TREIB.GUT no6

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Lokales: Das Recht auf Wasser / Ausblicke: Die Stadt ausloten Vanishing Garden / Harbourium: Der Hase im Flieger DAS UNABHÄNGIGE HAFENJOURNAL N°̄ 66 6

2018

6 Giblinge / 6 Talente / 6,66 Euro


Impressum TREIB.GUT HERAUSGEBER:

SCHWEMMLAND Lebensräume eröffnen, vermitteln und bewahren. Estermannstr. 11 A-4020 Linz Gemeinnütziger Verein ZVR-Zahl: 849761266 Spenden an: IBAN: AT811500000751093030 BIC: OBKLAT2L VERLEGER: Christoph Wiesmayr Fadingerstr. 17/Top 2 A-4020 Linz CHEFREDAKTION: Christoph Wiesmayr LAYOUT+SATZ: Daniela Waser DIE BUGSEITE: Projekt „Donauinsel“ von Architekturkollektiv GUT TITELSEITE: Collage: Constanze Feitzlmayr LEKTORAT: David Zacher, www.arch2media.at

DRUCK: Colour & Point e.U. Derfflingerstraße 12, A-4020 Linz KONTAKT: SCHWEMMLAND-Zentrale Estermannstr. 11, A-4020 Linz schwemmland.net info@schwemmland.net VIELEN DANK AN: Gedruckt mit Unterstützung der Kunstuniversität Linz Architektur | Urbanistik OFFENLEGUNG: Offenlegung nach §24 Medienrecht. TREIB.GUT ist ein unabhängiges Hafenmagazin für subversive Stadtentwicklung mit regionalen und internationalen Beiträgen.


Editorial

Stadt im Fluss Einem Verständnis von Resilienz auf der Spur Wenn sich Personen trotz gravierender Belastungen oder widriger Lebensumstände psychisch gesund entwickeln, spricht man von Resilienz. Der Begriff leitet sich aus dem Englischen „resilience“ ab und bedeutet „Spannkraft, Widerstandsfähigkeit und Elastizität. Damit ist die Fähigkeit eines Individuums gemeint, “erfolgreich mit belastenden Lebensumständen u. negativen Stressfolgen umgehen zu können. (Wustmann 2004, 18) Aktuell gibt es auch in Architekturfachkreisen Diskurse zu „Resilienz“. Man spricht hier hauptsächlich von (krisen-) wi­derstandsfähigen Gruppierungen, Einheiten, Quartieren, oder auch Städten. Meist ausgehend und angetrieben von einer aktiven Gruppe oder Gemeinschaft, die sich für ihre Umgebung einsetzt und gegen widrige Einflüsse von Aussen kämpft oder ihre Umgebung - aus ihrer Sicht - fitter und lebenswerter für die Zukunft gestaltet. Nennenswert dafür sind etwa autarke Selbsversorgergruppen, Subsistenzgemeinschaften oder neue Lebensmittelproduktionsformen in Detroit, welche als einzig nötige Resultierende aus der Automobilkrise ihrer Stadt zu begreifen sind. Andererseits steht die AktivistInnengruppe des Gängeviertels in Hamburg, die sich - als Inbegriff dessen, was Bürger für ihre Stadt zu bewegen vermögen - für ihren Kiez einsetzt.

Eine andere Sichtweise auf die Stadt Möchte man die Stadt als Organismus betrachten, begibt man sich in ein hochkomplexes Spannungsfeld. Hauptbestandteile eines „Gefüges“ von „Stadt“, wie beispielsweise die Gesellschaft, deren Interaktionen zur urbanen Topographie und äußerer Einflüsse sind schwer in Verbindung zu verstehen, deshalb auch schwer „planbar“. Leichter ist es hingegen, die Stadt und deren Probleme punktuell zu betrachten und von einer engeren Sichtweise aus zu handeln. Oft fehlt jedoch der Blick auf das Ganze und dessen Wechselwirkungen, insbesondere auf die Verbindungen von innen nach außen. Dies ist in einer bereits globalisierten Welt ein aufwändiger Akt, dem sich kaum jemand zu stellen vermag. Dieser Aspekt wäre aber zu hinterfragen, wenn man es mit der eigenen Stadt und dessen Entwicklung ernst meint. Es bräuchte Prozesse, die die ganze Stadt und ihr Umfeld miteinbeziehen. Gesucht ist also eine „resiliente“ Stadtplanung für die nächsten Jahre und damit auch für die nächsten Generationen. Punktuelle Eingriffe können zwar vor Ort eine gewisse Befriedung hervorrufen aber das ganzheitliche Problem einer Stadt ist deswegen nicht behoben. Dabei kann es zu schmerzhaften Auswirkungen oder sogar zu einem Totalversagen des Gesamtgefüges „Stadt“ kommen. Der Stau auf der Stadtautobahn, die aufgrund falscher Verkehrspolitik damit einhergehende Luftverschmutzung oder die aktuelle Hochhausdebatte zeigen eine verengte Sicht auf die Dinge. Eine alternative Auseinandersetzung zur Gesundung der Stadt wäre dabei ein spannender Denkansatz. Die Stadt ist für mich ein Abbild ihrer Gesellschaft, sie erscheint, wie sie eben tickt. Wenn ein Patient Pillen schluckt, so wird die Ursache nicht behoben. Man glaubt an den Arzt und nicht mehr an sich selbst. Man übergibt die Verantwortung über die eigene Gesundheit an jemand anderen weiter. Was hindert uns also daran, aktiv Anteil an unserer Stadt zu nehmen? Die Entwicklung von Gemeinschaftsgärten in den letzten Jahren zeigt hier neue Möglichkeiten, sich in der Gestaltung einer vitaleren Umwelt mit einzumischen, auch wenn die Verantwortlichen der Stadtplanung - trotz positiven Gemeinderatsbeschlusses - wenig dafür halten und öffentliche Freiflächen für neue Gemeinschaftsgärten weiter blockieren. Diese Ausgabe legt den Fokus jedoch auf den Fluss, jene besondere Hauptschlagader, welche die Stadt von aussen her verknüpft und mit anderen Kulturen, Gesellschaften und anderen Städten verbindet. Der Fluss, der als elastisches, verbindendes Element auch nach „Innen“ wirkt. Diese Ausgabe ist ein Versuch, „Resilienz“ vom Fluss her zu denken. Die Kunstuniversität Linz, Abteilung Urbanistik, hat im Sommersemester 2017 utopische Zukunftsszenarien für die Stadt am Fluss ausgedacht und ausgearbeitet. Das Architektenkollektiv „GUT“ hat die Idee einer „Donau-Insel“ für Stadt eingereicht. Der argentinische Künstler Martin Benavidez hat einen Vergleich zwischen São Paulo und Linz an der Donau angestellt. Jenen außerordentlichen Ideen engagierter Menschen für „Ihre“ Stadt am Fluss sei diese Ausgabe gewidmet. Die Ausgabe 6,6° steht nun mit ihrer Neuerscheinung an einem Wendepunkt. Die topographischen Messgeräte wurden neu geeicht, aus- und eingerichtet, um resilient ein Stück weiter, in eine ungewisse Zukunft zu navigieren. Also: Treib.Gut! Euer lentos benthos

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no is re Vl an oi ta cu dE SG

Gewerbe Stadtgebiet Wald Gewässer Gewerbe

Hügel

Stadtgebiet Gewerbe

Grünfläche

Stadtgebiet Wald

Augebiet

Gewässer Wald

Projektgebiet

Hügel Gewässer Grünfläche Hügel

Industrie

Augebiet Grünfläche Projektgebiet Augebiet Projektgebiet Industrie Industrie

Lageplan Linz mit Donauverlauf von Puchenau bis zur Traunmündung.


Inhalt TREIB.GUT MAGAZIN #6

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Lokales – Das Recht auf Wasser Arbeiten Studierender der Kunstuniversität Linz, Abteilung Architektur | Urbanistik, Intro von Lars Moritz,

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Ausblicke – Die Stadt ausloten OFF-Kultur und Resilienz − eine Annäherung von Christoph Wiesmayr

Die Bug-Seite Projekt „Donauinsel“ vom Architekturkollektiv GUT

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Ausblicke Klaus Elmecker zum Aufbau einer Ethik der Verantwortung

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gegenüber der Landschaft Notizen an den Ufern des Tietê und der Donau von Martin Benavidez

Der prominente Leerstand Vanishing Garden

Harbourium Industriegebiet, Segelflugplatz. Tanja Brandmayr

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Lob an die rurbane Nische

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Stadtbild~Hafen

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Ecke Linke Brückenstrasse/Kaltenhauserstrasse


Lokales – Das Recht auf Wasser

Das Recht auf Wasser Ein Projekt von Studierenden der Abteilung Architektur, Urbanistik, Kunstuniversität Linz Intro von Lars Moritz, Projektbetreuung Sabine Pollak, Lars Moritz, Susi Jirkuff

Die Zukunft von Linz liegt an, auf, in und über der Donau In den Steilhängen des Donaufufers zwischen Puchenau und Linzer City sind Terrassensiedlungen entstanden. Die Gegend des Winterhafens ist überschwemmt, künstliche Inseln und ein Netz von Stegen und Pontons haben städtisches Leben am und im Wasser hervorgebracht. Etwas weiter flussabwärts leben die Linzer_innen in filigranen Wohntürmen, umgeben von Parks und Gärten, die auf den Dächern von Lager- und Produktionshallen angelegt wurden. In den Ruinen der industriellen Produktion auf dem Voest-Gelände haben sich neue Wohn- und Lebensformen eingenistet. An der Traunmündung wachsen riesige Seerosen über den Fluss: Willkommen in Linz an der Donau, willkommen in der Zukunft. Die Zukunft von Linz an der Donau war Thema des Semesterprojektes „Schiffe, Fische, schwimmende Häuser“ der Abteilung Architektur|Urbanistik im SS 2017. Fünf Gruppen von Studierenden beschäftigten sich mit der Frage, wie sich entlang der Donau neuer Wohnraum für ungefähr 10 000 Menschen schaffen lässt, um der – so das vorgegebene Szenario – Linzer Bevölkerung im Jahr 2035 gewachsen zu sein. Wie könnte das Leben am Fluss, das Leben am, auf, unter und im Wasser aussehen? In vielen Städten wurden in den letzten Jahren Flächen am Wasser entwickelt: In Hamburg entstand auf den Flächen der ehemaligen Spei­ cherstadt die Hafencity, in Frankfurt wurde aus dem Westhafen am Main eine schicke Wohn- und Geschäftsgegend, in Belgrad wird mit dem Kapital von Investoren aus Abu Dhabi die "Belgrad-Waterfront" geplant, selbstverständlich inkl. Shoppingmall und Wolkenkratzer. Problematisch erscheint bei diesen Projekten folgendes: in ihnen manifestiert sich – unabhängig von ihren architektonischen Qualitäten – das, was man mit Henri Lefebvre die Herrschaft des Tauschwerts über das Urbane nennen könnte. Leben am Wasser

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und grundsätzlicher der Zugang zum Wasser werden in den Städten zunehmend exklusiv (und – wie mittlerweile etwa in Hamburg und Belgrad zu beobachten – zum stadtpolitisch umkämpften Terrain). Das Szenario für ein zukünftiges Leben an der Donau verfolgte dagegen eine andere Idee: Die Städtebaulichen Entwürfe sollten – wiederum in Anlehnung an Henri Lefebvre – die Forderung nach einem „Recht auf Stadt“ erfüllen und dieses Recht auch als ein „Recht auf Wasser“ begreifen. Das Recht auf Stadt bedeutet für Levebvre ein Recht auf Teilhabe an den Institutionen und Einrichtungen des urbanen Lebens, was im Hinblick auf das Wasser sowohl einem Recht auf Wasserversorgung als auch einem Recht auf Zugang zu den städtischen Fluss- oder Meeresufern entspricht. Nach Lefebvre lässt sich das Recht auf Stadt nur durchsetzen, wenn die Stadt durch eine urbane Revolution aus der Herrschaft des Tauschwerts (der Spekulation, des Warenkonsums, des Wohnungsmarktes usw.) befreit wird. An die Stelle der Stadt als Produkt tritt die Stadt als Werk, die Stadt als Oeuvre: Eine Stadt mit Gebrauchswert, eine Stadt, die dazu da ist, von ihren


Inselstadt, Projekt von Constanze Feitzlmayr, Jenny Huynh-Minh und Mario Buchberger

BewohnerInnen benutzt zu werden, eine Stadt, in der die menschlichen Bedürfnisse und Sehnsüchte befriedigt werden. Das Œu­v­re Stadt ist eine Art permanentes künstlerisches Experiment ohne Zuschauer, dafür aber mit sehr vielen Beteiligten. Und als ein solches sollte Linz an der Donau entwickelt werden. Der Einsatz von Szenarien wirft immer das Problem auf: Wie möglich ist die imaginierte Zukunft? Ist es Potenzial oder schon Utopie? Und was passiert mit all dem, was heute da ist und was wir in Zukunft vielleicht gar nicht mehr brauchen können (egal ob das der architektonische Bestand oder die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse sind)? Um die Phantasie nicht unnötig zu beschränken, stand es den Projektteilnehmer_innen frei, aus der Gegenwart zu übernehmen, was ihnen wichtig war und bestimmte Entwicklungen (Der Wasserpegel der Donau steigt, Die Voest AG verlässt Linz) als Realität zu behaupten, auch wenn alles wie immer auch ganz anders kommen könnte. Szenarien

Ausbildung statt Abschiebung Im Jahr 2020 werden der Wirtschaft in Oberösterreich 29.000 Fachkräfte fehlen. Gleichzeitig schiebt man Lehrlinge ab. Zivilgesellschaft und Wirtschaft stemmen sich gegen diese Abschiebungen unserer künftigen Fachkräfte. Jetzt online unter ausbildung-statt-abschiebung.at • Petition unterschreiben, • auf Unternehmensplattform eintragen, • als Gemeinde mitmachen.

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Unternehmerin Sylvia Hochstöger kämpft für ihren Lehrling Shafiqulla Shinwari.

verlangen aber immer – und darin unterscheiden sie sich in gewisser Weise von der Utopie – nachvollziehbar aus der Gegenwart und in Reaktion auf diese entwickelt zu werden. Und genau dies führt dazu, dass das zukünftige Linz an der Donau gleichzeitig ganz anders als das heutige Linz ist und trotzdem möglicherweise gar nicht so weit weg vom heutigen Linz sein wird. Die fünf Stadtentwürfe, die Rahmen des Projektes an der Kunstuniversität entstanden, behandeln unterschiedliche Abschnitte der Donau, von Puchenau bis zur Traunmündung. Ein Abschnitt grenzt an den nächsten und so entsteht ein facettenreiches Bild unterschiedlicher, nebeneinander und miteinander existierender Zukünfte, denen gemeinsam ist, die Donau als neues städtisches Zentrum und auch als alltäglichen Verkehrsweg zu denken. Dass es mal ein Linz neben der Autobahn gab, in dem die Autos alles und das Wasser nichts bedeutete, ist dann nur noch eine seltsame Episode aus einer fernen Vergangenheit.

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Lokales – Das Recht auf Wasser

Donau Aufwärts Ein Projekt von Su-Mara Kainz, Cornelia Kriechbaumer, Bilge Genctürk, Eva Schmolmüller

Eine radikale Verschiebung ermöglicht ein neues Verhältnis von Natur- und Stadtraum: An den heute unbebauten Steilufern - nur ein paar hundert Meter flussaufwärts der Nibelungenbrücke - entsteht ein neuer Stadtteil, während die Natur sich rund um die Donaulände mitten in der Stadt ausbreitet. Leben zwischen Natur und Urbanität - mit Blick über den Fluss - ist nicht länger mehr nur jenen vorbehalten, die sich die hohen Wohnkosten im heutigen Puchenau leisten können. In den Stein gegrabene Höfe, auskragende Terrassen und Laubengangerschließungen bieten unterschiedliche Ausblicke und Bezüge zu Berg und Donau. Eine schnelle, vertikale Erschließung sowie Zug- und Bootslinien verbinden die terrassierten Wohngebiete mit den bestehenden Siedlungen und der Linzer Innenstadt. Der Weg in die Stadt führt entlang der Ufer oder übers Wasser. An den Knotenpunkten dieser neuen Verkehrswege entstehen kleinere Zentren und Communities.

