Der Burzynski Durchbruch Eine vielversprechende Krebsbehandlung … und die Bemühungen der Regierung, sie zu unterdrücken
Thomas D. Elias
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Der Burzynski Durchbruch Thomas D. Elias
Copyright deutsche Ausgabe© 2014 – Verlag: Jim Humble Verlag Das Neue Licht / Jim Humble Verlag Postbus 1120, 6064 KC Roermond, Niederlanden www.dasneuelicht.com www.jimhumbleverlag.com Erste Auflage: Januar 2014 ISBN: 9789088791024 Print-Ausgabe ISBN: 9789088791031 Ebook-Ausgabe
Übersetzung aus dem dem Englischen von Klaus Peter Kubiak Ursprünglicher Titel: The Burzynski Breakthrough … and the goverment´s campaign to squelch it Copyright © 1997 Thomas D. Elias.
Die Vervielfältigung und/oder (digitale) Speicherung von Teilen dieser Ausgabe bzw. deren Veröffentlichung durch Druck, Mikrofilm, Bildaufnahmen oder auf sonstige Weise, sei es chemisch, elektronisch oder mechanisch, bedarf immer der vorherigen, schriftlichen und ausdrücklichen Zustimmung des Verlegers.
INHALT Eintleitung von Thomas E. Elias ............................................................. 4 Wie es zu diesem Buch kam .................................................................... 6 Vorwort.................................................................................................. 11 Einleitung .............................................................................................. 22 Eie Geschichte von Tori Moreno ........................................................... 34 Kapitel 1 ................................................................................................ 54 Die Geschichte von Pamela Winningham ............................................. 80 Kapitel 2 ................................................................................................ 93 Die Geschichte von Theresa Kennett................................................... 104 Kapitel 3 .............................................................................................. 117 Die Geschichte von Crystin Schiff ...................................................... 129 Kapitel 4 .............................................................................................. 143 Die Geschichte von Randy Goss ......................................................... 164 Kapitel 5 .............................................................................................. 179 Die Geschichte von Zachary McConnell ............................................. 195 Kapitel 6 .............................................................................................. 215 Die Geschichte von Mary Jo Siegel..................................................... 242 Kapitel 7 .............................................................................................. 257 Die Geschichte von Thomas Wellborn ................................................ 278 Kapitel 8 .............................................................................................. 291 Die Geschichte von Michele Curtis ..................................................... 322 Update – zwischen 2000 und 2014 ...................................................... 332 FDA ende März 2004 zurück .......................................................... 338 Entwicklungen zwischen 2002 und 2003 ........................................ 339 Maßnahmen und Warnungen durch die FDA ................................. 343 Die Anhörungen vor dem Texas Medical Board ............................ 347 Entlarvung von USA Today ............................................................ 351 Die Zukunft ..................................................................................... 356 Nachwort ............................................................................................. 363 Auswertungen der klinischen Versuche bis Juli 2001 ......................... 372 Abgeschlossene klinische Versuche .................................................... 379 Vorläufige Resultate von zwei japanischen Versuchen ....................... 381 Frühe Resultate der Krebsbehandlung mit Kaliumphenylbutyrat........ 383 Dr. Burzynski-Therapie in Deutschland .............................................. 385
EINTLEITUNG VON THOMAS E. ELIAS
Sollte es Ärzten erlaubt sein, Patienten mit Methoden zu behandeln, die sich als wirksam, ja sogar lebensrettend erwiesen haben, bevor diese Methoden von der amerikanischen Lebensmittel- und Arzneimittelbehörde der Vereinigten Staaten genehmigt wurden? Dieses Dilemma steht im Mittelpunkt der Kontroverse um Dr. Stanislaw Burzynski, einem in Houston ansässigen Arzt und Pionier im Kampf gegen den Krebs. „The Burzynski Breakthrough“ ist die explosive und wahre Geschichte von Dr. Burzynski und seiner revolutionären Entdeckung der Antineoplastone – der vielversprechendsten Krebsbehandlung, die es jemals gab – und die Geschichte einer rücksichtslosen, achtzehn Jahre andauernden Hetzkampagne der Regierung und ihren Bemühungen, nicht nur diese kontroverse Behandlungsmethode zu unterdrücken, sondern auch Burzynski persönlich zu vernichten. Burzynski war aus Polen in die Vereinigten Staaten geflüchtet, kurz nachdem er den offensichtlichen Zusammenhang zwischen Krebs und verschiedenen, damals noch nicht identifizierten, Chemikalien im Blut entdeckt hatte, wodurch es ihm gelang, viele hundert Menschen vor dem sicheren Tod durch Krebs zu retten, die auf andere Behandlungsmethoden nicht reagierten. Dadurch zog er sich die Feindschaft der FDA und vieler orthodoxer Ärzte zu. Burzynski, der eigentlich nur Leben retten wollte, wurde bürokratischen Angriffen und Schikanen ausgesetzt, die man nur als moderne Hexenjagd bezeichnen konnte. In einer Geschichte, die von Machtkämpfen, Eifersucht, persönlicher Rache und Verrat bestimmt wird, schildert der preisgekrönte Autor Thomas D. Elias ein Drama, bei dem der Leser Dinge erfährt, die er niemals für möglich gehalten hätte:
Die FDA vertritt ausschließlich die Interessen der Pharmaindustrie und enthält Kranken und kleinen Firmen vielversprechende neue 4
Behandlungsansätze und Medikamente vor. Die medizinischen Kreise, die gegen Dr. Burzynski kämpfen, werden durch geradezu skandalöse Verhältnisse und Motive bestimmt. Aufgrund der extrem langsamen Genehmigungsprozesse durch die FDA haben zahlreiche Menschen ihr Leben verloren. Es gibt zahlreiche Beschwerden über wissenschaftliche Unredlichkeit in den höchsten Stellen der amerikanischen Medizin.
In dieser aktualisierten Ausgabe sind auch neue Diagramme enthalten, aus denen deutlich wird, wie wirksam die Antineoplastone gegen zahlreiche Arten von Krebs sind. Sie führt neue Fallgeschichten auf und erzählt herzzerreißende Geschichten von Patienten, deren Leben durch die Behandlung von Dr. Burzynski gerettet wurde. Dieses interessante Buch bietet eine faszinierende Analyse der Wirkungsweise der Antineoplastone, und zeigt, was sie für die moderne Medizin und das Wohl der Menschen bedeuten könnte. The Burzynski Breakthrough schildert einen modernen Kampf David gegen Goliath. Es beschreibt, wie ein einzelner Mensch den Kampf gegen ein monolithisches System aufnimmt und hunderten von Menschen das Leben rettet, die von anderen bereits aufgegeben worden waren.
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WIE ES ZU DIESEM BUCH KAM Als Mary Jo Siegel zum ersten Mal mit der Geschichte von Dr. Stanislaw Burzynski zu mir kam, wollte ich damit nichts zu tun haben. Es war Mitte Sommer 1995, und als der Westküstenkorrespondent vom Scripps Howard News Service war ich total mit dem Prozess gegen O.J. Simpson beschäftigt. Das Letzte, was ich im Augenblick brauchte, war eine weitere kontroverse Geschichte. Ich hatte Mary Jo und ihren Mann Steve etwa 16 Jahre zuvor kurz kennengelernt, als wir gemeinsam einen Abendkurs besuchten. Als sie mir damals erzählten, dass die Regierung versuchte, den Arzt, der das Leben von Mary Jo und vielen anderen gerettet hatte, ins Gefängnis zu werfen, war ich an der Geschichte zuerst überhaupt nicht interessiert. Als Journalist wird man häufig von irgendwelchen Spinnern belästigt, die einem eine brandheiße Sensation auftischen wollen. Aber was die einem bringen, ist nur selten interessant. Die Geschichte der Siegels von rachsüchtigen Regierungsbehörden und einer Krebsindustrie, die eigentlich gar nicht daran interessiert sei, ein Mittel gegen den Krebs zu finden, schien eine dieser dubiosen Sensationen zu sein. Aber aufgrund unserer Bekanntschaft stimmte ich zu, mir das Material, das sie mir geschickt hatten, zumindest anzuschauen. Je mehr ich mich mit der Sache beschäftigte, desto interessanter wurde sie. Ich rief die Amerikanische Krebsgesellschaft an sowie die Food and Drug Administration (FDA)1 und das Nationale Krebsinstitut. Niemand nannte Burzynski einen Quacksalber. Auch behauptete niemand, dass seine Antineoplastone keine Wirkung haben würden. Alle sagten nur, dass es sich um eine experimentelle, bisher noch nicht bewiesene Behandlungsmethode handeln würde. Als nächstes versuchte ich von der FDA eine Erklärung für ihre Hetzkampagne gegen Burzynski zu bekommen.
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Amerikanische Lebensmittelbehörde – d.Ü. 6
Ich erwartete, dass diese Behörde mir mitteilen würde, dass der Mann ein Betrüger und sein Mittel unwirksam sei, und dass er seine Patienten um Millionen Dollar betrügen würde. Aber das behauptete die FDA überhaupt nicht. Das Einzige, was man irgendwie als direkte Antwort bezeichnen konnte, war: „Wir können über den Fall Burzynski nichts sagen, weil das Verfahren noch nicht abgeschlossen ist.“ Diese Aussage kam von Larry Bachorik, einem Publizisten der FDA und Robert Spiller, einem Anwalt dieser Behörde und einer der Unterzeichner der „Kriegserklärung“ gegen Burzynski von 1983. Ich habe jedoch die Erfahrung gemacht, dass Vertreter von Behörden durchaus bereit sind, schwebende Verfahren zu kommentieren, besonders wenn sie davon überzeugt sind, dass sie sie gewinnen werden. Als ich über den Prozess gegen Charles H. Keating Jr. berichtete, erklärte mir der Staatsanwalt sehr ausführlich, wie und warum man gegen diesen Kreditschwindler vorgegangen war. Wenn Regierungsvertreter keine Informationen über laufende Verfahren weitergeben dürfen, wer ist dann verantwortlich für die Riesenmenge an Informationen über Timothy McVeigh und den Anschlag in Oklahoma City? Und wer gab dann die Informationen über den Fall gegen den angeklagten Bombenattentäter weiter? Ich bekam das Gefühl, dass hier irgendetwas nicht stimmen konnte. Ich entschloss mich also, einige der Patienten von Burzynski zu befragen, bzw. ihre Hinterbliebenen, falls sie schon gestorben waren. Niemand von ihnen sagte auch nur ein einziges negatives Wort über Burzynski, auch nicht, wenn ein Angehöriger zu spät zu ihm gekommen war und ihm nicht mehr geholfen werden konnte. Ich schaute mir die Computerund Kernspintomographien von den Gehirntumoren an, die die Antineoplastone angeblich geschrumpft hatten, als nichts anderes mehr half. Skeptiker mögen jetzt einwenden, dass ich als Journalist und medizinischer Laie nicht dazu ausgebildet bin, Röntgenbilder zu beurteilen. Aber jeder kann den weißen Fleck erkennen, den ein großer Gehirntumor auf einer Röntgenaufnahme bildet, und jeder kann die verschiedenen Größen des Tumors zu unterschiedlichen Zeiten miteinander vergleichen. Schließlich schrieb ich eine Reihe von Artikeln für Scripps Howard, die 7
im August 1995 veröffentlicht wurden. Aber mir war natürlich klar, das keine Zeitung in der Lage wäre, die Riesenmenge an Informationen zu veröffentlichen und die gesamte faszinierende Geschichte von Burzynski und seinen Patienten zu verbreiten. Also entschloss ich mich schon bald, sie in einem Buch zu veröffentlichen. Die Veröffentlichung der neuen Ausgabe dieses Buch wäre ohne das Vertrauen meines neuen Verlegers Mike Witter von Lexikos Books nicht möglich gewesen. Er sprang ein, als der Verlag der ersten Ausgabe, die General Publishing Group, ausfiel. Ohne die Hilfe von Burzynski, seinen Mitarbeitern und seinen Patienten hätte diesem Buch jede Authentizität gefehlt und auch nicht diese Riesenmenge an bislang unveröffentlichtem Material enthalten. Die Diagramme, die zur Erklärung dieser Methode so ungemein wichtig sind, wurden mir von The Burzynski Clinic zur Verfügung gestellt. Burzynski erzählte mir seine Geschichte ursprünglich in einer Reihe von Gesprächen, die spätabends stattfanden, zu der einzigen Zeit also, da er sich nicht mit Patienten oder Formularen für die FDA oder den ständigen Telefonanrufen beschäftigen musste. Für die neue Ausgabe dieses Buches stand er mir wieder für Gespräche bereit, die sich bis spät in die Nacht hinzogen. Sein ehemaliger Leiter für klinische Versuche, Dean Mouscher, wurde zu einem guten Freund und einer unschätzbaren Quelle von Informationen, die für dieses Projekt besonders wertvoll waren. Auch die Assistentin von Burzynski, Sherry Ysais, war sehr hilfreich bei der Beschaffung von Dokumenten, wie zum Beispiel Steuererklärungen oder der Korrespondenz Burzynskis mit staatlichen Behörden und pharmazeutischen Unternehmen. Es war offensichtlich, dass Burzynski und seine Mitarbeiter mir und den Lesern dieses Buches nichts vorenthalten wollten. Als ich versuchte, Informationen von Kongressabgeordneten zu bekommen, die mit dem Fall Burzynski befasst waren, bekam ich die Unterstützung von Alan Slobodin, einem Rechtsberaten des „House Commerce Committee's Subcommittee on Oversight and Investigation“. Die Dokumente in den Akten dieses Unterausschusses bieten eine Menge Hinweise darauf, wie sehr sich die FDA bemühte, Burzynski „dranzu8
kriegen“. Protokolle der Anhörungen dieses Unterausschusses zeigten, dass Mitarbeiter der FDA dem Kongress konsequent Informationen vorenthalten und sich geweigert hatten, mit mir oder den Patienten von Burzynski zu kooperieren. Während der Strafprozesse gegen Burzynski erhielt ich auch sehr viel Unterstützung durch seine Anwälte Michael Ramsey, Dan Cogdell, John Ackerman und Richard Jaffe. Und der Staatsanwalt Michael Clark hatte zwar eine feindselige Einstellung gegenüber Burzynski, aber niemals mir gegenüber, obwohl er wusste, welche Tendenz ich mit meinem Buch verfolgte. Der Richter Simeon T. Lake konnte mir während des laufenden Verfahrens zwar keine Einzelheiten über seine Prozessführung mitteilen, aber während eines zweistündigen Gespräches verriet er mir doch so einiges über seine Rechtsphilosophie. Ich erhielt auch wertvolle Unterstützung durch den verstorbenen Dr. William Mask, der mir Informationen über die ersten Anwendungen von Antineoplastonen bei Menschen lieferte, die er selbst miterlebt hatte. Professor Carlton Hazelwood bestätigte mir eine Menge Informationen, die Burzynski über seine Jahre am Baylor College of Medicine mitgeteilt hatte. Dieses gesamte Projekt wäre ohne die Hilfe der engagierten und entschlossenen Patienten von Burzynski sicher nicht zustande gekommen. Jeder Patient, mit dem ich mich in Verbindung setzte, erzählte mir ausführlich seine Geschichte, entweder im persönlichen Gespräch oder am Telefon. Für beide Ausgaben dieses Buches wurde jede einzelne Geschichte überprüft, entweder durch Gespräche mit den behandelnden Ärzten oder durch Unterlagen, in denen die Art und das Ausmaß der Krankheit vor und nach der Behandlung durch Burzynski detailliert behandelt wurde. Ich bin auch meinem Freund Charlie Peters sehr zu Dank verpflichtet. Und schließlich hätte diese neue Ausgabe nicht ohne die Anwesenheit von zwei bemerkenswerten Frauen verwirklicht werden können: meiner Frau Marilyn und meiner Kusine Tammy Gilad. Marilyn hatte nichts dagegen einzuwenden, dass ich während der zwei Monate des ersten Strafprozesses gegen Burzynski wöchentlich von Los Angeles nach 9
Houston flog, obwohl meine Nieren krank waren. Ich bin ihr auch sehr dankbar für ihre ständige Unterstützung während der oft schmerzhaften Zeit der Dialysen, die dann folgten und während meiner Genesung nach einer Nierentransplantation. Gerade als die erste Ausgabe dieses Buches 1997 veröffentlicht wurde, spendete mir Tammy eine ihre gesunden Nieren. Diese unglaubliche Großzügigkeit ermöglichte es mir, die Energie aufzubringen, um diese Ausgabe fertigzustellen – neben meinen anderen zahlreichen Aufgaben. Ohne diese beiden Frauen würde dieses Buch einfach nicht existieren. Thomas D. Elias Santa Monica, Kalifornien Mai 2000
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VORWORT
Patienten
Sydney Seawards freundliches Sommersprossengesicht kannte fast jeder in der etwas chaotischen Stadt Houston im Südosten von Texas. Sie war vierzig und Moderatorin beim Nachrichtensender KNWS - „so eine Art lokales CNN“, sagte Seaward, die aus Kalifornien stammt und an der Sorbonne in Paris studiert hatte, lächelnd, während sie in das Wartezimmer der Klinik von Burzynski am teilweise noch unerschlossenen Rand der texanischen Stadt stürmte, die jetzt ihre Heimatstadt war. Ihr Eintreffen an jenem sonnigen Tag im Mai 1996 war eine kleine Sensation. „Sydney ist hier!“, rief eine Sekretärin, während sie in das Büro von Dean Mouscher, dem Leiter für klinische Versuche und Chefpublizisten des aufstrebenden Krebszentrums, lief. „Sydney ist hier!“, wiederholte Mouscher Augenblicke später, als er den Gründer der Klinik auf dem Flur zwischen den Untersuchungsräumen abfing. Dies war der Anfang von etwas, was sich als einmalige Chance für Dr. Stanislaw Burzynski herausstellen sollte, den Mann, der zwanzig Jahre zuvor eine Gruppe natürlich auftretender Peptide entdeckt hatte, die den Krebs bekämpfende Eigenschaften aufwiesen. Seaward war mit einem Kamerateam eingetroffen und darauf versessen, eine dramatische, optimistische Aussage von Burzynski zu erhalten. Aber die bekam sie nicht. Der Arzt machte keine konkreten Aussagen über die Antineoplastone, die ihn schon bald auf die Anklagebank eines Bundesgerichtes bringen sollten. Und er versprach Seaward auch nicht, sie von ihrem Krebs zu heilen. Stattdessen versuchte er, ihren Status als lokale Berühmtheit zu ignorieren und sie wie jeden anderen Patienten zu behandeln. Für Seaward bedeutete dies lange Stunden im Wartezimmer. Zwar war sie mit einem Kamerateam gekommen, aber Burzynski ließ sie niemals vergessen, dass sie nicht als Reporterin in seiner Klinik war, sondern als Krebspa11
tientin. Seaward setzte sich also auf eines der sechs langen grünen Sofas, zusammen mit den anderen Patienten, und wusste nicht, was sie erwarten würde. Seaward war ebenso verzweifelt wie das etwa halbe Dutzend anderer Patienten, die neben ihr und ihrem Kamerateam in dem geräumigen und luftigen Wartezimmer Platz genommen hatten. Ihr Trauma hatte im März 1994 begonnen, als bei ihr Brustkrebs festgestellt wurde. Sie beschloss, sich der relativ neuen Behandlung mit Chemotherapie und Bestrahlung zu unterwerfen. Auf diese Weise, dachte sie, könnte die Größe des Tumors in ihrer Brust reduziert werden, bevor man ihn operativ entfernen würde. „Ich bin nicht verheiratet, und das schien eine Möglichkeit zu sein, meine Brust zu retten“, sagte sie. „Das war mir sehr wichtig.“ Der Plan schien aufzugehen. Die Geschwulst hatte einen Durchmesser von acht Zentimetern, als sie entdeckt wurde. Nach dem Abschluss der Chemotherapie und der Bestrahlung war sie nur noch halb so groß. Sie wurde im Februar 1995 entfernt. Ihre Brust wurde gerettet und rekonstruiert. Für die Operation begab sich Seaward nach Los Angeles, wo sie von der angesehenen Ärztin Dr. Susan Love behandelt wurde. „Einige der Ärzte waren mit dieser Behandlung nicht einverstanden“, erinnerte sich Seaward. „Sie wollten, dass ich unverzüglich eine Mastektomie durchführen ließ. Aber ich weiß jetzt, dass das keinen Unterschied gemacht hätte.“ Tatsächlich machte nichts, was sie tat einen Unterschied, bevor sie sich in die Klinik von Burzynski begab. Im Juni 1995 ergab ein Bluttest eine erhöhte Zahl von Tumormarkern. Und während der Behandlung durch Love und den Houstoner Onkologen Dr. Paul Holloye stellte man fest, dass sich in ihren Lungen zehn Tumore entwickelten. „Sie stellten fest, dass sich der Krebs in meinem gesamten Gefäßsystem ausgebreitet hatte“, erzählte sie mir, und zog eine Grimasse. „Ich sollte einer weiteren Bestrahlungs- und Chemotherapie unterzogen werden, aber davon hatte ich die Nase voll. Eigentlich hätte diese Therapie eine weitere Ausbreitung von Krebs doch verhindern sollen, aber das tat sie 12
ja offensichtlich nicht. Und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass die Bestrahlung zu den Metastasen in meinen Lungen beigetragen hatte.“ Dieser ganze sinnlose Prozess wäre für jeden Menschen sehr schmerzhaft gewesen, ganz besonders jedoch für Seaward als Mitglied der Christlichen Wissenschaft, die ihren Glauben niemals aufgegeben hatte. Tatsächlich hatte ihre Karriere als Moderatorin durch Radio- und Fernsehauftritte beim Christian Science Monitor angefangen. „Ich verstehe nicht viel von Medizin“, gab sie zu. „Ich bin noch immer Mitglied bei der Christlichen Wissenschaft. Aber ich bin nicht bereit, mein Leben wegzuwerfen, wenn es Behandlungsmethoden gibt, die sich bei einigen Leuten als wirksam erwiesen haben.“ Es war dieser Gedanke, der Seaward schließlich ins Wartezimmer von Burzynski führte. Sie hatte die Klinik fast fünf Monate zuvor, im Januar 1996, besucht. Bei dieser Gelegenheit hatte sie Burzynski noch nicht persönlich kennengelernt, sondern nur mit seiner Mitarbeiterin, Dr. Dorothy Sprecher, gesprochen. Sprecher hatte noch mehr schlechte Nachrichten für Seaward. Sie kannte Seawards Gesicht sehr gut vom Fernsehen. Vielleicht entdeckte sie deshalb eine Steifheit in ihrer Wange und empfahl eine Computertomographie. Sie vermutete, dass sich der Krebs in Seawards Gehirn ausgebreitet hatte. Und das hatte er tatsächlich. Der neue Tumor hatte den rechten Gehirnstamm befallen, den wahrscheinlich empfindlichsten Teil des Gehirns, und mit Sicherheit eine der Stellen, die am schwersten zu operieren sind. Seaward war wie vor den Kopf geschlagen. Sie konsultierte weitere Ärzte. Diese empfahlen ihr eine Bestrahlung des gesamten Hirns. „Sie sagten mir, dass dieses Verfahren nur die Lebensqualität verbessern, aber nicht die Lebenserwartung erhöhen würde. Und sie beschrieben mir die möglichen Nebenwirkungen: Verlust des Sehvermögens, Verlust des Hörvermögens, Verlust der motorischen Fähigkeiten, Übelkeit. Und das sollte eine verbesserte Lebensqualität sein? So klang das für mich aber nicht! Außerdem sagten sie, dass die Chancen einer positiven Reaktion bei nur etwa 10 bis 15 % liegen würden. Und das war für mich nicht gut genug. Also sagte ich ihnen, dass sie das vergessen könnten. 13
Als sie im Mai in die Klinik von Burzynski zurückkehrte, hatte sie entschieden, dass sie keiner weiteren Bestrahlung mehr bedürfe. Burzynski kannte bereits ihre Krankengeschichte, als er Seaward und ihr Kamerateam ins Untersuchungszimmer führte. An den hellblauen Wänden hingen zwei schöne chinesische Drucke mit bunten Vögeln. „Ich habe noch nie so viele elegante Leute auf einen Haufen gesehen“, sagte er zu Seaward und ihren Kameraleuten, die alle Geschäftsanzüge trugen und bereits die ganze bisherige Odyssee von Seaward dokumentiert hatten. Dann wurde er ernst. „Ich habe mir Ihre Röntgenbilder angesehen“, fing er an. „Die Lungen sind meine Hauptsorge. Sie könnten ein Problem werden, wenn da Flüssigkeit hineinkommt. Wir müssen sehr darauf aufpassen, dass sie nicht verstopft werden. Aber die beste Methode in Ihrem Fall ist eine hohe Dosis dieses Medikaments. Wir müssen also die Infusion und den Ausfluss von Flüssigkeit sehr genau beobachten.“ Ihre Lungen waren also beschädigt. Wenn sie jetzt mehr von der Antineoplaston-Flüssigkeit aufnehmen würde, als ihr Körper verarbeiten könnte, dann könnte es möglicherweise zu einer Lungenentzündung kommen. Dies würde die Krebsbehandlung sehr schwierig machen, denn die meisten Patienten von Burzynski nehmen über Katheter, die in die Blutgefäße der Brust eingeführt werden, große Mengen von seinen Peptiden, die Antineoplastone, auf, weil diese die Neoplasmen, die Krebstumore, bekämpfen. Die gereinigten Peptide befinden sich in gelöster Form in Infusionsbeuteln aus Plastik und werden durch eine kleine leichte Pumpe direkt in den Blutstrom eingeführt. Je stärker die Lungen des Patienten geschädigt sind, desto weniger Flüssigkeit kann sein Körper verarbeiten. In Seawards Fall gab es noch ein weiteres potentielles Problem: Sie hatte die Erlaubnis verweigert, einen Katheter in ihre Brust einführen zu lassen, und wollte, dass er stattdessen in ihren linken Arm eingeführt würde. Da die Blutgefäße in den Armen kleiner sind, als die in der Brust, konnte sie nicht so viel Antineoplaston aufnehmen wie die anderen Patienten von Burzynski.
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„Wahrscheinlich werden Sie täglich etwa 2 Liter Flüssigkeit aufnehmen“, erklärte ihr Burzynski, der die Anwesenheit des Kamerateams völlig vergessen zu haben schien. „Wir werden die Dosis schrittweise erhöhen. Wir fangen am ersten Tag mit 40 cm³ an und erhöhen dann allmählich auf eine Dosis von 300 cm³. Je höher die Dosis ist, desto wirksamer ist sie auch.“ Dann ging er näher auf die Einzelheiten ein. „Bei Brustkrebs benötigen wir normalerweise eine höhere Dosis, besonders wenn auch das Gehirn und die Lungen betroffen sind. Wir werden nach vier Tagen Bluttests durchführen, dann nach fünfzehn Tagen und danach in weiteren Abständen. Es könnte fünf bis sechs Wochen dauern, bis wir eine Verkleinerung des Krebses auf den Röntgenbildern feststellen. Wir möchten, dass Sie während der nächsten zehn Tage täglich hier erscheinen. Sobald Sie sich an die Pumpe und den Katheter gewöhnt haben, können Sie sich das Mittel selbst injizieren. Aber wenn sich Ihre Lungen verstopfen, können sich ihre Chancen verringern. Wenn wir es hier nur mit Hirnknötchen zu tun hätten, dann wäre das besser. Sie werden jetzt täglich mindestens 22 Stunden lang an die Pumpe angeschlossen. Wenn wir das nicht konsequent durchführen, dann wird Ihr Krebs zurückkommen. Diese Behandlung ist sehr effektiv gegen Krebs. Es ist nur eine Sache der Zeit und der Konzentration. Wir wollten im Februar mit einer stärkeren Konzentration von Antineoplastonen anfangen, aber die FDA hat sich geweigert, eine Änderung zu genehmigen. Diese Dosis wäre für Sie besser gewesen – weniger Flüssigkeit und eine größere Menge des Mittels. Wie sehen nun Ihre Chancen aus? Wir gehen von einer 30 %-igen Chance aus, dass es zu einer Reaktion kommt. Aber wegen Ihrer Lungen könnten die Chancen auch geringer sein. Die Frage hier ist nicht, ob das Mittel wirkt, sondern ob Sie die Dosis vertragen können.“ Hätte Burzynski eine optimistischere Prognose liefern können? Ja, wenn er nur darauf aus wäre, mehr Patienten anzulocken. Und nein, wenn er die Absicht hatte, wegen der Fernsehzuschauer auf Nummer sicher zu gehen. Eine optimistischere Prognose hätte jedoch Seawards Stimmung 15
verbessert, während sie Stunde um Stunde auf dem grünen Sofa in Burzynskis Wartezimmer verbrachte, neben ihr die blaue Segeltuchtasche, die ihre Pumpe enthielt sowie ein Infusionsbeutel mit dem Mittel, das für etwa vier Stunden reichte. Wie jeder andere Antineoplaston-Patient, dem das Mittel intravenös verabreicht wurde, verbrachte auch sie tagelang im Wartezimmer von Burzynski, während seine Mitarbeiter sie auf Allergien und Flüssigkeitsansammlungen untersuchten und ihre Lungen und ihren Allgemeinzustand überprüften. „Ich mache meinen Patienten keine falschen Hoffnungen“, sagte Burzynski ein wenig später, als er sein Mittagessen an seinem Schreibtisch einnahm. „Ich will nicht, dass sie sich irgendwelche Illusionen machen. Alles was wir sagen, können wir durch die Röntgenbilder nachweisen.“ Burzynski hat diese Röntgenbilder und Computertomographien niemals selbst erstellt. Seine Patienten lassen diese und die Kernspintomographien in Kliniken in ihren Heimatstädten durchführen und bringen sie zu Burzynski nach Houston mit. Die Kernspintomographien ließen keinen Zweifel daran, was im April 1996 mit William Boyd passiert war. Der virulente, schnell wachsende Hirntumor, der Ende März fast ein Achtel seines Schädels eingenommen hatte, war fünf Wochen später gerade mal halb so groß. Bills Kernspintomographien wurden, ebenso wie jene, anhand derer sein Krebs ursprünglich diagnostiziert worden war, im Moses Cones Hospital in Greensboro, North Carolina, durchgeführt, nicht weit von seinem Haus in Ashboro. Bills Weg zu Burzynski war nicht so lang und verschlungen wie der von Seaward. Aber er war nicht weniger schmerzhaft. Erst im Januar hatte er erfahren, dass er an einem Gehirntumor litt. „Ich war ohnmächtig geworden, und der Arzt hatte geglaubt, dass mein Blutzucker zu niedrig wäre“, erinnerte sich der große, muskuläre und grauhaarige Boyd, während er im Wartezimmer von Burzynski saß. Mit seinen 54 Jahren hatte er ein erfülltes Leben hinter sich. Er war Immobilienmakler, Bauunternehmer und Zweitplatzierter bei den Vorwahlen 16
der Republikaner für den Posten des stellvertretenden Gouverneurs von North Carolina gewesen. „Meine Beschwerden waren niemals akut“, erinnerte er sich. „Und meine Mutter und mein Bruder hatten beide Diabetes. Ich kann also den Ärzten keinen Vorwurf machen, dass sie von einem niedrigen Blutzucker ausgingen. Ich wurde am Neujahrstag in Myrtle Beach, South Carolina ohnmächtig und dann noch einmal bei einem Verkaufsgespräch am 10. Januar. Ich bin einfach umgekippt wie ein Baumstamm.“ Bill Boyd lächelte, als er seine Geschichte erzählte. Seine Ehefrau Shirley saß auf demselben Ledersofa und verfolgte jedes Wort. „Sie machten also eine Computertomographie, und ich wurde sofort an Dr. Ernesto Betero ins Cones Hospital überwiesen. Sie machten eine Kernspintomographie und stellten so fest, dass ich einen Gehirntumor in der rechten Schläfe hatte. Dr. Betero sagte mir, dass er nur einen Teil des Tumors herausnehmen könnte. Er verglich das mit dem Fällen einer alten Eiche: Wenn man um den Stumpf herum nicht tief genug gräbt, dann beseitigt man nicht alle Wurzeln. Und es dauert dann nicht lange, bis wieder viele kleine Eichen heranwachsen. Er sagte, dass er nicht alle Wurzeln meines Tumors beseitigen könne. Deshalb riet er mir zu einer postoperativen Behandlung. Nachdem mein Tumor beseitigt worden war, stufte man ihn als Tumor vierten Grades ein – das ist nicht besonders gut. Sie entfernten den Tumor Ende Februar, und anschließend wurde ich bestrahlt. Als sie im März die Computertomographie durchführten, war er wieder gewachsen. Nur zwei Wochen später! Damals fingen wir an, die Sache gründlich zu erforschen. Wir sprachen mit allen Onkologen und Radiologen in der Klinik, und sie alle gaben mir nicht länger als höchstens zwei Jahre. Dr. Betero sagte mir, dass ich jede Möglichkeit ausnutzen sollte. Durch das Internet wurden wir dann sehr schnell auf Dr. Burzynski und seine Webseite und seinen Newsletter aufmerksam. Ich kam Ende März nach Houston.“ Er hatte die Computertomographien gesehen, von denen eine die Innenseite seines Schädels zeigte – eine am 21. März und die andere am 29. April. Sie zeigten seinen wieder aufgetretenen Tumor, ein gemischtes 17
Gliom. Er war auf etwa 40 % seiner ursprünglichen Größe geschrumpft und das ohne jede Bestrahlung, allein durch die Infusion von Burzynskis Antineoplastonen. Bills tiefe Stimme hallte im gesamten Wartezimmer wider. „Das mit der FDA ist ganz einfach lächerlich“, erklärte er. Er war ganz erbost darüber, dass die Anwälte der Regierung Burzynski angeklagt hatten, weil er bei Leuten wie ihm Antineoplastone angewandt hatte. Und es war offensichtlich, dass er plante, seine politische Vergangenheit dafür zu nutzen, eine Sache zu unterstützen, die ihm persönlich wieder eine Zukunft ermöglicht hatte. „Ich habe erst vor zwei Wochen mit Newt Gingrichs Stellvertreter gesprochen. Ich habe ihm gesagt, dass es etwa zehn Jahre dauern und 400 Millionen Dollar kosten würde, um von der FDA ein neues Medikament genehmigen zu lassen. (Gingrich war zu jener Zeit der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses.) Der Stellvertreter sagte mir: „Sie können sich nicht vorstellen, was für eine Korruption innerhalb der FDA herrscht.“ Jetzt war Shirley an der Reihe. Sie hatte ihrem Mann bisher geduldig zugehört, aber nun machte sie ihrem eigenen Ärger und ihrer Enttäuschung Luft: „Niemand in dem Krankenhaus machte uns auch nur die geringsten Hoffnungen. Die Schwestern redeten auf mich ein, dass ich ihn von der Strahlungstherapie überzeugen sollte, weil sie ihm zumindest noch etwas Zeit verschaffen würde. Aber Sie können jetzt ja selbst sehen, dass er nicht gerade dahindarbt, nicht wahr? Tatsächlich hat er durch die Flüssigkeit etwas zugenommen. Sie enthält eine Menge Salz. Ich werde also ständig daran erinnert, dass die Meinung von Ärzten nicht unbedingt ein endgültiges Urteil sein muss. Das steht nur Gott zu. Es macht mich sehr wütend, dass Menschen so verängstigt werden und so leiden müssen, wenn es jemanden gibt, der ihnen wirklich helfen kann. Das ist einfach nicht gerecht!“ Bill war mit seiner Behandlung noch nicht fertig – noch lange nicht. Er musste noch sehr lange seine blaue Leinentasche mit sich herumschleppen. Und zusätzlich musste er noch die Energie aufbringen, um sich mit seiner Krankenversicherung, der Consolidated Administrator's Group in 18
Raleigh, North Carolina, dem Träger der Home Builder's Association,2 herumzuschlagen. Als Bill sich in die Behandlung von Burzynski begab, hatte sie sich lediglich bereit erklärt, für die Computer- und Kernspintomographien zu zahlen. „Ich sagte ihnen, dass ich einen Anwalt hätte, und dass ich sie verklagen würde. Und sie antworteten, dass sie auf mich zurückkommen würden.“ Er lächelte und sah dabei sehr kampfbereit aus. „Ich sagte ihnen, dass ich nicht meine Flüge nach Houston oder die Hotelaufenthalte bezahlt haben wollte. Nur die Klinik. Aber wenn sie sich weigern würden, dann würde ich versuchen, die gesamten Kosten einzuklagen – und noch eine Menge dazu.“ Auf der anderen Seite des Wartezimmers hörte Krytyna Pataluch aufmerksam zu, während Bills Stimme von den Wänden dröhnte. Die kleine, 57 Jahre alte Frau mit dem olivfarbenen Gesicht war sechs Jahre zuvor zusammen mit ihrem Mann, der Busfahrer war, aus Polen nach Chicago gekommen, und hatte sehr schnell eine Stellung in einem Kindergarten gefunden. „Im Januar habe ich erfahren, dass ich Darmkrebs habe“, sagte sie traurig, während sie an dem Schlauch herumfingerte, der aus ihrer blauen Tasche zu dem Shunt führte, der chirurgisch an ihrer Brust befestigt worden war. „Es handelt sich um Mastdarmkrebs. Ich machte einige Tests in Chicago, und sie drängten mich zu einer Operation. Aber die Polen in Chicago wissen eine Menge über Dr. Burzynski. Ich entschied also, nichts zu unternehmen, bevor ich mit ihm gesprochen hatte.“ Aber Ende April 1996 konnte die Burzynski-Klinik ihr nicht helfen, weil ihrem Gründer sonst eine Gefängnisstrafe gedroht hätte. „Ich musste warten, weil die FDA ihm jede Tätigkeit untersagt hatte“, sagte sie. „Ich verstehe das überhaupt nicht. Das war doch fast so wie bei den Kommunisten in Polen. Wie kann man einer Person, die praktisch schon im Sterben liegt, untersagen, jede mögliche Hilfe in Anspruch zu nehmen? Nicht einmal die Kommunisten haben so etwas getan. Ich konnte 2
am. Verband der Hausbauer – d.Ü 19
erst vor zwei Tagen mit meiner Behandlung beginnen. Vorher wusste ich überhaupt nicht, wann ich damit anfangen durfte. Also musste ich in Houston bleiben und die ganze Zeit warten.“ Und die ganze Zeit wusste sie natürlich, dass ihr Tumor immer größer wurde, ebenso wie die Gefahr, dass sich weitere Metastasen bilden würden. Noch bevor sie in Houston eintraf, hatte sich der Krebs weit über ihren Darm hinaus ausgebreitet. Dennoch war es Burzynski nicht erlaubt, sie zu behandeln. Hätte er es trotzdem getan, wäre er sofort ins Gefängnis gewandert. Eine der Bedingungen für die Kaution war, dass er keine weiteren Patienten aufnehmen würde, außer wenn es die FDA ausdrücklich erlaubte. Aber Krystyan war entschlossen, sich von Burzynski behandeln zu lassen und von keinem anderen. „Wenn man mir diese Behandlung nicht gestattet hätte, dann wüsste ich nicht, was ich sonst hätte tun sollen. Ich glaube nicht, dass eine Operation mir geholfen hätte, “ sagte sie, während sie mich mit ihren großen Augen hinter ihrer Hornbrille anblickte. „Der Krebs hatte sich bereits in meine Leber ausgebreitet. Und sie können doch nicht meine Leber entfernen! Aber in Chicago sagte man mir, dass ich keine andere Wahl als eine Operation hätte.“ Während sie an ihrem Katheter herumfingerte und sich fragte, ob die Behandlung mit den Antineoplastonen bereits wirken würde, rief eine Schwester Mitzi Jo Goodfellow in den Behandlungsraum. Sie hatte dicht neben uns gesessen und ein wenig gedöst. Die zierliche, elfengleiche Goodfellow war 28 Jahre alt. Sie war einen Tag zuvor aus dem Detroiter Vorort Royal Oak in Michigan gekommen. Sie fühlte sich jetzt schon viel besser als bei ihrem ersten Besuch vor fast einem Monat. Dieser Besuch war der Höhepunkt einer fast zweijährigen Behandlung eines bösartigen Glioblastoms, einer der am schnellsten wachsenden und am schwierigsten zu behandelnden Gehirntumore. Ihr Leidensweg begann im Mai 1994 mit schweren Kopfschmerzen. Im Juli 1995 wurde ein großer Teil ihres Tumors im Beaumont Hospital in Royal Oak chirurgisch entfernt. Dem folgte eine intensive Chemotherapie, bei der Mitzi Jo im November 1995 fast an einer Sepsis (einer Vergiftung auf20
grund einer Ausbreitung von Bakterien) und Lungenentzündung gestorben wäre. Im Januar war ihr Tumor trotz der Chemotherapie zurückgekehrt. Er war fast so groß wie vor der Operation. Dieses Mal hatte er die Form eines Stundenglases, mit ausgeprägten oberen und unteren Lappen. Kurz bevor Mitzi Jo am 2. April 1996 zu ihrem ersten Besuch bei Burzynski eingetroffen war, hatte man durch eine Kernspintomographie festgestellt, dass der Tumor etwa 4,6 cm hoch war, und an seiner breitesten Achse etwa 2,2 cm breit. Aber etwas über einen Monat später zeigte eine weitere Tomographie, die man im Beaumont durchgeführt hatte, dass der Tumor nur noch halb so groß war und und durch die Behandlung mit den Antineoplastonen allmählich kleiner wurde. „Die jüngste Kernspintomographie sieht ziemlich gut aus“, berichtete Burzynski, während er Mitzi Jo die Aufnahme zeigte. „Der untere Teil Ihres Tumors ist bedeutend kleiner geworden. Der obere ist jedoch nur geringfügig kleiner. Manchmal erfordert ein Teil eines Tumors mehr Behandlung als der andere. Ich denke, dass wir Ihre Dosis ein wenig erhöhen sollten, jetzt wo wir uns mit dem oberen Teil beschäftigen. Ich glaube, das ist die beste Methode. Sie haben Glück, dass Sie noch so jung sind. Wir haben festgestellt, dass junge Frauen höhere Dosen besser verkraften können als andere Leute.“ Mitzi Jo lächelte glücklich. Sie war hoch erfreut über die Ergebnisse der Kernspintomographie. Und sie stimmte einer Erhöhung ihrer Antineoplastondosis bereitwillig zu. Zuerst musste sie zur Couch im Wartezimmer zurückkehren, wo die Schwestern sorgfältig ihre Reaktion auf die erhöhte Medikamentendosis beobachteten. Dort saßen bereits Sydney Seaward, William Boyd und Krystyna Pataluch, die alle auf verschiedenen Sofas saßen und von ihren Freunden und Familienangehörigen umgeben waren, die sie trösteten, sie in ihren Hoffnungen bestärkten und ihre Zweifel zerstreuten.
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EINLEITUNG
Der Anfang und sein logischer Schluss
Die schwarzen Wolken hingen drohend über dem östlichen Himmel von Texas. Es war Anfang Dezember 1976, als Dr. Stanislaw Burzynski und sein enger Freund Carlton Hazlewood in zwei verschiedenen Wagen die Interstate 45 entlangrasten, um die 250 Meilen zwischen Houston und Dallas in weniger als vier Stunden zurückzulegen. Sie verringerten kaum ihre Geschwindigkeit, als sie nordwestlich von Dallas auf dem Highway 1999 über ein Autobahnkreuz fuhren, in Richtung auf die Kleinstadt Jacksboro, wo sie das einstöckige Jack County Hospital erreichten. Die beiden Männer befanden sich auf einer Rettungsmission. Sie hatten Eisboxen dabei, in denen sich das neue und viel versprechende Medikament befand, das Burzynski Antineoplastone nannte. Das Wort ist von „Neoplasma“ abgeleitet, dem wissenschaftlichen Ausdruck für einen Krebstumor. Antineoplaston bedeutet eigentlich nur „gegen den Krebs“. Dies war jedoch nicht der Ort noch die Art, die sich Burzynski für die erste Erprobung seiner Antineoplastone ausgesucht hätte, der Peptide, von denen er glaubte, dass sie in der Lage seien, die Entwicklung vieler Krebsarten aufzuhalten. Aber er hatte nicht das Wetter vorhergesehen. Es gab in der Nacht Tornadowarnungen, und sämtliche Flüge vom Dallas-Fort Worth International Flughafen waren gestrichen worden. Das war für Burzynski und Hazlewood natürlich ein beträchtliches Hindernis. Und es war ebenfalls sehr unangenehm für Emma Avadassian und Billy Bryant. Beide waren Krebspatienten, die von Verwandten nach Houston begleitet wurden, wo sie als Erste mit dem neuen und bisher noch unerprobten Mittel von Burzynski behandelt werden sollten. Burzynski hatte ursprünglich die Absicht, beide Patienten in das moderne Twelve Oaks Hospital aufzunehmen, wo er als Arzt arbeitete. Sowohl das Baylor College of Medicine als auch das etwas protzige Park Plaza 22
Hospital, das in der Nähe seiner Praxis im Südwesten Houstons lag, hatten ihm zuvor die Erlaubnis verweigert, seinen Patienten dieses Mittel zu verabreichen. Das drohende Unwetter machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Die Aussichten für Emma und Billy waren sehr trübe. Beide hingen auf dem Flughafen in Dallas fest, und es bestand in den nächsten Stunden keine Aussicht auf einen Flug nach Houston. Sie beide waren sehr schwach. Man hatte bei ihnen einen tödlichen Krebs festgestellt. Die geplante Reise nach Houston war für sie die letzte Hoffnung gewesen. Keiner von ihnen rechnete damit, noch lange zu leben, wenn sie gezwungen wären, auf dem Flughafen auszuharren. Die 55 Jahre alte Avadassian, die von ihrem Ehemann begleitet wurde, hatte bereits zwei Strahlungsbehandlungen und Chemotherapien hinter sich. Trotzdem hatte sich der Krebs in ihrem gesamten schmerzenden Körper ausgebreitet. Zwei kleine in ihren Nieren und die Harnleiter, die von beiden Nieren wegführen, waren aufgrund der Vernarbung, die die massive Bestrahlung verursacht hatte, verstopft. In Pennsylvania hatten ihr die Ärzte gesagt, dass sie niemals den Flug nach Dallas und dann nach Houston überleben würde. Als American Airlines die Anschlussflüge von Dallas strich, schienen ihre Ärzte Recht zu behalten. Ihr Mann hatte Angst, dass sie direkt auf dem Flughafen sterben würde. Billy, der gerade erst 13 Jahre alt war, hatte Knochenkrebs und war in einem sehr kritischen Zustand. Zusammen mit seinem Vater war er aus Florida angereist, nachdem er einige Monate lang eine nutzlose Chemotherapie mitgemacht hatte. Die Onkologen der Universität von Florida sagten, dass er nicht mehr lange genug leben würde, um noch von Burzynski behandelt zu werden. Beide Patienten erfuhren aus einem Artikel der Associated Press von den Antineoplastonen. Burzynski hatte darin behauptet, dass Antineoplastone, die chemisch verfeinert und vom menschlichen Urin gereinigt wurden, im Labor gezüchteten Krebs in Teströhrchen und Petrischalen geschrumpft hätte. Sie waren sich vollkommen darüber klar, dass diese 23
Methode noch nicht von der FDA genehmigt worden war. Aber sie waren verzweifelt genug, um sie trotzdem auszuprobieren. Das schlechte Wetter hinderte sie daran, ihre Verabredung in Houston einzuhalten, wo Burzynski auf sie wartete und sein Mittel bereithielt. In dem Augenblick, da er erfuhr, in welcher Lage sich seine Patienten befanden, rief er Hazlewood an. Dieser hatte vom Baylor College eine Professur für Kinderheilkunde und Molekularbiologie erhalten. Sie beide waren stolz darauf, unkonventionell zu denken. Sie waren gute Freunde geworden während der sechs Jahre, in denen Burzynski als Forschungsassistent und stellvertretender Professor am Baylor College arbeitete. Jahre zuvor hatte Hazlewood Burzynski seinem Onkel, Dr. William Mask vorgestellt, einem ehemaligen Marinearzt, der im ländlichen Jacksboro als praktischer Arzt im örtlichen Krankenhaus arbeitete. Gleich bei ihrer ersten Begegnung war Mask von Burzynski und seinen Antineoplastonen sehr beeindruckt. „Mitte der siebziger Jahre ging ich jeden Monat nach Houston, um mich mit Carlton und Stash (Burzynskis Spitzname) über dessen Arbeit mit den Antineoplastonen zu unterhalten“, erinnerte sich Mask. „Ich hatte es hier zum ersten Mal mit einem Menschen zu tun, dessen Aussagen über Krebs für mich einen Sinn ergaben. Er wollte das Blut und den Urin von Krebspatienten untersuchen, um festzustellen, was sie von gesunden Menschen unterschied. Er sagte mir, dass er Peptide im Blut und im Urin gesunder Personen gefunden hätte, jedoch nicht bei Krebspatienten. Und er zeigte mir, dass einige der Peptide, die er in Reagenzgläsern untersuchte, eine starke Wirkung gegen Tumore hatten. Das alles schien mir sehr logisch zu sein. Ich beobachtete sogar, wie er die Chemikalien, die er aus dem menschlichen Urin gewann, reinigte und sterilisierte.“ Mask war also sehr positiv eingestellt, als er an jenem stürmischen Dezemberabend den Telefonanruf erhielt. Der Anrufer war Hazlewood. Zwei Krebspatienten, denen man als erste Burzynskis Antineoplastone verabreichen wollte, saßen auf dem Flughafen in Dallas fest. Wäre es möglich, sie im Jack County Hospital aufzunehmen, wenn sie dort hinkämen? Und würde Mask es gestatten, dass sie mit Antineoplastonen 24
behandelt würden, sobald Burzynski eintreffen würde? Mask erklärte sich einverstanden. Zwanzig Jahre später erinnerte sich Mask noch sehr lebhaft daran, wie Emma und Billy in seinem Krankenhaus behandelt wurden. „Burzynski verwendete bei Emma zwei verschiedene Antineoplastone“, sagte er mit seinem ausgeprägten texanischen Akzent. „Sie reagierte sehr positiv auf die Behandlung. Es dauerte gerade mal eine Woche, bis sie sich kräftig genug fühlte, um für weitere Behandlungen nach Houston zu fliegen.“ Im Gegensatz zu den späteren Patienten von Burzynski, denen die Antineoplastone über Katheter verabreicht wurden, die in den oberen Brustraum eingeführt wurden, bekamen die ersten Patienten ihr Mittel durch Tropfinfusion und Injektionen in die Muskeln gespritzt. „Bei Emma wurden die Nieren bald zum Hauptproblem“, erklärte Mask. „Kurz nachdem sie eingetroffen war, fiel ihre linke Niere durch die Vernarbung der Harnleiter komplett aus. Ich rief einen Urologen hinzu, der einen Katheter einführte, und schon bald funktionierten beide Nieren wieder. Als ich sie in Houston besuchte, hatte sie mehr Probleme mit ihren Nieren als mit ihrem Krebs.“ Nachdem Emma Mitte Februar 1977 gestorben war, ergab eine Autopsie, dass die Todesursache eine Niereninfektion war. „Bis zum Schluss aß sie normal und nahm wieder an Gewicht zu“, sagte Mask. „Es waren die Nieren und die Nachwirkungen der Bestrahlungen, die ihren Tod verursacht hatten. Die Antineoplastone linderten ihren Schmerz ganz erheblich. Es ging ihr bedeutend besser, nachdem sie damit angefangen hatte.“ Billy Bryant kam ebenfalls ins Jack County Hospital, wo Mask feststellte, dass sich das Ewing-Sarkom (Knochenkrebs) auf die Lungen, die Brust und den Unterleib ausgebreitet hatte. Nach einer Woche Behandlung mit den Antineoplastonen hatte er sich jedoch so gut erholt, dass er nach Houston gebracht werden konnte. „Ich schaute mir seine Röntgenbilder an, als er gerade mal ein paar Tage in Jacksboro war“, erinnerte sich Mask. „Sie zeigten ganz eindeutig, dass der Knochentumor des Jungen geschrumpft war.“ Etwa einen Monat später war er wieder kräf25
tig genug, um nach Winter Haven in Florida zurückzukehren, wo er weiter mit Antineoplastonen behandelt wurde. Billys Vater, der als Chemiker in der staatlichen Zitruskommission von Florida arbeitete, war so glücklich über die Genesung seines Sohnes, dass er bei seinen Zitronenpflückern für Burzynski Urin sammelte, ihn gefriertrocknete und nach Houston schickte. Burzynski konnte dann die brauchbaren Peptide isolieren und sterilisieren. Bis Mitte 1977 ging Billys Krebs zurück. Es ging ihm so gut, dass er die Behandlung mit den Antineoplastonen abbrach. Sein Krebs kam daraufhin wieder, und er wandte sich wieder an den Onkologen in Gainesville, der gesagt hatte, dass er an seinem Krebs sterben würde. Burzynski behandelt jetzt bereits weitere Krebspatienten und hatte Schwierigkeiten, genug Urin zu bekommen, um für alle Antineoplastone herzustellen, die sich von ihm behandeln lassen wollten. Billys Vater stimmte also zu, dass sein Sohn wieder einer Chemotherapie unterworfen wurde. Dieser starb noch im selben Jahr. Obwohl Burzynski seine beiden ersten Patienten verlor, hatte Mask genug gesehen, um sich davon zu überzeugen, dass Antineoplastone funktionieren und das praktisch ohne negative Nebenwirkungen. „Ich hielt das wirklich für ein Wunder“, erklärte er. „Und das tue ich immer noch. Wenn diese Sache so gut ist wie ich glaube, dann kann das M.D. Anderson Hospital (eine Klinik in Houston, eines der größten Krebszentren der Welt) seine Pforten schließen oder sich auf Tuberkulose spezialisieren. Sie hätten die ersten beiden Patienten sehen sollen, um wirklich zu verstehen was ich meine. Es war eigentlich noch besser, denn keiner von uns war wirklich sicher, ob es zu negativen Nebenwirkungen kommen würde. Wir wussten, dass diese Peptide extrem säurehaltig sind. Man konnte also nicht voraussehen, wie die Patienten darauf reagieren würden. Stellen Sie sich einmal vor, wie erfreut wir waren, als wir feststellten, dass keine negativen Reaktionen auftraten.“ Mask war von der Sache so überzeugt, dass, als der Schwiegervater seines Sohnes sechs Monate später Blasenkrebs bekam, er ihm empfahl, die Standardbehandlungen auszulassen und gleich mit der Antineoplas26
tontherapie anzufangen. Robert Steed, ein Geschäftsmann aus Wichita Falls, der ein enger Freund von Mask geworden war, nachdem ihre Kinder geheiratet hatten, rief ihn gleich am Tag seiner Diagnose an. „Ich habe sofort mit seinem Urologen gesprochen“, sagte Mask. „Wir kamen überein, ihn zu Burzynski nach Houston zu bringen, und Stash behandelte ihn wegen seiner drei Krebstumore, die alle sehr eng zusammen lagen. Sie waren durch die Blasenwand gedrungen.“ Nach zwei Wochen einer intensiven intravenösen Behandlung nahm Steed einen Vorrat an Antineoplastonen mit nach Hause und führte die Injektionen dort selbst durch. Drei Monate später untersuchte ihn sein Urologe erneut und stellte fest, dass sein Krebs zurückgegangen war. Mask erinnerte sich: „Der Doktor war total verwirrt. Bob führte die Injektionen noch weitere neun Monate durch. Nach insgesamt einem Jahr entschied er dann, damit aufzuhören. Weniger als drei Monate später fand sich wieder Blut in seinem Urin. Aber er fing er wieder mit den Injektionen an, und sein Krebs verschwand. Er machte damit ein Jahr weiter und lebte ansonsten vollkommen normal. 1995 starb er dann an einem Herzanfall. Er war 65 Jahre alt, als er starb. In seinem ganzen Leben hat er keine Bestrahlung oder Chemotherapie mitgemacht.“ Diese letzte Bemerkung ist sehr wichtig, denn Burzynskis Kritiker behaupten ja häufig, dass die Erfolge bei der Krebsbekämpfung lediglich auf verspätete Wirkungen der üblichen Standardtherapien zurückzuführen seien. Steed hatte seinen Krebs jedoch geheilt, ohne jemals eine konventionelle Therapie mitgemacht zu haben. Anfang Januar 1997, genau zwanzig Jahre und einen Monat nach der ersten turbulenten Reise nach Jacksboro, stand Burzynski als Angeklagter vor dem U.S. Bezirksgericht in Houston. Die Anklagepunkte lauteten: Missachtung des Gerichts, Versicherungsbetrug und zwischenstaatlicher Handel mit einem nicht genehmigten Medikament. Die Klage, die von der FDA eingereicht worden war, enthielt insgesamt 75 Anklagepunkte. Burzynski stand vor Gericht, weil er verzweifelten Krebspatienten, die sich fast alle im letzten Stadium ihrer Krankheit befanden, Antineoplas27
tone verabreicht hatte. Er hatte sich dazu entschieden, ihnen zu helfen, ohne vorher die Genehmigung durch die FDA abzuwarten. Er hatte zwar die Erlaubnis der texanischen Behörden, aber er hatte sich doch auf einen Weg begeben, der ihn direkt auf die Anklagebank führte. Seine Geschichte war eine Geschichte der persönlichen Vendetta, der wirtschaftlichen Korruption und des Betrugs in den höchsten Stellen der amerikanischen Institutionen der Wissenschaft und Verwaltung. In dem Moment, da er sich nach Jacksboro begab, forderte er das gesamte medizinische Establishment und insbesondere die FDA heraus. Und das tut niemand ungestraft, wie ein ehemaliger Sonderassistent der Behörde im Dezember 1995 in einem Brief an die Washington Times schrieb. „Es gibt bei der FDA ein System von Belohnung und Bestrafung. Vergeltung ist dort eine durchaus übliche Praxis, “ schrieb James G. Phillips. „Unternehmen, die sich beim Kongress oder bei den Medien über die FDA beschweren, werden unbarmherzig verfolgt.“ Als praktischer Arzt und kleiner Geschäftsmann wollte Burzynski lediglich ein neues Medikament entwickeln und auf den Markt bringen, ohne die FDA oder jemand anderen daran zu beteiligen. Und das ist genau das, was die FDA nicht mag. Der übliche Genehmigungsprozess für Medikamente ist, ohne ihre Unterstützung, so kompliziert und umständlich, dass nur große Pharmaunternehmen ihn sich leisten können. Für die wiederholten Tests ihrer Produkte geben sie mitunter mehr als 400 Millionen Dollar aus, bevor sie dann von der FDA genehmigt werden. Die meisten Forscher, Wissenschaftler und Universitäten verkaufen ihre Patente an die Pharmaunternehmen. Diese Unternehmen zahlen dann für die Tests und die Vermarktung der Produkte. Die Wissenschaftler bekommen dafür möglicherweise den Nobelpreis, aber es sind die Pharmaunternehmen, die den Löwenanteil an den Profiten bekommen. Burzynski hielt sich jedoch nicht an diese Spielregeln. Er war ein unverbesserlicher Optimist und davon überzeugt, dass seine Antineoplastone sicher und wirksam seien, und dass seine verzweifelten Krebspatienten sie so bald wie möglich bekommen sollten. Er kehrte der etablierten Wissenschaft den Rücken, weil er glaubte, dass keine Regierung die 28
Gewinne aus seinen eigenen Entdeckungen kontrollieren sollte. Er arbeitete mit sehr geringen eigenen Mitteln und stand in den ersten Jahren ständig kurz vor der Pleite. Und trotzdem fuhr er fort, die Ergebnisse seiner Arbeit zu veröffentlichen und seine Patienten zu behandeln. Im Laufe der Zeit konnte niemand mehr seine Behauptungen widerlegen. Aber die Angriffe der etablierten Medizin wurden immer heftiger. Er wurde zum Ziel von Angriffen sowohl von Seiten des Staates, als auch der Medizin. Die Regierung wollte ihm zwar „das Handwerk legen“, genehmigte andererseits jedoch klinische Versuche mit dem Medikament, das er entwickelt hatte. 1983 wollte die FDA eine einstweilige Verfügung erwirken, um ihn vom Markt zu verdrängen. Der Richter weigerte sich jedoch, eine so radikale Maßnahme durchzuführen. Bereits 1988 stand Burzynski zweimal vor Gericht. Beide Male wurde er freigesprochen. 1991 verfügte er bereits über drei IND-Genehmigungen,3 die es ihm ermöglichten, seine Antineoplastone an Menschen zu testen. Das Nationale Krebsinstitut führte an drei Standorten klinische Versuche mit Antineoplastonen durch. Dann plötzlich versuchte man, die Parameter der Tests zu verändern und die Ergebnisse gegen das Medikament zu verwenden. Das geschah vier Monate, nachdem die ersten Patienten für die Tests herangezogen wurden. Das war so kurzfristig, dass die meisten Ärzte noch nicht einmal davon erfahren hatten, dass man mit den Tests begonnen hatte, und nicht die Gelegenheit bekamen, sich näher darüber zu informieren und geeignete Patienten zur Verfügung zu stellen. Und im Jahre 1995, zwölf Jahre, nachdem die FDA Burzynski den Krieg erklärt hatte, versuchte sie ein viertes Mal, ihn anzuklagen. Auch der Regierung gelang es endlich, eine formelle Klage gegen ihn durchzusetzen. Es spielte wohl keine Rolle, dass zu dem Zeitpunkt, da sein Fall vor Gericht kam (Frühjahr 1997), dieselbe Regierung ihm bereits 69 IND-Genehmigungen ausgestellt hatte, seine Antineoplastone an Menschen zu testen. Diese Genehmigungen bedeuteten, dass man sämtliche Patienten von Burzynski endlich in von der Regierung genehmigte klini3
Genehmigungen für das Testen eines Arzneimittels – d.Ü. 29
sche Versuche einbezogen hatte. Man behandelte die Patienten also nicht anders als zuvor, aber was die FDA 1995 noch für illegal erklärt hatte, wurde jetzt formell durchgesetzt. Diese offizielle Inkonsequenz verhinderte oder verzögerte jedoch nicht den Prozess. Die FDA hatte 1983 angekündigt, dass sie nicht in ihren Bemühungen nachlassen würde, jede weitere Tätigkeit von Burzynski zu unterbinden. Und Nebensächlichkeiten wie IND-Genehmigungen, die von einer anderen Abteilung dieser Organisation ausgestellt worden waren, würden sie von ihrem entschlossenen Kurs nicht abbringen. Als der Prozess eröffnet wurde, wurde ziemlich schnell klar, dass es sich um nichts anderes handelte, als den neuesten Anlauf in einer langen Schmutzkampagne gegen Burzynski und den Versuch, sein Medikament verbieten zu lassen. Tatsächlich machte der Staatsanwalt Michael Clark überhaupt keinen Hehl daraus, dass er alles tun würde, damit die vier männlichen und acht weiblichen Geschworenen überhaupt nicht darüber zu entscheiden hätten, ob die Antineoplastone überhaupt wirksam wären oder nicht. Und der Richter, Simeon T. Lake war gezwungen, diese Maßnahme mitzutragen, weil ein Bundesgesetz der Food, Drug and Cosmetic Act, der FDA das alleinige Recht einräumt über die Sicherheit und Wirksamkeit eines neuen Medikaments zu entscheiden. Nur der Kongress könnte dieses Gesetz abändern. „Dies ist keine Anhörung vor dem Kongress, um die Lebensmittelbehörde zu reformieren“, bemerkte Lake am ersten Tag des Prozesses. „Ob irgendein Patient oder ehemaliger Patienten dieses Mittel von Dr. Burzynski für wirksam hält oder nicht, ist hier nicht das Thema. Wir werden hier keine Zeugenaussagen zulassen, ob die von Dr. Burzynski durchgeführte Behandlung oder das Medikament wirksam sind oder nicht.“ Gleichzeitig erzählte Lake der Gruppe von 49 potentiellen Geschworenen, die für den Fall bestellt wurden, dass „Sie hier sehr wichtige Fragen entscheiden werden.“ Er sagte ihnen jedoch nicht, welche wichtigen Fragen sie noch zu entscheiden hatten, wenn die Frage der Wirksamkeit völlig außen vor gelassen wurde.
