich keinen Platz in meinem Schädel für ein zweites Projekt nebenbei. Wenn sich die Idee dann aber so festbeißt, ist das für mich ein gutes Zeichen, dass ich dranbleiben sollte. In deinem neuen Streifen spielst du den Schutzengel eines reichen Hamburger Limonadenfabrik-Erben. Ich frage jetzt nicht, ob dich Schutzengel in deinem täglichen Leben begleiten, aber: Wie ist dir die Idee gekommen, so eine Geschichte zu machen? Dass der Film jetzt »Buddy« heißt ist Zufall. Der Grundgedanke war, eine Buddy-Komödie zu machen. Ich mag die Idee einfach: zwei Typen, ein ungleiches Paar, die ein gemeinsames Problem zu bewältigen haben. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wann mir der Gedanke kam, dass es eine Komödie sein könnte, wo der Eine nur für den Anderen sichtbar ist – so ähnlich wie bei »Mein Freund Harvey« mit dem Hasen (die Komödie wurde 1944 in New York uraufgeführt und seitdem mehrfach verfilmt, in Deutschland u. a. 1970 mit Heinz Rühmann – Anm. d. Red.). Irgendwann kam dann der Schutzengel dazu. Das war ja nun keine neue Idee. Es gibt ja viele Filme, in denen Schutzengel eine Rolle spielen. … aber wenige, die so lustig sind … Das freut mich zu hören. Vor allem aber gibt es wenige Schutzengel, die einem so auf den Nerv gehen. (lacht) Das war auch der wesentliche Punkt. Ein Schutzengel, der seinen Job nicht beherrscht. Der Schutzengel macht das ja zum ersten Mal. Das fand ich war die entscheidende Idee und die habe ich eine Weile mit mir herumgetragen. Wenn du dich an eure Dreharbeiten in München und ­Hamburg zurückerinnerst: Was war die lustigste Begebenheit am Set? Die Situation, in der ich mich am meisten amüsiert habe, passierte während der Dreharbeiten in Hamburg. An dieser Stelle muss ich der Stadt Hamburg ein großes Lob und Dankeschön aussprechen. Wir sind toll unterstützt worden und konnten an allen Plätzen drehen, die ich mir gewünscht habe. An diesem Tag war in Hamburg gerade Kirchentag.

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Für die Dreharbeiten war für uns eine sehr große Kreuzung gesperrt worden und wir hatten noch ein anderes Motiv etwas weiter die Straße runter. Nun musste ich mal schnell von der einen zur anderen Location, weil dort der Kamerakran gerade aufgebaut wurde. Normalerweise bringt mich immer jemand hin und her. An dem Tag hatten wir aber ein Fahrrad am Set, welches auch in einer Verfolgungsszene zum Einsatz kommt. Ich habe mir also schnell das Fahrrad genommen und bin allein zur zweiten Location gefahren. Auf dem Weg die Straße runter stürzt jemand plötzlich von der Seite auf mich zu, hält mich auf, packt mich fast und fragt mit einem ganz aufgeregten Blick und aufgerissenen Augen: »Sind Prominente hier?!« (lacht) Ich sagte: »Wie bitte?« und er brüllt: »Sind Prominente hier?!« (kichert) Ich wusste einfach nicht, was ich sagen sollte und fragte: »Warum?« Der Mann dann ganz aufgeregt: »Ein Freund von mir hat mir erzählt, dass da oben an der Kreuzung ein total bekanntes Gesicht herumrennt.« (lacht) Ich sagte: »Ja, der ist schon weg.« (lacht)

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»DER GRÖSSTE LUXUS, DEN ICH MIR ERARBEITET HABE IST DER, DASS ICH MIR ­AUS­SUCHEN KANN, MIT WEM ICH ARBEITE.«

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»Heute lehnt sich ja keiner mehr ­zurück, bleibt gelassen und schaut sich ­Dinge einfach mal eine Weile an und sagt dann einige Wochen später was dazu. Die ­Geduld hat ja keiner mehr. Das finde ich schädlich und das macht es natürlich für Kreative im A ­ llgemeinen schwer, sich ­etwas zu trauen.«

Hat das ein bisschen am Ego genagt, dass du in einem solchen Moment nicht erkannt wurdest? Überhaupt nicht! Das war zum Totlachen. Das Komische an der Situation ist ja, dass sein Kumpel ihm erzählt hat: »Da oben springt einer rum, den kennt man.« Jetzt fahre ich die Straße runter und der erkennt mich nicht. Eine ähnliche Geschichte gab es vor ein oder zwei Jahren schon einmal. Das war auch sehr lustig. Ich werde ja fast täglich damit konfrontiert, wenn ich auf der Straße unterwegs bin, dass Leute mich ansprechen und gern ein Foto machen wollen. Daran habe ich mich gewöhnt und das ist auch okay. Ich freue mich ja auch, wenn die Leute sich freuen, wenn sie mich sehen. Nun kam ein Pärchen auf mich zu und fragte mich: »Können Sie schnell mal ein Foto machen?« Du ahnst bestimmt schon, was passiert. Ich sage »ja, klar« und stelle mich so ganz automatisch zu der Frau. Die beiden guckten mich völlig doof an und sagten: »Nee, wir möchten, dass Sie ein Foto von uns machen.« Ja, das waren zwei Touristen, die mich nicht erkannt haben. Nochmal zurück zum Film: Welches war die größte Panne, die ihr hattet? Glücklicherweise keine. Der Dreh ist wirklich spitzenmäßig durchgelaufen. Zu 95 Prozent hatten wir sogar das Wetter, welches im Drehbuch stand. Natürlich plant man schon etwas in die Richtung. Aber wenn wir Monate vorher einen Drehplan machen, habe ich natürlich noch keine Wetter-

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vorhersagen. Wenn im Drehbuch stand: draußen, Nacht, Regen, dann hatten wir in der Nacht auch Regen. Manchmal habe ich in den Himmel geschaut und gedacht, dass es da jemand gut mit unserem Team meint. Du hast nicht nur eine der Hauptrollen gespielt und das Drehbuch geschrieben, du hast auch noch Regie geführt und den Film produziert. Wie war das für die Crew am Set, dass du mal Akteur warst und dann wieder Regisseur? Also dadurch, dass ich mit den meisten schon jahrelang zusammenarbeite, kennen die das schon. Für den Alexander Fehling war das ein bisschen ungewohnt (spielt »Eddie«, die männliche Hauptrolle – Anm. d. Red.). Unsere erste längere Szene war an der Bar. Er meinte dann irgendwann einmal, für ihn sei das am Anfang sehr seltsam gewesen. Wenn ich ihn so angestiert habe, wusste er zu Anfang nie, gehört das jetzt zum Spiel oder beobachtet mich jetzt gerade der Regisseur. Die andere komische Situation für ihn muss gewesen sein als ich das erste Mal mitten im Take unterbrochen und Anweisungen gegeben habe. Er dachte sich: Was ist denn jetzt los? Wieso erzählt mir hier mein Spielpartner, was ich zu tun habe? So hat er das einmal beschrieben und ich fand das ganz süß. Ich glaube, er hat zwei oder drei Tage gebraucht und dann war es für ihn auch okay. Und mit der Crew ist das immer sehr familiär. Der größte Luxus, den ich mir erarbeitet habe ist der, dass ich mir aussuchen kann, mit wem ich arbeite. Das ist so toll. Ich habe gern nette Leute um mich rum. Ich mag das nicht, wenn da rumgemotzt

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wird und schlechte Stimmung herrscht. Und wenn die Leute dann auch noch ein Talent haben und gut sind in dem was sie machen, dann ist das für mich ein Traum. Wenn ich da anrufe und alle sagen: »Yes, ich bin gern dabei.« Das ist für mich ein Riesen-Luxus. Das spricht ja dann auch für dich … Ja, ein bisschen. (lacht)

»WIR LASSEN DEN ­ERFOLG NICHT RAN. WENN DANN NÄMLICH MAL EIN MISSERFOLG KOMMEN WÜRDE, DANN LASSEN WIR DEN AUCH EINFACH NICHT RAN.«

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Nachhaltigkeit war für euch am Set auch ein Thema. Ist »Buddy« der erste grüne Film in Deutschland und wie sah das Ganze dann praktisch aus? Was ich in diesen Monaten gelernt habe ist, dass grünes Drehen gar nicht geht. Wenn du grün sein willst, darfst du gar nicht drehen. Du kannst versuchen, so nachhaltig wie möglich zu produzieren. Und das haben wir versucht. Ich kenne keine andere Produktion, die das so konsequent durchgezogen hat. Wir sind auf dem Gebiet die Ersten, glaube ich. Der Anstoß dazu kam von einer holländischen Schauspielerin, von Thekla Reuten, die ich beim Filmdreh zu »Hotel Lux« kennengelernt hatte. Sie ist eine Botschafterin für green Film-making in Holland. In Frankreich, den USA und Holland ist das schon Gang und Gäbe, nur in Deutschland wird das ein bisschen stiefmütterlich behandelt. Weil ich wusste, dass das nicht von heute auf morgen geht haben wir ein dreiviertel Jahr vor Drehbeginn damit angefangen, uns mit dem Thema auseinander zu setzen. Ich habe mich mit dem Herstellungsleiter und dem Producer zusammengesetzt und überlegt, wie wir das praktisch umsetzen können. Es gibt ja keine Erfahrungswerte. Glücklicherweise haben wir dann Nicola Knoch für uns gewinnen können. Sie berät Unternehmen in Bezug auf Nachhaltigkeit. Dadurch, dass wir sie sehr früh ins Boot geholt haben, war das nahezu ideal. Wir konnten jede Abteilung befragen, wie sie normalerweise arbeitet und dann schauen, wie das in Bezug auf Nachhaltigkeit zu optimieren ist. Catering war das größte Thema. Zu Beginn der Produktion haben wir allen so genannte Dopper Flaschen und kleine Thermoskannen geschenkt, verpackt in kleinen Taschen, die nachhaltig produziert wurden. So konnte jeder sein Wasser abfüllen und die Mengen an Plastikflaschen wurden vermieden. Durch den bewussten Umgang mit dem Thema konnten wir über 50 Prozent an Müll einsparen. Das ist enorm. Vor allem, wenn man sich so ein Filmset einmal anschaut und sieht, was dort normalerweise an bis zu 50 Drehtagen an Müll produziert wird. Beim Catering haben wir unter anderem auch einen Veggie-day eingeführt. Das geht natürlich nur, wenn das Team mitzieht. Was den CO₂-Ausstoß angeht, da haben wir unser Ziel nicht ganz erreicht. Allein aus praktischen Gründen musste hin und wieder doch mal geflogen werden. Wir haben aber auch versucht, viel mit der Bahn zu machen. Bei der Kosmetik haben wir darauf geachtet, dass das Make-up nachhaltig produziert wurde. Beim Dreh werden auch immer Unmengen von Autos gebraucht, weil Menschen und Gegenstände transportiert werden müssen. BMW hat uns dort mit Hybrid-

Autos unterstützt. Eigentlich wollten wir gerne Elektroautos haben. Die waren damals aber noch gar nicht auf dem Markt, sondern kommen jetzt erst. Wir versuchen das jetzt für die Premiere zu organisieren, dass wir mit Elektroautos vorfahren. Auch bei der Ausstattung haben wir geschaut, dass die Materialien wieder verwertbar sind. Nachhaltigkeit am Set ist ein Riesenthema und erst mal auch ein gewaltiger Aufwand, der erst einmal auch mehr Geld kostet. Wenn du grün drehen willst, dann musst du dir das in die Kalkulation mit reinschreiben. Hamburg hat uns sehr unterstützt und war als Drehort dabei ideal. In Hamburg gibt es den grünen Drehpass. Damit ist Hamburg so ziemlich die einzige Stadt in Deutschland, die einen solchen Pass anbietet. Du wirst als Deutschlands erfolgreichster Filmemacher gehandelt und hast schon etliche Preise gewonnen. Wie groß ist der Druck, erfolgreich zu sein und was Besonderes abzuliefern? Ich lass es nicht mehr so ran. Ich habe es noch nie so an mich rangelassen und jetzt noch viel weniger. Einfach, weil es nie aufhört. Der erste Kinofilm, den ich gemacht habe, das war 1999 »Erkan und Stefan«. Vorher hatte ich überhaupt noch keinen Film gemacht, sondern nur Sketche. Das sind ja auch kleine Filmchen, aber die sind eben nur zwei Minuten lang. (lacht) »Erkan und Stefan« hatte 1,3 Millionen Zuschauer. Das war ein Wahnsinn. Man darf nie vergessen, dass ein Film, der über eine Million Zuschauer hat, ein Blockbuster ist. Egal, ob er nun aus Amerika kommt oder aus Deutschland. Es gibt auch genug US-Produktionen, die die Million nicht erreichen. Nun kam diese Frage nach dem Erwartungsdruck bereits nach »Erkan und Stefan« und noch vor »Der Schuh des Manitu«. Ich habe damals gesagt, dass ich hoffe, dass der zweite Film wenigstens einen Zuschauer mehr hat als der erste. Er hatte dann zehnmal so viel, aber das kann man ja vorher nicht wissen. (lacht) Der Film hatte fast zwölf Millionen Zuschauer. Schon nach dem ersten Wochenende war klar, dass da was ganz Unglaubliches passiert. Rick Kavanian und ich merkten, dass um uns rum alle durchdrehen. Wir hatten das Gefühl, im Auge eines Orkans zu sein. Wir haben damals einfach beschlossen, dass wir das alles gar nicht ranlassen. Wir lassen den Erfolg nicht ran. Wenn dann nämlich mal ein Misserfolg kommen würde, dann lassen wir den auch einfach nicht ran. Insofern spüre ich eher eine Aufgeregtheit. Das kann man vergleichen mit der Aufregung vor einem ersten Date. Ich bin wahnsinnig neugierig. Wie ein kleines Kind, das nicht abwarten kann, bis die Geschenke zu Weihnachten ausgepackt sind. So ungefähr fühlt sich das an vor einem Kinostart.