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Lokales – Das Recht auf Wasser

Linz ’68 Ein Projekt von Angelika Heinzl und Judith Kinzl

Linz `68 geht von der Annahme aus, dass nicht nur der Meeresspiegel, sondern auch der Pegel der Donau steigt. Und wenn im Jahr 2068 das Wasser kommt und alles überschwemmt, arrangiert sich das urbane Leben mit den neuen Bedingungen: Auf Wohninseln lebt man im, auf und unter dem Wasser. Die Wohninseln sind von einer schwimmenden Struktur umgeben, die sich ständig wandelt, sich verformt, sich langsam im Strom wiegt oder schnell bewegt. Egal ob Wasserratte- oder Landbewohner_in, jede und jeder kann sie sich aneignen. Das Wasser schafft einen neuen Möglichkeitsraum, im Sinne der "Si­tuationistischen Internationalen": eine andere Stadt für ein anderes Leben. Vom alten Linz rund um den Winterhafen ist nicht mehr viel übrig. Nur ein paar kreisrunde Ausschnitte der alten städtischen Strukturen werden bewahrt.

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Lokales – Das Recht auf Wasser

Nadel und Faden Ein Projekt von Thomas Gimpl, Moritz Korb, Patrick Schauer und Patrick Schickinger

Flussabwärts des Handelshafens, zwischen Industriezeile und Donauufer gibt es heute vor allem Gewerbe- und Industriebetriebe mit größeren und kleineren Hallen, LKW-Verkehr, Parkplätze und - außerhalb der Kleingartenanlagen kaum Alltagsleben jenseits der Arbeit. Der Fluss ist nur schwer zugänglich, was schön für die Biber in den Auen – und nicht so schön für Linz ist. In Zukunft wird die Schnittstelle zwischen dem Naturraum der Donau und dem Stadtraum der Industrieanlagen zur Keimzelle eines neuen Stadtteils. Zwei gegensätzliche Landschaften verbinden und trennen sich. Dachgärten und Stege vernetzen die Dächer der Industrieanlagen, führen weiter zu einem weitläufigen Damm und erstrecken sich über die Baumkronen der Auwälder bis hin zum Fluß. Vereinzelt sprießen zarte Türme zwischen dichten Bauten und unwegsamen Wäldern in die Höhe.

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Lokales – Das Recht auf Wasser

Industriestadt Ein Projekt von Florian Dessl, Julian Stepper, Doris Lang

Nehmen wir einmal an, das Unvorstellbare würde doch passieren und die Voest den Standort Linz auflassen. Was passiert mit den riesigen Hallen, den Hochöfen, Förderbändern, Eisenbahnanlagen und Schubschiffen? In den Hinterlassenschaften und Ruinen des Industriezeitalters entsteht eine neuer Stadtteil. Die Bewohner_innen nisten sich in den Überresten ein, nutzen sie um und verwenden sie für ihre eigenen Zwecke. Möglichst viel der vorhandenen Strukturen bleibt erhalten, die Eingriffe sind so klein wie möglich. Die Hallen werden zu überdachten Siedlungen, aus den Eisenbahngleisen werden Kanäle, die Förderbänder zum Transportmittel. Wo gerade noch Stahl gekocht wurde, wird jetzt Urbanität produziert.

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Lokales – Das Recht auf Wasser

Inselstadt Ein Projekt von Constanze Feitzlmayr, Jenny Huynh-Minh und Mario Buchberger

Am südlichen Ende des heutigen Voest-Geländes, kurz vor der Traunmündung, überspannen zahlreiche, an riesige Science-Fiction-Seerosen erinnernde Plattformen den Fluss und verbinden Linz, Steyregg und die Solarcity miteinander. Die teils dicht bebauten künstlichen Inseln verbinden sich zu einem neuen Stadtteil für das Leben über dem Fluss. Ein großer Markplatz ist der Mittelpunkt des neuen Gemeinwesens. Ein geschwungener Weg verbindet die Inseln und ermöglicht die Überquerung der Donau, doch vor allem dient er der Entschleunigung. Autos gibt es hier natürlich nicht, auch hier ist die Donau die wichtigste Verbindung zur Linzer Innenstadt. Geschätzt wird der neue urbane Lebensraum von seinen Bewohner_innen auch deshalb, weil die Naturschutzgebiete entlang der Traun und am östlichen Donauufer beim Bau des neuen Stadtteils unbehelligt geblieben sind.

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Ausblick – Die Stadt ausloten

Die Stadt ausloten OFF-Kultur und Resilienz − eine Annäherung von Christoph Wiesmayr, Mai 2017

Das narzisstische Entlein an der Donau Linz möchte ans Wasser, geht jedoch auf sichere Distanz. Das Lentos Kunstmuseum sowie das Ars–Electronica–Center sind ans Wasser gebaut, jedoch fehlt jeglicher Bezug zur Donau. Ein paar Treppen zum Wasser hin um zumindest seine Füße nach einem Museumsbesuch ein wenig ins kühle Nass zu tauchen, danach könnte sich so mancher Besucher sehnen. Meist hindert eine Spundwand oder unwegiges Gelände – der Donaublockwurf (Uferbereich aus gebrochenem Granitfels) den unmittelbaren Zugang zum Wasser.

Die Stadt widerspiegelt sich hier in mehrfacher Hinsicht. Das frühere hässliche Entlein hat sich ein schimmerndes Mäntlein übergezogen, um der Welt zu gefallen. Das leuchtend-blinkende Gebäude teilt sich über die gesamte Stadt mit: „Kommt, schaut mich an, wie ich nicht schön funkle und was ich alles kann.“ Die LED–Medienfassade, mit 1.100 RGBWLED-Balken1 ausgestattet, benötigt bis zu 33.000 Watt, wenn sie vollflächig bespielt wird. All dies nur für eine Geste, um Oberfläche zu produzieren? Wohl ein Irrläufer unserer Kulturgesellschaft. Sollte nicht eigentlich die LED–Technik erfunden worden sein um Strom einzusparen? Stattdessen kleistern wir ganze Fassaden damit voll. Wenn man bedenkt, auf welchen Kosten dieser Zauber beruht. Die zukünftigen Generationen werden es bedauern. Der Verlust der Artenvielfalt in und an der Donau ist unserer Energie verschlingenden Luxusge­ sellschaft und somit dem Bau der Donaukraftwerke geschuldet. Kulturelle Armut macht sich dann beschämend breit, wenn unsere Kinder einmal von derzeit noch über 45 Fischarten in der Donau vielleicht gerade mal drei in der Schule aufzählen können und danach hoffnungslos ihr iPhone abfragen müssen. 1 lt. tel. Auskunft, Hr. Hofstadler AEC 2 Wolfgang Pehnt in: Flusslandschaften...

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Das Donauparadoxon Die Donauregulierung seit Mitte des 19. Jahrhunderts und das Hochwasserjahr 1954 haben die Stadt und ihre Beziehung zum Fluss nachhaltig verändert. Seither wurde ein Donaudamm errichtet, um die Stadt vor weiteren Hochwässern zu schützen. Gleichzeitig stellt dieser Hochwasserdamm eine Barriere dar. Man schützt sich, ist aber zugleich physisch wie mental vom Wasser getrennt. Der Architekturkritiker Wolfgang Pehnt spricht in diesem Zusammenhang sogar von einer neuen Stadtmauer2.

Verkrustete Beziehung zur Donau Auch die industrielle Verschmutzung der Donau bis in die 1980er Jahre stört noch das Verhältnis der Linzer zu ihrem Fluss. Dabei hat sich seither vieles zum Guten entwickelt. Diverse Naturschutzmaßnahmen haben gegriffen und die Donau hat nun Güteklasse zwei. So manch andere Flussläufe in Südeuropa oder Asien schneiden da im Verhältnis viel schlechter ab. Die Donau als Versorgungsader der Stadt sollte längst wieder als wertvolle Ressource


Foto: Stadt Linz 2008

Narcissus (Caravaggio) von Michelangelo Caravaggio, 1597–1599

betrachtet werden. Eine Lebensader, die durch Kraftwerke und Staudämme ca. alle 20 Kilometer unterbrochen ist. Die Energie der Donau ist dennoch spürbar, auch wenn sie in ein Korsett aus Stein und Beton gepfercht ist. Man spürt ihre Energie, wenn man mit dem Ruderboot die überquert, oder auch wenn man am Donaustrand im Sommer nach Abkühlung sucht, wenn die Badeseen schon lauwarme Lacken gebildet haben. Das je nach Wetterlage sedimentreiche Gewässer ändert seine Farbe von ssilber-oliv-grau in Stromlagen bis zu glasklar–schimmernd in den Hafenzonen. Die Donau wird als Wasserstraße für die Donauschifffahrt intensiv genützt und das Schwimmen bzw. das Überqueren des Flusses ist demnach ein gefährliches Unterfangen. Es scheint kaum Platz zu geben am Fluss für anderes als die Schifffahrtsnutzung. Zudem kommen Hindernisse im Dialog zum Fluss. Es gibt unterschiedliche Zuständigkeiten als auch Besitzverhältnisse und Eigeninteressen unter den Stadtbetrieben der Linz AG, der Industrie, der Hydropower–Austria, der Via Donau und den Fischereirechten. Nur wenige Beispiele, wie der Linz–09-Strand oder die Uferzone der Stadtwerkstatt konnten in den letzten Jahren naturnahe Verhältnisse im Stadtgebiet schaffen. Die Verlandungsflächen im Hafen mit ca. 6 Hektar an zugeschüttetem Hafenbecken stehen dazu diametral im Spannungsfeld der Stadtplanung. Die Stadt Linz ist in den letzten Jahrzehnten bis an ihre Grenzen gewachsen und der Druck auf restliche Freiflächen ist mittlerweile groß, besonders im Linzer Hafenviertel.

Die Staudamm–Revolution "I had a dream." (zit.) Ich frage mich, ob ich diesen Moment je erleben werde, an dem die Staudämme „überflüssig“ geworden sind und von einer Gesellschaft, die sich dezentral selbst versorgt, gesprengt werden. Wer schon mal in seinem Ruderboot durch eine Festung aus Stahl und dickem Beton durchgeschleust wurde, der kennt das schaurig–beklemmende Gefühl. Das Kreischen der Spundwände, ein Klang wie jener trauriger Wale. Ein schauriger, trister Nicht–Ort. Festungen, monströse Gebilde, gebaut um die Natur zu bezwingen, zu beherrschen und zu berauben – ein verwegen totalitärer Gedanke von Menschenhirn erdacht und Menschenhand erbaut. Was, wenn all die angestaute Energie wieder frei wird und die Donau vom Schwarzwald bis zum Donaudelta hindurchfließt – ohne Hindernisse? Wenn der dichte Schlamm, der alles Leben im Fluss erstickt, endlich fortgespült wird. Ein vereinigtes Wasserreich Ihren Ur–Einwohnern wieder genug Platz gibt, um sich (selbst) zu vermehren. Die Aorta – unsere Hauptschlagader – wieder frei ist von all dem unnötigen Ballast, der sie verstopft. Was müsste in unserer Gesellschaft geschehen, um diesen Moment Realität werden zu lassen? Was wäre, wenn alle Einfamilienhäuser am Stadtrand von derzeitigen Energiefressern zu Energielieferanten werden, weil sie ihre Energie im Überschuss und autark selbst produzieren können. So viel Strom, genug für das Haus als auch für das Elektroauto, das mit der Nachbarschaft geteilt wird. Könnte das der Anfang einer Revolution sein, die von „draußen“ kommt?

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Ausblick – Die Stadt ausloten

Weiße Elefanten Die Stadt scheint geblendet in ihrer kulturellen Selbstverliebtheit, auch ein neues Musiktheater ist in den letzten Jahren dazugekommen, um die Hochkultur zu zelebrieren. Immer mehr und immer gieriger streckt sich das Entlein gegen die Decke. Auf Kosten der freien Kulturszene, der kulturellen Nahversorger. Dieser kulturelle Kitt im Alltag löst sich im hegemonial bestimmten System. Es zwickt schon an allen Nähten. Die Stadt muss einsparen, so heißt es. Das Frankenkredit 3 –SWAP–Finanzdebakel der Ära Dobusch hängt über der Stadt wie ein Damoklesschwert. Eingespart wird dort, wo es am einfachsten scheint. Das Salzamt soll geschlossen werden und das Linzfest wird um die Hälfte zurückgestutzt. Die große Geste muss um jeden Preis aufrecht erhalten werden. Ein Phänomen, das in mehreren europäischen Hauptstädten abzulesen ist. Der ersehnte Bilbao–Effekt4 der großen Häuser bleibt aber meist aus und man wird erst über die Jahre sehen, ob es sich nachhaltig rentiert oder man sich weiße Elefanten angeschafft hat, die das soziokulturelle Milieu der Stadt von innen her auffressen. Die Elbphilharmonie in Hamburg steht hier in Europa an der Speerspitze dieser Entwicklungen. Baukosten: 866 Millionen Euro5, zehn mal mehr als die veranschlagten Baukosten und somit Platz zwölf im Ranking der teuersten Gebäude der Welt. Dabei hat die Stadt Hamburg am anderen Ende der Stadt mit gravierenden Gentrifizierungsproblemen zu kämpfen, da die Mieten in vielen Bezirken wie St. Georg oder auf der Elbinsel in den letzten Jahren deutlich gestiegen sind. Hier droht, dass die Gesellschaft weiter auseinanderdriftet. Wer sich eine teure Wohnung leisten kann, der kann bleiben. Andere werden verdrängt, landen auf der Straße oder werden Hartz-IV-Empfänger.

Urbane Dissoziation Harris C.M. Tiddens beschreibt folgendes in „Wurzeln für die lebende Stadt“6: „Wenn sich bei einem Menschen Emotion und Verstand trennen, nennen wir das Dissoziation – eine ernsthafte Krankheit. In Städten lässt sich Ähnliches beobachten, eine Art

gesellschaftliche Dissoziation: Bürger sind für ihre Stadtteile natürliche, emotionale Experten, doch Politik und Verwaltung haben sich immer mehr von ihnen entfernt. Tiddens erkennt in Stadtteilen als Basiseinheiten ihr Potenzial. „Hier kann kreative Erneuerung Wurzeln schlagen – mit Eigenverantwortung, eigenen Budgets, eigener Verwaltung und Politik vor Ort.“

Rettungsanker Off–Kultur? Viele Branchen verschwinden. Das ist ein Grund zur Sorge. Es gibt jedoch einige Freigeister, die Räume zur Verwirklichung ihrer Ideen suchen. „Kulturschaffende brauchen Freiraum und eine Stadt braucht Orte, an denen die Menschen, die hier leben, sich gerne aufhalten, Orte, an denen sie zusammen arbeiten, zusammen essen und zusammen feiern. Das steckt hinter ihrer Idee von einem Dorf mitten in der Stadt. Die Holzmarkt–Initiatoren glauben, dass jede Großstadt solche Orte braucht.“7 So auch aktuell in Berlin. Seit 1.Mai hat der Holzmarkt eröffnet. Das von Clubbetreibern und Künstlern bevölkerte Dorf hat eindringenden Investoren Paroli geboten und den Kampf endgültig gewonnen. Ein etwa 18.000 Quadratmeter großes Grundstück an der Spree zwischen Michaelkirchbrücke und Schillingbrücke ist dem Spekulantentum entzogen worden. Mit der Gründung einer Genossenschaft und Unterstützung einer Pensionskasse konnten mehr als vier Millionen Euro Eigenkapital gesammelt werden. Jedoch ohne Bebauung und Vermietung geht es hier auch nicht, so die Betreiber. Von Ateliers für Künstler, einer Open-Air-Bühne. einem Marktplatz bis zu einem Hotel mit Spa erstreckt sich das Raumangebot. Kritik macht sich breit, dass die Szene selbst zum Akteur der Gentrifizierung mutiert. „Für uns gibt es nur zwei Möglichkeiten“, erklärt Juval Dieziger, einer der Initiatoren im tip-Berlin Interview. „Entweder man ist radikal dagegen und besetzt deswegen Orte. Oder man ist dagegen und präsentiert eine andere Idee, was man mit Freiraum machen kann.“8

3 Text fehlt 4 Der Begriff Bilbao–Effekt bezeichnet die gezielte Aufwertung von Orten durch spektakuläre Bauten von Architekten. Der Begriff geht auf die Entwicklung der nordspanischen Stadt Bilbao im Zusammenhang mit dem 1997 fertiggestellten Guggenheim–Museum des US–amerikanischen Architekten Frank O. Gehry zurück. de.wikipedia.org/wiki/Bilbao–Effekt 5 handelsblatt.com/unternehmen/dienstleister/baukosten–hoeher–als–gedacht–geheimsache–elbphilharmonie/14792022.html 6 Harris C.M. Tiddens: Wurzeln für die lebende Stadt. oekom verlag München, 2014. ISBN–13: 978–3–86581–468–5 7 Katharina Wagner in: tipBerlin, Heft 09/2017 8 ebd.