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Die Wirksamkeit war jedoch das einzige Thema, das die Dutzenden von Patienten Burzynskis interessierte, die sich am ersten Prozesstag vor dem Gerichtsgebäude versammelt, einen großen Teil der Stühle im Gericht besetzt und mehr als 700.000 Dollar für die Verteidigung des Arztes aufgebracht hatten. Die Patienten vertraten ähnliche Ansichten wie die von Robert Steed, dessen Aussage vor dem Texas Board of Medical Examiners 1994 keinerlei Zweifel daran gelassen hatte, dass die Antineoplastone sein Leben gerettet hatten, ohne dass er dafür irgendwelche Nebenwirkungen in Kauf nehmen musste. RICHTER LAKE: DIES KÖNNTE EINES TAGES IHRE LETZTE HOFFNUNG SEIN stand auf einem der Schilder, die von den Patienten draußen in die Höhe gehalten wurden. Einige von ihnen saßen in Rollstühlen. Andere, wie die 15 Jahre alte Jessica Kerfoot aus Arlington in Texas, die von einem bösartigen Melanom geheilt worden war, trugen kleine Kärtchen mit ihrem Namen am Körper, auf denen das Wort GEHEILT zu lesen war. Aber im Gerichtssaal scherte man sich nicht im Geringsten um die Erfahrungen und Überzeugungen der Patienten. Es spielte überhaupt keine Rolle, dass Burzynski im Laufe der vorangegangenen Jahre mehr als 2500 Patienten geheilt hatte, von denen die meisten von ihren Ärzten bereits aufgegeben worden waren, bevor sie sich an ihn wandten. Es war auch nicht so wichtig, dass mindestens 300 von ihnen immer noch lebten und das Wochen, Monate und Jahre, nachdem andere Ärzte sie zum Sterben nach Hause geschickt hatten. Das war alles vollkommen irrelevant. „Die Geschworenen sind angewiesen, ihre Entscheidung lediglich aufgrund dessen zu treffen, was sie hier im Gericht hören“, erklärte Richter Lake am Eröffnungstag. Bei seinem Eröffnungsplädoyer betonte Staatsanwalt Clark diese Anweisung noch einmal ausdrücklich. Aber er konnte sich damit nicht so ganz durchsetzen, denn während seiner Ausführungen musste er doch irgendwie auf die Wirksamkeit der Behandlung eingehen. Er sagte den Geschworenen, dass „die entscheidende Frage in diesem Prozess darin besteht, ob der Angeklagte vorsätzlich Betrug begangen hat, und ob die amerikanische Post dazu missbraucht worden ist, diesen Betrug durch31
zuführen“. Bei diesen Ausführungen musste sich auch der beschränkteste Geschworene fragen, ob das Medikament nun funktionierte oder nicht, oder warum die Leute es überhaupt einnahmen. War die Frage der Wirksamkeit nicht zentral für die Entscheidung, ob hier nun ein Betrug vorlag oder nicht? Aber Clark ließ sich durch diese Frage nicht beirren. Er behauptete, dass die FDA „versucht hat, mit Dr. Burzynski zusammenzuarbeiten und die Wirksamkeit des Medikaments im Rahmen genehmigter Versuche an seinen Patienten überprüfen zu lassen“. Er erwähnte jedoch nicht, dass die FDA nach einem entsprechenden Antrag durch Burzynski sechs Jahre dazu brauchte, um die erste IND-Genehmigung zu erteilen. Wenn Pharmaunternehmen einen solchen Antrag stellen, wird er normalerweise unverzüglich genehmigt. Clark sagte: „Dieses Land hat Dr. Burzynski sehr gut behandelt, als er aus Polen kam. Er jedoch hat sich nicht an die Regeln gehalten und der etablierten Medizin den Rücken gekehrt.“ Was er nicht erwähnte, war, dass Burzynski bei seinen frühen Versuchen, eine Genehmigung für die Tests mit den Antineoplastonen zu erhalten, immer wieder in eine widersprüchliche Situation geraten war: Das Baylor-College hatte ihm die Erlaubnis verweigert, weil er nicht über eine IND-Genehmigung verfügte, welche er wiederum nicht bekam, weil er kein grünes Licht vom Baylor-College erhalten hatte. Als der Prozess begann, bestand kein Zweifel daran, dass Burzynski schwere taktische Fehler begangen hatte. Zum Beispiel hatte er einem Patienten eine primitive frühe Version von Antineoplastonen verabreicht, die ausschließlich aus chemischem Phenylazetat bestanden. Einen weiteren Fehler hatte er begangen, als er Vertretern eines pharmazeutischen Unternehmens erlaubte, zwei Monate lang alle Aspekte seiner Arbeit zu überprüfen, bevor er mit ihnen eine Abmachung traf. Es existierte noch kein Patent, und die Firm ergriff die Gelegenheit beim Schopf und entwickelte selbst Phenylazetat als Mittel gegen den Krebs. Bei seinem Eröffnungsplädoyer behauptete Clark, dass Burzynski von Anfang an betrügerische Absichten hatte, als er verzweifelte Patienten ohne Genehmigung der Gesundheitsbehörden behandelte. „Es geht hier 32
nicht um den Charakter von Dr. Burzynski“, sagte Clark. „Wir wissen alle, dass auch gute Menschen schlechte Dinge tun können. Bei diesem Fall geht es vielmehr um einen Mann, der sich nicht an die Gesetze dieses Landes hält. Die FDA hat versucht, mit ihm zusammenzuarbeiten.“ Aber Clark ließ bei diesem Fall die wirklich wichtigen Fragen außer Acht, nämlich die Fragen, die zum Teil während der Vorvernehmung der Geschworenen aufgeworfen wurden: Sollte man Patienten, die sich bereits im Endstadium ihrer Krankheit befinden, gestatten, jede mögliche Hilfe anzunehmen, die man ihnen anbot? Sollten Ärzte jede Behandlungsmethode anwenden, von denen sie sich eine Wirkung versprachen, auch wenn diese Methoden von der Gesundheitsbehörde noch nicht genehmigt wurden? Von Anfang an versuchte Staatsanwalt Clark, den Prozess auf eher unwichtige Aspekte zu beschränken: Bestand ein zwischenstaatlicher Handel, wenn ein Patient von Burzynski Antineoplastone erhielt und sie mit nach Hause, in einen anderen Staat, nahm? Und war es Postbetrug, wenn Burzynski die Codes für Chemotherapie für Patienten auf Versicherungsformulare schrieb, bei denen eine Therapie mit Antineoplastonen durchgeführt wurde? Clark erwähnte natürlich nicht, dass jede Versicherungsgesellschaft in den USA und Kanada über Burzynski und die Art seiner Therapie genau Bescheid wusste. Dummerweise waren die Themen, die Clark während des Prozesses aufwarf, nicht die, für die sich die Presse und die Öffentlichkeit am meisten interessierte. Es waren die wichtigeren Fragen, die man beantwortet haben wollte. Und es waren diese Fragen, bei denen sich einige fragten, ob dieser Prozess der FDA endlich klarmachen würde, dass die Zeit allmählich vorüber sei, da sie mit kleinen Firmen und privaten Personen so umspringen konnte wie sie wollte, während sie sich großen Pharmaunternehmen gegenüber unterwürfig verhielt.
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DIE GESCHICHTE VON TORI MORENO
Die Rettung von „One-Eyed Jack“ - mit Hilfe von Antineoplastonen und einem Buch darüber „Dieses Kind ist sehr ungewöhnlich. Wir haben es hier mit einem eindeutigen Fall von Rückbildung eines Tumors zu tun – aufgrund dieser Behandlung.“ - Aussage von Dr., med. Fred Epstein, dem Leiter des Institute for Neurology and Neurosurgery, Beth Israel Medical Center, New York und Professor an der Albert Einstein Medical School, bei einem Telefoninterview am 21. Januar 2000.
„Ich werde Tom Elias ewig dankbar sein. Er hat dazu beigetragen, dass meine Tochter überlebte.“ - E-Mail von Roman Moreno, 14. Februar 1999.
Der Sommer 1998 fing für Kim und Roman Moreno sehr glücklich an. Sie waren gerade mal ein Jahr verheiratet. Ihr erstes Kind war unterwegs, und beide hatten Elternschaftsurlaub von ihrem Beruf als Hilfsscheriffs im Los Angeles County genommen, um während der ersten Monate seines Lebens ausschließlich für ihr Kind da zu sein. Und etwas Glück hatten die beiden ja nun wirklich verdient. Beide hatten sehr schwierige Zeiten hinter sich, bevor sie einander begegneten. Beide hatten als Wärter im Sybil Brand Institute gearbeitet, dem größten Frauengefängnis in Los Angeles County und der zweitgrößten Strafanstalt für weibliche Häftlinge in den gesamten Vereinigten Staaten. Beide hatten gute Gründe, auf eine lange und glückliche Ehe zu hoffen, und sie blickten optimistisch in die Zukunft.
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Sie beide waren in Südkalifornien geboren und aufgewachsen, in oder in der Nähe von Long Beach. Romans Eltern trennten sich Ende der sechziger Jahre, als er gerade mal zwei Jahre alt war. Eine Zeit-lang lebte er abwechselnd bei seinem Vater und seiner Mutter. Ab dem Alter von acht Jahren lebten Roman, seine Schwester und seine beiden Brüder dann ausschließlich bei ihrem Vater, einem Hafenarbeiter, der in den Docks von Long Beach und San Pedro arbeitete. Sie zogen später nach Cypress, einer kleinen Stadt in der Nähe. Aber Roman erinnerte sich später, dass er „niemals eine enge Beziehung zu seinem Vater hatte“. In dem Moment, da er die High School abschloss, ging er sofort zur Armee und diente als Scharfschütze in einer Aufklärungseinheit, die in der Nähe von Fairbanks in Alaska stationiert war. „Es machte mir überhaupt nichts aus, so weit von zu Hause weg zu sein“, erinnerte er sich. „Aber ich hätte Europa bevorzugt.“ Nach seiner Dienstzeit war es für Roman irgendwie natürlich, zur Polizei zu gehen, nachdem er zwei Jahre am Junior College absolviert hatte. „Mir gefiel die geistige und körperliche Herausforderung“, sagte er. „Die Vorstellung, Verbrecher zu jagen, ganz legal zu schnell fahren zu dürfen und die Straßen sicherer zu machen – das alles war für mich sehr verlockend. Als ich klein war, lebte ich im nördlichen Teil von Long Beach, am Stadtrand, ganz in der Nähe von Compton. Dort gab es eine sehr hohe Kriminalität. Als ich sechs Jahre alt war, wusste ich bereits, was eine Gang war.“ Aber bevor er im Streifenwagen Verbrecher jagen durfte, musste er zuerst für einige Zeit als Wärter arbeiten. So traf er dann Kim, die damit bereits einige Jahre zuvor angefangen hatte. Roman überwachte einen Schlafsaal mit hundert Gefangenen. Kim war für das gesamte Stockwerk zuständig – sechs große Schlafsäle. Kim war geschieden. Sie war mit einem anderen Deputy Sheriff verheiratet gewesen und hatte bereits zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen. Aber nach drei Jahren, die mit Rechnungen, 100 Meilen langen Fahrten zur Arbeit und langen Arbeitszeiten erfüllt waren, die sie und ihren ersten Gatten ständig voneinander trennten, war die Romanze in 35
ihrer Ehe erloschen. Sie war wieder frei, als sie 1996 Roman traf. Bei einem Silvesterausflug nach San Francisco, bei dem auch einige Freunde dabei waren, kamen sie sich schließlich näher. Sie heirateten im Mai 1997, und schon vier Monate später war Kim schwanger. Es war eine vollkommen normale Schwangerschaft, bis kurz vor der Niederkunft. „Es verlief alles ziemlich normal“, erinnerte sich Kim. „Ich hatte überhaupt keine Komplikationen. Vielleicht war alles ein wenig schwieriger als bei meinen ersten zwei Kindern, denn ich war ja inzwischen schon zehn Jahre älter. Aber ich hörte erst etwa eine Woche vor der Geburt auf zu arbeiten. Ich sah keinen Grund für eine Fruchtwasseruntersuchung, aber ich ließ mehrere Bluttests durchführen, weil ich Rh negativ bin und eine geringe Dysfunktion der Schilddrüse habe. Aber das war kein Problem. Kurz vor der Geburt ließ ich einen Ultraschall machen. Man sagte mir, dass sich der Embryo in einer Steißlage befinden würde. Aber er drehte sich ständig, also führte man einen Kaiserschnitt durch. Seit der Zeit frage ich mich, was mit dem Ultraschall war. Toris Gehirnstamm war dort nicht zu erkennen. Ich las später den Bericht, und da stand, dass die Sicht blockiert wäre. Das kam mir damals nicht verdächtig vor – erst danach.“ Auch die Tatsache, dass Tori in einer Steißlage war und ihr Kopf einfach nicht in den Geburtskanal ging, kam ihr nicht verdächtig vor. Später erzählten die Ärzte Kim, dass der Geburtskanal aufgrund der Geschwulst im Kopf für den Fötus möglicherweise zu eng gewesen sei. Aber bei der Geburt fiel niemandem etwas Ungewöhnliches an Tori auf. Sie schien während der gesamten Zeit im Krankenhaus vollkommen normal zu sein, auch wenn Kim ein gewisses „ungutes Gefühl“ hatte, als die Schwestern ihr erzählten, dass sich der Embryo in einer Steißlage befand. „In meinem Babybuch, das ich die ganze Zeit lese, steht, dass Hydrozephalus – Wasser im Gehirn – eine mögliche Ursache für die Steißlage gewesen sei.“ Aber alle negativen Gefühle lösten sich schnell auf, nachdem Tori zur Welt gekommen war. „Sie sah vollkommen perfekt aus“, sagte Roman. Kim, die vor der Geburt ihrer älteren Tochter als medizinische Assisten36
tin gearbeitet hatte, fügte hinzu: „Es war nicht nur so, dass sie einfach niedlich aussah. Nein, ihre Reflexe, ihre Körperproportionen und alles andere waren hundertprozentig normal. Im Krankenhaus gab es nicht den geringsten Hinweis darauf, dass etwas nicht stimmen könnte.“ Roman war überglücklich. Er hatte zuerst so seine Zweifel, was die Schwangerschaft betraf. „Ich musste mich immer noch an den Gedanken gewöhnen, dass ich verheiratet war, als Kim schwanger wurde“, sagte er. Aber in den letzten drei Monaten der Schwangerschaft freute ich mich nur noch auf unser Kind. Und als ich Tori zum ersten Mal sah, war das Liebe auf den ersten Blick. Außerdem setzten die Wehen am Vatertag, dem 21. Juni 1998, ein. Ich hatte also die Hoffnung, dass es ein richtiges „Vatermädchen“ werden würde.“ Aber ihnen standen eine Menge Schwierigkeiten bevor. Es gab einige frühe Hinweise, aber selbst ein Arzt hätte sie ohne eine Gehirnuntersuchung nicht erkennen können. „Rückblickend wissen wir natürlich, dass es uns sofort hätte auffallen müssen, dass Toris linkes Auge ständig offen blieb, wenn sie weinte“, erinnerte sich Roman. „Wir nannten sie 'One-Eyed Jack' und nahmen es eigentlich nicht so ernst. Aber als sie dann fünf oder sechs Wochen alt war, erkannten wir, dass es ein ernstes Problem gab. Sie hatte Schwierigkeiten, Dingen mit ihren Augen zu folgen.“ Kim fiel noch etwas anderes auf: „Als wir sie noch mit der Flasche fütterten, waren ihre Lippen fast nie fest um den Nippel geschlossen. Die linke Seite ihres Gesichts war gelähmt. Und im Laufe der Zeit wurde es immer schlimmer.“ Roman sagte: „Man konnte den Finger auf ihren Augapfel drücken, und sie zwinkerte dann nicht einmal. Aber wenn man sie ansah, dann fiel einem immer noch nichts auf, außer wenn sie weinte. Und wir sahen sie sehr häufig an. Wir waren ganz verrückt nach ihr, zumindest ich.“ Nachdem sie die Sache etwa eine Woche lang beobachtet hatten, entschlossen sich Kim und Roman zum Handeln. Sie brachten Tori zu ihrem Kinderarzt, Dr. Albert Lee von der Harriman Jones Medical Clinic in Long Beach, nicht weit von ihrem Haus in Garden Grove. „Zuerst 37
verstand er überhaupt nicht, wovon ich überhaupt redete. Ihm fiel nichts auf, während er sie ansah, “ sagte Roman. „Aber dann fing sie an zu weinen, und er sah sofort, was ich meinte.“ Wie sich herausstellte, hatte Tori allen Grund zum Weinen. Aber zu diesem Zeitpunkt war noch niemand besonders beunruhigt über die Sache. Lee sagte den besorgten Eltern, dass er nicht davon ausginge, dass hier ein ernsthaftes Problem vorliegen würde. Trotzdem vereinbarte er schon am nächsten Tag einen Termin mit dem Neurologen Dr. Perry Lubens. Die Morenos besuchten ihn am 11. August 1998. Sie glaubten immer noch nicht, dass eine ernsthafte Krankheit vorliegen würde, auch nicht, als Lubens Tori untersuchte und dicht an ihrem Ohr Rasseln schüttelte und kleine Glöckchen läutete. „Zuerst fiel mir nichts auf“, erinnerte sich Kim. „Der Arzt fragte mich, ob ich zum ersten Mal Mutter geworden sei. Ich vermutete, dass er davon ausging, dass ich ein wenig überängstlich wäre. Aber ich hatte ja schon zwei Kinder, und hier stimmte nun wirklich etwas nicht.“ Es war das erste Mal, dass jemand die Möglichkeit erwähnte, dass hier etwas Ernsthaftes vorliegen könnte. Die Morenos, die jetzt ziemlich besorgt waren, erschienen am nächsten Tag pünktlich um 9 Uhr zur Kernspintomographie. Tori war etwas quengelig, weil man ihr vorher nichts zu essen gegeben hatte. Während der Untersuchung mussten die Eltern im Wartezimmer sitzen. Das Nächste was sie sahen, war, dass die kleine Tori auf einer Bahre auf die Intensivstation für Kinder geschoben wurde. Niemand wollte den bestürzten Eltern den Grund dafür erklären. „In diesem Augenblick fühlte ich überhaupt nichts mehr“, erinnerte sich Kim. „Ich dachte, dass man sie für die Tomographie narkotisiert hätte, weil sie ja noch so klein war. Oder sie wollten Platz für ein anderes Kind schaffen. Die Intensivstation war ja die einzige pädiatrische Spezialeinrichtung in diesem Krankenhaus.“ Aber als sie hinter Toris Bahre her liefen, merkten sie schnell, dass etwas nicht in Ordnung war. Etwas war ganz und gar nicht in Ordnung! „Wissen Sie, warum Sie hier sind“, fragte die diensthabende Schwester in einem etwas gereizten Ton. Kim und Roman schüttelten den Kopf. 38
Die Schwester seufzte. „Wissen Sie, Ihre Tochter muss in der Lage sein, an einer Flasche zu nuckeln, bevor sie nach Hause kommt.“ Die Eltern erinnern sich noch an jede Einzelheit und jedes Wort, das während dieser Zeit gesprochen wurde, so genau wie ein Polizeibeamter, der dazu geschult wurde, Zeugenaussagen aufzunehmen, die möglicherweise vor Gericht verwendet werden. Innerhalb von fünf Minuten, nachdem sie und Tori die Intensivstation erreicht hatten, wurden die Glasschiebetüren der Kabine geschlossen, in der Toris Bahre stand. „Ich hörte, wie sie Toris Namen flüsterten. Dann hörte ich noch, wie Lubens angepiept wurde, gerade als sie die Tür schlossen, “ sagte Kim. „Ich sagte zu Roman, dass da irgendetwas nicht stimmen würde. Er nickte. In dem Augenblick waren beide nur neugierig und nicht so bestürzt wie sie es bald sein sollten. „Ich war sehr besorgt, als ich von der Kernspintomographie hörte“, sagte Roman. „Aber ich dachte dann, dass es wohl nur Routine wäre – bis sie mir dann die schlechte Nachricht vor den Latz knallten. Wir waren bisher davon ausgegangen, dass unsere Tochter lediglich einen schwachen Augenmuskel hätte. Und dann plötzlich schnallten sie sie auf eine Bahre.“ Dreißig Minuten, nachdem sie das Flüstern der Schwestern gehört hatten, erinnerte sich Kim, „ging ich in die Halle und hörte, wie eine Schwester am Telefon fragte: Wer soll es ihnen sagen? Ich hatte das Gefühl, dass der Boden unter mir nachgab.“ Nach einigen Minuten übergab die Schwester Kim den Hörer, und sie sprach mit Dr. Lee, ihrem langjährigen Kinderarzt. „Er sagte mir, dass ich mich setzen sollte und fragte mich, ob auch mein Mann da wäre“, erinnerte sie sich. Dann sagte er mir in sehr einfachen Worten: Wir haben die Kernspintomographie gemacht, um festzustellen, was genau los ist. Wir haben festgestellt, dass Tori einen Tumor im Gehirnstamm hat. Er sagte mir, dass er möglicherweise inoperabel wäre, aber dass er sich inzwischen mit einem Neurochirurgen in Verbindung gesetzt hätte und nun ein Operationsteam zusammengestellt würde. Tori sollte mit dem Krankenwagen ins Long Beach Memorial Hospital gebracht werden, weil sie dort eine Krebsstation hätten und über mehr Erfahrung verfügen 39
würden. Er sagte, dass man bereits am nächsten Morgen operieren würde.“ Kim war am Boden zerstört. „Ich ließ den Hörer fallen und ging aus dem Zimmer. In der Halle fing ich an zu weinen. Ein Arzt hatte mir soeben gesagt, dass man den Kopf meines Babys öffnen würde.“ „Meine Frau gerät nicht so leicht in Panik“, sagte Roman. „Sie ist wirklich sehr hart im Nehmen und gewöhnt, mit Belastungen umzugehen. Und ich musste mit ansehen, wie sie jetzt praktisch zusammenbrach. Ich dachte also zuerst, dass der Arzt für meine Tochter ein Todesurteil ausgesprochen hätte. Kim konnte schließlich ein paar Worte sagen, und ich nahm den Hörer und sprach mit Dr. Lee. Er machte mir absolut nichts vor. Er sagte, dass eine Gehirnoperation bei einem Kleinkind immer extrem gefährlich sei. Er konnte mir absolut nicht sagen, wie die Chancen für eine Heilung standen. Aber er sagte ganz unmissverständlich, dass eine Operation notwendig sei. Andernfalls würde Tori sterben. Er sagte, dass sie einen sehr seltenen Tumor hätte, dass sie jederzeit sterben könnte, und dass die einzige Chance in einer Operation bestehen würde. “Aber es war klar, dass Kim den Arzt richtig verstanden hatte: Er ging davon aus, dass er den Morenos praktisch ein Todesurteil für Tori verkündet hatte. Das war anscheinend auch dem Krankenhauspersonal klar, wenn man nach den ernsten Gesichtern der Schwestern ausgehen konnte, die mit den Kernspintechnikern flüsterten. Die Vorschriften untersagten ihnen, den Morenos zu sagen, was sie gesehen haben mussten, als sie das Gehirn von Tori untersuchten. Später sagte einer der Onkologen im Long Beach Memorial Hospital zu Roman, dass das „Gliom von Tori das schlimmste gewesen sei, das er jemals gesehen hätte“. Es handelte sich um ein aggressives, schnell wachsendes Hirnstammgliom vierten Grades. Für diese Art von Tumor gibt es in der konventionellen Medizin keine Heilung. Alles, was die Ärzte tun könnten, wäre, den Tumor oder einen großen Teil davon zu entfernen – falls er in einer Membrane eingekapselt war – und dann da40
rauf zu warten, dass er sich innerhalb von Wochen oder Monaten unvermeidbar neu bildete. „Ich fragte Dr. Lee, ob es neben der Operation keine andere Möglichkeit gäbe“, sagte Kim. „Er sagte aber, da gäbe es nichts. Da konnte ich nicht mehr. Ich ging in die Halle und weinte, während Roman noch eine Weile mit dem Arzt sprach.“ „Am Anfang dachten sie noch, dass der Tumor eingekapselt wäre“, sagte Roman. „Sie wussten noch nicht, dass der Tumor sich tief innerhalb des Gehirnstammes befand und inoperabel war. Aber wir haben niemals herausgefunden, wer die erste Diagnose gestellt und die Tomographie zuerst gedeutet hatte.“ Die Eltern hatten keine Zeit, sich über solche Dinge den Kopf zu zerbrechen. Tori wurde mit einem Krankenwagen schnell in eine andere pädiatrische Intensivstation gebracht. Es war jetzt 20 Uhr. Vier Stunden waren also vergangen, seit Lee den Morenos die Nachricht überbracht hatte. Die Schwester sagte den Eltern, dass man Tori über Nacht beobachten wollte und die Operation früh am nächsten Morgen stattfinden würde. Beide Eltern schliefen in dem kleinen Zimmer ihrer Tochter. Sie waren besorgter als je zuvor in ihrem Leben. Am nächsten Morgen tauchte jedoch niemand auf, um Tori zur Operation zu bringen. „Wir warteten Stundenlang, und niemand wollte mit uns reden“, sagte Roman. „Wir fragten uns, warum das so war. Stimmte irgendwas nicht mit uns?“ Um 10 Uhr erschien dann schließlich der Neurochirurg Clarence Greene. Er kam gleich zur Sache. Er legte die Röntgenbilder von Tori auf den Betrachter und sagte: „Es tut mir leid, aber ich kann nichts für Sie tun. Ich hatte den Eindruck, dass der Tumor sich an der Basis des Gehirn befände und wir zumindest einen Teil davon entfernen könnten. Aber ihr Tumor hat sich im Gehirnstamm ausgebreitet und sich mit normalem Gewebe verbunden. Wenn wir da rangehen, dann wissen wir nicht, was nun der Tumor ist und was Hirngewebe. Sie würde die Operation nicht überleben.“ „Er war sehr überzeugend und direkt“, erinnerte sich Roman. „Er verhielt sich so, als ob es bei der Sache nichts zu diskutieren gäbe. Er war 41
sehr sachlich und nach fünf oder sieben Minuten wieder verschwunden. Aber er sagte uns auch, dass er uns an einen Onkologen weitervermitteln würde, der sich mit anderen Behandlungsformen auskennt.“ Toris Eltern waren noch verzweifelter als am Tag zuvor. „Wir hatten nicht die geringste Ahnung von Gehirntumoren“, sagte Kim, die bald eine Menge über dieses Thema lernen würde. „Keiner von uns wusste irgendetwas darüber.“ Und kein Arzt schien ihnen helfen zu wollen. „Wir saßen dort den ganzen Tag und die ganze Nacht, ohne dass sich ein Arzt mit uns beschäftigte“, sagte Roman. „Das war eine ziemlich lange und kalte Nacht dort auf der Intensivstation. Wir haben die ganze Zeit nichts gegessen, weil wir bei Tori sein wollten, und wir wollten ja da sein, wenn doch noch ein Arzt auftauchen würde.“ Aber sie mussten noch einige Familienangehörige informieren. „Meine beiden Kinder waren in Kansas, wo meine Eltern jetzt leben“, sagte Kim. „Ich musste dort anrufen. Ich informierte meinen Vater und meine Mutter, und sie fuhren gleich am nächsten Morgen nach Kalifornien, um uns beizustehen. Sie sagte meinem Sohn Jake, dass Tori im Krankenhaus sei, und dass sie bei ihr sein wollten.“ Aber einige Telefonanrufe und die emotionale Unterstützung von Familienangehörigen und Freunden änderte nicht viel an der Belastung, der die beiden ausgesetzt waren. „Das war wahrscheinlich der schlimmste Moment unseres ganzen Lebens, zumindest bis zu diesem Zeitpunkt“, sagte Roman. Aber es sollte noch schlimmer kommen. Mehr als 48 Stunden, nachdem Greene ihnen seine Meinung mitgeteilt hatte, und fast drei Tage, nachdem Lee den Morenos gesagt hatte, dass Tori „jederzeit sterben könnte“, kam endlich ein Onkologe. Begleitet von Lee betrat Dr. Ramesh Patel das Zimmer. Er sagte, dass weder er noch seine Kollegen sicher wären, was sie in Bezug auf Tori unternehmen sollten. „Wir haben wenig Erfahrung mit dieser Art von Tumoren bei einem so kleinen Kind“, sagte Patel. Er versprach, sich mit Tumorspezialisten im gesamten Land in Verbindung zu setzen, und er erwähnte die Möglichkeit einer Chemotherapie. „Es war offensichtlich, 42
dass sie ratlos waren und nicht wussten, was sie uns sagen sollten“, erinnerte sich Kim. Später an dem Abend wurde Tori von der Intensivstation in die pädiatrische onkologische Station des Memorial Hospitals verlegt. „Wir saßen dann den ganzen übrigen Tag herum, ohne dass irgendjemand mit uns sprach“, sagte Kim. „Patel kam am nächsten Nachmittag. Mittlerweile waren wir ziemlich wütend geworden. Roman und ich unterhielten uns über die Chemotherapie. Ich sagte, dass ich es nicht zulassen würde, dass man meine Tochter mit Chemotherapie umbringen würde, wenn man uns nicht davon überzeugen könnte, dass es gute Chancen auf eine Heilung gäbe. Roman und ich stimmten darin überein.“ Als Patel die Morenos also in den Konferenzraum des Krankenhauses führte, waren sie beide vorbereitet. „Sie legten Toris Röntgenbilder auf den Betrachter und erklärten sie uns“, erinnerte sich Kim. „Sie sagten, dass es schrecklich wäre. Patels Kollegin sagte: Wir sind Ärzte geworden, um Kindern zu helfen und ihr Leben zu retten. In unserem Beruf kommt man selten mal in eine Situation, wo man absolut nichts mehr tun kann. Und jetzt sind wir in einer solchen Situation.“ Aber sie erwähnten die Möglichkeit einer speziellen Chemotherapie für Kinder, von der sie glaubten, dass Tori sie verkraften könnte. „Ich fragte sie, was sie bewirken würde“, sagte Kim. „Und sie sagten, dass sie möglicherweise den Tumor verlangsamen könnte. Aber sie würde ihn nicht aufhalten oder gar schrumpfen lassen. Tori hätte dann noch etwa einen Monat länger zu leben. Ich fragte sie ganz direkt: Wird die Chemotherapie meiner Tochter helfen? Und sie sagten nein. Ich fragte sie: Warum bieten Sie sie uns dann an? Und ihre Antwort war: 'Weil es einige Leute einfach nicht verkraften, überhaupt nichts zu tun.“ Die Morenos erinnern sich noch, dass Patel am meisten davon überzeugt war, dass Tori sehr bald sterben würde. „Bei unseren letzten beiden Besuchen ging es eigentlich nur noch darum, wie wir sie sterben lassen sollten“, sagte Kim. „Er sagte uns, dass wir sie nicht künstlich wiederbeleben sollten, wenn ihre Atmung aussetzte. Und er schlug vor, auf kei43
nen Fall die Notrufnummer anzurufen, weil dies Toris Leiden nur verlängern würde.“ Nach dem Ende der Besprechungen waren die Morenos zu dem Schluss gekommen, dass eine Chemotherapie für Tori nicht in Frage käme. Und die Ärzte waren schließlich der Überzeugung, dass sie höchstens noch sechs Wochen zu leben hätte und möglicherweise schon innerhalb weniger Tage sterben könnte. „Sie wollten es uns nicht so direkt sagen“, erinnerte sich Roman. „Ich musste es ihnen praktisch aus der Nase ziehen.“ Schließlich erklärten sich die Morenos bereit, Tori wieder nach Hause zu bringen und ihr das steroide Medikament Decadron zu geben, um die Schwellung um den Tumor herum zu reduzieren. „Ich fragte sie noch einmal, ob es möglich wäre, dass sie sterben könnte, wenn wir sie nach Hause brächten“, erinnerte sich Roman. „Und sie sagen ja. Patel sagte auch, dass sie vor ihrem Tod möglicherweise gelähmt würde, während der Tumor größer wächst. Aber am nächsten Tag brachten wir sie trotzdem nach Hause.“ Es dauerte etwa eine Woche, bis die Morenos genügend Energie und Entschlossenheit aufbrachten, um sich nach alternativen Heilmethoden zu erkundigen, anstatt nur zuzusehen, wie ihre flachsblonde Tochter im Sterben lag. „Wir sahen uns in Bücherläden um und recherchierten im Internet“, erinnerte sich Kim. „Meine Schwester LeAnn meldete uns bei einem Internetforum über Gehirntumore an, und eine der E-Mails, die wir erhielten, kam vom Vater eines kleinen Mädchens aus San Diego, das gerade mit einer Behandlung bei Dr. Burzynski angefangen hatte. Die erste Kernspintomographie nach der Behandlung zeigte, dass sich der Tumor in einer Art Doughnut-Effekt von innen her auflöste. „Wir schauten uns das an und dachten darüber nach. Und schon am nächsten Tag riefen wir die Burzynski-Klinik an. Man teilte uns jedoch mit, dass Tori für ihre klinischen Versuche noch nicht alt genug sei. Also besorgten wir uns Bücher über Gehirntumore. Wir fanden Dr. Fred Epstein vom Beth Israel Hospital in New York auf einer Liste der besten pädiatrischen Neurochirurgen der Welt. Wir schickten ihm Toris Rönt44
genbilder, und er rief uns zurück. Er war sehr freundlich, aber er teilte uns mit, dass er mit Dr. Greenes Meinung übereinstimmte, dass Toris Tumor inoperabel sei. Und er wüsste auch von keiner anderen experimentellen Behandlungsmethode, die unserer Tochter helfen könnte.“ Epstein, der Leiter des Instituts für Neurologie und Neurochirurgie des Beth Israel Hospitals, war derselben Ansicht. „Dieser Tumor ist ganz eindeutig inoperabel“, sagte er in einem Interview ein Jahr später. „Wir holten eine zweite Meinung von Spezialisten des City of Hope Medical Center in Duarte in Kalifornien ein“, sagte Roman. „Sie waren ebenfalls der Ansicht, dass es sich um einen hoffnungslosen Fall handelte, und dass Tori nicht mehr lange zu leben hätte. Der einzige Unterschied war, dass sie uns zu einer oralen Form von Chemotherapie rieten, die wir zuhause anwenden konnten, anstatt ins Krankenhaus zu gehen. Aber sie sagten uns auch, dass sie damit nicht länger überleben würde als mit der üblichen Chemotherapie, von der wir wussten, dass sie ihr Leben nur ein wenig verlängern würde. Also bedankten wir uns, lehnten aber ab.“ Roman Moreno fing wieder an, die Bücherläden zu durchstöbern. Bald fand er ein Exemplar der ersten Ausgabe von The Burzynski Breakthrough. „Ich las auch einige Sachen über Therapien mit Haifischknorpeln und Laetril“, erinnerte sich Roman. Aber The Burzynski Breakthrough las ich besonders aufmerksam. Danach ging alles sehr schnell. „In dem Buch las ich über den Fall von Ric Schiff (siehe Die Geschichte von Crystin Schiff ), und ich rief ihn an.“ Der Anruf bei Schiff, der ebenfalls Polizist war, war ein voller Erfolg. „Wenn es um Gehirntumore bei Kindern geht und wie man sie behandelt, war er geradezu ein wandelndes Lexikon“, sagte Roman. „Ich sagte ihm, dass die BurzynskiKlinik mir mitgeteilt hätte, dass Tori nicht für einen Versuch in Frage käme, weil sie noch nicht sechs Monate alt sei. Er riet mir, die FDA anzurufen und dort eine bestimmte Person zu verlangen, die für eine „Compassionate Use Exception“, eine Ausnahmegenehmigung, zuständig wäre. Ich rief also dort an. Ric riet mir ebenfalls dazu, mich mit unseren örtlichen Kongressabgeordneten in Verbindung zu setzen. Ich 45
sprach also mit Loretta Sanchez, einer demokratischen Kongressabgeordneten aus Kalifornien. Ric gab mir auch Tom Elias' Telefonnummer, der mir eine Menge über die Behandlungsmethoden von Dr. Burzynski erzählte. Gleichzeitig setzte ich mich nochmals mit der BurzynskiKlinik in Verbindung. Die Leute schlugen ebenfalls vor, eine Ausnahmegenehmigung zu beantragen und schickten gleichzeitig mit Sanchez einen entsprechenden Antrag. Zwei Tage später teilte mir die FDA mit, dass ich schriftliche Bestätigungen von zwei qualifizierten Ärzten unterbreiten müsste, in denen steht, dass der Tumor inoperabel wäre. Eine bekamen wir von Dr. Epstein. Wir teilten ihm mit, dass wir uns an Dr. Burzynski wenden würden, und er hatte nichts dagegen einzuwenden. Wir bekamen ebenfalls einen Bestätigung von Dr. Greene. Die beiden Briefe wurden der FDA geschickt, die schon am nächsten Tag eine Ausnahmegenehmigung ausstellte. Es war der erste Donnerstag im Oktober 1998. Ich weiß immer noch nicht, wieso sie so schnell reagierten. Vielleicht, weil unsere Tochter erst drei Monate alt war und es absolut keine anderen Möglichkeiten mehr gab.“ Zwei Tage später flogen die Morenos nach Houston, um Burzynski zu konsultieren. Der Flug dauerte vier Stunden. Inzwischen war ihre Geschichte bereits von fünf Sendern im Fernsehen übertragen worden, die ihre Zuschauer aufforderten, steuerlich abzugsfähige Spenden an einen Sonderfonds zu schicken, den die Polizeibehörde im Heimatbezirk der Morenos eingerichtet hatte. „Wir wussten, dass das alles eine ziemlich große finanzielle Belastung sein würde, und dass wir auf öffentliche Spenden angewiesen sein könnten, “ sagte Roman. Unsere Versicherung, die Blue Cross, teilte uns mit, dass sie für diese Art von Behandlung nicht aufkommen würde. Beim Prozess gegen Dr. Burzynski im Jahre 1997 hatten Vertreter der Blue Cross wiederholt ausgesagt, dass ihre Versicherung nicht für Behandlungen mit den Antineoplastonen von Dr. Burzynski aufkommen würde, gleichgültig, wie erfolgreich diese Behandlung auch sei (!). An diesem Wochenende suchten die Morenos verzweifelt nach einem örtlichen Arzt, der dazu bereit wäre, die Behandlung von Tori zu übernehmen, 46
nachdem sie aus Houston zurückgekehrt war. Schließlich erklärte sich Lee dazu bereit. „Patel sagte, dass er mit Burzynski nichts zu tun haben wollte.“ Er sagte mir auch, dass Dr. Burzynski von den Onkologen des Landes nicht anerkannt wäre [das ist nicht korrekt – T.E.], und dass wir nur unser Geld verschwenden würden. Er gab mir einige Unterlagen über Quacksalberei. Und er sagte mir auch, dass er von Dr. Burzynski nicht allzu viel halte. Ich sagte ihm, dass ich mich an seiner Stelle schämen würde, wenn ich zugeben müsste, nichts über Antineoplastone zu wissen.“ Bei einem Telefoninterview im Februar 2000 wiederholte Patel noch einmal, dass er nichts über Antineoplastone wüsste und deshalb auch nicht mit Patienten zusammenarbeiten würde, die sich damit behandeln lassen. „Ich weiß überhaupt nichts darüber“, sagte er. „Ich hatte eine sehr erregte Diskussion mit zwei anderen Onkologen aus der Gruppe von Harriman Jones“, fuhr Roman fort. „Sie sagten mir ebenfalls, dass sie mit Dr. Burzynski nichts zu tun haben wollten. Ich bat Lee nicht um seine Zustimmung, mich an Burzynski zu wenden. Das war eine Entscheidung, die meine Frau und ich ganz allein trafen. Schließlich sagte er mir, dass er es übernehmen wollte, die Fortschritte von Tori zu überwachen. Also stimmte er zu.“ Schließlich sollten die Morenos, Patel und die Gruppe um Harriman Jones in einem Prozess gegen Blue Cross als Zeugen aufrufen. Aber das lag noch weit in der Zukunft. Ebenso unsicher war der Erfolg der Behandlung bei Tori. Burzynskis klinische Versuche mit Antineoplastonen gegen Hirnstammgliome hatten gezeigt, dass eine etwa 65 %-ige Chance bestand, dass sie auf die Behandlung reagieren würde, falls eine komplette Remission, eine teilweise Remission oder eine gleichbleibende Stabilität ohne weitere Entwicklung des Tumors als Reaktion gelten (siehe Diagramme im Anhang). Aber mit ihren drei Monaten war Tori die jüngste Patientin, der Burzynski jemals begegnet war. „Aufgrund des Karnofsky-Indexes kam Tori fast automatisch für eine Ausnahmeregelung in Frage“, erinnerte er sich. Beim Karnovsky-Index werden die körperlichen Fähigkeiten und Reaktionen gemessen. „Erzielt 47
ein Patient bei diesem Test 50 Punkte oder weniger, dann liegt seine Lebenserwartung bei zwei Monaten bis vier Jahren. Tori qualifizierte sich aufgrund dieses Tests für eine Ausnahmegenehmigung, aber ich hielt es für das Beste, die FDA zu fragen, weil sie ja noch so jung war. Sie war ein sehr schwieriger Fall, und sie hätte in jedem Augenblick sterben können. Für die klinischen Tests ist ein Mindestalter von sechs Monaten vorgesehen.“ Trotzdem war Burzynski sehr optimistisch, als er an jenem Dienstag der kleinen Patientin zum ersten Mal begegnete. Am Montag war sie bei einem Gefäßchirurgen gewesen, der ihr einen Hickman-Katheter in die Brust eingeführt hatte. „Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass ich Toris Leben retten werde, aber ich bin davon überzeugt, dass wir eine reelle Chance haben“, sagte er den Morenos während der ersten Untersuchung ihrer Tochter. „Sie hat eine reelle Chance, wenn uns genug Zeit bleibt.“ In Übereinstimmung mit seiner üblichen Politik der Offenheit – solange die Patienten zustimmen – wurde die Untersuchung von einer Fernsehstation von CBS in Houston aufgenommen und Teile davon in den lokalen Abendnachrichten in Houston und Los Angeles gezeigt. Aber in Bezug auf Toris Fall war Burzynski ziemlich besorgt. „Als er die ersten Kernspintomographien sah, sagte er uns, dass es möglicherweise schon zu spät wäre“, erinnerte sich Roman. Er sah sich eine Tomographie an und sagte: „Ich kann es überhaupt nicht glauben, dass sie nicht gelähmt ist.“ Ein anderer Arzt hatte den Morenos gesagt, dass Toris Gehirnstamm sich irgendwie selbst in eine bestimmte Position gebracht hätte, so dass sie nicht gelähmt wurde. Das hätte ihr noch etwas Zeit verschafft. Burzynski fing bei Tori mit einer sehr kleinen Dosis von Antineoplastonen an, um zu testen, ob sie mit einer Allergie reagieren würde. Während der folgenden zehn Tage, die die Morenos in Houston verbrachten, wurde die Dosis allmählich erhöht. Dann fuhren sie wieder heim. Es wurde vereinbart, dass sie drei Monate später nach Houston zurückkehren sollten. Während sie heimflogen, fragten sie sich, ob die Reise und 48
das Mittel, das jetzt ständig in ihre Brustvenen hineingepumpt wurde, ihr nutzen würden oder nicht. Aber kurz nach ihrer Heimkehr bemerkten sie bereits positive Veränderungen. „Innerhalb einer Woche, nachdem wir daheim waren, bemerkten wir, dass Toris Augen sich wieder einigermaßen normal auf Dinge konzentrieren konnten,“ sagte Roman. „Und sie saugte wieder normal an einer Flasche. Ihre Augen hatten nicht mehr diesen hängenden Blick, und sie blinzelte wieder mit ihrem linken Auge. „Wir bemerkten diese Dinge, noch bevor die erste Kernspintomographie nach der Behandlung gemacht wurde – im Dezember 1998. Diese zeigte, dass der Tumor um 23 % kleiner geworden war. Der Kinderarzt Lee reagierte nicht auf Versuche, ihn zu interviewen, aber nachdem die Ergebnisse der Kernspintomographie vorlagen, sagte er den Morenos, dass „irgendetwas ganz offensichtlich funktioniert“. Man konnte merken, dass er nicht mehr ganz abgeneigt war, aber natürlich befand er sich in einem Interessenskonflikt, und ich glaube, er konnte nicht so offen reden, wie er es vielleicht gern wollte“. sagte Roman. „Die Gruppe um Harriman Jones, zu der er gehört, hat einen Vertrag mit der Blue Cross in Kalifornien, und die hatte sich ja geweigert, für die Behandlung aufzukommen. Also konnte er sich zu dem Erfolg der Behandlung nicht äußern.“ Patel zeigte sich indessen überhaupt nicht begeistert von der Tatsache, dass Tori das Todesurteil, das er praktisch über sie verhängt hatte, überlebte. „Vielleicht war der Tumor ja gutartig“, sagte er, wie Kim sich erinnerte. „Es war der Chirurg, der sich die Röntgenbilder angesehen hatte, nicht ich. Ich weiß überhaupt nicht, was für eine Art von Tumor es genau war.“ Aber Patel räumte ein, dass er es noch nie mit einem Patienten zu tun hatte, der einen Tumor wie den von Tori ohne Chemotherapie oder Strahlenbehandlung mehr als einige Wochen überlebt hatte. „Ich habe noch nie einen Patienten gesehen, dessen Tumor sich ohne Behandlung zurückgebildet hat“, sagte er bei einem Telefoninterview im Februar 2000. Aber er war nicht bereit, dies auf Burzynskis Behandlung mit An49
tineoplastonen zurückzuführen, und er zeigte nicht das geringste Interesse, mehr darüber zu erfahren. „Ich weiß, dass man sie einer Behandlung unterzogen hat“, sagte er. „Aber ich habe keine Ahnung, ob diese Behandlung irgendetwas bewirkt hat, oder ob es zu einer spontanen Remission kam.“ Und dies kam von einem Mann, der in demselben Interview behauptet hatte, dass er bei einem Fall wie dem von Tori noch niemals eine Remission erlebt hätte. Toris Wangen waren durch das Decadron, das sie einnehmen musste, um die Schwellung in ihrem Gehirn zu reduzieren, immer noch etwas aufgedunsen. Aber jetzt hatten die Morenos zumindest das Gefühl, dass es ihre Tochter schaffen könnte. „Wir wussten natürlich, dass auch Burzynski nicht jeden heilen kann“, sagte Kim. „Aber wir wussten auch, dass seine Patienten bessere Chancen hatten, wenn sie niemals mit einer Chemotherapie oder Strahlenbehandlung vergiftet wurden. Und das war bei Tori glücklicherweise auch nicht der Fall. Man hatte uns gesagt, dass die Chance auf eine Reaktion bei über 75 % liegen würde, wenn das Immunsystem nicht unter den Folgen einer Chemotherapie zu leiden hätte. Und da der Tumor nach zwei Monaten bereits um 23 % geschrumpft war, waren wir optimistisch, dass sie jetzt wieder eine Chance hätte. Aber Dr. Patel war immer noch sicher, dass sie sterben würde. Machen Sie sich keine Sorgen wegen der Autopsie, sagte er mir einmal. Ich werde den Totenschein auch so ausstellen.“ Aber es bestand kaum noch die Gefahr, dass Tori sterben würde. Es wurden ihr weiterhin die Antineoplastone verabreicht, und sie entwickelte sich ganz wie ein normales Kind. Sie lachte, weinte, kroch auf dem Boden herum und bezauberte jeden, der sie sah. Schließlich brachten Kim und Roman sie wieder zu Lubens, dem Neurologen, der zuerst erkannt hatte, dass Toris Gehirn untersucht werden musste. Inzwischen war Tori zu einem sehr temperamentvollen Kind geworden. Sie war jetzt etwas über ein Jahr alt. „Er läutete Glöckchen und beobachtete ihre Reaktion darauf. Er sagte: „Sie hat sich prächtig entwickelt. Anscheinend weiß ihr Körper sich zu schützen. Viele Kinder überleben noch 50
viele Jahre mit einem Gehirntumor, und es geht ihnen dabei ziemlich gut.“ Kim und Roman mussten an die Prognosen denken, die Lubens, Patel, Greene, Epstein und ihre Kollegen in Bezug auf die Überlebenschancen von Tori gestellt hatten. Außerdem hatten sie bemerkt, dass sich Lubens vier verschiedene Tomographien von Toris Tumor, die während der vorangegangenen Monate gemacht worden waren, nur sehr kurz angesehen hatte - „weniger als fünf Minuten“ nach Aussagen von Kim, die immerhin stellvertretender Sheriff war, und somit gewohnt, sehr genau zu beobachten. Er sagte, er könne keinen Unterschied in der Größe des Tumors erkennen. Das stand in scharfem Widerspruch zur Aussage von Epstein, dem die Morenos einige Monate nach Beginn der Antineoplastonbehandlung Röntgenbilder geschickt hatten. „Dieses Kind ist sehr ungewöhnlich. Es gibt eindeutig eine Rückbildung des Tumors aufgrund dieser Behandlung“, sagte Epstein einem Interviewer. Roman, der von dem was Lubens gesagt hatte etwas verstört war, erkundigte sich beim National Cancer Institute und bei der American Cancer Society nach Statistiken in Bezug auf Heilungen bei Gehirntumoren. Beide Institutionen teilten ihm mit, dass es solche Statistiken nicht gäbe, weil spontane Remissionen so gut wie nie vorkämen. Aber Lubens bestand auf seiner Ansicht. Wie viele andere Onkologen ignorierte er die offensichtlichen Ergebnisse der Antineoplastonbehandlung, auch wenn man sie eigentlich gar nicht ignorieren konnte. Als man ihn um eine Erklärung für seine unnachgiebige Haltung fragte, zeigte er denselben Unwillen wie Patel, als dieser nach seiner Meinung über Antineoplastone gefragt wurde. „Ich bin an Tatsachen interessiert, und nicht an Fiktionen!“ rief er aus und knallte den Hörer auf die Gabel. Trotzdem sagten die Morenos, dass er eine der Personen war, die ihnen durch die erste Zeit ihres Martyriums geholfen hatten. „Er kam ins Memorial Hospital, nachdem wir die schlimme Diagnose gehört hatten und auf das Rezept für Decadron warteten“, erinnerte sich Kim. „Er wollte uns trösten. Aber er hält sich immer streng an die Vorschriften. Er ist kein Rebell, sondern ein Teil des Systems.“ 51
Aber die Morenos waren immer noch ein wenig skeptisch, ob die Behandlung ihrer Tochter wirklich half, oder ob ihr Körper, wie Lubens gesagt hatte, sich einfach an die Gegenwart des Tumors „anpasste“ oder gewöhnte. „Die Ärzte, die uns diese Unterlagen über Quacksalberei gegeben hatten, hatten uns davor gewarnt, dass Dr. Burzynski nur darauf aus war, uns unser gesamtes Geld abzuknöpfen,“' sagte Kim. „Also schickten wir Toris Röntgenbilder zwei neutralen Ärzten, die weder mit Dr. Burzynski noch mit Blue Cross etwas zu tun hatten. Gegen Blue Cross hatten wir inzwischen eine Klage eingereicht. Beide teilten uns mit, dass die Größe des Tumors ganz eindeutig geschrumpft wäre, und dass das Mittel, was es auch immer sei, anscheinend funktionierte.“ Also gaben die Morenos ihrer Tochter weiter das Mittel, obwohl einer ihrer Brustkatheter in ihrem Unterleib infiziert wurde und durch einen anderen ausgetauscht werden musste. Im September 1999, ein Jahr, nachdem Patel und andere Ärzte ihr einen baldigen Tod prophezeit hatten, war ihr Tumor um 70 % geschrumpft. Gemäß ihren Standards geht die FDA trotzdem nicht davon aus, dass es bei Tori zu einer positiven Reaktion auf die Antineoplastone kam. Die FDA sieht vor, dass nur dann eine positive Reaktion vorliegt, wenn Tumore innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten nach Beginn der Behandlung um 50 % reduziert wurden. Toris Tumor war in den sechs Monaten nicht so stark geschrumpft. Die FDA bezeichnete ihren Zustand als „stabile Krankheit“. Aber hier war ein Tumor, der sehr schnell wuchs, und bei dem Neurochirurgen und Radiologen in so verschiedenen Einrichtungen wie der Albert Einstein School of Medicine und der City of Hope vorausgesagt hatten, dass er Tori innerhalb weniger Tage oder Wochen töten würde, innerhalb eines Jahres nach Beginn der Antineoplastonbehandlung um mehr als zwei Drittel geschrumpft. Inzwischen hatten die Morenos die aggressive Spendenaktion abgeblasen, die mehr als 50.000 Dollar für die Behandlung von Tori eingebracht hatte. Ihr Streit mit Blue Cross wurde außergerichtlich beigelegt. Sie unterzeichneten eine Vereinbarung, die ihnen untersagte, die Summe bekannt zu geben, die man ihnen ausgezahlt hatte. Aber es war genug, 52
um sicherzustellen, dass die Behandlung von Tori nicht unterbrochen werden musste. Kim und Roman bestanden darauf, dass Tori weiterhin dieses Mittel einnahm, bis Burzynski es fßr richtig hielt, die Behandlung einzustellen. Und sie fßhrten ein genaues Tagebuch. Sobald Tori lesen kann, wird sie verstehen, was Kim und Roman bereits wissen, nämlich, dass sie ein Wunder ist. Sie wurde durch die Antineoplastonbehandlung gerettet und durch das Buch, durch das die Eltern auf diese Behandlung aufmerksam wurden.
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KAPITEL 1 Die Strafprozesse: Nachweis der Wirksamkeit
„Der Antrag des Beklagten auf einen Ortstermin ist der unverhohlene Versuch, den Geschworenen zu suggerieren, dass Dr. Burzynski Leben rettet. Wenn ich dies zulassen würde, dann würde das die Geschworenen durch irrelevante und irreführende Überlegungen in Bezug auf die Wirksamkeit der Antineoplastone und das Schicksal von Dr. Burzynskis Patienten von den eigentlichen Themen ablenken, um die es hier wirklich geht. - Aus einem Prozessprotokoll, eingereicht am 11. Oktober durch den Stellvertretenden Staatsanwalt Michael Clark.