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Bootsschein gemacht oder den Lkw-Führerschein. Das ist ja auch schön, aber ich hatte als Einziger diesen Jeep. Der Kompaniechef hat darauf gesagt, er hätte in der Grundausbildung angerufen und gefragt: »Wer ist der Lustigste? Den will ich als Fahrer.« (lacht) Der wollte einfach jemanden, der ihn auf lustige Art unterhält. In einer gewissen Art und Weise hat mir der Humor dort auch was gebracht. Du warst Radiomoderator, hast Comedy gemacht, drehst jetzt Filme als Regisseur, Produzent, Drehbuchautor und auch Schauspieler. Hast du eine außergewöhnliche Gabe oder hast du dir das erarbeitet? Was ist dein Erfolgsrezept? (lacht) Ich wollte das ja immer schon machen. Ich glaube, dass es das größte Geschenk ist, wenn ein junger Mensch schon weiß, was er später mal werden möchte. Mir tun die Kids oder Jugendlichen wahnsinnig leid, die gar keinen Idee, keine Vision haben. Wenn du so einen 15-Jährigen fragst: »Was willst du denn mal machen?« und er mit den Schultern zuckt und antwortet: »Ja, ich weiß auch nicht.« Und dann bohrst du nach und fragst, was ihn interessiert und es kommt immer nur: »Ja, ich weiß auch nicht.« Das finde ich grauenvoll. Die tun mir richtig leid. Es ist ein Riesenglück, wenn man mit zehn Jahren weiß, was man später machen will.

» ICH FOLGE IMMER ­EINER INTUITION, WAS ICH TUN ODER BESSER LASSEN ­SOLLTE.« 16

Wir waren ja eben schon ein wenig in der Vergangenheit – du hast ja beim Radio angefangen, dann Comedy gemacht, ehe du zum Film kamst. Hattest du schon immer ein komisches Talent oder wann hast du das für dich entdeckt? Es ist schon so, dass immer viel gelacht wurde. Vor zwei Jahren hatte ich nach 25 Jahren das erste Klassentreffen. Und da haben die Leute aus der Erinnerung heraus gesagt: »Der Herbig war immer der Lustigste.« Ich kann es wahnsinnig schwer sagen, denn ich habe Dinge manchmal auch ernst gemeint. Es wurde aber trotzdem gelacht. (lacht) Vielleicht war manchmal auch eine unfreiwillige Komik dabei. Und irgendwas muss das gewesen sein. Ich war ja auch mal bei der

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Bundeswehr. Damals noch als Wehrdienstleistender. Nach der Grundausbildung wirst du ja versetzt in irgendeine Kompanie. Ich hatte das Riesenglück, dass ich Fahrer eines »Iltis« wurde. Wenn du damals Wehrdienst gemacht hast und bist a) Fahrer geworden und hast b) dann auch noch diesen kleinen Jeep gehabt – das war wie ein kleiner Lottogewinn. Es war klar, dass du immer rumfahren und deine Zeit auch mal in der Werkstatt verbringen darfst – auch mal unter dem Wagen, ein kleines Nickerchen machen. (lacht) Irgendwann habe ich den Kompaniechef gefragt, wie so etwas entschieden wird. Warum habe ich dieses Glück gehabt, dass ich diesen Wagen bekommen habe? Alle anderen haben den

… und das wusstest du? Ja, ich wusste, dass ich Filme machen will. Ein Kumpel von mir hatte eine Super-8-Kamera. Das fand ich wahnsinnig faszinierend. Ich konnte mir eine solche Kamera nicht leisten. Als ich dann zwölf oder 13 war, kamen Videokameras auf. Und als der Nachbarskumpel dann eine hatte, sind wir losgetigert und haben Filme gedreht. Es ist großartig, wenn du als junger Mensch schon weißt, was du später einmal machen willst, aber es ist noch viel besser, wenn du dann auch jemanden hast, der dich darin unterstützt und dir das nicht ausredet. Ich bin allein bei meiner Mutter aufgewachsen. Meine Mutter hätte ebenso gut sagen können: »Mach erst mal Abitur, studiere oder werde einfach Bankkaufmann.« (lacht) Das habe ich alles in meinem Umfeld erlebt. Ich hatte aber eine Mutter, die offen war und mich unterstützt hat, in dem, was ich machen wollte. Ihr war es allerdings schon wichtig, dass wenigstens eine Ausbildung da ist. Das konnte ich auch nachvollziehen und so haben wir vereinbart, dass ich erst einmal eine Fotografenausbildung mache. Ich habe gesagt: »Okay, dann werde ich jetzt Fotograf. Dann weiß ich schon mal, wie man mit einer Kamera umgeht.« Von stehenden zu laufenden Bildern ist es kein weiter Weg mehr. Und ich hatte mir vorgenommen, im Anschluss auf die Filmhochschule zu gehen. Ich kann sagen, dass ich ein Riesenglück hatte, dass es niemanden gab, der versucht hat, mir das auszureden.

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Wenn du dich selbst einmal kritisch beschreibst. Was sind deine herausragenden Eigenschaften? Was lässt dich diesen Weg so konsequent gehen? Auf diese Frage hatte ich in den letzten Jahren nie eine Antwort. Mit der Zeit glaube ich aber, so langsam doch eine zu haben. Es ist ein Bauchgefühl. Ich folge immer einer Intuition, was ich tun oder besser lassen sollte. Bei Kindern ist das ja ganz stark ausgeprägt. Wenn man älter wird, dann neigt man dazu, zu verkopft zu werden und hört meist ­weni­ger auf den Bauch. Ich bin der Meinung, wenn der Bauch rebelliert, dann sollte man vielleicht noch eine Nacht drüber schlafen. Wenn es sich dann noch immer schlecht anfühlt, dann sollte man Dinge lassen. Auch, wenn die Angebote zum Teil sehr verlockend sind, darf man nicht darauf reinfallen. Ich habe ein, zwei oder dreimal Optionen angenommen, bei denen der Verstand »ja« gesagt hat, der Bauch aber rebelliert hat. Es war aber nie etwas Gescheites. Das gilt für berufliche wie auch private Entscheidungen.

Ich amüsiere mich immer über Schnellschüsse einiger Journalisten, die ohne nachzudenken etwas in die Welt rausblasen. Da heißt es dann: »Jetzt sind es ja nur noch neun Milli­onen Zuschauer und keine zwölf mehr.« (lacht) Heute ­haben viele Menschen keine Geduld mehr und geben einer Sache auch keine Zeit. Bei der »bullyparade« haben wir damals drei Staffeln gebraucht, bis sich überhaupt irgendeiner dafür interessiert hat. Das weiß heute keiner mehr. Die ersten drei Staffeln habe ich mir zurückverhandelt. Die laufen gar nicht mehr, weil ich sie so schrecklich finde. Erst mit der vierten Staffel haben wir so langsam einen Fuß rein bekommen. Bei der Ungeduld von heute, diesem Twitter-Wahnsinn und dieser Kommunikation, in der schnell etwas abgefrühstückt, be- oder verurteilt wird, wäre das gar nicht möglich gewesen. Heute lehnt sich ja keiner mehr zurück, bleibt gelassen und schaut sich Dinge einfach mal eine Weile an und sagt dann einige Wochen später was dazu. Die Geduld hat ja keiner mehr. Das finde ich schädlich und das macht

»ES IST JA IMMER SCHÖN, WENN MAN DIE LEUTE ­ÜBERRASCHEN KANN.« Das heißt dann im Umkehrschluss, dass du Dinge auch tust, bei denen der Kopf vielleicht Zweifel hat? Ich möchte ja auch neue Dinge ausprobieren. Damit kann man natürlich auch auf die Nase fallen. Bei »Der Schuh des Manitu« haben alle durch die Bank gesagt, dass ich sofort einen zweiten Teil machen soll. Heute werden zweite Teile gemacht, wenn ein Film eine Million Zuschauer hat. Also macht man bei zwölf Millionen doch erst recht einen. Es hat mich aber einfach nicht gejuckt. Ich fand es viel spannender zu sagen: »Fragt doch das Publikum, was es sehen will.« Und dann haben wir »(T)Raumschiff Surprise« gemacht. Und auch da, bei über neun Millionen Zuschauern hätten alle sofort gesagt: »Zweiter Teil!« (lacht) Haben wir auch nicht gemacht. Es ist doch so, dass man in solche Projekte viel Zeit, viel Lebenszeit investiert. Am Ende hast du dann so eine Schaffenssuppe. Und es spielt überhaupt keine Rolle, in welcher Reihenfolge du was gemacht hast. In dieser Suppe ist eine Prise »Der Schuh des Manitu« und eine Prise »(T)Raumschiff Surprise«, ein bisschen »Hotel Lux« und auch ein bisschen »Buddy«. Dann mischt man das am Ende durch, schmeckt ab und kann sagen: »Da hast du aber was Schönes zusammengebraut in deinem Leben.« Das ist doch toll und darum geht es.

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es natürlich für Kreative im Allgemeinen schwer, sich etwas zu trauen. Darum gibt es so viele High-Concept-Filme. Weil jeder nur noch auf Nummer sicher gehen will. Wenn man Glück hat, dann kommt da mal was bei raus, was den Leuten gefällt. Dass aber einer einfach mal sagt: »Ich hab Bock auf was«, das passiert selten. Eigentlich schon ein schönes Schlusswort, ich möchte allerdings doch noch wissen, ob du schon weißt, welche Projekte dich nach »Buddy« beschäftigen werden. Welchen Post-it du also als nächstes aus deiner Schublade ziehst? Bis jetzt noch nicht. Ich bin noch in der Vorfreude des Kinostarts von »Buddy« und gespannt, ob das Publikum da mitgeht. »Buddy« ist ja ein anderer Film. »Buddy« ist keine Parodie, mehr als eine reine Komödie. Wenn ich das Gefühl habe, dass das Publikum offen dafür ist, dann schafft das auch wieder Spielraum. Dann mache ich beim nächsten Mal vielleicht nochmal ganz was anderes. Es ist ja immer schön, wenn man die Leute überraschen kann. — Michael »Bully« Herbig ist mit »Buddy« eine mitreißende Komödie gelungen, die nicht nur die Lachmuskeln strapaziert, sondern auch ans Herz geht. Alles zu Bully, seinen vergangenen und aktuellen Projekten findet ihr unter www.bullybase.de.