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Mit dem Wasser bauen? Aber wie? Einen Schritt weiter zur Donau hin bewegt sich das KünstlerInnen–Kollektiv „Time’s Up“. Es befindet sich am Trenndamm, bzw. Sporn des Linzer Handelshafens. Seit 1996 existiert es in einem Gebäude der ehemaligen DDSG– Donauhafenkommandatur. Wegen des markanten Äußeren wird das Gebäude im Volksmund „Rote Burg“ genannt. Hier forscht Time’s Up unter anderem an neuen Zugängen zum Wasser und diese werden hier ganz unmittelbar und unpragmatisch gesucht. Das Medium Wasser wird grundsätzlich als wertvolle Ressource verstanden. Die „TUBA“9 –Kerngruppe rund um Tina Auer, Markus Luger, Leo Schatzl u.a. nähert sich auf unterschiedliche Art und Weise der Thematik.

dorthin begegnet mir ein Grüppchen junger Asiaten am Rad zwischen Bahngleisen. Eine andere Gruppe wartet, wie verloren, in einer Bushaltestelle auf den letzten Bus zurück in die Stadt. Haben sich die Leute hier gar verirrt, sind es gar Schichtarbeiter der VOEST oder PraktikantInnen von Plasser & Theurer? Nein, es fiel mir dann doch gleich wieder ein. Diese Woche war Robotics–Workshop10 bei Time’s Up mit Leuten aus aller Welt. Ich fahre weiter und radle knapp am Ufer. Ein paar Stieglitze machen sich durch ihr Gezwitscher in einem Restbuschen Schilf bemerkbar. Schön! So denke ich mir – ist doch sonst alles kahl gemäht hier am Ufer. Unter einer Betonabfüllanlage fahre ich hindurch bis zur Hafenbiegung, links davon ein kleines Pappelwäldchen mit einem großen stählernen Torportal am Ende. Ein Schlafsack baumelt über mir in einer Baumkrone – wie der da wohl rauf kommt? Gegenüber am anderen Ufer ein Wrack einer alten Schiffswerkstätte der DDSG, das halb auf Grund liegt. Gleich bin ich da ... Jetzt sehe ich schon die Rote Burg vor mir. Links davor - unübersehbar - zwei große Rümpfe, die aus jeweils vier Drachengas–Stahltanks zusammengeschweißt sind. Ein Low–Budget-Catamaran, mit dem Markus Luger seit Jahren seinem Bubentraum nachgeht, um damit bis nach Südamerika zu fahren. Holzquerbalken verbinden die Rümpfe. Auf dem Holzdeck sollen eine kleine Kajüte und zwei Masten für Segel in der Machart chinesischer Dschunken Platz finden. Weiter rechts am Ufer, das Boot von Leo Schatzl, die „UBIK“11 ist aufgebockt. Ich rufe nach Leo aber es bleibt still und ich sehe weiter.

Ankommen

Industrial Comfort Zone

Mein Weg führt mich des öfteren zu den Leuten von Time’s Up. Sei es zur Besichtigung mit einer Wandergruppe, beim Treffen so mancher TUBA–Workshops, zur Metallbearbeitung für ein Kunstprojekt oder zu einem der legendären Time’s Up–Sommerfeste. Meist ist aber schlicht und einfach die Donau und das Wasser unser größter gemeinsame Nenner.

Die ansonsten unzulängliche Uferzone unmittelbar vor der Roten Burg ist hier über die Jahre von Time’s Up gestaltet worden. Diese Zone verbindet sich in Schichten zum Wasser hin. An der Hauswand wird mit einer speziell konstruierten Bewässerungsanlage Gemüse in großen Beeten bewässert. TAK–tak–TAK... Eine grüne Windmühle aus halbiert–verschweißten Metalltonnen, dreht sich im Wind. Eine archimedische Schraube schlängelt sich über das Ufer hinauf. Es ist ein Sammelsurium an Reststücken diverser Resilienzprojekte „luminous green“12 u.a. in Kollaboration mit FoAm13, die hier durchgeführt wurden. Die Szenerie erinnert mich ein wenig an Little Barter­ town14. Nur wird hier an Ressourcen geforscht und Wissen ausgetauscht.

Industrial Comfort Zone; Time's Up

Ein anderer Zugang

Heute möchte ich Leo Schatzl einen Besuch abstatten. Er schraubt schon seit einiger Zeit am Gelände vor Time’s Up an seinem Boot, um es wieder flott zu bekommen. Es ist Samstag Abend. Das Hafengebiet spiegelt sich in seiner typischen Wochenendlethargie wider. Kaum Autos auf der Industriezeile. Am Weg

9 TUBA: Times Up Boating Association, timesupboatingassociation.wordpress.com 10 timesup.org/robotics16 11 Ubik: Science–Fiction Roman von Philip K. Dick, 1969. oder auch ubique: überall, Ortsund Dinglosigkeit.

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Ich nasche ein paar frische Brombeeren, die hier in Ufernähe angepflanzt sind. Ein Katze wacht neben einer der halb offen stehenden Stahltüren der Werkstatt in der Abendsonne. Weiter rechts neben der Zufahrt Richtung Ufer führt eine einfache Aluleiter zu einem Holzsteg, der, zwischen den Donaublockwurfsteinen befestigt, auf einer Stahlkonstruktion montiert ist. Ein roter Kunststoffstuhl und eine eingezogene Angel befinden sich darauf. Von hier aus eröffnet sich ein anderer Blick auf die Stadt. Ein Blick aus der näheren Distanz. Ein Blick zurück, als befände man sich auf einer Insel, einer anderen Welt. An manchen Tagen im Mai sieht man hier diverse Fischschulen vorbei schwimmen. Barsche, Brassen, Karpfen oder auch Rapfen. Es ist einer meiner Lieblingsplätze im Handelshafen. An schönen Sommertagen springe ich von hier aus ins Wasser oder meditiere einfach am Ufer. Nach einiger Zeit mach ich mich weiter auf die Suche nach Leo. Ich benütze den Haupteingang in die Rote Burg zu Time’s Up, die Türe war unversperrt. Das Innere wirkt auf mich wie der Blick durch ein Kaleidoskop, es eröffnet sich eine bunte Vielfalt an Inspirationen. Manche Bilder an den Wänden wecken die Sehnsucht, die Sehnsucht nach der Weite, dem Meer und der Seefahrt. Auf einem Tischchen liegt ein Stoß Time’s Up–Programminfos in Postkartenform – mit schönen maritimen Sujets als auch Meeresungeheuern. Die Erinnerung an eine mystifizierte Zeit generiert sich unterschwellig in mir hoch. An eine Zeit, bevor die Welt von der technologisierten Fortschrittsgesellschaft entzaubert wurde. Doch ein gewisser Zauber scheint hier an jedem Quadratzentimeter zu kleben. Ein Zauber, der wohl all jene beflügelt, die hier werken. Sei es am Computer in den Büros, in der Küche oder an der Drehbank in der Werkstätte; überall spürt man hier die magische Brise aus der Fremde. Leo war heute leider nicht anzutreffen. Bereichert von vielen Eindrücken verlasse ich den Schauplatz und flaniere weiter durch den wilden Hafendschungel und komme gerne bald wieder.

Time’s Up? wtf is Time’s Up? Es ist ein von Gott15 gesegneter Ort. Eine Insel der Seligen und Seelsuchenden in einer schier von Gott verlassenen Welt. Ein Ort für Sinn Suchende Zeiten in denen die Zeit selbst schon abgelaufen scheint. Ein Ort, an dem es gut auszuhalten ist, auch wenn die Zeit einmal still steht. Und glücklich jener, dem hier

Performance von „Gott“ (Alex Jöchtl)

einmal die Zeit still stehenbleibt; denn ihm bleibt dann Zeit für neue saftige Ufer in den monotonen Steppen der kapitalgierigen Monotonie. Hier brennt warmes Licht bei Nacht in der Stube und es glühen Schweißnähte in der Werkstätte, auch wenn schon alle Industrietore geschlossen haben. Es ist ein magischer Ort für jene, die von ihren Träumen elektrifiziert sind und es einfach tun – ihren Traum in Materie verwandeln wollen. Diese Träume benötigen Zeit, viel Zeit und den passenden Raum. Ein Raum für jene, die ihren Träumen nachgehen. Begleitet vom Feuer der Utopie. Ein Hafen für jene, die neben dem Mainstream shippern. Time’s Up ist Dreh– und Angelpunkt, ein rurbaner Thinktank, eine lockere Zusammenarbeit am Rande der Stadt.

„if you can’t make knots, make lots!“ Der Umgang mit der Materie, sich ausprobieren heißt: sich im Tun üben. Nichts ist von Anfang an fertig und perfekt. Hier kann man Maschinen verwenden, die zuhause keinen Platz hätten oder schlicht zu teuer wären. Egal ob Schrauben, Fräsen, Schweißen, Schleifen, 3D–Drucken oder zum Seemannsknoten– Workshop ... Bei Time’s Up kann man immer anfragen, ob man die Werkstätte benützen darf. Manchmal hilft auch jemand, um sein Ding endlich fertig zu bekommen.

ENDE

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‚Luminous Green‘ is a series of gatherings about the world. About the world that supports life today and about the possible worlds that can support more luminous life in the future. FoAm: is a network of transdisciplinary labs at the intersection of art, science, nature and everyday life. fo.am Bartertown: Stadt in „MAD–MAX 3–beyond thunderdome“ Postapocalypticactionfilm, 1985. Performance von „Gott“ (Alex Jöchtl), beim 20-Jahr-Jubiläum Time's Up, Sommer 2016.

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Lokales

Eine „Donauinsel“ für LINZ – ab nun wird alles GUT Interview von Christoph Wiesmayr mit „GUT“

Über die virtuelle Plattform meinlinz.at wurde die Bevölkerung aufgerufen, Ideen für eine Neugestaltung des Urfahrmarktgeländes in Linz-Urfahr einzubringen. Auch der heuer von den Neos ausgeschriebene Innovationspreis der Stadt Linz, stand unter derselben Thematik. Viele der eingereichten Projekte spannten neue Bezüge zum Fluss hin auf. Seit Oktober 2017 lässt die Flächenwidmung keine Parkplatznutzung für Kraftfahrzeuge mehr zu, dies war der Auslöser um über eine zukünftige Neunutzung des knapp 40.000 m2 großen Areals nachzudenken. Den Innovationspreis hat das Projekt „Donauinsel“ vom Architekturkollektiv „GUT“ gewonnen. Treib.Gut hat bei „GUT“ nachgefragt wie es zu dieser ungewöhnlichen Vision gekommen ist. IM KURZINTERVIEW

„GUT“ IM KURZINTERVIEW mit Christoph Wiesmayr, aufgenommen am 29. März, 2018 C.W.: Wer oder was ist nun „GUT“ und wie kam es zur Projektidee? GUT sagt: „GUT“ steht als Kürzel für die Namen unserer Architekturbüros. Wir haben uns deshalb zusammengeschlossen, weil uns die Thematik zur Neugestaltung der Freifläche fasziniert hat. Die Idee zur Donauinsel kam uns in Gesprächen beim „Architek­ turstammtisch“. Uns ist es wichtig, die „Freiraumnutzung“ insbesondere des Jahrmarktes beizu­behalten bzw. mit neuen naturnahen Freizeitnutzungen aufzuwerten.

C.W.: Welchen Mehrwert soll das Projekt jetzt besonders für Linz bieten? GUT sagt: Wir wollen zuerst festhalten, dass unsere Idee ein Projekt für Linz und die LinzerInnen ist. Wir sehen es als eine einmalige Chance und Verpflichtung für uns als Architekten ein Statement für die Stadt abzugeben. Im Vergleich zu den aktuell forcierten Investorenprojekten der Stadt für den Immobilienmarkt wollen wir hier mitten in der Stadt einen neuen, vielfältigen Freiraum für die Bevölkerung bieten. Der Stadt somit ein Stück Natur wieder zu­ rückzugeben. Neben der flexiblen Freiraumnutzung, die adaptiv mit Fußgänger- und Radfahrbrücke auf Höhe Brucknerhaus, dem Keplerplanetarium (Gondelprojekt) kombinierbar ist, liegt uns die Thematik der attraktiven Gestaltung der „Ränder“ am Herzen. Welche Qualitäten man mit einer reduzierten Strömung im neuen Donauarm erreichen kann, ließe sich schon jetzt erahnen. „Planschzonen“ für Kinder und na­ turnah gestaltete Uferzonen mit Biotopen, die sich als Laich­plätze für fast ausgestorbene Tier­arten - vom Donaufisch bis zum Eisvogel - eignen würden. Genug Platz für Gastronomie auf Hausbooten oder eine neue Attraktion für Wassersportvereine könnten generiert werden. Floße, Treppen, seichte Uferzonen schaffen sanfte Übergänge zum Wasser hin und ermöglichen „Plansch- und Badebereiche“ für Kinder, oder ein mobiles Strombad, die im reißenden Strom nicht möglich wären. Ein TREIB.GUT MAGAZIN # 66

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weiterer Benefit wäre eine Art Naturreservat mitten in Linz zu Fuß erreichen zu können. Besser als mit dem Auto für Naturer­lebnisse kilometerweit aus der Stadt rauszufahren und dabei unnötig CO2-Ausstoß zu produzieren. C.W.: Wie könnte so ein Projekt finanziert bzw. umgesetzt werden? GUT sagt: Wir möchten festhalten, dass es kein herkömmliches Immobilienprojekt ist. Es kann nur die Gesellschaft - also die Stadt selbst - bauen; über Crowdfunding, Sponsoring, diverse Unterstützer, Land, Bund oder über Naturschutzprojekte wie etwa in Wilhering - würde man das Projekt umsetzen können. Das Projekt würde aber nicht an der fehlenden Finanzierung, sonder eher am Unwillen seitens der Stadtplanung scheitern. Das gewonnene Preisgeld fließt jetzt direkt in erste Arbeitstreffen für Umsetzungsmöglichkeiten mit FachplanerInnen in den Bereichen Wasserbau und Verkehr. C.W.: Gibt es Probleme wegen der Hochwasserthematik? GUT sagt: Wir geben Volumen für Wasser in Form des Nebenarms für die Donau zurück. Mit FachplanerInnen wollen wir mögliche Problematiken überprüfen. Aber generell ist die öffentliche Reaktion in diversen Medien positiv. Mit VIA-Donau und der Stadt Linz möchten wir weiter Kontakt aufnehmen. DER URFAHRRANER JAHRMARKT BLEIBT! 23



Projekt „Donauinsel“ von Architekturkollektiv GUT


Systemskizzen

1.) ? Eine undefinierte Fläche welche nicht mit Wünschen besetzt ist verkommt zum „Nicht-Ort“.