Es hätte ein historischer Prozess sein können, der alle Zweifel in Bezug auf die Wirksamkeit der Antineoplastone gegen den Krebs ein für alle Mal beseitigt hätte. Er hätte wichtige Fragen in Bezug auf die Einwirkung der Bundesbehörden auf individuelle Entscheidungen beantworten können, zum Beispiel die Frage, ob die FDA das Recht hat, zu bestimmen, welche Maßnahmen verzweifelte Krebspatienten treffen dürfen, um ihr eigenes Leben zu retten. Das waren die Fragen, die wirklich relevant waren, als Dr. Stanislaw Burzynski im Januar 1997 in Houston wegen Missachtung des Gerichts, zwischenstaatlichen Handels mit einem nicht genehmigten Medikament und Versicherungsbetrug in 75 Fällen angeklagt wurde. Es war ein Prozess, der es an Bedeutung durchaus mit dem Affenprozess gegen Scopes aufnehmen konnte, bei dem es um die Verbreitung der Evolutionstheorie von Charles Darwin ging. Dem Bezirksrichter Simeon T. Lake, der den Prozess führte, waren all diese Dinge vollkommen klar. „Dieser Prozess wird einer der interessantesten, den wir jemals in Houston zu verhandeln hatten“, erklärte Lake, als die Vorvernehmung der Geschworenen begann. Aber dann ging La54
ke systematisch daran, den Geschworenen alle Tatsachen vorzuenthalten, die für ihre Entscheidung wichtig gewesen wären. Der erste Strafprozess gegen Burzynski konzentrierte sich also vollkommen auf den angeblichen Versicherungsbetrug. Seine Anwälte versuchten immer wieder, das Thema der Wirksamkeit einzubringen, die Frage also, ob die Antineoplastone funktionieren oder nicht. Und jedes Mal versuchten Staatsanwalt Clark und Richter Lake, dieses Thema abzuwürgen. In diesem Prozess und in dem nächsten, kürzeren, Verfahren sollte die Wirksamkeit der Antineoplastone kein Thema sein. „Ob irgendein Patient oder ehemaliger Patient daran glaubt, dass Dr. Burzynskis Mittel wirksam ist, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens“, sagte Lake den Geschworenen. „Wir werden keine Zeugenaussagen darüber hören, ob dieses Mittel nun wirksam ist oder nicht.“ Aber er konnte nicht verhindern, dass dieses Thema während des Prozesses immer wieder automatisch aufkam, so sehr er und Clark sich auch bemühten, dies zu verhindern. Ihre Anstrengungen, dieses Thema zu umgehen, nahmen manchmal geradezu komische Züge an. Und sie sollten schließlich ja auch scheitern. „Die Geschworenen nahmen das Thema der Wirksamkeit durchaus zur Kenntnis, auch wenn einige von ihnen glaubten, dass Burzynski gegen das Gesetz verstoßen hatte“, sagte Clark, nachdem die Geschworenen beim ersten Prozess 35 Stunden lang debattiert hatten, und bei keinem einzigen Anklagepunkt zu einem einmütigen Ergebnis gekommen waren. Einige Geschworene berichteten, dass sie bei den meisten Anklagepunkten gegen den Arzt in zwei gleiche Gruppen gespalten waren. Wie versuchte nun die Staatsanwaltschaft, das Thema der Wirksamkeit außen vor zu lassen? Zuerst einmal erhob sie Einspruch gegen den Antrag der Verteidigung auf einen Ortstermin in Burzynskis Klinik und der Anlage, in der die Antineoplastone hergestellt wurden. Bei dem Einspruch kam zum ersten Mal während der 15 Jahre andauernden Kampagne der Regierung gegen Burzynski und seine Medizin zum Ausdruck, dass hohe Beamte sich darüber klar waren, dass Burzynski tatsächlich Leben gerettet hatte. Die Verteidigung wollte die Geschwore55
nen durch einen Ortstermin davon überzeugen, dass Burzynski kein gieriger Betrüger war, sondern einen großen Teil seiner Einnahmen wieder in seine Firma investiert hatte, in der er mehr als 120 Mitarbeiter beschäftigte. Als Nächstes versuchte die Staatsanwaltschaft, die Geschworenen dazu zu bewegen, jeden Aspekt der Sicherheit und Wirksamkeit der Antineoplastone außer Acht zu lassen. Typisch dafür war die Befragung eines etwas kritischen Zeugen der Anklage, Clay Levit, der Lehrer an einer Highschool in Austin, Texas war. Levit sagte aus, dass er 1994 von einem Bekannten namens Dennis Kojan angerufen wurde, der an einem Non-Hodgkin-Lymphom litt. Dieser Bekannte wohnte in Sebastopol in Kalifornien. Levit sagte aus, dass Kojan ihm gesagt hätte, dass es Burzynski untersagt wäre, ihm Antineoplastone zu schicken, dass er dieses Mittel aber dringend benötigen würde. Kojan bat Levit, nach Houston zu fahren, dort die Medizin abzuholen und sie ihm nach Kalifornien zu schicken. Levit stimmte zu und machte die Fahrten zu Burzynskis Klinik mindestens sieben- bis zehnmal. „Ich betrachtete diese Sache als einen Akt der Barmherzigkeit“, sagte Levit. Die Regierung sah das aber offenbar ganz anders. Nachdem man Burzynski im November 1995 anklagte, wurde Levit viermal von Bundesbeamten befragt oder vorgeladen. Während des Kreuzverhörs durch den Verteidiger Michael Ramsey sagte Levit, dass er niemals verstanden hätte, warum die Lieferung im Ausland hergestellter Medikamente in die USA erlaubt wäre, nicht jedoch die Lieferung von US-Produkten innerhalb der USA. Jetzt machte der stellvertretende Staatsanwalt George Tallichet einen schweren Fehler. Im Flur des Gerichts sagte er wie ein aggressiver Pitbull über die Zeugenaussage von Levit, dass er von Levit erwarte, eine „amüsante Einlage“ zu bieten. Aber die Geschworenen reagierten auf Levits Aussage durchaus nicht mit Gelächter. Also frage ihn Tallichet, warum er wiederholt eine Handlung ausgeübt hätte, von der er selbst gewusst hatte, dass sie illegal war. „Dennis sagte mir, dass dieses Mittel das Einzige wäre, das für ihn wirksam sei“, erklärte Levit. Tallichet reagierte wie von der Tarantel gestochen. Er erhob Ein56
spruch gegen die Aussage seines eigenen Zeugen. „Dies gehört nicht zur Sache“, rief er laut. Das Wort „wirksam“ war ausgesprochen worden. Es konnte nicht zurückgenommen werden. Lake reagierte, indem er die Geschworenen dazu aufforderte, Levits Aussage nicht zur Kenntnis zu nehmen. Aber die Aussage war bereits erfolgt, und die Geschworenen hatten sie gehört. Sie war nur eine von vielen ähnlichen Aussagen, die von den Zeugen gemacht wurden. Lakes Entscheidung, die Frage der Wirksamkeit nicht zuzulassen, war bereits lange vor dem Prozess gefallen. „Argumente über die Wirksamkeit des Mittels werden bei diesem Prozess nicht berücksichtigt“, sagte er während eines Interviews im November 1996 in seinem Büro im neunten Stock des Gerichtsgebäudes in Houston. „Die Ansicht, dass Burzynski Leben rettet, ist nur dann relevant, wenn und falls man bei der Sache zu einem Urteil kommt. Wir haben es hier lediglich mit drei wichtigen Anklagepunkten zu tun: Zuwiderhandeln gegen eine gerichtliche Verfügung, Postbetrug und zwischenstaatlicher Handel mit einem noch nicht überprüften und genehmigten Medikament. Ob die Antineoplastone wirksam sind oder nicht, ist im Zusammenhang mit der Zuwiderhandlung und dem Postbetrug nicht relevant. Was den Verstoß gegen den Food, Drug and Cosmetic Act betrifft, muss die Regierung beweisen, dass es sich hier um nicht genehmigte Medikamente handelt. Sie muss nicht beweisen, dass sie unwirksam sind.“ Dies stellte nach Ansicht des Richters eine Entwicklung zugunsten der Anklage dar. Bei einem weiteren Interview im Juli 1996 hatte Lake, nachdem er zahlreiche Briefe von Patienten von Burzynski gelesen hatte, demonstriert, dass er durchaus verstanden hatte, worum es bei dem bevorstehenden Prozess eigentlich ging. „Die eigentlichen gegnerischen Parteien hier sind die Patienten und die FDA,“ sagte er. „Wenn die Antineoplastone funktionieren und Burzynski nicht gestattet wird, sie einzusetzen, wem wird dann geschadet? Und wenn es sich um ein Placebo handelt, wer trägt dann den Schaden?“ Dieses Verständnis, dass die Wirksamkeit der eigentliche Gegenstand dieses Prozess war, hinderte 57
den rein juristisch denkenden Lake jedoch nicht daran, ständig zu versuchen, das Thema außen vor zu lassen. Trotzdem verlor er nie aus dem Blick, dass Burzynskis Patienten ein großes Interesse am Ausgang dieses Prozesses hatten, auch wenn er dafür sorgte, dass ihre Zeugenaussagen stark eingeschränkt wurden. Und etwa einen Monat nach der Aussage von Levit stellte sich heraus, dass zumindest einige Geschworene begriffen hatten, dass die Staatsanwaltschaft versuchte, etwas zu verbergen, und dass der Richter wohl ebenfalls darauf aus war, ihnen etwas Wichtiges vorzuenthalten. Das ergab sich ganz eindeutig aus der Reaktion der Geschworenen, als der Verteidiger Richard Jaffe Dr. Barbara Szymkowski befragte, eine in Polen ausgebildeten Ärztin, die in der Klinik Burzynskis die Aufnahmegespräche mit den Patienten führte. Als Jaffe sie fragte, welche Kriterien bei diesen Gesprächen eine Rolle spielten, erklärte ihm Szymkowski, dass für sie besonders Patienten mit Gehirntumor interessant wären, weil „die Antineoplastone besonders gut gegen Gehirntumore wirken“. Bevor sie noch ein weiteres Wort äußern konnte, sprang die stellvertretende Staatsanwältin Amy LeCocq auch schon auf, so schnell das ihr Zustand (sie war im siebten Monat schwanger) erlaubte. „Ich erhebe Einspruch“, rief sie. „Das ist irrelevant.“ Als Lake diesem Einsprach stattgab, konnte der Geschworene Anthony Batiste, ein untersetzter, gepflegter Ingenieur, dessen Hemden immer so gestärkt waren, dass sie aufrecht stehen könnten, sich kaum das Lachen verkneifen. Inzwischen hatten zumindest einige der Geschworenen begriffen, worum es bei diesem Fall wirklich ging. „Ich wollte immer noch für „schuldig“ stimmen, aber ich wusste jetzt, was hier vor sich ging“, sagte Batiste später. „Ich musste deshalb lachen, weil das Thema der Wirksamkeit jetzt aus dem Sack war, und niemand es wieder zurückstopfen konnte.“ Eine weitere Geschworene, Darlene Phillips, die ursprünglich Ersatzgeschworene war und dann Geschworene Nr. 11 wurde, fügte hinzu: „Nach einer Weile wurde es total offensichtlich, was die Regierung hier versuchte. Es war so, als ob sie gesagt hätte: Sagen Sie den Geschworenen irgendetwas, aber lassen Sie sie um 58
Gottes Willen nicht wissen, dass das Mittel wirkt. Aber die Tatsache, dass ein Patient nach dem anderen als Zeuge auftrat und gesünder aussah als wir, sagte mir doch alles.“ Aber das Ergebnis des ersten Prozesses, bei dem sechs Geschworene für Freispruch in allen Anklagepunkten stimmten und sechs entschlossen waren, zumindest in einigen Punkten für schuldig zu stimmen, zeigte, dass sie unterschiedliche Vorstellungen von dem hatten, worum es in diesem Prozess ging. Bereits ab dem ersten Tag, dem 6. Januar 1997, war klar, dass die FDA diesen Prozess als Mittel benutzen wollte, um Burzynski ins Gefängnis zu bringen und jeden Wissenschaftler davon abzuschrecken, ein Medikament auf den Markt zu bringen, ohne dass dies von der FDA genehmigt wurde. An jedem Tag saß der Spitzenanwalt der FDA, Robert Spiller, derselbe, der 1983 die Kriegserklärung der FDA gegen Burzynski unterzeichnet hatte, in der dritten Reihe der Zuschauerbänke im Gericht und notierte praktisch jedes Wort, das gesprochen wurde. An jedem Abend traf er sich mit den Staatsanwälten, die wiederholt betont hatten, dass sie unabhängig von der FDA handeln würden. In jeder Verhandlungspause besprachen sie sich mit ihm. Aber Spiller weigerte sich, auch nur ein Wort darüber zu sagen, warum die FDA eine so lange Kampagne gegen Burzynski und seine Antineoplastone veranstaltet hatte. „Ich kann mich zu diesem Fall nicht äußern“, sagte er wiederholt. Weder Spiller noch irgendjemand sonst bei der FDA gab einen Kommentar zu der Tatsache ab, dass die Handlungsweise, die sie bei diesem Prozess für illegal erklärt hatte, jetzt von der FDA selbst als vollständig gerechtfertigt bezeichnet wurde. Dieser Widerspruch war für die Geschworenen völlig unverständlich. Die FDA führte an, dass Burzynskis Handlungen einen innerstaatlichen Handel darstellten, weil er ja wusste, dass seine Patienten das Mittel in ihren jeweiligen Heimatstaat mitnehmen würden. Selbst bei ihren sorgfältig ausgewählten Anklagepunkten gegen den Arzt – die alle schwerkranke Patienten betrafen, die schließlich starben – hat die FDA weder Burzynski noch seinen Mitarbeitern jemals vorgeworfen, irgendetwas über die Staatsgrenzen hinaus zu verkaufen. Dies, so war sich Burzynski klar, wäre 59
eine Verletzung der Verfügung von 1983, die es ihm gestattete, seine Geschäfte in Texas zu betreiben, jedoch nicht über die Staatsgrenzen hinaus. „Ich verfüge nicht über eine Polizeitruppe“, sagte er häufig. „Ich kann meine Patienten nicht dazu zwingen, im Staat Texas zu bleiben.“ Während des Schlussplädoyers benutzte sein Verteidiger Ramsey, was Anhänger von Burzynski als „Candy Bar Defense“ (wörtlich: Schokoladenriegel-Argument) bezeichneten, um die Absurdität der Vorwürfe in Bezug auf den innerstaatlichen Handel deutlich zu machen. „Wenn ich in Houston einen Schokoladenriegel kaufe und ihn dann mit nach Louisiana nehme, bevor ich ihn aufesse, “ argumentierte er, „dann findet der Handel ausschließlich in Houston statt und nicht in Louisiana. Es wäre dasselbe, wenn meine Frau mich bitten würde, für sie eine Tafel Schokolade zu kaufen, während ich in Houston bin und sie ihr nach Hause zu bringen. Der Handel würde ausschließlich in Houston stattfinden, wo das Geld und die Ware den Besitzer wechseln. Und in diesem Fall ist es ebenso.“ Und was die Geschworenen natürlich niemals erfuhren, war, dass Burzynski nach seiner Anklage auf Druck des Kongresses von der FDA bereits eine Sondergenehmigung erhalten hatte, und zu dem Zeitpunkt, da der Prozess begann, so viele seiner Medikamente über die Staatsgrenze verschicken konnte wie er wollte. „Das hat seine Patienten doch ziemlich in Erstaunen versetzt“, sagte Steven Siegel, einer der Führer der Patientenorganisation, die sich für Burzynski einsetzte und täglich bei jedem Wetter auf dem Bürgersteig vor dem Gerichtsgebäude Demonstrationen veranstaltete. „Er steht vor Gericht, weil er etwas tat, was ihm offiziell gestattet ist. Das ergibt einfach keinen Sinn.“ Da sich die FDA jetzt vollkommen bedeckt hielt, war es an Clark, sein Bestes zu versuchen, um die Maßnahmen der Regierung zu erklären. „Ich interessiere mich besonders für die illegale Annahme von Geld“, sagte er während einer Verhandlungspause am Nachmittag. „Ich glaube auch, dass Burzynski ein pathologischer Lügner ist. Ich halte dies für einen ganz normalen, wenn auch ziemlich komplizierten Fall von Betrug. Er hat ein Medikament in den innerstaatlichen Handel eingeführt 60
und dies in betrügerischer Absicht.“ Von Anfang an wollten Clark und die Regierung Burzynski als raffgierige Person hinstellen, die verzweifelte Patienten ausnutzt, deren Urteilsvermögen durch Verzweiflung und Todesangst beeinträchtigt ist, und die so gut wie alles tun würden, um zu überleben. Die Anklage behauptete, dass Burzynski während der fünf Jahre, bevor er angeklagt wurde, einen Gewinn von 40 Millionen Dollar machte. Eidesstattliche Erklärungen, die in Akten in Washington D.C. liegen, beweisen, dass die FDA bereits 1984 von Burzynski entlassene Mitarbeiter befragte, um herauszufinden, wie viel Geld er verdiente. Im Rahmen dieser Befragungen wollte man von jedem Zeugen wissen, wie viel Burzynski für jede Behandlung berechnete. Die übliche Summe lag bei 342,50 Dollar täglich. Aber niemand wurde vom Staatsanwalt gebeten, Burzynskis Gebühren mit denen für die konventionelle Chemotherapie und Bestrahlung zu vergleichen, die normalerweise über fünf Mal höher sind. Wenn der Anwalt der Verteidigung diese Frage aufwarf, dann wurde sie nicht zugelassen, weil dies die Antineoplastone auf eine Stufe mit den konventionellen Therapien rücken würde. Und dies war anscheinend nicht statthaft. Aber Burzynski gelang es, den Vorwurf der Geschäftemacherei zu widerlegen, indem er seine Steuererklärungen und Gewinnermittlungen für die Jahre 1991 – 1995 vorlegte, den Zeitraum, um den es bei der Anklage ging. Mit diesen Unterlagen konnte er nachweisen, dass das Einkommen aus seiner medizinischen Praxis im Jahre 1993 bei 35.653 Dollar lag und im Jahre 1991 bei 111.339 Dollar. Sein gesamtes Einkommen, einschließlich der Einkünfte aus Investitionen und dem Verdienst seiner Frau und des Forschungsinstitutes, in dem die Antineoplastone produziert werden, war viel höher. Burzynskis gesamtes zu versteuerndes Einkommen lag 1991 bei 1,92 Millionen Dollar und 1993 bei 400.012 Dollar. Sein Buchhalter, Russell DeMarco, sagte aus, dass diese Einkünfte „substantiell unter denen der meisten Ärzte“ lägen, deren Bücher von seiner Firma in Houston geprüft werden. „Chirurgen verdienen in ihrem 61
ersten Berufsjahr zwischen 400.000 und 500.000 Dollar“, erklärte DeMarco. „Danach ist ihr Einkommen sehr viel höher.“ Am Ende gelang es der Regierung nicht, Burzynski den Ruf eines raffgierigen Betrügers anzuhängen. Während des gesamten Prozesses betonte Clark immer wieder, dass es ihm um das Wohl der Patienten ginge, die, wie er sagte, von Burzynski betrogen worden seien. Clark erklärte niemals den Widerspruch zwischen dieser Behauptung und seinem schriftlichen Eingeständnis, dass Burzynski „Leben rettet“. Er erklärte auch nicht, warum die FDA niemals einen Notfallplan für die Behandlung von Burzynskis Krebspatienten ausarbeitete, falls er verurteilt und ihm jede weitere Tätigkeit als Arzt untersagt würde. „Das was ich durch diesen Prozess vermitteln wollte, ist, dass wir uns auch um die Patienten Sorgen machen“, sagte er kurz nach den Schlussplädoyers beim ersten Prozess. „Aber es ist nicht meine Angelegenheit, den Patienten vorzuschreiben, was sie tun sollen, falls Burzynski verurteilt wird. Falls wir gewinnen, würde ich ihnen raten, Burzynski dazu zu bewegen, jemanden zu bestimmen, der seinen Platz einnimmt.“ Die Patienten waren jedoch der Ansicht, dass Clark sein wahres Maß an Sorge um ihr Wohl am letzten Tag der Vorvernehmungen zeigte, nur vier Tage vor den Eröffnungsplädoyers. An dem Tag wandten sich Steven Siegel und seine Frau Mary Jo an Clark, der mit seiner Frau beim Mittagessen in der Gerichtskantine saß. „Was schlagen Sie vor, was wir tun sollen, falls Dr. B. verurteilt wird“, fragte ihn Mary Jo. Seine Antwort: „Entschuldigung, aber ich versuche, hier in Ruhe mein Mittagessen einzunehmen.“ Als die Siegels sich nicht einfach so abwimmeln ließen, fügte er hinzu: „Das ist Sache der FDA.“ Aber die Siegels und andere Patienten hatten bereits mehrmals die Hauptgeschäftsstelle der FDA in Rockville, Maryland, aufgesucht, ohne eine Erklärung für die gehässige Kampagne gegen Burzynski oder Vorschläge in Bezug auf eine alternative Behandlung ihres Krebsleidens zu bekommen. Clarks etwas bedrücktes Auftreten während der Prozesse ist vielleicht darauf zurückzuführen, dass man ihn mit einer sehr schwierigen Aufga62
be betraut hatte. Um Burzynski zu verurteilen, sagte Richter Lake den Geschworenen, kurz bevor sie sich zur Beratung zurückzogen, müsste man ihm eindeutig nachweisen, dass er vorsätzlich geplant hätte, die Versicherungsgesellschaften zu betrügen, und dass er gegen die Bestimmungen der FDA verstoßen hätte, indem er seine Medikamente über die Grenzen des Staates Texas hinaus vermarktete. Dies war nicht so einfach, denn es gab einfach keine Hinweise, die diese Behauptung unterstützten, obwohl die Regierung in den vier Jahren vor dem Prozess mehr als 2 Millionen Dollar ausgab, um eben dies nachzuweisen. Vier stellvertretende Staatsanwälte arbeiteten monatelang intensiv an diesem Fall. Ein Postinspektor und ein Ermittler der FDA verbrachten vier Jahre damit, nach Beweisen zu suchen. Dutzende von Zeugen wurden nach Houston geflogen, um ihre Aussagen bei den Vorverhandlungen und der Hauptverhandlung zu machen. Spiller nach Houston zu schicken und ihn im exklusiven Hyatt Regency Hotel, vier Blocks vom Gericht entfernt, unterzubringen, kosteten noch einmal 20.000 Dollar, wenn man Spillers Gehalt mit berücksichtigt. Bei der Befragung ihres ersten Zeugen versuchten die Staatsanwälte, die betrügerische Absicht nachzuweisen, die für eine Verurteilung notwendig war. Aber das gelang ihnen nicht. Zuerst wurde die Postinspektorin Barbara Ritchey befragt, eine vereidigte Buchprüferin und ehemalige Mitarbeiterin beim Finanzamt, die aussagte, dass sie die vergangenen vier Jahre damit verbracht hätte, auf die Verurteilung von Burzynski hinzuwirken. Sie sagte aus, dass ihr der Freund eines Patienten von Burzynski Anfang 1995, während sie für den Staatsanwalt von Houston in einer Arbeitsgruppe zur Betrugsbekämpfung im Gesundheitswesen arbeitete, eine Versandanzeige übergeben hätte, aus der hervorging, dass Burzynski Medikamente an einen Ort außerhalb von Texas geschickt hätte. Sie sagte, dass sie und eine Ermittlerin der FDA namens Sharon Miller zu einer Poststelle in einem Einkaufszentrum nicht weit vom ehemaligen Standort der Klinik von Burzynski gegangen wären. „Nachdem wir uns etwa 20 Minuten dort aufgehalten hatten, erschien ein Mann namens Alan Shea mit zwei großen Paketen“, erzählte sie den 63
Geschworenen. „Wir versuchten, herauszufinden, ob er Antineoplastone verschickte.“ Anscheinend aufgrund des nervösen Verhaltens des Postangestellten, der wusste, dass Bundesagenten in seinem Hinterzimmer lauerten, unterließ es Shea, die Pakete zu verschicken. Stattdessen verließ er die Poststelle. „Wir folgten ihm“, bezeugte Ritchey. „Er fuhr einen Lincoln Continental direkt zu Burzynskis Klinik und ging hinein. Später verließ er dort den Parkplatz, gefolgt von einem Lieferwagen, der von einem Mann gefahren wurde, den wir als Bob Moseray identifizierten, Burzynskis Versandleiter. Sie fuhren zu einer anderen Versandstelle in der Nähe.“ Dieses Mal betraten Ritchey und Miller das Gebäude erst, nachdem Shea die Transaktion durchgeführt hatte. Später erfuhr sie, dass Shea der Freund eines Patienten von Burzynski namens John Buckley war, der an Prostatakrebs litt. Da Burzynski sich zu der Zeit weigerte, seine Medikamente an Buckley oder an irgendeinen anderen Patienten außerhalb des Staates zu verschicken, waren Buckley und andere Patienten, die zu krank waren, um nach Houston zu reisen, darauf angewiesen, dass jemand die Medikamente abholte und sie ihnen zuschickte. So fuhr die Wagenkolonne, mit Moserays Wagen an der Spitze und Shea dicht hinter ihm, gefolgt von zwei Bundesagenten, durch den westlichen Teils Houstons zu einer anderen Versandstelle. Später sagte Shea, ein ehemaliger Börsenmakler bei Smith Barney, aus, dass Buckley, ein Geschäftsfreund von ihm, ihn Anfang März 1995 anrief und ihn bat, einige Medikamente abzuholen und sie ihm nach New York zu schicken. Shea, der während der Aussage sichtbar zitterte, sagte, dass Miller und Ritchey ihn nicht daran hinderten, die Pakete zu verschicken, ihm jedoch später mitteilten, dass er etwas Illegales getan hätte. Ritchey sagte, dass sie und Miller abwarteten, bis Moseray und Shea die Transaktion abgeschlossen hatten. Dann betraten sie das Gebäude mit einem Durchsuchungsbeschluss und öffneten die Pakete. „Sie enthielten Plastikbeutel mit einer Flüssigkeit, die als Antineoplastone gekennzeichnet war“, sagte sie. Einige Tage später stürmten sie und Miller, 64
begleitet von „mindestens acht anderen Bundesagenten“, von denen die meisten von anderen Behörden wie dem Drogendezernat und dem FBI ausgeliehen worden waren, die Klinik von Burzynski und verbrachten sechseinhalb Stunden damit, Akten zu überprüfen und zu beschlagnahmen. „Wir nahmen Krankenversicherungsunterlagen von Patienten mit sowie Genehmigungen für die Anwendung neuer Medikamente und Zahlungsunterlagen, “ sagte Ritchey aus. Diese Unterlagen wurden als Beweise für die Anklage wegen Versicherungsbetrugs gegen Burzynski verwendet. Selbst die Geschworenen, die eher den Argumenten der Anklage zuneigten, waren der Meinung, dass diese Anklage doch auf ziemlich schwachen Füßen stand. „Bei unseren Beratungen wurde die Anklage in Bezug auf den Versicherungsbetrug niemals ernsthaft behandelt“, berichtete Batiste. „Und ich kann Ihnen versichern, dass niemand von uns ernsthaft daran dachte, ihn wegen Betruges zu verurteilen.“ Der Meinung war auch Richter Lake, der diese Anklage schließlich fallen ließ, weil „die Regierung keine hinreichenden Beweise dafür erbringen konnte“. Die Staatsanwälte verschwendeten jedoch Millionen Dollar an Steuergeldern, um diese Vorwürfe zu beweisen, einschließlich der Kosten, die anfielen, um Spiller zwei volle Monate lang in Houston wohnen zu lassen, obwohl er bei dem Prozess keine direkte Rolle spielte. Sie suchten Versicherungsdetektive aus einer Vielzahl von Firmen in den gesamten USA und brachten sie nach Houston. Ebenso wie Spiller wurden sie alle auf Kosten der Steuerzahler im Hyatt Regency Hotel untergebracht. Die erste dieser Personen, die vor Gericht aussagte, war Karen Kelleher, eine Anwaltsgehilfin, die für die Versicherungsgesellschaft Blue Cross/Blue Shield in Massachusetts arbeitete. Sie sagte, dass Burzynski mehrere Ansprüche für Behandlungen der Krebspatientin Rhoda Coyne aus Belmont in Massachusetts angemeldet hätte. Sie sagte, dass Burzynski 342,50 Dollar pro Tag in Rechnung stellte und dabei die Codenummer 96414 zur Beschreibung seiner Dienstleistung angab. Die Nummer stammte aus einem Codebuch der aktuellen Verfahrensterminologie (Current Procedural Terminology = CPT), das jedes Jahr vom 65
Amerikanischen Medizinerverband (American Medical Association =AMA) veröffentlicht wird. Und sie stand für Chemotherapie mittels einer tragbaren Infusionspumpe, die für acht Stunden oder mehr reichte. Die Staatsanwälte behaupteten wiederholt, dass eine Anwendung dieses Codes impliziert, dass ein Arzt anwesend ist, zumindest bei der täglichen Einleitung der Infusion, obwohl Coyne und andere Patienten von Burzynski ihre Infusion daheim anwendeten und in regelmäßigem Telefonkontakt mit dem Arzt und dessen Personal standen. Das war der sogenannte Betrug, den Clark, LeCocq und Tallechet nachzuweisen versuchten. Aber den Verteidigern, die mit der Befragung von Kelleher anfingen, gelang es, jeden Vorwurf des Betrugs zu widerlegen. „Legt der Code 96414 fest, dass ein Arzt anwesend sein muss“, fragte der Verteidiger Ramsey. Antwort: „Eigentlich nicht, aber irgendwie doch schon. “Wusste die Blue Cross/Blue Shield genau, worum es sich bei den Antineoplastonen handelt und wie Burzynski sie genau verwendet?“ Ja, der nationale Verband des Unternehmens, der seinen Sitz in Chicago hat, veröffentlichte 1990 eine Denkschrift über Antineoplastone, also lange vor dem die Klage betreffenden Zeitraum. Aber wir bei Blue Cross in Massachusetts wussten überhaupt nichts darüber, “ sagte Kelleher. Als nächstes kam Sharon Halstead an die Reihe, die bei der Firma Equifax für die Bearbeitung der Versicherungsansprüche zuständig war. Die Equifax hat ihren Hauptsitz in Charleston, West Virginia, und die meisten Staatsbedienstete von West Virginia sind bei ihr krankenversichert. „Die Versicherungsgesellschaft für Öffentlich Bedienstete kommt nicht für experimentelle Medikamente auf“, sagte sie aus, nachdem sie bemerkt hatte, dass bei Burzynskis Versicherungsanspruch für die Behandlung eines Gehirntumors des Patienten Michael Misiti derselbe Code 96414 CPT angewandt wurde. Nachdem der Anspruch für Misiti eingegangen war, sagte sie, telefonierte sie mit Burzynskis Versicherungsverwalterin Cheryl Owens, die ihr mitteilte, dass keiner der Ansprüche, die Burzynski anmeldete, das Medikament selbst betraf. Ebenso wie andere Forscher darf Burzynski nichts für experimentelle Medi66
kamente berechnen, und Owens sagte, dass er dies auch niemals versucht hätte. Aber wie jeder andere kann auch er Ansprüche für zusätzliche Dienstleistungen anmelden, zum Beispiel Pflegedienste, Beratung und Deutung verschiedener Röntgenbilder. Owens, so sagte Halstead, betonte auch während ihres Telefongesprächs, dass die Verwendung des Codes 96414 CPT von der AMA selbst angeregt worden sei. Einige Wochen später brachte die Regierung als Teil ihrer Bemühungen, einen Betrug nachzuweisen, die in Chicago ansässige Mitarbeiterin der AMA, Celeste Kirschner in den Zeugenstand. Sie ist Verwalterin des CPT-Codesystems, das von jedem Arzt und Krankenhaus und jeder Versicherungsgesellschaft in den USA angewandt wird. Beim Kreuzverhör durch den Verteidiger Dan Cogdell gab sie zu, „dass es keinen Code für jede einzelne Handlung von jedem Arzt gibt. Manchmal nehmen sie den Code, der dem, was sie tun, am nächsten kommt, falls die vorhandenen Codes nicht hundertprozentig genau zutreffen“. Kirschner sagte den Geschworenen ebenfalls, dass es „bei Ärzten allgemeine Praxis ist, Nebenkosten anzumelden, die in ihren anderen Gebühren enthalten sind“. Und schließlich sagte sie noch: „Es gibt keinen einzelnen Code für die Erstattung von chemotherapeutischen Behandlungen.“ Nachdem die Regierung Mitarbeiter von Versicherungen in den Zeugenstand gerufen hatte, die insgesamt mehr als 30 Stunden lang aussagten, war nicht mehr dabei herausgekommen, als dass Burzynski Jahrelang konsequent immer denselben Code verwendet hatte, um seine Dienstleistungen in Rechnung zu stellen, und dass er bei der Anmeldung von Ansprüchen konsequent immer seine eigene Abrechnungsnummer verwendet hatte, obwohl er wusste, dass fast jede Versicherungsgesellschaft in den USA sogenannte „Merker“ in ihre Computer installiert hatte, um seine Ansprüche abzulehnen und zu verhindern, dass er automatisch Zahlungen erhielt. Wenn eine Versicherungsgesellschaft um Informationen über seine Behandlungsmethoden bat, erhielt sie sehr schnell detaillierte Antworten, bei denen auch nicht verheimlicht wurde, dass es sich bei den Antineoplastonen um ein experimentelles Medikament handelt. Im Gericht kam langsam die Frage auf: „Wo ist hier eigentlich der 67
Betrug?“ Hätte Burzynski die Absicht gehabt, irgendjemanden zu betrügen, dann hätte er doch den CPT-Code variieren können. Er hätte versuchen können, die Abrechnungsnummer einer der Ärzte zu verwenden, die für oder mit ihm arbeiteten. Aber das alles tat er nicht. Stattdessen stellte er weiterhin Ansprüche an ein System, von dem er wusste, dass es ihm praktisch feindlich gegenüberstand. Schließlich, nachdem die Geschworenen beim ersten Prozess nicht zu einer Einigung kommen konnten und einzelne Geschworene später verrieten, dass die Frage des Betrugs nicht einmal ernsthaft diskutiert wurde, fühlte sich Lake dazu veranlasst, die Anklage des Betrugs zurückzuweisen. Er sprach Burzynski vom Vorwurf des Betrugs in allen Punkten frei. Damit blieben der Regierung nur die Anklagepunkte in Bezug auf die FDA und der Vorwurf der Missachtung des Gerichts. Aber während des achtwöchigen ersten Prozesses konnte die Staatsanwaltschaft trotz aller intensiven Bemühungen nicht einen einzigen dieser Punkte nachweisen. Mitarbeiter der FDA waren in den Monaten vor dem Prozess in alle Richtungen ausgeschwärmt, um Angehörige von Krebspatienten ausfindig zu machen, die Burzynski aufgesucht hatten und trotzdem gestorben waren. Sie suchten sich die Fälle, die sie gegen ihn verwenden wollten, sorgfältig aus, und es gelang ihnen, dem Arzt den zwischenstaatlichen Handel mit einem nicht zugelassenen neuen Medikament in vierzig Fällen nachzuweisen. In jedem Fall, so sagten sie aus, holte entweder der Patient oder ein Verwandter oder Freund des Patienten die Antineoplastone in der Klinik von Burzynski ab und verschickte sie oder brachte sie persönlich an einen Ort außerhalb des Staates. Da sich Burzynski darüber klar sein musste, dass diese Patienten oder Zwischenpersonen das Medikament damit praktisch in den zwischenstaatlichen Handel einbrachten, so sagten sie, wäre dies ein vorsätzlicher Verstoß sowohl gegen den Food, Drug and Cosmetic Act als auch gegen eine Verfügung der Bezirksrichterin Gabrielle McDonald von 1983. Das Problem, das sich dabei ergab, war, dass die Regierung nachweisen musste, dass Burzynski dies vorsätzlich getan hatte, um die FDA zu be68
trügen, und dazu war sie nicht in der Lage. Stattdessen nötigte sie eine große Zahl von Zeugen, eine Aussage zu machen, indem sie ihnen drohte, sie als die Hinterbliebenen von toten Patienten strafrechtlich zu verfolgen. Aber fast alle von ihnen zeichneten ein positives Bild von Burzynski und den Erfahrungen, die ihre Verwandten mit ihm gemacht hatten. Typisch dafür war Raymond Goulet, ein Computertechniker, der aussagte, dass er Anfang 1993 mit seiner Frau Christine aus New Hampshire nach Houston gereist sei, weil Christine an einem diffundierten großzelligen Lymphom litt. Andere Ärzte hatten ihr bereits gesagt, dass sie nicht mehr lange zu leben hätte. Sie saß im Rollstuhl, als sie in Burzynskis Klinik kam. „Meine Frau war so krank, dass ich Angst hatte, dass sie sterben würde, als wir nach Houston kamen“, sagte Raymond. Hatte Burzynski eine Garantie gegeben, dass seine Behandlung funktionieren würde“, fragte Staatsanwalt Clark. „Nein“, sagte Raymond. „Es gab keine Garantie, weder von Burzynski noch von irgendjemand sonst. Er sagte uns, dass es bestenfalls zweifelhaft wäre, dass die Behandlung Christine helfen würde.“ Es wurde ihm nicht erlaubt, den Geschworenen zu sagen, ob die Behandlung erfolgreich war. Das zu tun, hätte bedeutet, etwas über die Wirksamkeit auszusagen. Aber in Abwesenheit der Geschworenen sagte er dem Gericht, dass die Blutwerte von Christine sich verbesserten, als sie mit der Antineoplaston-Behandlung anfing. Sie fühlte sich besser und war wieder in der Lage, ohne ihren Rollstuhl auszukommen. Nur zwei Wochen nach Beginn der Behandlung bat sie ihren Mann, sie zum Tanzen auszuführen. Einige Wochen später starb sie an einer Streptokokkeninfektion, sagte Raymond, und fügte hinzu, dass „es keinen Zweifel gibt, dass das Mittel ihre Lebensqualität verbessert hat“. Es wurde ihm nicht gestattet, den Geschworenen zu sagen, dass die Tumore seiner Frau kurz vor ihrem Tod bedeutend kleiner waren als zu der Zeit, da sie zum ersten Mal zu Burzynski kamen. Was die Schlüsselfrage in Bezug auf den Versand des Mittels betraf, sagte Raymond, dass Mitarbeiter der Klinik ihm sagten, dass „ich selbst 69
dafür verantwortlich sei, wenn ich das Mittel mit nach Hause nehmen würde“. Und er fügte hinzu, dass „jemand in der Klinik – ich weiß nicht mehr, ob es Burzynski war oder ein anderer – uns riet, in Houston zu bleiben“. Aber die Goulets entschieden sich dafür, mit den Antineoplastonen heimzufahren. Burzynski wiederholte noch einmal: „Ich kann niemanden zwingen, in Texas zu bleiben.“ Raymond schilderte seinen Eindruck vom Prozess gegen Burzynski nach seiner Zeugenaussage auf dem Flur des Gerichts: „Es ist eine Hexenjagd.“ Ebenfalls typisch war die erzwungene Zeugenaussage von Michael Smith, einem selbstständigen Journalisten aus Pascagoula in Mississippi und Schwager der ehemaligen Brustkrebspatientin Mary Ann McNally. Smith sagte, dass er 1993 und 1994 in Houston wohnte, als McNally zur Behandlung in der Klinik von Burzynski eintraf, nachdem die Chemotherapie und Bestrahlung nichts gegen ihren Krebs hatten ausrichten können. „Als sie zu krank wurde, um noch nach Houston zu kommen, holte ich das Mittel für sie zweimal dort ab“, sagte Smith. „Ich unterzeichnete in der Klinik eine Einverständniserklärung, und versprach, dass ich es nicht außerhalb des Staates bringen würde. Dann habe ich es mit Postal USA verschickt.“ Unter dem Kreuzverhör, das der Anwalt der Verteidigung, Ramsey, durchführte, beschrieb Smith die Nebenwirkungen der konventionellen Therapie, unter denen McNally zu leiden hatte. Er sagte, dass sie anfing, sich nach einer alternativen Heilmethode umzusehen. Lake unterbrach ihn an dieser Stelle und machte darauf aufmerksam, dass hier die Frage der Wirksamkeit berührt würde. „Diese Art von Befragung ist irrelevant“, erklärte der Richter. Aber er konnte Smith nicht davon abbringen, zu sagen, dass er wusste, dass es illegal war, die Antineoplastone an einen Ort außerhalb des Staates Texas zu bringen, dass „ich aber der Meinung war, dass, falls Mary Ann nach Texas fuhr, während sie in Behandlung war, sie selbst doch wohl kein Schmuggelgut oder so etwas sein könnte. Sie war doch kein kommerzieller Artikel! Und als ich die Medizin verschickte, geschah 70
dies ausschließlich, um meiner Schwägerin zu helfen und nicht Dr. Burzynski.“ Von allen Verwandten und den anderen Zwischenträgern, die Patienten unterstützten, die später starben, hatte niemand behauptet, dass Burzynski jemals eine Heilung garantiert hätte. Ihre Sympathie gegenüber Burzynski beeindruckte die Geschworenen. „Der Regierung gelang es nicht, auch nur eine einzige Person dazu zu bewegen, etwas Negatives über Burzynski zu sagen“, sagte Batiste, der trotzdem für schuldig stimmte. „Ich glaube, das sagt eine Menge über seinen Charakter aus. Ich war bereit, für schuldig zu stimmen, aber ich wusste, dass es dabei ausschließlich um Formalitäten ging. Sobald die Regierung damit fertig war, Verwandte und Freunde von verstorbenen Patienten vorzuführen, hatte die Verteidigung die Gelegenheit, die noch lebenden Patienten zu Wort kommen zu lassen. Burzynskis Patienten hatten seit dem ersten Prozesstag vor dem Gerichtsgebäude demonstriert. „Rettet den Arzt, der unser Leben gerettet hat“, riefen sie, und hofften, dass die Geschworenen darauf aufmerksam würden, wenn sie zum Mittagessen gingen. ICH WURDE VON DR. B. GEHEILT stand auf dem Schild, das Jessica Kerfoot trug. Die Geschworenen haben nie gesagt, ob diese Demonstrationen auf ihr Urteil irgendeinen Einfluss gehabt hatte, aber sie waren sichtlich bewegt durch die Aussagen der Patienten, die durch die Verteidigung befragt wurden. Da war Mary Jo Siegel aus Pacific Palisades, die von einem Non-Hodgkin-Lymphom geheilt worden war. Da war Pamela Winningham aus Princeton, New Jersey, deren Astrozytom-Hirntumor acht Jahre zuvor verschwunden war; Tracy Hall, die damals wegen eines Astrozytoms der Stufe 3 in Behandlung und auf dem Weg der Besserung war; Leslie Graham, eine Krankenschwester aus Largo in Florida, deren Sohn Robbie schon fast von seinem aggressiven Medulloblastom-Hirntumor genesen war; Mariann Kunnari aus Aurora in Minnesota, deren sechsjähriger Sohn Dustin 1994 einen Hirntumor hatte und inzwischen wieder gesund war; Mary Michaels aus Troy in Michigan, bei deren Sohn Paul 1988 ein Astrozytom-Hirntumor von der Größe einer Mandarine festge71
stellt worden war. Man hatte ihr gesagt, dass er nur noch einige Monate zu leben hatte. Paul, der jetzt ein völlig gesunder Teenager war, sah stolz zu, wie seine Mutter ihre Zeugenaussage machte. Sein Tumor hatte jetzt nur noch die Größe einer Erbse, und er war weiterhin in Behandlung. Mrs. Michaels sagte: „Dr. Burzynski hat uns nicht dazu gezwungen, zwischen einem Umzug und dem Leben unseres Sohnes zu wählen. Wir haben uns dazu entschieden, wieder nach Michigan zu gehen, und wir haben das Mittel mit uns genommen. Er hatte nichts damit zu tun. Die Klinik hat sich immer geweigert, das Mittel zu verschicken, also mussten wir immer nach Texas kommen, um uns einen neuen Vorrat zu besorgen.“ Sie alle wurden gefragt, ob Burzynski sie ausgenutzt hätte, als sie verzweifelt waren. Staatsanwalt LeCocq hatte dies als die übliche Praxis von Burzynski bezeichnet. „Nein“, erklärten sie alle. Einige von ihnen sagten, dass die Regierung bereit wäre, sie zu opfern, indem sie den Arzt vor Gericht stellte. Der Staatsanwalt konnte nicht mehr rechtzeitig Einspruch erheben. Jedem der Zeugen/Patienten wurde gestattet zu sagen, wann sie mit der Behandlung angefangen hatten. Es war ihnen jedoch nicht erlaubt, zu beschreiben ob und wie die Antineoplastone ihnen geholfen hatten. Das wäre ja wiederum eine Aussage über die Wirksamkeit gewesen. Aber die Botschaft kam trotzdem an. „Diese Zeugen waren wirklich sehr wertvoll“, sagte der Geschworene Phillips. Nachdem die Geschworenen sich nicht auf ein Urteil einigen konnten, beklagte sich Clark: „Die Situation war für die Verteidigung einfach ideal. Sie konnten die Patienten aufrufen und behaupten, dass Burzynskis Antineoplastonen wirken. Wir hingegen konnten keine Experten bekommen, die die Wirkung in Frage stellten.“ Was er nicht erwähnte, war, dass dies das eindeutige Ergebnis der Strategie der Regierung war, das Thema „Wirksamkeit“ vollkommen außen vor zu lassen, einer Strategie, die aus der Furcht entstanden war, dass kein Geschworener Burzynski schuldig sprechen würde, wenn er das Gefühl hätte, dass es auch nur eine kleine Chance gäbe, dass das Mittel wirksam sein könnte. 72
Der Anwalt der Verteidigung gab Clark reichlich Gelegenheit, die Wirksamkeit der Antineoplastone in Frage zu stellen. Als der Prozess seinem Ende entgegenging, versuchte man sogar, einen Bericht von Dr. Robert E. Burdick als Beweis vorzubringen. Dr. Burdick ist ein Onkologe aus Seattle sowie Mitglied der hoch angesehenen medizinischen Fakultät der University of Washington. In einem Schreiben von ihm, das Richter Lake vorlag und gegen das die Staatsanwaltschaft unverzüglich Einspruch erhob, hatte er seine Bewertung sowohl der konventionellen Behandlung als auch der von 17 Patienten mit Hirntumoren dargelegt, die ab April 1996 eine Behandlung mit Antineoplastonen mitmachten. „Es geschieht gegenwärtig sehr selten, dass man bei einem Patient mit einem bösartigen Hirntumor eine vollständige Heilung mit den konventionellen Mitteln, also Chemotherapie und Bestrahlung, erzielt …. Grob geschätzt gelingt es den Neurochirurgen nur bei einem von eintausend Patienten mit Hirntumor. Mit der Bestrahlung kann man das Wachstum von Tumoren verlangsamen und den Tod des Patienten vielleicht noch um einen weiteren Monat verzögern. Aber auch hier kommt es nur in einem von fünfhundert bis tausend Fällen zu einer Heilung, jedenfalls in einer sehr frühen Altersgruppe. Der chemotherapeutischen Forschung ist es trotz dreißigjähriger Bemühungen nicht gelungen, ein einziges Medikament oder eine Kombination von Medikamenten zu entwickeln, die mehr bewirken als eine gelegentliche vorübergehende Reaktion der primären Hirntumore.“ Vor diesem hoffnungslosen Hintergrund überprüfte Burdick die Fälle, die durch Burzynski behandelt worden waren. Von den siebzehn Patienten wurden sieben komplett geheilt. Ein Patient wurde geheilt, nachdem er nach einer Unterbrechung, während der sein Tumor nachgewachsen war, die Behandlung wieder aufgenommen hatte. Bei neun Patienten war eine teilweise Heilung zu verzeichnen. Ihr Tumor war um 50 % oder mehr zurückgegangen. Und bei einem Patienten war der Tumor stabil geblieben. Burdick fasste zusammen: „Ich bin sehr beeindruckt von der Zahl kompletter oder teilweiser Heilungen, die ich dort erlebt habe, besonders wenn ich sie mit der Zahl von Heilungen vergleiche, die 73
ich aus meiner persönlichen Praxis kenne. Diese Zahl übersteigt alles, was ich aus der veröffentlichten medizinischen Literatur kenne … Die Reaktionsrate hier ist wirklich erstaunlich: 81 % und davon 35 % komplette Heilungen. Solche Zahlen übersteigen bei weitem alles, was ich oder irgendjemand sonst erlebt hat, seit man mit der Erforschung von Hirntumoren angefangen hat. Es ist ganz offensichtlich, dass die Reaktionen hier auf die Therapie mit den Antineoplastonen zurückzuführen sind, und nicht auf Operationen, Bestrahlung oder die übliche Chemotherapie.“ Nachdem Lake Burdicks Brief für einen Tag zu den Akten genommen hatte, entschied er, dass er irrelevant sei. Er sagte noch einmal, dass es keine Rolle spielte, ob das Medikament wirksam sei oder wie viele Leben es retten würde. Es käme lediglich darauf an, ob Burzynski gegen die Bestimmungen der FDA verstoßen hätte. Mit dieser Entscheidung verhinderte er, dass Experten beider Seiten sich auf dem Zeugenstuhl über die Wirksamkeit der Antineoplastone ausließen. Aber das hätte auch wiederum vorausgesetzt, dass man überhaupt Experten finden würde, die aussagten, dass das Mittel nicht funktioniert. Und das wäre sehr schwierig gewesen. Die Tatsache, dass sich die Geschworenen nicht einigen konnten (sechs stimmten für eine Verurteilung Burzynskis und sechs dagegen) spiegelt akkurat die beiden Denkschulen wider, die während der ganzen Zeit den Prozessverlauf bestimmten. Auf der einen Seite standen die juristischen Puristen, die der Meinung waren, dass Burzynski verurteilt werden müsste, wenn er gegen die Buchstaben des Gesetzes verstoßen hatte, auch wenn er damit niemanden betrogen oder geschädigt hatte. Auf der anderen Seite standen jene, die davon überzeugt sind dass Hoffnung und Freiheit der Entscheidung wichtiger sind als reine Formalitäten. Eine solche Uneinigkeit gab es zwei Monate später, als Richter Lake Mitte Mai 1997 mit neuen Geschworenen einen zweiten Prozess gegen Burzynski führte, nicht mehr. Abgesehen vom Gerichtssaal, dem Richter und den Anwälten war dieser Prozess jetzt ganz anders. Während Burzynski sich beim ersten Prozess wegen 75 Anklagepunkten 74
zu verantworten und möglicherweise 300 Jahre Gefängnis zu erwarten hatte, gab es diesmal nur einen einzigen Anklagepunkt: Missachtung des Gerichts, eine Anklage, für die es keine Richtlinien gibt, was das Urteil oder das Strafmaß angeht. Das Strafmaß für Missachtung liegt ausschließlich im Ermessen des Richters. Es gab dieses Mal nur einen einzigen Anklagepunkt gegen Burzynski, weil Lake nach dem ersten Prozess alle Anklagen wegen Betruges aus Mangel an Beweisen zurückgewiesen hatte und weil die Staatsanwaltschaft, wie sie selbst zugab, einfach nicht ein zweites Mal auf einen Prozess vorbereitet war. LeCocq war im Mutterschaftsurlaub, also stellte Clark Anfang Mai einen Antrag auf Aufschub bis September 1997. In seiner Erklärung gab Clark zu, dass die Staatsanwaltschaft nicht einmal Protokolle des ersten Prozesses angefordert hätte, um sie vor dem zweiten Prozess zu lesen. Lake verweigerte jeden Aufschub und bestand darauf, dass der zweite Prozess zum geplanten Termin stattfinden sollte. Ein Grund dafür, dass die Staatsanwaltschaft nicht vorbereitet war, war vielleicht eine laufende Untersuchung der US-Staatsanwaltschaft von Houston durch das Office of Professional Responsibility (Kontrollstelle des Justizministeriums). Einer der Vorwürfe, die untersucht wurden, war, dass jemand aus dem Büro der Staatsanwaltschaft der Aetna Life Insurance vertrauliche Zeugenaussagen aus dem Prozess von 1990 übermittelt hätte, den die Versicherungsgesellschaft eventuell für einen ihrer Zivilprozesse gegen Burzynski verwenden konnte. Die Untersuchung endete später ohne Ergebnis. Schon bevor der zweite Prozess begann, ließ Clark durchblicken, dass er wusste, dass sein Fall auf schwachen Füßen stand. Schon Wochen vor dem Prozesstermin versuchte er, einen Vergleich auszuhandeln, und bot schließlich an, alle strafrechtlichen Anklagepunkte fallen zu lassen, falls Burzynski sich in einem Punkt, nämlich Missachtung des Gerichts, schuldig bekennen und eine Strafe von 250.000 Dollar bezahlen würde. Aber Burzynski wollte von einem solchen Vergleich nichts wissen. „Ich will nichts zugeben, das den Eindruck erweckt, dass ich etwas Unrechtes getan habe“, sagte er. „Ich habe nichts falsch gemacht. Ich habe immer 75
sehr sorgfältig darauf geachtet, allen gerichtlichen Anordnungen zu folgen.“ Am Eröffnungstag des zweiten Prozesses gegen Burzynski ließ Clark alle vierzig Anklagepunkte in Bezug auf den zwischenstaatlichen Handel fallen. Er konzentrierte sich allein auf den Anklagepunkt „Missachtung des Gerichts“. Burzynski wurde wiederum beschuldigt, den Gerichtsbeschluss von 1983 missachtet zu haben, der ihm untersagte, seine Antineoplastone außerhalb des Staates Texas zu vertreiben. „Im Kern ging es eigentlich immer nur um diesen Punkt“, sagte Clark. „Ich sehe keinen Grund dafür, dass sich das Verfahren allzu sehr in die Länge zieht.“ Als am 19. Mai 1997 der zweite Prozess mit der Vorvernehmung der Geschworenen begann, hatte Clark noch mehr Grund zum Pessimismus. „Die FDA ist wie die Gestapo“, erklärte ein potentieller Geschworener. „Warum steht nicht die FDA vor Gericht, statt Dr. Burzynski“, fragte ein anderer. Clark konnte insgesamt nur sechs potentielle Geschworene ablehnen, und diese beiden kamen für ihn auf keinen Fall in Frage. Er konnte nur hilflos zuschauen, wie Burzynskis Anwälte die für sie idealen Geschworenen auswählten. Ich konnte von Anfang an sehen, dass wir einen sehr schweren Stand haben würden, “ sagte Clark später. „Als Staatsbeamter sehe ich es nicht gern, wenn auf die Regierung eingeprügelt wird, und etwas anderes war es ja nicht.“ Sobald beide Seiten anfingen, Zeugen aufzurufen, wurden die Unterschiede zwischen diesem und dem ersten Prozess ziemlich offensichtlich. Statt fünf Wochen mit langweiligen Zeugenbefragungen zu verbringen, brauchten Clark und seine Assistenten diesmal nur zwei Tage dafür. Und die Verteidigung nur einen einzigen. Einige der Zeugen waren dieselben wie beim ersten Prozess. Clark begann wiederum mit der Postinspektorin Barbara Ritchey. Die Geschworenen hatten Schwierigkeiten, das Lachen zu unterdrücken, während sie beschrieb, wie sie den Versandangestellten Bob Moseray sowie Alan Shea durch Houston verfolgte. 76
Moseray sagte diesmal als Zeuge der Verteidigung aus. Bei der Befragung durch Staatsanwalt George Tallichet stellte er diesen bloß. „Sie hatten eine Spezialausbildung, um die Glasflaschen [mit Antineoplastonen] in Kisten zu verpacken, nicht wahr“, fragte Tallichet. „Nein“, antwortete der stets beherrschte Moseray. „Es war ganz einfach. Man musste sie nur in Kisten verstauen. Es war so einfach, dass selbst Sie das hätten tun können.“ Gegen Ende des Prozesses behauptete Clark wieder einmal, dass Burzynski ein berechnender Betrüger wäre, und dass es keine Rolle spielte, ob sein Medikament wirken würde oder nicht. „Niemand von uns steht über dem Gesetz“, sagte er. Die Anwälte der Verteidigung konterten, dass der Gerichtsbeschluss von 1983 Burzynski nicht untersagte, Patienten von außerhalb des Staates Texas zu behandeln. Da er das Medikament niemals an Orte außerhalb des Staates lieferte, argumentierten sie, hat er niemals gegen diesen Beschluss verstoßen. Die Geschworenen stimmten dieser Aussage voll zu. „Die Feststellung einer Straftat, aufgrund derer dem Arzt die Lizenz entzogen werden könnte, wäre ungerecht, “ sagte die Geschworene Stephanie Shapiro, eine Notarin aus Houston. „Ich fand das Verhalten der Regierung einfach niederträchtig. Und eine Menge Leute stimmen mit mir überein. Das alles war eine Big-Brother-Geschichte.“ Während die ersten Geschworenen etwa 35 Stunden benötigten, um dann doch nicht zu einer Einigung zu kommen, brauchte die zweite Gruppe weniger als drei Stunden, um den Angeklagten freizusprechen. Selbst Clark schien erleichtert zu sein, als das Urteil am 27. Mai 1997 gefällt wurde. „Ich wusste, dass wir mit dieser Sache Schwierigkeiten haben würden, und ich behielt Recht“, sagte er. „Jetzt ist meine Aufgabe endlich beendet. Ich sehe keinen Sinn mehr darin, den Mann jetzt noch weiter zu verfolgen.“ Burzynski, der entschlossen war, innerhalb der Beschränkungen, die ihm die IND-Genehmigung auferlegt hatte, weiterzuarbeiten, sagte, dass er sehr darauf achten würde, keine weiteren Schwierigkeiten mit der Justiz heraufzubeschwören. „Dies ist das Ende eines vierzehnjährigen 77
Krieges“, sagte er. „Und es ist der Anfang vom Ende des Krieges gegen den Krebs.“ Postskriptum, Frühjahr 2000 Drei Jahre, nachdem die FDA Burzynski vor Gericht gebracht hatte, weigerte sie sich immer noch zu sagen warum. „Ich bin nicht geneigt, mich zu diesem Thema zu äußern“, sagte Robert Spiller, der immer noch als einer der leitenden Juristen der FDA tätig ist. Spiller und andere führende Mitarbeiter der FDA wurden gefragt, warum diese Behörde mehr als vierzehn Jahre und etwa 15 Millionen Dollar an Steuergeldern dafür verschwendete, um Burzynski strafrechtlich zu verfolgen. Aber Spiller verhielt sich ebenso bedeckt, wie er es während der verschiedenen Prozesse getan hatte. Zu jener Zeit hatte er vorgegeben, dass er sich zu dem Fall nicht äußern dürfte, solange er noch anhängig wäre. Aber Anfang 2000 gab es keine juristischen Streitigkeiten zwischen der FDA und Burzynski mehr. Es gab also keine juristischen Gründe mehr für das Schweigen der FDA. Trotzdem weigerte sich Spiller standhaft, irgendetwas zu den zahlreichen Verfahren zu sagen, oder zu den Steuergeldern, die für den vergeblichen Versuch verschwendet wurden, Burzynski ins Gefängnis zu bringen. Andere in der FDA waren ebenso schweigsam. Larry Bachorik, der während der Zeit der Prozesse gegen Burzynski für alle Anfragen an die Behörde zuständig war, wurde drei Jahre später Leiter der PR-Abteilung und direkt dem Leiter der FDA unterstellt. „Die Antwort liegt in der Anklage selbst“, sagte er. In anderen Worten: Dieselben unhaltbaren Anklagen, die der Richter und die Geschworenen ablehnten, waren alles, was die FDA als eine Erklärung anzubieten hatte. Die Behörde weigerte sich ebenfalls, eine Antwort auf die Frage zu geben, was genau Burzynski tun müsste, um eine Genehmigung für sein Mittel zu erhalten. „Wir haben zu der Sache nicht mehr zu sagen als das, was in der Anklageschrift steht sowie in der Presseerklärung, die wir seinerzeit herausgebracht haben“, sagte Bachorik. Wann immer die Behörde in den nächsten Jahren um Informationen 78
über Burzynski gebeten wurde, verwies sie die potentiellen Patienten nicht auf die von der Behörde genehmigten klinischen Versuche, sondern schickte ihnen Kopien von kritischen Artikeln über Burzynski, die 1998 in The Cancer Letter gedruckt wurden, einem Informationsblatt über Themen, die mit der Krebsforschung in Zusammenhang stehen (zu Einzelheiten dieser Kritiken siehe Postskriptum zu Kapitel 7, Antwort auf die Kritiker). Natürlich schickt die FDA niemals die Antworten Burzynskis zu diesen Kritiken, die ebenfalls im Cancer Letter veröffentlicht wurden. „Ich wusste gar nicht, dass er dazu geantwortet hat“, sagte Bachorik. Die Repliken waren natürlich in derselben Ausgabe der Zeitschrift enthalten, in der auch viele der Kritiken veröffentlicht worden waren. Die FDA scheint also nach wie vor entschlossen zu sein, die Antineoplastone Burzynskis und seine klinischen Versuchen zu sabotieren. Für Richter Lake waren die Burzynski-Prozesse im Jahre 2000 eine Sache der Vergangenheit. Michael Clark, der kurz nach Ende des Prozesses in eine private Anwaltskanzlei in Houston eintrat, interessierte sich auch nicht mehr dafür. Aber die FDA sollte sich nicht so einfach damit abfinden.