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Hans Többen und Kirsten Wellenkamp  ⁄ Unternehmer

Alf Laila wa Laila – ein Abend wie in ¹oo¹ Nacht Text Harriet Lemcke  × Fotos Oliver Reetz

Ein Stück Marokko mitten in Hamburg – das Le Marrakech ist eine Oase für gestresste GroSSstädter und ein Geheimtipp für Romantiker, Orientfans und GenieSSer er mit dem Auto die Adresse Kellerbleek 10 in Hamburg ansteuert, glaubt, sein Navi leitet ihn fehl. Wildwuchernde Büsche säumen die kopfsteingepflasterten Wege, die sich durch das verlassene Industriegebiet schlängeln. Hier scheint die Welt zu Ende zu sein. Man möchte umkehren, doch das Navi zeigt einen Weg mitten durch die Industriebrache an. Am Ende des holperigen Weges erreicht der leicht irritierte Besucher schließlich ein großes Eisentor – das Tor zu einer anderen Welt …

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Erwartungsfrohe Gäste in der Medina Marrakech

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Eine Oase fernab des Großstadtlärms Die schwere, orientalisch anmutende Eingangstür der Industriehalle öffnet sich und dem Besucher bietet sich ein Bild, welches er in dieser Einöde ganz sicher nicht vermutet hätte. Augenblicklich hat er das Gefühl, marokkanischen Boden zu betreten. Edle Fliesen mit den typisch orientalischen Endlosmustern schmücken den Eingangsbereich, schmiedeeiserne Lampen und warme Wandfarben wirken einladend und lassen ein wohliges Urlaubsgefühl aufkom-

men. Wer den Fuß in den Haupttrakt setzt, staunt, gerät ins Träumen und fühlt sich wie in den Märchen aus 1001 Nacht. Dem Auge bietet sich ein Meer von Farben und Materialien – liebevoll und wohnlich arrangiert, farblich gruppiert und detailverliebt dekoriert. Hunderte Teelichter und Kerzen sorgen für eine romantische Wohnzimmeratmosphäre. Üppige Blumenbouquets aus Rosen und Lilien zieren jeden Winkel des riesigen Areals. Dies ist kein gewöhnliches Möbelhaus. Dort, wo früher Eisenbahnbrücken gefertigt wurden und Loks auf Schienen in die Halle fuhren, haben Hans Többen und seine Frau Kirsten Wellenkamp mit viel Herzblut und Liebe zum Detail eine Medina (arabisch für Stadt) erschaffen. Dafür haben sie in der ausgedienten Industriebaracke Wände im typisch maurischen Stil und mit den für den Orient charakteristischen Bögen hochgezogen. Die Mauerspitzen sind mit klassischen Kelim-Teppichen belegt und von der Decke hängen Dutzende überdimensional große Messingampeln, Korbleuchten und Hunderte ­orientalische Laternen aus Glas und Metall. Der Besucher steht mitten auf einem Basar, der alles bereithält, was ara­ bische Kunsthandwerker fertigen können.

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»Ohne meine Frau Kirsten und meine Töchter Verena und Kristin wäre das alles hier gar nicht möglich. Wir sind ein eingespielter Familienbetrieb.« Hans Többen

Möbelhaus und Gourmettempel zugleich Es ist Samstag kurz vor 19 Uhr. In wenigen Minuten schließt die Verkaufsausstellung und die letzten Kunden bummeln noch durch die Gänge und zahlreichen Nischen der Medina Marrakech. Der Geruch von Kerzen, Blüten und Petroleum liegt in der Luft. Überlagert wird er von Zeit zu Zeit von einer köstlichen Gewürzwolke, die aus der Küche des hauseigenen Restaurants herüber weht. Seit Stunden arbeiten dort bereits der Ägypter Medhat und seine Kollegen auf Hochtouren. Zweimal in der Woche, jeweils freitags und samstags, lädt das Le Marrakech zum arabischen Abend. Heute erwarten Hans Többen und seine Frau Kirsten 243 Gäste. Sie alle haben bereits Wochen im Voraus die begehrten Plätze reserviert.

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Die Kunden haben das Haus inzwischen verlassen und in der Medina Marrakech beginnt ein geschäftiges Treiben. Der Countdown für den arabischen Abend läuft. Eine Stunde Zeit bleibt, bevor sich die Türen erneut öffnen und die Abendgäste eine lange Schlange vor dem Eingang bilden werden. Die Dutzenden kunstvoll gearbeiteten Holz- und Mosaiktische werden festlich eingedeckt und dekoriert. ­Jeder der knapp 20 Angestellten kennt seine Aufgaben genau. Während Medhat und seine Kollegen in der Küche bereits das Obst für das Nachtischbuffet vorbereiten, wird im eigenen Gewächshaus die Blumen- und Pflanzendekoration geschnitten. Die Handgriffe sitzen und gehen den Beteiligten routiniert und leicht von der Hand. Aus der Musikanlage ertönt arabische Popmusik – »Habibi«, ein eingängiger Song

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Hausherr Hans Többen  /  liebevoll dekoriertes Interieur  /  stimmungsvoll beleuchteter Lampengang   /  arabisches Kunsthandwerk für jeden Geschmack  /  gemütliches Ambiente

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des ägyptischen Frauenschwarms Amr Diab. Während dieser im gewohnt romantischen Überschwang orientalischer Sänger das Licht in den Augen seiner Liebsten besingt ist die Stimmung der multikulturellen Le-Marrakech-Truppe fröhlich und positiv angespannt. Selbst Chihuahua Mo läuft neugierig auf und ab, während Katze Kassandra eher un­ beteiligt wirkt. Alles begann mit einem Mitbringsel »Angefangen hat das alles hier damit, dass die beste Freundin von Kirsten 1993 einen Marokkaner heiratete«, erinnert sich Hans Többen. Dieser brachte dann den beiden gelernten Metalldesignern marokkanische Töpferwaren als Geschenk mit. Kunsthandwerk, welches Hans Többen anfangs gar nicht mochte, die Bekannten und Freunden des Paares dafür umso mehr. Die Geschenke aus Marokko wechselten sehr schnell erneut den Besitzer. Von der regen Nachfrage überrascht begann Hans Többen sich dafür zu interessieren, wo die Waren gefertigt werden und wie damit Handel zu treiben ist. Er flog nach Marokko, knüpfte erste Kontakte und importierte die ersten Waren. Anfänglich bezahlte das Paar Lehrgeld und verbuchte Verluste. An Aufgeben haben Hans Többen und seine Frau Kirsten nie gedacht. Sie waren überzeugt davon, dass ihre Idee Früchte tragen würde – auch, wenn das Umfeld zweifelte. Zur Jahrtausendwende zogen sie mit ihrem Laden­ geschäft von Hamburg-Winterhude in die Einöde der Industriebrache Nedderfeld und begannen damit, ihre Medina Marrakech zu bauen. Der Unternehmer erinnert sich noch gut daran, dass sich anfänglich sechs Besucher pro Woche in das abgelegene Möbelhaus verirrten. Die besondere Atmosphäre sprach sich jedoch schnell rum. Heute kann das Paar die Zahl ihrer Kunden nur noch schätzen. »Wir machen keinerlei Werbung«, sagt Kirsten Wellenkamp. Neue Kunden und Gäste kommen auf Empfehlung. »Zehn vor acht«, ruft indes Verena Wellenkamp, die ältere der beiden Töchter des Paares, laut durch die Halle. Das Signal für alle, sich auf die Plätze zu begeben und die Gäste zu empfangen.

drapiert. Neben Klassikern wie Hummus, Falafel und Baba­ ganoush, einem köstlichen Auberginenmus, finden sich auch zahlreiche kreative Abwandlungen klassischer arabischer Rezepte. »Unser Medhat ist sehr einfallsreich und experimentiert gern«, sagt Kirsten Wellenkamp. Während sie alle Platten auf der langen Tafel arrangiert und mit handgeschriebenen Schildern versieht, ist Hans Többen damit beschäftigt, den Aufbau des Hauptspeisenbuffets zu managen. 15 bis 18 Gerichte erwarten die Gäste – jedes einzelne in der Qualität der Luxushotelerie. Kein Wunder, dass das Le Marrakech auch als Caterer eine gefragte Adresse ist und unter anderem eine große Airline regelmäßig zu besonderen Anlässen versorgt. Um 21 Uhr sind die Vorbereitungen abgeschlossen. Das Licht geht aus und das Le Marrakech wird nur noch von Hunderten Kerzen stimmungsvoll erhellt. Verena Wellenkamp übernimmt die Moderation. Sie begrüßt die Gäste offiziell, gratuliert einigen zum Geburtstag und eröffnet das Buffet. Wer zum ersten Mal einen arabischen Abend im Le Marrakech besucht, gerät beim Anblick der liebevoll arrangierten Köstlichkeiten erneut ins Staunen. Unzählige Fotoapparate klicken. Dutzende Gäste wollen den Anblick des Buffets festhalten, mit nach Hause nehmen und mit Freunden teilen.

Appetitliches Vorspeisenbuffett als Auftakt eines kulinarischen Abends

Nora erhellt den Wintergarten 21 Uhr 30 – Buffetwechsel. Während in der Medina Marrakech noch getafelt wird, werden aus der Küche bereits süße Köstlichkeiten herangeschafft und aufgebaut. Selbstgemachte arabische Kuchen, Schokoladenmousse mit Orangenwasser verfeinert, geeiste Himbeeren in Vanillecreme und andere Köstlichkeiten sollen die Gäste des Abends vergessen lassen, dass die Mägen bereits gefüllt sind. Liebevoll wird das opulente Dessertbuffet mit Blüten und Zweigen aus dem hauseigenen Gewächshaus dekoriert. Ein Anblick, an dem man sich nicht sattsehen kann. Während die ersten Gäste bereits das prachtvolle Arrangement aus Blüten und Delikatessen bestaunen, neugierig die Fülle an Verlockungen erkunden und sich von hier und da einen Löffel auf ihren Dessertteller laden, lockt arabische Musik die Gäste in den Wintergarten des Hauses. Unter dem Baldachin hat Nora, eine bildhübsche junge Marokkanerin, mit ihrer Performance begonnen. Gekonnt bewegt sich die Bauchtänzerin zur Musik und wird dabei durch rhythmi-

Wie ein Gast auf einer privaten Party »Ahlan wa sahlan« sagt man in arabischen Ländern, wenn man Gäste willkommen heißt. Im Le Marrakech wird jeder Gast wie ein Freund behandelt und von Hans Többen am Eingang persönlich begrüßt. Das vertraute »Du« sorgt für Nähe und dafür, dass sich die Gäste schon beim Aperitif in der Vorhalle angekommen und gut aufgehoben fühlen, bevor Kirsten Wellenkamp sie zu ihren Tischen begleitet. Während die Chefin des Hauses die neu eingetroffenen Gäste platziert, stöbern andere bereits durch die Ausstellung, staunen und begutachten die Kunsthandwerksgegenstände aus Nordafrika. Es ist 20 Uhr 30. Alle 243 Gäste haben ihren Platz gefunden und für Kirsten Wellenkamp heißt es jetzt, das Vorspeisenbuffet vorzubereiten. Zwischen 30 und 35 Köstlichkeiten werden dazu auf kunstvoll gestalteten Keramikplatten

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sches Klatschen des Publikums unterstützt. Ihr türkisfarbenes Bauchtanzkostüm ist mit Hunderten Pailletten besetzt und funkelt in der schummerigen Beleuchtung. Die Stimmung ist locker und beschwingt. Und so dauert es nicht lange, bis Nora die ersten Gäste auffordert, es ihr gleich zu tun. Kurze Zeit später tanzen Nora und Gäste gemeinsam unter dem Baldachin des Wintergartens. Der Höhepunkt eines perfekten arabischen Abends … Inzwischen geht die Uhr auf Mitternacht zu und langsam beginnen die ersten Gäste, sich auf den Heimweg zu machen. Geschäftig eilen Kellner hin und her, um Preise von Dekorationsgegenständen zu erfragen, in die sich der eine oder andere Gast während des Abends verliebt hat. Kerzenleuchter, Windlichter, Laternen haben Liebhaber gefunden. Gegen halb eins verlassen die letzten Gäste die Medina Marrakech. Sie alle haben ein verträumtes Lächeln auf dem Gesicht und ein verzaubertes Leuchten in den Augen … www.lemarrakech.de

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Silly ⁄ ROckband

Kopf an Kopf durch dick und dünn Text Harriet Lemcke  × Fotos Oliver Reetz  ×  Make-up / Haare Alex Merk, Iris Langen

Es ist eine musikalische Erfolgsgeschichte in zwei Akten und in zwei Gesellschaftssystemen: die Band Silly hat Höhen und Tiefen erlebt, Erfolge gefeiert und Verlust betrauert. Die Einzigartigkeit ihrer Musik ist das Markenzeichen von Silly und ihr bester Kopierschutz. ie haben sich schon immer eingemischt. Sie haben laut gesagt, was andere leise gedacht haben. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen haben sie die Dinge beim Namen genannt und zum Nachdenken angeregt. ­Silly waren mutig, Silly waren unbequem, Silly waren eine musikalische Institution und preisgekrönt. Das erste Erfolgskapitel in der Geschichte der Band endete im Sommer 1996 auf tragische Weise: Sängerin Tamara Danz starb an Krebs, mit nur 43 Jahren. Erst neun Jahre später standen Ritchie Barton (­Klavier), Jäcki Reznicek (Bass) und Uwe Hassbecker (Gitarre) wieder gemeinsam als Silly auf einer Bühne. Kurz darauf stieß Schauspielerin Anna Loos dazu. Selbst Silly-Fan seit Teenager-Tagen übernahm Anna den Part der Sängerin und gab der Band damit das zurück, was ihr lange gefehlt hatte: ihre

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Stimme. Das erste gemeinsame Album »Alles Rot« erschien 2010 und bekam Platin. Das aktuelle Album »Kopf an Kopf« erreichte Platz zwei der Albumcharts. Silly sind kein bisschen leiser geworden. Silly sind speziell, unverwechselbar. Silly sind zurückgekommen, um zu bleiben. Mit »Kopf an Kopf« habt ihr in diesem Jahr euer zweites ­Album nach dem großen Comeback 2010 veröffentlicht. Drei Jahre liegen zwischen den beiden Alben. War das geplant? Uwe Wir haben viele Konzerte mit »Alles Rot« gespielt und es braucht natürlich auch einige Zeit, um neue Songs zu schreiben. Für uns war es daher ein ganz normaler Rhythmus. Außerdem sind wir immer erst fertig, wenn wir mit dem Ergebnis wirklich zufrieden sind. Und das hat eben drei Jahre gedauert.