?

2.) MUT ZUR VISION Linz ist reif für die Insel. Der Mythos vom „Inselparadies“ ist heute noch ungebrochen!

3.) DIE INSEL Die Idee der Insel stärkt diesen Ort und führt zu einer erhöhten Identifikation.

4.) FESTER UMRISS, KLARE BEGRENZUNG Die Konzeption bietet einen in Nutzbarkeit und Gestaltung einmalig gefassten Freiraum im Herzen der Stadt - direkt am Ufer der Donau - und gibt diesem neu definierten Ort eine unverwechselbare Adresse.

EISENBAHN BRÜCKE

WILDBERG STRASSE

MISSING LINK RADBRÜCKE

NIBELUNGEN BRÜCKE

WEICHE UFERZONE

HARTE UFERZONE

RADBRÜCKE KEPLER SEILBAHN ATTRAKTOREN

5.) ANBINDUNG Die Verknüpfung mit dem städtebaulichen Umfeld steigert das Potenzial der Insel. Eine Radbrücke als „Missing Link“ führt zum Zusammenschluss der Donauräume. Es werden vielfältige Zugänge geschaffen, um eine lebendige, urbane, sich selbstorganisierende Freifläche mit offenen und fließenden Raumkanten entstehen zu lassen.

6.) UFERZONEN Die neu definierte Uferzone wird als weiche Kante mit Flachwasserbereichen ausgebildet. Die harte Kante zur Donau hin - mit der Ufer­promenade - wird zur urbanen Flusskante.

7.) ATTRAKTOREN Das neu definierte Donauufer lebt von unterschiedlichen Sequenzen und unterschiedlichen Attraktoren. Kleine Plätze bilden bis zur Eisenbahnbrücke eine Abfolge unterschiedlicher öffentlicher Qualitäten und Orientierungspunkte – eine urbane, öffentliche und lebendige, atmosphärische Uferzone die, selbst zur Architektur wird und vielfältig bespielt aber auch besetzt werden kann.

Lokales

Lange vernachlässigt, jetzt ein Sehnsuchtsort Das Areal des Urfahraner Jahrmarktes tritt derzeit als „Nicht-Ort“ mitten im Zentrum von Linz in Erscheinung. Es besteht nun die einmalige Chance, dieses Gebiet in seiner Attraktivität zu heben und die fehlende Identifikation mit diesem Ort zu lösen. Somit verstehen wir die vorgelegte Idee der „INSEL“ als einen ersten und konkreten Ansatz. Der nun gefasste Freiraum im Herzen der Stadt, umspült von der Donau, gibt diesem neu definierten Ort eine unverwechselbare Adresse und schafft so eine gesicherte Grundlage für weitere Konkretisierungen. Durch das Zusammenspiel positiver Einflussfaktoren, wird die neu gefasste Uferzone der Donau, als einer der prominentesten Orte von Linz, nachhaltig belebt und zu einem attraktiven Ort für die Bewohner und Touristen. Uferzonen Das neu definierte Donauufer lebt von unterschiedlichen Sequenzen und Raumqualitäten. An der weichen Kante im rückwärtigen Bereich der Insel findet man Flachwasserbereiche mit Sandstränden sowie einen Abenteuerspielplatz direkt am Ufer. Die „harte Kante“ an der Donau ist geprägt von einer Abfolge unterschiedlicher öffentlicher Plätze und Orientierungspunkte. Eine urbane, öffentliche und lebendige, atmosphärische Uferzone entsteht, die selbst zur Architektur wird und vielfältig bespielt aber auch besetzt werden kann. Unterschiedliche Nutzungsmöglichkeiten eröffnen sich dem Menschen, Freitreppen führen bis an das Wasser, Sitzterrassen orientieren den Freiraum zum Flussufer, um zum Beispiel auch als Bühne genutzt werden zu können. Missing Link – Fussgänger und Radbrücke Durch die Ausbildung dieser Uferzone folgt die übergeordnete Entwurfsidee dem Ziel, beide Stadtteile (Linz und Urfahr) miteinander in Beziehung treten zu lassen und den zentralen Donauabschnitt als gemeinschaftlichen Stadt- und Landschaftsraum erlebbar zu machen. Vielleicht ergibt sich hier in weiterer Folge auch ein Prozess – in Verbindung mit einer möglichen Fahrradbrücke und der „urbanen planetaren Seilbahn“ – für das Herausarbeiten dieser komplementären räumlichen Qualitäten einer „Stadtmitte“ beidseits der Donau. Insel Die Mitte der Insel bleibt hingegen frei und kann als temporäre Aneig­ nungsfläche angesehen werden. An den Randbereichen bilden hochstämmige Bäume lichte Schattenplätze unter Blätterdächern. Im Allgemeinen wird mit der Baumbepflanzung jedoch sparsam umgegangen, wodurch eine ungezwungen bespielbare und frei definierbare Landschaft entsteht. Die Blickbeziehungen zu den Flachwasserbereichen und zur Donau hin bleiben offen. Und falls sie fragen: Ja, der Urfahranermarkt bleibt bestehen!

8.) DIE FREIE MITTE Die Mitte bleibt frei und kann als temporäre Aneignungsfläche angesehen werden. Hier ist weiterhin Platz für den Urfahraner Jahrmarkt, Zirkus, Public Viewing und mehr.

Architekturkollektiv „GUT“ sind: Gerald Anton Steiner, Martin Urmann, Tp3-Architekten; Andreas Henter und Markus Rabengruber, Nikolaus Schullerer


Ausblick

landscape and responsibility Klaus Fürst-Elmecker zum Aufbau einer Ethik der Verantwortung gegenüber der Landschaft

Einführung „Denn im Grunde genommen besteht unsere grundlegendste Gemeinsamkeit darin, dass wir alle diesen kleinen Planeten bewohnen. Wir alle atmen die gleiche Luft. Wir alle schätzen die Zukunft unserer Kinder. Und wir sind alle sterblich.“ John F. Kennedy, 35. Präsident der USA 1961-1963 (1917 - 1963) Rede an der American University, Washington, DC, 10. Juni 1963

Auf der Suche nach einer Leitlinie beim Vergleich verschiedener Ansätze zum Thema „ Landschaft, für eine Ethik der Verantwortung“ stieß ich auf zwei Schlüsselworte: Eigentum und Besitz.

Eigentum definiert in erster Linie, dass jemand etwas besitzt. Besitz hat eine Doppelbedeutung: Es ist zum einen das Wort dafür, das jemand etwas besitzt, so wie Eigentum. Es ist aber auch die Beschreibung für eine Liegenschaft, für ein Haus, für Grund und Boden den jemand besitzt. Besitz in allgemeiner Form kann zum eigenen Vorteil genutzt werden, um möglichst schnell und ohne Nachhaltigkeit maximalen Profit zu erzielen. Aber Besitz, und besonders Landschaft, können auch mit dem Hintergrund einer größeren Dimension, der wir alle angehören, und dem Bewusstsein gesehen werden, dass die Menschheit nur in der Verbindung mit einer gemeinsamen Verantwortung überleben wird.

Das ikonenhafte Tor des Shinto-Schreins, Japan, 2017 Bigstock © leodaphne

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Ausblick Seit dem Mittelalter bis in die Neuzeit ist in Deutschland und auch in Österreich eine Art Aphorismus bekannt, der auf der Vorderseite von Häusern geschrieben war: Dies Haus ist mein und doch nicht mein. Der nach mir kommt, kann‘s auch nur leihn. Und wird‘s dem Dritten übergeben, Er kann‘s nur haben für sein Leben. Den Viertären trägt man auch hinaus. Sag: Wem gehört denn nun dies Haus?

Shintoismus Vor allem ein Grundsatz vereint die Anhänger der Shinto-Religion: Reinigung und Erneuerung. Wasser ist sehr wichtig für die Reinheit von Körper, Kleidung, Lebensraum und Seele (reines Herz). Der Schrein selbst ist ein Symbol für die Vergänglichkeit des Lebens. Die Erneuerung des Schreines bringt es mit sich, dass die Menschen das gleiche mit Entschlossenheit tun: Entschleunigung, Reinigung, Befreiung des Geistes von der Vergangenheit und Neubeginn im Gleichgewicht mit den Göttern und der Natur.

Wenn die Landschaft und das Leben darin, die kulturellen Strukturen, die Gebäude, niemandem gehören, interessiert sich auch niemand dafür. Wenn die Landschaft nur einzelnen Individuen gehört, ohne Verantwortung für das ganze System, wird das System zusammenbrechen. Wer aber übernimmt Verantwortung über Generationen hinweg wenn die Landschaft einer Gemeinschaft, also allen gehört? Was ist einfacher zu handhaben: Das Eigentum einer Gemeinschaft oder der individuelle Besitz? Übernehme ich, als Mitglied einer Gemeinschaft, Verantwortung für Landschaft, für eine Umgebung, die nicht mir gehört? Und wenn ja, warum? Es gibt einige erstaunliche Beispiele für „Ja“, im Laufe der Geschichte. Titel rotes Torii-Tor am Kakigara-Inari-Schrein im Hase-deratempelgarten, 2017, Kamakura, Japan. Bigstock © bennymarty

Japan – Ise In Japan, in Ise, hat die Shinto-Religion eine Tradition der Erhaltung, Transformation und Erneuerung von Gebäuden und der Landschaft hervorgebracht, die auf das 7. Jahrhundert zurückgeht. Eine Anzahl von 125 Gebäuden aus Holz wird alle 20 Jahre erneuert. Die alten Gebäude erhalten eine exakte Kopie die in der unmitttelbaren Nachbarschaft errichtet werden. Die alten Gebäude werden demontiert, das Holz selbst wird für den nächsten Wiederaufbau verwendet soweit es noch in Ordnung ist. Auf diese Art und Weise werden alle 20 Jahre die gleichen handwerklichen Techniken praktiziert. Die Tradition muss ohne Unterbrechung von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden, sonst ist sie verloren. Diese Idee des Bewahrens und Renovierens hatte so seit Jahrhunderten einen tiefen Einfluss auf die japanische Architektur und auf die Art und Weise, wie Tradition und Moderne bis heute nebeneinander bestehen können. Zum Beispiel ist es deswegen in Japan möglich, gleichzeitig einen Kimono und eine moderne Jacke mit einer Krawatte zu tragen. So etwas wäre ein Fauxpas in der europäischen Tradition. Die Entwicklung der verschiednen Baustile in Europa ging oft mit einer völligen Zerstörung des vorhergehenden Stils einher. Natürlich ist Ise ein ganz besonderer Ort, er gehört zur Tradition des Shinto und der japanischen Kaisergeschichte. Diese Ise-Tradition ist ein sehr starkes Band, das eine Gemeinschaft formt und Verantwortung schafft.

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Die Shinto-Religion definiert 8 Millionen (viele) Götter (Kami), die an ganz besonderen Orten leben, an schönen Plätzen in der Natur. Sie zeigen sich als Menschen, Tiere, Pflanzen, Berge, sie können im Wind anwesend sein, im Regen, im Donner, im Blitz. Unsere Umgebung, Natur und Naturerscheinungen sind belebt, daher wird diese Natur respektiert und verehrt. Yoshihiro Narisawa, geboren 1969, ist ein berühmter japanischer Koch und Inhaber eines Restaurants mit zwei Michelin-Sternen in Tokio, Japan. Er hat seinen Ruf auf der Förderung von organischen und natürlichen Zutaten als Teil der japanischen Küche aufgebaut. In einem Arte-TV-Bericht über Köche, die mit dem Michelin-Stern ausgezeichnet wurden, weist er auf seinen Ansatz hin: „Unsere Umwelt entwickelt sich in einer enttäuschenden Richtung, deshalb müssen auch die Produzenten eine nachhaltige Nahrungskette fördern. „Ich möchte einen wichtigen Beitrag leisten, um auch in 40 oder 50 Jahren eine nachhaltige Lebensmittelversorgung zu ermöglichen. Das ist auch Teil meiner Leidenschaft“! Ein japanischer Kommentar über seinen Arbeitsstil beschreibt ihn wie folgt:“ Er ist einer der Köche, die Japan verehren, indem sie nicht nur die Bauern und Fischer beschützen, sondern auch den Geist der Art, wie Japaner in der Vergangenheit lebten“. Yoshihiro Narisawa selbst spricht über die Bedeutung der traditionellen Nahrungsmittelversorgung wie folgt:“ Die Menschen hörten auf, in


Ausblick die Wälder zu gehen, um wilde Kräuter zu sammeln. Wir verwenden diese Kräuter wieder in unserem Restaurant und bringen so die Menschen zurück in den Wald. Dieses Wissen wird der nächsten Generation übergeben, und die Menschen wissen wieder, was gut ist und was Gift ist. Die Verbindung der Japaner zur Natur ist etwas ganz Besonderes. Wir definieren die Natur als koexistierenden Partner (auf der gleichen Ebene). Diese Art des Denkens ist in Japan tief verankert und in diesem Punkt ist Japan sehr speziell und spirituell. „ Die Natur als koexistierenden Partner zu definieren, sollte weltweit akzeptiert werden, nicht nur in Japan.

Fütterungszyklus Der erste Kreis ist im Uhrzeigersinn zu sehen. Holz kommt zuerst, Holz verbrennt. Feuer ist das zweite Element. Feuer verbrennt zu Asche. Erde ist das dritte Element. In der Erde werden Erze generiert. Metal ist das vierte Element. Metall beliefert das Wasser mit Spurenelementen, bringt Leben in das Wasser. Wasser ist das fünfte Element. Wasser belebt die Pflanzen, Holz wächst wieder und der Kreislauf beginnt von vorne. Dies ist der einfachste, logischste Kreis zum Anordnen der 5 Elemente, am einfachsten zu verstehen. Wir sagen, es ist der „Nahrungskreis“ oder Fütterungszyklus.

Erschöpfungszyklus Wenn man in diesem Kreis gegen die Uhr zurückblickt, sieht man den „Erschöpfungszyklus“: Holz saugt das Wasser auf, Wasser korrodiert Metall, Metall nimmt Mineralien aus der Erde, Erde nimmt dem Feuer die Luft weg, Feuer verbrennt Holz.

China – Gleichgewicht der 5 Elemente

Kontrollzyklus

Im Uhrzeigersinn, in der gleichen Richtung wie im Nahrungskreis, aber von Holz zu Erde, von Erde zu Wasser, von Wasser zu Feuer, von Feuer zu Metall, von Metall zu Holz, sieht man den „Kontrollzyklus“: Jedes Element übernimmt die Kontrolle über ein anderes aus der Fünfergruppe. Holz und Pflanzen nehmen Nährstoffe aus der Erde und die Wurzeln halten die Erde zusammen, Erde steuert das Fließen von Wasser, Wasser löscht Feuer, Feuer schmilzt Metall, Metall spaltet Holz. Keiner in der Gruppe sollte zu viel oder zu wenig Platz haben. Die Gruppe als lebender Organismus braucht alle Elemente im Gleichgewicht und in der Bewegung.

Verletzungszyklus Wir ändern wieder die Richtung und springen von Holz zu Metall, von Metall zu Feuer, von Feuer zu Wasser, von Wasser zu Erde und von Erde zu Holz. Wir sprechen von dem „Kreis der Verletzung“. Holz nimmt die Schärfe von Metall, Metall nimmt die Hitze von Feuer, Feuer verdampft Wasser, Wasser erodiert Erde, Erde erstickt Holz.