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DIE GESCHICHTE VON PAMELA WINNINGHAM
Ich danke dem Herrn für Sally Jessy Genießen Sie Ihr Leben in vollen Zügen. Denn Sie haben höchstens noch sechs Wochen bis sechs Monate davon. - Äußerung eines Assistenzarztes in der neuroonkologischen Abteilung des San Francisco Medical Centers der University of California gegenüber Pamela Winningham im April 1988
Jeden Tag, wenn sie und ihr Gatte Scott zusammen zu ihren Arbeitsplätzen nach Princeton in New Jersey fahren, dankt Pamela Winningham ihrem Glücksstern, dass die Schwiegermutter ihrer Schwester gern die Talkshow von Sally Jessy Raphael anschaut. Diese entfernte Verwandte hatte eines Tages im Frühjahr 1988 den Fernseher eingeschaltet, als Dr. Stanislaw Burzynski und einige seiner Patienten Gäste in dieser Sendung waren. Am selben Tag rief Pams Schwester sie an und teilte ihr die aufregende Nachricht mit, dass es da jemanden gäbe, der möglicherweise etwas gegen den wachsenden Hirntumor unternehmen könnte, der für sie anscheinend ein Todesurteil war. Bevor sie von Dr. Burzynski und seinen bereits umstrittenen Methoden der Krebsbehandlung mit Antineoplastonen hörte, hatte Pam Winningham bereits einige erfolglose Operationen wegen eines AstrozytomTumors durchgemacht, der so sehr mit ihrem Hirnstamm verwoben war, dass er unmöglich entfernt werden konnte, ohne sie entweder zu töten oder ihr schweren gesundheitlichen Schaden zuzufügen. Außerdem wurde sie zwei Monate lang zweimal täglich einer Bestrahlungsbehandlung unterzogen, die direkt auf den Tumor abzielte. Aber sie lehnte es ab, eine massive Chemotherapie mitzumachen, weil ihre Ärzte gesagt hatten, dass ihr das nicht besonders helfen würde. Und sie wusste ja über die schrecklichen Nebenwirkungen Bescheid, mit denen sie sich dann Monate lang herumquälen müsste. 80
Pam war damals 35 Jahre alt und Schulpsychologin. Ihr Mann hatte einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften. Ihr erster Verdacht, dass sie möglicherweise ein ernsthaftes Problem hatte, kam 1987 auf, vier Wochen, nachdem sie aus Los Angeles, wo Pam in einer Schule in der Innenstadt gearbeitet hatte, nach San Francisco umgezogen waren. Sie begann plötzlich, Dinge doppelt zu sehen. „Es fiel mir schwer, die einzelnen Wörter zu lesen“, erinnerte sie sich. „Ich sah jeweils ein Wort und seinen Schatten darüber. Das war sehr lästig, denn Scott und ich lesen sehr viel. Aber ich dachte noch nicht daran, dass es sich um ein ernsthaftes Problem handeln könnte. Und ganz bestimmt hielt ich die Sache nicht für lebensgefährlich. Ich ging einfach davon aus, dass ich eine neue Brille brauchte.“ Sie sollte bald erfahren, dass ihre Situation sehr viel ernster war. „Ich ging zu einem Augenarzt, der mir sagte, dass das Problem nicht an meinen Augen läge“, erinnerte sich Pam. Der Arzt schickte sie zu einem Neurologen, der sofort eine Kernspintomographie ihres Kopfes durchführen ließ. Die Tomographie wurde am 30. Juni 1987 durchgeführt, an ihrem Hochzeitstag. Sie und ihr Mann waren bereits ein Liebespaar gewesen, als sie noch die Granada Hills High School in San Fernando Valley, einem Vorort von Los Angeles, besuchten. Nachdem die Tomographie durchgeführt worden war, geschah alles sehr schnell, “ bemerkte Pan. Das Paar und ihre sieben Jahre alte Tochter Lynn wohnten in einem gemieteten Apartment weniger als einen Block vom California Medical Center entfernt, wo der Test durchgeführt worden war. „Ich kann mich noch genau daran erinnern, dass ich von meiner Wohnung aus den Block hinunterlief, um zu erfahren, welches Ergebnis die Tomographie erbracht hatte. Ich war eigentlich nicht besonders besorgt. Später wusste ich, dass dies mein letzter unbeschwerter Spaziergang war. Sie knallten mir das Ergebnis geradezu vor die Brust.“ „Sie haben einen Hirntumor“, sagte der Neurologe und erklärte ihr, dass ihre Doppelsicht nicht durch ihre Augen verursacht wurde. Sie wurde sofort an Dr. Charles Wilson, einen Hirnchirurgen an der University of California in San Francisco, überwiesen. 81
Im Rückblick wurde Pam und Scott klar, dass es bereits 13 Jahre zuvor Hinweise auf eine möglichen Tumor gegeben hatte. Damals waren beide Doktoranden an der University of Wisconsin in Madison. „Ich bekam etwas, das ich für Grippe hielt, und später eine leichte Gesichtslähmung. Ich konnte mit der rechten Seite meines Gesichts nicht lächeln, und ich hatte Schwierigkeiten beim Blinzeln mit den Augen, “ sagte Pamela. „Ich kam zu der Zeit kurz ins Krankenhaus, und man machte eine Computertomographie, die aber nichts ergab. Das Einzige, was ich ich mit Sicherheit wusste, war, dass ich ein etwas schiefes Lächeln hatte. Wir denken manchmal, dass das schon damals anfing und sich ganz allmählich entwickelte, bis es bei mir zu dieser Doppelsicht kam.“ Pams normalerweise gutes Gedächtnis wird immer etwas verschwommen, wenn sie versucht, sich an ihren ersten Besuch in Wilsons Praxis zu erinnern. Also muss ihr Mann ihr auf die Sprünge helfen, wenn sie versuchen, das zu verstehen, was an jenem Tag und unmittelbar danach geschah. „Wilson sagte: Sie haben einen Tumor in Ihrem Hirnstamm. Wir wissen nicht, welchen Grad er hat, wie schnell er wächst oder ob wir ihn beseitigen können. Er wollte unverzüglich eine diagnostische Operation durchführen, “ erinnerte sich Scott. „Er sagte, dass er nicht genau wüsste, was sie dabei finden würden, aber sobald er in ihren Kopf schauen könnte, wären sie in der Lage zu entscheiden, was dann weiter geschehen würde. Er hatte die Hoffnung, dass er den Tumor entfernen könnte, aber selbst wenn das nicht möglich sei, wäre die Operation immer noch nützlich, weil man dann zumindest ein Biopsie durchführen und alles viel besser beurteilen könnte.“ Das Ehepaar dachte zwei schmerzhafte Tage über diesen Vorschlag nach und entschied dann, Wilsons Empfehlung zu folgen. Ihre Tochter war gerade erst in die zweite Klasse versetzt worden und „wir standen wirklich unter Schock“, erinnerte sich Scott. „Alles was ich Lynn sagen konnte war, dass Mama krank wäre, und dass sie operiert werden müsse. Ich war wirklich besorgt, aber auch ein wenig naiv. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich auch nur einmal daran dachte, dass sie sterben könnte. Wir waren uns einfach nicht darüber klar, was hier mit uns passierte.“ 82
„Ich glaubte auch nicht, dass ich sterben würde“, sagte Pam. „Aber ich war richtig froh, als meine Eltern aus Los Angeles kamen, um auf Lynn aufzupassen.“ Ihre Operation, die am 14. Juli 1987 durchgeführt wurde, genau zwei Wochen nach ihrer Kernspintomographie, enthüllte den Grund für ihre Doppelsicht. „Sie konnten den Tumor nicht herausoperieren, aber sie machten eine Biopsie“, sagte Scott. Das Ergebnis: Pam hatte ein langsam wachsendes Astrozytom der Stufe 2. Nach den Statistiken der Amerikanischen Krebsgesellschaft (American Cancer Society = ACS) machen solche Tumore etwa ein Sechstel aller Gehirntumore aus. Das Lehrbuch zur klinischen Onkologie der ACS weist darauf hin, dass nur 32 % aller Personen, die an einem Astrozytom niedrigen Grades leiden und sich keiner Behandlung unterziehen, erwarten können, länger als fünf Jahre zu überleben. Sechzig Prozent leben solange, wenn ihr Tumor zum Teil entfernt wird und sie sich dann einer Bestrahlung unterziehen. Kann der Tumor vollständig entfernt werden, liegt die Chance, noch fünf Jahre zu leben, bei fast 100 %. Aber von Pam Winninghams Tumor konnte praktisch nichts entfernt werden, und er würde noch über einen längeren Zeitraum langsam weiterwachsen. „Die Ärzte sagten mir nach der Operation, dass eine Strahlenbehandlung das Beste sei, was sie mir anbieten könnten, und dass mein Tumor so sehr mit meinem Hirnstamm verwoben wäre, dass sie nichts tun könnten, “ sagte Pam. „Sie sagen mir: Sie müssen eine Strahlenbehandlung machen, oder Sie werden sterben.“ Scott fügte hinzu: „Wilson sagte uns, dass es bei der Strahlenbehandlung keine Garantie gäbe, dass er aber sehr optimistisch wäre, dass sie helfen würde.“ Also entschloss sich Pam, es mit dieser Therapie zu versuchen. Sie wartete nur solange, bis sie sich von der Operation erholt hatte, und fing dann im September 1987 mit der Behandlung an. Im Unterschied zu vielen anderen Tumorpatienten führte man bei Pam keine Bestrahlung des vollständigen Gehirns oder der Wirbelsäule durch, sondern zweimal täglich eine hyperfraktionierte Radiotherapie, wobei die Strahlen direkt auf den Tumor gerichtet wurden. „Sie rasier83
ten mir den Hinterkopf und markierten ihn nahe den Ohren, um ein Ziel für die Bestrahlung zu bekommen“, erinnerte sie sich. „Diese Behandlung schwächte mich nicht so sehr wie einige andere Leute. Ich war immer noch in der Lage, acht Wochen lang zweimal täglich selbst zum Krankenhaus und wieder nach Haus zu fahren.“ Aber anscheinend bewirkte die Behandlung überhaupt nichts. Möglicherweise hat sie das Wachstum des Tumors sogar noch beschleunigt. Pams erste Kernspintomographie nach der Strahlungstherapie zeigte, dass ihr Astrozytom immer noch wuchs, vielleicht sogar noch schneller als vorher. „Sie rieten Scott und mir, abzuwarten“, sagte sie. „Man sagte uns, dass es manchmal zu einer verzögerten Wirkung durch die Bestrahlung käme. Und das wurde durch das bestätigt, was ich über diese Behandlung las.“ Also blieb ihr nichts anderes übrig, als zu warten und zu hoffen. Aber eigentlich geschah nichts weiter, außer dass der Tumor immer noch weiterwuchs. Im April 1988 machte man eine weitere Kernspintomographie, und Pam und Scott trafen sich mit dem Strahlungsonkologen William Wara, der ihnen sagte, dass sie jetzt wohl lange genug gewartet hätten. Offensichtlich hatte die Bestrahlung keinen Erfolg erbracht. Zu diesem Zeitpunkt hatte Pams Tumor etwa den Durchmesser eines 25Cent-Stückes, war seit der ersten Diagnose also etwa auf das Doppelte angewachsen. Ein Arzt der Klinik – seinen Namen hatte Pam niemals erfahren – sagte ihr, dass es vielleicht an der Zeit wäre, ihre persönlichen Angelegenheiten zu regeln und die paar Monate, die ihr noch blieben, zu genießen. „Ich sagte: Entschuldigung, ich habe Sie wohl nicht richtig verstanden. Was haben Sie mir da gerade gesagt? Und er antwortete: Sie haben noch sechs Wochen bis sechs Monate zu leben.“ Wara und andere Ärzten drängten sie jetzt, es mit der Chemotherapie zu versuchen obwohl diese Behandlung sich noch nie als effektiv gegen Hirntumore erwiesen hatten. „Inzwischen hatten Scott und ich uns intensiv mit dem Thema Krebsbehandlung beschäftigt. Wir wussten also, was bei einer Chemotherapie so alles passierte, “ erinnerte sich Pam. „Und ich war nicht bereit, so etwas mitzumachen.“ 84
Scott war nicht sofort bereit, die Sache einfach so abzulehnen. „Mein Eindruck war, dass bisher nichts funktioniert hatte, und dass auch diese Sache wahrscheinlich nicht funktionieren würde“, sagte er. „Aber ich hoffte, dass sie mir meine Frau wenigstens noch etwas länger erhalten würde.“ Pam, die normalerweise 61 kg wiegt und regelmäßig Sport treibt, um fit zu bleiben, sagte. „Ich war einfach nicht bereit für so etwas. Aus all dem, was mir bereits passiert war, wusste ich ja, welche Nebenwirkungen solche Medikamente haben können. Man gab mir nach der Operation und während der Strahlenbehandlung das Kortikosteroid Decadron als entzündungshemmendes Mittel, um die Schwellung in meinem Gehirn zu reduzieren. Dadurch wurde ich ständig hungrig. Ich nahm sofort etwa 18 kg zu. Und ich stellte fest, dass ich dieses Medikament nicht mehr absetzen konnte. Jedes Mal, wenn ich das versuchte oder auch nur die Dosis verringern wollte, bekam ich schreckliche Kopfschmerzen. Ich fühlte mich total benommen, und ich sah wohl auch so aus. Ich war aufgebläht und fühlte mich die ganze Zeit abgeschlafft. Tagsüber konnte ich nicht viel mehr tun als eine Dusche nehmen, meine Haare trocknen und das Abendessen vorbereiten. Den ganzen übrigen Tag hing ich nur so herum. Ich schlief viel und hörte Radio. Ich wollte also nicht auch noch die anderen Medikamente ausprobieren, die noch viel giftiger sein sollten, besonders, da ich ja wusste, dass sie mir nicht viel helfen würden.“ Verzweifelt und in ihr Schicksal ergeben, beschlossen Pam und ihr Mann, ihren Beruf aufzugeben und nach Los Angeles zurückzukehren, um während ihrer letzten Monate bei ihrer Familie zu sein. Aber kurz bevor sie San Francisco verließen, hörten sie von Dr. Burzynski. „Alles was ich am Anfang aus der Talkshow von Sally Jessy erfuhr, war, dass dieser Arzt irgendwo in Texas wohnte, und dass er angeblich Krebspatienten heilen konnte“, sagte Pam. Scott versuchte, mehr über ihn zu erfahren. Zufällig war sein Chef in der Finanzberatungsfirma, für die er damals arbeitete, gerade dabei, der Amerikanischen Krebsgesellschaft bei der Verwaltung ihrer Finanzen zu helfen. Er setzte sich mit 85
einigen ihrer führenden Mitarbeiter in Verbindung und fragte sie über Burzynski und seine Reputation aus. „Einer von ihnen bezeichnete ihn als einen Menschen, dem man nicht trauen konnte“, erinnerte sich Scott. „Er sagte, dass Burzynski wahrscheinlich ein Quacksalber sei.“ Aber die Winninghams waren wirklich verzweifelt. Also sagte Scott seiner Frau, dass er alles tun würde, was sie wollte, und dass Geld dabei keine Rolle spielen würde. Bevor sie wieder nach Los Angeles zogen, flogen sie nach Houston, um Burzynski kennenzulernen. „Durch das Decadron war ich so schwach und lethargisch geworden, dass Scott mich stützen musste, als wir schließlich dort ankamen. Und meine Doppelsicht war wirklich sehr schlimm geworden. Aber ich wusste, dass ich unglaubliche Schmerzen haben würde, wenn ich die Dosis reduzieren würde.“ Nach dem, was sie über Burzynski gehört hatten, waren die Winninghams wirklich sehr skeptisch. Trotzdem mieteten sie für zwei Wochen ein Apartment in Houston. Sie dachten, dass es wohl so lange dauern würde, bis Pam sich entschied, ob sie es mit den Antineoplastonen von Burzynski versuchen wollte oder nicht. Der erste Eindruck von Burzynski und seiner Klinik fiel nicht besonders positiv aus. „Es war eine etwas schäbige kleine Klinik am Stadtrand“, beschrieb Scott das Gebäude, das Burzynski Mitte bis Ende der achtziger Jahre benutzt hatte. „Im Wartezimmer saßen eine Menge kranker Patienten herum. Es war kein besonders erhebender Anblick.“ Das erste Treffen mit Burzynski war ziemlich kurz. „Es dauerte nur etwa 10 Minuten“, sagte Scott. „Er sagte uns, was er tun würde, aber er machte keine konkreten Versprechungen, dass er Pams Tumor heilen könnte. Er war sehr sachlich, und er machte den Eindruck, dass er überhaupt keine Zweifel daran hätte, dass der Tumor auf die Behandlung ansprechen würde. Er machte einen sehr optimistischen Eindruck. Ich selbst war leider nicht so zuversichtlich.“ Pam sagte: „Wir hatten beide Angst, und Scott war die ganze Zeit sehr skeptisch.“
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„Ich hatte das Gefühl, dass die ganze Sache eigentlich nur eine Zeit- und Geldverschwendung sei, dass wir es aber trotzdem versuchen sollten, weil uns ja praktisch nichts anderes mehr übrig blieb“, sagte Scott. Pam fügte hinzu: „Es war ein wenig schockierend, dass sie eine so große Anzahlung verlangten. Wir wären beinahe wieder gegangen, als sie 5000 Dollar haben wollten. Das hatten sie uns zwar schon gesagt, als wir dort angerufen hatten, aber wir hatten trotzdem nicht das Gefühl, dass es richtig sei.“ Scott erinnerte sich: „Ich hatte insgesamt einen schlechten Eindruck. Aber ich bat um sämtliche Unterlagen, die dort über Antineoplastone vorhanden waren. Ich schaute sie mir alle ganz genau an, und ich war schon davon beeindruckt, dass er sämtliche Standardtests genau eingehalten hatte, als er seine Versuche an Labortieren durchführte. Ich suchte seinen Namen im Telefonbuch, und wir schauten nach, wo er wohnte. Ich hatte gehofft, dass wir uns von ihm ein positives Bild machen konnten, und dass es sich nicht um einen zweifelhaften Typ handeln würde. Wie sich herausstellte, wohnte er in einem ganz normalen Haus in einer schönen Gegend, aber nicht so exklusiv, wie man es von jemandem erwarten könnte, der durch Betrug das große Geld macht.“ Innerhalb weniger Tage betrachtete Pam sich selbst bereits als eine Patientin von Burzynski, obwohl sie immer noch ein wenig skeptisch blieb. Scott brachte Pam zuerst noch zu einem Gefäßchirurgen, der ihr den Katheder in die Brust einsetzte. Dann besuchten sie das örtliche Röntgenzentrum, damit Burzynski sich vor der Behandlung ein genaues Bild von der Größe und der Form des Tumors machen konnte. Eine Kernspintomographie bestätigte, dass ihr Tumor in dem Monat, nachdem sie die letzte Tomographie in San Francisco machen ließ, weiter gewachsen war. „Die ganze Sache war professionell und sehr gut organisiert, selbst was die Unterkunft betraf, die man uns bereitstellte“, sagte Pam. „Sie wollten mich während der ersten zwei Wochen genau beobachten, um festzustellen, ob ich die Medikamente vertrug, oder ob ich irgendwelche 87
Allergien dagegen hätte. Während der Zeit habe ich sehr viel geschlafen. Aber ich spürte absolut keine Nebenwirkungen.“ „Wir bemerkten nicht sofort etwas Außergewöhnliches, nachdem sie mit der Behandlung angefangen hatte“, sagte Scott. „Wir nahmen die Medikamente mit nach Kalifornien, und es wurde bald zur Routine, alle zwei Monate nach Houston zu fliegen, um neue Antineoplastone abzuholen.“ Die Kernspintomographie, die sie nach Beginn ihrer Behandlung im Juli 1988 machen ließ, zeigte einen signifikanten Rückgang der Schwellung um ihren Tumor herum. Die Größe des Tumors selbst hatte sich jedoch nicht verändert seit die Tomographie im April an der Universitätsklinik gemacht wurde. Aber da es keine Nebenwirkungen gab, und der Tumor sich zumindest stabilisiert zu haben schien, entschieden die Winninghams, diese Behandlung weiter fortzuführen. Zwei Monate später wurde ihre Geduld belohnt. „Die Läsion beträgt jetzt 1,8 x 2,2 cm“, stand in dem Bericht des Röntgenzentrums von Houston, in dem Pam im September 1988 die Kernspintomographie durchführen ließ. „Dies bedeutet eine Abnahme der Größe des Tumors verglichen mit der früheren Studie. Es wird geschätzt, dass sich das Volumen des Tumors um dreißig bis vierzig Prozent verringert hat.“ „Meine Reaktion bestand aus reiner Freude“, strahlte Pam. „Plötzlich hatte ich wieder einen Grund zu hoffen, dass ich überleben würde. Es war wundervoll! Endlich hatte ich etwas, das funktionierte.“ Da endete auch die Skepsis von Scott. „Ich fing an zu glauben, dass an der Sache wirklich etwas dran war“, sagte er. „Und mein Gefühl wurde durch die nächste Tomographie einen Monat später bestätigt.“ In dem Bericht zu dieser Kernspintomographie stand, dass „die Läsion jetzt eine Größe von 1,8 x 2,0 cm aufweist. Dies bedeutet eine Verringerung von 20 bis 30 % des Gesamtvolumens des Tumors (seit der letzten Tomographie) “. Pams Astrozytom verschwand allmählich. Im folgenden Januar gab es nicht mehr den geringsten Hinweis auf einen Tumor. In dem Bericht über die Tomographie, die in dem Monat durchgeführt wurde, steht, 88
dass „in dieser Region [in der der Tumor im Hirnstamm entdeckt wurde] seit der letzten Studie ein bemerkenswerter Rückgang der Größe zu verzeichnen ist … Dies ist ein Hinweis darauf, dass diese Läsion jetzt lediglich aus Narbengewebe besteht oder möglicherweise nur eine alte Blutung darstellt“. Mehr als zwei Jahre später gehörten Pams Tomographien und Unterlagen zu den sieben Fällen, die von Experten des Nationalen Krebsinstituts während eines eintägigen Besuchs der Klinik von Burzynski überprüft wurden. Dieses Team konnte in den Tomographien ebenfalls keinen Hinweis auf einen Tumor finden und kam zu dem Schluss, „dass es in ihrem Fall eindeutig zur einer Reaktion des Tumors auf die Antineoplastone“ kam. Um ganz sicher zu gehen, ließ Pam seitdem in jedem Januar eine neue Kernspintomographie durchführen. Auf allen war irgendetwas zu sehen, meist Narbengewebe, wo sich einst der Tumor befunden hatte. Sie blieb nach diesem denkwürdigen Januar 1989, als eine Tomographie ihr bestätigte, dass der Tumor so gut wie verschwunden war, noch mehr als ein Jahr bei der Behandlung mit den Antineoplastonen. „Dr. Burzynski reduzierte die Dosis allmählich, um mich von dem Mittel zu entwöhnen“, sagte Pam. „Ich habe das Gefühl, dass er ganz sicher gehen wollte, dass der Tumor nicht zurückkommen würde, bevor er das Mittel komplett absetzte.“ Während die Behandlung erfolgreich verlief, wurden ihre Gefühle gegenüber Dr. Burzynski immer positiver. „Er veränderte unser gesamtes Leben. Wir schauten allmählich zu ihm auf,“ sagte Scott. „Wir respektieren ihn total.“ Pam fügte hinzu: „Ich freue mich immer richtig darauf, ihn zu besuchen. Er hat ja wirklich etwas erreicht. Mir geht es immer besser. Und es ist immer sehr beruhigend, ihn zu sehen.“ Sie schätzte auch die moralische Unterstützung, die sie von den Mitarbeitern Burzynskis erhielt. „Als ich mit der Kernspintomographie die erste positive Nachricht erhielt, jubelte die ganze Praxis mit mir“, erinnert sich Pam. „Das fühlte sich wahnsinnig gut an.“ 89
Die Winninghams sind Burzynski unheimlich dankbar, dass er Pam dabei half, von Decadron loszukommen. „Ich versuchte im Herbst 1988, nach der positiven Kernspintomographie, noch einmal, von dem Zeug loszukommen, “ sagte sie. „Diesmal klappte es. Und ich verlor mein ganzes Übergewicht. Es fühlte sich gut an, nicht länger so fett zu sein.“ „Ich hatte plötzlich wieder meine Frau wieder“, sagte Scott. „Als ich sie traf, sah sie aus wie ein Model. Und jetzt hat sie ihren alten Körper wieder.“ Innerhalb eines Monats, nachdem durch ihre Kernspintomographie nachgewiesen wurde, dass ihr Tumor zurückgegangen war und sie sich langsam das Decadron abgewöhnte, bekam Pam ihre alte Energie wieder. Sie und Scott, der nicht mehr gearbeitet hatte, seit er seinen Beruf aufgegeben und mit der Familie San Francisco verlassen hatte, hatten seit Monaten von ihren Ersparnissen gelebt. Pam fand im Herbst jedoch Arbeit in einer städtischen Schule in Los Angeles, ihren ersten Vollzeitjob seit zwei Jahren. Ein Jahr später zog die Familie noch einmal um, dieses Mal nach New Jersey, wo beide für dieselbe Finanzberatungsfirma arbeiten. Es blieb nur ein einziger Wermutstropfen: Ihre Gesichtslähmung, die in den siebziger Jahren zum ersten Mal auftauchte und besonders schlimm wurde, als ihr Tumor seine volle Größe erreicht hatte, war nicht vollkommen verschwunden. Sie konnte mit der rechten Gesichtshälfte immer noch nicht lächeln, und man setzte ihr Goldimplantate in die Augenlider, um das Blinzeln zu erleichtern. Die Ärzte hatten ihr gesagt, dass dieses verbleibende Problem wahrscheinlich durch die Operationen und die Strahlungstherapie verursacht worden war, wodurch es vermutlich zu einem bleibenden Nervenschaden kam. Aber weder Scott noch ihr machte das allzu viel aus. Schließlich führte Pam jetzt ein neues Leben, ohne dass ständig das Damoklesschwert über ihr schwebte. „Es ist so ein wundervolles Gefühl, noch immer am Leben zu sein, und das all die Jahre, nachdem man mir gesagt hatte, dass ich bald tot sein würde“, sagte Pam im Herbst 1996.
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Scott fügte hinzu: „Ich habe das Gefühl, dass meine Frau von den Toten zu mir zurückgekehrt ist“. Er und Pam sind über jeden Zweifel hinaus davon überzeugt, dass die Antineoplastone Pams Leben gerettet haben. „Ich kann mir keinen anderen Grund vorstellen, warum meine Frau immer noch lebt und vollkommen gesund ist“, sagte ihr Mann. „Also werden wir alles tun, um Burzynski zu helfen, wenn er irgendein Problem hat. Die Regierung ist seit Jahren hinter ihm her, weil er irgendwelche Vorschriften verletzt haben soll – was ich übrigens nicht glaube. Sie ist anscheinend überhaupt nicht daran interessiert, ob seine Mittel und seine Behandlungen funktionieren oder nicht. Und das bedeutet, dass sie eigentlich gar nicht daran interessiert ist, Patienten zu retten. Sie ist nur an ihrer eigenen Macht interessiert.“ Postskriptum Princeton, New Jersey, Mitte 2000 – Vom Deck eines Kreuzers, der im Frühjahr 2000 die Inside Passage von Alaska hinauffährt, sieht die Welt für Pamela Winningham traumhaft aus. Ihre Ärzte sagten ihr im April 1988, dass sie nach Haus gehen und sich dort darauf vorbereiten solle, an ihrem „unheilbaren Gehirntumor“ zu sterben. „Ich habe jetzt ein Gefühl der Wertschätzung, das ich nicht zuvor kannte“, sagte sie. „Stellen Sie sich das einmal vor: Ich hätte eigentlich schon vor zwölf Jahren sterben sollen.“ Stattdessen durften Pam und ihr Mann Scott miterleben, wie ihre Tochter Lynn die High School in Princeton abschloss und sich an der Eliteuniversität Yale immatrikulierte. Sie machte Kreuzfahrten auf Luxusschiffen, reiste durch Irland und war Zeugin beim Strafprozess gegen Dr. Stanislaw Burzynski. Ihr Krebs ist vollkommen verschwunden, seit sie 1989 mit der Behandlung mit Antineoplastonen anfing. Dies wird durch die Kernspintomographien bestätigt, die sie jedes Jahr durchführen ließ – die letzte im Januar 2000. „Das Wichtigste ist, dass ich noch hier bin und nicht die geringsten gesundheitlichen Probleme habe“, sagte sie. „Ich arbeite immer noch bei einer Wirtschaftsberatungsfirma in Princeton, und ich bin immer noch 91
künstlerisch tätig. Ich habe sieben Jahre lang an einem Töpferkurs in der Abendschule teilgenommen, und jetzt habe ich mit Bildhauerei angefangen. Vier Mal pro Woche mittags laufe ich zwei Meilen mit einer Freundin. Und das alles verdanke ich Dr. Burzynski.“ Und was wäre, wenn plötzlich ein neuer Hirntumor auftaucht? „Wenn das passiert, fange ich sofort wieder mit den Antineoplastonen an. Damit würde ich keine Sekunde zögern.“
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KAPITEL 2 Jugend und erste Entdeckungen
Während der Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg war grau die vorherrschende Farbe in der polnischen Stadt Lublin, ebenso wie im übrigen Polen und im gesamten Ostblock. Überall in der Stadt sah man Ruinen. Jeweils eines von fünf Gebäuden war von den Nazis zerstört worden, als sie während des Krieges die Stadt besetzt hatten. Sie hatten die Juden in der Stadt und in den kleinen Orten in der Umgebung zusammengetrieben und in das Ghetto im Stadtkern gezwängt, das schon bald total überfüllt war. Später, als die Einwohner des Ghettos ermordet oder in Todeslager gebracht worden waren, legten die Nazis etwa 20 % der Stadt in Schutt und Asche. Der mittelalterliche Stadtkern Lublins wurde zerstört. Stanislaw Burzynski wurde 1943 inmitten dieses Chaos geboren. Trotzdem wurde er für einige Zeit vom Schlimmsten bewahrt. Die Familie seiner Mutter wohnte in einem alten Teil von Lublin, auf der Krolewskastraße, der Königsstraße, die ihren Namen erhalten hatte, weil die polnischen Könige des Mittelalters über diese Straße zu ihrer Burg im Stadtzentrum ritten. Das schmucke Familienhaus, das um drei Innenhöfe herum erbaut worden war, diente im frühen 19. Jahrhundert als Sitz der römisch-katholischen Bischöfe. Es wurde im Stil der barocken Renaissance konstruiert. Seine dreistöckige Fassade hat eine ausgefeilte Gitterstruktur um die Fenster herum und Mauerbrüstungen unter den Dachrinnen. Vor dem Krieg nutzte Burzynskis Großmutter die großzügigen Räumlichkeiten für eine private Mädchenschule. Anfang der vierziger Jahre überließ sie ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn sowie dessen Eltern dort ein größeres Apartment. Aber Burzynskis Eltern zogen es während der ersten Jahre vor, die meiste Zeit in einem Landhaus der Familie seiner Mutter am Rand des großen Stary Las-Waldes außerhalb von Lublin zu verbringen. Der Wald mit seinen großen Beständen an Buchen, Eichen und Tannen sollte spä93
ter noch eine wichtige Rolle bei seiner Entdeckung der Antineoplastone spielen. Während seiner Kinderjahre bildete er jedoch einen gewissen Schutz für seine Eltern – sowohl vor den politischen Stürmen als auch vor ihren Verwandten. Burzynskis Vater wurde von den Verwandten seiner Mutter niemals akzeptiert. „Mein Großvater väterlicherseits war Hufschmied. Während einer der vielen Aufstände gegen die Russen, die nach 1812 das Land um seine Heimstadt Boratya in der Provinz Podolya in der heutigen Ukraine besetzt hatten, wurde er zur Waise“, erinnerte sich Burzynski. „Meine Eltern lernten sich an der Universität kennen, wo er klassisches Griechisch und Latein studierte. Er wollte an der Universität lehren, aber da er aus einem armen Elternhaus stammte, hatte er Schwierigkeiten, eine Anstellung zu finden. Polen war damals ein sehr klassenorientiertes Land. Schließlich fand er eine Stellung bei der jüdischen Hochschule in Lublin, aber die reichen Polen, einschließlich der Familie meiner Mutter, behandelten ihn stets wie einen Außenseiter. Er lebte in einem Klima der Ablehnung. Viele Verwandte im Familienzweig meiner Mutter wollten mit ihm nichts zu tun haben. Das Haus außerhalb der Stadt war ein Ort, an den sie sich zurückziehen konnten. Es hatte einen großen Garten, und in der Nähe waren Weiden und ein Fluss, in dem wir Kinder baden konnten. Burzynskis frühe Kindheit war überschattet von der Verhaftung seines Vaters durch die Nazis, die etwas dagegen hatten, dass er jüdische Studenten in dem Ghetto unterrichtete. Dafür wurde er während der Besatzung für zwei Jahre im ehemaligen königlichen Schloss interniert. Aber auch das war für die Burzynskis nicht so schlimm wie die Ereignisse, die die Kindheit des jungen Stanislaw in den späten vierziger Jahren so abrupt beenden sollten. Der Eiserne Vorhang senkte sich über Polen. Der alte Familiensitz war nicht länger Eigentum der Familie. Er gehört jetzt dem Staat, der ihn in viele Wohneinheiten unterteilte und dort Bauern und Arbeiter einwies, die durch den Krieg obdachlos geworden waren.
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Den Burzynskis wurde gestattet, in einem kleinen Apartment zu wohnen, aber schon bald musste die Familie ihre Küche und ihr Badezimmer mit anderen teilen. „Wir erfuhren bald, dass eine Frau, die in dem Haus wohnte, eine Spionin der Regierung war“, sagte Burzynski. „Das war für uns sehr gefährlich, denn mein Bruder Zygmunt war im antikommunistischen Untergrund. Inzwischen nutzten die Kommunisten das royale Anwesen weiterhin als Gefängnis, ebenso wie es bereits die Nazis getan hatten. Mein Vater wurde dort wieder für einige Zeit eingesperrt, weil er illegal Unterricht erteilt hatte. Er wurde schließlich wieder entlassen, aber er bekam nie wieder eine Anstellung als Lehrer.“ Obwohl er aus einer bescheidenen Familie ländlicher Hufschmiede abstammte und somit proletarische Wurzeln hatte, konnte Burzynskis Vater keine Stellung für längere Zeit behalten. Sobald die örtlichen kommunistischen Funktionäre erfuhren, dass er in eine reiche Familie eingeheiratet hatte, die Grundstücke innerhalb und außerhalb Lublins besaß, verlor er sie wieder. Schließlich erlaubte man ihm, Privatunterricht in Griechisch und Latein zu geben und eine Reihe von Fächern in öffentlichen Schulen zu unterrichten. Inzwischen wurden viele Freunde von Zygmunt im Gefängnis umgebracht. „Wir lebten in ständiger Angst. Wir wussten ja, dass es auch jeden von uns jederzeit erwischen konnte,“ erinnerte sich Burzynski. „So war mir der Gedanke, mich mit einer Regierung anzulegen, nicht so ganz neu, als ich Schwierigkeiten mit der Food and Drug Administration bekam,“ erklärte er. In den Jahren nachdem die Kommunisten das Haus seiner Familie beschlagnahmt hatten, musste der junge Burzynski fast jeden Tag kämpfen. Er besuchte eine erstklassige Grundschule – es handelte sich um ein Lehrinstitut der örtlichen pädagogischen Hochschule. Aber die Kinder kamen sowohl aus reichen als auch aus armen Familien. „In der Schule herrschte ein ständiger Klassenkampf. Und zuhause wurde die Mädchenschuhle, die meine Großmutter betrieben hatte, plötzlich in eine Schule für geistig behinderte Kinder umgewandelt. In den Höfen des 95
Hauses lungerten ständig Betrunkene herum, und es gab Schlägereien. Praktisch jeden Tag musste ich mich in der Schule oder in unserem eigenen Hinterhof verteidigen. In jeder Pause gab es ständig Schlägereien, und dies ging so während des gesamten vierten Schuljahres.“ Für Burzynski waren diese Schlägereien alles andere als ein Spaß. Aber die Entschlossenheit, sich niemals geschlagen geben zu dürfen, behielt er auch noch als Erwachsener. Bevor im Januar 1997 sein Prozess begann, hatte er mehrmals die Gelegenheit, seine Klinik und die Produktion seiner Antineoplastone nach Mexiko zu verlagern. Damit wäre er dem ständigen Ärger aus dem Weg gegangen. „Aber ich wollte vor diesen Leuten nicht kapitulieren. Wenn ich gewinne, dann richtig“, sagte er. Diese Grundeinstellung entwickelte sich auch durch das Vorbild seines älteren Bruders, der im Widerstand kämpfte. „Die letzte Schlacht, die Zygmunt schlug, fand 1948 im Wald in der Nähe von Lublin statt“, sagte er. „Er bekam einen Schuss in den Hals und starb sehr bald danach an Meningitis. Gegen Menschen in Machtpositionen zu kämpfen, wurde mir irgendwie zur zweiten Natur. Ich lernte, mich niemals von ihnen besiegen zu lassen.“ Aber der kleine Stanislaw, der inzwischen den Spitznamen Stash bekommen hatte, war wissbegieriger als sein Bruder. Seine größten Schlachten fanden im Labor, im Gerichtssaal und auf den Seiten wissenschaftlicher Zeitschriften statt, nicht in Wäldern oder auf dem offenen Feld. Die Schlägereien, die der junge Burzynski durchzustehen hatte, fanden ein Ende, als er das Lyceum Zamoyski, die beste höhere Bildungsanstalt Lublins, absolvierte und direkt an die medizinische Fakultät der Universität ging, Das ist der übliche Bildungsweg in Europa. Dort beschäftigte er sich schon bald mit medizinischer Forschung und arbeitete als Assistent für den Chemieprofessor Krzeczkowski und die Biochemikerin Janina Blaut. Er entwickelte dabei ein ganz besonderes Interesse für Peptide - Chemikalien, die aus Aminosäuren bestehen, die im menschlichen und tierischen Blut und Urin auftreten.
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Beide Professoren führten Experimente mit Chromatographie durch, einer Technik, bei der man Moleküle trennt und ihren besonderen Aufbau analysiert. „Es war eine besondere Kunst, das richtig zu machen“, sagte Burzynski. „Wenn man Aminosäuren analysiert, bekommt man dabei Streifen, die so ähnlich aussehen wie der Strichcode auf einem Kassenzettel. Jeder Streifen repräsentiert eine Aminosäure. Wenn man 20 Aminosäuren mischt und den Prozess korrekt durchführt, erhält man 20 Streifen.“ In den nächsten Monaten analysierte Burzynski die Aminosäuren in organischen Flüssigkeiten. Er fing an mit den Peptiden aus Pilzen, die er während seiner Spaziergänge in seinen geliebten Stary Las-Wald fand. „Das war ganz wunderbar“, erinnerte er sich noch Jahre später. „Ich ging in den Wald und fand verschiedene Arten von Pilzen. Dann analysierte ich den Prozess, mit dem die Pilze die verschiedenen Peptide erzeugen. Es war ein ausgezeichnetes Training. Mein Professor hoffte, dass wir das, was wir dadurch lernten, für die Entwicklung neuer Pilze für die Landwirtschaft nutzen könnten. Ich fand einige Pilze mit hochgiftigen Peptiden, aber einige von ihnen hatten auch eine sehr starke antibakterielle Wirkung. Ich wollte sie entgiften, um herauszufinden, ob man sie als Antibiotika nutzen könnte. Aber dies hätte sehr viel mehr Pilze erfordert, als ich im Wald finden konnte, und dazu noch eine Menge Geld. Und Geld hatten wir nicht. Also fing ich an, mich für andere Peptide zu interessieren.“ Von den Pilzen ging der junge Forscher dann zu Blut- und Urinproben über. Wieder versuchte er herauszufinden, wie verschiedene Individuen unterschiedliche Chemikalien produzieren. Wenn man zum Beispiel Blut analysiert, kann man seine Streifen mit den Streifen aus anderen Laborproben vergleichen, die man bereits identifiziert hat. Und je nach der Intensität des Streifens kann man erkennen, wie viel von jeder Komponente vorhanden ist,“ sagte er. Burzynski fing an, Papierchromotographie einzusetzen, bei der die Streifen auf einem Spezialpapier aufgezeichnet werden. Später variierte er diese Technik. Er benutzte Glasplättchen oder Teströhrchen an Stelle von Papier. 97
Schon bald erhielt er Streifen, die weder er noch irgendjemand sonst identifizieren konnte. Sie erschienen bei der Analyse von Blut. In den vierziger Jahren berichteten bereits englische Forscher darüber. Viele dieser Streifen tauchten auch auf, wenn Urin analysiert wurde. „Es handelte sich nicht um Aminosäuren, aber niemand hatte sich die Mühe gemacht, sie zu identifizieren. Niemand kümmerte sich darum, worum es sich dabei wirklich handelte,“ bemerkte Burzynski. Seine Neugier war geweckt und wurde immer stärker, als er sich 1967 darauf vorbereitete, seine Doktorarbeit zu schreiben. Zuerst wollte er dabei die Aminosäuren gesunder Personen mit denen von Menschen mit Nierenkrankheiten vergleichen. Die Dissertation, die er 1968 abschloss, nimmt mit ihrem grünen Ledereinband immer noch einen prominenten Platz auf einem Regal neben Burzynskis schwerem Mahagonischreibtisch ein. Sie steht unter einem großen Bild vom Mount Everest, das er immer vor sich sieht, wenn er an seinem Schreibtisch sitzt. Und das Thema ist für ihn immer noch so faszinierend wie 1968. „Ich brauchte ein interessantes Thema für meine Doktorarbeit“, erinnerte er sich. „Und da waren diese nicht identifizierten Streifen, die mich ständig anstarrten. Also nahm ich das Thema der Aminosäuren und der Nierenkrankheiten auf, um zu sehen, ob das Blut und der Urin von Nierenpatienten dieselben Streifen produzieren würden wie die anderer Personen.“ Aber er musste die Streifen irgendwie identifizieren. „Ich dachte, dass man mich bei meiner mündlichen Prüfung danach fragen würde, wenn ich meine These vor den Professoren vertreten müsste. Wenn sie deine These widerlegen, dann bekommt man keinen Doktortitel. Und den wollte ich unbedingt!“ Bald stellte Burzynski fest, dass die geheimnisvollen Streifen ein Hinweis auf Peptide irgendwelcher Art waren. Diese Chemikalien, von denen einige auch als Phenylazetate bekannt sind, werden aus komplexen Kombinationen von Aminosäuren gebildet. Je länger Burzynski die nicht identifizierten Streifen analysierte, desto komplexer und verwirrender schienen sie zu werden. „Ich fand ziemlich schnell heraus, dass diese Streifen nicht homogen waren“, sagte Burzynski. „Bei gerade mal 98
drei Flecken, die ich während meiner Doktorarbeit untersuchte, fand ich mehr als 39 verschiedene Peptide. Ich wusste, dass es sich um Peptide handelte, denn als ich sie weiter aufschlüsselte, stellten sich die Komponenten als Aminosäuren heraus. Und ich wusste, dass es noch mehr Peptide zu identifizieren gab, wenn ich mich noch intensiver damit beschäftigen würde.“ Für Burzynski war dies eine sehr aufwändige und schwierige Aufgabe, die viele Monate lang keinen einzigen Hinweis auf ihre letztendliche potentielle Bedeutung lieferte. Später erfuhr er, dass eine der 39 geheimnisvollen Chemikalien, die er untersuchte, bereits als Teil eines Forschungsprojektes von einem Team an der Rockefeller Universität untersucht worden war, womit neue Formen einer Chromotographie entwickelt wurden, und das dem Team einen Nobelpreis einbrachte. Die Substanz bestand weitgehend aus den Chemikalien Phenylazetat und Glutamin, auch als Phenylazetatglutamin (PG) bekannt. „All meine Tests mit diesen Substanzen waren chromatographisch“, erinnert sich Burzynski. „In Polen verfügten wir über ausgezeichnete Geräte für einige dieser Tests. Aber wir hatten Schwierigkeiten, die chemischen Reagenzien zu bekommen, die wir für diese Arbeit benötigten. Wenn wir zum Beispiel Dansylchlorid brauchten, musste es von Merck Pharmaceuticals geliefert werden. Das hieß, dass es aus dem Westen kommen musste, und wir hatten stets Schwierigkeiten, etwas aus dem Westen zu bekommen.“ Während er mit den im Labor zur Verfügung stehenden Möglichkeiten arbeitete, begann Burzynski allmählich Muster zu erkennen. Er glaubte, dass er nach Amerika gehen müsste, um eine reelle Chance zu haben, die Substanzen, die er zu analysieren versuchte, zu identifizieren. „Ich stellte mir vor, dass ich nach Amerika gehen würde, um weiter Forschungen zu betreiben und dann nach Polen zurückkehre. Ich hatte eigentlich nicht erwartet, in den USA zu bleiben“, erklärte Burzynski. Denn trotz der repressiven Zustände in seinem Land, der Enteignung seiner Familie und der Schwierigkeiten, Laborausrüstungen zu bekommen, fühlte sich Burzynski immer noch wohl in seiner Heimat. 99
„Die Forschungsarbeit in Polen ist eine wunderbare Sache“, sagte er. „Niemand hat sich je in meine Arbeit eingemischt. Die Politiker waren niemals an Wissenschaft interessiert, solange sie von ihr nicht bedroht wurden. Und ich hatte auch die volle Unterstützung durch meine Lehrer.“ Einige Monate, nachdem er sich ernsthaft dazu entschlossen hatte, die unbekannten Streifen zu untersuchen, beobachtete Burzynski, dass einige von ihnen anscheinend weniger häufig auftauchten, wenn er Blutund Urinproben von Krebspatienten untersuchte. „Um das zu bestätigen, sammelte ich Proben von vielen Krebspatienten und auch von vielen anderen, die ins Krankenhaus kamen, das der medizinischen Fakultät angeschlossen war“, sagte er. Ein weiteres Ergebnis, das er jedoch niemals weiter verfolgte, war, dass das Blut und der Urin von Patienten mit einer primären Nierenkrankheit – Personen also, deren Nieren beschädigt waren, dies jedoch nicht mit anderen Krankheiten zusammenhing – abnorm hohe Mengen der unbekannten Peptide aufwiesen. „Wir stellten fest, dass ein Peptid sich bei Patienten mit einer primären Nierenkrankheit sehr stark akkumuliert“, fügte er hinzu. Dieses Ergebnis sollte sich über 25 Jahre später als sehr interessant erweisen. Forscher an der Johns Hopkins Universität und anderen Instituten fanden damals sowohl das Gen als auch den Mechanismus, der die polyzystische Nierenkrankheit (PKD) auslöst. Diese Krankheit, von der etwa 60.000 Amerikaner betroffen sind, sorgt dafür, dass sich mit Flüssigkeit gefüllte Zysten in ansonsten vollkommen gesunden Nieren bilden. Die Zysten erweitern sich in einem Tempo, das von Person zu Person variiert. Während sie wachsen, ersetzen sie gesundes Gewebe. Und schließlich sehen die Nieren aus wie große Blöcke aus blutigem Schweizer Käse. Als er zum ersten Mal feststellte, dass Krebskranke einen Mangel an den Peptiden aufwiesen, die er untersuchte, wussten er und andere Forscher bereits, dass Krebstumore wachsen, weil ihre Zellen sich vermehren ohne abzusterben, wie es die meisten normalen Zellen tun, nachdem sie sich geteilt haben. Burzynski stellte die Theorie auf, dass die Substan100
zen, die er untersuchte, möglicherweise einer der Faktoren sein könnten, die den Prozess des normalen Zelltodes auslösen, der als Apoptose bekannt ist. Jahrzehnte später, im Jahre 1994, entdeckten andere Forscher, dass sich die Zysten bei PDK-Patienten durch den Prozess der Apoptose erweitern. Sie stellten fest, dass normale Zellen sterben, ohne sich zu replizieren, und dass die Lücken, die sie hinterlassen, durch Flüssigkeit gefüllt werden, wodurch sich Zysten bilden, die durch Berührung oder durch Ultraschall leicht zu entdecken sind. Wenn Burzynski recht hat, können dieselben Substanzen, deren Abwesenheit es den Krebstumoren ermöglicht, unkontrolliert zu wachsen, den Tod von Nierenzellen fördern, wenn sie in übermäßigen Mengen vorhanden sind. Diese Schlussfolgerung, sagte Burzynski, ist logisch angesichts seiner früheren Feststellung, dass sich PG „in spektakulärem Maße in Patienten mit Nierenversagen ansammelt“, Zu der Zeit war sich Burzynski ebenfalls darüber klar, dass Zygmunt Hanicki, der Dekan der medizinischen Fakultät in Krakau, festgestellt hatte, dass Patienten mit primären Nierenkrankheiten wie PDK nur sehr selten an Krebs leiden. Das ist ein Ergebnis, das bisher noch niemand versucht hat zu bestätigen, aber Burzynski sagte, dass es ein Hinweis darauf war, dass „es einen Zusammenhang zwischen Nierenausfall, Krebs und diesen Streifen gab, die er entdeckt hatte. Es erweckte meine Neugier in Bezug auf diese Peptide und Krebs, und ich wollte das genauer untersuchen.“ Gerade als Burzynski zu diesen Schlussfolgerungen gekommen war, mischte sich die Politik ein. Er war eine der beiden jüngsten Personen in Polen, die sowohl einen Dr. med. als auch einen Dr. phil. besaßen, und die kommunistische Partei wollte ihn unbedingt rekrutieren. Sie versprach ihm Sicherheit durch eine feste Anstellung an einer angesehenen Universität, falls er einwilligte. Aber er konnte nicht vergessen, dass dieselben Kommunisten, die ihn jetzt anwerben wollten, für den Tod seines Bruders Zygmunt verantwortlich waren. Und er verzieh der Regierung nicht, dass sie das Haus seiner Mutter beschlagnahmt, in einen 101
Kaninchenstall mit winzigen Zimmern verwandelt und Menschen überlassen hatte, die er als Eindringlinge betrachtete. Der Arzt ließ sich nicht zur Mitarbeit bewegen. „Ich wusste auch, dass die Regierung zu der Zeit versuchte, die polnische Wissenschaft zu unterdrücken, zumindest wenn sie der kommunistischen Ideologie in irgendeiner Weise widersprach. Die Kommunisten wollten ein willfähriges Volk, in dem niemand unabhängige Gedanken und Ideen hatte. Letztendlich hatten sie die Mittel- und Oberklasse in Polen ausgelöscht. „Aber die Ironie an der Sache war, dass sie gleichzeitig versuchte zu verhindern, dass die Menschen ausreisten. Eine Ausreisegenehmigung zu bekommen, war so gut wie unmöglich.“ Burzynskis Weigerung, in die Partei einzutreten, brachte ihm den Ruf eines unabhängigen bzw. widerspenstigen Denkers ein. Er gehörte also zu jener Sorte von Menschen, auf die die polnischen Behörden überhaupt nicht gut zu sprechen waren. Und wie sie es bei vielen Dissidenten und Freidenkern taten, versuchten sie auch ihn zu neutralisieren, indem sie ihn in die Armee steckten. Am 4. September 1970 erhielt er seine Einberufung. Hier trat Marian Mazur auf den Plan, ein Mitglied der polnischen Akademie der Wissenschaften, das als der „Vater der polnischen Kybernetik“ bekannt war. Mazur hatte begonnen, sich für die Forschungen des jungen Burzynski zu interessieren, von denen er wusste, dass sie abrupt enden würden, falls man ihn zur Armee verpflichtete und nach Nordvietnam schickte, um den Vietkong zu unterstützen - ein Schicksal, das viele polnische Ärzte teilten. Burzynski ist sich immer noch nicht sicher, aber er glaubt, dass es ein Telefonanruf des einflussreichen Mazur beim polnischen Außenministerium war, der ihm die Ausreise ermöglichte. Er verließ Polen weniger als eine Woche, nachdem er seinen Pass erhielt. Und er reiste keinen Augenblick zu früh ab. Nur Stunden, nachdem sein Flugzeug von Warschau aus in Richtung New York gestartet war, stürmte die Militärpolizei Burzynskis Wohnung in der ehemaligen Villa seiner Familie, um ihn abzuführen und einzusperren. Burzynski sollte für einige Jahrzehnte nicht mehr nach Polen zurückkehren. 102
Am 4. September 1970 traf er auf dem New Yorker John F. Kennedy Flughafen ein, genau an dem Tag, an dem er sich eigentlich zur Armee melden sollte. Er hatte nur 29 Dollar bei sich sowie die chromatographischen Unterlagen von den 39 Peptiden, die er zusammengestellt hatte. Er gab 13 Dollar für eine Taxifahrt zur Wohnung eines Onkels aus, der in der Bronx lebte. „Dann, nur wenige Tage später, erhielt ich eine Benachrichtigung von der medizinischen Fakultät in Lublin. Ich war aus meiner Stellung als Forschungsassistent entlassen worden.“ In derselben Mitteilung stand ebenfalls, dass er auch keine Position mehr in der medizinischen Fakultät Lublins oder in irgendeiner anderen Fakultät Polens erhalten würde. „Jetzt konnte ich unter keinen Umständen mehr zurückkehren. Also suchte ich mir eine Anstellung in den Vereinigten Staaten.“ Mit seinem ersten Vorstellungsgespräch im Baylor College of Medicine in Houston hatte er sofort Erfolg. „Zu der Zeit arbeitete ein Wissenschaftler namens Georges Ungar an der Fakultät für Anästhesiologie der Universität an Gehirnpeptiden“, sagte Burzynski. „Die Anästhesiologie verfügte damals über ziemliche große Mittel, besonders Baylor. Es war die Piononierzeit der Herztransplantationen, und Michael DeBakey und Denton Cooley, zwei der Pioniere, arbeiteten beide an diesem College. Sie verfügten über enorme Mengen an Forschungszuschüssen, von denen ein Teil an die Anästhesiologie ging. Ungar und sein Fakultätsleiter glaubten beide, dass Peptide einen Einfluss auf die Übertragung von Erinnerungen hätten, und ich hielt dies für ein sehr faszinierendes Projekt.“ Und was besonders wichtig war: Ungar stellte Burzynski ein Labor zur Verfügung, um seine eigene Forschung mit Peptiden fortzusetzen.
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DIE GESCHICHTE VON THERESA KENNETT
Wie soll denn das eine spontane Remission gewesen sein? Wir haben die Biopsie des Lymphknotens noch einmal überprüft und bestätigen die Diagnose eines malignen Lymphoms, follikular … Die vorliegende Biopsie des Knochenmarks zeigt, dass ein malignes Lymphom vorhanden ist. - Aus dem Text eines Pathologieberichts vom Stanford University Hospital über Theresa Kennett vom 9. August 1984.
Zwölf Jahre nachdem dieser schreckliche Bericht ihre schlimmsten Befürchtungen in Bezug auf die große Geschwulst in ihrem Unterleib bestätigte, die sie jedes Mal fühlte, wenn sie ihren Bauch berührte, ist Theresa Kennett jetzt seit mehr als sieben Jahren vollkommen frei von Krebs. Aber nie in ihrem Leben ist bei ihr eine einzige Bestrahlung durchgeführt worden, und sie bekam nicht einem einzigen Tropfen der konventionellen Chemotherapie. Nur wenige Krebspatienten waren jemals so fest entschlossen zu überleben wie Theresa, die 35 Jahre alt war, als ihre Diagnose im August 1984 vom Krankenhaus in Stanford bestätigt wurde. Kein Arzt konnte ihr jemals versichern, dass eine konventionelle Behandlung ihr helfen oder sie heilen würde. Also stand es ihr frei, sich für jede alternative Therapie zu entscheiden, die es gab. Der Zeitpunkt ihrer Krankheit hätte nicht ungünstiger sein können. Der Sommer 1984 hätte der glücklichste in ihrem Leben werden können, und für einige Zeit war er es auch. Sie hatte einen interessanten und sicheren Beruf, einen liebenden Ehemann, und ihre Tochter Zia war gerade erst zur Welt gekommen. Theresa, die aus San Francisco stammt und die Offenheit und Verschiedenartigkeit ihrer Stadt in vollen Zügen genießt, hatte sieben Jahre lang für ein privat finanziertes Zentrum für Konfliktlösung, das Community Boards Program, gearbeitet. Als örtliche Koordinatorin für den Bezirk Bernal Heights bildete die Absolven104
tin der San Francisco State University Freiwillige aus, Streitigkeiten zwischen Nachbarn zu schlichten, zum Beispiel wegen Lärmbelästigung bei Grundstücksfragen oder zahlreichen anderen Problemen. „Ich habe diese Aufgabe wirklich sehr gern ausgeführt, weil ich es genoss, all diese verschiedenen Leute zusammenzubringen“, sagte sie. „Es war eine große Genugtuung, dazu beizutragen, diese Stadt zu einem besseren Ort zu machen.“ Sie und ihr Gatte, David Butterfield, der Fotograf bei einer Zeitung war, waren sich zehn Jahre lang nicht darüber klar gewesen, ob sie wirklich ein Kind wollten. Aber als sie schließlich schwanger wurde, hatte sie das Gefühl, dass ihr eine Riesenlast von den Schultern gefallen wäre. „Es war eine unglaubliche Erleichterung, und die Schwangerschaft verlief vollkommen problemlos,“ erinnerte sie sich. „Ich war gern schwanger. Und als mein Baby dann zur Welt kam, bestand ein unmittelbares Band zwischen uns, das ich so nie zuvor empfunden hatte.“ Zia kam daheim zur Welt, mit Hilfe einer Hebamme. Im toleranten San Francisco ist das nicht ungewöhnlich. Aber Theresas Freude über die Geburt ihrer Tochter sollte nicht lange andauern. Einige Tage später besuchte sie ihre Hebamme zur Nachuntersuchung. Die Hebamme tastete ihren Unterleib ab und entdeckte eine ziemlich große Geschwulst. Ihr erster Gedanke war, dass es sich wahrscheinlich um ein Hämatom handeln könnte, eine ziemlich große Geschwulst aus teilweise geronnenem Blut, die sich in wenigen Wochen wieder auflösen würde.Theresa war etwas besorgt, wartete aber erst einmal ab. Als die Geschwulst sich nach zwei Wochen immer noch nicht aufgelöst hatte, ging sie zu dem Arzt, der sie untersucht hatte, bevor sie schwanger wurde. Zu der Zeit hatte sie ihm gesagt, dass sie abwechselnd unter Verstopfung und Durchfall leiden würde, und dass das bereits seit einigen Monaten andauern würde. „Machen Sie sich keine Sorgen“, hatte ihr der Arzt damals gesagt. „Es ist wahrscheinlich nur Stress durch Ihren Beruf.“ Als er sie jetzt erneut untersuchte und die Geschwulst feststellte, verwies er sie unverzüglich an einen Chirurgen. „Ich kam damals überhaupt nicht auf den Gedanken, dass es Krebs sein könnte“, sagte Theresa. 105
„Aber ich muss zugeben, dass ich schon ein wenig nervös war.“ Eine Woche später, im Juli 1984, ging sie zu dem Chirurgen. Er machte sofort eine Computertomographie, um festzustellen, um was für eine Art Geschwulst es sich handelte. „Ich erinnere mich noch, dass ich im Erdgeschoss des St. Mary's Hospital saß und nervös auf das Ergebnis der Untersuchung wartete,“ sagte sie. „Meine Brüste waren voller Milch, und ich wollte unbedingt nach Hause, um Zia zu stillen.“ Aber sie sollte nirgendwo hingehen. Kurz darauf erschien der Chirurg aus einem Hinterzimmer und überbrachte ihr die schlechte Nachricht: „Ich fürchte, Sie haben Krebs“, erzählte er ihr ohne Umschweife. „Der erste Gedanke, der mir kam, war: „Mein Gott, ich muss doch für Zia da sein. Ich kann doch jetzt nicht sterben!“ Wenige Augenblicke später betrat ihr Hausarzt das Zimmer, umarmte sie und versuchte sie zu trösten. Aber weder er noch der Chirurg konnte ihr sagen, wie es nun weitergehen würde. Sie sagten ihr lediglich, dass sie eine Biopsie der Geschwulst durchführen würden. Schon am nächsten Tag wurde Theresa als Patientin ins St. Mary's Hospital eingewiesen. Ihre Mutter, ihr Stiefvater, ihr leiblicher Vater und ihre Großmutter kamen alle aus Südkalifornien ausgereist, um an ihrer Seite zu sein. Auch ihre Schwester, die ganz in der Nähe wohnte, kam. „Ich erinnere mich noch, dass mein Stiefvater meine Hand hielt. Ich wusste, dass sie alle glaubten, dass ich nun sterben müsste, obwohl niemand von ihnen etwas sagte. Und eigentlich glaubte ich selbst auch, dass ich sterben müsste.“ Theresa wurde bald darauf operiert. Ihre Ärzte stellten fest, dass der Krebs sich auf ihre Milz, sämtliche Lymphdrüsen im Unterleib und auf ihr Knochenmark ausgebreitet hatte. Das wurde später durch die Pathologen aus dem nahegelegenen Stanford University Medical Center bestätigt. „Sie entfernten bei der Operation lediglich einen Lymphknoten“, sagte sie. „Sie wollten eigentlich auch die Milz entfernen, weil sie dachten, dass der große Tumor darin stecken würde. Aber als sie feststellten, wie weit sich der Krebs ausgebreitet hatte, sahen sie darin keinen Sinn mehr.“ 106
Nach der diagnostischen Operation sagte ihr der Hausarzt: „Es ist schade, dass Sie diese Art von Lymphom haben. Wenn es der schnell wachsende Typ wäre, dann könnten wir sehr viel für Sie tun. Aber hier haben wir es mit dem langsam wachsenden Typ zu tun, der auf eine Behandlung nicht sehr gut anspricht.“ Aber dies alles hatte auch eine positive Seite. Da ihr Lymphom von der langsam wachsenden Sorte war, hatte sie genug Zeit, um sich nach einer geeigneten Behandlung umzusehen. Nun traf Theresa ihren ersten Onkologen. Er betrat ihr Krankenzimmer und sagte ihr, dass sie mit der Chemotherapie beginnen würden, sobald sie sich etwas erholt hätte. Am schlimmsten für die junge Mutter war, dass er ihr sagte, dass sie wegen der bevorstehenden Chemotherapie sofort aufhören müsse, ihr Baby zu stillen. Theresa erholte sich sehr schnell von der Operation, und ihre ständigen Ausflüge auf den Gängen des Krankenhaus trieben die gutmütigen Schwestern, die ihre Fortschritte beobachten sollten, schier zur Verzweiflung. Als sie sich etwas erholt hatte, beschloss sie, die Chemotherapie zu verschieben und zuerst eine zweite Meinung im angesehenen Stanford Hospital einzuholen. Weniger als zwei Wochen nach ihrer diagnostischen Operation sprach sie mit einem der dortigen Onkologen, Norman Rosenberg, der ihr zwei Möglichkeiten anbot. Die eine war, absolut nichts zu tun und abzuwarten, wie sich die Krankheit weiter entwickeln würde. Das heißt, man würde einfach nur beobachten, ob sich der Krebs schneller ausbreiten würde. Die andere Möglichkeit wäre, die Art von Chemotherapie durchzuführen, die vom St. Mary's Hospital vorgeschlagen worden war, und bei der auch die sehr giftigen Wirkstoffe Zytoxan und Vincristin eingesetzt würden. Zu den potentiellen Nebenwirkungen dieser Medikamente gehören Lähmungserscheinungen, Nervenschäden, starke Verstopfung, Übelkeit, dunkle Haut und Nägel sowie Ausfall der Periode. Wenn sie sich für die Chemotherapie entscheiden würde, dann hätte sie auch die Wahl zwischen einer hohen Dosis, die man ihr intravenös verabreichen würde, und einer geringen Dosis über einen längeren Zeitraum hinweg. 107
„Sie machten mich darauf aufmerksam, dass mein Lymphom jederzeit schneller wachsen oder auch für längere Zeit unverändert bleiben könnte. „Falls es schneller wachsen würde, sagten sie mir, hätte ich höchstens noch ein Jahr zu leben. Sie empfahlen mir nicht direkt eine dieser Möglichkeiten, sondern boten sie mir nur an. Also entschied ich mich, erst einmal gar nichts zu tun und mich einmal pro Monat in Stanford untersuchen zu lassen.“ Das tat sie dann sechs Monate lang. Sie beobachtete, wie ihr größter Tumor, der sich hinter ihrer Milz befand, zuerst sehr schnell wuchs und dann langsamer. Ihr Bauch war jetzt so aufgebläht, als ob sie im sechsten Monat schwanger wäre. Aber sie wollte nicht passiv bleiben. Dazu war ihr Überlebenswille einfach zu stark. Während sie sich regelmäßig in Stanford untersuchen ließ, begann sie sich nach alternativen Behandlungsmöglichkeiten umzusehen. Die erste und am wenigsten invasive Methode, die sie ausprobierte, war Visualisierung. „Ich traf eine Frau, die behauptete, dass sie ihren Leberkrebs allein durch Visualisierung geheilt hätte“, erinnerte sie sich. „Sie schloss dabei Stundenlang ihre Augen und stellte sich den Tumor als endlos lange Spaghetti vor, die sie dann aus ihrer Leber herauszog. Also fing ich sofort mit der Visualisierung an.“ Das nützte aber nicht sehr viel. Wiederholt durchgeführte Röntgenaufnahmen zeigten, dass ihre Tumore immer noch langsam wuchsen. Aber Theresa wollte mit Stanford und dem St. Mary's Hospital so wenig wie möglich zu tun haben. „Ich sehe jetzt, dass ich mich allmählich von der konventionellen Chemotherapie distanzierte“, sagte sie. „Das lag zum Teil an der Atmosphäre. Die allgemeine Stimmung in Stanford war so niederdrückend, dass ich damit nichts mehr zu tun haben wollte. Außerdem sagte man mir ständig, dass die Chemotherapie meinen Tumor nur vorübergehend reduzieren würde. Und ich dachte auch, dass ich ein funktionierendes Immunsystem bräuchte, und dass die Chemotherapie jede Hoffnung zerstören würde. Ich sah ja, wie andere Patienten aus der Chemotherapie kamen. Sie sahen total krank aus. Sie konnten nicht mehr viel essen, und sie fühlten sich die ganze Zeit einfach elend.“ 108
Theresa war schon bald gezwungen, ihren Beruf aufzugeben. „Ich dachte, dass ich nicht mehr lange zu leben hätte. Und die kurze Zeit, die mir noch blieb, wollte ich mit meiner Tochter verbringen.“ Aber sie setzte ihre Suche nach einer alternativen Therapie fort. Sie fuhr für drei Wochen nach Tijuana in Mexiko, wo sie in einer Krebsklinik wohnte und ausschließlich von Karotten, roter Beete und Gemüsesäften lebte. Sie versuchte es mit einer makrobiotischen Diät, die aus Seetang, Wurzelgemüse, Adzukibohnen und Wurzelgemüse wie Süßkartoffeln, bestand. Sie machte eine Ozontherapie mit und bekam intravenös normales atmosphärisches Gas gespritzt. „Es war fast so, als ob man mich aufpumpte“, lachte sie. Sie hatte Laetril und hohe Dosen von Vitamin A, E und C versucht. Von Vitamin A hatte sie einmal eine Überdosis genommen. Das Ergebnis war Übelkeit, Schmerzen in der Leber und Ohrengeräusche gewesen. Ihre Haut war gelb geworden und hatte sich abgeschält. Sie hatte trockene Augen und einen trockenen Mund. Das waren alles klassische Symptome einer extremen Überdosis an Vitamin A, von denen Forscher behaupten, dass es eine effektive Behandlung gegen einige Arten von Leukämie sein kann, aber nutzlos bei allen anderen Arten von Krebs wäre. „Nichts von all dem änderte irgendetwas an meinem Tumoren. Wie man aus den Röntgenbildern erkennen konnte, die ich aus Stanford bekam, wurden sie immer noch langsam größer,“ sagte Therese. „Nach einer Weile schaute ich sie also einfach nicht mehr an. Ich wollte davon nichts mehr wissen. Und ich wollte auch keinen konventionellen Arzt mehr, obwohl ich vier Wochen brauchte, um mich von der Überdosis an Vitamin zu erholen. Ich war damals sehr stur und wahrscheinlich auch ziemlich dumm und unbesonnen.“ Mehr als zwei Jahre, nachdem man bei ihr Krebs diagnostiziert hatte und ihr Bauch immer noch stark angeschwollen war, traf sie schließlich eine Ernährungsberaterin in Oregon, die Dr. Stanislaw Burzynski kannte und über dessen Erfolge mit den Antineoplastonen Bescheid wusste. „Ich rief also von Oregon aus die Klinik von Burzynski an, und nachdem ich meinen Fall beschrieben hatte, sagten sie, dass sie mich aufnehmen würden. Ich ließ mir von ihnen die Telefonnummern einiger 109
anderer Patienten geben und rief diese dann auch gleich an. Und dass was sie mir dann erzählten, war so überzeugend, dass ich gleich ins nächste Flugzeug stieg.“ Nach all ihren nutzlosen Versuchen, die sie bisher unternommen hatte, waren Theresas Erwartungen nicht besonders hoch, als sie in Houston eintraf. Was sie erwartet hatte, war eine kleine heruntergekommene Klinik mit schmutzigen Geräten und halb ausgebildeten Mitarbeitern. Diese Zustände herrschten in fast allen Kliniken für alternative Behandlung, in denen sie bisher gewesen war. Aber sie sollte angenehm überrascht werden. „Donnerwetter, das war vielleicht ein Unterschied!“, erinnerte sich Theresa. Diese Klinik war bei weitem professioneller als alles, was ich bisher gesehen hatte. In Mexiko herrscht immer so eine Atmosphäre von Furcht und Geheimnistuerei. Hier jedoch war alles offen. Als Erstes erklärte ihr Burzynski die chemische Zusammensetzung der Antineoplastone. Er erklärte mir ganz genau, wie die Behandlung ablaufen würde. Aber er versprach mir keine schnelle und wundersame Heilung, so wie es Jimmy Keller getan hatte, bevor er mir in Tijuana die Gemüsesäfte und die DMSO-Injektionen gab. Burzynski sagte mir nicht einmal, wie lange es dauerte, bis die Medizin wirken würde.“ Theresa fing also mit der Behandlung mit Antineoplastonen an. Sie nahm täglich 21 große Kapseln ein. „Das war nicht besonders schwierig. Nicht nach den Dingen, die ich bisher ausprobiert hatte. Burzynski sagte mir, dass ich mich bei dieser Behandlung nicht unwohl fühlen würde, weil alle Wirkstoffe, die ich einnahm, natürlich im Körper vorkommen. Er sagte wenig über Nebenwirkungen, und er erklärte, dass die Antineoplastone anscheinend die Replikation der Krebszellen blockieren. Das klang für mich sehr natürlich.“ Im Dezember 1986, nachdem ihre Tumore seit ihrer ursprünglichen Diagnose fast zweieinhalb Jahre zuvor ständig größer geworden waren, trug sie einen großen Beutel mit Antineoplaston-Kapseln heim nach San Francisco. „Ich nahm beide Sorten mit, A 10 und AS2-1“, sagte sie. „Ich war Monatelang erschöpft und ständig müde und ohne Energie. Und ich 110
erinnere mich noch an den Tag, als ich zum ersten Mal dieses Mittel nahm. Ich kam von einer Besorgung zurück und war erstaunt festzustellen, dass ich überhaupt nicht müde war. Ich erinnere mich noch so genau daran, weil jetzt alles so total anders war als früher. Es schien ein Wunder zu sein. Ich kann also mit Recht behaupten, dass die Antineoplastone bei mir sofort eine starke Wirkung hatten.“ Und Theresa machte noch auf eine andere wichtige Tatsache aufmerksam: Über Geld wurde nie gesprochen. Während Burzynski den Patienten normalerweise etwa 340 Euro pro Tag berechnet, nahm er von ihr so gut wie nichts. „Die Ernährungsberaterin in Oregon, die mich zu ihm schickte, sagte mir, dass er ziemlich teuer wäre“, erinnerte sich Kennett. „Aber ich sagte ihr, dass Dave und ich finanziell ziemlich klamm wären, und sie schlug vor, Burzynski zu sagen, dass ich niemals eine Chemotherapie oder Bestrahlung mitgemacht hatte.“ Das war für Burzynski sehr wichtig, denn Kritiker seiner Behandlungsmethoden hatten behauptet, dass seine angeblichen Behandlungserfolge darauf zurückzuführen seien, dass die Patienten verspätet auf eine frühere Chemotherapie oder Bestrahlungsbehandlung reagieren würden. Und das konnte man von Theresa ja nun wirklich nicht behaupten. Sie erzählte Burzynski ihre gesamte Geschichte und verheimlichte auch nicht ihre finanziellen Schwierigkeiten. Er behandelte sie trotzdem. Seine Klinik schickte ihr monatliche Rechnungen, bestand aber niemals auf deren Bezahlung. „Ich zahlte was ich konnte, und sie belästigten mich niemals“, sagte Theresa. 1986 nahm sie den ganzen Sommer über die Antineoplaston-Kapseln. Dann ließ sie eine neue Computertomographie machen, so wie Burzynski es vorgeschlagen hatte. „An den Tumoren änderte sich nichts, auch wenn sich meine Lebensqualität deutlich besserte“, sagte sie. Für Burzynski war das ein Zeichen, dass ihre Antineoplaston-Dosis erhöht werden musste, und das konnte nur intravenös erfolgen. Das wäre für sie ein wenig unangenehm, aber sie stimmte zu. „Ich wollte diese Behandlung konsequent durchziehen. Sie war ja die einzige, die bei mir funktioniert hatte. Und er war der erste Arzt, zu dem ich Vertrauen hatte. Und 111
selbst wenn er mich nicht heilen würde, würde ich dabei bleiben, denn diese Behandlung gab mir Energie und hatte zum ersten Mal meine Lebensqualität verbessert, seit meine Tochter zur Welt gekommen war. Aber ich wollte natürlich immer noch die Tumore loswerden.“ Also fing sie mit der intravenösen Infusion an. Das war für sie nicht besonders leicht, denn schließlich hatte sie ja zwei Jahre lang jede Bestrahlung oder Chemotherapie abgelehnt. „Ich wurde ziemlich nervös bei dem Gedanken, für längere Zeit ständig mit einen Katheter in meiner Brust herumzulaufen“, sagte sie. „Und ich fragte mich, wie ich das mit dem intravenösen Tropf bewältigen würde. Die Beutel mit Flüssigkeit zu füllen und die ganze Nacht mit einem Tropf zu schlafen, war für mich sehr beängstigend.“ Aber Theresa schaffte es. Jede Nacht, bevor sie schlafen ging, hängte sie den Tropf an eine Gardinenstange in ihrem Schlafzimmer und füllte sie mit einem Acht-Stunden-Vorrat an Antineoplastonlösung. Sie goss die Flüssigkeit von Glasflaschen in Plastikbeutel. „Meine tägliche Dosis betrug 1000 cm³“, sagte sie. „Ich musste nicht den ganzen Tag einen Tropf benutzen, so wie einige andere Patienten.“ Sie führte diese Behandlung sechs Wochen lang durch und ließ dann eine weitere Computertomographie machen. Sie stellte fest, dass ihre Tumore zum ersten Mal seit drei Jahren kleiner geworden waren. Sie waren um 10 % geschrumpft, und Theresa konnte es kaum fassen. „Zum ersten Mal, seit Zia geboren wurde, hatte ich die Hoffnung, dass ich überleben würde. Also blieb ich bei der Behandlung, egal wie unbequem und aufwendig sie auch war. Ich konnte es kaum fassen, dass etwas, das mir überhaupt keine Unannehmlichkeiten bereitete, mir so wirksam helfen konnte. Es war wirklich erstaunlich! Ich konnte es kaum glauben. Irgendwie hatte ich schon geglaubt, dass mir nichts mehr helfen könnte.“ Das war nur ein winziger Wermutstropfen: „Ich fing an zu riechen wie eine Stadtstreicherin“, lachte sie. „Aber nach einer Weile mochte ich den Geruch richtig gern. Schließlich war er der Geruch der Genesung.“
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Theresa verabreichte sich selbst weiterhin 1000 cm³ täglich, besuchte einmal pro Monat die Klinik von Burzynski und ließ alle zwei Monate eine Computertomographie durchführen. Nachdem sie drei Monate lang die intravenöse Behandlung durchgeführt hatte, waren ihre Tumore um 30 % geschrumpft. Nach fünf Monaten ergab eine Computertomographie, dass sie ein wenig gewachsen waren, aber sie blieb bei der Behandlung, und schließlich schrumpften die Tumore wieder. Mitte 1988 traf Theresas Mann den Arzt Paul Volberding, der die weltweit erste AIDS-Klinik im San Francisco General Hospital eröffnet hatte. Da sehr viele AIDS-Patienten auch an Lymphomen leiden, war Volberding ein Experte für diese Art von Krebs geworden. Er erklärte sich damit einverstanden, die Behandlung von Theresa zu übernehmen, damit sie nicht mehr ständig den langen Weg nach Houston zurücklegen musste. Sie brachte Volberding Kopien ihrer neuen und alten Computertomographien, und er konnte bestätigen, dass ihre Tumore ständig kleiner wurden. „Ich fragte ihn, was er davon hielt, und er sagte: Ich weiß nicht, wie das möglich ist, aber es ist wirklich großartig“. Volberding wusste damals, dass Theresa regelmäßig Antineoplastone in ihren Blutkreislauf injizierte, und er wusste auch, dass das Schrumpfen der Tumore erst nach der Aufnahme dieser Therapie eingesetzt hatte. Noch Jahre später erinnerte er sich in allen Einzelheiten an diesen Fall. Sie hatte tatsächlich ein Non-Hodgkin-Lymphom der Stufe 4, und es ging ihr trotzdem sehr gut,“ gab er zu. „Aber Spontanheilungen kommen vor. Sie sind relativ selten, aber sie kommen vor.“ Tatsächlich sind spontane Remissionen oder Spontanheilungen, bei denen ein Krebs ohne Behandlung ganz von selbst verschwindet, äußerst selten. „Wir führen darüber keine Statistiken“, sagte Joanne Schellenbach, Leiterin für Öffentlichkeitsarbeit bei der American Cancer Society, deren jährlicher statistischer Bericht „Cancer Facts & Figures“ in den USA als verbindlich angesehen wird. „Es gibt einfach nicht genügend Fälle, um sie zu verfolgen. Die Rate liegt bei weit unter einem Prozent.“
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Während Volberding sich weiter über den sogenannten spontanen Tumorschwund wunderte, besuchte Theresa ihn und Burzynski für fast ein weiteres Jahr. Lange bevor sie die Therapie mit den Antineoplastonen beendete, waren ihre Tumore so stark geschrumpft, dass sie sie nicht mehr ertasten konnte. „Kurz vor Zias fünftem Geburtstag 1989 machte ich eine Kernspintomographie, und Dr. Volberding sagte mir, dass er keine Tumore mehr erkennen konnte. Er konnte sie auch nicht mehr ertasten. Ich machte noch zwei Wochen mit der Infusionsbehandlung weiter, nur um sicher zu gehen, und dann nahm ich für vier weitere Wochen die Kapseln. Seitdem habe ich sie nicht mehr eingenommen, und es ging mir die ganze Zeit immer besser.“ Ihr Krebs war verschwunden. Aber leider galt das auch für ihren Mann. „Während ich Krebs hatte, war unser Sexualleben vollkommen zum Erliegen gekommen“, sagte Theresa. „Ich wurde praktisch asexuell. Später entwickelte sich dann eine solche Wut, dass ich an Geschlechtsverkehr überhaupt nicht mehr interessiert war. Dave war eine ganze Zeitlang sehr verständnisvoll. Aber wir beide waren sehr unterschiedliche Persönlichkeiten, und das wurde durch die Belastungen, denen wir beide unterworfen waren, noch offensichtlicher. Schließlich bat ich ihn, aus unserer Wohnung auszuziehen.“ Wie viele andere Krebsärzte, die beobachtet hatten, wie die Tumore ihrer Patienten durch die Behandlung mit Antineoplastonen verschwinden, weigerte sich auch Volberding, dies auf die Heilmethode von Burzynski zurückzuführen. „Es ist sehr schwierig, nachzuweisen, ob die Genesung bei einem Patienten auf eine bestimmte Therapie zurückzuführen ist oder auf die unterschiedliche Art der jeweiligen Krankheit,“ sagte er. Aber er bestreitet nicht, dass die Tumore bei Theresa erst nach der Behandlung mit den Antineoplastonen zu schrumpfen anfingen. „Ein großer Teil von Burzynskis Therapie passt einfach nicht zum gegenwärtigen Denken in der Medizin“, bemerkte er. „Zum Beispiel die Dosis aufgrund der Größe des Tumors festzulegen, ist nicht die Art und Weise, wie wir bei der Chemotherapie vorgehen. Bei der Bestrahlung handeln wir jedoch ähnlich.“ 114
Würde er Burzynski noch weitere Patienten schicken? Volberding war sich da nicht so sicher. Theresa schon. Als Burzynski sieben Jahre, nachdem sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, angeklagt wurde, engagierte sie sich unverzüglich bei einer Patientengruppe, um ihn zu unterstützen. Sie setzte dazu ihre gesamte Energie ein, die sie durch die Antineoplastone gewonnen hatte. „Eigentlich wollte ich überhaupt nicht mehr an meinen Krebs denken“, sagte Theresa. „Das Ganze lag doch jetzt hinter mir. Aber als ich dann hörte, was sie Burzynski antun wollten, fuhr ich mit den anderen Patienten nach Washington und wandte mich an Kongressabgeordnete und Senatoren. Und ich sprach bei einer Pressekonferenz. „Ich habe all diese anderen Therapien versucht, und nichts hat geholfen. Dann fing ich mit den Antineoplastonen an, und meine Tumore schrumpften. Was, wenn nicht die Antineoplastone, hätte das denn sonst bewirken sollen? Es kann sich nicht um eine Spontanheilung handeln, denn das Timing war dafür einfach zu präzise. Ich hatte eine ziemliche Angst, als sie Dr. Burzynski anklagten. Was wäre, wenn sie ihm jede weitere Tätigkeit untersagten und mein Krebs dann wiederkommen würde Was sollte ich dann tun? Postskriptum SAN FRANCISOC, Mitte 2000 - „Paul Volberding wundert sich noch immer über mich“, lachte Theresa Kennett. „Er kann sich meine Genesung – oder spontane Remission - immer noch nicht erklären. Das konnte nur durch die Antineoplastone geschehen sein. Aber für ihn ist es nicht einfach, das zuzugeben.“ Theresa ist immer noch vollkommen gesund, sechzehn Jahre nach ihrer ersten Diagnose und vierzehn Jahre, nachdem sie mit der Behandlung mit Antineoplastonen angefangen hatte. „Ich bin jetzt 50 Jahre alt, und ich habe keinerlei gesundheitliche Probleme mehr“, sagt sie. Sie strahlt eine tiefe Freude und eine enorme Lebenskraft aus. „Ich lasse jedes Jahr eine Kernspintomographie machen, und jedes Mal stellt sich heraus, dass ich vollkommen gesund bin.“ 115
Sie führt ein sehr erfülltes Leben. Ende der neunziger Jahre machte sie einen Abschluss in psychologischer Beratung an der San Francisco School of Psychology und begann unmittelbar darauf, mit alten Leuten zu arbeiten. Und sie hat nie aufgehört, sich für die Behandlungsmethode einzusetzen, von der sie sicher ist, dass sie ihr Leben gerettet hat. „Ich habe Ende der neunziger Jahre zwei Jahre lang eine Hotline für alternative Heilweisen betrieben und die Leute beraten und ihnen so viel wie möglich über Dr. Burzynski erzählt“, sagte sie. Heute ist sie nicht mehr die Stimme, die die Anrufer hören, aber sie ist immer noch begeistert über die Behandlung. „Es ist schon schlimm, dass nicht noch mehr Menschen von dieser Sache profitieren können. Denken Sie mal an all die Kranken, die man dadurch retten könnte.“ Und inzwischen ist ein neuer Partner in ihr Leben getreten, „ein wundervoller Mann, ein Schriftsteller, den ich 1997 kennengelernt habe. Wenn man alles zusammennimmt, dann geht es mir doch ausgesprochen gut!“ Wenn Sie Theresa treffen möchten, dann können sie dies bei einer ihrer Dichterlesungen, die sie in der Stadt veranstaltet.