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Wenn man das neue Album hört und mit dem Vorgänger vergleicht, hat man den Eindruck, dass ihr als Band sehr zusammengewachsen seid. Wie beschreibt ihr den Prozess? Ritchie Wir sind inzwischen ja schon sieben Jahre gemeinsam mit Anna unterwegs. In den ersten Jahren haben wir unterschiedliche Programme gespielt. Anna sagt dazu ­immer, wir hätten sie über die Bühnen des Landes geschleift. Auf jeden Fall haben wir sie gut geschliffen und einen Diamanten daraus gemacht. (Anna lacht) Das erste Album war etwas ganz Logisches, was nach den ersten zwei, drei Jahren passieren musste. Natürlich ist das Ganze auch ein Prozess, der zunehmend zu uns selbst führt und die Band musikalisch und künstlerisch zusammen und mehr auf den Punkt bringt. Wir hatten davor über zehn Jahre ­Pause. Nach so langer Zeit muss man sich erst einmal wieder finden. Silly hat eine unverwechselbare Handschrift. Klassische Frage an euch daher: Was ist zuerst da – der Text oder die Musik? Anna Bei uns gibt es nichts, was es nicht gibt. Die Gemeinsamkeit von allen Songs ist, dass am Anfang gar nichts da ist. Nur weiße Blätter Papier und ein schwarzes Loch im Kopf. Dann gibt es den Fall, dass Uwe oder Ritchie einen Song schreiben und der im Nachhinein betextet wird. Es gibt auch vorhandene Texte von Werner Karma (schrieb bereits für frühere Silly-Alben einen Großteil der Texte – Anm. d. Red.), die dann vertont werden. Und es gibt auch Songs, bei denen Text und Musik gemeinsam entstanden sind. Uwe Die vierte Variante ist, dass es bereits einen Text gibt und auch eine Musik schon existiert. Dann stellt man fest, dass beides atmosphärisch extrem gut zusammenpasst. Und dann schleifen wir an beidem herum, so dass es übereinander passt und einen Song ergibt. Diese Variante hatten wir auch schon etliche Male. Jäcki Und die fünfte Variante ist, dass Text und Musik so schlecht sind, dass wir es wegschmeißen. (alle lachen) Kommt das häufig vor? Uwe In so einem Prozess bleibt immer eine ganze Menge auf der Strecke. Jäcki Wir hatten diesmal viele Songs. Viele sind nicht auf die Platte gekommen. Wie viel habt ihr denn weggeschmissen, damit die 15 Songs auf das Album kommen? Uwe Wir hatten etwa doppelt so viele Songs. Das sind aber zum Teil auch Sachen, die nicht zu Ende produziert sind. Die schmeißt man nicht gleich weg, sondern lässt sie liegen und schaut beim nächsten Mal noch einmal drauf. Ritchie Es gibt gute musikalische Ideen, die in dem Moment noch nicht die richtige Textidee finden. Das kann später passieren oder auch nie – je nachdem. Anna Meistens ist es aber so, dass die Songs, die liegen geblieben sind, es auch in der Zukunft nicht auf ein Album schaffen.

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Ritchie Das zieht sich durch unsere gesamte Laufbahn. Immer, wenn wir Sachen übrig hatten, haben wir gesagt: »Dann haben wir ja schon einen Grundstock für das nächste Album«. Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendeiner dieser Songs jemals auf ein anderes Album gekommen ist. Ihr seid vier starke Persönlichkeiten. Wie viel Reibung entsteht dadurch während der Arbeit an einem neuen Album? Anna Ich glaube, dass wir vier ganz verschiedene Individuen sind. Natürlich hat jeder auch seinen eigenen Geschmack und der passt nicht wie eine Schablone zu dem der anderen. Am Ende des Tages gibt es viele Diskussionen. Diese sind aber wichtig, denn zum Schluss muss sich ja auch die Band als Ganzes damit identifizieren und hinter dem Ergebnis

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Silly: Ritchie Barton, Anna Loos, Jäcki Reznicek, Uwe Hassbecker (v. l. n. r.)

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»Wir sind definitiv keine Politrockband und haben uns auch noch nie als eine solche begriffen – früher nicht und heute auch nicht.«

»Bei Anna ist es ihre unglaubliche Energie, auch mal un­gewöhnliche Wege zu gehen und Sachen voranzu­treiben.«

Ritchie Barton

Uwe Hassbecker

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»Jäcki ist der Meister am Bass, Ritchie der Meister am Klavier und Uwe ist der Einzige auf der Welt, der auf der Gitarre singen kann. Mit solchen Musikern auf der Bühne zu stehen heißt, ein sicheres Standbein und auch ein sicheres Spielbein zu haben.«

»Es gibt aber auch den Fall, dass wir uns sofort einig sind.« Jäcki Reznicek

Anna Loos

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stehen. Sonst ist es nicht authentisch. Reibung ist also auch gut. Ich habe bisher noch nicht erlebt, dass dadurch etwas schlechter geworden ist. Uwe Musik ist eine sehr emotionale Angelegenheit. Auch für die, die sie machen. Wir machen das mit viel Herzblut. Und dort, wo Herzblut fließt, kämpft man auch für seine Idee. Es kommt immer wieder vor, dass es verschiedene Richtungen gibt, die sich kurzzeitig nicht annähern wollen oder können. Am Ende kommen wir aber zu einem gemeinsamen Ziel. Jäcki Es gibt aber auch den Fall, dass wir uns sofort einig sind. Zum Beispiel bei »Vaterland«. Das kommt auch mal vor. Ritchie So selten ist das auch gar nicht. Wir sind alle keine 22 mehr und gehen erwachsen mit unterschiedlichen ­Meinungen um. Wir hauen uns nicht auf die Fresse. (lacht) Anna, du hast für das aktuelle Album erstmals Texte selbst geschrieben. Einige davon wirken sehr persönlich. Hast du einen erklärten Lieblingssong? Anna 15 Stück! Ich finde alle toll und liebe auch die Texte, die der Werner geschrieben hat. Ich bin ein großer Fan von ihm. Es gibt Tage, da ist »Vaterland« mein Favorit, an anderen Tagen ist es »Blutsgeschwister«. Es kommt immer darauf an, was bei mir im Leben gerade los ist. Bei mir richtet es sich nach der Gemütslage. Wenn wir auf der Bühne sind, dann schälen sich manchmal Songs heraus, die vorher nicht die Top-Favoriten waren. Auf der Bühne machen diese Stücke dann aber auf einmal am meisten Spaß. So ein Album ist auch für die Macher eine Überraschung. Wenn wir dann auf Tour gehen, sind wir von manch einem Song wirklich überrascht. Ihr habt immer auch politische Texte gemacht und eure ­Mei­nung gesagt. Seid ihr ein Stück weit eine politische Band? Ritchie Musiker mit Tiefgang und Umblick trifft es wahrscheinlich am besten. Wir sind definitiv keine Politrockband und haben uns auch noch nie als eine solche begriffen – ­früher nicht und heute auch nicht. Wenn es jedoch Themen gibt, die uns so richtig auf der Seele liegen und wir eine Mög­ lichkeit finden, das poetisch umzusetzen, dann machen wir das. Diesmal ist das relativ perfekt mit »Vaterland« gelungen. Anna Wenn man als Künstler tätig ist, egal ob als Maler, Schauspieler oder Musiker, hat man auch eine Verantwortung. Diese besteht darin, sich die Gesellschaft, in der man lebt gut anzuschauen. Und hin und wieder gibt es dann auch etwas dazu zu sagen – ohne erhobenen Zeigefinger. Vielmehr geht es darum, auch bei anderen einen Gedanken loszutreten. Das finde ich wichtig und ich glaube, das hat Silly auch immer gemacht.

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Kurzer Schwenk in die Vergangenheit: Ihr seid früher extrem erfolgreich gewesen bis dann im Sommer 1996 eure Sängerin Tamara Danz gestorben ist. Wie geht man als Band mit einem solchen Schicksalsschlag um? Uwe Zunächst geht man damit als Person, als Mensch um. Man muss versuchen, das zu verarbeiten und zu verkraften. Das hat viele Jahre gedauert. Als Band hat uns natürlich unser Kopf gefehlt. Der Mythos um Tamara wurde mit den Jahren immer größer, so dass wir uns selbst kaum noch an unsere eigene Geschichte getraut haben. Es hat uns aber auch nicht losgelassen, denn es ist auch unser Herzblut, welches in dieser Band steckt. Irgendwann haben wir es dann nicht mehr ausgehalten und haben uns gesagt: »Silly sind auch wir« und wir haben eine Verantwortung unserer Vergangenheit und Geschichte gegenüber, das weiterzu­ führen. Das ist ein langer Prozess gewesen. Ritchie Wenn es nicht diese glückliche Fügung gegeben hätte, Anna zu treffen, dann hätte es auch möglicherweise nicht geklappt. Sowas kann man ja nicht konstruieren. Immer, wenn wir darüber gesprochen hatten, war das unser Problem und wir haben uns gefragt: »Wie sollen wir das machen?«. Und dann kam Anna vorbeigeflogen. Anna  Als wir uns damals getroffen haben, habe ich bei den Jungs dieses Feuer, mit der Band weiter gemeinsam Musik machen zu wollen, gespürt. Es ist eine Verantwortung, aber es ist auch Lust, Leidenschaft und Liebe. Und ich denke, die Jungs mussten das dann einfach auch leben. 2005 seid ihr wieder mit den alten Songs auf Tour gegangen. Wann habt ihr gewusst, dass ihr dort weitermacht, wo ihr nach Tamaras Tod aufhören musstet? Wann wusstet ihr, dass es ein neues Album geben wird? Ritchie  Gewusst haben wir es nicht 100-prozentig. Anna hätte aber am liebsten drei Wochen nach Einstieg damit begonnen. (lacht) Wir mussten sie damals ein bisschen ausbremsen und wollten erst mal Schwingung aufnehmen. Man kann nicht einfachen sagen: »Okay, jetzt haben wir wieder eine Sängerin und jetzt können wir wieder ein Album machen«. Man könnte es machen, aber es wäre wahrscheinlich nicht gut. Wir haben gut daran getan, uns selbst Zeit zu geben, draußen zu spielen und verschiedenartige Programme auf die Bühne zu bringen. Wir waren zum Beispiel mit einem Unplugged-Programm zum Album »Paradies« unterwegs. Dieses hatten wir zuvor nie auf die Bühne gebracht, weil Tamara schon krank war. Das erste Album mit Anna kam dann ganz organisch. Wer eure Alben hört, weiß sofort: das sind Silly. In der neuen Formation habt ihr euch neu erfunden und seid euch trotzdem treu geblieben. Wie bekommt ihr das hin und was macht Silly aus? Uwe  Schwer zu sagen. Man sagt uns nach, dass wir eine eigene Handschrift haben. Die Alben sind alle sehr verschieden und selbst auf einem Album gibt es ein riesiges Spektrum. Irgendwie zieht sich aber dennoch ein roter Faden durch. Vielleicht ist das der Faden unseres eigenen

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»Wir machen es uns nicht ­immer ganz leicht und nehmen nicht den erstbesten Weg. Wir nehmen meistens textlich wie musikalisch einen Weg, der vielleicht etwas steiniger ist, aber dafür viel interessanter.« Uwe Hassbecker