Die 5 Elemente

5 Elemente Fünf verschiedene Elemente oder Manifestationen von Energie beschreiben die Welt in der alten chinesischen daoistischen Philosophie. Es ist auch bekannt als das System von fünf Transformationsphasen zur Beschreibung der Natur. Um die Grundidee zu verstehen, müssen wir wissen, dass die Elemente immer in einem Kreis angeordnet sind. Die Betrachtung der Elemene ist in beide Richtungen möglich, das System bringt Sie immer zum Ausgangspunkt zurück.

Diese 5 Elemente können auch in der Projektion von Dimensionen der Außenwelt gesehen werden. Es gibt: • 5 Dimensionen in Raumorientierung • 5 verschiedene Geschmacksrichtungen • 5 Jahreszeiten • 5 Arten von Wetter • 5 Vokalisationen • 5 Emotionen Auf den menschlichen Körper projiziert finden wir 5 Paare von Organen wie zum Beispiel die Leber und die Gallenblase, die mit Holz verbunden sind, und das Herz und der Dünndarm die mit dem Feuer verbunden sind.

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Ausblick Die 8 Trigramme Es gibt 8 Trigramme, jedes Trigramm, das aus drei Linien besteht, basierend auf dem System von Yin und Yang, ist verbunden mit den 5 Elementen. Dies ist die Grundlage, um die Idee des Feng Shui zu verstehen, ein System um Elemente in einem Haus, einem Garten oder in der offenen Landschaft ins Gleichgewicht zu bringen.

Die 8 Trigramme

seit Tausenden von Jahren der Fall war. Der dunkle undurchdringliche Dschungel voller wilder, unbekannter Kreaturen stellte im Mittelalter in Europa ein großes Hindernis für die Landwirtschaft dar. Waldland, wie es die Bauern beispielsweise in Österreich sahen, war bis Mitte des 20. Jahrhunderts eine Art „Bankkonto“. Bis dahin waren die Bäume als etwas angesehen worden, auf das man zurückgreifen konnte, wenn die Zeiten hart waren. Entweder benutzten die Waldbesitzer das Holz für die Herstellung von Möbeln oder als Baumaterial, oder sie verkauften Bäume, um Geld zu bekommen, aber nur im Notfall. So wurden einige Bäume ziemlich alt, z. B. Tannen, oder Fichten, die im Alpenraum sehr gut gedeihen, standen 200 Jahre und länger, das sind etwa 5-6 Generationen von Bauern. Die Lebensdauer solcher Bäume beträgt etwa 600 Jahre für Tannen und 300 Jahre für Fichten. Sie wachsen in ihrer Jugend ziemlich schnell, das sind die ersten 30 bis 40 Jahre, dann werden sie langsamer. Landwirte in Österreich bekommen heute eine gute Ausbildung, auch in der modernen Forstwirtschaft. Man könnte auch sagen: Sie lernen, wie man den Gewinn im Foresting maximiert. Vor allem die Fichte wurde zum „Brotbaum“ / Hochertragsbaum der Forstwirtschaft, der in Monokulturen angebaut wird und durchschnittlich 40 Jahre alt ist.

Cash Cows Jeder Teil der Natur befindet sich in ständiger Bewegung, weil er ein lebendiges System ist. Es ist immer ein Prozess der Geburt, der Transformation und des Sterbens, verbunden mit allen anderen Elementen in einem System der gegenseitigen Hilfe und Kontrolle, wodurch die Verantwortung für das ganze System übernommen wird. Wir finden diese Idee auch im System von Shiatsu, im Tai Chi Chuan, in der Akupunktur und in der Traditionellen Chinesischen Medizin. Ein genauerer Blick auf Natur und Landschaft, in dem immer nur ein Element in seinem oszillierenden Wert zwischen Vorteilen und Herausforderungen beschrieben wird.

1. Die Vorteile und Herausforderungen der Verwendung von Holz in Landschaften

„Wenn Menschen sich nicht einmischen würden, könnte sich die gesamte Landschaft wieder in Wald verwandeln, so wie es seit dem Ende der Eiszeit war.“ Dies ist ein Bild, das zumindest in Europa innerhalb einer kurzen Zeitspanne, innerhalb einer Lebensspanne eines Menschen, Realität werden könnte. Auf diese Weise würde es auch für viele Menschen eine Bedrohung darstellen, wie es

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Bäume wurden in den Wäldern zu „Cash Cows“. Wenn die Bauern argumentieren, dass es notwendig ist, die alten Bäume zu fällen, um mehr Wachstum für jüngere zu ermöglichen, ist das Ergebnis, dass es in einem solchen System keine „Erwachsenen“ mehr gibt. Bäume gehören zu den ältesten Lebewesen der Welt. Pando ist eine Klonkolonie in Utah in den USA, ein Wurzelsystem, in dem Klonbäume entstehen, insgesamt 47.000 einzelne Bäume zusammen, mit einem Gewicht von 6.000 Tonnen. Das System ist mehr als 80.000 Jahre alt, also das älteste und schwerste Lebewesen der Welt. Der älteste Fichtenklon in Norwegen ist etwa 10.000 Jahre alt. Eine ausdauernde Kiefer in den USA ist etwa 5.062 Jahre alt und damit der älteste nicht-klonale Baum der Welt.

Verantwortung Diese Bauern vergessen, dass sie mit lebenden Strukturen zu tun haben, die viele Jahre lang eine wichtige Rolle in einem Ökosystem spielen können, wenn dieser Prozess nicht gestört wird. Wir als Menschen sind nur ein gleichberechtigter Teil dieses Ökosystems, nicht ein überlegener. Unsere Verantwortung ist jedoch eine sehr große. Wir haben die Werkzeuge, um innerhalb von Minuten das zu zerstören, was seit Tausenden von Jahren gewachsen ist. Eine Antithese zu dieser Entwicklung ist die traditionelle Verehrung von Bäumen seit Jahrtausenden, bis in unsere Zeit, die von zahlreichen Nationen auf der ganzen Welt praktiziert wird. Ausgehend von der mesopotamischen


Ausblick Kultur bis hin zu indischen, griechischen, keltischen, jüdischen, römischen Riten finden wir alle Schattierungen religiöser Bindungen an Bäume. Mythologische Kreaturen lebten zusammen mit Bäumen, aber auch verschiedene Arten der Kontrolle von sozialen Strukturen wurden mit Bäumen in Verbindung gebracht. Im Mittelalter wurde unter einer Linde Gericht gehalten. Aber auch heute noch wird in Deutschland unter speziellen Linden getanzt, die jahrzehntelang in besonderer Weise geschnitten und geformt werden. In der Balance der 5 Elemente kontrolliert Holz die Erde. Die Abholzung aller Bäume, nicht nur in den tropischen Regenwäldern, bringt Erosion der Erde und das Ende der Fruchtbarkeit. Metall kontrolliert Holz, Holz selbst gibt dem Feuer Nahrung, das Feuer selbst ist die Grundnahrung für die Erde.

2. Die Vorteile und Herausforderungen des Einsatzes von Feuer und Licht in Landschaften

Der berühmte englische Autor Bruce Chatwin beschrieb die Vorteile der Kontrolle des Feuers in den frühen Tagen der Menschheit, indem er sich auf die Bedrohungen der Nacht konzentrierte. Er wies darauf hin, dass die Menschen sich in der Nacht und in der absoluten Dunkelheit ohne künstliches Licht schützen mussten, bevor sie das Feuer kontrollieren konnten. Die großen Raubkatzen wie die Säbelzahntiger suchten nach Beute, und die Menschen hatten genau die richtige Beutegröße. Eine Möglichkeit zu entkommen bestand darin, Bäume hochzuklettern, eine andere war es, sich in Höhlen zu verstecken. Wilde Bären in den Höhlen stellten sich dann als weitere tödliche Gefahr dar.

Lass das Feuer brennen Kontrolliertes Feuer veränderte alles, aber das war nur möglich, weil die Menschen als starke Gemeinschaft agierten. Das Feuer zu hüten war immer eine Aufgabe mit großer Verantwortung und war von vitalem Interesse. Vielleicht ist das der Grund, warum sich bis heute fast alle Menschen vor dem offenen Feuer entspannen und es sich erlauben zu träumen. Feuer wurde zum Kochen von Mahlzeiten verwendet, die weiche Nahrung erlaubte es kleinere Kieferknochen zu entwickeln. Das wiederum ist wichtig, um größeren Gehirnen Platz zu machen, zusammen mit dem verbesserten Nährwert der Nahrung. Das Feuer erlaubte nicht nur die tödliche Gefahr der Raubkatzen und der Bären zu kontrollieren, es war der erste Schritt, um die Landschaft zu verändern. Das Abbrennen von Wald war kein Zufall mehr, es wurde kontrolliert gemacht.

Feuer zu kontrollieren war der erste Schritt, um den stärksten Yang-Anteil von Energie in der Evolution der Menschheit zu nutzen. Die Natur und Landschaft, ohne sie zu kontrollieren, waren in erster Linie eine Bedrohung. Feuer bedeutete Licht, und diese Art von Licht war sehr kostbar und lange Zeit nicht überall verfügbar, nicht die ganze Nacht, nicht an jedem Ort. Die Erfindung der Elektrizität im 19. Jahrhundert und die darauf folgende Lichtverschmutzung in den letzten 50 Jahren brachten das völlige Verschwinden der Dunkelheit in weiten Teilen der Welt mit sich, nicht nur in den großen Städten.

Lichtverschmutzung Lichtverschmutzung ist eine Yang-Dominanz auf katastrophale Weise. Lichtquellen wirken in der Nacht wie Staubsauger auf Insekten und zerstören so das Gleichgewicht in der Tierwelt. Dunkelheit ist eine lebenswichtige Notwendigkeit für die Regeneration, auch für den Menschen. Schwarze Nacht ist reines Yin, das weibliche Gegenteil des Tages, und es bringt Kühle, Frieden und Ruhe. So bedeutet Dunkelheit in gewisser Weise auch Sicherheit, obwohl viele Menschen versuchen, Licht in alle Teile der Umwelt zu bringen, in der Hoffnung, auf diese Weise mehr Sicherheit zu bekommen. Viele erwachsene Menschen in den großen Städten Chinas haben die Sterne und die Milchstraße nie gesehen. Sie fliegen nach Neuseeland, um zum ersten Mal in ihrem Leben die Erfahrung eines dunklen Himmels mit Sternen zu machen. Dunkelheit bedeutet Träume und Geheimnisse. Das weltberühmte Lied „Sounds of silence“, geschrieben und gespielt von Simon & Garfunkel, beginnt wie folgt: „Hallo Dunkelheit, meine alte Freundin Ich bin gekommen, um wieder mit dir zu reden denn eine Vision, sanft hereinschleichend Hat seine Samen hinterlassen, während ich geschlafen habe Und diese Vision die in meinen Kopf gepflanzt wurde ist noch immer da im Klang der Stille" Wir brauchen Phantasie und Inspiration, und das kommt auch aus der Dunkelheit, aus dem Nichts.

Unberührte Landschaften Landschaft als dunkler Ort, so unbekannt und unvorhersehbar ist kein ökonomischer Wert. Ein Schatz, der Geheimnisse versteckt. Wir wollen Sie (die Landschaft) nicht mehr nur entdecken, wir suchen mittlerweile verzweifelt danach. Je mehr Lichtverschmutzung weltweit herrscht, desto mehr Menschen müssen lange Strecken zurücklegen, um in die dunklen Bereiche zu gelangen. Dabei schalten sie die Lichter während der Fahrt ein. Natürlich dienen diese Reisen nicht nur der Suche nach dunklen Orten. Wir suchen Schönheit in Landschaften, die von der Zivilisation unberührt sind. Wir wollen dann

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Ausblick die einzigen dort sein, in Stille und Einsamkeit, besonders wenn wir im Urlaub sind. Tourist Information Guides mit Etiketten wie „Lonely Planet“ versprechen Zugang zu den letzten unberührten Orten. Diese Insider-Tipps ziehen früher oder später Investoren an. Wenn wir nach einigen Jahren wieder einen sogenannten „geheimen Ort“ aufsuchen, wird es dort mit Sicherheit eine gut organisierte touristische Infrastruktur geben. Die Investition wurde vielleicht deswegen vorgenommen, um das Verständnis für das Geheimnis zu erleichtern und um einen schnellen Zugriff auf den verborgenen Schatz zu erhalten. Der Wert wird dann ausschließlich in Geld gemessen. Die letzten unberührten Landschaften werden in Zukunft kontrollierten Zugang haben müssen, wie es einige Nationalparks bereits tun. Nicht jeder wird sich den Eintritt leisten können. Je weniger Geheimnisse übrig bleiben, desto teurer sind sie. Der letzte Sibirische Tiger wird der wertvollste sein. In der Balance der 5 Elemente kontrolliert Feuer das Metall. Es schmilzt das Metall für eine neue Transformation für die Zukunft. Wasser kontrolliert Feuer, Feuer selbst gibt der Erde Nahrung, denn Erde ist eine Grundnahrung für Metall.

3. Die Vorteile und Herausforderungen der Nutzung von Erde in Landschaften

„Aber eine Wiese reicht direkt bis zum Mittelpunkt der Erde!“ Dies ist ein Ausruf von Carlo Scarpa, einem italienischen Architekten, der von 1906 bis 1978 lebte. Er war berühmt für seine Wertschätzung der Natur, seine große Zuneigung zur japanischen Architektur und zum Gartenbau . Als er in den Siebzigerjahren einen Vortrag über Architektur in Wien hielt, musste er ein von ihm ausgeführtes Wohnprojekt verteidigen, mit unterirdischen Garagen nur unter den Gebäudeteilen. Er hatte nicht vorgehabt, den Raum unter dem grünen Bereich zwischen den Baublöcken zu nutzen. Diese Variante hätte das Projekt viel billiger gemacht und hätte viel schneller realisiert werden können als seine Idee. Konfrontiert mit der Frage, warum er den Raum unter der Wiese nicht nutzen wollte, verstand er zunächst nicht den Ansatz einer Variante. Aber nach einer Weile kam es zu diesem sehr emotionalen Ausbruch mit der Definition der Wiese als Verbindung zum Erdmittelpunkt. Scarpa hat es richtig verstanden, es gibt ein Zentrum der Erde, und manchmal müssen wir an diese Wahrheit erinnert werden, weil wir auch mit diesem Zentrum verbunden sind. Mit unseren Füßen auf dem Boden, hoffentlich ohne Schuhe, fühlen wir den Unterschied zwischen einem freien Weg nach unter, oder wenn z.B. ein Betonparkhaus unter dem grünen Rasen die Verbindung

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blockiert. Auch wenn einige von uns Menschen diese Fähigkeit verloren haben sollten, werden die Pflanzen hier oben den Unterschied spüren.