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KAPITEL 3 Die Jahre am Baylor College
Einer aktuellen Theorie zufolge werden Polypeptide, die sogenannten Antineoplastone, durch normale Zellen gebildet und spielen eine Rolle bei der Regulierung des Wachstums der neoplastischen Zellen … Krebszellen fehlen diese Regulatoren und können kontrolliert werden, indem man ihnen die entsprechenden Peptide hinzufügt. - Abschließende Sätze aus dem Artikel „Polypeptide, die die Zellteilung bei menschlichem Brustkrebs hemmen“. Journal of Cancer, Chemistry and Biophysics, 1979
Als der junge polnische Flüchtling Dr. Stanislaw Burzynski sich im Jahre 1970 dem Forscherteam von Dr. Georges Ungar im Baylor College of Medicine anschloss, passten sie von Anfang an gut zusammen. Ungar brauchte jemanden, der es verstand, Peptide aus menschlichem Blut zu gewinnen. Und Burzynski brauchte ein gut ausgestattetes Labor, in dem er an den Blutpeptiden weiterarbeiten konnte, die er in Polen entdeckt hatte. Frühere medizinische Forscher hatten an diesen natürlich vorkommenden Chemikalien wenig Interesse gezeigt. Und sie hatten ihnen auch keine Namen gegeben. „Ungar war ebenfalls Flüchtling“, erinnerte sich Burzynski. Er stammte ursprünglich aus Ungarn und hatte seine Ausbildung an der Pariser Sorbonne und an der Universität Oxford abgeschlossen, bevor er nach Baylor kam. Dort wurde er zum Leiter des Labors für Anästhesieforschung ernannt und führte Untersuchungen durch, um nachzuweisen, dass Erinnerungen durch Peptide im Gehirn übertragen werden. Wenn das stimmte, so glaubte Ungar, bedeutete dies, dass eine Übertragung von Peptiden von einem Gehirn zum anderen auch die Erinnerungen von einem 117
Organismus zum anderen oder von einer Person zur anderen übertragen würden. „Aus seinen Veröffentlichungen wusste ich schon eine Menge über ihn“, sagte Burzynski. „Deshalb war er einer der ersten Menschen, denen ich einen Brief schickte, nachdem ich in den USA eingetroffen war. Wir kamen von Anfang an gut miteinander aus. Als er mich als Forschungsassistent einstellte, war ich ganz aufgeregt. Er verfügte über die allerbesten Geräte für Chromatographie, das Verfahren, das ich für die Isolierung von Peptiden benutzte. Als ich mich ihm anschloss, galt ich plötzlich als ein Experte auf diesem Gebiet, obwohl es mir am Anfang noch sehr schwer fiel, die Leute überhaupt zu verstehen.“ Es war die englische Sprache, nicht die Wissenschaft, mit der sich Burzynski jetzt am meisten herumschlagen musste. Von Anfang an hatte Burzynski mit seinem neuen Chef eine Vereinbarung: Er würde die Hälfte der Zeit mit Ungars Projekten verbringen und die andere Hälfte an einer weiteren Identifizierung und Verfeinerung der 39 Peptide arbeiten, die er aus Lublin mitgebracht hatte. Diese Regelung funktionierte einige Jahre ganz reibungslos, denn Burzynski verfolgte seine eigene Arbeit im Stillen, und zog so nicht so schnell die Aufmerksamkeit und den Neid von Kollegen auf sich. Während der ersten Jahre bekam Burzynski die Unterstützung von George Georgiades, einem Freund, der im nahegelegenen weltberühmten M.D. Anderson Tumor Institute arbeitete. Georgiades arbeitete damals an der Isolierung des Leukämievirus. Während Burzynski mit den Peptiden, die er in Polen entdeckt hatte, allmählich immer vertrauter wurde, entdeckte er, dass Substanzen, die bei primitiven Tests mit der Chromatographie anscheinend nur drei Streifen produzierten, nicht nur in 39 Bruchstücke, sondern auch in 119 verschiedene Substanzen aufgeteilt werden konnten. Burzynski hatte schon lange vermutet, dass einige dieser Peptide möglicherweise eine Wirkung gegen Krebs aufweisen könnten. In Polen hatte sich bei chromatographischen Tests an Patienten, die an Prostatakrebs litten, herausgestellt, dass deren Blut fast keine der Chemikalien auf118
wies, die normalerweise einen der drei ersten seltsamen Streifen erzeugt. In Baylor fing Burzynski an, die eher auf Intuition basierende Theorie zu testen, dass zumindest einige der Peptidbruchstücke, die er isoliert hatte, möglicherweise das Wachstum von menschlichen Krebszellen hemmen könnten. Sein Denken war von Marian Mazur beeinflusst worden, dem Warschauer Kybernetikprofessor, dessen Telefonanruf bei den polnischen Behörden wahrscheinlich Burzynskis Ausreise aus Polen ermöglicht hatte. Burzynski hatte mit Mazur über seine Arbeit diskutiert, als sie sich noch in einem frühen Stadium befand. Er war zu der Überzeugung gekommen, dass Krebs das Ergebnis eines biochemischen „Programmierfehlers“ sei, ebenso wie das Produkt einer unangemessenen Reaktion des Immunsystems. Lebendige Zellen vermehren sich unkontrolliert und erzeugen so einen Krebstumor, dachte Burzynski, weil das, was auch immer die Reproduktion und das Absterben gesunder und normaler Zellen auslöst, entweder ausgefallen oder einfach nicht vorhanden ist. Zu Beginn seiner Zeit in Baylor testete Burzynski seine Theorie im Labor. Er führte Bruchstücke von Peptiden, die er aus seinem eigenen Urin gewonnen hatte, in Tumore ein, die er durch Krebszellen erzeugt hatte, die im Labor von Georgiades im M.D. Anderson Institute gezüchtet worden waren. „Ich stellte fest, dass zumindest einige dieser Peptide Eigenschaften aufwiesen, die gegen Krebs eingesetzt werden konnten“, erklärte er. Damals prägte er die Bezeichnung „Antineoplastone“ für einige der Peptide, die er gefunden hatte. Neoplasma ist die griechische Bezeichnung für einen Krebstumor (wörtlich bedeutet es „neue Geschwulst“), und Antineoplaston bedeutet einfach „gegen den Krebs“. Aber Burzynski stellte schnell fest, dass nicht alle seine Peptide einen Einfluss auf Krebszellkulturen haben. „Die meisten hatten keine Wirkung auf Krebs. Und jene, die wirkten, waren dabei sehr spezifisch. Wir hatten eines, das wir Antineoplaston L nannten. Es wirkte gegen einige Arten von Leukämie. Und wir fanden eins, das nur gegen Osteosarkom wirkte. Wir nannten es Antineoplaston O. Aber wir fanden auch eins, das ein weites Wirkungsspektrum gegen Krebs aufwies. Wir nannten es 119
Antineoplaston A, und wir konzentrierten uns ganz darauf. Um die Antineoplastone L und O haben wir uns seitdem nicht mehr viel gekümmert. Wir konzentrierten uns auf die Gruppe mit dem breitesten Wirkungsspektrum. Dies erschien uns als die praktischste und effektivste Methode. Wir wussten schon damals, dass auch andere Antineoplastone existieren, und wir würden mit ihnen arbeiten, sobald wir könnten. Aber dafür hatten wir damals weder die Zeit noch das Geld.“ Wenn Burzynski sagt „wir“, dann meint damit fast immer auch seine Ehefrau, Barbara Scope Burzynski, die ebenfalls Ärztin und polnischer Flüchtling ist. Ihr Name erscheint als Co-Autorin bei einigen seiner Arbeiten. Sie trafen sich in einem Labor in Baylor, und waren seitdem nie mehr als wenige Tage voneinander getrennt. Sie arbeiten nebeneinander in zwei Büros in der Klinik in Houston. Während der nächsten 15 Jahre waren sie damit beschäftigt, das Antineoplaston A mit seinem breiten Wirkungsspektrum in kleinere Teile aufzuspalten – A1, A2, A3, A4 bis A10. „A10 war das erste, das wir synthetisch herstellen konnten“, sagte Burzynski. „Sobald wir das geschafft hatten, untersuchten wir die Metaboliten von A10, die Substanzen, die erzeugt werden, wenn der menschliche Körper das ursprüngliche A10 verarbeitet. Wir entdeckten, dass, wenn A10 verstoffwechselt wird, man ein weiteres Bruchstück bekommt, das wir AS2-5 nannten. Und wenn man AS2-5 verstoffwechselt, erhält man das chemische Phenylazetat. Von allen Antineoplastonen, die wir getestet hatten, hatte dies die geringste Wirkung gegen Krebs.“ Ironischerweise war dies fast zwei Jahrzehnte später das erste Antineoplaston, das klinischen Tests unterzogen wurde, die von der FDA genehmigt und von einem großen pharmazeutischen Unternehmen finanziert wurden. Seine frühen Ergebnisse veranlassten Burzynski dazu, sich beim National Cancer Institute (NCI) um Forschungszuschüsse zu bemühen. Damals hatte Präsident Richard Nixon den Krieg gegen den Krebs ausgerufen. Burzynski bemühte sich zusammen mit Wissenschaftlern vom M.D. Anderson Tumor Institute um die Zuschüsse. Er hatte die Absicht, mit 120
Georgiades als seinem leitenden Forschungsassistenten zu arbeiten. Im letzten Augenblick machte Georgidades jedoch einen Rückzieher. Daraufhin wandte sich Burzynski an Dr. Ti Lee Loo, den stellvertretenden Vorsitzenden der Abteilung für Entwicklungstherapeutik am M.D. Anderson Tumor Institute. Mit Loo als seinem mächtigen Verbündeten gelang es ihm 1974, die Forschungszuschüsse zu erhalten. Außerdem bekam er eine Gehaltserhöhung, eine Beförderung und einen erweiterten Mitarbeiterstab. Sowohl das NCI als auch M.D. Anderson unterstützten seine Arbeit bis 1977. Und die Zuschüsse förderten ständige Fortschritte in der Neoplaston-Forschung. Burzynski, Loo, Ungar und Georgiades schrieben gemeinsam wissenschaftliche Abhandlungen mit so vielversprechenden Titeln wie „Biologisch wirksame Peptide im menschlichen Urin“ und „Antineoplastone: Biochemische Abwehr gegen Krebs“. Während dieser Zeit verfolgte Burzynski auch Ungars Theorien über die Peptide als Gedächtnisüberträger. Die Fortschritte auf diesem Gebiet verliefen jedoch langsamer, nicht zuletzt deshalb, weil die Peptide, die im Gehirn erzeugt werden, sehr viel kleiner sind als jene, die im Blut und im Urin auftreten. „Um gerade mal ein Mikrogramm an Hirnpeptiden zu erzeugen, mussten wir 8000 Ratten dressieren und dann umbringen“, sagte er. „Diese Ratten wurden darauf trainiert, sich an das Läuten einer Glocke zu gewöhnen. Wurde das Tier dann einem ungewohnten Geräusch ausgesetzt, erhielten wir eine verwirrte Reaktion. Aber wir erhielten keine Reaktion, wenn das Tier eine Glocke hörte oder ein anderes Geräusch, das sehr oft wiederholt wurde. Um zu beweisen, dass man Gedächtnis unter Verwendung von Peptiden chemisch übertragen kann, mussten wir die Ratten opfern, die winzige Menge an Peptidbruchstücken entnehmen und sie dann einer Ratte injizieren, die noch nie das Läuten einer Glocke gehört hatte. Es funktionierte. Aber wir brauchten eine Riesenmenge an Labortieren. Wir töteten mit einer Art Guillotine zwischen 300 und 500 Ratten pro Tag und legten ihre Gehirne dann unverzüglich auf Trockeneis. Es deprimierte mich wahnsinnig, all diese armen Tiere umbringen zu müssen. Aber auf diese Weise lernten wir, wie man das Peptid aufspaltet, das für die Über121
tragung von Gedächtnis verantwortlich sind. Wir nennen es Ameletin. Wir stellten ebenfalls fest, dass diese Peptide mit der Ribonukleinsäure (RNS) im Gehirn verbunden sind. Burzynskis Erkenntnisse in Bezug auf Hirnpeptide bestätigten seine Theorie, dass Peptide die Schlüsselfaktoren bei der Steuerung des Wachstums von Zellen sind. Er bekam auch die Unterstützung durch einen anderen Forscher in Baylor, Dr. Carlton Hazlewood. Sie hatten sich kennengelernt, als Burzynski gerade mal zwei Jahre in Baylor war. Hazlewood, Lehrstuhlinhaber für Molekularphysiologie, arbeitete eng mit seinem Kollegen Ungar zusammen. 1971 hatte er eine internationale Konferenz über den physikalischen und chemischen Zustand von Ionen in Wasser, sowohl in lebendigen als auch in nicht lebendigen Systemen, organisiert. „Zu der Zeit waren russische Wissenschaftler sehr an meinen Theorien interessiert, und ich wollte, dass sie an meiner Konferenz teilnahmen“, erinnerte sich Hazlewood. „Ich brauchte jemanden, der Briefe an russische Wissenschaftler in russischer Sprache schreiben konnte. Also hatte ich zwei oder drei Treffen, bei denen mir Burzynski half. Ich fragte ihn, womit er sich beschäftigte, und er sagte mir, dass er Peptide untersuchen würde. Ich fing an, mich dafür zu interessieren, denn bei meiner Arbeit war ich allmählich zu dem Schluss gekommen, dass es eine Substanz mit geringem Molekulargewicht geben müsste, das die lebenden Zellen ständig beeinflussen würde. Burzynskis Peptide passten da irgendwie ins Bild. Schließlich wurden wir Freunde.“ Hazlewood war höchst interessiert an den offensichtlichen Gemeinsamkeiten ihrer Arbeit. „Ich kam allmählich zu dem Schluss, dass möglicherweise ein Peptid an der Funktion einer Zelle beteiligt sein könnte. Dann sagte mir Burzynski, dass diese Peptide möglicherweise eine Wirkung gegen Krebs hätten. Wir begannen also, gemeinsam zu arbeiten.“ Hazlewood stellte Burzynski seinem Onkel vor, dem Landarzt William Mask, der Burzynski später als „ein kleines polnisches Genie“ bezeichnete.
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Während Burzynskis letztem Jahr in Baylor fingen er und Hazlewood mit einem Experiment an, bei dem Antineoplastone gegen Brustkrebskulturen eingesetzt wurden, die man im Labor gezüchtet hatte. Ihre Ergebnisse, die in der Fachzeitschrift „Journal of Cancer, Chemistry and Biophysics“ veröffentlicht wurden, erschienen erst 1979, Jahre nachdem Burzynski Baylor verlassen hatte, um eine eigene Klinik und ein Forschungsinstitut zu gründen. „Man stellte fest, dass Bruchstücke von Urinpeptiden auf Brustzellenkrebs-Kulturen je nach Dosis entweder zytotoxisch oder zytostatisch wirken“, stand in ihrer Abhandlung. In anderen Worten: Die Antineoplastone hatten die Vermehrung einiger Krebszellen unterbrochen und andere abgetötet. Hazlewood und Burzynski berichteten, dass die Reaktion der Brustkrebszellen auf die Behandlung mit Peptiden, die man aus Urin gewonnen hatte, bei den drei Peptidbruchstücken jeweils variierte. Eines der Peptide, die man anwandte – das G9 – tötete praktisch jede Krebszelle ab, auf die es traf. Seine Effektivität war mindestens acht mal besser als die eines der anderen Peptide. Der Erfolg hing auch von der Dosis ab. Wurden zu wenig Antineoplastone verwendet, hatte dies wenig oder gar keine Wirkung auf die Krebszellen. Dieses Ergebnis führte Burzynski und Hazlewood zu dem Schluss, dass „es im normalen menschlichen Urin eine neutrale bis leicht säurehaltige Gruppe von Polypeptiden mittlerer Größe gibt, die bei einigen Arten von Krebszellen wachstumshemmend wirkt“. Burzynski kam so zu der Überzeugung, dass der menschliche Körper über ein biochemisches Abwehrsystem verfügt, das parallel zum Immunsystem funktioniert und ebenso wichtig ist. „Ich kam zu der Erkenntnis, dass der Körper nicht nur über eine einzige Verteidigungslinie verfügt“, sagte er. „Man könnte behaupten, dass das Immunsystem die erste Verteidigungslinie darstellt. Wenn sie wirksam ist, dann zerstört sie Fremdkörper, sobald diese sich den gesunden Zellen nähern. Das biochemische Abwehrsystem ist wie eine zweite Verteidigungslinie. Wenn eindringende krebsverursachende Substanzen die Zellen dazu bringen, abnorm oder bösartig zu werden, dann dient es dazu, sie praktisch wieder auf normal zu schalten.“ 123
Burzynski vergleicht diesen Vorgang mit dem Programmieren von Computern. „Krebs ist eigentlich eine Krankheit von Zellen, die nicht richtig programmiert wurden. Antineoplastone programmieren sie dann einfach so um, dass sie sich wieder normal verhalten.“ Bevor sie ihre Ergebnisse veröffentlichten, wollten er und Hazlewood die Antineoplastone noch an Laborkulturen verschiedener anderer Krebsarten testen, neben den Brustkrebskulturen, die sie für ihren formellen Bericht verwendet hatten. Sie wurden also getestet, und sie waren in Vitro, in Teströhrchen und in Petrischalen gegen eine Kombinationskultur von Osteosarkoma und Leukämiezellen, gegen maligne Melanome, gegen Darmkrebs und gegen HeLa-Zellen wirksam, die aus Gebärmutterhalskrebs gewonnen wurden. Burzynski wollte Antineoplastone auch gegen Hirntumore einsetzen, aber „es war fast unmöglich, in Kulturen gezüchtete Hirnkrebszellen zu bekommen“, sagte er. Diese Arbeit über Brustkrebs dürfte für die Krebsforscher keine totale Überraschung gewesen sein. Schon Jahre bevor sie veröffentlicht wurde, hatte Burzynski die Fachwelt darüber in Kenntnis gesetzt, was er entdeckt hatte. Bei einem Treffen der Federation of Associations for Experimental Biology (FACEB) in Anaheim in Kalifornien hatte er eine Arbeit vorgestellt, der zufolge Peptide, die im Urin vorkommen, offensichtlich in der Lage wären, Krebszellen wieder in normale Zellen umzuwandeln. Diese Arbeit inspirierte die Associated Press zu einem Artikel, der in Dutzenden von Zeitungen erschien und Burzynskis Arbeit zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorstellte. „Alles, was Burzynski sagte, ergab für mich einen rationalen wissenschaftlichen Sinn“, sagte Hazlewood. „Leider kam er dabei in Konflikt mit den Hohepriestern der Wissenschaft, ebenso wie ich. Ich vertrete in Bezug auf Zellen einen unkonventionellen Standpunkt, und er vertritt einen unkonventionellen Standpunkt in Bezug darauf, wie der Krebs wirkt. Außerdem kann alles, was Burzynski behauptet, wissenschaftlich nachgewiesen und getestet werden. Der erste große Test, den wir in der Abhandlung gemeinsam beschrieben haben, bestätigte seine Theorie, dass die Peptide, die er als Antineoplastone bezeichnet, funktionieren, 124
indem sie die Zellteilung ein- und ausschalten. Aber die eigentliche Feuerprobe für die Nützlichkeit dieser Peptide ist ihre praktische Anwendung bei Menschen mit Krebs.“ Bevor Burzynski an einen Versuch an Menschen auch nur denken konnte, musste er die Antineoplastone an Tieren ausprobieren. Dadurch sollte in erster Linie festgestellt werden, dass diese Peptide nicht toxisch wären, denn Burzynski vermutete bereits, dass die Peptide, die er aus Urin gewann, nicht nur tumorspezifisch wären, sondern auch artenspezifisch. In anderen Worten: Ein Antineoplaston, das das Wachstum einer Krebsart unterbricht, zeigt bei einer anderen Krebsart möglicherweise überhaupt keine Wirkung. Und eines, das bei irgendeiner Form von menschlichem Krebs funktioniert, hat möglicherweise keine Wirkung auf ähnliche Tumore in anderen Spezies. Und das war genau das, was Burzynski bei seinen Versuchen mit Ratten, Hühnern und anderen Tieren Mitte der siebziger Jahre festgestellt hatte. Obwohl menschliche Antineoplastone fast vollkommen ungiftig sind, hielten sie bei den meisten Tieren nicht die Entwicklung von Krebs auf. Dieses Ergebnis stimmte mit Burzynskis Ansicht überein, dass gesunde Vertreter jeder Spezies ihre eigenen Peptide erzeugen. Diese Ergebnisse sollten ihm Jahre später, als er versuchte, seine Therapie mit Antineoplastonen zu propagieren, noch einige Schwierigkeiten bereiten. Ende 1976 fühlte er sich bereit, seine Antineoplastone an menschlichen Patienten zu testen, bei denen alle anderen Behandlungen versagt hatten. Da er 1973 in Texas die ärztliche Zulassungsprüfung bestanden hatte, war er der Meinung, dass er in der Lage wäre, den Versuch selbst durchzuführen. Aber zum ersten Mal, seit er Polen verlassen hatte, sollte er auf größere bürokratische Widerstände stoßen. Wie jeder andere Forscher, der eine experimentelle Behandlung an Menschen testen will, benötigte Burzynski die Genehmigung durch ein Prüfungsgremium der Klinik, in der er seine Behandlung anwenden wollte. Diese Gremien setzen sich normalerweise aus Ärzten der Klinik zusammen. „Ich versuchte, die Genehmigung von Baylor zu bekommen“, sagte Burzynski. „Aber der Prüfungsausschuss dort lehnte das ab, hauptsäch125
lich, weil ich von der FDA noch keine Ausnahmegenehmigung für die Anwendung eines experimentellen neuen Medikaments (INDGenehmigung erhalten hatte. Aber da biss sich die Katze in den Schwanz. Um diese Genehmigung zu bekommen, musste meine Arbeit zuerst von eben diesem Prüfungsausschuss abgesegnet werden. Ich verbrachte Monate damit, Anträge einzureichen und nochmals einzureichen, um die Genehmigung zu erhalten.“ Zu dieser Zeit hatte Burzynski in Houston bereits eine private Praxis in einem Bürogebäude neben dem Park Plaza Hospital eingerichtet, das dem Baylor College angeschlossen ist. Dort versuchte er manchmal, Krebspatienten im Endstadium zu behandeln. Er litt sehr darunter, dass er in der Lage wäre, ihnen zu helfen, wenn nur nicht ständig diese bürokratischen Vorschriften im Weg stehen würden. „Ich ging jeden Abend ins Bett und dachte über diesen oder jenen Patienten nach, der unweigerlich sterben musste, wenn nicht etwas dazwischen kam“, sagte er. „Und ich wusste doch bereits, was ich dagegen unternehmen konnte.“ Als Baylor seinen Antrag ablehnte, versuchte Burzynski es beim Prüfungsausschuss des Park Plaza Hospitals. Aber auch dort lehnte man ab. Jedoch hatte Burzynski noch Beziehungen zum Twelve Oaks Hospital, einer modernen Einrichtung mit 380 Betten, westlich der Innenstadt von Houston. Von dort erhielt er schließlich die Genehmigung, seine Entdeckung zu testen. Emma Avadusian und Billy Bryant waren dorthin unterwegs, bevor der Sturm sie aufhielt und sie und Burzynski dazu zwang, nach Jacksboro ins Jack County Hospital auszuweichen, das von William Mask geleitet wurde. Inzwischen kam es auch im sicheren akademischen Hafen von Baylos zu einem Aufruhr, der aber eher durch die interne Geschäftspolitik verursacht wurde als durch die Opposition gegen seine Arbeit mit den Peptiden. Ungar war 1976 von Baylor entlassen worden, und die Schule hatte einen siebzigjährigen Pensionär reaktiviert und ihn zum Leiter seines Anästhesielabors ernannt. Burzynski betrachtete diese Veränderungen als Teil eines Machtkampfes zwischen dem angesehenen Pionier der 126
Herzchirurgie, Michael DeBakey und Denton Cooley, dessen gemeinsame Anwesenheit dafür gesorgt hatte, dass während der siebziger Jahre bei Baylor niemals ein Mangel an Forschungsgeldern für die Anästhesiologieabteilung geherrscht hatte. „Ich übernahm Ungars Forschungsarbeit“, erinnerte sich Burzynski. „Aber der neue Chef der Anästhesiologie war Lawrence Schumacher, ein Verbündeter von DeBakey, der absolut keine Ahnung von der Forschung mit Peptiden hatte. Und er mochte mich nicht besonders.“ Schon bald darauf wurde Burzynski aufgefordert, seine lukrative Privatpraxis aufzugeben – die Praxis, die es ihm ermöglichte, seine Antineoplastone zu testen. Baylors neue Chefs führten die Publicity, die sein Vortrag vor der FACEB organisiert hatte, als Grund dafür an, dass sie sich näher für ihn interessieren würden. Sie baten ihn, Vollmitglied des Baylor Cancer Research Centers zu werden. Als Anreiz und eine Art Willkommensgeschenk erhielt er von der Universität einen Forschungszuschuss von 30.000 Dollar. Die Sache hatte nur einen Haken: Er müsste dafür seine Privatpraxis aufgeben, und der Laborplatz und die finanzielle Unterstützung, die ihm und Ungar gewährt worden waren, würden ebenfalls reduziert. Trotz der Aussicht auf ein höheres Prestige, ein festes Gehalt und eine Festanstellung, die er erhalten hätte, wenn er auf dieses Angebot eingegangen wäre, zögerte Burzynski. Er mochte den Gedanken nicht, sich der Autorität irgendeiner Institution zu unterwerfen. Solange er noch seine Praxis hätte, so sagte er sich, könnte er jedes Medikament einsetzen, das er wollte – die Zustimmung seiner Patienten vorausgesetzt. Er war damals überzeugt – und ist es heute noch – dass Hierarchien nur den Fortschritt aufhalten. „Die meisten medizinischen Durchbrüche“, erzählte er dem Autor Ralph Moss während eines Interviews in den achtziger Jahren, „waren nur deshalb möglich, weil es keine Unterdrückung durch Vorgesetzte gab, die ihren Untergebenen vorschrieben, wie sie ihre Arbeit zu machen hatten.“ Dafür führt er gern das Beispiel der Entdeckung des Insulins an. Er muss immer lächeln, wenn er erzählt, dass dieses lebensrettende Medi127
kament durch einen Doktorand entdeckt wurde, während sein Chef im Urlaub war. Schließlich widerstand Burzynski der Versuchung, sich bei einer großen Institution fest anstellen zu lassen. Ab 1977 arbeitete er vollkommen unabhängig.
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DIE GESCHICHTE VON CRYSTIN SCHIFF
Wenn ihr Vater nur von den Antineoplastonen gewusst hätte
Eigentlich begann der erste Weihnachtstag 1992 sehr glücklich für Ric und Paula Schiff. Sie lebten auf einer mit Eichen bewaldeten 16 Morgen großen Ranch in der Nähe des kleinen Ortes Clayton in Kalifornien am östlichen Abhang des Mount Diablo nahe San Francisco. Die vier Jahre alten Zwillingstöchter Crystin und Gwendolyn stürmten ins Wohnzimmer und fingen an, ihre Geschenke auszupacken. Sie schrien vor Freude über die Puppen und die anderen Geschenke, die unter dem Weihnachtsbaum lagen. Auch für Ric und Paula war es eine sehr schöne Zeit. „Das Leben war herrlich. Es hätte uns nicht besser gehen können“, erinnerte sich Ric. Als jüngster Sergeant bei der Polizei von San Francisco hatte Ric die Goldmedaille für Tapferkeit gewonnen. Er war einer der ersten Polizeibeamten, die vor Ort waren, als die Autobahnüberführung der Cypress Avenue beim Erdbeben in der Bay Area 1989 zusammengebrochen war. Und er hatte einigen Menschen das Leben gerettet. Der Mut, den er bei den Rettungsarbeiten an den Tag gelegt hatte, wurde auf einem überlebensgroßen Ölgemälde verewigt, das in der großen Halle des Rathauses zu sehen ist. Er war erst 31 Jahre alt, und im kommenden Frühjahr wollte er die Prüfung zum Lieutenant ablegen. „Ich fühlte mich wahnsinnig wohl bei der Polizei von San Francisco“, sagte Ric. Paula erwartete inzwischen ihr fünftes Kind. Ein weiterer Grund zur Freude war ihr Sieg gegen die Waste Management Corporation im Herbst, die geplant hatte, auf einem leeren Grundstück ganz in der Nähe der Ranch der Familie eine Giftmülldeponie zu eröffnen. Nach Jahren des erbitterten Widerstands durch die Schiffs und einigen ihrer Nachbarn hatte die Firma schließlich nachgegeben. Sobald diese Gefahr gebannt war, hatten Ric und Paula eine zweite Hypothek 129
auf ihre Ranch aufgenommen, um sich finanziell ein wenig Luft zu verschaffen. Als die Zwillinge an diesem Weihnachtsmorgen am Frühstückstisch saßen, fiel dem Vater auf, dass Gwendolyn bedeutend fröhlicher war als ihre Schwester, obwohl doch beide genau das bekommen hatten, was sie sich gewünscht hatten. Ric wunderte sich ein wenig, denn eigentlich waren beide Schwestern immer sehr fröhlich. „Ihre Mutter und ich sahen uns Crystin genauer an“, erinnerte sich Ric. „Sie quengelte und beklagte sich darüber, dass ihr das Essen nicht schmeckte. Ihre Pupillen waren erweitert. Ich schaute mir auch Gwendolyns Augen an und sah, dass sie ganz anders waren. Nach einer Weile wurde Crystin dann ganz lethargisch.“ Ric wartete nicht einfach ab, bis sich das Problem von selbst erledigen würde. Als Polizeibeamter war er immer sehr wachsam, und so handelte er unverzüglich. Er rief den Hausarzt der Familie an. „Er diagnostizierte eine Kehlkopfinfektion und verschrieb ein Antibiotikum“, sagte Ric und schüttelte ratlos den Kopf. Dies war für die Familie die erste von zahlreichen alptraumartigen Begegnungen mit der konventionellen Medizin, und kein einziges Mal bekam sie etwas, das man als konkrete Hilfe bezeichnen konnte. Bis sie Dr. Stanislaw Burzynski kennenlernten. Denn Crystin Schiff hatte nicht nur eine Kehlkopfinfektion. Obwohl sie anfangs auf das Antibiotikum zu reagieren schien, erzählte die Babysitterin Paula zwei Wochen später, dass mit dem flachsblonden Mädchen irgendetwas ganz und gar nicht stimmte. Crystins Sehvermögen war extrem eingeschränkt, und sie konnte nur seitwärts gehen. Jedes Mal, wenn sie versuchte, einen Schritt nach vorn zu gehen, stolperte sie. Als ihr Vater sie vom anderen Ende des Zimmers aufforderte, zu ihm zu kommen, drehte sie ihren Kopf zur Seite. Dieses Mal gingen sie nicht zu ihrem Hausarzt. „Wir brachten sie schleunigst zum John Mair Hospital in Walnut Creek“. sagte Ric. „Sie machten unverzüglich eine Computertomographie. Ich wusste sofort, dass wir ein Riesenproblem hatten, noch bevor wir die Röntgenbilder 130
sahen. Ich bemerkte, wie entsetzt die Ärztin reagierte, als sie sich die Röntchenbilder ansah. Ich wusste, dass es ein Hirntumor sein musste. Ihr Sichtbereich war auf ca. 10 % reduziert. In Crystins Gehirn wurde ein Tumor von der Größe einer kleinen Mandarine festgestellt. Wir brachten sie schleunigst in das Hospital der University of California. Dort sollte sie operiert werden.“ Ric blieb die ganze Nacht im Krankenzimmer seiner Tochter – vor und nach der Operation. „Als sie aufwachte, konnte sie mich wieder direkt anschauen“, erinnerte er sich. „Später erfuhren wir, dass ihr Sehvermögen wieder zu 75 % normal war. Sie fragte mich sofort, ob das „Aua“ jetzt weg wäre. Ich sagte ja, obwohl mir der Chirurg gesagt hatte, dass es nicht gelungen wäre, den Tumor komplett zu entfernen. Sie sagte: Ich will nach Hause. Sie hatten einen großen Knoten entfernt, aber das war nur ein kleiner Teil des Tumors, der sich um ihre Wirbelsäule herum und im Gehirn ausbreitete.“ Crystin Schiff hatte einen bösartigen rhabdoiden Tumor, einen Krebs, der so selten ist, dass nur 25 andere Fälle als Muster zur Verfügung standen, um eine Behandlungsmethode festzulegen. Und nur sieben von ihnen waren ausführlich dokumentiert. Alle 25 Fälle hatten schließlich einen tödlichen Ausgang – innerhalb von vier Monaten bis einem Jahr nach der Diagnose. „Ich wollte, dass die Ärzte mir rieten, wie ich jetzt am besten vorgehen sollte, ohne mein Leben und das meiner Familie zu ruinieren“, sagte Ric. „Ich las alles über die Krankheit, was ich in die Hände kriegen konnte. Ich erfuhr, dass der Tumor sich wie dicker Ahornsirup um die Wirbelsäule und im Gehirn ausbreitet. Er wird dann immer dicker oder bildet einen Knoten, der immer größer wird. Im Fall meiner Tochter hatte er einen Knoten im Gehirn gebildet, der auf ihre Augen drückte. Das war die Ursache ihrer Sehstörungen.“ Crystins Fall wurde vom örtlichen Tumorausschuss diskutiert. Spezialisten beraten dort über die besten Behandlungsmethoden bei schweren Fällen. „Sie sahen sich die Computertomographie und die ärztlichen Unterlagen an und rieten mir dann, sie nach Hause zu bringen, um sie 131
dort sterben zu lassen. Sie sagten, dass es für sie keine Hoffnung mehr gäbe. Die einzige mögliche Alternative wäre eine intensive Chemotherapie mit all den unangenehmen Nebenwirkungen, die sie verursachen würde – Haarausfall, Übelkeit, Verlust des Gleichgewichts usw. Aber auch diese Therapie würde ihren Tod nur noch ein wenig hinausschieben. Sie sagten uns, dass diese Therapie sie umbringen würde. Und in diesem Punkt sollten sie letztendlich Recht behalten.“ Ein Mitglied dieses Tumorausschusses war Dr. Michael Prados, ein Neuroonkologe der Universität von San Francisco. Er war Autor oder Mitautor von über 30 akademischen Abhandlungen über die Behandlung von Gehirntumoren. Er wusste, dass zwei frühere Patienten mit Gehirntumor, die an der Klinik der Universität von San Francisco behandelt worden waren, Jeffrey Keller und Pamela Winningham, mit Antineoplastonen behandelt worden waren und noch viele Jahre länger gelebt hatten, als es irgendjemand erwartet hätte. Aber Prados erwähnte den Schiffs gegenüber nicht den Namen Burzynski, ebenso wenig wie alle anderen Mitglieder des Ausschusses. „Wir stellten Prados dieselbe Frage, die wir auch den anderen Ärzten gestellt hatten: Kennen Sie außer Chemotherapie und Bestrahlung noch andere Behandlungsmethoden?“, sagte Ric. Und wie alle anderen sagte auch Prados, dass er nichts drüber wüsste. Die Schiffs sollten ihn später dafür verklagen. „Wir waren davon ausgegangen, dass diese Leute Onkologen waren und deshalb etwas von Krebs verstehen mussten“, fuhr Ric fort. „Aber da hatten wir uns wohl getäuscht. Niemand von ihnen kannte irgendetwas anderes als die Therapien, die sie selbst einsetzten. Je mehr ich sie bedrängte, darüber nachzudenken und etwas anderes zu empfehlen, desto enthusiastischer wurden sie in Bezug auf Chemotherapie und Bestrahlung. Sie sagten mir: Vielleicht ist Cryssie ja die eine von tausend, die es tatsächlich schafft. Und das beruhigte mich dann wieder etwas. Denn wenn sie auch nur eine geringe Chance hatte, so hatte sie doch zumindest eine Chance.“ Jahre später weigerte sich Prados strikt, über den Fall von Crystin zu diskutieren. „Ich werde dazu nicht Stellung nehmen“, sagte er bei einem 132
Telefongespräch. Als er gefragt wurde, warum, antwortete er: „Auch dazu werde ich nichts sagen.“ Ric und Paula wollten ihre Tochter noch nicht aufgeben. Aber sie waren auch nicht dazu bereit, alternative Behandlungsmöglichkeiten auszuprobieren. Laetril kam für ihre Tochter nicht in Frage, ebenso wenig wie Reisen nach Tijuana. Ihre Eltern gaben die Erlaubnis zu einer kompletten konventionellen Krebstherapie – einschließlich aller Nebenwirkungen. Durch die Behandlung wurde ihr Krebs beseitigt, jedenfalls für einige Zeit. Zwischen Januar und April 1993 wurde Crystins Gehirn einer Strahlung von 6000 RAD ausgesetzt. Soviel bekamen die Bewohner von Hiroshima ab, die sich innerhalb einer Meile von der Atombombenexplosion aufgehalten hatten. Ihre Wirbelsäule wurde zusätzlich mit 4000 RAD bestrahlt. Gleichzeitig wurde eine intensive Chemotherapie durchgeführt. Zu den Nebenwirkungen gehörten eine Einschränkung des Sehvermögens und Gleichgewichtsstörungen. Crystin hatte Schwierigkeiten beim Laufen. An Rennen war überhaupt nicht mehr zu denken. Ihre Haut wies aufgrund der Behandlung Verbrennungen zweiten Grades auf. „Es handelte sich um eine Dysfunktion aufgrund der Strahlung“, sagte ihr Vater. „Ihre Probleme mit dem zentralen Nervensystem waren allen Ärzten in der Klinik bekannt, und sie waren auf die Nebenwirkungen zurückzuführen, die sie zu erleiden hatte.“ Die giftigen Chemikalien, mit denen man sie behandelte, waren so stark, dass ihre Eltern Gummihandschuhe tragen mussten, um ihre Windeln zu wechseln. Aber ihr Tumor war verschwunden. Jedoch war niemand der Ansicht, dass dies so bleiben würde. Schließlich war noch niemand jemals von einem bösartigen rhabdoiden Tumor geheilt worden. „Sie behandelten sie nur deshalb so intensiv mit Bestrahlung und Chemotherapie, weil sie glaubten, dass sie ja ohnehin sterben würde“, sagte Ric. „Sie wussten ganz genau, was hier passierte. Man verpasst dem Gehirn eines kleinen Mädchen eine Strahlung von 6000 RAD und ihrer Wirbelsäule 4000 RAD. Dann ist es natürlich klar, dass es nicht mehr lange zu leben hat. Es wird seine Fähigkeit zum 133
Schlucken verlieren. Es wird den Würgereflex verlieren und nicht mehr darauf reagieren, wenn es Dinge verschluckt und diese in die Lungen geraten. Es wird verschiedene Sarkome entwickeln. Und die Knochen in seiner Wirbelsäule werden geschädigt. Aber von all dem erfuhren Ric und Paula erst sehr viel später. Als sie Chrystin zu den Behandlungen brachten, hofften sie immer noch, dass sie irgendwann einmal ein normales Leben führen würde, obwohl, wie Ric sich erinnerte, „uns jeder Arzt sagte, dass der Tumor wiederkommen würde, weil er das immer tut“. Also schauten er und Paula sich nach anderen Möglichkeiten für ihre Tochter um. „Wir lasen zufällig in einem Buch über Burzynski und seine Antineoplastone. Ich kenne mich mit Betrügern sehr gut aus. Ich habe mal im Betrugsdezernat gearbeitet“, sagte Ric. „Ich ließ mir nicht so leicht etwas aufschwatzen.“ Aber die Schiffs wollten unbedingt, dass ihre Tochter überlebte, und zwar ohne die schrecklichen Nebenwirkungen, die sie während ihrer siebenmonatigen Behandlung mit den konventionellen Mitteln miterleben mussten. Inzwischen hatten die Schiffs einiges über die Erfolge erfahren, die Burzynski mit der Behandlung von Hirntumoren erzielt hatte. Und sie wandten sich noch einmal an Prados. Er sagte ihnen, dass Antineoplastone nichts bewirken würden. Außerdem sagte er, dass Phenylazetat – der wichtigste chemische Bestandteil des Medikaments von Burzynski – giftig wäre und Crystin nur noch mehr schaden würde. Und er bezeichnete Burzynski als Betrüger, der seine Patienten nur ausnutzen würde. Später schrieb er den Schiffs noch einen Brief, in dem er sie beschwor, auf keinen Fall eine alternative Therapie bei ihrer Tochter auszuprobieren. Inzwischen hatten sie jedoch mit Patienten gesprochen, die Erfahrungen mit der Behandlung mit Antineoplastonen hatten. Gegen Prados' Rat brachten sie Crystin in die Klinik von Burzynski nach Houston. Sie hofften, dass die Antineoplastone das andernfalls unvermeidliche Wiederauftauchen des Tumors verhindern würde, und dass Crystin sich schließlich von den Nebenwirkungen erholen würde, die ihr die Strahlenbehandlung und die Chemotherapie zugefügt hatten.
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„Die TWA flog uns zu einem Vorzugspreis nach Houston, und das Westinhotel bot uns gratis eine Unterkunft“, erinnerte sich Ric. „Ich sah mich in der Klinik um und sprach mit einigen Patienten von Burzynski, um sicherzugehen, dass ich es hier nicht mit Betrügern zu tun hatte. Ich hatte das Gefühl, dass sie alle davon überzeugt waren, dass das Zeug bei ihnen wirken würde. Dann leistete ich eine Vorauszahlung von 6000 Dollar, und man fing mit der Behandlung mit den Antineoplastonen an. Danach zahlten wir 3000 Dollar pro Monat. Wir gaben insgesamt 30.000 Dollar aus, einschließlich 23.000 Dollar aus dem Versicherungsanteil des Arbeitgebers meiner Frau.“ Aber das war extrem wenig verglichen mit dem, was die konventionelle Chemotherapie und Bestrahlung gekostet hatte – mehr als 800.000 Dollar. „Nach einer Weile wurde uns jedoch klar, dass wir uns das einfach nicht mehr leisten konnten. Also setzten wir und einige Freunde uns mit den Senatoren Barbara Boxer und Dianne Feinstein in Verbindung sowie mit dem Mitglied des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi. Sie besorgten uns eine Sondererlaubnis für die Verwendung eines neuen experimentellen Medikaments. Damit durfte Burzynski uns das Medikament nach Hause schicken, und wir mussten nicht länger jeden Monat nach Houston fliegen. Aber wir hatten auch in anderer Hinsicht Glück: Man hatte Crystin für ihre Chemotherapie bereits einen sogenannten Broviac- oder Quintekatheder eingesetzt. Dieser Schlauch führte andere Heilmittel in ein Blutgefäß in der Nähe ihres Herzens und konnte ebenfalls für die Antineoplastone verwendet werden, die normalerweise direkt in eine große Vene in der Brust gepumpt werden. Der Broviac-Katheder ersparte Crystin die Operation, die bei den meisten anderen Patienten notwendig ist, um zur Durchführung der Antineoplaston-Behandlung ähnliche Schläuche einzuführen. Gegen den Rat eines jeden Arztes, den sie konsultiert hatten, ließen die Schiffs Crystin bis Dezember 1994 mit Antineoplastonen behandeln. „Jeder in der Klinik in San Francisco hatte uns gesagt: Machen Sie das nicht. Glauben Sie doch nicht diesen Quatsch! Es funktioniert ganz bestimmt nicht“, erinnerte sich Ric. „Aber wir blieben dabei. Und jedes 135
Mal, wenn wir eine Kernspintomographie machen ließen und sich herausstellte, dass immer noch kein Tumor zu sehen war, waren wir ganz aufgeregt. Aber die Ärzte ganz offensichtlich nicht. Im Laufe der Zeit wurden sie immer nervöser. Ich kann das beurteilen, weil ich Polizist bin. Es gefiel ihnen einfach nicht, dass der Krebs einfach nicht mehr auftauchen wollte!“ Etwa ein Jahr, nachdem sie mit der Antineoplaston-Behandlung angefangen hatten, im Sommer 1994, schien es mit Crystin ständig auf und ab zu gehen. Sie machte Fortschritte und konnte wieder normal gehen. Aber dann kam es erneut zu einem Rückfall. Sie fing an, besser zu sehen, und dann sah sie wieder schlechter. Sie bekam Probleme mit ihren Nieren, und sie hatte Schwierigkeiten mit der Verdauung. „Jedes Mal, wenn es Probleme gab, sagte Prados, dass das auf die Giftigkeit des Phenylazetats zurückzuführen sei“, sagte Ric. Crystin hatte auch an extrem niedrige Kaliumwerte, und bekam während der letzten acht Monate ihres Lebens mehrere Anfälle. Aber seit Mitte November 1994, als ihr gesamter Körper durch eine Kernspintomographie untersucht worden war, war ihr Tumor nicht wieder aufgetaucht. Kurz nach dieser Kernspintomographie unterbrach die Familie die Behandlung mit den Antineoplastonen. Sie hoffte, dass der Tumor nun endgültig verschwunden sei. Aber das war er nicht. „Sie bekam fast sofort weitere Anfälle und regierte überempfindlich gegen die entsprechenden Medikamente“, erinnerte sich Ric. „Anscheinend hatte das Morphin bei ihr keine Wirkung mehr.“ Crystin wurde träge und schwerfällig. Ihre Bluttests zeigten, dass sie einen schweren Leber- und Nierenschaden hatte. Als dann am 22. Dezember eine weitere Kernspintomographie durchgeführt wurde, zeigte sich, dass ihr Tumor wieder da war und sich auf ihr Gehirn ausgeweitet hatte. „Wir wussten jetzt also mit Sicherheit, dass die Antineoplastone die Rückkehr des Tumors verhindert hatten. Er war wiedergekommen, als wir die Behandlung abgesetzt hatten“, erklärte Schiff. Die Eltern mussten noch einmal miterleben, wie der Tumor auf ihre Tochter einwirkte. Sie litt wieder an Schwindelanfällen, und ihre körperlichen Fä136
higkeiten waren stark eingeschränkt. Sie hatte Schwierigkeiten, während des Gehens das Gleichgewicht zu behalten, und ihr Sehvermögen war wieder eingeschränkt. Jetzt befanden sich die Schiffs in einem echten Dilemma. Sie waren fast bankrott. Schließlich stellten sie einen Antrag auf Schuldenerlass. Ihre Krankenversicherung kam nicht für die Behandlung durch Burzynski auf. Sie zahlte lediglich für die Computer- und Kernspintomographien (etwa 2000 Dollar pro Behandlung), falls sie von einem Arzt angefordert wurden. Die Schiffs waren wieder einmal gezwungen, sich mit Prados und den anderen Onkologen in der Klinik von San Francisco auseinanderzusetzen. „Ich kann mich genau erinnern, wie Prados ins Zimmer kam, als Crystin wieder die alten Probleme hatten, nachdem wir die Behandlung mit den Antineoplastonen abgesetzt hatten“, sagte Ric. „Er lächelte selbstzufrieden und sagte: Offensichtlich ist es zu einem Rückfall gekommen.“ Prados und die anderen Ärzte forderten die Familie auf, Crystin unverzüglich einer weiteren Bestrahlungs- und Chemotherapie zu unterziehen. Die Schiffs weigerten sich. Sie wollten ihre Tochter stattdessen wieder mit den Antineoplastonen behandeln lassen. Aber sie wussten, dass ihre Tochter regelmäßig untersucht werden musste, um ihre Fortschritte zu beurteilen, und sie hatten kein Geld mehr dafür, wenn ihr Arzt nicht die Genehmigung geben würde. In diesem Augenblick war Ric Schiff dazu gezwungen, etwas zu tun, was er als „einen Pakt mit dem Teufel“ bezeichnete. „Ich hatte Burzynski gefragt, wie lange es dauern würde, bis wir Resultate erwarten könnten. Er sagte, dass Crystin mindestens drei Wochen behandelt werden müsste, bevor sich irgendwelche Verbesserungen zeigen würden“, erinnerte er sich. „Also fragte ich Prados, was er vorschlagen würde. Er erwähnte mehrere toxische Chemotherapien, und er schien ganz aufgeregt zu sein, sie an Crystin zu testen. Wir einigten uns darauf, drei Wochen später eine Kernspintomographie machen zu lassen. Ich stimmte zu, dass sie eine ihrer giftigen Chemotherapien durchführen sollten, wenn sich an dem Tumor bis dahin nichts geändert hätte. 137
Sie können sich vielleicht vorstellen, wie ich mich fühlte. Schließlich wusste ich, was die Bestrahlung und die Chemotherapie meiner Tochter bereits angetan hatten.“ Aber nach drei Wochen war der nachgewachsene Tumor bereits wieder um 25 % geschrumpft. „Ich hörte dann nie wieder etwas von Prados“, sagte Ric. „Als der Tumor so stark geschrumpft war, blieb der Arzt einfach weg.“ Crystin wurde also weiter mit Antineoplastonen behandelt. Neun Monate später wurde eine weitere Kernspintomographie durchgeführt, und es erwies sich, dass der Tumor verschwunden war. Und noch im selben Jahr wurde Prados zum Leiter eines klinischen Test ernannt, an dem 16 Krankenhäuser beteiligt waren, und bei dem Phenylazetat als Mittel gegen den Krebs getestet wurde – das Mittel, vor dessen Giftigkeit er die Schiffs gewarnt hatte. Und noch einige Zeit später bestätigte der Radiologe Dr. James Barcovich von der Universität in San Francisco, dass die Kernspintomographien, die drei Wochen und neun Wochen nach dem 22. Dezember durchgeführt worden waren, ganz eindeutig zeigten, dass Crystins Tumor zuerst kleiner geworden und dann ganz verschwunden war. Aber kein Arzt dieser Universität würde jemals zugeben, dass dies auf etwas anderes zurückzuführen sei als auf eine verspätete Wirkung der Strahlungstherapie. Sie wollten einfach nicht zugeben, dass es Burzynski und seiner Antineoplaston-Therapie zu verdanken war“, klagte Ric. Crystin wurde für den Rest ihres Lebens mit Antineoplastonen behandelt, eine Zeitspanne, die durch die Nachwirkungen der Bestrahlung, der sie nach der ersten Diagnose ihres Tumors unterworfen worden war, radikal reduziert wurde. „Als Crystin starb, verlangte das Krankenhaus eine Autopsie“, erinnerte sich Ric. „Ich wusste, dass sie das nur wollten, um Burzynski eins „überzubraten“, wenn sich herausstellte, dass wieder ein Tumor vorhanden war. Aber ich dachte darüber nach, und ich kam zu dem Schluss, dass niemandem damit gedient wäre, wenn ich die Autopsie nicht zulassen würde.“ Die Familie hatte den Leichnam von Crystin aus dem Krankenhaus geholt, nachdem sie gestorben war. Am nächsten Tag brachte sie Ric für 138
die Autopsie wieder zurück. Er bestand darauf, dass sie gründlich durchgeführt würde, und dass jeder Teil ihres Körpers untersucht werden sollte. „Ich verbrachte Stunden damit, mir zusammen mit dem Kinderonkologen Dr. Byron Smith und dem Strahlenonkologen die Bilder anzusehen, die bei dem Verfahren aufgenommen wurden. Wir kamen zu dem Ergebnis, dass es zum Zeitpunkt ihres Todes nicht eine einzige Krebszelle im Körper von Crystin gegeben hatte.“ Rics klare Erinnerungen quälen ihn auch heute noch jeden Tag. „Ich kann es mir einfach nicht anders erklären“, sagt er. „Ich verdiene ja praktisch meinen Lebensunterhalt damit, misstrauisch zu sein, aber ich komme einfach zu keinem anderen Ergebnis, als dass es die Antineoplastone waren, die Chrystins Tumor beim zweiten Mal so schnell beseitigt hatten. Und das heißt doch, dass wir sie praktisch umgebracht haben, weil wir nichts über Burzynski und seinen Antineoplastonen wussten, als der Tumor zum ersten Mal auftauchte. Ich weiß, dass ich meine Tochter damit gequält habe. Ich weiß, dass ich meine Berufserfahrung hier nicht genutzt habe. Und die einzige Person, die mir das vergeben kann, ist jetzt tot. Ja, Prados und die anderen Ärzte sind auch verantwortlich. Aber mein Anteil an der Verantwortung ist einfach zu groß. Wenn ich ein Auto repariere, dann lese ich doch zuerst die technischen Anleitungen. Aber bei meiner Tochter habe ich einfach alles akzeptiert, was man mir sagte. Das kann ich nicht mehr rückgängig machen. Es gibt nichts, was mir meine Tochter zurückgeben würde. Nicht einmal die Tatsache, dass er inzwischen zwei anderen Kindern mit bösartigen rhabdoiden Tumoren dabei geholfen hat, den Weg zu Burzynski zu finden, ändert etwas an den Schuldgefühlen, die ihn ständig heimsuchen. Die Eltern dieser beiden Kinder hatten sich mit ihm in Verbindung gesetzt, nachdem Crystins Geschichte durch die Nachrichtenagentur Scripps Howard News Service und im Newsletter Health & Healing von Dr. Julian Whittaker veröffentlicht worden war. „Diesen Kindern geht es nach dieser Behandlung wieder sehr gut. Und auch Crystin würde es wieder gut gehen, wenn wir sie zuerst zu Burzynski gebracht hätten. Aber das haben wir nicht getan.“ 139
Crystin starb an Lungenentzündung. Sie hatte sich häufig verschluckt, und es war Nahrung in ihre Lungen geraten. Dies führen die Eltern auf ihre Strahlenbehandlung zurück. Die Schiffs sind davon überzeugt, dass ihre Tochter noch leben könnte, wenn sie von Burzynski und seiner Antineoplaston-Therapie gewusst hätten, bevor sie sie der konventionellen Bestrahlung und Chemotherapie ausgesetzt hatten, und wenn die Ärzte sie rechtzeitig auf diese Möglichkeit aufmerksam gemacht hätten. „Von 52 dokumentierten Fällen dieser Krankheit gab es nicht einen einzigen, bei dem eine Person gestorben ist und vollkommen krebsfrei war - nur Chrystin“, sagte Ric im Februar 1996 vor dem House Commerce Committe's Subcommittee on Investigations and Oversight (Prüfungsausschuss des Repräsentantenhauses). „Sie starb nicht an einer tödlichen Krankheit. Sie starb an meiner Unfähigkeit, anständig für sie zu sorgen, und sie starb an den schlechten Ratschlägen, die man uns erteilt hatte. Und sie starb, weil es eine Regierungsbehörde gibt, die vorsätzlich falsche Informationen verbreitet - zumindest ein Teil von ihr - und sich nicht um das Wohlergehen des Volkes kümmert.“ Ric gibt also der FDA die Schuld, die seit mehr als einem Jahrzehnt versucht, Burzynski zu vernichten. „Es ist die Aufgabe der FDA, uns zu sagen, ob etwas sicher oder schädlich ist, und nicht, uns daran zu hindern, es selbst herauszufinden. Ich glaubte den Ärzten, als sie mir sagten, dass es für Crystin keine andere Möglichkeit gäbe als Bestrahlung und Chemotherapie. Denn ich wusste ja nicht genug darüber. Ich habe mich an Ärzte gewandt, die selber keine Ahnung hatten oder mir nicht sagen wollten, was sie wussten. Wenn ich das alles in Frage gestellt hätte, dann hätten wir ihr Gehirn vielleicht nicht so sehr mit Strahlen malträtiert. Mit den Antineoplastonen wäre sie jetzt vielleicht noch am Leben und würde mit ihrer Schwester spielen. Postskriptum San Francisco, Mitte 2000 – Für Ric Schiff waren die letzten drei Jahre die reinste Frustration. „Ich rede ständig mit Leuten, deren Kinder einen Hirntumor haben“, sagte er. „Von hundert Leuten, denen ich erzähle, 140
dass sie zu Dr. Burzynski gehen sollen, tun das nur etwa zwanzig. Ihre Onkologen tun fast alles, um sie daran zu hindern. Selbst wenn sie den Eltern bereits mitgeteilt haben, dass die Chemotherapie nicht mehr helfen wird, raten sie ihnen genau zu dieser Therapie, wenn sie erfahren, dass die Eltern sich als letzten Ausweg an Dr. Burzynski wenden wollen. Sie scheinen an einer Heilung überhaupt nicht interessiert zu sein, sondern lediglich daran, ihre eigenen Behandlungsmethoden zu propagieren, so schädlich sie auch sein mögen. Aber von den 20 %, die sich nicht beirren lassen und zu Dr. Burzynski gehen, werden mehr als die Hälfte geheilt. Auch was die juristische Seite der Sache betraf, gab es nur Enttäuschungen. Mit finanzieller Unterstützung durch Dr. Julian Whitaker, der den Newsletter Health & Healing herausbringt, haben Ric und Paula Dr. Michael Prados verklagt, weil er es wiederholt versäumt hatte, die Schiffs über die Antineoplastone zu informieren, obwohl er über die Erfolge von Dr. Burzynski bei der Behandlung von Pamela Winningham und einem anderen Patienten Bescheid wusste (siehe „Die Geschichte von Pamela Winningham“). Die Klage wurde 1999 aufgrund eines Formfehlers abgewiesen, und Ric ging in Berufung. Aber da ein Gesetz in Kalifornien die Entschädigungen für Behandlungsfehler auf 250.000 Dollar beschränkt, hat er nicht die geringste Chance, die tausenden von Dollar wiederzubekommen, die er für die Klagen gegen Dr. Prados und einige andere Ärzte ausgegeben hat, die Crystin den enormen Bestrahlungen ausgesetzt hatten, die offensichtlich zu ihrem Tod führten. „Aber mir ging es bei diesen Prozessen niemals um das Geld“, sagte Ric. „Mir ging es ausschließlich darum, diese Leute und ihre Handlungen vor der Öffentlichkeit bloßzustellen. Dr. Whittaker bezeichnet das, was sie tun, als das „reine Böse“. Und damit hat er Recht. Aber es gibt immer noch Prominente, die für sie und ihre sogenannte Forschung zu Spenden auffordern. Das ist wirklich frustrierend.“ Dennoch kann Ric von sich behaupten, dass er einigen Menschen das Leben gerettet hat, weil er sie zu Dr. Burzynski schickte und weil er dazu beitrug, dass dieser seine Arbeit fortführen kann. Rics Zeugenaus141
sage bei Dr. Burzynskis erstem Prozess war die effektivste, zum Teil, weil Richter Simeon T. Lake ihm gestattet hatte, über Dinge auszusagen, bei denen er anderen Zeugen das Wort entzogen hatte. „Ich hatte das Gefühl, dass er mich ansah und wusste, dass ich Polizeibeamter war. Und das schien ihm genügt zu haben“, lächelte Ric. „Zu meinem Erstaunen sagte ich sozusagen als Experte auf dem Gebiet der Bestrahlung und der Chemotherapie aus. Durch unsere fast fünf Jahre andauernde Kampagne ist es uns zumindest gelungen, dafür zu sorgen, dass Dr. Burzynski in Freiheit bleibt und seine Klinik weiter betreiben darf.“ Das alles bringt Crystin natürlich nicht zurück. Aber es ist doch besser als nichts.