Anspruchs. Wir machen es uns nicht immer ganz leicht und nehmen nicht den erstbesten Weg. Wir nehmen meistens textlich wie musikalisch einen Weg, der vielleicht etwas steiniger ist, aber dafür viel interessanter. Ritchie  Es ist immer sehr schwer, so etwas selbst zu beurteilen. In der Zeit, in der wir Anna noch nicht getroffen hatten, haben wir viele Theater- und Filmmusiken gemacht. Wenn wir diese dann Freunden und Bekannten vorgespielt haben, haben die häufig gesagt: »Das klingt nach euch, das klingt nach Silly«. Und das, obwohl es musikalisch völlig andere Strukturen und überhaupt keine Pop-Songs waren. Vielleicht gibt es sowas wie eine Handschrift. Ihr seid alle sehr früh zur Musik gekommen und habt klassische Ausbildungen oder sogar Musik studiert. Auf euren Alben finden sich immer wieder für Rockmusik völlig ungewöhnliche Klänge. Wie viele Instrumente spielt ihr in Summe? Uwe  Alles, was Saiten hat. (lacht) Ritchie  Wir sind offen. Wenn wir eine Idee zu einem ungewöhnlichen Instrument haben und dieses selbst nicht spielen, dann holen wir jemanden ins Studio. Welches Instrument war das ungewöhnlichste, welches ihr eingesetzt habt? Anna  (fragt in die Runde) Die Laouto, oder? Wir waren mitten in der Arbeit an dem Album und sind gemeinsam in den Griechenland-Urlaub gefahren. Uwe wollte seine Reisegitar-

re mitnehmen, hat diese aber zu Hause vergessen und war super schlecht gelaunt. Dann ist Uwe über die griechische Insel Kreta gepilgert, hat einen Instrumentenbauer gefunden und sich eine kretische Laouto gekauft. Dann hat er mal eben schnell darauf spielen gelernt. So hat er aus dem Griechenland-Urlaub die musikalische Idee für »Vaterland« mitgebracht. Die Laouto ist schon ein sehr ungewöhnliches Instrument, welches eine schöne warme, weltmusikalische Komponente reinbringt. »Vaterland« ist auf dem Album der Song, der am meisten überrascht. Die Musik klingt mediterran und der Text dazu extrem politisch und richtig deutsch. Alle  Das sollte auch so sein. Uwe  Es gab für diese Musik insgesamt drei Texte, die eigentlich gut waren. Im Kontext des Albums und auch nach unserem Gefühl haben wir dann beschlossen, diesen Text zu nehmen. Ritchie  Werner Karma hat uns nicht einmal zugeraten, unter den drei möglichen Texten diesen auszuwählen. Wir haben es trotzdem gemacht und es war mit Sicherheit die richtige Entscheidung. Anna  Weil es eben genau dieser Widerspruch ist. Musi­ka­ lisch ist dieser Song von der ganzen Welt und vielen Kulturen beeinflusst. Der Text richtet sich natürlich auf Deutschland, hat aber auch einen Impact auf die ganze Welt.

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Welche spezielle Eigenschaft eines jeden von euch treibt die Band? Uwe  Bei Anna ist es ihre unglaubliche Energie, auch mal ungewöhnliche Wege zu gehen und Sachen voranzutreiben. Ritchie  Sie füllt damit auch genau das aus, was uns in den Jahren dazwischen außer der Stimme gefehlt hat. Anna  Jäcki ist für mich ein ruhender und ausgleichender Pol, der in so einem Haufen ganz wichtig ist. Jäcki sagt immer an entscheidender Stelle etwas und bringt damit oft die Welle, die den Tsunami ausgelöst hatte noch auf dem Meer zum Zerbrechen. Bei allen Diskussionen braucht man am Ende den bestmöglichen Konsens. Und dabei braucht man jemanden, der musikalisch bei Silly zu Hause ist und mit Ruhe allen das Gefühl gibt, dass das Ergebnis dann gut ist. Anna  Ich sage jetzt einfach zu allen was. (alle lachen) Ich bin der Schmerz im Arsch, weil ich ein anderes Tempo habe. (alle lachen) Ich bin super ungeduldig. Das ist vielleicht auch nicht schlecht für eine Band, aber es ist auch sehr nervig mit mir. Ritchie ist der etwas verträumtere und lässigere Typ. Ritchie braucht lange für Sachen, aber dann sind sie auch speziell. Er ist ein wirklicher Künstler, der einen sehr komplizierten Weg geht. Bei dem Ergebnis denkt man dann aber: »toll«. Uwe ist die Silly-Arbeitsbiene und mit mir zusammen einer der fleißigsten von uns allen. Uwe und Ritchie sind die Komponisten von Silly und haben der Band diese ganz eigene Handschrift gegeben. Beide schreiben unglaublich tolle Songs, haben tolle Ideen und sind genauso wie Jäcki Meister auf ihren Instrumenten. Jäcki ist der Meister am Bass, Ritchie der Meister am Klavier und Uwe ist der Einzige auf der Welt, der auf der Gitarre singen kann. Mit solchen Musikern auf der Bühne zu stehen heißt, ein sicheres Standbein und auch ein sicheres Spielbein zu haben.

Sachen umsehen oder gar nichts mehr machen. Wenn man das wirklich will, dann muss man auch was einstecken können. Uwe  Es ist in jedem Fall ein steiniger Weg. Man muss sich gut überlegen, ob man das wirklich machen will. Man darf nicht davon ausgehen, dass man damit reich wird. Man muss es wirklich mit dem Herzen machen. Wenn man nur Musik macht, weil man berühmt werden will, dann wird das sehr wahrscheinlich nichts. Das kann man abhaken. Man muss es lieben, man muss es unbedingt wollen – dann hat man eine Chance, mit ganz viel Energie und langem Atem möglicherweise zum Ziel zu kommen. Wo seht ihr euch in fünf Jahren? Habt ihr eine Vision? Anna  Ich möchte mit den Jungs mal nach Amerika fahren. (alle lachen) Jäcki  Welttournee … Anna  Wir haben jetzt gerade das zweite Album gemacht und sind damit auf Tour. Dann sehen wir weiter. Planen kann man kreative Prozesse ja immer schlecht. Uwe  Ich finde es gut, wenn wir in fünf Jahren wieder hier sitzen, zusammen ein Interview machen und uns auf das Konzert am Abend freuen. — Silly stehen für kritische Texte und für atmosphärisch-dichte Musik, welche sich zu einem unverwechselbaren und ganz eigenen Stil verbinden. Anna, Uwe, Jäcki und Ritchie sind vier starke und charismatische Persönlichkeiten. Vier Künstler, die sich kritisch mit dem Leben auseinandersetzen, nachdenklich, aber auch mal albern sind und gemeinsam eines wollen: immer das bestmögliche Ergebnis. Mehr zur Band unter www.silly.de.

Auf dem vergangenen Album habt ihr Tamara Danz einen Song gewidmet, auf dem aktuellen stammt ein Text noch aus ihrer Feder. Wie sehr ist sie noch Teil der Band? Uwe  Das war mehr oder weniger ein Zufall. Ordnung ist nicht so meine Stärke. Also habe ich auf meinem Computer nach Texten gesucht. Dabei bin ich in irgendeinem Ordner auf einen Stapel von Word-Dateien gestoßen, die noch von Tamara stammten. Teilweise handelte es sich um Text­ fragmente, teilweise waren es angefangene bis fertige Texte. Und dieser gefiel mir sehr. Das Thema Kinder und unsere Verantwortung unseren Kindern gegenüber sprach mich an. Der Text passte auf eine musikalische Idee und da war der Song geboren (»Blinder Passagier« – Anm. d. Red.). Es ist auch ein gutes Gefühl, nochmal ein Lied von ihr dabei zu haben. Ihr macht seit drei Jahrzehnten Musik und haltet es ja auch schon ein viertel Jahrhundert miteinander aus. Wenn ihr einmal auf den Nachwuchs schaut, was gebt ihr jungen Musikern als Tipps mit auf den Weg? Worauf kommt es an, wenn man als Musiker Erfolg haben und auch als Band funktionieren möchte? Ritchie  Durchhaltevermögen ist das A und O. Nicht gleich beim erstbesten Misserfolg aufstecken, sich nach anderen

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Saliya Kahawatte ⁄ Coach

Wie Phoenix aus der Asche … Text Harriet Lemcke  × Foto Oliver Reetz

Er hat in einer Scheinwelt gelebt und ist daran zerbrochen, von ganz unten hat er sich nach ganz oben gekämpft: Saliya Kahawatte, Coach und Geschäftsführer der Unternehmensberatung »MinusVisus« hat seinen Makel zur Marke gemacht, ist bei sich angekommen, aber noch lange nicht am Ziel. ch habe keine Anzüge und lebe auch heute noch von 75 Euro in der Woche.« Saliya Kaha­ watte ist trotz des Erfolgs, den die Veröffent­ lichung seines Buches »Mein Blind Date mit dem Leben« im Jahr 2009 nach sich zog, auf dem Teppich geblieben. Der 43-Jährige berät und coached Privatpersonen ebenso wie Unternehmer aus dem Mittelstand oder Manager deutscher Großkonzerne. Termine im Stundentakt gibt es bei Saliya nicht. Ein Coaching pro Tag, Dauer nicht unter drei Stun­ den. Das ist das Konzept.

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»Ich sehe die Potenziale in den Menschen und das versuche ich, mit ihnen gemeinsam heraus zu kitzeln.«

»Privat lebe ich ganz zurückgezogen. Ich will ­keine ­ Menschen um mich haben. Zu Hause habe ich kein Telefon und kein ­Internet.« 18

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Sali, wie ihn Bekannte und Freunde nennen, spricht nicht im üblichen nebulösen Beraterslang und beschränkt sich nicht auf das Stellen klassischer Coachingfragen. Offen und direkt bringt er auch unangenehme Dinge auf den Punkt, hört Verborgenes heraus, irritiert und rüttelt wach. Es geht nicht nur um ein gutes Gefühl, es geht um das Erreichen von Zielvereinbarungen. Nach jeder Session nehmen seine Klienten Aufgaben in Form von Walnüssen mit nach Hause. Erst wenn diese geknackt sind, gibt es einen Folgetermin. »Mir ist es wichtig, dass meine Klienten beruflich und privat erfolgreich sind und bei physischer und psychischer Ge­ sundheit«, sagt Saliya Kahawatte und ergänzt: »Es ist immer schlauer, deine Stärken zu optimieren als deine Schwächen zu kompensieren«. Hochbegabt, fast blind und ausgegrenzt Und Saliya weiß, wovon er spricht. Durch eine Netzhaut­ ablösung verlor er als Jugendlicher quasi über Nacht sein

Augenlicht fast vollständig. Um dennoch in der Welt der Sehenden ein selbstbestimmtes Leben führen zu können, verleugnete er seine Behinderung. 15 Jahre lang arbeitete er fast rund um die Uhr und härter als jeder andere, machte schließlich Karriere in der Edelgastronomie und absol­ vier­te ein Management-Studium. Der Preis, den er dafür zahlte, war hoch: Diagnose Krebs, Drogen-, Alkohol- und Medi­kamentensucht, sechs Suizidversuche, geschlossene Psychia­trie, Entmündigung, Hartz IV. »Die westliche Welt hat mich verkannt und gebrochen. Ich bin wieder zum Typ geworden, indem ich konsequent ein Urvertrauen in das hatte, was ich kann und was ich tat­ sächlich will«, sagt er heute. Auf die Unterstützung seiner Freunde konnte er immer zählen. Kein Wunder also, dass Sali »Vertrauen, Zuverlässigkeit und Freundschaft« als die Dinge benennt, die ihm im Leben am wichtigsten sind.

»Ich arbeite nicht nur für Kunden. Ich arbeite auch genauso viel Zeit mit und an mir selbst.« Die eigene Mitte wiederfinden Für seine persönliche Work-Life-Balance sorgt Saliya heute mit buddhistischer und ayurvedischer Lebensweise. Aus dem Wissen, welches ihm seine Großmutter einst im Ur­ wald von Sri Lanka vermittelte, hat er eigene Coaching-Tools entwickelt. Ayurveda-Coaching auf Mallorca ist sein aktu­ elles Projekt, noch in diesem Jahr wird sein zweites Buch erscheinen. Die Verfilmung seiner Autobiografie ist für 2014 geplant und 2016 will Saliya Kahawatte bei den Paralympics über 1.500 Meter Freistil an den Start gehen. Die Mission für die kommenden Jahre ist klar: »Kahawatte is going global«. www.saliyakahawatte.de, www.minusvisus.de

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Fotos Oliver Reetz | Text Harriet Lemcke

Am Puls der Zeit „Ich habe keinen Anzug und keine Krawatte dabei. Privat trage ich sowas nur, wenn ich muss.“ Mit diesen Worten begrüßt uns Tagesschau-Sprecher Marc Bator, während er mit einem Bündel farbiger Hemden, Hosen und Sakkos in der Hand die Stufen zum Fotostudio hoch eilt. Millionen Deutsche kennen den blonden 40-Jährigen als seriösen und stets akkurat gestylten Nachrichtenmann. Privat hat es der zweifache Familienvater lieber sportlich und leger. Der Karriereweg von Marc Bator ist ungewöhnlich und dennoch geradlinig. Mit einem klaren Ziel, Beharrlichkeit und auch etwas Glück hat er sich als Nicht-Akademiker Türen geöffnet, die sonst nur Journalisten mit Uni- Abschluss offen stehen. Seit acht Jahren informiert er regelmäßig um 20 Uhr über die Ereignisse in aller Welt. Wir reden über die guten alten Zeiten beim Radio, den Wandel in der Medienlandschaft und schließlich über Marcs beeindruckende Karriere. Dass Marc ein Medienprofi ist merkt man sofort. Sein Blick ist wach und aufmerksam. Seine Antworten kommen schnell und präzise...