Aspekt des Eigentums Was sich sofort ergibt, wenn man über diese Verbindung in die Tiefe nachdenkt, ist wiederum der Aspekt des Eigentums. Wer entscheidet über das Recht, einen bestimmten Teil der Erde zu besitzen? Solange Menschen als Nomaden umhergewandert waren, spielte Eigentum in der Definition von Grundbesitz über und unter der Erde keine Rolle. Das Wort „Nomaden“ geht auf das altgriechische „nomás“ zurück, was in etwa bedeutet: Herumwandern mit dem Weidevieh. Menschen, die mit grasenden Tieren herumwandern oder nur jagen oder fischen, benutzen keine Zäune und definieren keine festen Grenzen. Sie nutzen die Landschaft in keiner Weise aus, ihre Idee ist es, sich fortzubewegen, wenn nachhaltige Biomasse nicht mehr verfügbar ist. Wir sprechen gerne von genannten „frühen Hochkulturen“, wie sie am Indus, in Mesopotamien, in Ägypten, in China, vielleicht sogar während der Eiszeit, überliefert wurden. Sie sind alle verschwunden. Einige der „primitiven Nomadenkulturen“, wie die Aborigines in Australien, überlebten Zehntausende von Jahren, bis unsere heutige „westliche Zivilisation“ im 20. Jahrhundert die letzten Überreste von ihnen zerstörte und die letzten Nomaden zwang, sich niederzulassen. Das Wort „Sesshaftigkeit“ in seinem Ursprung ist mit „haften“ verbunden. In dem Moment, in dem man sich niederlässt, definiert man sein Eigentum innerhalb von bestimmten Grenzen und verteidigt es, weil man die Ressourcen genau dort zu sichern versucht, wo man bleibt. Bis heute gibt es in den USA die Idee, einen Claim abzustecken , wenn es um die Suche nach Mineralien über oder unter Tage geht. Nach der Auflassung von zwei Naturschutzgebieten, so genannten „National Monuments“ im US-Bundesstaat Utah um rund 85%, die gerade von US-Präsident Donald Trump unterzeichnet wurde, dürfen Bergbauunternehmen ihre Claims platzieren, hauptsächlich für die Öl- und Gasförderung. „National Monuments“ werden vom Präsidenten verkündet, ohne den Kongress fragen zu müssen, und können auch auf die gleiche Weise zurückgezogen werden. Dort lebende Menschen werden nicht gefragt. In diesem besonderen Fall leben in Utah Ureinwohner seit Tausenden von Jahren. Wichtige archäologische Stätten befinden sich dort zusammen mit endemischen Pflanzen und Tieren. Auf der anderen Seite glauben Kreationisten wie die Mormonen, dass Gott die mineralischen Ressourcen für den Gebrauch von Menschen in die Erde gelegt hat, als er unsere Welt erschaffen hat. In ihren Augen gab Gott die Schätze in die Erde und der Präsident sollte deswegen die Nutzung ermöglichen. Die meisten von uns in Europa und auch die Ureinwohner in Utah würden sagen, dass diese Nutzung eine rücksichtslose Ausbeutung darstellt.


Ausblick Auch in Österreich haben wir ein ganz besonderes Berbaugesetz. Wenn es z.B. um den Abbau von Kies geht, haben die Anrainer eines Abbaugebiets kein Recht im Genehmigungsprozess. Sie erhalten keinen Parteistatus, wie es ansonsten Jedem/Jeder in einer Bauverhandlung für irgendein anderes Bauprojekt oberhalb des Bodens zusteht. Menschen wie Carlo Scarpa agierten als Architekten über dem Boden, aber mit einer tief verankerten Verantwortung für Natur und Landschaft. Vielleicht wusste er von einem Prinzip, dessen sich die Aborigines immer bewusst waren: Je weniger du von der Erde wegnimmst, desto weniger musst du danach zurückgeben. Das Gleichgewicht muss gewahrt werden.

Krieg gegen die Elemente Österreich ist berühmt für die Alpen, ein großes Berg­ge­biet - und damit für Wintersportmöglichkeiten wie Skifahren. Nirgendwo sonst auf der Welt findet sich eine so hohe Gebäudedichte , Aufstiegshilfen wie Seilbahnen und Sesselbahnen auch in hochalpinen Regionen. Kombiniert mit diesen massiven Eingriffen in die ehemalige wilde Landschaft, kommt es zu einer Veränderung der Geländeoberfläche, die notwendig ist, um die perfekten Pisten für den Wintertourismus zu garantieren. Auf Grund der vielen Touristen in den Bergen ist Sicherheit eine große Herausforderung. Um Lawinen zu vermeiden, sind künstliche Barrieren unerlässlich. Für die Herstellung von Kunstschnee braucht man Schneekanonen, deshalb müssen Wasserbecken gebaut werden, Stromkabel müssen befestigt werden. All diese Interventionen sehen wie ein Krieg gegen die Elemente aus. Einige Leute, wie der österreichische Autor Felix Mitterer, geboren 1948, aufgewachsen unter ärmlichen Verhältnissen in Tirol, sprechen von einem „Zurückschlagen“ gegen die Berge. Seit Tausenden von Jahren war das Berggebiet eine tödliche Bedrohung für seine Bewohner und auch für die Reisenden. Die Bauern und auch die Minenarbeiter standen immer am Rande des Verhungerns, und sie hatten einen harten Kampf ums Überleben, bis der Tourismus, besonders in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, den Turnaround brachte. Aber in den letzten Jahren haben die Menschen in den Alpen nicht nur in die Infrastruktur investiert, um Tourismus und Komfort - auch für sich selbst - voranzutreiben Sie schneiden tief in die Oberfläche der Berge und setzen Tausende von Tonnen Beton hinein, um die Gefahr des dynamischen, sich ständig verändernden Natursystems in den Alpen zu stoppen. Es sieht wirklich so aus, als hätten sie eine Art Rache für die brutalen Bedingungen genommen, denen sie so viele Jahre ausgesetzt waren, und sie tun es immer noch, oder zumindest war es für sie einfacher, so mit ihrer eigenen gefährlichen Geschichte umzugehen.

Verantwortung für die Landschaft Wenn wir von der Verantwortung für die Landschaft sprechen, könnten die Mormonen in Utah, die den Berg­bau einfordern, und die Menschen in den Alpen, die in den Wintertourismus investieren, eine ähnliche Haltung gegenüber einer irreversiblen Transformation der Landschaft haben. Umweltschützer und Archäologen in beiden Ländern werden auf lange Sicht ähnliche Vorstellungen von Schutz haben, an die kommenden Generationen denken und die Schätze für sie bewahren. In Österreich haben wir keine permanente und produktive öffentliche Diskussion darüber, einen größeren Wert für uns als die Gemeinschaft der Menschheit zu definieren, um bestimmte lebenswichtige Landschaften vor einer Zerstörung durch Profitmaximierung zu bewahren. Im Gegenteil, in Österreich ist es ein modischer Trend, dass reiche Bürger Berge in hochalpinen Regionen kaufen und die ererbten alten Namen durch ihre eigenen Namen ersetzen. In der Balance der 5 Elemente kontrolliert die Erde das Wasser. Es hält das Wasser für ein kontrolliertes Abfließen zurück. Holz kontrolliert die Erde, die Erde selbst gibt dem Metall Nahrung, denn Metall ist eine Grundnahrung für Wasser.

4. Die Vorteile und Herausforderungen der Verwendung von Metall in Landschaften

Alle Arten von Metallen, wie Eisen und Stahl, nicht nur Edelmetalle wie Gold und Silber, waren schon immer sehr wertvoll. Als die Menschen anfingen, die Erde mit Werkzeugen zu bearbeiten, als Siedlungen und Ackerbau nach dem Nomadentum folgten, wurde Eisen unentbehrlich. Von diesem Zeitpunkt an wurde es auch als Waffe für den Krieg, zur Sicherung neuer definierter Grenzen und zum Schutz von Eigentum verwendet. Bis heute muss viel Energie investiert werden, um Erz aus der Erde zu holen. Jene Orte, an denen Eisenerz existiert, waren begehrte Ziele, auch wenn Lebensgefahr drohte. Die Alpen in Europa waren immer ein gefährlicher Wohnort für Menschen. Besonders im Mittelalter wurden dort verschiedenste Arten von Metallen in großer Menge von Legionen von Bergleuten unter harten Bedingungen ausgegraben, was wiederum einer kleinen privilegierten Gruppe Wohlstand brachte. Manchmal fiel Eisen in Form eines Meteoriten vom Himmel. So entstand wahrscheinlich der berühmte Stahl der Noriker, ein Stamm der Kelten, der ab 200 v.Chr. existierte. In Österreich und Süddeutschland wurde der Norikerstahl aus dem Erz eines riesigen Meteoriten geschmiedet, der im Jahr 465 v. Chr. vom Himmel fiel.

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Ausblick Die Qualität des von den Norikern geschmiedeten Stahls „ferrum noricum“ war so außergewöhnlich hoch, dass die Römer diesen Stamm zu einem angesehenen Handelspartner machten und ihn nicht unterwarfen. Die Waffen aus diesem Superstahl waren ein wichtiger Eckpfeiler für die militärische Dominanz des Römischen Reiches, das eine der fortschrittlichsten Kulturen aller Zeiten war. Europa hat in den Grenzen dieses Reiches, von einer mächtigen Armee gesichert, für beinahe 1.000 Jahre relativen Frieden gesehen. Aber all dieser Machteinsatz mit Hilfe von Stahl konnte die Landschaft nicht in der Weise verändern, wie es die industrielle Revolution seit Mitte des 18. Jahrhunderts tat.

Revolution

Die Verbesserung der Dampfmaschine durch James Watt im Jahr 1769 war der größte Meilenstein in diesem Zeitalter. Die Auswirkungen der industriellen Revolution auf die Menschheit waren ähnlich wichtig wie der neolithische Wechsel vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit. Radikale Veränderungen in Technologie, Produktivität und Wissenschaft gingen einher mit sozialen Umwälzungen. Absolut neu in der geschriebenen Geschichte ist der Einfluss dieser Revolution mit Hilfe von Stahl auf Landschaften auf allen Kontinenten. Der Abbau war plötzlich in nie gekannten Dimensionen möglich, und damit konnten fossile Energiequellen wie Öl und Kohle in einer neuen Dimension genutzt werden. Zuerst der Bau der Eisenbahn - und später die Straßen für den einzelnen Au­ toverkehr - schnitten tief in das dynamische System der Natur, das auf den Austausch der Elemente und Tiere gleichermaßen angewiesen ist. Die Verwendung eines dichten Materials wie Metall schwankte in der Praxis immer zwischen Verantwortung und Missbrauch in der Geschichte. Aber die industrielle Revolution war ein absoluter Wendepunkt in Richtung Ungleichgewicht. Der Erschöpfungszyklus der 5 Elemente beschreibt das Ergebnis der Beherrschung des Metalls als Schwächung der Erde. Eisen nimmt die Mineralien aus der Erde. Die Trigramme, immer drei Linien übereinander, zeigen die Erde als drei Yin-Linien. Yin ist das weibliche, drei Yin symbolisieren die Durchlässigkeit und einen hohen Zustand der Aufnahmebereitschaft und Hilfsbereitschaft. In den fünf Vokalisationen symbolisiert die Erde das Singen. Die Trigramme zeigen Eisen als drei Yang-Linien übereinander. Yang ist der männliche Aspekt, drei Yang symbolisieren auch den Himmel, Helligkeit, Kreativität und Egoismus in der Folge. In den fünf Vokalisationen symbolisiert Metall das Weinen. Wenn es jemals ein Zeitalter der Yang-Herrschaft im Hinblick auf Geschwindigkeit gab, ist es unser aktuelles Zeitalter und unsere westliche Kultur. Niemals war eine fortschrittliche Kultur in der Lage, eine solche Geschwindigkeit in Kommunikation und Transport zu erreichen, die eng mit Isolation und Egoismus verbunden ist.

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Kontrolle und Steuerung Im Sinne einer Ethik der Verantwortung für die Landschaft muss Metall mehr kontrolliert werden als alle anderen Elemente. Feuer ist das Element, das Metall kontrolliert. Die Trigramme zeigen Feuer als zwei Yang-Linien außerhalb und eine Yin-Linie im Inneren. Feuer ist heiß, von allen Seiten gesehen, aber das Yin wird im Inneren des Glühens gesehen. In den fünf Vokalisationen lacht das Feuer. Es ist auch verbunden mit Freude in den fünf Emotionen, sowie Metall Trauer und Trauer symbolisiert. In der Balance der 5 Elemente kontrolliert Metall Holz. Eine Axt spaltet einen Baum. Feuer kontrolliert Metall, Metall selbst ernährt Wasser, da Wasser eine Grundnahrung für Holz ist.

5. Die Vorteile und Herausforderungen der Nutzung von Wasser in Landschaften

Wasser ist eine Quelle des Lebens, so wichtig wie das Licht und das Feuer der Sonne und die Wärme aus fossiler Energie. Weil Wasser unentbehrlich ist und viel Nahrung für die Menschen mitbringt, so wie Fisch, wurden Siedlungen immer in der Nähe der Flüsse und entlang des Meeres errichtet. Aber Wasser, solange es unkontrolliert war, war zur gleichen Zeit eine Bedrohung und ein Vergnügen. Schwebend und in Bewegung, wie es sich als Fluss zeigt, könnte man niemals die nächste Flut und die damit einhergehende Verwüstung vorhersagen. Das Überqueren großer Flüsse und ihre Nutzung als Handelsroute durch den Bau von Schiffen war für die Menschheit ebenso wichtig wie der Einsatz von Feuer. Menschen hatten keine Werkzeuge, um den natürlichen Lauf großer Flüsse bis zum 20. Jahrhundert zu verändern. Die Notwendigkeit, durch die industrielle Revolution große Mengen an Strom zu erzeugen, brachte die Idee auf, riesige Wasserkraftwerke zu bauen. Die ersten Vorteile waren eine beeindruckende WinWin-Situation - fast wie beabsichtigt. Die elektrische Energie kam einher mit einer sicheren Wasserstraße für Schiffe und den Handel. Noch mehr wurde geglaubt, dass die sich ständig verändernden Flussufer für immer gesichert sein werden, und ein neuer Ansatz war möglich, um Siedlungen entlang des Flusses einzurichten. Wie wir jetzt erkennen, werden die Bemühungen, die Kontrolle zu behalten, bald stärker sein müssen, als die Vorteile aus der Wasserkontrolle. Dieses Element ist am stärksten durch seine Weichheit.


Ausblick Darüber hinaus gibt es eine Wahrheit in einem alten Sprichwort: „Wasser hat einen kleinen Kopf“! Wenn wir den Wasserfluss begrenzen und einschränken, reduzieren wir auch dessen lebenswichtige Qualität, und in Kombination mit der Zerstörung der Quellen und der Landschaft, aus der die Flüsse kommen, reduzieren wir die Wassermenge. Wasser entwickelt sich so wieder zur tödlichen Gefahr, weil na­türliche Flüsse ohne Grenzen in Form von Mäanderstrukturen bergab rasen. Auf der anderen Seite wird bald es keine Wasserreserven mehr geben, weil die Urwälder radikal abgeholzt werden und die Gletscher in den Bergen schmelzen. Die Donau in Österreich im Abschnitt von Wien war im 19. Jahrhundert noch frei fliessend. Die Menge an exquisitem Fisch, die jeden Tag daraus entnommen wurde, war außergewöhnlich hoch und machte Fisch zu einem billigen Essen. Die sehr armen Diener, die für die Oberschicht arbeiteten, beschwerten sich darüber, dass sie jeden Tag Fisch essen mussten, und ein spezielles Gesetz garantierte ihnen das Recht, nicht mehr als 3 Mal pro Woche Fisch zu essen zu müssen. Was für ein Verlust für uns heute, was für ein künstliches gewaltiges Unterfangen, um diese Art von Qualität wieder zu erlangen. Was für ein Aufwand die Flussufer zumindest entlang kleiner Flüsse zu renaturieren. Der Nil in Ägypten, der seit Tausenden von Jahren Wasser und Nährstoffe für Menschen brachte, wurde von einem Staudamm für ein 1976 fertiggestelltes Wasserkraftwerk aufgestaut. Die Fruchtbarkeit in Form von Schlamm und Fisch ist auch in der Flussmündung im Mittelmehr verschwunden und muss durch künstliche Nährstoffe ersetzt werden. Längerfristig wird der gesamte aufgestaute Flusslauf mit dem Flussschlamm aufgefüllt werden und somit wird die Effizienz des Kraftwerks verlorengehen und kann nicht wiederhergestellt werden. Die Vorteile solcher Projekte, auch in Österreich, haben die Nachteile überwunden, und sie werden es nie können, wenn wir uns den „Ecological Footprint“ anschauen. In der Balance der 5 Elemente kontrolliert Wasser das Feuer. Die Erde kontrolliert Wasser, Wasser selbst ernährt das Holz, da Holz eine Grundnahrung für Feuer ist.