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KAPITEL 4 Krebsheilung im Alleingang
Für Dr. Stanislaw Burzynski war das Jahr 1977 ebenso aufregend wie das Jahr 1970, als er in den Vereinigten Staaten eingetroffen war. Er hatte gerade Mal 5.000 Dollar auf der Bank, als er seine Forschungsstelle beim Baylor College of Medicine aufgab, um seinen eigenen Weg zu gehen. Während er in Teilzeit für einen anderen Arzt arbeitete, eröffnete er seine eigene Klinik. Die Aussicht auf Unabhängigkeit war so verlockend, dass er ein Angebot der medizinischen Fakultät der Universität von Tennessee in Memphis ablehnte. Burzynskis ehemaliger Mentor, Georges Ungar, war nach Memphis gezogen, nachdem seine Position am Baylor College aus politischen Gründen unhaltbar geworden war. Er wollte, dass Burzynski ihn bei seiner Arbeit mit den Hirnpeptiden unterstützte. Burzynski, der anfangs nur eine Reihe von Vorträgen in Tennessee halten sollte, wurde schon bald eine Festanstellung im Bereich der Biochemie und Onkologie angeboten. Gerade als Burzynski intensiv darüber nachdachte, was er nun tun sollte, erschien der polnische Wissenschaftler Marian Mazur in Houston, um an der Rice University zu lehren. Er quartierte sich in Burzynskis Haus ein. Das war kein reiner Zufall. Noch Jahrzehnte später glaubte Burzynski immer noch, dass der Zeitpunkt seiner Ankunft irgendwie vorherbestimmt war. „Da er mich in Polen so sehr unterstützt hatte, wollte ich jetzt auch etwas für ihn tun“, sagte Burzynski. „Ich hatte an der Rice University einige Freunde, die ich dazu überredete, Mazur zu Vorträgen über Kybernetik einzuladen und ihm ein großzügiges Honorar dafür zu zahlen. Er tauchte ganz plötzlich auf, wie ein Engel. Und das zu einem Zeitpunkt, da ich eine Entscheidung treffen musste, die mein ganzes weiteres Leben bestimmen würde. Anscheinend tauchte Mazur immer zu dem genau richtigen Zeitpunkt auf.“ 143
Mazur riet ihm, sich selbstständig zu machen, Er sagte ihm, dass er besser damit fahren würde, vollkommen unabhängig von jeder akademischen Bürokratie zu arbeiten. „Ich hatte diese Sache bereits mit Carlton Hazlewood und einigen anderen besprochen“, sagte Burzynski. „Sie sagten mir, dass ich Partner brauchen würde, um es als Selbständiger zu schaffen. Aber Partner zu akzeptieren, bedeutet, eine Menge Opfer zu bringen. Mazur sagte mir, dass, falls das, was ich hatte, funktionieren würde, ich allein mit dem Einkommen, das ich durch meine Patienten erzielen würde, mehr als genug verdienen würde. Und das hörte sich für mich gut an.“ Also mietete Burzynski zwei Praxisräume und eine Garage in einem kleinen Gebäude am Westline Drive in Houston und begann, Patienten zu behandeln. Um genug zu verdienen, arbeitete er noch in Teilzeit für einen Internisten in der Praxis von Dr. Rhey Walker. Dort behandelte er Patienten mit verschiedenen Krankheiten. Aber in seiner eigenen Praxis behandelte er ausschließlich Krebspatienten. Von Anfang an wurde er praktisch von Patienten überlaufen. Das lag wohl in erster Linie an der Berichterstattung über seine Präsentation 1976 beim FACEB-Konvent durch die Associated Press. „Die Geschichte ging um die ganze Welt“, erinnerte sich Burzynski. „In den Zeitungen wurde darüber berichtet, im Radio und im Fernsehen. Ich wurde mit Telefonanrufen überschwemmt. Ich trat in der Talkshow von Nancy Ames in Houston auf. Die Leute fingen an, sich für mich zu interessieren, und meine Patienten kamen von überall her. Und das ist bis heute so.“ Aber als er seine winzige Praxis eröffnete, konnte Burzynski nicht wissen, dass sein ganzes weiteres Leben von dieser Sache bestimmt werden sollte. „Für mich war das wie das Überqueren vom Roten Meer. Ein Jahr vorher hätte ich mir nicht vorstellen können, dass ich praktisch eine eigene Firma aufmachen würde. In Polen sind Geschäftsleute bei Akademikern nicht besonders gut angesehen. Sie sind der Meinung, dass man verrückt sein muss, wenn man die Universität freiwillig verlässt. Und das zu tun, ohne dass die Aussicht besteht, überhaupt Patienten zu be144
kommen, ist ja schon irgendwie verrückt. Ohne den Rat von Mazur hätte ich das auch niemals getan.“ Burzynski gründete eine Praxis, die schon bald zu einer der umstrittensten Unternehmungen in der amerikanischen Medizin werden sollte. „Von den 5.000 Dollar, die ich besaß, leistete ich eine Anzahlung von 600 Dollar für die erste Monatsmiete“, erinnerte er sich. „In der Garage bauten wir einen Gefriertrockner und eine Produktionsanlage auf.“ Dieses provisorische Garagenlabor sollte sich bei Burzynski anfänglichem Erfolg als entscheidend erweisen, da er vom Baylor College nur soviel Antineoplastone mitgebracht hatte, dass er gerade mal zehn Patienten behandeln konnte und das nur für einige Monate. Schon bald sollte er bedeutend mehr von den Antineoplastonen benötigen. Aber in diesen ersten Jahren war menschlicher Urin die einzige Quelle für die Herstellung der notwendigen Peptide. „Ich fing an, sie selbst herzustellen“, sagte Burzynski. „Ich nahm einen Kredit von 30.000 Dollar auf und bestellte einen großen Gefriertrockner. Dann fing der Betrieb an, langsam zu wachsen. Also brauchten wir immer mehr Urin.“ Dieser kam praktisch von allen Seiten. Mitarbeiter des Twelve Oaks Hospital stellten in jedem Stockwerk Tiefkühltruhen auf und sammelten ihren Urin für Burzynski. Mehrere Priester, mit denen er befreundet war, sorgten dafür, dass die Studenten des römischkatholischen Seminars von St. Mary in Houston ihren Urin sammelten. Die Nonnen im Kloster Villa de Matel trugen ebenfalls ihren Teil bei. Und wenn es eine größere Versammlung in der größten polnischamerikanischen katholischen Kirche in Houston gab, dann wurde der gesamte Urin, der dabei anfiel, ebenfalls an Burzynski geschickt. Eine Zeit lang sammelte er sogar den Urin von Insassen texanischer Gefängnisse. An den meisten dieser Orte wurden Sammelsysteme in den Toiletten aufgestellt und die Flüssigkeit in einem großen zentralen Behälter gesammelt. Burzynski spendete regelmäßig Geld an die Institutionen, die ihn so belieferten. Der Arzt und seine ersten Assistenten waren gezwungen, jeden Tag für mehrere Stunden kreuz und quer durch Houston zu fahren, um den Urin 145
zu sammeln. Sie brachten ihn zu der Garage am Westline Drive, wo er sofort auf neun Gefriertruhen verteilt wurde. „Rohre gingen von den Gefriertruhen direkt zum Filtersystem. Normalerweise verfügten wir über genügend Urin“, erinnerte sich Burzynski. „Aber wir brauchten für jeden Patienten für jeden Tag der Behandlung etwa 30 Liter. Also benötigten wir einen ständigen Nachschub. Es war schon eine enorme Belastung, ständig durch die Gegend zu fahren und Urin zu sammeln.“ Er stand auch unter enormen Belastungen. Er arbeitete als Chefchemiker, behandelte Patienten, schrieb akademische Abhandlungen und arbeitete während der ersten beiden Jahre in Dr. Walkers Praxis mit. Außerdem musste er Techniker und Sekretärinnen einstellen oder entlassen. „Ich hatte überhaupt keine kaufmännischen Erfahrungen“, sagte Burzynski. „Wie die meisten polnischen Akademiker hasste ich die Wirtschaft. Aber ich lernte ziemlich schnell, weil ich hunderte von Seiten Anweisungen für unsere Techniker schreiben musste. Wir wussten ja von Anfang an, dass die FDA uns nicht für immer unbehelligt lassen würde. Ich hatte vorher eine angenehme Stellung mit einem guten Gehalt gehabt und mich nicht mit solchen Problemen herumschlagen müssen. Aber jetzt plötzlich musste ich ständig über unsere finanzielle Situation nachdenken.“ Also bat er die Patienten um eine Anzahlung von 2.500 Dollar, die sie zurückerstattet bekommen würden, sobald ihre Versicherung für ihre Ansprüche aufkäme. Bald gelang es ihm, einige Patienten zu heilen, und er bekam das Gefühl, dass sich all die Kämpfe gelohnt hatten. Burzynski behandelte seine ersten Patienten mit intravenösen Injektionen eines Peptids mit breitem Wirkungsspektrum, das er Antineoplaston A nannte. Es enthielt die Chemikalie Phenylazetylglutamin. Über die Ergebnisse wurde in einer Abhandlung unter dem Titel „Antineoplaston A bei der Krebstherapie“ berichtet, die Ende 1977 in der Fachzeitschrift Physiological Chemistry and Physics veröffentlicht wurde. Darin schilderte Burzynski, dass bei der Mehrzahl der Patienten in seiner ersten Gruppe, die aus 22 Personen bestand, der Tumor entweder zurückgegangen oder stabil geblieben war. Bei vier der 22 Patienten war der Tu146
mor komplett verschwunden, bei zwei anderen war er um die Hälfte oder mehr geschrumpft, und nur in vier Fällen war er während der Monate der Untersuchung weiter gewachsen. Da das Antineoplaston A eine so breite Wirkung hatte, gehörten zur ersten Gruppe Patienten mit einer Vielzahl von Tumoren, einschließlich Brustkrebs, Lymphoma und Hirnkrebs. Aber das war für Burzynski noch nicht befriedigend. Unter Verwendung eines Hochleistungs-Chromatographen in seinem Garagenlabor spaltete er das Antineoplaston A in fünf Fraktionen auf, die er mit A1 bis A5 nummerierte. „A2 schien das aktivste zu sein, und wir veröffentlichten die Ergebnisse seiner Giftigkeit während der ersten Phase 1978 in einer Fachzeitschrift in der Schweiz. Unsere Resultate verbesserten sich, als wir verschiedene Antineoplastone herstellten, jedes einzelne eine Fraktion von Antineoplaston A. Als wir A2 an 15 Patienten testeten, entwickelte sich die Krankheit nur bei einem von ihnen weiter. Wir erzielten Resultate bei Fällen von Brustkrebs, Leberkrebs, chronischer Leukämie und Gehirntumoren. Ich versuchte, diese Ergebnisse in den USA zu veröffentlichen. Aber niemand wollte davon etwas wissen. Ich glaube, dass ich mit der Veröffentlichung meiner ersten Studie hier in den USA keine Probleme hatte, weil ich zu der Zeit noch für das Baylor College arbeitete. Ich war damals noch kein Ausgestoßener. Aber das sollte sich ja bald ändern.“ A2 war fast komplett ungiftig und offensichtlich sehr wirksam, aber in den Kreisen, die sich mit der Heilung von Krebs beschäftigten, kümmerte das niemanden. Selbst als Burzynski seine Ergebnisse 1984 beim alle vier Jahre stattfindenden Internationalen Krebskongress in Budapest präsentierte, war kein anderer amerikanischer Krebsforscher daran interessiert. Man fing bereits 1978 an, Burzynski als Ausgestoßenen zu behandeln, als er noch voll damit beschäftigt war, das Antineoplaston A in Fraktionen aufzuspalten. Es begann mit einer Untersuchung durch den Ethikausschuss der Medizinischen Gesellschaft von Harris County (Houston). Burzynski wurde vorgeworfen, ein nicht zugelassenes Medikament her147
zustellen und es seinen Patienten zu verabreichen. Nachdem er mehrmals zu einer Befragung vorgeladen worden war, gaben ihm Kollegen den Rat, der Presse keine Interviews mehr zu geben. Daran hielt er sich zwei Jahre lang. Aber Burzynski ließ nicht zu, dass dies seine Arbeit beeinträchtigte, und er wurde immer noch von etwa 30 Patienten pro Jahr aufgesucht. Nach April 1980 hörte er nie wieder etwas von dem Ausschuss. Die Gründe dafür sind ihm nicht bekannt. Im Jahre 1979 unterhielt er sich mit dem medizinischen Journalisten Gary Null aus New York, der damals an einem Artikel für die Zeitschrift Our Town arbeitete mit dem Titel „Dieser Mann könnte Ihr Leben retten. Aber man gibt ihm kein Geld dafür“. Er sagte ihm, dass er es niemals aufgeben würde, Patienten mit Antineoplaston zu behandeln. „Ich werde darum kämpfen, egal was die auch unternehmen“, sagte er und klang so, als ob er schon wüsste, was ihm bevorstehen würde. „Ich tue das Richtige. Und ich glaube, dass wir es dem Volk schuldig sind. Wenn man etwas entdeckt, das wertvoll und wirksam ist, dann muss man einfach weitermachen. Und ich bin überzeugt davon, dass wir etwas gefunden haben, mit dem wir Leben retten können.“ Von dieser Überzeugung sollte Burzynski Jahrzehnte lang geleitet werden – durch vier Untersuchungen durch eine Grand Jury, 2500 Patienten, einen Strafprozess und zahllosen Streitigkeiten mit Versicherungsgesellschaften hindurch. Inzwischen weiteten sich die Geschäfte von Burzynski immer weiter aus. 1979 verlegte er seine Klinik einige Blocks weiter westlich in ein neues Gebäude in der Nähe des Corporate Drive. Seine Arbeit für Walker hatte er aufgeben, weil seine eigene Praxis jetzt seine gesamte Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Zwei Jahre später verlegte er seine chemische Anlage von der Westline Garage in einen modernen Industriepark südlich des Southwest Freeways von Houston. In seinem ursprünglichen Garagenlabor hatte Burzynski seine ersten persönlichen Kontakte mit der FDA. Seine Anwälte wandten sich 1977 zum ersten Mal an diese Behörde, als er gerade mit seiner Klinik angefangen hatte. Sie hatte nichts dagegen einzuwenden, dass er seine Anti148
neoplastone herstellte und sie im Staat Texas seinen Patienten verschrieb. „Wir fragten sie, ob wir ihre Erlaubnis dazu hätten, und sie sagten, dass sie keine Einwände hätten“, erinnerte sich Burzynski. Als Nächstes wandten sich seine Anwälte an das Büro des Justizministers von Texas, der Burzynski seinerseits und in Übereinstimmung mit der FDA eine offizielle Erlaubnis erteilte. Ein Grund für diese schnelle Genehmigung könnte sein, dass das texanische Recht zu diesem Zeitpunkt noch keine Bestimmungen der FDA in ihre medizinischen Vorschriften einbezogen hatte. Das änderte sich erst 1985, möglicherweise aufgrund der späteren öffentlichen Auseinandersetzungen Burzynskis mit den Bundesbehörden. Der erste Besuch der FDA bei Burzynski erfolgte im Jahre 1978. Ihre Vertreterin, Alicia Abbot, kam in sein Labor, um sich dort gründlich umzusehen. Sie bemängelte besonders, dass die Mäuse, an denen die Sterilität und Giftigkeit der Antineoplastone getestet wurden, in Käfigen in der umgebauten Garage untergebracht waren. Abbot sagte zu Burzynski, dass die Versuchstiere nicht in demselben Raum untergebracht werden dürften, in dem der Urin gefiltert und die Peptide raffiniert würden. Burzynski entfernte die Tiere unverzüglich aus der Garage und hörte dann fast vier Jahre nichts mehr von der FDA. Während dieser Zeit behandelte er weiterhin etwa 30 neue Patienten jährlich. Dafür mussten täglich 1500 Liter Urin gesammelt und raffiniert werden. „Wir mussten eine Menge Tiefkühltruhen kaufen, weil der Urin sich durch die inneren Wände fraß und sie rosten ließ“, erinnerte er sich mit einem schiefen Lächeln. Burzynski war bemüht, seine Abhängigkeit vom menschlichen Urin zu beenden, aber er konnte nicht mit der synthetischen Herstellung der Antineoplastone beginnen, bevor er nicht jedes einzelne ihrer Moleküle analysiert hatte. Und das war absolut unmöglich, bis die Technik der Massenspektrometrie zur Verfügung stand, mit der man heute die Chemikalien in so ziemlich allem, von normalen Steinen bis zu den Monden des Uranus, analysieren kann. Sobald er die Massenspektrometrie mit seinem Wissen über die Hochleistungs-Chromatographie kombinieren 149
konnte, war es endlich möglich, die Komponenten selbst der unstabilsten Fragmente der Antineoplastone zu identifizieren. Und 1980 stellte Burzynski fest, dass die wichtigste Komponente beim Antineoplaston A ein Präparat mit der Bezeichnung 3-phenylacetylamino-2.6-piperidinedion ist. Um dieses Präparat außerhalb des menschlichen Körpers herzustellen, ist die im Handel beziehbare Chemikalie L-glutamin erforderlich. Burzynski benötigte ebenfalls große Mengen an Phenylacetylchlorid und kleinere Mengen von üblichen Chemikalien wie Natriumbikarbornat, Schwefelsäure, Kaliumhydroxid und Methylalkohol. Sobald er genau wusste, wonach er suchen musste, fing er an, massenweise Chemikalien einzukaufen, und begann kurz darauf mit der synthetischen Herstellung von Antineoplastonen. „Ich danke dem Himmel für die Massenspektrometrie“, sagte Burzynski. „Denn ohne sie wären wir immer noch vom Urin abhängig. Es war ganz klar, dass wir das Mittel künstlich herstellen würden, sobald wir herausfinden würden, wie das geht. Aber zuerst mussten wir die Antineoplastone vom Urin reinigen, und während der letzten Schritte der Reinigung fragmentierten die Verbindungen immer und verschwanden, so dass wir sie nicht analysieren konnten. Wir wollten diese Peptide immer synthetisch herstellen. Das klappt viel besser, und sie werden so reiner. Wir hatten zwar kein Problem mit der Sterilisierung des Urins, aber seien wir doch mal ehrlich: Es war eine verdammt unangenehme Methode der Vorbereitung.“ Als er begann, Antineoplastone künstlich herzustellen, fing er auch an, die Substanz Phenylazetat – die später zu einer der wichtigsten Substanzen werden sollte – auf ihre Wirkung gegen den Krebs zu testen. Dies geschah, als er mit der Herstellung von A10 anfing, einer Kombination von Phenyazetaylglutomin und Phenylacetylisoglutamin. Wenn sie vom Körper aufgenommen und verarbeitet werden, verwandeln sich beide in Phenylazetat, das selbst eine ziemlich verbreitete und bekannte Chemikalie ist. Burzynski ließ schließlich A10 und ein weiteres Antineoplaston, das er AS2-1 nannte, patentieren, aber er entschied sich, Phenyazetat nicht pa150
tentieren zu lassen, weil es so weit verbreitet ist und sich bei Tests an Krebspatienten in seiner Wirkung als sehr begrenzt erwiesen hatte. „Wir haben zehn Patienten mit Phenylazetat behandelt, aber wir erhielten nur bei einem eine Teilreaktion – einem Mann mit Prostatakrebs“, berichtete er. „Das half uns nicht viel weiter. Durch unsere Versuche kamen wir sehr schnell zu dem Schluss, dass das Mittel nicht annähernd so wirksam war wie unsere anderen Präparate.“ Also war Burzynski der Meinung, dass es nicht notwendig wäre, diese Chemikalie als Krebsmittel patentieren zu lassen, und dass auch die anderen Ärzte ihr Interesse an Phenylazetat verlieren würden, sobald sie feststellten, wie viel wirksamer andere Antineoplastone gegen Krebs sind. Aber da sollte er sich täuschen. Jahre später gaben sowohl ein großes pharmazeutisches Unternehmen als auch das Nationale Krebsinstitut die Tests an den Antineoplastonen auf und richteten ihre ganzen Hoffnungen auf Phenylazetat als potentielles Mittel gegen den Krebs. Nachdem es ihm gelungen war, seine eigenen Antineoplastone chemisch herzustellen, machte ihm die FDA zunächst keine Schwierigkeiten mehr. Es war fast so, als ob die Behörde ihn vergessen hätte. Das änderte sich jedoch sehr schnell im Jahre 1982, als kanadische Behörden auf seine Arbeit aufmerksam wurden. Ihr Interesse wurde durch einen positiven Artikel im kanadischen Massenblatt Maclean's geweckt, der Anfang des Jahres veröffentlicht worden war. Burzynski wurde nach Ottawa bestellt, wo er mit Mitarbeitern der kanadischen Behörde für die Zulassung von Medikamenten sprach. „Es war ein sehr angenehmes Gespräch, aber bevor sie das Medikament in Kanada zuließen, wollten sie noch einige Fachleute schicken, um sich unsere Anlage anzusehen“, erinnerte sich Burzynski. Dieser Besuch sollte sich für ihn als sehr nützlich erweisen. Die kanadischen Inspektoren machten ihn mit dem Konzept der „Good Manufacturing Procedures“ („gute Herstellungdspraxis“) bekannt, was seinem Betrieb bei zukünftigen Inspektionen durch die FDA sehr gute Noten einbringen sollte. Der Artikel im Mcleans's veranlasste Dutzende kanadischer Krebspatienten, nach Texas zu reisen und dort Burzynski aufzusuchen. Auch der 151
Onkologe David Walde aus Sault Ste. Marie in Ontario kam, um die Klinik und die Anlage von Burzynski zu sehen. Nach seinem Besuch schrieb Dr. Walde in einem privat verbreiteten Bericht, der später in Ralph Moss' Buch The Cancer Industry veröffentlicht wurde: „Ich hatte keine Ahnung, was mich bei meinem Besuch dort erwarten würde, und ich wäre nicht überrascht gewesen, wenn ich ein Betrugsunternehmen vorgefunden hätte, das nur darauf aus wäre, die Patienten auszunutzen, ohne ihnen irgendeinen therapeutischen Nutzen zu bieten … Ich dachte auch, dass die Unterlagen über die klinischen Fälle unzureichend sein würden, so dass eine Auswertung schwierig, wenn nicht gar unmöglich wäre.“ Aber Walde sollte bald eines Besseren belehrt werden. Was er dort vorfand, „ging weit über meine Erwartungen hinaus, und ich musste meine vorschnellen negativen Erwartungen gründlich revidieren … Es ging einfach über meine Vorstellung hinaus, dass eine Person ohne größere finanzielle Unterstützung durch den Staat oder private Spender in der Lage sein würde, aus eigener Kraft eine so effektive Produktionsstätte aufzubauen. Mein persönlicher Eindruck war, dass dieses gesamte Programm, sowohl die Forschung als auch die Produktion, durch die Patienten und zusätzlich durch größere Kreditaufnahmen durch Dr. Burzynski finanziert wurde“. Damit lag er richtig, und dies sollte sich später, als Burzynski sich um die staatliche Zulassung seiner Medikamente bemühte, noch als größeres Hindernis erweisen. Aber nach diesem positiven Bericht kam es bald zu Schwierigkeiten, als Behörden wie der Ontario Health Insurance Plan anfingen, Ansprüche von Patienten in Frage zu stellen. Diese Behörde stellte die Zahlungen an Burzynski ein, kurz nachdem er in Ottawa gewesen war, und im Oktober 1982 wies der stellvertretende Gesundheitsminister von Ontario den Ärzteverband der Provinz an, Experten zu entsenden, um Burzynskis Behandlungsmethoden zu überprüfen. Einen Monat später, am 15. November 1982, trafen Dr. Martin Blackstein, Chef der Onkologieabteilung im Mount Sinai Hospiotal in Toronto, sowie Dr. Daniel Bergsagel, medizinischer Leiter im Princess Margaret Hospital, in Toronto ein, um 152
sich gründlich über die Arbeit von Dr. Burzynski zu informieren. „Da der Bericht von Dr. Walde so positiv ausgefallen war, brachte ich diesen beiden Ärzten kein großes Misstrauen entgegen“, erinnerte sich Burzynski. Später wünschte er sich dann, dass er nicht so entgegenkommend gewesen wäre. „Ich zeigte ihnen Röntgenbilder, aus denen eindeutig hervorging, dass die Tumore verschwunden waren. Das machte auf sie aber keinen großen Eindruck. Egal, was ich ihnen zeigte. Ihre Haltung war durchweg negativ.“ Nach ihrer Rückkehr nach Kanada schrieben Blackstein und Bergsagel einen vernichtenden Bericht, in dem sie bemängelten, dass Burzynski einige Antineoplastone immer noch aus Urin herstellen würde. Und sie behaupteten, dass sie keinerlei Beweise dafür vorgefunden hätten, dass Antineoplastone in Reagenzgläsern eine signifikante Wirkung gegen Krebs gezeigt hätten. Außerdem bemerkten sie, dass Burzynski weder bei der FDA noch bei der kanadischen NCI einen Antrag auf die Zulassung eines neuen Medikaments eingereicht hätte. Trotz der Unlogik dieser Vorwürfe und der Tatsache, dass die beiden kanadischen Ärzte alle Artikel über Burzynski in Fachzeitschriften total ignoriert hatten, wurde ihr Bericht bei praktisch jedem Prozess, der danach gegen ihn angestrengt wurde, als Beweis zugelassen. Blackstein und Bergsagel traten bei solchen Verfahren gelegentlich als Zeugen der Anklage auf. Burzynski folgte trotzdem einer der Empfehlungen von Dr. Walde, der mit ihm sympathisierte und beantragte eine IND-Genehmigung für die Zulassung eines neuen Medikaments in Kanada. Einige Monate sah es so aus, als ob das reibungslos über die Bühne gehen und man die Genehmigung der Antineoplastone auf experimenteller Basis dort zulassen würde. Aber dann scheiterte Burzynski an der Zusammenarbeit zwischen den kanadischen und US-amerikanischen Nationalen Krebsinstituten. Die Kanadier schickten Proben von Antineoplastonen an ihre amerikanischen Kollegen, die sie durch das übliche Testprogramm mit Versuchstieren überprüften. Burzynski kooperierte und schickte weitere Vorräte von A2, A5 und des neuen synthetisierten A10 an Bethesda in 153
Maryland, obwohl er bezweifelte, dass die Mittel bei Tieren allzu viel bewirken würden. Die übliche Praxis des NCI zu jener Zeit bestand darin, jedes neue Krebsmittel am sogenannten P388-Stamm der Mäuseleukämie zu testen. Burzynski sagte sowohl den kanadischen als auch den USamerikanischen Wissenschaftlern, dass er davon ausging, dass Antineoplastone artenspezifisch seien, dass also jede Spezies ihre eigene Version der Peptide herstellen würde, und dass seine Mittel daher wenig Wirkung bei Mäuseleukämie zeigen würden. Außerdem stellte er die These auf, dass für praktisch jede Art von Krebs ein besonderes Antineoplaston existieren würde. Genau wie er vorausgesagt hatte, bewirkten die Antineoplastone nicht viel gegen die Krankheit der Nagetiere. Aber das NCI weigerte sich, auf den Vorschlag von Burzynski einzugehen, Antineoplastone ebenfalls an Zellkulturen zu testen, die aus menschlichen Tumoren, speziell Brustkrebs, erzeugt wurden. Von diesem Zeitpunkt an wurde die Wirkungslosigkeit der Antineoplastone bei Mäuseleukämie als Argument gegen Burzynskis Mittel eingesetzt, sobald Journalisten oder Patienten sich beim NCI über sie erkundigten. Erst als die Kanadier bei ihren Untersuchungen die Hilfe des amerikanischen NCI in Anspruch nahmen, erschien die FDA wieder bei Burzynski. Dieses Mal handelte es sich nicht um einen kurzen Besuch, bei dem eine hilfreiche Inspektorin ihre Hilfe anbot, um die Verfahren zu verbessern. Die Inspektion der Produktionsanlagen Burzynskis durch die Behörde sollte etwa einen Monat dauern. Ihr folgte eine weitere fünfwöchige Inspektion seiner Klinik. Aber der erste frontale Angriff durch die FDA erfolgte erst während der Osterwoche 1983. Burzynski, der gerade von einem Treffen in Philadelphia nach Houston zurückkehrte, rief sein Büro an, um wichtige Anrufe zu beantworten. „Ich wurde so nebenbei darüber informiert, dass die FDA gegen mich ein Verfahren angestrengt hatte“, sagte er. Ich erfuhr später, dass man sich an einen Magistratsrichter gewandt und eine einstweilige Verfügung beantragt hatte, um mich dazu zu zwingen, die 154
Produktion der Antineoplastone einzustellen. Aber zufällig befand sich mein Anwalt, John Johnson, gerade wegen einer anderen Angelegenheit im Gerichtssaal und hörte, was da vor sich ging. Er erklärte dem Richter, dass, falls ich dazu gezwungen wäre, die Produktion der Antineoplastone einzustellen, Menschen sterben würden. Und der Richter weigerte sich, die einstweilige Verfügung auszustellen. Tatsächlich wurde eine solche Verfügung auch später nicht mehr erlassen. Aber Burzynski war jetzt gezwungen zu kämpfen. Es war eine Schlacht, deren Ausgang total ungewiss war.
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Die Patienten Burzynskis bringen ihre Sache vor den Kongress und treffen sich mit dem Kongressabgeordneten Richard Burr aus North Carolina. Führende Mitarbeiter der FDA wurden nach solchen Sitzungen vorgeladen, um bei fünf getrennten Anhörungen auszusagen.
Mary Jo Siegel führt im September 1996 einen Protestmarsch in Washington D.C. an. Die Patienten sammelten mehr als 600.000 Dollar für die Ver teidigung von Dr. Burzynski. 156
Dr. Barbara und Stanislaw Burzynski während einer Audienz bei Papst Paul II in dessen Sommerresidenz Castel Gandolfo außerhalb von Rom im Oktober 1996, nur wenige Monate vor seinem ersten Strafprozess. Der Pontifex hatte die Burzynskis persönlich eingeladen, um ihnen bei ihrem Kampf gegen die FDA Glück zu wünschen.
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Dr. Burzynski überprüft die Kernspintomographien eines Hirntumors in seiner Klinik in Houston. Die Kernspintomographien zeigten deutlich, dass die Antineoplastone viele Hirntumore schrumpfen lassen, die auf konventionelle Therapien nicht reagieren.
Leitungen, Bottiche und eine komplexe Steuertafel füllen die Anlage in einem Vorort von Houston, in der Antineoplastone künstlich hergestellt werden. Burzynski hat die komplexen Maschinen selbst konstruiert und überwacht ihren Betrieb. Sie entsprechen sämtlichen Vorschriften der FDA in Bezug auf die Herstellung pharmazeutischer Produkte. 158
Mary Jo Siegel, die von den Lymphomen befreit wurde, an denen sie jahrelang litt, mit Neil Dublinsky (links), einem weiteren Patienten, der von Lymphomen geheilt wurde, und Dr. Burzynski, der Mann, dem sie beide ihr Leben zu verdanken haben.
Patienten von Burzynski und ihre Familien bei einer Demonstration im September 1996 vor dem WeiĂ&#x;en Haus.
Ironischerweise wurden Briefe von Patienten an Präsident Clinton, in denen sie sich ßber die Behandlung von Dr. Burzynski durch die FDA vor den Strafprozessen beklagten, automatisch an die FDA weitergeleitet. 159
Patienten von Burzynski, die von ihrem Non-Hodgkin-Lymphom geheilt wurden. Von links: Theresa Kennett, Neil Dublinsky und Mary Jo Siegel bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung, bei der Geld für die Verteidigung von Burzynski gesammelt wurde.
Randy Goss, der von Burzynski von einem Nierenzellkrebs geheilt wurde, mit seinen Söhnen Kyle und Jason.
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Wieder in seinem Angelboot. Burzynskis Hirntumorpatient Thomas Wellborn präsentiert stolz seinen Fang. Die Antineoplastone lösten seinen Hirntumor auf, nachdem die konventionelle Therapie versagte.
Dr. Burzynski mit seinem kleinen Platienten Dustin Kummari auf dem Arm (seine konventionellen Ärzte konnten seinen Hirntumor nicht heilen) während einer Veranstaltung vor dem Gerichtsgebäude in Houston Anfang 1997. Dustins Eltern bezeugten vor einem Kongressausschuss, dass die Antineoplastone sein Leben gerettet hatten. 161
Dr. Stanislaw Burzynski redet zu einer Versammlung seiner Patienten und Anhänger vor dem Gerichtsgebäude in Houston während einer Pause beim ersten Strafprozess. Staatsanwalt Michael Clark behauptete, dass diese täglichen Demonstrationen „mit Sicherheit einen Einfluss auf das Ergebnis beider Prozesse hatte“.
Patienten und ihre Verwandten umgeben Dr. Barbara Burzynski während einer Pause beim ersten Strafprozess gegen ihren Mann. Von links: Jared Wadman, Alice Cedillo und ihr Freund Greg Bader, Mary Jo Siegel, Jareds Großvater, Barbara Burzynski, Jared Vater Ted Wadman, Randy Gost, Jareds Mutter Sandy Wadman. 162
Robert Spiller, der Ankläger von der FDA, während einer Zeugenaussage bei Dr. Burzynskis erstem Strafprozess. Spiller wies alle Bemühungen zurück, von ihm eine Erklärung zu erhalten, warum die FDA ständig versuchte, Burzynski ins Gefängnis zu bringen.
US-Bezirksrichter Simeon T. Lake der Dritte wusste schon vor Beginn des Prozesses, dass „die Patienten hier die eigentlichen Betroffenen sind“. Gegen Proteste der Anklage erlaubte er mehr als einem Dutzend Patienten, eine Aussage zu machen.
Hirntumorpatient Robbie Graham (vorn) saß ab dem am ersten Tag des Strafprozesses gegen Burzynski zusammen mit anderen Patienten im Gerichtssaal.
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DIE GESCHICHTE VON RANDY GOSS
Er ließ nicht zu, dass der Krebs sein Leben ruiniert
Randy Goss war überhaupt nicht an einer Konfrontation interessiert. Er arbeitete als Restaurateur, Anlagenbetreiber und Recyclingtechniker für den Bezirk Chautauqua im Westen des Staates New York, und er hatte bereits genug Ärger durch seinen Kampf mit dem Krebs. Vor seinem letzten Besuch im weltbekannten Krebszentrum in Roswell Park in Buffalo hatte er bereits zwei Jahre lang mit dieser Krankheit zu kämpfen. Deshalb war er nicht gerade scharf darauf, sich auch noch auf einen Streit mit seinem Onkologen einzulassen. Randy wollte, dass man in Roswell Park weiterhin regelmäßig Computertomographien von seinem Körper machte, aber er war nicht länger versessen darauf, sich mit irgendwelchen Onkologen herumzustreiten. Eine Sekretärin sagte ihm im Juni 1995 am Telefon, dass er ständig Termine bei seinem Arzt versäumen würde. Deshalb könne man auch keine Tomographien mehr für ihn durchführen. Randy, ein erfahrener Lokalpolitiker, der zwei Jahre lang im Stadtrat seines Heimatstädtchens Dunkirk im Staat New York gearbeitet hatte, reagierte mit einem Angebot: Er würde noch einmal zu seinem Onkologen gehen, wenn Roswell Park die Tomographie durchführen würde. Aber es kam eigentlich gar nicht zu einer wirklich Konfrontation, als Dr. Satish R.C. Velagapudi das Behandlungszimmer betrat, in dem Randy wartete. „Sie sind also nach Houston gegangen, stimmts“, fragte Velagapudi vorwurfsvoll. „Ich hatte keine andere Wahl“, antwortete Randy. „Nun, Sie haben keinen Krebs mehr. Ich bin froh, dass Sie anscheinend etwas gefunden haben, was Ihnen geholfen hat“, erwiderte der Arzt. Dann drehte er sich auf dem Absatz um und verließ das Zimmer, ohne sich nach weiteren Einzelheiten zu erkundigen. So endete Randy Goss' Kampf gegen den Nierenzellkrebs, eine der tödlichsten Formen dieser Krankheit. Bei Nierenzellkrebs der Stufe 4 über164
leben dem Lehrbuch der Amerikanischen Krebsgesellschaft über Onkologie zufolge gerade mal ein Prozent der Patienten länger als fünf Jahre. Als man die Krankheit bei ihm diagnostizierte, war Randy wie vor den Kopf geschlagen. Als aktiver Sportler, der gern Ski und Wasserski fährt, Football, Golf, Basketball und Tennis spielt und regelmäßig die Spiele der Buffalo Bills besucht, ließ er sich aber nicht so schnell unterkriegen. Eine Woche vor der Diagnose, im Jahre 1992, hatte er ein ausgebranntes Gebäude gekauft, das er restaurieren und in einen Schnellimbiss umbauen wollte. Während der gesamten Dauer seiner Krebsbehandlung arbeitete er persönlich an dem Gebäude. Zwischen den Besuchen bei seinem Arzt und neben seiner regulären Tätigkeit als Stadtrat war er ständig damit beschäftigt, Dachpfannen zu verlegen und Wände zu streichen. „Eine ganze Zeitlang arbeitete ich bis zu 90 Stunden pro Woche“, erinnerte er sich. Und Mitte der neunziger Jahre war er nicht nur seinen Krebs los, sondern auch stolzer Besitzer eines lukrativen Restaurants – Lenny's – in Dunkirk, in dem Pizza, Geflügel, heiße Würstchen, Hamburger und Tacos serviert wurden. Später versuchte Randy, sein Restaurant zu verkaufen, um mehr Zeit mit seiner Familie zu verbringen. Randy hat überlebt, weil er sich ganz einfach weigerte, zu glauben, dass er sterben würde und weil sein Überlebenswille so stark war, dass er bereit war, fast alles auszuprobieren, was ihm helfen könnte. Aber es gab auch Zeiten, da er glaubte, dass er bald sterben würde. Er war damals 41 Jahre alt und hatte eine Ausbildung als Krankenpfleger. Er ging regelmäßig zu den jährlichen Gesundheitsuntersuchungen, wie es von städtischen Bediensteten erwartet wird. „Vor 1992 hatte ich eine oder zwei Untersuchungen versäumt, also wollte ich in diesem Jahr auf jeden Fall hingehen, obwohl ich eigentlich keinen besonderen Grund dazu hatte. Schließlich fühlte ich mich vollkommen gesund und hatte keinerlei Beschwerden.“ Bei der Untersuchung wurde eine winzig kleine Spur von Blut im Urin festgestellt, aber die Ärzte, die die Untersuchung in Jamestown, New York durchführten, maßen dem keine besondere Bedeutung zu. Winzige Spuren von Blut im Urin sind nicht ungewöhnlich. Manchmal wird dies durch so banale Sachen wie schweres Heben aus165
gelöst. „Ich war also nicht sehr besorgt“, erinnerte sich Randy. „Aber ich dachte immer noch, dass ich zu einem Urologen zur Nachuntersuchung gehen sollte.“ Dr. Peter Sciarrino führte diese Untersuchung durch. Er machte einen Ultraschalltest und eine Computertomographie. Der Ultraschall zeigte etwas im Bereich der rechten Niere. „Ich dachte, dass es vielleicht nur ein Nierenstein sei, bis mich Sciarrino eines Tages kurz nach der Computertomographie in sein Büro bat. Er sagte mir, dass man in meiner Niere eine größere Geschwulst gefunden hätte. Er sagte, es wäre metastatischer Krebs.'“ Randy konnte es kaum fassen. „Krebs war das Allerletzte, an das ich gedacht hatte. Ich wusste überhaupt nicht, wie ich das meiner Frau Cheryl beibringen sollte. Alles, was ich tun konnte, war, nach Hause zu gehen und zu warten, bis sie kam. Wir brachen beide in Tränen aus. Ich breche nicht so leicht zusammen, sondern neige eher dazu, meine Gefühle für mich zu behalten. Aber mein jüngerer Sohn Kyle war damals gerade erst neun Monate alt, und der Gedanke, nicht mehr da zu sein, um ihn aufwachsen zu sehen, machte mich einfach fertig.“ Einige Tage später teilte Sciarrino Randy mit, dass sein Tumor als Nierenzellkarzinom identifiziert worden sei. „Aber niemand sagte mir, wie gefährlich Nierenzellkrebs wirklich ist“, beklagte sich Randy später. „Ich fand später heraus, dass Nierenzellkrebs die zweittödlichste Art von Krebs ist.“ Sciarrio vereinbarte unverzüglich einen Termin für die Operation in Dunkirk. Randys rechte Niere sollte entfernt werden. „Aber ich wollte keine übereilte Entscheidung treffen“, sagte Randy. „Ich wollte mindestens noch eine zweite Meinung einholen.“ Also wandte er sich an eine Ärztin, die er schon von Kindheit an kannte, Dr. Justine Marutt Reilly Schober, die etwa 45 Meilen von Dunkirk entfernt wohnte. „Ich rief sie eines Abends zuhause an, und sie rief mich zurück, als ich gerade auf meiner Veranda saß und den Sonnenuntergang über dem Eriesee beobachtete. Eigentlich kannte sie mich gar nicht so gut. Sie war eher mit meinen Brüdern befreundet gewesen als mit mir. Aber 166
sie bat mich sofort, nach Erie zu kommen, um ein paar weitere Ultraschalls und noch eine Computertomographie zu machen.“ Schober bestätigte, dass in Randys rechter Niere eine große Geschwulst vorhanden war. Sie war ebenfalls der Ansicht, dass die Niere entfernt werden müsste. Sie sagte mir auch, dass man erst nach der Operation sicher sagen könnte, ob der Krebs sich außerhalb der Niere weiter ausgebreitet hätte. Schober und ihr Kollege, Dr. Victor Souaid, entfernten die Niere am 31. Juli 1992. Sie sagten, dass der Tumor einer der größten wäre, den sie jemals gesehen hätten – etwa zwölf Zoll im Umfang, die Größe eines Softballs. Aber die gute Nachricht war, dass er anscheinend „eingekapselt“ war, also auf die rechte Niere beschränkt. „Nach der Operation sagten die Ärzte, dass sie sehr darüber erstaunt wären, dass ich bei einem Tumor dieser Größe keinerlei Schmerzen gehabt hätte. Aber alles sah jetzt gut aus, und es bestand eine 99 %-ige Chance, dass ich keine weiteren Probleme mehr haben würde“, sagte Randy. „Ich glaubte ihnen, denn ich hatte ja nie Schmerzen gehabt. Selbst am Tag vor der Operation hatte ich keine Schmerzen gehabt, und war zum JetSkiing auf dem Eriesee gewesen.“ Weder Schober noch Souaid hätten eine Bestrahlung oder Chemotherapie als Nachbehandlung empfohlen, sagte Randy. Und das war auch nicht notwendig. In allen Lehrbüchern der Onkologie steht, dass solche Behandlungen wenig oder nichts gegen Nierenzellkarzinome ausrichten, auch wenn viele Onkologen sie trotzdem durchführen. „Also kehrte ich sechs Tage nach der Operation heim, und ich fühlte mich sehr erleichtert“, erinnerte sich Randy. „Ich dachte, ich hätte jetzt alles hinter mir. Ich konnte mir einfach noch nicht vorstellen, wie ernst und hartnäckig ein Nierenzellkarzinom sein kann.“ Nach zehn Wochen konnte Randy wieder seine Arbeit aufnehmen. Er hatte nicht einmal einen Lohnausfall, weil seine Kollegen ihm so viele ihrer eigenen Krankentage spendeten, dass er während seiner Genesung weiterhin sein volles Gehalt erhielt. Er arbeitete auch weiter an der Renovierung des Hauses, das er gekauft hatte. Und er fuhr weiterhin alle paar Wochen nach Erie zur Ultraschalluntersuchung. 167
Während eines dieser Besuche erwartete Randy sein größter und, wie sich später herausstellte, vollkommen unnötiger Schock. „Ich ging dorthin und wartete in der Lobby, nachdem man den Ultraschall durchgeführt hatte. Dr. Souaid kam rein. Ich stand auf, um ihn zu begrüßen, und er sagte: „Bitte bleiben Sie sitzen. Anscheinend hat sich im Bett der Niere, die wir entfernt haben, eine größere Geschwulst gebildet.“ Er sagte, dass sie ziemlich schnell wachsen würde. Jetzt musste ich wieder nach Haus fahren und die Nachricht meiner Frau überbringen. Das war nicht gerade leicht. Einige Tage später fuhr ich wieder nach Erie für eine Biopsie. Da lag ich nun auf einer Bahre im Operationssaal, während sie das Röntgengerät ausrichteten, um die Biopsienadel einzuführen. Plötzlich kam der Röntgenassistent aus seiner Kabine gestürmt und rief: „Da ist ja überhaupt nichts!“ Was auf dem Ultraschall wie eine schnell wachsende Masse ausgesehen hatte, war höchstwahrscheinlich nur eine vorübergehende Ansammlung von getrocknetem Blut gewesen. Das war wirklich eine Erleichterung! Aber ich dachte, dass es überhaupt keinen Grund dafür gegeben hätte, mir einen solchen Schrecken einzujagen.“ Bis Januar 1993 glaubte, Randy, dass er seinen Krebs wahrscheinlich besiegt hätte. Als er eines Tages unter der Dusche stand, fühlte er einen kleinen Klumpen unter der Haut in der Nähe der rechten Seite seiner Rippen. „Es war eine harte Stelle, nur etwa von der Größe einer Schrotkugel“, erinnerte er sich. „Es war erstaunlich, dass ich sie überhaupt bemerkte.“ Während der nächsten Untersuchung Ende des Monats zeigte er die Stelle seinen Ärzten, und „sie sagten mir, dass ich mir keine Sorgen machen sollte“, Also fuhr Randy wieder nach Hause und beobachtete während der nächsten fünf Monate, wie der kleine Klumpen allmählich immer größer wurde, bis er etwa die Größe einer großen Murmel hatte. Trotzdem sagten ihm die Ärzte, dass er sich keine Sorgen machen solle. Sie schlugen jedoch vor, den Klumpen entfernen zu lassen. Später weigerten diese Ärzte sich, auf Rückfragen in Bezug auf die Behandlung von Randy, die ich ihnen während der Abfassung dieses Buches stellte, auch nur zu antworten.
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Randy, der mit der Reaktion der Ärzte nicht zufrieden war, wandte sich im Juni 1993 an einen anderen Arzt in Westfield, New York. Dieser untersuchte die Geschwulst und vereinbarte unverzüglich eine ambulante Operation für die folgende Woche, um sie entfernen zu lassen. „Als er sie aufschlitzte, sagte er sofort, dass ihm ihr Aussehen nicht gefiel, und er weigerte sich, sie herauszuschneiden“, erinnerte sich Randy. „Stattdessen machte er eine Biopsie, und die Analyse ergab, dass es sich um ein Nierenzellkarzinom handelte.“ Jetzt wusste Randy, dass der Krebs niemals ganz aus seinem Körper entfernt worden war. Er teilte das Ergebnis der Biopsie seinen Ärzten in Erie mit. „Sie schienen jetzt ein wenig besorgter zu sein als vorher. Aber sie teilten weder mir noch meiner Frau mit, wie ernst ein Nierenzellkrebs wäre“, klagte er. Schober und Souaid vereinbarten jetzt einen Termin für eine stationäre Operation im Hamot Medical Center in Erie, wo die Geschwulst vom Chef der Chirurgie entfernt wurde. „Cheryl und ich fragten uns, warum sie für so eine kleine Sache einen so hochrangigen Arzt bemühen würden“, erinnerte sich Randy. „Aber wir fragten nicht. Ich glaube, dass wir das zu dem Zeitpunkt einfach nicht wissen wollten.“ Nach der Operation schickten Schober und Souaid Randy zur Nachuntersuchung in die Krebsklinik von Erie. Dort verabreichte man ihm tägliche Injektionen von Interferon, einem Medikament, das manchmal Wirkungen gegen Krebs aufweist. Dieses Mal klappte das jedoch nicht. Nach fünf Monaten regelmäßiger Behandlung mit Interferon entdeckte Randy eine weitere Geschwulst in demselben Bereich. „Ich beschloss, nicht lange zu fackeln. Also begab ich mich in die Klinik in Roswell Park“, erinnerte sich Randy. „Ich dachte die ganze Zeit, dass dies der beste Ort des ganzen Landes sei, um meine Krankheit zu behandeln. Ich hatte inzwischen insgesamt sieben oder acht kleine Geschwulste an den Hüften und Armen.“ In Roswell Park untersuchten ihn Velagapudi und ein weiterer Spezialist, und sie kamen zu dem Schluss, dass sich der Krebs jetzt in seinem gesamten Körper ausgebreitet hatte.
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„Ich hatte ebenso viel Angst wie bei meiner ersten Diagnose“, sagte Randy. „Es war sehr deprimierend, besonders nachdem sie mir erzählt hatten, dass meine Heilungschancen bei 99 % lagen, und dass ich wieder ganz gesund sei. Velaggapudi vereinbarte unverzüglich einen Operationstermin für Randy, um sämtliche Geschwulste, die er als „Krebsflecken“ bezeichnete, entfernen zu lassen. Im Januar 1994 wurde Randy an der Hüfte, dem Unterarm und der Brust operiert. Es wurden insgesamt acht Geschwulste entfernt. Eine Woche später ergab eine Biopsie, dass nur eine der Geschwulste bösartig war. „Das bedeutete, dass der Krebs an einer Stelle meines Körpers zurückgekehrt war. Aber er hatte sich nicht ausgebreitet, so wie es Velagapudi gesagt hatte“, bemerkte Randy. „Er sagte mir, dass ich alle zwei Monate kommen sollte, um eine Computertomographie machen zu lassen, und daran hielt ich mich.“ Nach den ersten beiden Tomographien, im März, sagte ihm Velagapudi, dass sein Körper jetzt krebsfrei sei. Aber bei seinem nächsten Besuch im Mai 1994 sagte er, dass „sie größer geworden“ seien. „Was ist größer geworden“, fragte Randy. „Wir hatten geglaubt, dass er krebsfrei sei“, sagte Cheryl. Velagapudi sagte ihr, dass man bei der letzten Tomographie im März tatsächlich einige kleine Geschwulste festgestellt hätte, aber man habe sie nicht erwähnt, weil „sich das noch im normalen Rahmen bewegt hätte“. Diesmal teilte der Onkologe Randy mit, dass er zwei kleine Tumore in beiden Lungen hätte sowie in einem Lymphknoten unter seinem rechten Arm. Ebenso wie die Ärzte in Erie hatte Velagapudi Randy und Cheryl gesagt, dass eine Chemotherapie und Bestrahlung nichts nützen würde. „Gehen Sie nach Hause, genießen Sie Ihr Leben, und bringen Sie Ihre Angelegenheiten in Ordnung“, sagte ihnen der Arzt. „Wir können nichts mehr für Sie tun.“ Inzwischen wurde Randys Krebs als Nierenzellkarzinom der Stufe 4 eingestuft. „Velagapudi sagte uns, dass ich vielleicht noch sechs Monate 170
zu leben hätte, aber nicht viel länger“, sagte Randy. „Als ich das hörte, hatte ich das Gefühl, dass mein Herz aussetzte. Ich erinnere mich noch daran, dass Chreryl und ich kein Wort miteinander wechselten, als wir die vierzig Meilen nach Hause fuhren. Wir waren vollkommen am Boden zerstört.“ (Weder Velagapudi noch irgendein anderer Arzt aus Roswell Park reagierte auf meine wiederholten Versuche, sie zu erreichen und über die Behandlung von Randy zu befragen.) Aber kurze Zeit später ergab sich ein Hoffnungsschimmer. Man rief ihn aus Roswell Park an, um ihm mitzuteilen, dass er möglicherweise für ein Experiment mit dem Medikament Interleukin-2 in Frage käme, das man gerade an den National Institutes of Health (NIH) in Bethesda in Maryland durchführte. „Ich galt als ein idealer Kandidat, weil ich weder eine Chemotherapie noch eine Strahlenbehandlung mitgemacht hatte. Alle Wirkungen könnten man also direkt auf das Interleukin zurückführen. Die NIH würde für alle Kosten aufkommen, wenn ich nach Bethesda gehen würde. Sie sagten mir, dass ich jeden Monat 20 Tage lang auf eine Intensivstation kommen würde, und dass meine Chancen, das Interleukin selbst zu überleben, bei etwa 15 % lägen. Das klang nicht sehr gut, aber ich hatte ja keine andere Wahl, also entschied ich mich dafür, den Versuch mitzumachen.“ Randy fuhr nach zu Chautauqua in Mayville, New York, um mit dem für den Bezirk zuständigen Versicherungsvertreter zu verhandeln. „Da sie dem NIH nichts für meine Behandlung zahlen mussten, wollte ich erfahren, ob sie mir zusätzliche Krankentage oder einen Urlaub gewähren würden, während ich mich in Behandlung befand. Aber in der Zwischenzeit hatte ich mich auch ein wenig mit Dr. Stanislaw Burzynski beschäftigt.“ Randy erfuhr kurz nach seiner ersten Operation, bei der seine rechte Niere entfernt wurde, von Dr. Burzynski, als er zufällig im Fernsehen eine Reportage der CBS über ihn sah. Er setzte sich mit der jungen Mutter eines der Patienten in Verbindung, über die in der Sendung berichtet wurde. „Als ich ihr sagte, dass ich Nierenzellkrebs hätte, erzählt sie mir, dass ihre Schwiegermutter ebenfalls an dieser Krankheit leiden würde. 171
Der Krebs hätte sich bereits auf die Lungen und andere Organe ausgebreitet. Computertomographien hätten bereits gezeigt, dass die Medizin von Burzynski bei ihr funktionierte. Sie hätte die Behandlung jedoch später abgebrochen, weil sie nicht so viel Geld für sich selbst ausgeben wollte. Und dann wäre sie gestorben.“ Er hatte sich auch mit der Klinik von Burzynski in Verbindung gesetzt und mit ihm selbst gesprochen. „Er sagte mir, dass er bisher erst etwa ein halbes Dutzend Leute mit Nierenzellkarzinom behandelt hätte“, sagte Randy. „Ich war davon beeindruckt, dass er mir nicht so einfach falsche Hoffnungen machte.“ Aber er war sich immer noch nicht so ganz sicher. Also fragte er bei der AMA nach und stellte fest, dass Burzynski dort Mitglied und sehr angesehen war. Und er zahlte der Zeitung Houston Chronicle fünf Dollar für eine Sammlung von Zeitungsausschnitten über Burzynski und seine Antineoplastone. Er bat das Büro des Generalstaatsanwaltes von Texas um eine Liste aller Strafverfahren, die gegen Burzynski eingeleitet worden waren und stellte fest, dass nur ein einziges vom Medizinischen Verband von Texas beantragt worden war. „Ich war erstaunt zu erfahren, dass nicht ein einziger Strafantrag von einem Patienten von Burzynski gestellt worden war, wo doch jeder weiß, wie oft Ärzte in den USA angezeigt werden“, erinnerte sich Randy. „Und in den Zeitungsausschnitten des Houston Chronicle gab es jede Menge Aussagen von Patienten, dass er ihnen geholfen hätte, und zahlreiche Zitate von Ärzten, denen zufolge er ein Quacksalber sei. Ich konnte bald erkennen, in welche Richtung die Sache lief.“ Randy dachte an all diese Dinge, als er im Büro des Versicherungsverwalters saß. Gerade als er die Sitzung abbrechen wollte und sich schon fast damit abgefunden hatte, nach Bethesda zu gehen, fragte er den Beamten, mit dem er verhandelte: „Haben Sie schon jemals etwas von einem Arzt namens Burzynski gehört?“ Er kann sich noch sehr gut an die Reaktion seines Gesprächspartners und dessen Sekretärin erinnern, die das Gespräch protokollierte. „Sie sagten beide, dass sie über Burzynski Bescheid wüssten und ihm schon einmal einen Patienten geschickt hätten. Ich war total schockiert. Und 172
ich konnte kaum erwarten, meiner Frau zu erzählen, dass die Versicherung dafür aufkommen würde. Also fuhr ich nach Hause und rief die NIH an, um ihnen mitzuteilen, dass ich nicht kommen würde. Dann rief ich Velagapudi an und fragte ihn, ob er über Burzynski Bescheid wüsste. Er sagte, dass er niemals von ihm gehört hätte, und dass es wahrscheinlich eine Verschwendung von Zeit und Geld wäre.“ Jetzt wusste Randy, dass es eine Behandlung gegen seine Krankheit gab. Und was die Sache noch attraktiver machte, war, dass er nur für den Flug und den Aufenthalt im Hotel bezahlen musste. „Also reisten wir am 24. Mai 1994 dorthin, weniger als einen Monat, nachdem die Ärzte in Roswell Park mir gesagt hatten, dass ich sterben würde und meine persönlichen Angelegenheiten in Ordnung bringen sollte“, erzählte er. „Es freute mich irgendwie, dass Burzynski Pole ist. Ich bin auch Pole. Meine Eltern änderten unseren Familiennamen Gostomski in Goss, weil sie uns Kindern das Leben in diesem Land damit etwas erleichtern wollten. Aber ich erwartete wohl immer noch irgendwie eine bescheidene Klinik mit Sperrholz an den Fenstern und kleinen Büros. Also war ich angenehm überrascht, als ich ein modernes Gebäude vorfand, das so aussah, wie eine moderne Klinik eben aussehen soll.“ Cheryl war immer noch ein wenig skeptisch. „Mir schien die ganze Sache ein wenig abwegig“, sagte sie. „Und da standen wir nun mit unserem zwei Jahre alten Kind. Aber wir wollten jetzt keinen Rückzieher mehr machen.“ Als er im Wartezimmer saß, unterhielt sich Randy mit anderen Patienten und fragte sie über ihre Probleme aus. Je mehr er hörte, desto positiver wurde sein Eindruck. „Ich hatte mich bereits mit ihm beschäftigt, aber ich wollte noch mehr Informationen. Und jeder hier war bereit, mir alles zu erzählen. Hier herrschte nicht die bedrückende Atmosphäre wie in den anderen Krebskliniken, die wir bisher erlebt hatten. Die Leute lächelten. Sie unterhielten sich. Es herrschte eine Atmosphäre der Hoffnung und nicht so eine Art Geruch des Todes, wie wir ihn anderswo wahrgenommen hatten.“ 173
Randy hatte ein Gefühl der Unwirklichkeit, während er und Cheryl in einem kleinen Behandlungsraum auf Burzynski warteten. „Ich wartete da also auf jemanden, den ich im Fernsehen gesehen hatte. Aber als er hereinkam, verhielt er sich ganz wie ein Arzt, ganz geschäftsmäßig und sachlich und hielt alle möglichen medizinischen Unterlagen in der Hand. Er sagte mir, dass er bisher nur sieben Patienten mit Nierenzellkrebs behandelt hätte, und das Ergebnis wäre 50:50 gewesen. Aber alle anderen waren schwächer gewesen als ich, weil sie bereits eine Chemotherapie mitgemacht hatten, obwohl das bei dieser Art von Krebs überhaupt nicht vorteilhaft wäre. Und die 50:50 waren immer noch besser als die Chancen, die mir Roswell Park und die NIH in Aussicht gestellt hatten.“ Aber Randy war immer noch nicht hundertprozentig überzeugt. „Ich saß also in diesem kleinen Raum und sah ihm direkt in die Augen. Ich sagte: Doktor, sagen Sie mir die Wahrheit. Wie stehen meine Chancen? Er war sehr sachlich, und sagte: Sie dürften bald erleben, dass der Tumor zurückgeht und Sie in ca. sechs Monaten krebsfrei sind. Dann verließ er einfach den Raum. Ich dachte, dass der Mann entweder ein Quacksalber sei, oder dass es hier reine Routine wäre, Leute vom Krebs zu heilen. Ich sah zu meiner Frau, die unseren zweijährigen Sohn auf dem Schoß hatte. Tränen liefen ihr über die Wangen. Ich hatte das Gefühl, dass ich jetzt das Schlimmste hinter mir hätte. Und genau sechs Monate später war ich dann wirklich krebsfrei.“ „Nach dem Besuch stiegen wir ins Taxi und fuhren zu einem Gefäßchirurgen, um in Randys Brust einen Hickman-Katheter einsetzen zu lassen“, fuhr Cheryl fort. „Am nächsten Morgen fuhren wir dann in die Klinik, um mit der Behandlung anzufangen.“ Randy verbrachte wieder den ganzen Morgen damit, sich mit den anderen Patienten zu unterhalten. „Je mehr ich mich mit ihnen sprach, desto besser fühlte ich mich. Diesen Leuten schien man wirklich konkret zu helfen.“ Randy und Cheryl blieben elf Tage in Houston und lernten, wie man die Dosis berechnet und den Katheter regelmäßig reinigt. Schließlich hatten sie beinahe das Gefühl, dass sie hier im Urlaub wären. Burzynski wies 174
Randy an, innerhalb von acht Stunden jeweils drei Stunden lang Antineoplastone in den Körper einzuleiten. Wenn er nicht gerade an seiner Pumpe angeschlossen war, schwamm er im Schwimmbecken des Hotels herum oder spielte Basketball im Park. Nach zwei Tagen der Behandlung fühlte sich Randy jedoch leicht übel. „Es war so wie bei einer Grippe“, sagte er. „Ich hatte leichtes Fieber und musste mich übergeben. Burzynski schien darüber sehr erfreut zu sein. Er sagte, dass der Körper so reagiert, weil sich der Tumor allmählich auflöst, und dass es nicht sehr lange dauern würde. Es war nach etwa drei Stunden wieder vorbei. Das Ehepaar nahm drei Kisten Antineoplastone mit nach Hause, den Vorrat von sechs Wochen. Danach kehrten sie alle drei Monate nach Houston zurück, und vor jedem Besuch ließ Randy Computertomographien in Buffalo durchführen. „Aus der ersten Tomographie ging ganz klar hervor, dass mein Tumor geschrumpft war“, erinnerte er sich. „Auf der nächsten sah die Sache noch besser aus, und in der letzten Novemberwoche 1994 war kein Krebs mehr zu sehen. Ich war einfach überglücklich. Etwas hatte mir geholfen, nachdem man mir gesagt hatte, dass es absolut kein Mittel gegen Nierenzellkrebs gäbe. Ich bin seitdem krebsfrei, und ich frage mich ständig, warum dieser Mann den Menschen helfen kann, und die Leute in Roswell Park überhaupt nichts von ihm wissen und auch gar nichts von ihm wissen wollen.“ Nachdem seine Tomographien zeigten, dass er vom Krebs geheilt war, fing Randy an, in der Gegend von Buffalo öffentlich über seine Erfahrungen mit Burzynski zu sprechen. Während einer Rede vor einer Selbsthilfegruppe von Prostatakrebspatienten bemerkte er, dass Dr. Robert Huben, der Chefonkologe von Roswell Park, hereinkam und sich in eine der letzten Reihen setzte, um zuzuhören. Nachdem Randy etwa 45 Minuten lang über seine Erfahrungen mit dem Krebs gesprochen hatte, fragte ein Zuhörer, wie Roswell Park auf diese Sache reagiert hätte. „Ich zögerte einige Sekunden, und Dr. Huben stand auf und sagte: Lassen Sie mich diese Frage beantworten. Ich habe Mr. Goss aufmerksam zugehört, und was er sagt ist wahr. Er hatte ein Nierenzellkarzinom, und er ging 175
nach Houston. Aber können wir deshalb sagen, dass diese Medizin ihn geheilt hat? Nein. Bei Nierenzellkarzinomen ist es schon sehr häufig zu spontanen Remissionen, also Spontanheilungen, gekommen.“ Der Amerikanischen Krebsgesellschaft zufolge gibt es aber so gut wie keine Fälle von Spontanheilung. Randy konnte darüber nur den Kopf schütteln. „Die orthodoxe Medizin will Burzynski und seine Antineoplastone nach Möglichkeit ignorieren“, glaubte er. „Ich frage mich langsam, ob unsere Regierung und die Medizin überhaupt an einem Heilmittel für Krebs interessiert ist.“ Postskriptum Dunkirk, New York, Mitte 2000 – Für Randy Goss war seine Reise zu den Golfturnieren in Pittsburgh, Pennsylvania ein Höhepunkt in seinem Leben. „Ich habe [die professionellen Golfer] Bruce Devlin und Gary Player getroffen, und sie waren wirklich sehr nett.“ Diese Berühmtheiten zu treffen, war für Randy wahnsinnig aufregend. In jeder freien Minute seines Lebens spielte er jetzt Golf. „Ich hatte vier Eagles in einem Spiel“, sagte er. „Mein längster Schlag lag bei etwa 360 Metern. Das ist doch nicht schlecht für jemanden, der eigentlich schon tot sein sollte.“ Randy ist alles andere als tot. Seit November 1994 ist er wieder ganz gesund. Damit hat er die fünfjährige Frist, die man solchen Patienten sonst einräumt, weit überschritten. Und das ist ausschließlich auf die Antineoplastone zurückzuführen. „Ich bin vollkommen gesund, viel gesünder, als ich es jemals in meinem Leben war. Selbst die eine Niere, die ich noch habe, funktioniert wunderbar.“ Zu Randys ausgefülltem Leben gehört immer noch sein körperlich sehr anstrengender Job in der städtischen Recyclinganlage. Er hat sogar mit Gewichtheben angefangen. Aber er hat das Restaurant geschlossen, das er einst besaß, und er versucht, das Gebäude zu verkaufen. „Mir ist klar geworden, dass das Leben zu kurz ist, um in einem Restaurant zu arbeiten, das einen so enorm stark in Anspruch nimmt. Ich will das Leben genießen. 176
Ich kann das alles nur deshalb tun, weil ich Dr. Burzynski kennengelernt habe“, sagte Randy. „Deshalb erzählte ich im Namen der Burzynski Patientengruppe immer noch Leuten von seiner Behandlung, und ich schreibe Brief an Politiker. Ich habe wahrscheinlich schon mit über 2000 Leuten darüber gesprochen. Ich habe die Lokalpolitik aufgegeben. Dr. Burzynski ist die einzige Sache, an der ich noch arbeite. Ich kann ihn und seine Medizin nicht einfach so aufgeben, denn sie sind ja der einzige Grund, warum ich noch am Leben bin. Aktueller Stand, Mittsommer 2001. Randy Goss ließ im August 1999 eine Computertomographie seines gesamten Körpers durchführen. Er hatte die fünfjährige Frist, die man Leuten mit Nierenzellkrebs einräumt, bereits überschritten. Hätte er aber die wahren Ergebnisse gekannt, dann hätte er sich sofort wieder an Burzynski gewandt. Obwohl kein Arzt in Roswell Park es bemerkte, zeigte die Tomographie, dass Randys Krebs zurückgekehrt war. Er erfuhr erst ein Jahr später, bei seiner nächsten Computertomographie, davon. Randy und Cheryl wollten, dass alle sechs Monate eine Tomographie durchgeführt werden sollte, nur um sicher zu gehen. Das hatte auch Burzynski Patienten wie Randy empfohlen, die bereits fünf bis zehn Jahre krebsfrei sind. Aber die Ärzte in Roswell Park hielten das nicht für notwendig. „Sie sagten, dass einmal pro Jahr ausreichend wäre“, sagte Cheryl. Randy machte es so, wie Roswell Park es wollte. Er starb im Februar 2001. Randys nächste Computertomographie, die im August 2000 durchgeführt wurde, zeigte, dass sein Krebs zurückgekehrt war und sich in seinem gesamten Körper und im Gehirn ausgebreitet hatte. Er hatte sich so weit ausgebreitet, dass Roswell Park seinen Zustand für hoffnungslos erklärte und ihm riet, sich wieder an Burzynski zu wenden. Er ging also zu Burzynski und brachte beide Tomographien mit. „Auf der Tomographie von 1999 war kaum etwas zu erkennen“, sagte Burzynski. „Man musste schon genau wissen, was und wo man suchen 177
musste.“ Cheryl meint jedoch: „Die Ärzte in Roswell Park hätten schon wissen müssen, wonach sie suchen sollten.“ Anfang September 2000 fing Randy mit seiner zweiten Behandlung mit Antineoplastonen an. Seine Behandlung wurde wiederholt unterbrochen, weil er wegen irgendwelcher Infektionen ins Krankenhaus musste. Man konnte ihm nicht mehr die effektiven Mengen des Medikaments verabreichen. Wenn er ins Krankenhaus kam, musste die Behandlung abgebrochen werden. Danach musste man wieder mit der Ausgangsdosis beginnen. „Ich gebe Roswell Park und den Ärzten dort die Schuld“, sagte Cheryl.