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Marc Bator Tagesschau-Sprecher


„Vor über 2.000 Jahren haben die Menschen in Fernost nach einer großen Schlacht auf dem Rücken ihrer Pferde mit den Lanzen die abgeschlagenen Köpfe der Gegner durch die Gegend gebolzt. Das, erzählt man sich zumindest, sei der erste Urtrieb des Polospiels gewesen.“

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Du bist als Tagesschau-Gesicht jedem bekannt. Wirst du oft angesprochen? Das ist ganz unterschiedlich. In Hamburg und in Norddeutschland passiert das sehr oft. Ich lebe in Hamburg und werde hier in der Stadt mittlerweile häufig erkannt und angesprochen. Das finde ich auch gut, richtig und wichtig. Wenn die letzten acht Jahre 20-Uhr-Tagesschau spurlos an der Öffentlichkeit vorbeigegangen wären, wäre das nicht so schön. In einigen Situationen, zum Beispiel wenn man einen Autounfall gebaut hat, kann Bekanntheit natürlich auch belastend sein. Wer im Fernsehen präsent ist, ist zwangsläufig einem Millionenpublikum ein Begriff. Empfindest du dich selbst als prominent? Nein. Ich empfinde mich nicht als prominent und denke auch, dass wir in Deutschland einen inflationären Umgang mit den Worten Promi und Star haben. Wenn mich jemand fragt, dann sage ich immer, dass ich durch die Tagesschau ein populäres Gesicht habe und mit einem Bein in der Öffentlichkeit stehe. Viele Leute erkennen mich nicht. Und dann gibt es wieder Situationen wie in Sao Paulo auf dem Flughafen oder in Dubai in der Wüste, da sagt dann plötzlich jemand: „Mensch, das ist ja der Tagesschau-Sprecher.“ Du hast 2005 deine erste 20-UhrTagesschau gesprochen. Kannst du dich noch an das Gefühl erinnern? Warst du aufgeregt? Klar ist man da aufgeregt. Ich hatte einige Jahre auf meine erste 20-Uhr-Tagesschau hingearbeitet. Wenn man zur Tagesschau geht, dann möchte man auch das Flaggschiff präsentieren. Als es dann 2005 soweit war, war es ein ganz besonderer Moment. Obwohl alles andere so wie vorher immer war – das gleiche Studio, die gleichen Nachrichten – so war es doch eine andere Uhrzeit. Es war DIE Uhrzeit, 20 Uhr. Das Ganze war durch die Presse angekündigt worden und ich musste

im Vorfeld viele Interviews geben. Als die Sendung begann war die Aufregung riesengroß. Zwischendurch dachte ich immer, dass ich in Ohnmacht falle. Ist Lampenfieber heute für dich noch ein Thema? In der Regel ist Lampenfieber im Zusammenhang mit der Tagesschau kein Thema mehr. Anders ist es, wenn ich zum Beispiel Gast in einer Talkshow bin. Da habe ich deutlich mehr Lampenfieber. Diese Anspannung, dieses leichte Herzklopfen muss aber sein, damit man sich nicht verspricht und damit man seinen Job gut macht. Bei der Tagesschau werde ich nur noch nervös, wenn die Beiträge der Korrespondenten nicht vorliegen oder wenn es technische Probleme gibt. Welche Gegenstrategien hast du, wenn dich doch mal das Lampenfieber packt? In einem solchen Fall hilft es, wenn ich mir Entspannung vorstelle. Ich sage mir dann, dass alles halb so wild ist und ich das Ganze nur für eine Person mache und nicht für zehn Millionen. Sich das während der Arbeit bewusst zu machen ist ohnehin sehr gefährlich. Als das Lampenfieber einmal ganz schlimm war, habe ich mir vorgestellt, dass gerade ein totaler Sende- oder Satellitenausfall ist und gar keiner zuschaut. Was war bisher der unangenehmste Moment in acht Jahren Tagesschau? Was war besonders peinlich oder schwierig? Inhaltlich schwierig war der Pfingstmontag 2009. Damals stürzte ein Air-FranceJumbo auf dem Weg von Rio de Janeiro nach Paris über dem Atlantik ab. Im Laufe des Nachmittags wussten wir dann, dass auch über 20 Deutsche an Bord waren. Die Bestätigung des Auswärtigen Amtes kam um 19.45 Uhr. In dem Moment wusste ich, dass ich derjenige bin, der diese Nachricht in Deutschland offiziell macht

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und dass sehr viele Angehörige, Freunde und Bekannte der Opfer gezielt die Tagesschau sehen werden, um Neues über das Unglück zu erfahren. In dieser Situation vor die Kamera zu treten war für mich zum ersten Mal richtig schwer. Mit wie viel Vorlauf liegen die Beiträge gewöhnlich vor? Passiert es dir auch, dass du einen Text lesen musst, auf den du noch überhaupt nicht vorbereitet bist? Das passiert. Die meisten Beiträge werden mit Vorlauf eingespielt. Wenn es sich aber um etwas ganz Aktuelles handelt, wie eine politische Entscheidung, dann wird ein Beitrag auch live in die Sendung gespielt oder im Laufe einer Tagesschau noch einmal zurück an den Ort des Geschehens geschaltet. In einem solchen Fall ändern sich die Positionen in unserem Sendecomputer und die neue Meldung erscheint. Auf solche Eventualitäten muss man vorbereitet sein. Grundsätzlich ist es kein Problem einen unbekannten Text vorzulesen. Das gehört mit zum Handwerk eines Sprechers. Wie wirst du informiert, wenn sich die Meldungsfolge der Sendung plötzlich ändert? Ich habe den berühmten Knopf im Ohr. Über eine Ringschaltung bin ich mit unserer Regie verbunden. Der zuständige Redakteur, Chef vom Dienst heißt der bei uns, aber auch die anderen Redakteure im Newsroom können mir wild ins Ohr quatschen. Das passiert, wenn Formulierungen geändert worden sind oder wenn ich Zeit verliere. Du hast dich schon sehr früh dafür interessiert, in die Medien zu gehen. Du hast ein Schülerpraktikum gemacht und später ein Volontariat. Was hat dich an der Arbeit in den Medien gereizt? Das kann ich bis heute nicht genau sagen. Als Kind fand ich es spannend, dass

es möglich ist, über weite Distanzen mit anderen zu kommunizieren. Mit vielen Menschen zu sprechen, ohne dass man rufen muss – das war der erste kindliche Gedanke, der dahinter stand. Die Medien haben mich auch gereizt, weil dort ungewöhnliche Charaktere arbeiten. Ich wollte auf ungewöhnliche Art mein Geld verdienen. Das war eine große Triebfeder. Meine erste Leidenschaft war das Radio. Ich wollte unbedingt Radiomoderator werden. Der Weg zum Fernsehen und zur Tagesschau war ein etwas längerer. Im Laufe meiner inzwischen 20-jährigen beruflichen Laufbahn hatte ich das Bild, Tagesschau-Sprecher zu sein, vor meinem geistigen Auge. Dass es irgendwann tatsächlich geklappt hat, hat mich sehr gefreut. Für mich sind viele berufliche Lebensträume damit schon in Erfüllung gegangen. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich kenne dich noch als Station Voice unseres Radiosenders. Du hast lange Jahre als Sprecher gearbeitet. Wie kam es dazu? Ich glaube, dass das ganz bestimmte Interessen sind, die jeder Mensch hat, der in den Medien arbeitet. Schreiben war für mich während meiner journalistischen Ausbildung immer nur die Pflicht. Ich fühlte mich immer zum Präsentieren berufen. Dabei war es mir egal, ob ich meine eigenen Texte gesprochen habe oder andere Menschen sie geschrieben haben. Ich fand es sehr reizvoll, mit der Stimme zu arbeiten und die Stimme als Instrument zu benutzen. Ich habe auch privat Stimmunterricht genommen und teilweise bis zum Exzess trainiert, weil ich unbedingt auch Werbung sprechen wollte. Das fand ich reizvoll und sexy. Viele Jahre war ich so etwas wie ein Fotomodell nur eben nicht mit dem Gesicht und dem Körper, sondern mit der Stimme.

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Welche Eigenschaften braucht man, um eine Karriere wie die deine zu machen? Offenheit. Auf Menschen zugehen können. Natürlich braucht man eine gewisse Kommunikationsfähigkeit. Sich begeistern lassen, aber auch andere begeistern können. Und natürlich Talent. Es geht nicht ohne Talent. Im Rückblick denke ich, dass bei mir ein starker Wille und eine hohe Zielstrebigkeit dazu geführt haben, dass ich meine Träume verwirklichen konnte.

Durch den Radsport habe ich ganz wundervolle Freundschaften und Bekanntschaften geschlossen. Ich lebe automatisch sehr gesund und mir geht es sehr gut durch den Sport.

Du arbeitest heute in einem Bereich, in dem ein Studium mittlerweile Zugangsvoraussetzung ist. Auf deiner Website habe ich gelesen, dass du ein einziges Mal eine Uni von innen gesehen hast und zwar als Besucher. Wie relevant oder entbehrlich ist deiner Meinung nach ein akademischer Abschluss für eine Karriere in den Medien? Um erfolgreich in den Medien zu sein, muss man das Leben studiert haben. Man muss mit vielen Menschen zusammengekommen sein. Ob man nun reist, feiert oder sich Gedanken macht. Für Erfolg in den Medien ist ein akademischer Abschluss nicht notwendig, es tut einer journalistischen Karriere jedoch gut. Vor allem, wenn man eine Führungsposition anstrebt, ist ein Studium Voraussetzung. Das gilt sowohl für die öffentlich-rechtlichen als auch für die kommerziellen Stationen. Ich selbst habe es mit Mitte zwanzig sehr bereut, dass ich nicht studiert habe. Meinen Kindern würde ich empfehlen zu studieren. Allerdings nicht in der Form, wie das an vielen staatlichen Universitäten in unserem Land läuft. Ich bin für ein kurzes und knackiges Akademie-Studium und sehr viel praktische Erfahrung. Ist eine Karriere wie die deine heute noch möglich oder war die Situation vor 20 Jahren einfach anders? Ich glaube schon, dass eine solche Karriere heute noch möglich ist. Es gibt viele

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Quereinsteiger. Viele Schauspieler oder Sportler geraten in Medienjobs und sind darin dann wirklich gut. Niemand hätte zum Beispiel gedacht, dass Ex-Fußballer Thomas Helmer ein so guter Sportmoderator sein würde. Vieles ist heute offener als damals. Auf der anderen Seite sind die Möglichkeiten, in den Job zu kommen heute schlechter. Die große Aufbruchsstimmung der 90er Jahre gibt es nicht mehr. Damals etablierten sich kommerzielle Radio- und Fernsehsender und überall boomte es. Heute sind die Sender an knallharter Rendite interessiert und Formate werden schnell wieder eingestampft. Du bist verheiratet und Vater von zwei Töchtern. Was ist dir in deiner Freizeit ganz besonders wichtig? Die Familie steht bei mir an erster Stelle. Das funktioniert nicht immer, aber ich verbringe so viel Zeit wie möglich mit meiner Frau und meinen Töchtern. Meine zweite Leidenschaft ist der Radsport. Radsport fasziniert mich, seit ich acht Jahre alt war. Jetzt habe ich zum ersten Mal Zeit, diese Leidenschaft richtig auszuleben. Ich bin Lizenzfahrer im Verein und fahre in der Amateurklasse Rennen. Durch den Radsport habe ich ganz wundervolle Freundschaften und Bekanntschaften geschlossen. Ich lebe automatisch sehr gesund und mir geht es sehr gut durch den Sport. Was hat dich daran gehindert, Profiradsportler zu werden? Meine Mama. Als ich mit zwölf solche Träume hatte und einem Radsportverein beitreten wollte, hat sie gesagt, dass das viel zu gefährlich sei und ich mir lieber was anderes suchen sollte. Ich bin Sohn einer Sportlehrerin. Dass eine Radsportkarriere damals nicht möglich gewesen ist, hat mich viele Jahre beschäftigt. Ballsportarten waren für mich keine Option, weil ich kein Ballgefühl habe. Dafür segle ich heute sehr gern und fahre einmal im Jahr zum Skilaufen. Außerdem spiele ich sehr schlecht Tennis. (lacht).