Zusammenfassung

zum Aufbau einer Ethik der Verantwortung gegenüber der Landschaft Ein Anfang könnte gemacht werden indem das Bewusstsein für das Wunder Natur geweckt wird, indem den Menschen Beispiele für Best Practice gezeigt werden. Wenn die Menschen nie von der Schönheit der Milchstraße gehört haben, dann interessiert es sie auch nicht. Wenn ihnen niemand von der Schönheit eines uralten Baumes erzählt, suchen sie nicht danach. Die Suche nach solchen Schätzen braucht viel Zeit. Zu hohe Geschwindigkeit ist die größte Barriere für eine langsame Annäherung an die Schönheit der Natur. Feuer und Licht steuern die Geschwindigkeit. Feuer in den Herzen und Mitgefühl gehen mit Lachen und Freude einher. Eine fröhliche Ethik der Verantwortung täte uns allen gut.

Architektur, Feng Shui, Design und Tai Chi Dipl. Ing. Klaus Fürst-Elmecker beschäftigte sich schon während seinem Architekturstudium ab 1979 an der TU Wien nicht nur mit Design und Kunsthandwerk, sondern auch mit den Themen Feng Shui und Geomantie. Fürst-Elmecker ist seit 1993 als Tai Chi und Qi Gong Lehrer des authentischen Yang Stil innerhalb der ITCCA (International Tai Chi Chuan Association) tätig. Ab 1993 bis 2001 unterrichtete der Freistädter in Wien, seit 1995 leitet er Kurse in Freistadt, Bad Leonfelden und Pregarten, seit 2014 zusätzlich in Linz, Salzburg und Wien.

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TAI CHI QI GONG


Ausblicke – Die Stadt ausloten

Was ich sehe, wenn ich auf den Fluss schaue Notizen an den Ufern des Tietê und der Donau von Martin Benavidez*

Weil wir nicht aus dem Trockenen kamen (Pascal Quignard)

Eine andere Landschaft Ich erinnere mich an das erste Mal, dass ich São Paulo überflog. Mein erster Eindruck war, dass die Anordnung seiner unendlichen Bebauung rein zufälliger Natur war. Ein unregelmäßiger und bleicher Klecks von einer Stadt, der sich jenseits aller räumlichen Begrenzungen ausdehnt und tatsächlich den vollendetsten Ausdruck des zeitgenössischen urbanen Chaos darstellt, das – wie Koolhaas anmerkt – alle Unterscheidungen nivelliert, die Hierarchie durch die Akkumulation ersetzt, die Komposition durch die Addition. Es handelt sich um eine widersprüchliche Erfahrung, denn nach der Verblüffung des ersten Blickes, wirkt die Objektivierung einer derartigen Vielzahl menschlicher Arbeit im ersten Moment wundervoll, zufällig weil hier die menschliche Befähigung, die Welt, in der wir leben, umzuformen, besonders anschaulich Gestalt annimmt. Letztendlich stellte diese monströse Ballung von 20 Millionen Bewohnern vor kaum mehr als einem Jahrhundert wenig mehr als ein kleines Dorf dar! Doch auf einen zweiten Blick überkommt uns ein Unbehagen und nährt unsere Zweifel: Wie konnte dergleichen in so kurzer Zeit geschehen? Existierte eine Topologie des Raumes, die diesen Prozess lenkte? Wie kann man für eine derart ausgedehnte und gleichzeitig widersprüchliche Realität zu einer Idee von Gesamtheit zurück finden? Aber zwischen allen diesen Fragen drängt sich vor allem eine in das Bewusstsein all derer, die sich um die Zukunft der Städte sorgen: Wie könnte man heute eine Handlungsgrundlage festsetzen, die in der Lage wäre, ein großräumiges Territorium umzugestalten, dass sich als unregierbar erweist?

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Dort, wo das ahnungslose Auge Chaos erblickt, deutet der “Erfolg” São Paulos im letzten Jahrhundert auf eine bestimmte räumliche Ordnung hin, die seine Konsolidierung als wichtigstes produktives Zentrum Lateinamerikas ermöglichte – wir wissen, dass vielleicht sogar Gott in der Lage ist, die Würfel zu werfen, die Bourgeoisie jedoch nicht. Nach der Desorganisation seines Areals wurde São Paulo im Verlauf des 20. Jahrhunderts rigoros konzipiert – um einer Maschine gleich die Expansion des Kapitalismus sicherzustellen. In diesem Prozess kam seinen Flüssen eine zentrale Rolle zu, stellten sie doch das System dar, von dem ausgehend sein infrastrukturelles Netzwerk implementiert wurde. So wird die urbanistische Geschichte São Paulos zu großen Teilen durch den Prozess der Technifizierung seiner Flussauen erklärbar.


Ausblicke – Die Stadt ausloten Die Gewässer beeinflussen wie vielleicht keine andere urbane Problematik auf homogene Art das Großstadtareal, da sie nicht wählen, wohin sie fließen. Daher ist keine der partiellen Lösungsansätze in der Lage, dass Problem umfassend zu lösen, was eine systematische Perspektive notwendig werden lässt. In dem Maße wie die Flüsse immer die partikulare und die generelle Dimension, sowie lokale und territoriale Maßstäbe miteinander verschränken, stellt die Reflexion über sie eine Form dar, sich der Komplexität der heutigen Metropole von einem Element ausgehend zu nähern, das den Raum miteinbezieht und die Dimension der Großstadt als Einheit wieder in den Blick rückt. Hier also eine erste grundlegende Observation: Anhand der Beobachtung von Flüssen ist es sogar möglich, ein sich chaotisch und undechiffrierbar gebendes Territorium auf eine systematische Art begreifbar zu machen.

Ein Fluss ist ein Riss im Gelände, ein Bett, das die Zeit in den Raum prägte. Die hydrische Struktur einer Stadt stellt eine Beziehung zwischen dem Raum und der Zeit dar, in der die Gewässer der physischen Beschaffenheit des Terrains eine Form geben. So wie von diesen Linien ausgehend die Netze der fundamentalen Infrastruktur der Stadt implantiert werden, so ist es möglich diese Netze als Skelett der Stadt zu verstehen, als Knochenstruktur, die seine Kohäsion trotz seines oberflächlichen Chaos beibehält. So ist die Idee, die ich verfechte, dass die systematische Transformation der Nutzung der Flussauen als räumliche Struktur einen nachhallende Wirkmacht auf die Gesamtheit der Stadt ausüben kann. Aus dieser Perspektive ist das Betrachten des Flusses eine Weise, Formen der Transformation des urbanen Raumes zu erdenken, die in der Lage sind, auf lange Zeit zu bestehen. Es ist die Möglichkeit, eine andere Landschaft jenseits der Maßstäbe moderner Metropolen zu imaginieren.

Eine Landschaft des Anderen

Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts hat sich das städtische Gefüge der Stadt São Paulo in einem solcherart akzelerierten Rhythmus gewandelt, dass es schwer fällt, seine Bebauung als konstantes Element zu begreifen, das in der Lage wäre, die heutigen städtebaulichen Interventionen dauerhaft verankern zu können. Wenn wir verstehen, dass ein großer Teil der Stadt in nur einem Jahrhundert bis zu drei Mal wiederaufgebaut wurde, präsentiert sich die Zukunft der Stadt als ihr einziges Erbe. Aber in diesem Prozess der besinnungslosen Urbanisierung erscheint das Geplante, das die Infrastruktur bestimmt, als das Element, das tendenziell auf lange Sicht konstant bleiben wird. Daraus folgt, dass es fundamental ist, die Zukunft der Stadt von Faktoren aus zu denken, die die Struktur der Stadt zu definieren vermögen; unter diesen kommt den Flüssen eine herausgehobene Rolle zu.

An den Ufern der Donau sitzend, beobachte ich, wie jede Sekunde 6,5 Millionen Liter Wasser an Linz vorbeifließen. Ich könnte dort Stunden verbringen, denn Flüssen wohnt – wie dem Feuer oder dem Kapitalismus – ein hypnotischer Effekt inne: Immer in Bewegung begriffen, wiederholen sich doch nie die Formen, die ihre Wasser zeichnen, obgleich sie im Ganzen doch immer gleich bleiben. Aber seltsamerweise suggerieren mir diese enormen Wassermassen eher die Idee einer Oberfläche als die eines Volumens: Millionen Liter, die von der Ausdehnung des weiträumigen Gebietes berichten, die die Donau vereint. In einem Flussbecken von 817.000 km2, das sich auf 2.888 km Länge ausdehnt, vereint der antike Istros 10 verschiedene Länder, 9 amtliche und 20 regionale Sprachen. Diese Ausdehnung ist also ein gemeinsames Element dutzender unterschiedlicher kultureller Identitäten, etwas, das überbrückt. Etwas gemein haben mit dem Anderen, d. h. mit dem Unbekannten, Unverständlichen, Unklassifizierbaren, dem Beunruhigenden – all das, was eine zeitgenössische Stadt symptomatisch zu leugnen scheint. Ein erster Blick auf den Fluss erlaubt zu verstehen, dass er in Längsrichtung integriert, artikuliert, vereint: Er deutet Nähe an. Aus dieser ersten Beobachtung ergibt sich eine zweite: Der gleiche Wasserlauf zerschneidet auf der Querachse, er zerteilt, separiert: Er zwingt eine Distanz auf. In Bezug auf den Raum nähert der Fluss folglich an, während er gleichzeitig

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Ausblicke – Die Stadt ausloten Ob als Begrenzung oder Weg – der Fluss bringt die Existenz des Anderen ins Spiel. Das Verständnis darüber, welche ihrer beiden latenten Dimensionen in der städtischen Struktur vorherrscht (Weg oder Grenze), stellt eine Möglichkeit dar, die Art und Weise zu reflektieren, in der die Stadt die Beziehung zu dem Anderen verortet hat. Der Fluss birgt also in sich die Möglichkeit (man sollte sagen, die Notwendigkeit), die gegenwärtige Stadt als einen Raum der Gastfreundschaft mit allem, was wir seltsam, vielfältig oder unverständlich finden zu begreifen – als eine Landschaft des Anderen. Wenn ich also auf den Fluss schaue, sehe ich den Raum einer notwendigen Reflexion, wenn wir den Sinn der Stadt als den alten und niemals gänzlich realisierten Wunsch verstehen, gemeinsam zu leben.

fernhält. Aufgrund dieses ihm inhärenten Widerspruchs kann der Fluss symbolischerweise ebenso mit einer ursprünglichen Form der Kommunikation wie mit einer Art der Separierung assoziiert werden. Dies ist also seine paradoxe Bedingung: Der Fluss ist ein Weg der Kommunikation mit den Anderen und zugleich die Begrenzung, die uns von ihnen trennt: gleichermaßen Straße und Grenze. Der Fluss definiert so ein Territorium des Wir und gibt gleichzeitig flussauf und flussab von der Existenz des Gebietes der Anderen Kunde. Diese Frage ist heute von besonderer Relevanz, weil wir Zeugen einer Zeit sind, in der Grenzen und Barrieren im gesellschaftlichen Diskurs sowie in der Produktion des städtischen Raums immer mehr an Bedeutung gewinnen. Europa ist ein gutes Beispiel dafür: Nach Jahrhunderten der territorialen Integration durch die Schaffung eines ausgedehnten und komplexen Systems von Kanälen, die praktisch den gesamten Kontinent verbinden und einem mehr als einem halben Jahrhundert währenden Prozesses kultureller, politischer und wirtschaftlicher Integration in der Europäische Union, erleben wir heute das Aufflammen eines Diskurses, der den Aspekt des Anderen als Bedrohung uminterpretiert. Auf diese Weise rechtfertigt dieser Diskurs die Prozesse der sozialen und räumlichen Fragmentierung, deren Konsequenz zunehmend starre Grenzen zwischen Nationen und Menschen sind.

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Martin Benavidez Geboren 1986 in Córdoba / Argentinien, studierte moderne Literatur bevor er zu Architektur und Urbanistik an der Universidad Nacional de Córdoba wechselte. Seit seinem Abschluss 2012 setzt er sich mit seinem derzeitigen Hauptinteresse auseinander: Raum und Wort. 2011 erhielt er für seine Abschlussarbeit ein Stipendium an der Universität São Paulo, Brasilien. Im Jahr darauf begann er für MMBB Architects zu arbeiten, der kollaboriert mit Paulo Mendes da Rocha. 2015 erhielt er ein 3-Jahres-Stipendium an der Faculty of Architecture and Urbanism (FAU-USP) in Brasilien und seit 2016 hält er ein Stipendium des DAAD als Visiting Researcher an der Humboldt Universität Berlin um an „Fluvial Motropolises“ zu Raum und Zeit zu forschen.


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DIE LASTENRAD-FÖRDERUNG Die Stadt Linz unterstützt Privatpersonen, Fahrgemeinschaften, Betriebe / Organisationen mit Standort bzw. Hauptwohnsitz in Linz beim Kauf von Lastenrädern, Elektro-Lastenrädern und Fahrradanhängern. Den Ankauf folgender Transportmittel fördert das städtische Umweltressort mit 30 Prozent der Investitionskosten. Die maximalen Förderhöhen im Überblick: E-Lastenfahrräder: Maximal 1000 Euro Lastenfahrräder: Maximal 800 Euro Fahrradanhänger: Maximal 150 Euro

Alle Informationen zu den Förderungen des Umweltressorts:

www.linz.at/umwelt/foerderungen.asp

Foto: Max Mayrhofer

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Lastenräder verursachen weder Abgase noch Lärm und brauchen zudem wenig Platz. Deshalb fördert das Umweltressort der Stadt Linz den Umstieg auf das umweltfreundliche Transportmittel.

Umweltstadträtin Mag.a Eva Schobesberger

Umweltmanagement der Stadt Linz

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Der prominente Leerstand

Vanishing Garden Kahlschlag des Waldstreifens am Donaudamm Beitrag von Christoph Wiesmayr

Eine besondere Spannung liegt diesem Zauber inne; jene des Verschwindens und des Wieder-Erscheinens von Materie in einem gewissen Zeitraum der Transformation. Der magische Moment des Neuentdeckens ist besonders auch im Linzer Osten spürbar. Landschaftstransformation Plötzlich existiert oder verschwindet etwas in dieser von Industrie und Gewerbe dominierten Stadtlandschaft, was vorher so nicht denkbar oder möglich war. Dies ist jedoch kein fauler Taschenspielertrick, sondern Alltag in dieser Gegend. Boden wird hier tagtäglich mechanisch oder durch Erosion umgewälzt. Plötzlich wird Raum frei oder für einen logistischen Zweck errichtet. Spontanvegetation siedelt sich mittels Sporenflug auf Freiflächen an, die zuvor noch verschlossen waren. Karge Flächen werden unbemerkt mit neuem Leben beseelt. Mooslandschaften grünen auf warmen Schlackefeldern mitten im Winter. In Pfützen von Schotterparkplätzen laicht die vom Aussterben bedrohte Wechselkröte. Auf den Hängen der Schlackeberge siedeln sich Erdwespen an. In Fensternischen von Gewerbehallen nisten Mauersegler. Auf 60 Metern Höhe, in einem Werbeturm, brütet ein Falke. Auf einem begrünten Industriedach erntet ein Apollofalter seinen Nektar. In Abwasserkanälen der Industrie siedeln sich Donauwaller mit einem Gewicht bis zu 100 Kilogramm an. Ein Biber nistet im Grundwasserkanallauf. Im Niemandsland auf einem alten Damm entsteht ein Gemeinschaftsgarten. …

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Entzauberung durch technologisierte Gesellschaft Vieles geschieht hier unbemerkt, im Schutze des Verborgenen. Zwischen Gewerbehallen, Plakatwänden, Schallschutzwänden und Hochwasserdämmen. Ruderalvegetation, sogar Sukzessionswald gedeiht über Jahre bis der Mensch eingreift und wieder Ordnung schaffen muss.

verschwunden. Im Eiltempo wurde die frühere Aulandschaft hochwassersicher mit Kriegsschutt und Abfall der Stadt aufgeschüttet und fast vollständig versiegelt. Wer jetzt diese Restflächen besucht, betritt historischen Boden und taucht ein in skurrile Raumstrukturen, welche von linearen Grenzen des modernen Stadtrasters unterbrochen werden.