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KAPITEL 5 Die FDA erklärt den Krieg
Es war fast so, als ob die Vereinigten Staaten der Schweiz den Krieg erklärt hätten und ihn zu einem Zermürbungskrieg machen wollten. Als die FDA Dr. Stanislaw Burzynski im Frühjahr 1983 den Krieg erklärte, mobilisierte sie sämtliche Ressourcen und Anwälte der Bundesregierung sowie enorme Geldmittel gegen eine Firma, die praktisch ein Ein-MannBetrieb war, in dem eine einzelne Idee und ein einzelnes Produkt vertrieben wurden. Aber die FDA konnte noch nicht wissen, dass sie dadurch selbst in gewaltige Schwierigkeiten geraten würde. Denn ebenso wie die kleine Schweiz, in deren malerischen Bergen ein gewaltiges Arsenal von Waffen verborgen liegt, lieferte auch der oberflächliche Eindruck von Burzynskis Klinik kaum einen Hinweis darauf, welchen Widerstand und welchen Kampf er ihr liefern würde und welche Unterstützung er von Seiten seiner Patienten bekommen würde. Zuerst war die FDA lediglich darauf aus, Burzynskis Klinik zu schließen und ihm jede weitere Tätigkeit zu untersagen. Der Prozess der Regierung gegen den Arzt und sein Forschungsinstitut zielte darauf ab, „die gesamte wissenschaftliche und medizinische Arbeit an der Entwicklung, Herstellung und den Vertrieb von Antineoplastonen ein für alle Mal zu unterbinden“. Aber die Regierung hatte nicht mit der stärksten Kraft gerechnet, die Burzynski mobilisieren konnte: seinen Patienten. Als das Verfahren gegen ihn eingeleitet wurde, standen die Patienten auf seiner Seite. Sie sorgten für einen sachverständigen Berater und machten der Bezirksrichterin Gabrielle McDonald klar, dass es hier um sehr viel mehr ging, als nur um die Firma von Burzynski: Auch ihr eigenes Leben stand auf dem Spiel. Der Prozess von 1983 wurde zur ersten Schlacht in einem Krieg, der sich bis zum Ende der neunziger Jahre hinziehen sollte, ein Konflikt, den selbst zwei Strafprozesse möglicherweise nicht beenden würde. 179
Denn Burzynski hatte das Unverzeihliche getan: Es war nicht so sehr die Tatsache, dass er etwas Wirksames gegen den Krebs gefunden hatte, was diese Bundesbehörde so aufbrachte. Das hatte sie niemals bestritten. Es war vielmehr, dass Burzynski sich nicht an ihre Spielregeln gehalten hatte. Er hatte weder eine IND-Genehmigung beantragt, noch Antineoplastone für klinische Prüfungen der Phase 2 unterbreitet, durch die die FDA deren Wirksamkeit nachweisen konnte. Die Bürokraten waren stinksauer, weil er die FDA praktisch ignoriert hatte, nachdem man ihm die vorläufige mündliche Genehmigung erteilt hatte, seine Medikamente innerhalb des Staates Texas zu vertreiben. Ihren Ärger äußerte sie schließlich in Form von vier Untersuchungen durch einen Ausschuss, zahlreichen Gerichtsprozessen und fragwürdigen klinischen Versuchen, die vom Nationalen Krebsinstitut durchgeführt wurden. Als Burzynski von einer Konferenz zurückkehrte, die über das Osterwochenende in Philadelphia stattgefunden hatte, erfuhr er vom ersten Verfahren, das man gegen ihn angestrengt hatte. Er konnte noch nicht wissen, dass sein Leben fortan von einer Unzahl von Prozessen bestimmt werden würde. „Als das erste Verfahren gegen mich angestrengt wurde, war das für mich schrecklich“, erinnerte er sich. „Noch nie zuvor hatte man mich angeklagt. Nicht ein einziger Patient hatte mich jemals wegen eines Behandlungsfehlers oder irgendeiner anderen Sache angezeigt. Kein Mitarbeiter hatte mich jemals verklagt. Jetzt musste ich auf einmal jede Menge Zeit im Gericht verbringen. Das beeinträchtigte meine Arbeit, und ich war maßlos enttäuscht.“ Das Problem war jedoch nicht nur der Prozess, den die FDA angestrengt hatte. Dieser hatte nämlich zur Folge, dass zahlreiche weitere rechtliche Schritte gegen ihn eingeleitet wurden. „All unsere Gläubiger dachten jetzt, dass man mich aus dem Geschäft drängen würde. Also wollten jetzt alle plötzlich ihr Geld zurück“, sagte Burzynski. In den folgenden Monaten wurden mindestens achtzehn Verfahren gegen ihn angestrengt, eines von ihnen durch einen Geschäftsmann, der ihm Geld geliehen hatte, wobei die Geräte und Ausrüstungen von Burzynski als Sicherheit dienten. „Er verlangte plötzlich, dass wir die gesamten Geräte praktisch 180
vor dem Rathaus aufstellen und sie ihm dort übergeben sollten“, Gleichzeitig begannen Versicherungsgesellschaften, die für die Ansprüche von Patienten bisher immer aufgekommen waren, dies abzulehnen. „Unsere Einnahmen fielen schlagartig um 50 Prozent. Aber die Patienten ließen sich nicht abschrecken.“ Während all der Prozesse blieben die Türen seiner Klinik nicht für einen einzigen Tag geschlossen. Wenn der erste Prozess für Burzynski etwas Positives bewirkte, dann, dass er sich zum ersten Mal um eine IND-Genehmigung bemühen musste. Ein Anklagepunkt, den die Regierung gegen ihn vorbrachte, war, dass er für seine Medikamente niemals eine Genehmigung beantragte. Wenn sich pharmazeutische Unternehmen um eine IND-Genehmigung für vielversprechende neue Medikamente bemühen, dann dauert es normalerweise höchstens ein paar Wochen, bis die Sache durchgeht. Auf Anraten seines Anwalts machte sich Burzynski sofort daran, eine INDGenehmigung zu beantragen, bevor der Prozess unter Richterin McDonald Anfang Mai 1983 anfing. Aber bei ihm verfuhr die FDA nicht so routinemäßig wie bei den etablierten Herstellern von Medikamenten. Sie lehnte seinen Antrag ab mit der Begründung, dass es keinen Nachweis dafür gäbe, dass Antineoplastone eine Wirkung haben würden. In dem entsprechenden Schreiben behauptete die Behörde, dass Burzynski es versäumt hätte, „Informationen zu liefern, die beweisen, dass Antineoplaston A10 … aktiv gegen bösartige Zellen tierischen oder menschlichen Ursprungs oder gegen Tumore bei Tieren wirksam sind“. Mit dieser Aussage ignorierte man hunderte von Seiten meist in Fachzeitschriften veröffentlichter Abhandlungen über die Wirksamkeit der Antineoplastone gegen Krebszellkulturen im Reagenzglas. Man ignorierte auch die Patientenakten, die zusammen mit dem Antrag unterbreitet worden waren. Stattdessen verlangte die FDA Aussagen von der „Qualitätssicherung“ und genaue Zeitangaben von Inspektionen (der Produktionsanlagen). Sie verlangte Unterlagen, aus denen eindeutig hervorging, dass Burzynski die Genehmigung durch einen staatlichen Prüfungsausschuss hätte, das Medikament an menschlichen Patienten 181
anzuwenden. Und schließlich verlangte sie noch detailliert Unterlagen über Versuche an Tieren. Natürlich verfügte Burzynski nicht über eine offizielle Abteilung für Qualitätsprüfung, so wie die meisten pharmazeutischen Unternehmen. Und er hatte sich zum Teil auch deshalb selbstständig gemacht, weil die institutionellen Prüfungsausschüsse in Baylor und dem Park Plaza Hospital ihm genau die Genehmigung verweigerten, die die FDA jetzt von ihm verlangte. Wie er bereits 1977 bemerkte, war es unmöglich, eine IND-Genehmigung ohne Zustimmung eines institutionellen Prüfungsausschusses zu erhalten. Jedoch verweigerten diese Ausschüsse ihre Zustimmung, weil keine IND-Genehmigung erteilt worden war. Diese Art von kafkaesker Unlogik sollte der IND-Genehmigung für Burzynski während der nächsten sechs Jahre im Wege stehen. Die erste Genehmigung für die Anwendung eines experimentellen Medikaments erhielt er erst 1989, als der Kongress die FDA dazu drängte, ihre Genehmigungspraxis auch auf alternative Heilmethoden auszuweiten. Burzynski bestand natürlich immer darauf, dass man die Antineoplastone nicht als klassische „alternative Medizin“ bezeichnen könne, denn sie basierten ja auf wissenschaftlichen Nachweisen und empirischer wissenschaftlicher Arbeit und nicht auf einem Placeboeffekt oder irgendwelchen Wunderwirkungen. Trotzdem war er mit den Veränderungen, die die FDA an ihren Bestimmungen vornehmen musste, sehr zufrieden. Aber bevor er seine IND-Genehmigung erhielt, musste er dafür sorgen, dass seine Klinik und seine Produktionsanlage nicht durch plötzliche Maßnahmen der FDA geschlossen würden. Und die Bundesbehörden machten überhaupt kein Geheimnis aus der Tatsache, dass sie seinen Betrieb so schnell wie möglich schließen wollten. Wenn Richterin McDonald keine Verfügung erlassen würde, mit der Burzynski endgültig das Handwerk gelegt würde, erklärte sie, würde sie mit ihrer Kampagne fortfahren. Die Staatsanwaltschaft appellierte an die Richterin, eine schnelle und endgültige Entscheidung zu Ungunsten Burzynskis zu treffen. In ihrem Antrag auf ein Urteil im Schnellverfahren gegen Burzynski stand: „Falls 182
dieses Gericht es unterlässt, dem von der Regierung gestellten Unterlassungsantrag zu entsprechen, und somit die Herstellung und den Vertrieb von Antineoplastonen durch Burzynski entgegen dem Food, Drug and Cosmetic Act weiterhin erlaubt, sieht sich die Regierung veranlasst, weitere, weniger effiziente Schritte zu unternehmen, wie zum Beispiel eine Beschlagnahme und ein Verbot der Medikamente oder eine Strafverfolgung von Personen, die gegen das Gesetz in Bezug auf diese Medikamente verstoßen. Das Gericht wäre dann dazu gezwungen, die Regierung anzuweisen, derartige Maßnahmen zu unterlassen, falls es das Gericht wünscht, die Herstellung und den Vertrieb dieser Medikamente weiterhin zuzulassen.“ Kürzer ausgedrückt erklärte die FDA, dass die Behörde niemals ihre Bemühungen aufgeben würde, Burzynski, seine Klinik und seine Produktionsanlage zu vernichten, selbst wenn die Richterin ausdrücklich anordnete, dass die Maßnahmen gegen Burzynski unterbleiben, sollten. Diese Erklärung wurde von zwei Anwälten des Justizministeriums sowie Robert 'Spiller Jr., dem juristischen Chefberater der FDA, unterzeichnet. Sie diente sozusagen als Strategiepapier für die folgenden 14 Jahre, in denen die Regierung versuchte, Burzynskis Klinik zu schließen, wobei sie es mit den „weiteren weniger effizienten Schritten“ versuchte. Denn nachdem sie sich alle Argumente angehört hatte, die die Regierung vorbrachte, fällte Richterin McDonald ein Urteil, mit dem sie beiden Seiten irgendwie entgegenkommen wollte. Während der zweitägigen Anhörung über den Antrag auf eine sofortige richterliche Verfügung behauptete die FDA, dass Burzynski gegen ein Bundesgesetz verstieß, weil er seine Antineoplastone in den zwischenstaatlichen Handel eingeführt hätte. Sie brachte ebenfalls vor, dass er seine Medikamente „verfälscht“ hätte, weil seine Herstellungsmethoden und Kontrollen nicht der „guten Herstellungspraxis“ der FDA entsprächen. Es wurde zugelassen, dass mehr als ein Dutzend Patienten von Burzynski während der Anhörung aussagten, was ein Grund für das Kompromissurteil der Richterin war.
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Vordergründig gab das Urteil, dass die Richterin McDonald erließ, als die intensive Anhörung abgeschlossen war, der Regierung praktisch alles was sie wollte. Burzynski wurde angewiesen, den Versand und den Verkauf seiner Antineoplastone über die Staatsgrenze hinaus einzustellen, bis es von der FDA genehmigt würde. Und er wurde aufgefordert, seine synthetischen Antineoplastone in Übereinstimmung mit der guten Herstellungspraxis zu bringen. Aber mit diesem Urteil wurde die Geschäftstätigkeit Burzynskis keineswegs unterbunden. Tatsächlich machte die Richterin klar, dass sie Burzynskis Klinik auf keinen Fall schließen wollte: „Nichts, was in diesem Dokument enthalten ist, darf so aufgefasst werden, dass es die Herstellung, Verarbeitung, Verpackung Etikettierung, Werbung, den Vertrieb oder Verkauf des Antineoplaston A 10 oder irgendeines ähnlichen Artikels gleich welcher Bezeichnung in irgendeiner Art und Weise verbietet oder einschränkt (vorausgesetzt, dass diese Artikel nicht falsch etikettiert oder gekennzeichnet sind), solange diese Herstellung, Verarbeitung, Verpackung, Etikettierung, Werbung, Vertrieb oder Verkauf ausschließlich innerhalb des Staates erfolgen.“ Die Richterin verhinderte somit, dass die Anwälte einer der beiden Parteien den Grundsatz anwendeten, den Jurastudenten als „die erste Regel bei einem Urteil“ bezeichnen – das was nicht ausdrücklich verboten ist, ist erlaubt. In dieser Verfügung wurde nicht nur klar und deutlich ausgedrückt, was Burzynski nicht tun durfte, sondern auch, dass er so fortfahren durfte wie zuvor, solange dies ausschließlich innerhalb der Grenzen des Staates Texas geschah. Burzynskis Anwälte argumentierten später, dass diese Verfügung nicht für seine Behandlung von Patienten von außerhalb des Staates galt, die die Antineoplastone mit zu sich nach Hause nahmen. „Richterin McDonalds Entscheidung enthält nicht das ausdrückliche Verbot, Patienten von außerhalb des Staates zu behandeln, die zu Dr. Burzynski nach Texas kommen“, argumentierten Michael Ramsey und Richard Jaffe in einer Note, die Anfang 1996 eingereicht wurde. Dieser Punkt wurde zur Grundlage der Tätigkeit von Burzynski Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre. 184
Aber der Antrag, den Spiller vor der Anhörung durch Richterin McDonald eingereicht hatte, stellte eindeutig klar, dass die FDA sich niemals mit einer solchen Entscheidung zufriedengeben würde. Nach dieser Verfügung verbrachte die FDA fast zwei Jahre damit, weitere Informationen zu sammeln, um diese bei einem Strafprozess gegen Burzynski zu verwenden. Der Ermittlungsbeamte Kenneth Ewing sprach mit Dutzenden von Mitarbeitern und Patienten von Burzynski und versuchte zu beweisen, dass Burzynski seine Patienten betrogen hätte, dass er seine Medikamente weiterhin über die Staatsgrenze verkaufte, und dass es ihm ausschließlich um den Profit ging. Die von mehreren ehemaligen Mitarbeitern unterzeichneten eidesstattlichen Erklärungen bildeten die Grundlage für einen Durchsuchungsbeschluss, den Ewing und mehr als ein Dutzend Bundesbeamte am 17. Juli 1985 durchführten. Sie beschlagnahmten 11 Aktenschränke mit mehr als 200.000 medizinischen Unterlagen, die meisten von ihnen Patientenakten. Ein Patient, der gerade untersucht wurde, als die Razzia stattfand, sagte, dass die Beamten Burzynskis Klinik total auf den Kopf stellten, „alle Schubladen, alle Papierkörbe und alle Aktenschränke durchwühlten und jeden Behandlungsraum durchsuchten“, Sie schnüffelten durch die persönliche Korrespondenz und wühlten in jeder Aktentasche. Die beschlagnahmen Unterlagen erhielt Burzynski niemals zurück. Auf Anweisung von Richterin McDonald wurde ihm jedoch später gestattet, im Gebäude der FDA, das fast 20 Meilen von seiner Klinik entfernt war, (auf eigene Kosten) ein Kopiergerät aufzustellen, mit dem er oder seine Mitarbeiter bei Bedarf medizinische Unterlagen kopieren durften. „Das zwang uns dazu, wahnsinnig viel Zeit damit zu verschwenden, durch die Gegend zu fahren und nach Unterlagen von Patienten zu suchen, wenn diese zu uns kamen“, sagte Burzynski. „Diese ganze Sache war offensichtlich als Schikane gedacht.“ Und was erbrachten die von Ewing besorgten eidesstattlichen Erklärungen? Aus Kopien, in denen die Namen der Zeugen geschwärzt wurden, geht hervor, dass die FDA einen Patienten von Burzynski in Ohio ausfindig machte, der gestorben war, nachdem er fünf Wochen lang eine 185
Behandlung mit Antineoplastonen durchgeführt und diese dann abgebrochen hatte. Seine Witwe beklagte sich darüber, dass Burzynski nicht die volle Anzahlung zurückgezahlt hätte, die sie und ihr Gatte geleistet hätten, auch nachdem die Versicherungsgesellschaft dem Doktor die Summe vollständig erstattet hätte. Burzynski sagte dazu: „In der ersten schwierigen Zeit, als wir noch ziemliche finanzielle Probleme hatten, kamen die Rückzahlungen manchmal etwas verspätet. Aber letzten Endes haben alle Patienten immer das bekommen, was ihnen zustand. Kein Patient hat mich jemals verklagt, weil ich ihm zuviel Geld abgenommen hätte.“ Eine weitere eidesstattliche Erklärung, mit der man beabsichtigte, Burzynski betrügerische Absichten nachzuweisen, erwies genau das Gegenteil. Dieses Dokument, das von einem ehemaligen Buchhalter von Burzynski unterbreitet wurde, dessen Name nicht geschwärzt worden war, besagte, dass die Klinik von Burzynski im Jahre 1983 im Durchschnitt zwischen 220.000 und 230.000 Dollar pro Monat einnahm. Burzynskis Gehalt während dieses Jahres wurde auf 91.812 Dollar berechnet und das seiner Frau, die ebenfalls Ärztin war, lag bei 42.000 Dollar. Sein Bruder Tadeus, der für die Herstellung der Heilmittel zuständig war, erhielt 70.000 Dollar. Die Gehälter von Burzynski und seiner Frau lagen damit weit unter dem Durchschnittseinkommen der Ärzte in Houston in jenem Jahr, das bei knapp unter 120.000 Dollar lag. Aus anderen eidesstattlichen Erklärungen ging hervor, dass regelmäßig Pakete durch den Kurierdienst Purolator an Zielorte außerhalb des Staates Texas geschickt wurden, aber die Zeugen, die diese Erklärungen abgaben, behaupteten niemals, dass Burzynski persönlich an der Verpackung oder dem Versand von Antineoplastonen beteiligt war, was ein Verstoß gegen die Entscheidung von Richterin McDonald gewesen wäre – oder dass sie jemals gehört hätten, dass er einen Versand außerhalb des Staates angeordnet hätte. Die meisten Zeugen, die mit Ewing sprachen, waren sich auch nicht sicher, ob die Pakete, die Texas verließen, überhaupt Antineoplastone enthielten.
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Kurz nach der Razzia zitierte die Staatsanwaltschaft Burzynski zum ersten Mal vor ein Geschworenengericht. Und er musste noch vor drei weiteren Ausschüssen erscheinen, bevor man ihn schließlich im November 1995 anklagte. Solche Verfahren erfolgen unter Ausschluss der Öffentlichkeit, und allen Teilnehmern, außer den Zeugen selbst, ist es gesetzlich untersagt, irgendetwas nach außen dringen zu lassen. Burzynski lieferte seine eigene Version über das, was sich hinter geschlossenen Türen abspielte: „1985 ging es ausschließlich um unsere Produktionsunterlagen. Sie forderten praktisch unsere gesamten Produktionsunterlagen von Beginn meiner Tätigkeit an. Diese Dokumente füllten einen kleinen Raum. Dann wollten die Staatsanwälte wissen, wer genau welches Dokument unterschrieben hatte. Sie taten überrascht, wenn ich manchmal nicht die Unterschrift erkannte. Vielleicht verstanden sie ja nicht, dass wir Dutzende von Mitarbeitern hatten.“ 1985 kam es zu keinem Urteil. Wahrscheinlich, weil die Beweiskraft der eidesstattlichen Erklärungen, die Ewing besorgt hatte, einfach zu dürftig war. Aber Burzynski sollte nicht so einfach davonkommen. Die Erklärung von Spiller und dem Justizministerium von 1983 hatte das unmissverständlich klar gemacht. 1996 wurde er wieder vor ein Geschworenengericht in Houston zitiert. Dieses Mal, so sagte Burzynski, „wollten sie, dass wir ihnen noch mehr Informationen gaben. Sie wollten Patientenunterlagen. Sie wollten alles über die Herstellung der Antineoplastone wissen. Sie gingen sehr entschlossen vor. Zu der Zeit führten wir gerade einen Prozess gegen die Versicherungsgesellschaft Aetna, bei dem es um Ersatzleistungen für Behandlungen ging. Sie verlangte dieselben Informationen. Wir legten alle Informationen vor, aber zum Prozess kam es niemals“, Burzynski behauptete, dass es eine Absprache zwischen der FDA und den Versicherungsgesellschaften gäbe, um die Erfüllung der Ansprüche einiger seiner Patienten zu verhindern. Dieser Verdacht wurde durch eine Aussage von Ewing bestätigt, in dessen eidesstattlicher Erklärung vom 16. Juli 1985 stand, dass er nach einer Absprache mit Mitarbeitern der Metropolitan Insurance Companies in 187
Schenectady in New York gehandelt hätte, die den Krankenversicherungsplan für die Mitarbeiter von General Electrics verwalten. Burzynski wurde jetzt eine Atempause von mehreren Jahren gegönnt, in denen er sich nicht vor einem Strafgericht verantworten musste. Aber 1991 wurde er wieder vor ein Geschworenengericht zitiert. Er verbrachte den ganzen Tag damit, als Zeuge auszusagen. „Sie fragten mich über die Behandlung und Produktion aus“, erinnerte er sich. „Es gab eine Menge Fragen über ein Mitglied unseres Vorstands, Mike Driscoll.“ Driscoll, Anwalt in Harris County (Houston) und Demokrat, war der Gatte einer ehemaligen Patientin von Burzynski. „Es schien so, als ob sie eigentlich hinter Driscoll her waren und nicht hinter mir“, sagte Burzynski. „Er war Demokrat, und sie alle waren Republikaner, und er wollte sich 1992 zur Wiederwahl stellen. Aber sie stellten mir Fragen über alle Aspekte meiner Arbeit. Ich wollte direkt zu den Geschworenen sprechen und nicht nur Fragen der Staatsanwaltschaft beantworten. Schließlich erlaubte man mir, zwei Minuten lang zu den Geschworenen zu sprechen. Ich wurde nicht angeklagt.“ Wieder gönnte man Burzynski einige Jahre Pause zwischen zwei Vorladungen vor Geschworenengerichte. Dann, im März 1995, veranstaltete man wieder eine Razzia in seiner Klinik und beschlagnahmte tausende von Dokumenten. Im Frühjahr und Sommer 1995 wurde er dann wiederholt als Zeuge vorgeladen. „Sie befragten mich über klinische Versuche, über die Behandlung von Patienten und über Bankkonten. Also nichts Außergewöhnliches. Aber diesmal hatten sie drei stellvertretende US-Staatsanwälte, einschließlich Clark. Das hieß wohl, dass sie es jetzt ernster meinten als vorher.“ Dieses Mal wurde Burzynski in 75 Punkten wegen Missachtung des Gerichts, zwischenstaatlichen Handels mit einem nicht zugelassenen Medikament sowie Versicherungsbetrug angeklagt. Clark, der Chef der Strafabteilung bei der Staatsanwaltschaft in Houston, wurde später zu seinem Chefankläger. Die langen Abstände zwischen den Auftritten bei Geschworenengerichten waren jedoch keine Atempausen, die frei von juristischen oder wis188
senschaftlichen Streitereien waren. Selbst als die FDA Burzynski ständig schikanierte und ihn vor Gericht zerrte mit dem Ziel, seine Klinik zu schließen, ließ der Arzt und Wissenschaftler niemals in seinen Bemühungen nach, eine Genehmigung für die Anwendung der Antineoplastone bei Menschen zu bekommen. Der ehemalige Anwalt von Burzynski, John Johnson, erinnerte sich noch, dass er ihn Ende 1984 einmal zu einer Besprechung in die Hauptgeschäftsstelle der FDA in Rockville, Maryland begleitete. „Der Zweck des Besuches bestand darin, endlich einige unserer Probleme mit ihr zu lösen“, sagte Johnson. „Die FDA ließ etwa zehn ihrer eigenen Ärzte aufmarschieren, und Burzynski hatte Tom Muldoon aus Georgia mitgebracht“. Muldoon hatte im Medical College von Georgia einige Labortests mit Antineoplastonen durchgeführt. „Muldoon zeigte ihnen Dias und Laboranalysen, um zu beweisen, wie gut das Mittel im Reagenzglas und bei Mäusen funktionierte“, erinnerte sich Johnson. „Es war ganz eindeutig, dass die Antineoplastone das Fortschreiten von Krebs verhinderten. Burzynski zeigte ihnen einige Fallgeschichten von Patienten. All diese Ärzte waren sehr erstaunt, und nach einiger Zeit herrschte Totenstille. Dann sagte eine Ärztin: „Dr. Burzynski, wissen Sie von irgendeinem anderen Medikament, das Krebs aufhalten kann?“ Burzynski sagte, dass er keines kannte. Dann fragte er sie: „Kennen Sie eines?“ Und sie antwortete: „Eigentlich nicht.“ Aber nach dieser Besprechung fingen sie wieder an, wie reine Bürokraten zu handeln. Die ganze Sache machte einfach keinen Eindruck auf sie.“ Es gab auch mehrere Prozesse gegen Versicherungsgesellschaften und einen verzwickten Fall, der von einem Ärzteausschuss in Texas verhandelt wurde, wo man versuchte, Burzynskis Zulassung als Arzt einzuschränken oder aufzuheben. Dieses Verfahren zog sich über mehr als zehn Jahre hin. „Wir haben seinen Fall bereits seit 1978 verfolgt“, sagte Dennis Baker, Chef der Abteilung für Lebensmittel- und Medikamentensicherheit des Gesundheitsministeriums von Texas. „Wir waren es, die sich beim Ärzteausschuss beschwerten, dass er nicht zugelassene Medikamente an Patienten anwendet. Unser wichtigster Einwand war, dass für diese Me189
dikamente niemals die IND-Genehmigung für ein neues Medikament erteilt wurde. Damit hat er gegen staatliche und Bundesgesetze verstoßen. Wir haben keinen Beweis dafür, dass seine Medikamente wirksam sind. Er hat sie keiner Prüfung durch unabhängige Wissenschaftler unterworfen. Unsere wichtigste Aufgabe besteht darin, Personen, die an tödlichen Krankheiten leiden, zu schützen. Dieses Medikament könnte die Wirksamkeit konventioneller Therapien beeinträchtigen. Oder sie könnten ganz einfach eine Geldverschwendung sein. Uns liegt ganz einfach daran, dass er sich an die Vorschriften halten muss, wenn er ein neues Medikament auf den Markt bringen will.“ Weder der Staat Texas noch die FDA hat irgendwelche Vorkehrungen für kleinere Unternehmen getroffen, die nicht in der Lage sind, die 400 Millionen Dollar oder mehr aufzubringen, die normalerweise notwendig sind, um ein neues Medikament durch den Genehmigungsprozess zu bringen. Dadurch wird die Herstellung sämtlicher neuer Medikamente durch einige wenige große Pharmaunternehmen kontrolliert, die sich diesen Prozess leisten können, bei dem ganze Wagenladungen von Unterlagen und Berichten anfallen. Die Behörden von Texas ignorierten auch die Tatsache, dass genau zu dem Zeitpunkt, da sie versuchten, Burzynski die Lizenz zu entziehen, dieser dabei war, Bedingungen für die zweite Phase eines größeren klinischen Versuchs auszuhandeln, bei dem das NCI die Wirksamkeit der Antineoplastone testen wollte. Und sie ignorierten Informationen über Tests an den Antineoplastonen, die gerade an der Universität von Kurume in Japan durchgeführt wurden und sehr erfolgreich verliefen. Dort wurde das Medikament bereits seit Jahren gegen Leber- und Nierenkrebs eingesetzt. Der Präsident der Universität selbst war durch das Mittel von einem Leberkrebs geheilt worden. Die Behörden von Texas leiteten 1988 ihr erstes Verfahren für eine Aberkennung der Lizenz gegen Burzynski ein, nachdem er in der Talkshow von Sally Jessy Raphael aufgetreten war, der Talkshow, die Pamela Winningham, die an einem tödlichen Hirntumor litt, dazu gebracht hatte, es mit den Antineoplastonen zu versuchen. „Wir hatten nach dieser 190
Show eine Menge Anrufe, und wir mussten den Leuten erklären, dass Antineoplastone in Texas nicht zugelassen sind“, sagte Baker. „Wir mussten dafür sehr viel Zeit aufbringen.“ Derselbe Beamte schrieb Burzynski ein Warnschreiben, in dem er ihn aufforderte, die Verwendung von Antineoplastonen einzustellen. Dann brachte er den Fall vor den staatlichen Ausschuss medizinischer Prüfer, die im Sommer 1993 in Austin in mehreren Sitzungen darüber berieten. Das Gesundheitsministerium verlangte, dass Burzynski sämtliche Antineoplastone vernichtete, ihre weitere Produktion einstellte und für jeden weiteren Tag, da er eines seiner zwei synthetischen Antineoplastone herstellte, eine Strafe von 25.000 Dollar zahlte. Burzynskis Patienten überschwemmten den Ausschuss mit Briefen. In mehr als 250 dieser Briefe wurde detailliert über die Genesung von einer Krebskrankheit berichtet. Einige Familienangehörige von Krebskranken schrieben, dass die Behandlung durch Burzynski die letzten Monate oder Jahre ihres Angehörigen wesentlich erleichtert hätte. Aber diese Aussage konnte von Wissenschaftlern als rein subjektive „Anekdote“ abgetan werden. Das überzeugendste Argument bei der Entscheidung über die Rücknahme der Lizenz kam von Dr. Nicholas Patronas, dem Chef der neuroradiologischen Abteilung beim Nationalen Gesundheitsinstitut (NCI). Patronas, der darauf spezialisiert ist, Tomographien und Röntgenbilder von Schädeltumoren zu analysieren, gehörte zu einem Ausschuss, der 1991 vom NCI damit beauftragt worden war, einige der Fallgeschichten von Burzynskis Patienten auszuwerten. Er untersuchte einige dieser Fälle und sagte: „Es ist erstaunlich, dass diese Patienten noch leben, und dass es ihnen so gut geht … Diese Personen haben nicht nur überlebt, sondern auch unter so gut wie keinen Nebenwirkungen zu leiden. Das ist geradezu unglaublich!“ Er sagte, dass er noch nie erlebt hätte, dass eine Behandlung so gut gegen Hirntumore wirkt. Er überprüfte eine Reihe von Fällen von Hirntumor, einschließlich den von Winningham, und sagte aus, dass, falls man die Patienten, die immer noch mit Antineoplastonen behandelt wurden, dieses Medikament entziehen würde, dies für sie den sicheren Tod bedeuten würde. 191
Aber der medizinische Ausschuss ließ sich mehr von den Einwänden des Gesundheitsministeriums beeindrucken, dass Burzynski angeblich gegen das Gesetz verstoßen hätte, als durch die Tatsache, dass er vielen Menschen das Leben gerettet hatte. Der Ausschuss stimmte dafür, seine Lizenz auszusetzen, und er bestand darauf, dass er die Anwendung der Antineoplastone als Mittel gegen den Krebs einstellte. Burzynski legte Berufung ein und gewann. Er hoffte nun, dass die Sache mit seiner Zulassung vom Tisch wäre. Aber der Kampf ging weiter. Der Ausschuss legte gegen diese Entscheidung Berufung ein, und ein Berufungsgericht bestätigte die Aussetzung der Lizenz. Damit war Burzynski nicht mehr sicher, wie lange und in welcher Weise er noch als Arzt praktizieren durfte. Fast ebenso ärgerlich waren die zahlreichen Prozesse mit den Versicherungsgesellschaften, die er durchstehen musste. Der erste größere Prozess kam 1985, kurz nach seinem ersten Auftritt vor dem Geschworenengericht. Zu diesem Prozess kam es, weil eine Brustkrebspatientin, die sehr schnell auf die Behandlung mit Antineoplastonen reagiert hatte, die Einnahme des Medikaments unterbrochen hatte, und die Aetna Life Insurance Co.auf Rückzahlung der 70.000 Dollar verklagte, die sie ausgegeben hatte. Die Anwälte Burzynskis überredeten ihn, sich der Klage anzuschließen, und die Aetna reagiert darauf, indem sie eine Klage gegen Burzynski gemäß dem „Racketeer Influenced and Corrupt Organizations (RICO) Act (etwa: Gesetz gegen kriminelle und korrupte Organisationen) anstrengte. Aetna warf Burzynski vor, dass er nur deshalb Antineoplastone verwendet hätte, um Versicherungsansprüche anzumelden. „Aetna versuchte, uns aus dem Geschäft zu drängen“, sagte Burzynski. „Als der Richter die Klage gegen uns zurückwies, verklagten wir sie auf 190 Millionen Dollar. Wir hatten Beweise dafür, dass sie sich mit anderen Versicherungsgesellschaften absprachen und sich darauf einigten, keine unserer Ansprüche zu vergüten.“ Simeon T. Lake, derselbe Richter, der die Strafprozesse gegen Burzynski leitete, wies diese Klage gegen die Aetna zweimal ab, und seine Entscheidung wurde zweimal von einer höheren Instanz verwor192
fen. Er erklärte bei der Vorverhandlung, dass diese Geschichte keine seiner Entscheidungen in irgendeiner Art und Weise beeinflusst hätte, und seine Entscheidung, alle Vorwürfe des Versicherungsbetruges zurückzuweisen, nachdem die Geschworenen sich in der ersten Verhandlung nicht einigen konnten, schien das zu bestätigen. Langfristig betrachtet war die schädlichste aller Auseinandersetzungen mit Versicherungsgesellschaften das Verfahren, das 1989 durch die Treuhänder des Northwest Laundry and Dry Cleaners Health & Welfare Trust Funds eingeleitet worden war. Burzynski hatte diesem Fond Anspruchsformulare unterbreitet und mehr als 90.000 Dollar für die Behandlung von Huey Roberts erhalten, einem Patienten aus Oregon, der später an Speiseröhrenkrebs starb. Ein Gericht entschied, dass die Behandlung von Roberts durch Burzynski gegen die Auflage von McDonald aus dem Jahre 1983 verstieß sowie gegen ein jüngeres texanisches Gesetz, das Ärzten verbietet, Medikamente zu verabreichen, die noch nicht von der FDA genehmigt wurden. Das Fünfte US-Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und entschied, dass Versicherungsgesellschaften nur für Behandlungen aufkommen müssen, die „in Übereinstimmung mit akzeptierten medizinischen Standards stehen, und die nicht abgesetzt werden können, ohne den Zustand des Patienten wesentlich zu beeinträchtigen“. Dies lässt wenig Spielraum für neue Heilmethoden, und es schloss Antineoplastone mit Sicherheit aus. Das Gericht entschied ebenfalls, dass Burzynski Northwest Laundry betrogen hätte, indem er ihm verschwieg, dass die Anwendung von Antineoplastonen bei Roberts gegen das Gesetz verstieß. Die Richter fügten hinzu, dass die Notlage sterbenskranker Patienten wie Roberts „Mitgefühl verdient, aber ebenso Opportunisten anlockt. Damit wollen wir Dr. Burzynski keine unlauteren Motive unterschieben. Aber er steht auch nicht über dem Gesetz, welches festgelegt wurde, um Patienten zu schützen“. Kurz ausgedrückt hieß das, dass Burzynski kein Recht hatte, Robert zu behandeln – ganz egal, welche Wünsche Robert selbst hatte – weil die FDA noch keine Erlaubnis erteilt hatte, Patienten zu behandeln, die ihr Medikament zu ihrem Wohnort außerhalb von Texas mitnehmen. 193
Wenn die FDA um Informationen über Burzynski gebeten wurde, reagierte sie noch Jahre danach, indem sie Kopien der Entscheidung in Bezug auf Nortwest Laundry verschickte. „Dieses Gericht hat entschieden, dass er ein Betrüger ist“, sagte ein Sprecher der FDA gegenüber einem Reporter. Er vermied es jedoch, die Antineoplastone in ähnlicher Art und Weise abzuwerten. Burzynski nimmt all seinen Ärger mit der Justiz relativ gelassen. „Ich habe eben ein wissenschaftliches Paradigma herausgefordert“, sagte er. „Jedes Mal, wenn jemand gegen die herrschenden Ansichten verstößt, bekommt er eine Menge Ärger. Denken Sie an Galileo. Denken Sie an Kopernikus. Ich weiß, dass ich langfristig gewinnen werde. Denn ich habe etwas sehr Wertvolles anzubieten.
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Die Geschichte von Zachary McConnell
„Warum gibt mir die FDA nicht meine Medizin?“ Lieber Präsident Clinton. Warum hat die FDA mir meine Antineoplastone weggenommen? Sie könnten den Mann feuern, der mir diese Medizin nicht gibt. Ich brauche meine Medizin! Ich will keinen Krebs mehr haben. - Aus einem handgeschriebenen Brief von Zachary McConnell vom Juli 1996 an das Weiße Haus
Sehr geehrter Herr Doktor. Warum geben Sie mir nicht mehr die Medizin? Sie schadet mir überhaupt nicht. Sie kämpft gegen die kleinen Krebszellen, und das ist doch gut, oder nicht? Ich will keinen Krebs mehr haben … Die Antineoplastone sorgen dafür, dass ich mich besser fühle. Von der Strahlung bekomme ich Kopfschmerzen, und ich muss dauernd brechen. Bitte überlegen Sie es sich doch noch einmal! - Aus einem handgeschriebenen Brief von Zachary McConnell an einen Beamten der Food and Drug Administration vom Juli 1996.
Wenn man Zachary McConnell an diesem warmen Septembertag im Jahre 1996 auf dem Spielplatz der McDowell Mountain-Grundschule in Fountain Hills, einem Vorort von Phoenix, so herumtoben sah, dann gab es wenig Hinweise auf das Martyrium, das er im vorangegangenen Jahr durchmachen musste, und das eigentlich noch gar nicht vorbei war. Der blonde Junge kletterte so auf den Gerüsten herum, als ob es zwischen ihm und seinen Kameraden aus der zweiten Klasse überhaupt keinen Unterschied gäbe.
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Aber Zach war das einzige Kind auf dem Spielplatz mit einem Hirntumor. Deshalb verpasste er den größten Teil seines ersten Schuljahres. Während dieser Zeit wurde an ihm eine Gehirnoperation durchgeführt, mit einer anschließenden fünfmonatigen intensiven Chemotherapie. Später wurde er dann zum Gegenstand eines politischen Streites wegen der Antineoplastone. Zach, ein für sein Alter ungewöhnlich aufgeweckter Junge, verstand praktisch alles, was um ihn herum vor sich ging. „Ich habe diese Briefe geschrieben, weil ich dachte, dass sie vielleicht besser auf ein Kind reagieren würden als auf Erwachsene“, sagte er, während er sein Spiel unterbrach. Er sprach sehr eloquent über einen Sachverhalt, den nur wenige andere Siebenjährige verstehen würden. „Es ist fast unmöglich, Zach irgendetwas zu verheimlichen“, sagte sein Vater lächelnd. „Man kann ihm nicht lange etwas vormachen. Er findet es irgendwie heraus. Also erzählten wir ihm schon ziemlich früh, was dieser Krebs bedeutete, also dass da etwas in seinem Kopf wäre, das dort nicht hingehört, und dass man versuchen würde, es wieder herauszubekommen. Er schnappte eine Menge auf, indem er einfach den Erwachsenen zuhörte. Und er fragte mich einmal, ob er sterben würde. Ich sagte ihm nein.“ Mit ihrem frühreifen Sohn umzugehen, war für Shawn und Desiree McConnell nicht immer so einfach. Sie beide waren in Phoenix aufgewachsen, aber Shawn war in Südkalifornien zu Welt gekommen und Desiree in Ohio. Er war 22 Jahre alt, und sie 17, als sie sich in dem Apartmentkomplex kennenlernten, in dem sie beide wohnten. Desiree ging eine Zeitlang mit Shawns Zimmergenossen aus, aber schließlich war es Shawn, der sich ernsthaft für sie interessierte. Etwa ein Jahr, nachdem sie sich kennengelernt hatten, kam Zac zur Welt. „Ich habe noch nie erlebt, dass ein Vater und ein Sohn ein so enges Verhältnis miteinander hatten wie Shawn und Zac während der ersten Jahre“, erinnerte sich Desiree. „Aber es gab auch sehr schwere Zeiten. Zac ist wahrscheinlich der Grund, warum wir noch verheiratet sind. Wenn er nicht da gewesen wäre, dann weiß ich nicht, ob wir zusammengeblieben wären.“ 196
Da Zac aber nun mal da war, und weil das Paar entschied, dass Desiree daheim bleiben und sich um ihn kümmern sollte, verließ Shawn nach zwei Jahren das Mesa Community College und eröffnete eine Fensterreinigungsfirma. Desirees Ausbildung endete mit dem Abschluss der High School. Auch als 1992 Zacs Schwester Samantha zur Welt kam, blieb er weiterhin der Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit. Sie füllten ihre Mietwohnung mit Kinderbüchern und Legosteinen für beide Kinder. Und sie lasen ihm ständig vor. Mit Stolz bemerkten sie Zacs große Lesebegabung. Als er in die zweite Klasse kam, las er bereits auf der Stufe eines Neuntklässlers. Und da keines der beiden Kinder vor Beginn der Schulzeit in einem Kindergarten war, kannten beide Eltern sämtliche ihrer Eigenarten und Schwächen. Als Zac im Sommer 1995 also Kopfschmerzen bekam und sich häufig übergeben musste, merkten sie sofort, dass da etwas nicht stimmte. „Er bekam seine Kopfschmerzen und Brechanfälle immer zu genau derselben Zeit, etwa um 10 Uhr morgens“, erinnerte sich Desiree. „Nachdem er sich übergeben hatte, verschwanden seine Kopfschmerzen sofort, und dann schlief er sofort wieder ein. Wenn er seine Kopfschmerzen hatte, schimpfte und fluchte er sehr laut und schlug nach mir. Ich kannte ihn dann überhaupt nicht wieder. Ich konnte kaum glauben, dass dies mein Sohn war. Und dann wachte er später wieder auf und rannte herum und spielte, so als ob überhaupt nichts geschehen wäre.“ Aber die Kopfschmerzen kamen nicht jeden Tag, also glaubten seine Eltern, dass es vielleicht gar nicht so schlimm wäre. „Manchmal passierte eine Woche überhaupt nichts, und dann bekam er wieder seine Kopfschmerzen und seine Brechanfälle“, sagte Shawn. Nach seinem zweiten Anfall brachten sie Zac zu ihrem Hausarzt, der in Naturheilkunde versiert war. „Machen Sie sich keine Sorgen“, sagte der ihnen. „Es ist wahrscheinlich nur eine Lebensmittelallergie.“ Also mussten sich die McConnells noch weitere vier Wochen gedulden, während der Arzt versuchte, die Ursache herauszufinden. Als Shawn fragte, ober Zac eventuell einen Hirntumor haben könnte, versicherte ihm der Arzt, dass das nicht sein könnte. „Ein Hirntumor würde ständige Kopfschmerzen ver197
ursachen“, sagte er ihm. Schließlich hatten die Eltern genug von diesem Arzt, der häufig nicht erreichbar war, wenn Zac wieder Kopfschmerzen hatte, weil er gerade in einer Talkshow zu Gast war. „Also machten wir einen Termin mit einer Neurologin“, erinnerte sich Shawn. Es war in der ersten Woche von Zacs erstem Schuljahr, in der letzten Augustwoche von 1995. „Sie glaubte auch nicht, dass es ein Hirntumor wäre, denn Zac zeigte nicht die klassischen Symptome, außer gelegentliche Lethargie, Kopfschmerzen und Erbrechen. Aber sie ließ eine Kernspintomographie durchführen, um ganz sicher zu gehen. Wir machen das nur, um einen Hirntumor als Möglichkeit auszuschließen, sagte sie.“ Die Tomographie wurde an einem Samstagmorgen durchgeführt. „Wir warteten und warteten und warteten“, erinnerte sich Shawn. „Nach einer Weile bekam ich das dumpfe Gefühl, dass etwas nicht stimmen würde. Schließlich kam eine Krankenschwester und bat mich, ans Telefon zu gehen, um mit der Neurologin zu sprechen. Da wussten wir Bescheid.“ Die Neurologin teilte ihm mit, dass Zac einen Hirntumor hätte. Aber sie wüsste nicht, welcher Art und wie groß er wäre. Sie schickte die Familie unverzüglich in die Notaufnahme des Good Samaritan Regional Medical Centers, wo auf zwei Stockwerken das Kinderkrankenhaus von Phoenix untergebracht ist. Für Shawn war dies der schlimmste Tag in Zacs gesamter Krebs-Odysse. „Sie führten uns in ein kleines Zimmer, und die Ärzte von der Notaufnahme ließen die Kernspintomographie auf einem Röntgenbetrachter außerhalb des Zimmers hängen“, sagte Shawn. „Ich bin nicht dazu ausgebildet, ein Röntgenbild auszuwerten. Am College hatte ich Musik als Hauptfach. Aber ich sah dort eine riesige weiße Masse.“ Der Tumor selbst hatte die Größe eines Golfballs. Zusammen mit dem Ödem, dem geschwollenen Gewebe um ihn herum, nahm er etwa ein Drittel des gesamten Schädels ein, und jeder Laie konnte sehen, dass da etwas nicht stimmte. „Man konnte direkt erkennen, dass er das Gehirn zur Seite drückte“, sagte Shawn.