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Im Gegensatz zur Profilaufbahn ist eine Medienkarriere zeitlich nicht begrenzt. Die Tagesschau ist ein Format, mit dem man theoretisch in Rente gehen kann. Möchtest du noch weitere Facetten in deinem beruflichen Leben ausleben oder denkst du derzeit noch nicht daran? Ich denke viel darüber nach – auch, weil ich vor wenigen Wochen 40 geworden bin. Nach 20 Jahren im Beruf hat man meiner Meinung nach das Recht sich zu fragen, wie es weiter gehen und wo es hinführen soll. Ich habe in meinem beruflichen Leben selten auf das gehört, was andere gesagt haben und immer ungewöhnliche Entscheidungen getroffen. Deshalb schließe ich nicht aus, dass ich noch einmal eine Entscheidung treffe, die viele auf den ersten Blick gar nicht verstehen. Ich habe noch einige Wünsche, Ziele und Träume. Ganz aufgeben werde ich das Fernsehen wohl aber nicht. Was ist aus heutiger Sicht das spannendste Projekt für Dich im Jahr 2013? (überlegt) Das ist schwierig. Das spannendste Projekt 2013 bleibt das Werden und Wachsen meiner Familie. Wir bekommen aber keinen weiteren Nachwuchs. (lacht) Außerdem bin ich gespannt, ob sich auch in diesem Jahr so viele Türen in den Radsport öffnen, wie das in den vergangenen zwei Jahren geschehen ist.

Agil, wortgewandt und absolut herzlich – das ist Tagesschau-Sprecher Marc Bator privat. Ein Mann, der weiß, was er will und sagt, was er nicht will. Ein bekanntes Gesicht und dennoch ganz ohne PromiAttitüden.

www.marcbator.de


Fotos Oliver Reetz | Text Harriet Lemcke

Nick Howard „Voice-of-Germany“-Gewinner

Backstage mit

Mr. Sunshine Er ist smart, trinkt gern Tee und hat ein entwaffnendes Lächeln. Wenn der Brite Nick Howard über das ganze Gesicht strahlt, muss man ihn einfach sofort gern haben. Ich verstehe schnell, was den „Voice-of-Germany“-Gewinner zum absoluten Mädchenschwarm macht. Starallüren? Fehlanzeige! Nick wirkt ungekünstelt, sympathisch und sein britischer Akzent ist ziemlich sexy. Der 30-Jährige verkörpert das, was ihm zum Liebling jeder Frau und Schwiegermutter macht. Gerade zwei Wochen ist es her, dass Nick die zweite Staffel der Castingshow mit großem Vorsprung gewonnen hat, als wir ihn kurz vor dem Auftakt der Deutschland-Tournee backstage in den Katakomben der Hamburger O2 World treffen. Während mehr als 10.000 Fans in die Halle strömen, beantwortet er geduldig meine Fragen, macht Scherze und posiert vor der Kamera. Den Stress der letzten Wochen merkt man dem 30-jährigen quirligen Energiebündel dabei ebenso wenig an wie das Lampenfieber vor seinem ersten Live-Auftritt vor einem Massenpublikum. Im Gegenteil: Nick hat Spaß an dem noch ungewohnten Starrummel, freut sich auf die große Bühne, den Hype, seine Fans. Und während wir miteinander plaudern, warten die Kollegen anderer Blätter bereits auf dem Flur. Der Zeitplan des 30-Jährigen ist eng getaktet. Als neuer Star am Musikhimmel ist er extrem gefragt.

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Schon als kleiner Junge tr辰umte Nick von einer erfolgreichen Singer-Songwriter-Karriere und er hat hart daf端r gearbeitet. Wenn Nick Howard dar端ber spricht, wirkt er bescheiden, dankbar und gl端cklich.

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Nick, was hat sich in deinem Leben verändert, seit du „The Voice of Germany“ gewonnen hast? Es ist noch immer ein Traum für mich. Bevor ich mich bei „The Voice of Germany“ beworben habe, war ich ein IndependentMusiker und habe davon geträumt, jeden Tag viel Arbeit zu haben. Als Independent-Musiker habe ich versucht, jeden Tag einen Fan hinzuzugewinnen oder ein Interview zu geben. Seit ich nun das Finale von „The Voice of Germany“ gewonnen habe, habe ich viel Arbeit. Das ist toll. Mein Traum ist Realität geworden. Ich bin aber noch der gleiche Mensch wie zuvor. Du sagst, dein Leben hat sich komplett verändert und du hast jetzt jede Menge Arbeit. Wie sieht ein ganz normaler Tag im Leben von Nick Howard aktuell aus? Am Samstag nach dem Finale war ich um zehn Uhr im Studio und habe mein Album „My Voice Story“ fertig gestellt. Anschließend haben wir das Musikvideo zu meinem Song „Unbreakable“ gedreht. Am Sonntag hatte ich zwanzig Presse-Interviews, am Montag zehn. Am Dienstag dann war ich in Köln bei „TV Total“ mit Stefan Raab, einen Tag später in München, um noch mehr Interviews zu geben. Im Anschluss ging es nach Berlin. Dann hatte ich zwei Tage frei, um mit meiner Familie Weihnachten zu feiern. Und jetzt starten wir unsere Tour. Das ist aktuell eine Woche in meinem Leben. (lacht) Du hast 2008 und 2011 bereits zwei Alben herausgebracht. Wie lange machst du insgesamt schon Musik? Ich habe Gitarre gelernt als ich sieben Jahre alt war und mit 15 meinen ersten eigenen Song geschrieben. Ich wollte schon immer ein Musiker sein. Das war und ist mein großer Traum. Mit meinen ersten beiden Alben als IndependentMusiker hatte ich etwas Erfolg, vor allem hier in Deutschland. Die deutschen Fans waren die ersten, die meine Musik unter-

stützt und mir eine Chance als Musiker gegeben haben. Wie entsteht ein Song bei dir? Was verarbeitest du in deinen Songs? Mein erster Song war ziemlich schlecht. (lacht) Heute glaube ich, dass sich alle Leute in meinen Liedern wiederfinden können. Ich schreibe über das Leben als eine Reise und dabei geht es natürlich auch um Liebe. Ich schreibe über meine Erlebnisse und Emotionen und über das, was ich von anderen Menschen mitbekomme. Welche Geschichte liegt deinem Song „Unbreakable“ zugrunde? „Unbreakable“ ist ein Lied über mein eigenes Leben, über meine Reise als Musiker und als Mensch. Ich hatte den Text schon fast fertig, nur der Refrain und der Titel fehlten noch. Dann war ich in New York. Der Hurrikane „Sandy“ hatte großen Schaden angerichtet und ich habe die Entschlossenheit der New Yorker gesehen. Dabei ist mir dann der Titel „Unbreakable“ eingefallen. Er passte zur Situation, zum Song und zu mir. Hast du musikalische Vorbilder? Michael Jackson und Paul McCartney habe ich schon als Kind geliebt. Michael Jackson war ein super Performer. Paul McCartney ist auch heute noch meine Hauptinspiration. Du warst fünf Jahre in New York und hast viele Jobs gemacht, um dein Leben zu finanzieren. Wie war deine Zeit in New York? Ich habe Informatik studiert, weil ich gedacht habe, dass ich eine solide Ausbildung brauche. Ich habe in New York unter anderem als Projektmanager in einer IT-Firma gearbeitet – ein sehr langweiliger Job. Nebenher habe ich jeden Tag versucht, meine Musikkarriere voranzutreiben. Ich habe Songs geschrieben und im Studio gearbeitet. Das war stres-

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sig. Erste Erfolge stellten sich ein. Meine Songs liefen zum Beispiel in den USA in Fernsehserien. Im Jahr 2010 bin ich das Risiko eingegangen und habe alle meine Nebenjobs aufgegeben. Seitdem habe ich mehr als 200 Shows gespielt. Unter anderem war ich als Support-Act von „Boyce Avenue“ in Hamburg. Das war meine erste Show in Deutschland. Später habe ich hier eigene Shows gespielt und plötzlich hatte ich meine eigenen Fans. Du bist in Brighton geboren, hast in London und New York gelebt. Jetzt wohnst du in Berlin. Was findest du an Berlin so spannend? Berlin ist meiner Meinung nach aktuell das Zentrum von Kreativität weltweit. Schon bei meinem ersten Besuch habe ich mich in die Stadt verliebt. Ich liebe alle Städte in Deutschland. Berlin ist jedoch etwas Besonderes. Was wünscht du dir für 2013? Ich möchte viel Arbeit haben. Ich möchte super Musik schreiben. Tolle Lieder sind das Wichtigste, denn sie sind Voraussetzung für eine lange Karriere. Ich möchte viele Shows spielen und hoffe, dass mein Album gut ankommt und viele Fans in meine Konzerte kommen.

„Unbreakable“, der Song aus der zweiten „Voice-of-Germany“-Staffel geht ins Ohr und bleibt im Kopf. Seit Ende Januar 2013 ist das Debüt-Album „Stay Who You Are“ von Nick Howard auf dem Markt. Von dem 30-jährigen Wahl-Berliner werden wir ganz sicher noch eine Menge zu hören bekommen.

www.nickhowardmusic.com

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Fotos Oliver Reetz | Text Harriet Lemcke

MicHaeL MicHaLsky Modeschöpfer

Überflieger mit

bodenhaftung

„Wow“, denke ich, als unser Team die Michalsky Gallery in Berlin betritt. Alle Wandflächen des Ladengeschäfts am Potsdamer Platz 4 sind mit edlem Blattgold belegt und von der Decke hängen schwarze Bilderrahmen unterschiedlicher Größe. Die aktuelle Kollektion „Lust“ schmückt die Ankleidepuppen. Daneben sind in endlos hohen Vitrinen Dutzende Paar Sneaker ordentlich aufgereiht. Wie kaum ein anderer kombiniert der Designer gänzlich unterschiedliche Stile zu einem ganz eigenen.

1967 in Göttingen geboren und in der Nähe von Hamburg aufgewachsen, zog Michael Michalsky vor sechseinhalb Jahren nach Berlin, um dort seinen Traum von einem eigenen Mode- und Lifestyle-Label zu verwirklichen.

Über seine außergewöhnliche Karriere, über Visionen, harte Arbeit und den unbedingten Glauben an sich selbst plaudere ich mit ihm, während er auf einer Schaukel aus Plexiglas hin- und herschwingt, seine braunen Augen ruhelos durch den Raum gleiten lässt. Seine Hände halten keine Sekunde still und dieser Mann ist wach und ständig in Action wie es scheint.

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Michael, dein Label gibt es jetzt seit sechs Jahren. Du hast dir mit Mode einen Namen gemacht und seit Neuestem designst du auch Sofas. Wie kam es dazu? Ich hatte schon immer ein Faible für Interior Design – das sieht man auch an diesem Laden, den ich designed habe oder eben an der Catwalk-Bar, die im Mariott-Hotel ist. Möbeldesign hat mich schon immer interessiert und ich fand, dass neben Kleidung, Schuhen und Taschen – also allem, was wirklich mit Mode an sich zu tun hat – es auch logisch wäre, sich Gedanken zu machen, wie Räume aussehen, in denen meine Mode stattfindet. Und als Designer habe ich natürlich eine Meinung zu vielen Sachen und wie diese aussehen könnten. Außerdem sind Möbel ja wie Kleidung für die Wohnung. Also definierst du dich nicht ausschließlich als Modedesigner, sondern mittlerweile eher als Designer. Schon als Modedesigner, aber mein Ziel war immer, ein Lifestyle-Label zu kreieren. Und zu Lifestyle gehört neben der Art und Weise wie ich mich kleide auch wie ich lebe. Da finden interessante Trends statt. Es gibt auch nicht nur zwei Saisons – Frühjahr/Sommer und Herbst/ Winter – Trends sind im Produktdesign langlebiger. Das ist eine schöne Aufgabe für einen Designer. Dein Motto ist „real clothes for real people“. Was ist die Überlegung dahinter, die Philosophie? Die Philosophie dahinter ist, dass ich tragbare Mode machen möchte. Natürlich habe ich bei einer Fashion-Show auch außergewöhnliche, experimentelle Stücke, um eine Idee in einer noch extremeren Form zu transportieren. Aber letztendlich möchte ich Kleidung machen, für die es auch Kunden gibt und in der sich die Menschen wohlfühlen. Das war mir von Anfang an ganz wichtig und da bekomme ich auch ein gutes Feedback von den Leuten. Mir wird oft gesagt: ‚Die Jacke, die ich bei dir gekauft habe, ist meine absolute Lieblingsjacke. Die habe ich jetzt schon ein bisschen länger und deshalb – ich suche gerade einen Mantel – komme ich zu dir.’ Mir ist auch wichtig, dass die Kleidung die Person nicht overpowered, also nicht zusammendrückt und die Person dann nur noch eine Kleiderstange ist. Mir ist ganz, ganz wichtig, dass Menschen durch meine Kleidung ihre Individualität ausdrücken.