Der jähe Zauber hat dann sein Ende gefunden. Die Stadt kämpft hier stets mit den unzähmbaren Einflüssen der wilden Natur. Eine Sisyphusarbeit, wie es sich über einen längeren Zeitraum darstellt. Gras muss gemäht werden, Bäume müssen zurückgestutzt oder entfernt, Bahngleise von Vegetation chemisch befreit werden. ...

Lust am Wiederentdecken, Neuentdecken, Weitererzählen Wie tritt etwas verschwunden oder verloren Gegangenes wieder in Erscheinung? Was hat man hier zu suchen und was gibt es noch zu finden? Wertvolles wird hier von jemand anderem gefunden – der ursprüngliche Besitzer hat es aus den Augen verloren. Oder die eine Generation hat etwas mit Absicht beseitigt, verdrängt, versteckt, … und die nächste Generation entdeckt das Verborgene.

Kahlschlag am Damm Im Winter 2017/2018 wurde ein über 20 Jahre alter und über zwei Kilometer langer Sukzessionswald am Donaudamm auf Höhe des Segelflugplatzes am Tankhafen planiert. Eine Sicherheitsmaßnahme für den Hochwasserschutz - so hieß es. Dieser Eingriff blieb bisher fast unbemerkt. Alte Bauernhöfe Hier existieren noch wenige Relikte aus der früheren Aulandschaft Lustenau. Die Spezies, die früher die Stadt mit Obst und Gemüse versorgte, ist heute vom Aussterben bedroht. Wenige Höfe mit alten Hausnamen wie Hollaberer, Prielmayr, Flachenauer, Hallermayr sind noch bewirtschaftet und lassen sich bis in das 15. Jhdt. zurückverfolgen. Höfe wie Stiegl-Michl oder Seiler-Gut sind mittlerweile spurlos

Neu? Urban Mining Unsere Gesellschaft und deren Wertvorstellungen befinden sich stets in Transformation. Lasst uns also diesen unsichtbaren Geschehnissen, diesen scheinbar vergessenen sowie flüchtigen Ereignissen gemeinsam auf der Spur sein, wie Minenarbeiter nach historischen Schichten und Geschichten graben und erzählen wir diese Geschichten gegen die schleichende Landschaftsvergesslichkeit* für nächste Generationen weiter.

*Jared Diamond; in Kollaps


Verschwinden. eine Frage der Kultur

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Harbourium

Hafenindustrieromantik Industriegebiet, Segelflugplatz. Texte in Annäherung an Raum und Inszenierung geschrieben von Tanja Brandmayr

1 Stichstraße_Einstieg / 2 Die Wetterstation: Surreale Geometrie / 3 Dominanzen im Gebiet / 4 Die Grundwasser-Korrektur als erste Dramatisierung des Raumes / 5 Fläche als Verhandlungstisch (Einsprengsel Theorie-Schwemmland) / 6 Der Hase im Flieger / 7 Poesie und echte Industrieromantik-Empfehlung (Einsprengsel Kritik-Schwemmland)

Der Hase im Flieger 15. August, früher Nachmittag, Feiertag. Ich erkunde einen neuen Zufahrtsweg zum Segelflugplatz und nehme die Zufahrt über die Prinz Eugenstraße. Ich sehe hinter dem Cineplexx wieder eine Freifläche, riesige Berge aus Holzstämmen und eine Schrebergartensiedlung. Vorne biege ich in die Hollabererstrasse und komme beim Kreisverkehr zur Nebingerstraße heraus, fahre noch etwas herum. Im Tankhafen ist Feiertagsruhe, einmal brettert ein LKW vorbei. Mir fällt eigenartig auf, dass sich hier im Industriegebiet Sackgassen- und Fahrverbotsschilder mit Autobahnhinweisschildern zur A1 und A7 merkwürdig abwechseln, was völlig verschiedene Impulse zum Abbremsen und Beschleunigen suggeriert. Ich fahre dem LKW in der Nebingerstraße nach, er hat in der Sackgasse bei der IQ-Tankstelle abgebremst und geparkt: Am Ende der Sackgasse ist eine Tankstelle, direkt am Rand zum Grün...Ich mache große Augen und drehe wieder um und bewege mich zurück ins Gebiet. Hier ist definitv dichtestes Linz AG-Land, hier treffen Stromversorgung und Abfallwirtschaft aufeinander, mit sämtlichen Gebäuden und Konstruktionen zu ebener Erde und in der Höhe. Ich befahre den Tankhafen und staune. Bei einem Hafenbecken entdecke ich hinter einem geparkten LKW einen alten, türkisen Peugeot mit schwarzem Kennzeichen. Der Besitzer hat im Gestrüpp im Hafenbecken seine Angel ausgeworfen. Ich komme zum Kreisverkehr zurück und parke, um die Gegend zu begehen. Weiter vorne steht ein großer Mercedes mit aufgedrehtem Licht, sein Besitzer scheint auf etwas zu warten. Inmitten der Hitze kommt eine Touristen-Radfahrergruppe den Asphalt heraufgestrampelt, mit Satteltaschen am Gepäckträger und sämtlichem Radtouristen-Pipapo. Sie fahren eine Runde im Kreisverkehr, schauen die Tanktürme an, wirken in ihren Helmen etwas unentschlossen und biegen dann wieder ab. Wie ich erst jetzt feststelle, scheint hier eine unsichtbare Grenze vom Industrieviertel zum Hafengebiet zu verlaufen, denn auf den Hinweisschildern bei den Tanktürmen wird unbefugtes Betreten des Hafengebietes behördlich untersagt. Ich frage mich, ob das die Touristen abgeschreckt hat und stehe vor der Frage, auf welche Wege sich das Verbotsschild überhaupt bezieht, oder ob ich über-

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Harbourium haupt bereits im verbotenen Hafengebiet stehe, während ich das lese. Und wenn nicht, ob mein Interesse für den Segelflugplatz bereits eine Begründung für befugtes Befahren ausgemacht hat. Generell: Stellt das Bedürfnis nach Erholung und Freizeit bereits eine Befugnis zum Betreten dar? Ich entschließe mich zu glauben, dass es sich hier um eine Mischung aus Ueberbleibsel, Duldung und Haftungsabsicherung handelt und fahre wieder in die Sackgasse zur IQ-Tankstelle, um dort mein Auto abzustellen. Die Tankstelle hier am Rand zur Natur ist ein Kuriosum, zumal sich hier am Abend schon so manch einsamer Hase auf der gut ausgeleuchteten Fläche neben den Zapfsäulen getummelt hat. Das sind die special effects hier, die magischen Momente im Industriegebiet, die sehr oft mit Hasen zu tun haben. Der Schilderwald, der einem beim Weg zum Flughafenplatz empfängt, ist in seiner Ansammlung von Verboten und Erklärungen ein Schauspiel an sich: Hier treffen Industrie und Freizeit hart aufeinander, wahrscheinlich im Falle der Segelfliegervereine in einer Nutzungssymbiose der Tankstelleninfrastruktur, wie auch in einem gemeinsamen Verständnis, was das Aufstellen von Verbotsschildern betrifft: Industrie und Freizeit trennt eine Gleisanlage, die natürlich nicht betreten werden darf, vom Flughafen, der auch nicht betreten werden darf. Das ist aber überall so hier im Hafengebiet, wo allenthalben sehr viel betreten verboten wird. Tatsächlich scheint es diesbezüglich aber kaum Probleme zu geben, abgesehen von einem vielleicht größeren Interessenskonflikt der Regulierung von Natur und Industrie, dessen Anstrengung sich so spiegelt. Ich gehe den Weg in Richtung Süden, nach vorne zur Landzunge. Wieder einige Hinweis- und Verbotsschilder, es ist aber Verzauberung angesagt: Der Jäger verbietet in Frakturschrift, die Hunde laufen zu lassen, dann ein uneinsichtiger Weg, blühende Spontanvegetation, rechts der Blick auf ein Stück aufgelassene und eingezäunte Industrie, Gebüsch, Rosengehölz, Wechselkröten-Ablaiche, Stauden mit blauen Beeren, Tanktürme, wieder ein gigantischer Berg aus Holzstämmen. Sogar der Stacheldrahtzaun, der das alles abgrenzt, bekommt etwas Sinn, wenn man weiß, dass zumindest die Hasen diese eingezäunten Zonen nutzen, um sich dort vor den freilaufenden Hunden in Sicherheit zu bringen, und tatsächlich sollen die Hasen die eingezäunten Sicherheitsfläche auch nutzen, um zu kopulieren. Danach, etwas weiter vorne, inmitten dieser Natur ein faszinierter Blick auf das Wasser und die Industrielandschaft dahinter. Wenn man Richtung Linz schaut, erhebt sich über diesem ganzen Industriewahnsinn in strahlendem Sonnenschein der Pöstlingberg - wenn das kein Postkartenmotiv des etwas anderen Linz ist. Tatsächlich tut es mir für die Radfahr-Touristen von vorhin leid, dass ihnen das entgeht - und wahrscheinlich gäbe es doch einige touristische Nutzungsmöglichkeiten, sofern man das nur irgendwie wollen oder angemessen auf die Reihe bringen könnte. Das jedenfalls, was an erfreutem Ausblick an der anderen Seite des Segelflugplatzes immer die Donau besorgt, wird hier durch die Kulisse des Tankhafens samt dahinterliegender Industrie geliefert: Ein faszinierter Blick auf Wasser, Industrielandschaft, Tanktürme, immer wieder das schöne Wort Oelsperre, ein im Sonnenlicht fast „photogeshoppt“ wirkender Linz AG Turm, Holzstämme, Produktionslärm, ein aus dem Wasser wegstartender Schwan, braune Babyschwäne, eine Durchsage, die vom anderen Ufer he-

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Harbourium rüberschallt und an eine Bahnhofsdurchsage erinnert, immer wieder Detailblicke auf eine organisch wirkende Struktur, dann tatsächlich ein Industriezug auf den Schienen - das weckt ob der Entfernung Spielzeugassoziation: Die riesige Industriemaschinerie schrumpft von ungeheuerlicher Größe in etwas ganz Kleines, verwandelt sich in der Vorstellung in kindliche Wahrnehmung, weil die Zusammenhänge übermächtig sind und völlig verborgen bleiben. Dass das Gebiet hochreguliert ist, wird hier in aller Deutlichkeit sichtbar, nicht nur durch den Blick ins große Ganze, sondern auch durch viele Details: Etwa durch die gelben Erdgasleitungsanzeiger, die überall zwischen Bäumen oder direkt am Wasser auftauchen. Oder durch die Dükeranlage, die an der Spitze der Landzunge steht: Sie pumpt das Abwasser kilometerweit von da nach dort, unter Land und unter Donau. Ueber der betonierten und eingezäunten Anlage ist auf einer Stahlkonstruktion wieder ein Schild zu lesen: „Verweilen unter hängender Last verboten“. Als ob jemand über den Zaun steigen würde und genau auf 10 Quadratmetern Dükeranlage unter hängender Last verweilen würde wollen. Ich begrüße einen Angler, der mit seinem Auto an der Donau steht, und würde ihn gerne fragen, ob er es sich auf der Dükeranlage bequem machen würde wollen, wenn es nicht verboten wäre. Ich gehe dann lieber aber ein paar Schritte hinauf - dorthin, wo man zwischen den Hecken Einblick auf die gesamte Fläche des Segelflugplatzes hat. Von hier bietet der Blick die eigentliche Sensation auf den Platz, denn der Freiraum erstreckt sich in voller Länge: die ökologisch geschützte Zone vor der Fläche des Segelflugplatzes, dahinter der Segelflugplatz, insgesamt eine langgezogene Freifläche, eingekeilt von Wasser: Inmitten der durchrationalisierten Zone ein plötzlicher Leerlauf, der dem Rhythmus der Natur zu folgen scheint. Vereinzelt Tierdarsteller, Menschendarsteller. In dieser paradoxen Ansammlung von Eindrücken würde es mich nicht wundern, wenn ich am späten Abend mal einen Hasen selbst in einen Flieger einsteigen sehen würde, einen Hasen, der die Fallwinde zu nutzen versteht und eine Flugrunde über den Norden von Linz zu ziehen pflegt. Ganz im Sinne der Trias von Natur, Kultur und Industrie weiß der Hase Bescheid und schraubt sich berauscht durch die Luft. Ich schicke diese spontane Idee, diesen gedanklichen Irrläufer aber den Donauweg hinunter: Da läuft er dahin, joggt fit bis in die Turnschuhe seines Weges, entfernt sich wieder von mir, bis er ganz verschwunden ist. Beim Zurückgehen riecht es zuerst nach Sommer, dann bilde ich mir ein, dass der Wind nach Superkleber stinkt. Das ist nämlich auch so etwas, was im Industriegebiet ganz real aufeinandertrifft und bei der Heimfahrt ganz normal auffällt: Riecht es auf den Straßen des Industrie- und Hafenviertels einmal streng nach Lack und Farbe, kann es sein, dass ein paar Meter weiter feiner Bäckereigeruch über den Strassen liegt.

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Book-Release-Party Buchpräsentation party | show

Place: Linz, AT Site: Time's Up Labs - Industriezeile 33B Date: 03.05.2018 Time: 19:00 No third act of an anniversary without a proper party

www.hochhaus-daneben.at

Initiative gegen Hochhaus-Willkür und für zukunfts-taugliche Stadtplanung

Foto: Scheinost

MI, 18. April 2018 um 18:00

www.hochhaus-daneben.at afo - architekturforum oö, Herbert-Bayer-Platz 1, 4020 Linz

Lob an die rurbane Nische von Christoph Wiesmayr Die Stadt benötigt durchlässige, atmende, mit Leben durchströmte Räume. Räume im steten Austausch zwischen Innen und Außen. Keine herme­tisch nach außen hin abgeschlossene Raumhülsen. Ihre Hüllen sind weitgehend offenporig, einem Organismus gleich.gleich. Das Vorfeld und das Innere regen den (meist zu Monotonie verkommenen Geist) an, indem der Alltag, wie der Blick durch ein Kaleidoskop gebrochen wird und somit durch wundersame Weise in andere oder neue Bahnen gelenkt werden kann. Es gibt zu wenig solcher Orte in der Stadt, mit genügend Platzangebot, die unbürokratisch genützt werden bzw. zum Machen, zum Verweilen oder zum Diskurs anregen können. Befindet man sich an einem solchen Ort, eröffnet sich ein neuer Blick auf die Dinge, auf die Umwelt und auf die Stadt selbst. Es ist, als stünde man ein Stück weit entfernt. Eine gewisse „gesunde“ Distanz zur Stadt - ohne ihre alltäglichen Abläufe der Industrie und den sich wiederholenden Handlungssträngen. Diese Distanz eröffnet einen neuen Freiraum. Eine kreative, rekreative Oase, in der man Dinge neu entdecken und beobachten kann. Somit bekommt dieser Ort unbewusst eine gewisse Wertigkeit - für den Kunst- und Kulturschaffenden als auch für dessen Besucher und einfache PassantInnen. Rurbane Nischen sind Buchten, neben der alles mit sich reißenden, vom Kapitalfluss geprägten Hauptströmung. Wird diese Hauptströmung (Mainstream) zu dominant, lässt sie diesen Buchten keinen Platz mehr und reißt sie in die fortwährenden Wirbel des Alltags mit.


Stadtbild~Hafen

Ecke Linke BrĂźckenstrasse/Kaltenhauserstrasse

Hier ist Platz fĂźr dein Linzer Stadtbild-Hafen-Motiv. Mail an: info@schwemmland.net

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