Es war mir klar, dass ich Designer werden will und wenn es geht natürlich ein erfolgreicher und bekannter und das habe ich auch allen Leuten immer erzählt.

Deine neue Frühjahr-/Sommerkollektion 2013 heißt „personal sunshine“. Kannst du dazu ein bisschen was sagen? Meine Kollektionen haben immer ein Thema. Ich greife etwas aus meinem Leben auf und finde meist das Richtige, das viele Leute berührt. Ich informiere mich sehr intensiv, lese viel, bin viel im Internet. Während ich die Kollektion designed habe, habe ich fest gestellt, dass Menschen wieder anfangen, sich auf wahre Werte zu beziehen. In Zeiten, in denen es ein bisschen nach Krise riecht und viele Menschen 500 oder mehr Freunde auf Facebook haben, fragen sie sich: ‚Wer sind meine wahren Freunde?’ Zwischenmenschliche Kontakte mit Freunden, Familie oder familienähnlichen Verbünden sind wieder wichtiger

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geworden. Und ich habe in meinem Freundeskreis auch festgestellt, dass es eine Rückbesinnung gibt. Und wie drückt sich das dann konkret in der Mode aus? Das Thema dient als Inspiration für die Mode und spiegelt sich in vielen Details. Ich kreiere zum Beispiel jede Saison auch einen eigenen Druck. Diesmal gibt es einen Blumendruck in Pastelltönen. Pastellfarben habe ich in der Vergangenheit noch nie so richtig benutzt. Die Kollektion hat viele Pastelltöne, ist also sehr fröhlich, sehr uplifting. Und das passt dann wieder zum Thema „personal sunshine“. Du bist bekannt dafür, dass du verschiedene Stile miteinander kombinierst und daraus etwas ganz Eigenes schaffst. Welchen Stil trägst du selbst am liebsten? Ich trage, was ich designe: sehr eklektisch. Meine Mode hat auch immer einen gewissen Sportsware-Anteil. Ich mache Sneaker, weil ich aus dem Sportbereich komme. Ich trage sehr viel T-Shirts. Inzwischen trage ich auch Hemden – dann aber eher casual. Ich bin ein absoluter Jeansfan, das ist fast ein bisschen meine Uniform. Und ich mische verschiedene Stile gerne bunt zusammen. Also ich ziehe, wenn ich zu einem Event gehe, auch zum Smoking Sneaker an. Hast du eine Lieblingsfarbe? Ich liebe ein ganz, ganz tiefes Dunkelblau, fast schwarz. Dark Navy heißt das bei mir in der Kollektion. Das finde ich sehr schön. Natürlich trage ich auch gerne schwarz, aber so seit ein, zwei Jahren stehe ich verstärkt auf dunkles Blau. Du hast jetzt schon ganz viele verschiedene Dinge designed von Mode über Taschen, du hast mit Sony zusammengearbeitet und hast eine Bar entworfen. Was inspiriert dich? Mich interessieren viele Sachen, aber am meisten bin ich inspiriert von Musik. Ich liebe Musik. Ich höre auch den ganzen Tag Musik – von morgens bis abends. Musik ist auch immer ein wichtiger Bestandteil meiner Modepräsentationen. Wenn ich die StyleNite mache, habe ich da oft Musik-Acts, die ich cool finde. Ich lade Bands ein, die ich einer breiteren Masse zugänglich machen will oder die mich in der Vergangenheit inspiriert haben. Bei mir hatte zum Beispiel Lady Gaga ihren ersten Auftritt außerhalb der USA und Hurts hatten ihren allerersten Auftritt überhaupt auf der StyleNite. Musik inspiriert mich, weil Musik immer Ausdruck von Jugendkultur ist und Jugendkultur interessiert mich einfach. Ich gehe gerne in Clubs und kaufe unheimlich viel Musik. Ich bekomme auch oft Musik geschenkt, weil ich viele Musiker im Freundeskreis habe. Und dann inspiriert mich Streetlife und Jugendkultur: Wie sehen die Leute auf der Straße und in den Clubs aus? Du hast innerhalb von nur sechs Jahren ein komplettes Label aufgebaut und bist dabei, einen kompletten Michael-Michalsky-Lifestyle zu kreieren. Wie schafft man das? Was macht

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dich so erfolgreich? (überlegt) ... Dass ich versuche, meine Träume zu verwirklichen und ein unheimliches Durchhaltevermögen habe. Wenn ich mir etwas vornehme, dann versuche ich das auch zu erreichen. Und wenn das auf Weg A nicht klappt, dann überlege ich mir Weg B. Und wenn Weg B nicht klappt, überlege ich mir Weg C. Und, was noch dazukommt: Ich habe einen Partner, mit dem ich zusammen arbeite und der sich um den ganzen Business-Aspekt kümmert. Tja und dann habe ich eine Vision oder einen Traum, den ich schon längere Zeit habe und versuche den zu verwirklichen. Ich habe das Gefühl, dass ich was anzubieten habe. Meine Vision davon, wie bestimmte Sachen aussehen sollen oder wie sie aussehen könnten und meinen bestimmten Stil und meinen Geschmack.

Was würdest du jungen Designern mit auf den Weg geben, um genauso erfolgreich zu werden? Die jungen Leute sollten überlegen, ob das, was sie machen wollen, eine Leidenschaft von ihnen ist. Ich glaube, dass man nur in dem gut ist, was man aus Leidenschaft macht. Wenn es eben mehr als ein Job ist und wenn man dafür brennt. Man braucht Durchhaltewillen, weil es gerade in kreativen Berufen sehr viele Leute gibt, die das auch machen. Es ist kein nine-to-five-job. Weil man nicht garantieren kann, dass in dieser Zeit die Idee kommt. Ideen kann man ja auch Samstagmittag haben, oder wenn man abends ausgeht, oder wenn man im Museum ist. Wenn man eine Designlaufbahn einschlägt, muss man sich von dem Gedanken frei machen, dass man nur entwirft: Interviews geben gehört genauso dazu wie ein Team zu führen, sich darum zu kümmern, wo die Waren herkommen, wie diese beschaffen sind, was sie kosten. Man kann nicht nur designen. Und das muss man wirklich wollen. Das klingt nach verdammt viel Arbeit. Wie viele Stunden arbeitest du in der Woche? Das kann ich nicht sagen. Es ist auch egal. Bei mir gehen Privat- und Arbeitsleben ineinander über. Ich unterscheide nicht zwischen Arbeit und Freizeit. Wenn ich im Urlaub bin, denke ich genauso an die Mode wie wenn ich im Atelier sitze. Nur die Ausseneindrücke sind andere. Du hast gesagt: Seit du ein kleiner Junge warst, wolltest du diesen Job machen. Ich hab gelesen, Karl Lagerfeld hat dich inspiriert. Ja, ich bin auf dem Land aufgewachsen und war schon als Jugendlicher sehr interessiert an Informationen. Ich habe mich sehr für Kunst, Mode und Musik interessiert. Meine Eltern hatten den „Stern“ abonniert und den habe ich donnerstags nach dem Mittagessen immer in mich rein geschlungen. Zu dem Zeitpunkt konnte ich mir noch nicht vorstellen, dass es den Designer-Beruf gibt und was das ist. Und dann habe ich einen Artikel über Karl Lagerfeld gelesen, der damals noch

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Chef-Designer bei Chloé war. In der Reportage wurde gezeigt, wie eine Kollektion entsteht, wie eine Fashion-Show abläuft und was Karl Lagerfeld für ein Typ ist. Ab dem Augenblick wusste ich: Das, was der macht, das möchte ich auch mal machen. Es gab keinen alternativen Berufswunsch? Nein, eigentlich nicht. Es war mir klar, dass ich Designer werden will und wenn es geht natürlich ein erfolgreicher und bekannter und das habe ich auch allen Leuten immer erzählt. Das haben die Leute natürlich immer ein bisschen abgetan, weil sich das niemand so richtig vorstellen konnte. Nun ist es wirklich so gekommen. Wie wichtig sind Freunde und Familie für dich? Die Menschen, die immer an dich geglaubt und dich unterstützt haben? Natürlich kann ich das, was ich heute bin, nur sein, weil mir meine Eltern eine Erziehung und Bildung haben zukommen lassen und mir dadurch sehr viel ermöglicht haben. Ich komme aus einem ganz normalen bürgerlichen Haushalt. Von meinen Eltern habe ich mitgekriegt, dass man das, was man machen möchte, richtig machen muss. Und sie haben mir das auch ermöglicht. Ich konnte Abitur machen und in London studieren. Sonst wäre ich nicht da, wo ich heute bin. Freunde sind mir auch extrem wichtig. Mit vielen Leuten bin ich schon sehr lange befreundet. Sie haben auch meinen ganzen Werdegang begleitet – meine alten Jobs bei Levi´s oder Adidas. Ich habe auch einen ganz engen „circle of friends“, wie man auf Englisch sagt. Was war ausschlaggebend für die Entscheidung nach Berlin zu gehen? Ich finde, dass Berlin im Augenblick eine der spannendsten Städte überhaupt ist und das wird auch noch lange so sein. Ich wohne nun seit sechseinhalb Jahren hier und ich finde, in dieser Zeit ist es eine komplett andere Stadt geworden. Hier passiert immer noch viel. Berlin ist ein bisschen wie New York City. New York ist zwar in Amerika, aber es ist nicht Teil von Amerika. Und Berlin ist zwar in Deutschland, aber eine sehr kosmopolitische Stadt. Hier können eigene Ideen gut reifen. Es ist sehr inspirierend, wie die Stadt zusammengesetzt ist und welche Menschen hier arbeiten und leben.

Ich finde, dass Berlin im Augenblick eine der spannendsten Städte überhaupt ist und das wird auch noch lange so sein. Berlin ist ein bisschen wie New York City. New York ist zwar in Amerika, aber es ist nicht Teil von Amerika. Und Berlin ist zwar in Deutschland, aber eine sehr kosmopolitische Stadt. Hier können eigene Ideen gut reifen. 10

Du vermarktest dich sehr geschickt. Du kreierst Events und du arbeitest mit Prominenten. Eigentlich könnte ich jetzt sagen: Du hast alles erreicht. Was für Ziele hast du noch? Ich habe nicht alles erreicht. Ich möchte, dass Michalsky ein international erfolgreiches Lifestyle-Label wird und dass moderne, urbane Mode aus dem neuen Berlin weltweit Anerkennung findet. In vielen Bereichen bin ich noch ganz am Anfang. Im Interior-Bereich möchte ich noch mehr machen und ich möchte vielleicht einmal eine eigene Kids-Kollektion designen. Auch die Designaufträge in anderen Bereichen machen sehr viel Spaß. Da möchte ich noch mehr machen.

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Klingt alles nach verdammt viel Arbeit, nach ganz vielen Plänen, nach großen Visionen. Wie entspannst du dich, wenn du mal nicht arbeitest? Dadurch, dass ich immer meine Augen und Ohren offen halte, meinen Kopf nicht abschalte und am Leben teilnehme, arbeite ich eigentlich immer. Das hört sich jetzt alles stressig an. Natürlich ist es das, aber das ist alles positiver Stress. Ich arbeite in dem Job, den ich mir selbst ausgesucht habe. Wie viele Leute können das schon von sich sagen? Vor allem arbeite ich auch mit den Leuten, die ich mir ausgesucht habe. Deshalb empfinde ich das nicht als Last. Natürlich entspanne ich auch manchmal. Die größte Entspannung ist für mich, mit meinen engen Freunden zusammen zu sein und dann in ein Restaurant zu gehen, zusammen zu kochen oder abends auszugehen. Im Sommer fahre ich auch gern für ein Wochenende nach Ibiza. Das ist für mich Entspannung. Nicht aber, zwei Wochen in ein Kloster zu fahren und zu schweigen. (lacht) Es gibt ja Leute, die machen sowas.

Umtriebig, zielstrebig und so gar nicht abgehoben. Michael Michalsky ist trotz seiner steilen Karriere erfrischend bodenständig und authentisch. Er macht Lust auf Mode und zeigt, dass man alles erreichen kann, wenn man für eine Sache wirklich brennt. Mich hat dieser quirlige und doch extrem aufmerksam wirkende Mann beeindruckt. Seine Energie ist einfach ansteckend. Alles zu seiner Person und zu seiner aktuellen Kollektion „Lust“ auf www.michalsky.com.

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