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Kurz darauf wurde die Familie zur Intensivstation des Kinderkrankenhauses gebracht, wo sie den Neurochirurgen Dr. David Moss trafen, der sie während der nächsten Monate betreuen sollte. „Da war so eine seltsame Atmosphäre in dem Krankenhaus“, erinnerte sich Shawn. „Die Krankenschwestern und Ärzte sahen uns irgendwie erschreckt an. Sie wichen unseren Blicken aus. Durch ihre ganze Haltung konnte man erkennen, dass sie glaubten, dass unser Sohn sterben würde.“ Für Shawn und Desiree war dieser erste Tag im Krankenhaus so, als ob man sie ohne Waffen in eine Schlacht geschickt hätte. „Wir dachten, wir würden nur so einen Test machen, um einen Hirntumor als Möglichkeit auszuschließen“, sagte Shawn. „Das war wirklich ein böses Erwachen! Wir hatten niemals so etwas erwartet. Wenn wir noch drei Wochen gewartet hätten, dann wäre Zac in ein Koma gefallen.“ Und es war von Anfang an klar, dass Zac operiert werden müsste, um so viel von dem Tumor zu entfernen wie möglich. Der Neurochirurg Moss war an jenem ersten Tag kein besonderer Trost. Seiner Ansicht nach handelte es sich bei der Masse, die er auf der Kernspintomographie erkannte, um einen primitiven neuroektodermalen Tumor, üblicherweise als PNET (oder Medulloblastom) bezeichnet. Er ging auch davon aus, dass er „Finger“ oder Ausläufer entwickeln würde, die in jede Ecke und Spalte von Zacs Gehirn eindringen würden. „Wir standen da mit ihm und zwei weiteren Assistenzärzten in dem engen Flur mit den Tomographien, die an Leuchtboxen an der Wand hingen“, erinnerte sich Shawn. „Er sagte etwas von einer fünfjährigen Überlebensdauer. Zac war damals sechs Jahre alt. Also fragte ich ihn, wie die Chancen stünden, dass Zac seinen elften Geburtstag noch erleben würde. Er sagte, die Chancen stünden nur eins zu drei, dass Zac die Operation überstehen würde, ohne dass größere Schäden zurückblieben. Er könnte auch Atembeschwerden oder einen Schlaganfall bekommen und ins Koma fallen. Es wäre auch möglich, dass seine gesamte linke Körperhälfte gelähmt sein würde. Er erwartete mit ziemlicher Sicherheit, dass die Operation Zac in irgendeiner Art und Weise schaden würde.“ Während der nächsten zwei Tage hatten die Eltern noch einmal die Ge199
legenheit, ihren Sohn zu erleben, wie sie ihn gekannt hatten. Moss wollte nicht sofort an diesem Samstag operieren. Er wollte, dass Zac zwei Tag vor seiner Operation mit einem entzündungshemmenden Steroid behandelt wurde, um die Schwellung in seinem Gehirn zu reduzieren. Und er wollte warten, bis sein chirurgisches Team am Montag wieder vollständig anwesend wäre. „Wir wussten nicht, wie Zac sein würde, sobald die Operation vorüber wäre“, sagte Shawn. „Es war das schlimmste Gefühl meines Lebens.“ Während dieser zwei schrecklichen Tage trat der feste religiöse Glaube der Familie wieder in den Vordergrund. „An diesem Samstag fuhr ich nach Hause, um meine Kleidung zu wechseln. Ich war wie benommen, in einer Art Trance. Und plötzlich hatte ich dieses deutliche Bild vor Augen“, erinnerte sich Shawn. „Es war das Bild von Jesus. Er hatte einen Bart und sah so aus wie auf den religiösen Bildern. Er stand im Operationssaal neben den Ärzten, die Zac operierten. Ein helles Licht ging von seinen Händen aus. Und er wandte sich mir zu und sagte: „Mach dir keine Sorgen. Alles kommt wieder in Ordnung.“ Moss hatte angenommen, dass die Operation vier bis sechs Stunden dauern würde. Shawn ging mit in den Operationssaal und blieb an der Seite seines Sohnes, bis der Anästhesist ihn in die Narkose versetzte. Auf Verlangen der Schwester zog er Zac die Socken aus, bevor die Operation begann. „Dann saßen wir zusammen im Wartezimmer“, sagte Desiree. „Jeder von uns hatte eine von Zacs Socken in den Händen. Wir wickelten sie um unsere Finger und spielten mit ihnen, so als ob es Rosenkränze wären.“ Zwei Stunden nach Beginn der Operation kam Moss mit einem breiten Lächeln aus dem Operationssaal. „Wir haben ihn komplett rausbekommen“, sagte er fröhlich. Später erzählte er den McConnells, dass „dieser Tumor etwas seltsam war. Er war eingekapselt, und es sah fast so aus, als ob er rauskommen wollte. Er war sehr deutlich abgegrenzt, während die meisten PNETs eine Menge Finger oder Ausläufer haben, die in alle Richtungen gehen.“
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Shawn war sich nicht ganz sicher, aber er fragte sich sofort, ob das, was er am Tag vor der Operation während der Fahrt gesehen hatte, irgendetwas mit diesem Ergebnis zu tun hatte. Was folgte, hatte jedoch kaum etwas Göttliches an sich. Während der Woche nach der Operation, als Zac immer noch im Krankenhaus lag, lieferte der Strahlenonkologe Michael Sapozink den pathologischen Bericht, der ganz eindeutig feststellte, dass es sich bei dem Tumor zweifellos um einen PNET handelte, „einen bösartigen kleinen blauen Zelltumor (PNET) “. Wenn Zac nicht einer mehrere Monate dauernden Chemotherapie und Strahlenbehandlung unterzogen würde, dann würde der Tumor mit Sicherheit wiederkommen, und Zac würde sterben. Er empfahl den McConnells daher, Zac in einen bereits laufenden klinischen Versuch der Phase 2 einzubeziehen, um eine aggressive Chemotherapie auszuprobieren, gefolgt von einer Bestrahlung des gesamten Gehirns und der Wirbelsäule. Das Ehepaar sollte eine Einverständniserklärung unterzeichnen, dass ihr Sohn einer chemotherapeutischen Behandlung unterzogen würde, bei der Vincristin, Cisplatin, Cyclophosphamid, Carboplatin und dann wieder Vincristin angewandt würde. Diese Chemikalien würden die Krebszellen abtöten, die noch in Zacs Körper vorhanden wären, versicherte ihnen Sapozink, aber könnten auch beträchtlichen Schaden am gesunden Gewebe verursachen. Zu den möglichen Nebenwirkungen, die in der Einverständniserklärung aufgeführt wurden, die die Eltern und Sapozink unterzeichneten, gehörten Muskelschwäche, Verstopfung, Heiserkeit, eine Verminderung der roten und weißen Blutkörperchen, Neigung zu Hautblutungen und Prellungen, eingeschränkte Widerstandskraft gegen Infektionen, Unfruchtbarkeit, Erbrechen und Übelkeit, Nierenschäden, Verlust des Gehörs, Durchfall, Kopfschmerzen, Schläfrigkeit, Haarverlust, Leberschäden und ein erhöhtes Risiko, später Leukämie zu bekommen. In der Einverständniserklärung stand auch, dass „eine höhere Lebenserwartung durch die Teilnahme an diesem Versuch nicht garantiert werden kann“. Obwohl es keinerlei Garantie gab, dass der Versuch erfolgreich verlaufen würde, stimmten die McConnells zu. Sie wollten wirklich alles tun, 201
um ihren Sohn zu retten. Natürlich fiel es ihnen sehr schwer zu glauben, dass er wirklich die ganzen Leiden durchmachen musste, die in dieser Erklärung aufgeführt waren. Als Zac sechs Tage nach der Operation wieder nach Hause kam, „war er sehr temperamentvoll. Er lief geradezu die Wände hoch“, erinnerte sich Desiree. „Es gab keine unangenehmen Zwischenfälle mehr. Er war so richtig lieb. Und er war geistig überhaupt nicht eingeschränkt. Er machte sogar so eine Art Musikinstrument aus seinen Klammern seitlich am Kopf. Es waren 38 über seinem rechten Ohr, und er spielte damit wie mit einem Waschbrett. Zac verbrachte drei wundervolle und glückliche Wochen zuhause, bevor man mit der Chemotherapie anfing. „Wir wollten ihnen sagen, dass sie die Sache vergessen sollten“, sagte seine Mutter. „Er schien doch wieder ganz in Ordnung zu sein.“ Den Eltern fiel es sehr schwer, ihre Zustimmung zur Chemotherapie zu geben. „Es war so bitter, diesen so gesunden und glücklichen Jungen ins Krankenhaus zu bringen und zu beobachten, wie die erste Ladung Cisplatin in seinen Arm gepumpt wurde“, sagte Shawn. Aber Zac bekam fünf Behandlungen von jeweils drei Wochen, von denen drei einen einwöchigen Aufenthalt im Krankenhaus erforderten, als man anfing. Schließlich verbrachte er auch nach jeder Chemotherapie zehn Tage im Krankenhaus, und schon bald hatte er weder weiße Blutkörperchen noch ein funktionierendes Immunsystem, was ihn anfällig für alle möglichen Krankheiten machte. „Trotzdem mussten wir manchmal kämpfen, um für ihn ein eigenes Zimmer im Krankenhaus zu bekommen“, sagte Shawn. „Manchmal brachten sie einfach ein Kind mit Bronchitis ins Zimmer und legten es ins Bett gleich neben seinem. Sie sagten: Das ist kein Problem. Ziehen Sie einfach den Vorhang vor. Es hat uns schon erstaunt, wie dumm manche Leute sein können.“ Etwa eine Woche, nachdem man mit der Behandlung mit Vincristin angefangen hatte, verlor er sämtliche Haare, obwohl man an ihm die leichteste Chemotherapie anwandte. „Wir hatten ihn nicht darauf vorbereitet, dass er seine Haare verlieren würde, aber als er ganze Büschel auf seinem Kopfkissen vorfand, konnten wir ihm die Wahrheit nicht mehr ver202
heimlichen“, sagte Shawn. Um den Schock ein wenig zu mildern, stimmte Shawn zu, auch seinen eigenen Kopf zu rasieren. Während der Chemotherapie fiel sein Gewicht von 45 auf 42 Pfund. Er bekam mehrere Magen-Darm-Infektionen und hatte fast ständig Magenkrämpfe, Durchfälle und Schmerzen. Zweimal musste er er wegen Darminfektionen ins Krankenhaus. Er verlor für immer seine Fähigkeit, hohe Töne zu hören und, was besonders unangenehm war, er verlor kurzzeitig die Kontrolle über seine Darmtätigkeit. Seine Eltern wichen nicht von seiner Seite. Jede Nacht war Zac im Krankenhaus. Shawn schlief auf einer Pritsche in seinem Zimmer. Jeden Tag, wenn Shawn das Krankenhaus verließ, um Fenster zu putzen, saß Desiree an Zacs Bettseite. „Sein Schmerz war echt“, sagte Shawn. „Man kann als Eltern immer erkennen, ob ein Kind nur herumquengelt, oder ob der Schmerz echt ist. Die Ärzte sagten jedoch, dass er nur ein leichtes Unwohlsein spüren würde, und dass es nichts Ernstes wäre.“ Als das alles vorbei war, kam Supozink, um mit der Bestrahlungsbehandlung anzufangen. Zac sollte nur eine fünfwöchige Atempause gegönnt werden. Dann bekam er eine Erkältung, also musste die Behandlung um zwei Wochen verschoben werden. Supozink versicherte den Eltern ständig, dass es Zac während der Strahlenbehandlung sehr gut gehen würde. Inzwischen fingen Shawn und Desiree an, sich über die Strahlentherapie und andere Behandlungsmethoden gegen den Krebs genauer zu informieren. „Eines Tages fragte ich Sapozink nach dem möglichen Intelligenzverlust durch die Bestrahlung“, sagte Shawn. „Ich hatte Studien gelesen, denen zufolge Kinder als Resultat der Bestrahlung von ihrem IQ bis zu 30 bis 40 Punkte verlieren könnten. Wissen Sie, was er antwortete? Dass Zac wahrscheinlich einige IQ-Punkte verlieren, aber sich immer noch zu einem funktionierenden Erwachsenen entwickeln würde. Er sagte: Machen Sie sich keine Sorgen. Wir werden uns gut um ihn kümmern“, erinnerte sich Shawn. Saponzink lehnte einen Kontakt mit mir ab, um seine Aussagen, die ich für dieses Buch gesammelt hatte, zu bestätigen oder zu widerlegen. Aber 203
seine Notizen in der offiziellen Krankenakte von Zac bestätigen, dass er über die Zögerlichkeit, Zac einer Strahlenbehandlung zu unterziehen, zunehmend verärgert war. „Seine Einstellung war, dass die Bestrahlung nichts bewirken würde, wenn man sie nicht großzügig anwendet, und dass unser Sohn sterben würde, wenn wir diese Behandlung nicht zuließen“, sagte Desiree. Aber Zac Eltern blieben skeptisch, was die Bestrahlung betraf. Als Shawn während und nach der Chemotherapie wissenschaftliche Zeitschriften las, stieß er dabei mehrmals auf den Namen von Dr. Stanislaw Burzynski und seine Antineoplastone. Aber weder das noch die Haltung von Saponzink reichten aus, um ihn von den konventionellen Krebstherapien abzubringen. Schließlich kam der Tag, an dem Zac seine erste Strahlenbehandlung bekommen sollte. Es war Anfang März 1996. Er sollte sieben Wochen lang an fünf Tagen pro Woche zwei Dosen bekommen, also insgesamt etwa 7000 RAD. Nach der ersten Dosis fing Zac bereits an, sich über Schmerzen zu beklagen, sobald Desiree ihn heimfuhr. Er hatte Kopfschmerzen, und ihm war schlecht. Eine Nachbarin schrieb in einer eidesstattlichen Erklärung: „Als ich im Haus der McConnells war, saß Zachary auf dem Sofa und übergab sich heftig und ununterbrochen. Er hatte absolut keine Energie und war unfähig, sich zu bewegen. Seine Mutter musste ihm ständig eine Schüssel vor den Mund halten … Ich habe ihn noch nie so krank, schwach oder blass gesehen, nachdem er die Chemotherapie mitgemacht hatte. … Nachdem er sich eine Stunde lang übergeben hatte, beklagte er sich über heftige Kopfschmerzen und fing an, vor Schmerzen zu weinen. Die McConnells riefen Zacharys Arzt an und unterrichteten ihn über die Situation. Der Arzt sagte, dass sie ihm Tylenol gegen die Schmerzen geben sollten.“ Die Ärzte im Good Samaritan Medical Center konnten die Reaktion Zacs auf die Kranialbestrahlung nicht verstehen. „Zwei Schwestern und ein Arzt sagten mir, dass das vollkommen unmöglich sei“, erinnerte sich Desiree. „Sie sagten: Niemand zeigt eine solche Reaktion vor Ablauf von mindestens zwei Wochen. Sie sagten, dass das unmöglich eine Re204
aktion auf die Behandlung sein könnte. Und sie sagten mir, dass ich mir keine Sorgen machen sollte, falls er nicht anfing, sich zu übergeben oder lethargisch werden würde. Aber er übergab sich doch schon ständig!“ Desiree akzeptierte dies vorläufig und brachte Zac an diesem Tag wieder ins Krankenhaus für seine zweite Bestrahlungsdosis. „Auf dem Heimweg schlief er wieder ein. Er ergriff meine Hand, und als wir zuhause waren, schlug er mit dem Kopf an die Wand, um seine Schmerzen ein wenig zu besänftigen.“ Shawn rief sofort das Krankenhaus an und versuchte verzweifelt, Sapozink zu erreichen. „Ich sagte ihnen, dass ihre Kriterien ja jetzt wohl vorhanden seien – Zac übergab sich, und er war lethargisch. Ich konnte Sapozink an dem Tag nicht mehr erreichen, aber der andere Arzt, mit dem ich sprach, sagte mir, dass diese Reaktionen auf keinen Fall auf die Bestrahlung zurückzuführen seien. Dann änderte er irgendwie seine Strategie und behauptete, dass es eine völlig normale Reaktion sei. Er änderte also seine Geschichte und wollte, dass man noch weitere Bestrahlungen durchführen würde.“ Das war der Tropfen, der das Fass zu Überlaufen brachte. Shawn hatte jetzt das Gefühl, dass er den Ärzten, die seinen Sohn mit Bestrahlung behandelten, nicht länger trauen konnte. Vielleicht war es jetzt an der Zeit, sich nach anderen Möglichkeiten umzuschauen. „Während dieser Zeit hatten wir noch einiges über Burzynski gelesen“, sagte er. „Am Wochenende vor der Bestrahlung beteten wir, und baten Gott um irgendein Zeichen. Ich putzte gerade die Fenster einer Frau und hörte wie sie am Telefon den Namen Burzynski erwähnte. Es stellte sich heraus, dass sie mit einer Freundin redete, die Patientin bei ihm war.“ Innerhalb weniger Tage standen die McConnells mit einem Netzwerk von Patienten von Burzynski in Kontakt. Was Desiree am meisten beeindruckte, war ein Gespräch, das sie mit Mariann Kumari führte, deren vierjähriger Sohn an einem aggressiven Medullablastom litt, das auf die Behandlung mit Antineoplastonen positiv ansprach. „Sie sagte mir, dass ihr Sohn Dustin niemals operiert worden war oder eine Bestrahlung mitgemacht hatte, und dass sein Tumor geschrumpft wäre“, erinnerte sich 205
Desiree. „An dem Tag, an dem Zac eigentlich seine vierte Bestrahlung bekommen sollte, riefen wir die Klinik Burzynskis in Houston an. Während dieser vier Tage hatten wir ihn nicht zur Bestrahlung gebracht. Wir beteten und baten um ein Zeichen. Aber ich denke, dass die Gespräche mit den Patienten bereits ein Zeichen waren.“ Einige Tage später, nur einen Monat, nachdem nach einer Chemotherapie die Kernspintomographie durchgeführt worden war, die Hinweise auf einen Tumor in seinem Gehirn ergab, fuhren die McConnells nach Houston. Vor ihrer Abreise ließen sie durch einen Gefäßchirurgen einen neuen Katheter in Zacs Brust implantieren, an derselben Stelle, an der ein großer Teil seiner Chemotherapie durchgeführt wurde. Die Radiologen sagten, dass der Fleck, den sie im Februar 1996 auf der Kernspintomographie entdeckt hatten, möglicherweise ein kleiner Tumor gewesen sein konnte. Möglicherweise wäre es aber auch nur Narbengewebe gewesen. Am 19. März 1996 begann Burzynski mit der Behandlung von Zac. Am vierten Tag beklagte sich der Junge über einen Wadenkrampf, und er musste sich übergeben. Burzynski deutete diese Symptome als ein Zeichen für Schwellungen, die manchmal auftreten, wenn der Tumor auseinanderfällt. Er verabreichte Zac eine Dosis eines entzündungshemmenden Steroids, um die Schwellung zu lindern. „Mehr brauchte Zac nicht“, sagte Desiree. Während der nächsten zwei Monate verlief Zacs Leben mit den Antineoplastonen ziemlich reibungslos. Eine Kernspintomographie, die im April durchgeführt wurde, ergab, dass der Fleck verschwunden war. „Jetzt wussten wir mit Sicherheit, dass es kein Narbengewebe gewesen sein konnte. Narbengewebe kann nicht innerhalb von zwei Monaten verschwinden. Eigentlich verschwindet es überhaupt nicht“, sagte Shawn. Zac und sein Vater fuhren im Mai 1996 wieder nach Houston. Was sie erwarteten, war ein Routinebesuch, bei dem sie einen weiteren Vorrat an Antineoplastonen abholen würden. Leider machte ihnen die FDA einen Strich durch die Rechnung.
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Da er seit November 1995 angeklagt war, Antineoplastone ohne Genehmigung der FDA an Patienten außerhalb des Staates zu verkaufen, war Burzynski an eine Kautionsauflage gebunden, die besagte, dass er keinen Patienten mit Antineoplastonen behandelt, falls die FDA nicht davon ausgeht, dass dieser die Kriterien für eine von der FDA erteilten Ausnahmegenehmigung, eine IND-Genehmigung erfüllt. In Zacs Fall erhob die FDA Einspruch. „Er sieht sehr gut aus, aber leider darf ich Ihnen die Medizin nicht mehr geben“, teilte Burzynski Shawn und seinem Sohn mit. „Warum ließ er uns den ganzen langen Weg anreisen, wenn er uns die Medizin nicht geben konnte“, beklagte sich Shawn. „Ich habe das Gefühl, dass es in dieser Klinik manchmal ein wenig chaotisch zugeht. Man sitzt drei Stunden lang im Wartezimmer, und dann kommt Burzynski herein und wirft nur einen kurzen Blick auf den Patienten.“ Burzynskis traurige Nachricht für die McConnells resultierte aus einem Brief vom 26. April von Dr. Robert DeLap, dem damaligen geschäftsführenden Direktor der Abteilung für onkologische Heilmittel und Auswertung von Medikamenten (Division of Oncology Drug Products, Office of Drug Evaluation) der FDA. „Wir sind besorgt über die große Zahl neuer Patienten, die zwischen dem 24. Februar 1996 und dem 15. April 1996 entgegen der IND-Genehmigung und außerhalb der vielen neuen Anträge, die Sie im Zusammenhang mit Ihrer IND eingereicht haben, aufgenommen wurden“, schrieb DeLap. „Was Zachary McConnell betrifft … kann die Behandlung dieses Patienten mit Antineoplastonen eventuell fortgesetzt werden, vorausgesetzt, dass Sie die folgenden Informationen innerhalb von 15 Tagen nach Erhalt dieses Schreibens unterbreiten: Alter des Patienten, eine Kopie der Computertomographie bzw. Kernspintomographie, aus der zu ersehen ist, dass immer noch ein Rest des Hirntumors vorhanden ist, sowie eine Kopie eines Berichts vom Strahlenonkologen des Patienten mit dem Hinweis, dass er nicht mit Strahlentherapie geheilt werden kann.“ Kurz gesagt durfte Zac nicht mit Antineoplastonen behandelt werden, falls eine Kernspintomographie seines Gehirns keinen erkennbaren Tu207
mor zeigte. Aber in seiner Tomographie vom April war keine Spur von einem Tumor mehr zu erkennen. Also glaubte Burzynski, dass er die Vergabe des Medikaments sofort einstellen müsste oder andernfalls ins Gefängnis wandern würde. Die McConnells dachten jedoch nicht daran, die Behandlung einzustellen. Sie hatten immer noch ein wenig Antineoplaston zuhause. Sie schickten herzzerreißende Briefe an ihre Bekannten und an jeden Patienten von Burzynski, den sie ausfindig machen konnten. Sie baten jeden, der ihren Aufruf las, sich mit Präsident Clinton oder Abgeordneten des Kongresses in Verbindung zu setzen. „Gott weiß, dass Krebsopfer und ihre Familien eine große Last auf ihren Schultern tragen und von ihnen mehr zu verlangen, als sich ganz auf ihre Heilung und auf ihre täglichen Pflichten zu konzentrieren, ist einfach absurd“, schrieb Shawn und Desiree im Juni 1996. „Aber falls eine gewisse Regierungsbehörde ihre kranken Ziele verwirklicht, dann verfügt niemand mehr von uns über eine Waffe, mit der wir gegen diesen schrecklichen Alptraum ankämpfen können.“ Die Reaktion war einfach überwältigend. Zacs Krankheit wurde zum Thema für Zeitungsberichte, Fernsehsendungen und Internetartikel. Sein Vater sagte vor einem Senatsausschuss aus, der sich mit dem Access to Medical Treatment Act (Recht auf Zugang zu medizinischer Behandlung) befasste. Besorgte Mitpatienten, die noch zusätzliche Vorräte hatten, schickten der Familie ganze Kisten mit Antineoplastonen. Zac bekam also weiterhin seine Medizin, obwohl sich seine Dosis häufig änderte, je nachdem wie viel Antineoplastone seiner Familie gerade zur Verfügung hatte. Wenn die Familie für die Senatsanhörungen nach Washington reiste, musste das Mittel für ein Paar Tage abgesetzt werden. Einige Male im Juni und Juli riss sein Katheter, und die Behandlung musste für ein oder zwei Tage unterbrochen werden. Und die Familie wusste niemals, ob die Antineoplastone, die andere Patienten schickten, frisch genug waren, um noch wirksam zu sein. Normalerweise muss das Mittel innerhalb von drei bis vier Monaten nach der Herstellung verbraucht werden. 208
Die Kampagne war ein voller Erfolg. Fast zwei Monate, nachdem DeLap anordnete, dass die Behandlung bei Zac eingestellt werden sollte, machte dieser Bürokrat der FDA einen Rückzieher. In einem Brief vom 12. Juli 1996 teilte er Burzynski mit, dass er Zac wieder mit frischen Antineoplastonen versorgen durfte, weil in der Kernspintomographie von April „kein Hinweis auf ein Wiederauftreten des Tumors“ zu erkennen wäre. „Wir können jetzt davon ausgehen, dass Zachary sehr gute Aussichten hat, wieder gesund zu werden, und es ist zu diesem Zeitpunkt nicht eindeutig, dass eine Bestrahlungstherapie seine Chancen auf eine Heilung wesentlich verbessern würde … Wir haben daher entschieden, dass eine weitere Behandlung mit Antineoplastonen gestattet wird.“ Das hieß nichts anderes, als dass derselbe Beamte, der im April die Anweisung gegeben hatte, dass Burzynski Zac nicht länger behandeln durfte, weil seine Kernspintomographie keinen messbaren Tumor zeigte, jetzt entschied, dass eben dieser fehlende Tumor Grund genug für die Wiederaufnahme der Behandlung wäre. Die McConnells konnten über diesen seltsamen Widerspruch eigentlich nur den Kopf schütteln. Aber sie waren natürlich wahnsinnig erleichtert. „Zwischen diesen beiden Briefen hatte sich eigentlich überhaupt nichts Neues ergeben“, sagte Shawn. „Es ging hier ausschließlich um Politik und Druck durch die Medien. Wir wissen jetzt, dass es bei solchen Entscheidungen überhaupt nicht um Wissenschaft oder das Wohl der Patienten geht. Es geht ausschließlich um Macht und Politik.“ Kurz danach ließ die Familie eine weitere Kernspintomographie für Zac durchführen, genau ein Jahr und einen Tag nach der Tomographie, auf der der Tumor zuerst entdeckt worden war. „Wir wollten, dass dieses Datum in unserem Leben keine größere Bedeutung hat“, sagte Desiree. „Wir wollten nicht, dass es jedes Jahr für uns zu so einer Art Schreckgespenst wird.“ Aber es sollte anders kommen. Die neue Kernspintomographie zeigte einen kleinen Tumor von der Größe einer Murmel. Moss sagte den Eltern, dass sie jetzt innerhalb von drei oder vier Wochen handeln müssten. Eine neue Operation war jetzt wahrscheinlich unumgänglich, sagte er. Burzynski riet ihnen, abzuwarten und die Anti209
neoplastondosis zu erhöhen. Die McConnells und Moss waren einverstanden. Innerhalb weniger Tage nach Beginn der Behandlung litt Zac wieder an Wadenkrämpfen und Brechanfällen, ebenso wie während der ersten Woche seiner Antineoplastonbehandlung. Diesmal machten diese Symptome die Eltern optimistisch. Aber sie sollten noch eine weitere Zeit der Ungewissheit vor sich haben. „Das ist für uns eine schwere Prüfung“, sagte Shawn. „Das Leichteste wäre, sofort die Operation durchzuführen und dann Antineoplastone einzusetzen, um einen neuen Tumor zu verhindern. Wir werden beten und uns auf Gott verlassen. Aber wir wissen, dass der Tumor von Dustin Kunnari ebenfalls wiederkehrte und dann auf eine erhöhte Antineoplaston-Dosis reagierte. Wir wissen, dass Dr. Burzynski und wir alle noch einiges darüber zu lernen haben. Das Dumme ist, dass wir ihm nicht die ganze Zeit die übliche Dosis geben konnten. Ich werde wohl niemals wissen, ob die Maßnahme der FDA die Rückkehr des Tumors verursacht hat, aber ich weiß, dass sie uns dazu gezwungen hat, das Gesetz zu brechen, um unserem Sohn das Leben zu retten. Ich glaube, dass die FDA nicht damit rechnet, dass sich die Patienten wehren, wenn ihnen das Heilmittel vorenthalten wird. Aber wir haben uns gewehrt. Ich würde mich vielleicht wohler fühlen, wenn ich glauben würde, dass man immer zu dem allweisen Vater im weißen Ärztekittel laufen kann, wenn man ein Problem hat, aber das glaube ich nicht mehr. Und auch kein anderer sollte das mehr glauben.“ Nachdem Shawn McConnell dies gesagt hatte, lebten er und seine Familie sechs Monate lang in Ungewissheit, wie es mit Zachary weitergehen würde. Anfang Oktober 1996 war Zacs Tumor trotz einer erhöhten Dosis Antineoplaston auf einen Durchmesser von etwas 3 cm gewachsen, und die McConnells sahen, dass er entfernt werden musste. Als der Chirurg Moss den Tumor entfernte, war dieser eingekapselt, ebenso wie Zacs erster Tumor. Und eine Kernspintomographie seiner Wirbelsäule ergab, dass dort keine Metastasen vorhanden waren.
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Aber als der Tumor entfernt worden war, entschieden sich die McConnells, Zac nicht mehr mit Antineoplastonen behandeln zu lassen. „Im September 1996 hatten wir 30 Tage lang eine hohe Dosis probiert, ohne sichtbare Wirkung“, erinnerte sich Shawn. „Also entschieden wir uns nach der zweiten Operation, eine konzentrierte örtliche Bestrahlung des Bereichs durchführen zu lassen, in dem die Tumore aufgetreten waren. Die Ärzte in Phoenix drängten uns, eine Bestrahlung des gesamten Gehirn durchführen zu lassen, weil nur auf diese Weise sichergestellt werden konnte, alle Krebszellen abzutöten, die sich möglicherweise noch dort befinden könnten. Aber wir wussten, wie sehr dies Zac zusetzen würde, also ließen wir das nicht zu. Wir wandten uns an die Universität von Tucson, und dort sagte man uns dasselbe. Schließlich verwies man uns an Dr. William Wara von der University of California, der unserem Wunsch zustimmte. Nachdem man Zac einen Monat Ruhe gegönnt hatte, fuhren die McConnells nach Nordkalifornien. Sie verbrachten die Zeit dort auf der Ranch von Ric und Paula Schiff, deren Tochter Crystin unter Aufsicht von Dr. Wara eine Bestrahlung ihres gesamten Gehirns durchgemacht hatte. Diesmal stimmte der Arzt zu, ein gezieltes Verfahren durchführen zu lassen, das man als 3D-konforme Bestrahlung bezeichnete, wobei die Strahlen ausschließlich auf den Bereich gerichtet wurden, an dem Zacs Tumor zweimal aufgetaucht war. „Das wurde fünf Wochen lang jeweils an fünf Tagen durchgeführt“, sagte Shawn. „Schließlich wurde Zac eine Gesamtdosis von etwa 3000 RAD verabreicht. Das war nur etwa die Hälfte von dem, was sie eigentlich anwenden wollten. Die Ärzte waren außer sich, als wir ihnen sagten, dass wir die Behandlung an dieser Stelle abbrechen wollten. Ein Assistenzarzt sagte uns: Wir können nicht einfach nach der Hälfte der Behandlung abbrechen. Aber das taten wir. Und trotzdem konnten wir schon einige Nebenwirkungen der Strahlenbehandlung beobachten. Zac wurde launisch und gereizt, so ähnlich wie er war, als er den Tumor hatte.“ Aber einen Monat, nachdem sie heimgekehrt waren, im Januar 1997, zeigte eine 211
Kernspintomographie, dass Zac, der mittlerweile wieder in Arizona zur Schule ging, frei von Krebs war. Die McConnells wissen nicht, was geschehen wäre, wenn die FDA erlaubt hätte, dass Zac weiter mit Antineoplastonen behandelt würde, die anfangs ein erneutes Auftauchen des Tumors zu verhindern schienen. „Er hatte ein Jahr keinen Tumor, also glaube ich, dass das Mittel von Burzynski zu der Zeit wahrscheinlich gewirkt hat“, sagte Shawn. „Nachdem die erste Anordnung von der FDA gekommen war, waren wir ausschließlich auf die Mittel angewiesen, die uns die anderen Patienten schickten. Man konnte das fast als Schmuggeln bezeichnen. Einige kamen erst an, nachdem das Verfallsdatum bereits abgelaufen war. Und wir waren natürlich nicht immer sicher, ob wir genau entsprechend den Anweisungen von Burzynski handelten.“ Burzynski ist davon überzeugt, dass der Tumor nicht zum zweiten Mal aufgetaucht wäre, wenn man ihm nicht untersagt hätte, die Behandlung des Jungen selbst zu überwachen. „Wir wussten nicht, welche Mittel Zac bekam, und wir wissen auch nicht, in welchen Mengen“, sagte er. „Wenn er nach Texas gekommen wäre, und wir ihn hätten untersuchen dürfen, als der Tumor zurückkehrte, dann hätten wir seine Dosis entsprechend ändern können. Wenn Tumore wieder auftauchen, dann sind sie oft noch aggressiver, aber wir können sie mit einer erhöhten Dosis trotzdem sehr effektiv bekämpfen. Leider wurde uns diese Behandlung untersagt.“ Postskriptum Fountain Hills, Arizona, Mitte 2000 – Zac McConnell ist tot. Er starb am 31. Dezember 1998 um 22.27 Uhr, kurz vor Neujahr. Die Kolumnistin Laurie Robert von der Zeitung Arizona Republic berichtete einige Tage später: „Zac war ein Junge, der drei Jahre lang tapfer gegen den Krebs kämpfte, der in sein Gehirn eingedrungen war.“ Während eines großen Teils dieser Zeit war er dazu gezwungen, mit einer Hand hinter dem Rücken zu kämpfen, denn die FDA hatte ihm das Mittel vorenthalten, das seinen Tumor nach dessen Beseitigung Anfang 212
1996 viele Monate daran gehindert hatte, wieder nachzuwachsen. Unter politischem Druck erlaubte die FDA schließlich, dass er wieder mit Antineoplastonen behandelt wurde. Sein Tumor war wieder aufgetaucht, nachdem man Burzynski daran gehindert hatte, das Mittel in der Dosis und auf die Art und Weise zu verabreichen, wie er es für richtig hielt. Aber der neue Tumor reagierte nicht auf die von Burzynski angeordneten Dosen, als bei Zac die Behandlung wieder aufgenommen werden durfte. Also werden wir niemals wissen, inwieweit die FDA für den Tod diesen frühreifen Neunjährigen verantwortlich war. „Ich verstehe immer noch nicht, warum Dr. Burzynski nicht einfach in ein anderes Land gegangen ist, wo man ihn Ruhe arbeiten lassen würde“, sagte Shawn McConnell Anfang 2000. Achtzehn Monate nach dem Verlust seines Sohnes war er immer noch total niedergeschlagen. „Ich hätte Zac auch nach Europa, Mexiko oder in irgendeinen anderen Teil der Welt gebracht. Und dann hätte er keine Probleme mit der FDA gehabt. Dann hätten wir gesehen, ob der Tumor durch das Mittel beseitigt worden wäre. Ich glaube einfach, dass Burzynski mehr für seine Patienten tun könnte, wenn er sich in ein toleranteres Land begeben würde.“ Aber Shawn hat Zac auch nicht zurück nach Houston gebracht, nachdem die FDA erlaubt hatte, die Behandlung wieder aufzunehmen. Also konnte Burzynski Zac nicht persönlich untersuchen, nachdem der Tumor wieder aufgetaucht war. Shawn und Zacs Mutter Desiree sagten, dass sie Zac genau die Dosis verabreicht hatten, die Burzynski vorgeschrieben hatte, nachdem die Behandlung wieder zugelassen worden war, und das taten sie fünf Wochen lang. Das, so hätte Burzynski ihnen gesagt, würde ausreichen, um festzustellen, ob der neue Tumor reagieren würde. Er hatte aber nicht reagiert, und so musste er chirurgisch entfernt werden. Das war eine von sieben Operationen, die Zac in seinem kurzen Leben über sich ergehen lassen musste. Natürlich reagieren auch viele andere Hirntumore nicht sehr schnell auf Antineoplastone, aber nach einigen Monaten fangen sie doch an zu schrumpfen. „Das Problem hier ist, dass wir Zac nicht wieder zu Gesicht bekamen“, sagte Burzynski. „Man kümmerte sich um ihn, ohne dass wir es kontrol213
lieren konnten.“ Shawn sagte: „Ich habe nicht verstanden, und ich verstehe es auch jetzt nicht, warum es notwendig gewesen sein soll, Zac wieder nach Texas zu bringen. Wir haben Burzynski Tomographien geschickt, und wir haben Zac jeweils die Dosis verabreicht, die man vorgeschrieben hatte.“ Burzynski sagte jedoch, dass die Dinge nicht so einfach wären. „Zacs Dosis war wahrscheinlich zu niedrig, als man die Behandlung wieder zuließ. Man hätte ihm viel mehr verabreichen müssen. Unseren Unterlagen zufolge haben unsere Ärzte Mr. McConnell angewiesen, die Dosis zu erhöhen, aber wir wissen natürlich nicht, ob er das auch in der ausreichenden Menge getan hat. Aber das ist nicht das Einzige, was wir wissen mussten. Um einen wieder aufgetauchten Tumor erfolgreich zu behandeln, muss die Dosis wahrscheinlich dreimal höher sein als sie gewesen ist. Aber dies hätte mehrere Bluttests erfordert, und wir hätten Zac alle zwei oder drei Tage auf mögliche überhöhte Salzwerte untersuchen müssen. Aber das geschah in den vier Monaten, nachdem die Behandlung wieder aufgenommen wurde, nur ein einziges Mal. Und das ist vollkommen inakzeptabel. Zac hätte drei Wochen lang in Houston sein müssen, während seine Dosis allmählich erhöht würde. Man kann sie nicht so einfach gefahrlos verdreifachen. Und man muss den Patienten ständig überwachen.“ Burzynski sagte, dass er Zac unter idealen Umständen eine neue und höhere Dosis verabreicht und dann zwei Monate lang ständig behandelt hätte. „Erst dann hätten wir unterbrechen sollen – falls der Tumor größer geworden wäre“, sagte er. „Wenn der Tumor zu dieser Zeit nicht größer geworden wäre, dann hätten wir die Behandlung fortgesetzt.“ Aber eine mehrmonatige Behandlung mit der stark erhöhten Dosis wurde niemals durchgeführt. Es läuft alles darauf hinaus, dass wir niemals wissen werden, ob Zac ohne das Eingreifen der FDA überlebt hätte oder nicht. Und es kann auch niemand wissen, ob der zweite Tumor zu der kleinen Zahl von Tumoren gehörte, die weder auf Antineoplastone noch auf irgendein anderes Mittel ansprechen. 214
KAPITEL 6 Der Krieg kommt ins Labor
Ingrid Schultz hatte nie vorgehabt, ihren Körper zu einem Schlachtfeld zu machen. Aber ab dem Augenblick, da sie sich 1994 entschloss, an einem klinischen Versuch in den National Institutes of Health teilzunehmen, wurde ihr Hirnstamm zu einem Schlüsselelement in einem langen juristischen und wissenschaftlichen Krieg zwischen Dr. Stanislaw Burzynski und dem staatlichen Establishment der Krebsforschung. Alles, was Ingrid wollte, war, zu überleben, und zwar so angenehm wie möglich. Kurz nach dem Labor Day 1993 wurde bei ihr ein bösartiges Glioblastom Grad IV festgestellt. Sie und ihr Mann Lon lebten in Fort Smith in Arkansas und betrieben eine Firma für audiovisuelle Medien. Sie hatten sich 1969 kennengelernt, als sie in demselben Kundendienstzentrum für elektronische Produkte der Firma Panasonic in Chicago arbeiteten. Sie heirateten 1973 und zogen nach Arkansas, um dem irrsinnigen Tempo des Großstadtlebens zu entfliehen. Sie kauften sich ein Eigenheim und hatten bald zwei Kinder. Bevor Ingrid, die aus Deutschland stammte, anfing, an einer Lähmung ihrer linken Körperseite zu leiden, war ihr Leben sehr harmonisch verlaufen. Als bei ihr das Glioblastom diagnostiziert wurde, änderte sich alles. Sie wurde unverzüglich im St. Edward's Hospital in Fort Smith einer Gehirnoperation unterzogen, um den größten Teil ihres Tumors zu beseitigen. Aber die Tentakel waren so mit ihrem Gehirnstamm verwoben, dass eine Beseitigung des gesamten Krebsgewebes vollkommen unmöglich war. Als die alarmierenden Symptome vorübergehend verschwanden, hatten sie und ihr Mann Zeit, sich zu überlegen, ob sie die vom Arzt empfohlene Bestrahlungstherapie mitmachen sollte oder nicht. „Wir lehnten dies schließlich ab“, erinnerte sich Lon Schultz. „Meine Mutter war an Brustkrebs gestorben. Wir hatten also schon erlebt, welche schrecklichen Nebenwirkungen die Bestrahlungsbehandlung haben 215
konnte. Wir dachten, es sei angemessen, die Nebenwirkungen zu bedenken, und nachdem wir zwei Lehrbücher über Bestrahlungstherapie gelesen hatten, entschieden wir uns dagegen.“ Aber sie waren noch weit davon entfernt, Ingrids Leben und Zukunft aufzugeben. Kurz nach ihrer Operation besuchten sie eine Klinik für Immuntherapie in San Diego, mussten jedoch feststellen, dass die Behandlung dort Ingrid nicht sehr viel nützte. Und bis Januar 1994 war Ingrids Tumor wieder auf die alte Größe angewachsen. Sie unterzog sich einer zweiten Operation, bei der sich wiederum als unmöglich erwies, den gesamten Tumor zu beseitigen. Noch einmal drängte sie ihr Chirurg, es mit einer Strahlungsbehandlung zu versuchen, aber Lon erinnerte sich, „dass selbst der Radiologe sagte, dass nur eine geringe Chance bestünde, dass ihr das helfen würde“. Inzwischen hatte das Paar ein Buch nach dem anderen über alternative Krebstherapien gelesen. „Von allen Methoden, über die wir uns informierten, schien die von Dr. Burzynski am wirksamsten zu sein“, sagte Lon. „Und nachdem Ingrids Tumor zurückgekehrt war, zogen wir die Antineoplastone ernsthaft in Betracht. Wir erfuhren, dass die NIH einen Versuch damit durchführen wollte. Wir setzten uns also sowohl mit der NIH als auch mit dem Leiter für klinische Versuche von Burzynski, Dean Mouscher, in Verbindung.“ Da Burzynskis Behandlung sie mehr als 3000 Dollar pro Monat kosten würde, entschied sich das Paar, es mit dem NIH-Experiment zu versuchen. Die beiden erfuhren, dass man mit ähnlichen Versuche in der Mayo-Klinik in Minnesota und dem Memorial Sloan-Kettering Krebszentrum in New York noch nicht begonnen hatte. Aber bei allen drei Versuchen, die vom NCI unterstützt wurden, setzte man voraus, dass die Teilnehmer bereits jede verfügbare Form konventioneller Behandlung durchgemacht hatten, und dass diese fehlgeschlagen wäre. Ingrid hatte noch keine Bestrahlung mitgemacht, also wurde sie anfangs abgelehnt. „Wir bemühten uns um eine Ausnahmegenehmigung“, sagte Lon. „Wir redeten immer wieder auf sie ein, und nach einigen Schwierigkeiten, als wir fast schon soweit waren, die Sache mit dem NIH aufzugeben und 216
trotz der Kosten zu Burzynski zu gehen, riefen sie uns an und sagten, dass ich Ingrid in ihr Krankenhaus in Bethesda in Maryland bringen könnte.“ Als sie dort war, musste Ingrid erst einmal zehn Tage warten, während die Ärzte feststellten, ob sie wirklich ein Glioblastom hatte. Ihre Krankenakte war für die Wissenschaftler vom NIH nicht ausreichend. Sie bestanden darauf, eine eigene Tomographie zu machen. „Schließlich entschieden sie, sie für den Versuch zuzulassen“, erinnerte sich Lon. „Sie war der zweite Patient, der angenommen wurde, und sie wurde einer sechswöchigen Behandlung unterzogen.“ Diese Behandlung wurde durch Dr. Alain Thibauld überwacht, der später zu einem der Leiter eines der vom NCI genehmigten Versuche werden sollte, bei dem die Wirkung von Phenylazetat gegen Bauchspeichelkrebs getestet wurde. Aber ihr Mann sagte, dass Ingrid schon bald sehr misstrauisch gegenüber Thibaults Motiven werden sollte. „Sie war erst seit einer Woche dort, als sie mich anrief und sagte, dass Dr. Thibault geradezu aufgekratzt in ihren Untersuchungsraum gekommen wäre und gar nicht aufhören konnte, von einem anderen Patienten namens Didi zu sprechen. Ingrid hatte das Gefühl, dass er geradezu glücklich darüber war, dass Didi auf die Antineoplastone nicht angesprochen hätte“, berichtete Lon Schultz. „Das war für sie der erste Hinweis darauf, dass hier etwas nicht stimmen konnte.“ Ein weiterer Hinweis kam, als ein Techniker, der dabei assistierte, das Mittel zu verabreichen, gegenüber Ingrid erwähnte, dass die vom NIH verwendeten Antineoplastone – von denen die meisten von Burzynski der Klinik in Bethesda geschickt wurden – verwässert wurden, bevor man sie den Patienten verabreichte, weil man befürchtete, dass sie so säurehaltig wären, dass sie den Tropf verätzen würden. „Es gibt keine Möglichkeit, dies zu bestätigen oder zu widerlegen“, sagte Dr. Mario Sznol, der Leiter der Abteilung für biologische Auswertung beim NCI. „Den Patienten werden alle möglichen Sachen erzählt. Vielleicht war das einfach die Standardmethode, mit der das Medikament verabreicht wurde.“ 217
Thibault, der stärker daran beteiligt war, das Medikament zu verabreichen als jeder andere, weigerte sich, auf mehrere Telefonanrufe zu reagieren, mit denen ihm die Gelegenheit gegeben werden sollte, dazu Stellung zu nehmen. Als ihre Behandlung beim NIH endete, war Ingrid Schulz davon überzeugt, dass die meisten Ärzte dort einfach nicht wollten, dass die Antineoplastone funktionieren. „Nach mehreren Wochen wurde einfach festgestellt, dass die Behandlung bei ihr keine Wirkung zeigte“, sagte Lon Schultz. „Ingrid hatte das Gefühl, dass Dr. Thibault außerordentlich glücklich darüber war, dass sie unwirksam waren. Und nachdem die Behandlung abgebrochen wurde, traf sie vier oder sechs andere Ärzte dort, die ihr sagten, dass sie nach Hause gehen und sich auf den Tod vorbereiten sollte. Sie betonten alle, dass sie sterben würde.“ Aber leider starb Ingrid nicht nach Plan. Sie setzte sich noch einmal mit Dr. Burzynski in Verbindung, der ihr sagte, dass er sie ohne Bezahlung behandeln würde, nachdem er von ihren Schwierigkeiten mit dem NIH erfahren hatte. Und seine Behandlung schien den Tumor tatsächlich zu beeinflussen. „Das Wachstum des Tumors verlangsamte sich und hörte schließlich ganz auf“, erinnerte sich Lon. „Einige Monate später fing er wieder an zu wachsen. Aber es dauerte sechs Monate, bis er so gewachsen war wie früher in sechs Tagen. Ich fragte mich, warum er beim NIH auf die Behandlung nicht angesprochen hatte, wenn Ingrid dort dieselben Antineoplastone bekommen hatte. Und warum reagierte er dann später in der Klinik von Dr. Burzynski?“ Thibault reagierte nicht auf meine Versuche, ihn telefonisch zu erreichen, um ihm die Gelegenheit zu geben, zu der Sache Stellung zu nehmen. Daraus ergibt sich eine ernste Frage: Wollten die Ärzte beim NIH, dass der Versuch mit den Antineoplastonen fehlschlug? Und falls ja, warum? Um diese Fragen zu beantworten, ist es notwendig, ein wenig in der Zeit zurückzugehen – zum Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre. Während der gesamten achtziger Jahre hatte Burzynski niemals damit aufgehört, Patienten zu behandeln, und bei vielen hatte er sehr 218
positive Ergebnisse erzielt. Er hatte sich auch an einige größere Pharmaunternehmen gewandt. Und er hatte anderen Forschern aus den USA, Europa und Japan, die eine entsprechende Anfrage stellten, Antineoplastone geliefert. Die meisten pharmazeutischen Unternehmen reagierten mit ähnlichen Briefen wie dem von den Abbott Laboratories, die Burzynski für sein Interesse dankten und ihm mitteilten, dass Antineoplastone „zur Zeit nicht in unser Firmenprofil passen“. Ihre Motive waren unklar, aber Burzynskis Probleme mit der FDA würden auch jede andere Firma in Schwierigkeiten bringen, die sich für seine Medizin interessierte. In Abbotts Brief gab es so einen Unterton von Furcht – Furcht, dass eine Zusammenarbeit mit Burzynski ihr Verhältnis zur FDA wesentlich beeinträchtigen könnte. Ein größeres Unternehmen reagierte jedoch positiv. Das irische Unternehmen Elan Corporation PLC, ein größerer pharmazeutischer Hersteller mit einer amerikanischen Niederlassung außerhalb von Atlanta in Georgia, schloss am 20. Juni 1990 einen Vorvertrag mit Burzynski ab. Mit diesem Vertrag schien er alles zu bekommen, was er sich seit vielen Jahren gewünscht hatte. Elan würde die Antineoplastone durch den Genehmigungsprozess schleusen und das Produkt auf den Markt bringen. Burzynski würde man großzügig für die Lieferung des Mittels bezahlen – mindestens 2500 Dollar pro Kilo. Und Elan schätzte, dass sie in dem Jahr, in dem sie die erste IND-Genehmigung für das Mittel erhalten würde, mindestens 2500 kg benötigte. Sie zahlte Burzynski auch einen nicht rückzahlbaren Vorschuss von 500.000 Dollar. Sobald die Antineoplastone den Genehmigungsprozess der FDA durchlaufen hätten, sah die Vereinbarung vor, dass Burzynski 10 % der Bruttoeinnahmen und 40 % aller eventuellen Bruttotantiemen bekäme, die Elan erhalten würde, falls sie die Antineoplastone an irgendeine andere Firma irgendwo in der Welt in Lizenz weitervergeben würde. Als er diesen Vertrag unterzeichnete, glaubte Burzynski, dass seine Probleme ein für alle Mal vorbei seien. Er war bereit zur Zusammenarbeit, als Elan ihre Wissenschaftler schickte, um seine Anlagen zu inspi219
zieren und die Unterlagen seiner Arbeit zu überprüfen. Schließlich enthielt die Vereinbarung eine Verpflichtung, dass beide Parteien „Informationen in Bezug auf die Produkte und die Forschungsarbeiten austauschen“ würden. Und das war ein Fehler, einer der schlimmsten Fehler, den Burzynski jemals begehen sollte. Denn der Vertrag von Elan, der vom Vorstandsvorsitzenden der Firma, Donald Panoz, unterzeichnet worden war, enthielt eine 60-tägige „Überprüfungsfrist“, während der Burzynski mit Elans Vertretern zusammenarbeiten sollte. Alle anderen Teile des Vertrages wurden jedoch für diesen Zeitraum ausgesetzt. Während dieser Frist konnte jede der Parteien jederzeit aus dem Vertrag wieder aussteigen. „Während dieser Zeit“, erinnerte sich Burzynski traurig, „entdeckten sie, dass wir das Antineoplaston AS5, das dasselbe ist wie normales Phenylazetat, niemals patentiert hatten.“ Burzynski hatte die Verwendung von AS5, eine der Fraktionen, die er aus dem Antineoplaston A, das ein breites Wirkungsspektrum hat, bereits 1981 eingestellt, weil er zu dem Schluss gekommen war, dass seine Wirkung gegen den Krebs bedeutend geringer war als die der komplexeren A10 und AS2-1. Sein Anwalt hatte ihm seinerzeit gesagt, dass Phenylazetat eine zu weit verbreitete industrielle Chemikalie wäre, als dass man sie patentieren könnte. Die Folge der Ereignisse scheint darauf hinzuweisen, dass die Wissenschaftler von Elan sehr schnell herausfanden, dass Phenylazetat von mindestens einem Antineoplaston der wichtigste Bestandteil war. Sie merkten, dass sie Phenylazetat selbst weit billiger herstellen konnten als Burzynski die Antineoplastone. Sie dachten offenbar: Wenn Antineoplastone zum großen Teil aus Phenylazetat und anderen Stoffen besteht, die der Körper in Phenylazetat metabolisiert, warum sollten sie es dann nicht selbst herstellen? Wer brauchte Burzynski, selbst wenn er die Tatsache entdeckt hatte, dass Peptide, die zum großen Teil aus Phenylazetat bestehen, das Wachstum vieler Krebsarten rückgängig machen? Warum sollte man ihm überhaupt das Verdienst für irgendeinen Teil dieser Entdeckung zubilligen?
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Burzynskis Antwort war immer, dass die anderen Bestandteile der Antineoplastone, einschließlich Phenylazetylglutamin und Phenylazetylisoglutamin sich verbinden und dafür sorgen, dass das Phenylazetat für längere Zeit im Körper bleibt, bevor es durch den Urin in seiner endgültigen Form von Stoffwechselprodukt, Phenylazetylglutamin, ausgeschieden wird. Die anderen Bestandteile, sagte Burzynski, machen das Phenylazetat weniger giftig, fügen der Leber also weniger Schaden zu und verursachen weniger Desorientierung. Somit kann eine größere Dosis angewendet werden. Das Endergebnis war jedoch, dass Elan den Vertrag mit Burzynski vor Ablauf der zweimonatigen Überprüfungsfrist kündigte und sich stattdessen mit der Forscherin Dvorit Samid zusammentat, die damals für die Uniformed Services Medical School in einem Vorort von Washington D.C. in Maryland arbeitete. Samid hatte Ende der achtziger Jahre angefangen, sich für Antineoplastone zu interessieren, als sie einen Patienten von Burzynski kennenlernte, der auf die Behandlung positiv ansprach. „Sie wandte sich an uns und wollte mit uns zusammenarbeiten“, erinnerte sich Burzynski. „Wir schickten ihr Proben und etwas Geld, um die Arbeit für uns durchzuführen.“ Samid sagte, dass sie unabhängig von Burzynski damit anfing, mit Phenylazetat zu arbeiten. „All diese Studien wurde an natürlichen Stoffen durchgeführt, die in meinem Labor hergestellt wurden“, behauptet sie. Aber sie sagte nichts darüber, warum ihre Zusammenarbeit mit Elan ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt begann. Das Unternehmen fing 1991 an, ihre Arbeit zu unterstützten, gerade als sie ihren Vertrag mit Burzynski gekündigt hatte. Die Zusammenarbeit zwischen Samid und Elan war kein Zufall, behauptet Burzynski. „Wir haben sie praktisch beide miteinander bekannt gemacht.“ Zu derselben Zeit, da Elan begann, Samids Arbeit mit einem Betrag zu unterstützen, über dessen Höhe beide nichts verraten wollen, erhielt das Unternehmen Lizenzen für die Verwendung von Phenylazetat und einen ähnlichen Stoff, Phenybutyrat, als Mittel gegen Krebs. „Wir haben das Recht, sowohl Phenylazetat als auch Phenylbutyrat auf ihre Wirkung als 221
Krebsmittel zu überprüfen“, sagte Michael Sember, Chef der Abteilung für Marktentwicklung der Firma. „Als Teil unserer Vereinbarung unterstützen wir die Regierung bei ihren Versuchen mit diesen Substanzen. Und sie liefert uns die Resultate.“ Im Patent der Elan wird Samid als die Entdeckerin des Phenylazetats als Krebsmittel aufgeführt. „Wir sind durch Dr. Samid auf diese Sache gestoßen“, sagte Dr. David Tierney, ein weiterer leitender Mitarbeiter von Elan. Elan weigerte sich, darüber Auskunft zu geben, warum sie den Vertrag mit Burzynski gekündigt hatte. Aber durch die Ereignisse wird klar, dass einige Zeit, nachdem die Firma entdeckt hatte, dass Burzynski AS5, das aus Phenylazetat besteht, nicht patentiert hatte, sie sich entschloss, dieses Medikament weiterzuentwickeln, statt die Antineoplastone zu verwenden, und Samids Labor dafür als eine geeignete Möglichkeit sah. Sie schenkte Burzynskis Behauptung, dass er die Verwendung von AS5 eingestellt hatte, weil es viel weniger gegen Krebs ausrichtete als die anderen Medikamente, die er entdeckt hatte, wenig Aufmerksamkeit. Und obwohl sich Samid seit Jahren mit der Arbeit von Burzynski beschäftigte, sagte sie: „Es ist sehr schwierig, zu erkennen, was genau Burzynski seinen Patienten verabreicht.“ Der Einfluss von Burzynski auf die Zusammenarbeit zwischen Samid und Elan endete nicht einfach mit deren Bemühungen, ein Medikament wie seines zu entwickeln, ohne ihn dabei einzubeziehen. Samid ist eine angesehene Wissenschaftlerin, und sie präsentierte die Resultate ihrer von Elan finanzierten Arbeit mit Phenylazetat bei einer Reihe von Konferenzen über Krebsforschung. Bei einer Konferenz des Amerikanischen Verbands für Krebsforschung im Jahre 1991 ging Dr. Mario Sznol, Leiter der Abteilung für Biologische Auswertung beim National Cancer Institute und einer der führenden Mitarbeiter des Auswertungsprogramms für Krebstherapie (Cancer Therapy Evaluation Program), auch unter der Abkürzung CTEP gekannt, durch den Posterbereich, wo Samid eine Präsentation von zwei Forschungsprojekten vorstellte. Er warf einen Blick auf die Poster von Samid und kam zu dem Schluss, dass die 222
Substanz, die sie vorstellte, eine genauere Überprüfung verdiente. „Wir dachten, dass die Sache sehr interessant wäre. Phenylazetat wäre also in der Lage, gezielt den Tod von Krebszellen herbeizuführen“, sagte Sznol. Es spielte wohl keine Rolle, dass Burzynski fast fünfzehn Jahre lang dasselbe über Antineoplastone gesagt hatte, und dass er kein Geheimnis daraus gemacht hatte, dass diese hauptsächlich aus derselben chemischen Substanz bestehen. „Wir sind dabei, neue potentielle Wirkstoffe gegen Krebs in unsere Kliniken zu bringen“, fügte Sznol hinzu. Ein Resultat von Sznols Interesse war ein umfangreicher Test, bei dem man die Wirkung von Phenylazetat gegen verschiedene Arten von Krebs prüfte – von Hirntumoren bis Läsionen der Bauchspeicheldrüse. Samids Karriere startete ebenfalls durch – zuerst in den Forschungslabor des NCI und später an der medizinischen Fakultät der University of Virginia, wo sie sagte, dass die Verwalter einen „großen Beitrag“ zur Phenylazetatforschung leisten würden. Zusammen mit ihr ging ihr enger Mitarbeiter Dr. Alain Thibault. Während all dies geschah, hatten Burzynskis Patienten und die Publicity, die sie erzeugten, einen ständigen Strom von Besuchern in sein Labor gelockt. Aber niemand sollte für die Zukunft der Antineoplastone wichtiger sein als eine Gruppe von sechs Wissenschaftlern vom NCI, die eines Tages, Mitte 1991, eintraf. Ihr Besuch wurde durch einen früheren Gast, Dr. Charles Vogel vom Krebsinstitut der University of Miami veranlasst. Der Onkologe Vogel hatte beobachtet, dass mehrere seiner Patienten, die aus Verzweiflung zu Burzynski gegangen waren, auf die Antineoplaston-Behandlung reagiert hatten. In einem Fall löste sich der Hirntumor, den er für unheilbar gehalten hatte, innerhalb von zwei Monaten auf. Nach Vogels Besuch, erinnerte sich Burzynski, empfahl der dem NCI, der Klinik ebenfalls einen Besuch abzustatten und eine Gruppe von Wissenschaftlern zu entsenden, um sich von Burzynskis Ergebnissen zu überzeugen. In den Jahren vor Vogels Besuch hatte Burzynski keinen Kontakt mit dem NCI und auch keinen gewünscht. Er erinnerte sich noch an die Besuche Anfang der achtziger Jahre, als die kanadischen Wissenschaftler 223
die Antineoplaston-Proben dem NCI übergeben hatten, wo sie dann an Mäuseleukämie P388 getestet wurden. „Ich hatte ihnen gesagt, dass sie sich davon nicht allzu viel versprechen durften, weil die Antineoplastone artenspezifisch sind“, sagte Burzynski. „Aber sie testeten sie trotzdem. Danach behaupteten sie dann, dass die Antineoplastone bei Tieren nicht funktionieren. Aber wir haben niemals damit aufgehört, Menschen zu heilen. Das alles zeigt doch nur, wie gemein einige dieser Leute sind.“ Ungefähr zu der Zeit, als Vogel seinen Besuch abstattete, hatte das NCI ein neues Programm aufgestellt, um die besten Ergebnisse der verschiedenen alternativen Krebstherapien zusammenzustellen. „Ich fing 1981 damit an, den NCI und die Amerikanische Krebsgesellschaft darum zu ersuchen, sich unsere Patientenakten anzuschauen, aber Jahrelang unternahm weder der eine noch der andere irgendetwas“, sagte Burzynski. Dieses Mal gab es jedoch eine Reaktion. „Vogel hatte für den NCI gearbeitet, und als er nach Houston kam, brachte er einen Experten für Hirntumore aus Washington D.C. mit, der meine Arbeit überprüfte. Erst als er sich danach mit dem NCI in Verbindung setzte, hörte ich von denen wieder.“ Die Folge war, dass das NCI eine Gruppe von sechs Ärzten entsandte, die sich mit der Arbeit von Burzynski beschäftigten. Jedoch nur mit einem Teil davon. Noch Jahre später wies das NCI darauf hin, dass die Gruppe ausschließlich eine „Best-Case-Serie“ von sieben Fallgeschichten überprüft hätte. Dazu sagte Burzynski: „Ich habe keine Ahnung wieso, aber sie verbrachten hier nur einen einzigen Tag. Wir hatten für sie zwanzig Fälle von Hirntumor vorbereitet. Aber anscheinend hatten sie nur Zeit, um sich mit sieben davon zu beschäftigen. Sie überprüften bei jedem Fall die medizinischen Unterlagen, einschließlich der Computer- und Kernspintomographien und der Röntgenbilder. Sie inspizierten auch unsere chemische Anlage. Als ich sie bat, noch ein wenig länger zu bleiben und sich mehr Fälle anzuschauen, sagten sie mir, dass sieben Fälle vollkommen ausreichen würden. 224
Und für gewisse Zwecke reichten diese sieben Fälle ja auch aus. Das Ergebnis, zu dem die Wissenschaftler vom NCI gekommen waren, schien schlüssig zu sein. „Bei dem Besuch der Gruppe vor Ort wurde festgestellt, dass die Wirkung gegen Tumore in dieser Best-Case-Serie dokumentiert ist“, hieß es in einem ihrer Berichte. „Die Versuche der Phase 2 sollten die Reaktionsrate ermitteln.“ In vier von sieben Fällen bestätigte das Team „mögliche komplette Reaktionen“, bzw. das völlige Verschwinden von ansonsten unheilbaren Hirntumoren und bei den anderen eine 50 %-ige Abnahme der Größe des Tumors. Die Ergebnisse waren so zwingend, dass Dr. Michael Friedman, der damalige stellvertretende Leiter des CTEP-Programms bei NCI und später geschäftsführender Leiter der FDA, eine interne Mitteilung an den Direktor der Abteilung für Krebsbehandlung des NCTs schrieb, dass „die Antineoplastone eine genauere Überprüfung verdienen. Es hat sich herausgestellt, dass es sich bei den Wirkstoffen um klar definierte, rein chemische Einheiten handelt … Ihre Wirkung auf menschliche Hirntumore ist nicht abzustreiten. Wir werden Sie auf dem Laufenden halten“. Diese Berichte, so dachte Burzynski, würden ihn nach all den Jahren endlich aus seiner Rolle als wissenschaftlicher Paria befreien, der außerhalb der etablierten Medizin und Krebsforschung arbeiten musste. Aber was nun folgte, war ein weiterer Alptraum, der ihn zu der Überzeugung brachte, dass das NCI unbedingt wollte, dass die Antineoplastone versagen. Zu demselben Eindruck kamen auch die Patientin Ingrid Schultz und ihr Gatte Lon. Zwei Jahre lang weigerte sich das NCI, die Wirksamkeit der Antineoplastone auf verschiedene Arten von Krebs durch einen Versuch nachzuweisen. Später erklärte er, dass „es Schwierigkeiten mit der Kennzeichnung der von Burzynski geschickten Antineoplastone gegeben hat“. Endlich, Mitte 1993, wurde ein Versuch mit den Antineoplastonen genehmigt, der mit Patienten an drei Standorten durchgeführt werden sollte – beim NIH, in der Mayo-Klinik und im Memorial SloanKettering. Aber erst Anfang 1994 wurden Patienten dafür aufgenommen. In einem von Friedman unterzeichneten Brief erklärte sich das 225
NCI einverstanden, in die Versuche Patienten mit anaplastischen Astrozytomen und Glioblastoma Multiforme einzubeziehen, zwei der am schnellsten wachsenden und tödlichsten Hirntumore. Man wollte 35 Patienten testen, bei denen kein Tumor einen Durchmesser von mehr als fünf Zentimeter überschreiten durfte. Außerdem wurden keine Patienten mit multiplen Tumoren oder Metastasen akzeptiert. Burzynski war mit diesen Bedingungen zufrieden. Außerdem hatte man ihm schriftlich versichert, dass man ihn über den Fortschritt der Patienten regelmäßig durch den Theradex-Informationsdienst des NCI auf dem Laufenden halten würde. Er konzentrierte sich wieder auf seine tägliche Arbeit. Aber man informierte ihn keinesfalls über alles, was bei diesen Versuchen so vor sich ging. Dies wurde durch eine interne Mitteilung bestätigt, die von einer Mitarbeiterin des CTEP, Joan Mauer, im Mai 1995 geschrieben wurde, als die Versuche noch im Gang waren. „Der für die Überwachung der Versuche zuständige Theradex wurde angewiesen, keine Daten in Bezug auf die klinischen Versuche mit den Antineoplastinen (sic) an Dr. Burzynski, die Burzynski Research Institute Inc. oder irgendeine andere Person zu schicken, die sich über die Versuche mit den Antineoplatinen erkundigt. Alle Anfragen an Theradex über die klinischen Versuche mit den Antineoplastinen sind dem Stellvertretenden Direktor zu schicken.“ Kopien dieser internen Mitteilung gingen unter anderem an Friedman und Sznol. Warum wollte das NCI Burzynski diese Informationen vorenthalten? Ein Hinweis darauf ergibt sich aus einer internen Mitteilung von Sznol an Friedman und mehrere andere Kollegen von 1992: „Aus den vorklinischen Daten, die Dr. Samid unterbreitet hat, könnte man eventuell schließen, dass es sich bei dem in den Antineoplastonen aktiven Wirkstoff um Phenylazetatsäure handelt, dem Zerfallsprodukt, das bei der Herstellung der Antineoplastone anfällt. Es wäre vorteilhafter, die Phenylazetatsäure zu untersuchen, statt die komplexere Mischung der Antineoplastone, weil sie leichter herzustellen ist, und weil ein pharmazeutisches Unternehmen ermittelt worden ist, das zuverlässiger für die Lieferung des Mittels sorgen kann. 226
Sznol fragte in seiner internen Mitteilung ebenfalls, ob die von Burzynski für die bevorstehenden Versuche gelieferten Mittel aus Urin hergestellt wurden, obwohl er wusste, dass Burzynski bereits zehn Jahre zuvor damit aufgehört hatte, Derivate aus Urin zu verwenden. Und er stellte ebenfalls in Zweifel, dass Burzynski überhaupt an einer neutralen und sachlichen Überprüfung seiner Antineoplastone interessiert sei. „Falls Burzynski aus unlauteren Motiven handelt, könnte er die Resultate der Versuche durch das NCI [und die Tatsache, dass das NCI überhaupt an den Versuchen beteiligt war] dazu missbrauchen, um für sein Institut Werbung zu machen und weiterhin Patienten gegen alle möglichen Krankheiten behandeln, ohne dass ein Beweis dafür erbracht wurde, dass seine Therapie ihnen überhaupt nützt“, schrieb er an Friedman. Später sagte er, dass er glaubte, „dass es eine gewisse Wirkung [gegen Krebs] gibt, aber ich weiß nicht, wie stark diese ist. Das Problem ist, dass er alles mit einer Schicht von Lügen bedeckt hat.“ In anderen Worten: Das NCI wollte die Antineoplastone testen, hätte es aber vorgezogen, das zu tun, ohne Burzynski dabei einzubeziehen. Und Sznol, der Samids Präsentation gesehen hatte und mit Hilfe von Elan Vorbereitungen für einen Test mit Phenylazetat traf, stellte klar, dass er davon überzeugt war, dass die Antineoplastone nicht besser wären als dieser einzelne Wirkstoff. „Wir waren der Meinung, dass wir sowohl die Antineoplastone als auch normales Phenylazetat entwickeln könnten“, sagte er später. „Ich sah keinen Grund dafür, warum das nicht möglich sein sollte. Ein Pharmaunternehmen kann uns jedes Mittel liefern, das wir wollen, und das in jeder Menge. Und der Umgang mit Pharmaunternehmen ist unkomplizierter als der mit Dr. Burzynski. Es hatte jedoch keinerlei Einwände von Burzynski gegeben, als 1994 und 1995 an drei Standorten die Versuche mit den Antineoplastonen losgingen und dabei Mittel verwendet wurden, die er geliefert hatte. Tatsächlich wusste Burzynski ziemlich wenig darüber, was hier vor sich ging. Erst viel später erhielt er Berichte darüber. Also wusste er nichts von einem Patienten, der in einem internen Bericht des NCI „SM“ ge227
nannt wurde, und dessen Tumor Monate lang durch die Antineoplastone gestoppt wurde, innerhalb von drei Monate nachdem er den Versuch abgebrochen hatte, jedoch verstarb. „Es ist zu vermuten, dass sein Leben hätte gerettet werden können, wenn er die Behandlung planmäßig weitergemacht hätte“, stand in dem Bericht. Eine Erklärung, warum „SM“ den Versuch abgebrochen hatte, wurde nicht gegeben. Die Berichte über die anderen Patienten waren weder dramatisch noch schlüssig. In einer offiziellen Note wurden Zweifel geäußert, dass Ingrid Schulz, die in dem Bericht „Patient IS“ genannt wurde, tatsächlich an einem Glioblastoma Multiforme gelitten hatte. Man spekulierte, dass sie möglicherweise eine andere Form von Tumor hatte. Das könnte eine Erklärung dafür sein, dass sie zehn Tage warten musste, nachdem sie beim NIH angekommen war. Burzynski erfuhr nichts davon. Am 24. März 1994 erhielt er einen Brief von Sznol, in dem dieser ihm mitteilte, dass das NCI größere Veränderungen beim klinischen Versuch mit den Antineoplastonen vorschlug. Die Einschränkung in Bezug auf die Tumorgröße sollte von fünf auf acht Zentimeter erweitert werden, und die Mehrfachtumore oder metastatischen Tumore sollten nicht länger ausgeschlossen werden. Als Erklärung dafür gab man an, dass man nicht genügend Patienten zusammenbekommen hätte, die die Aufnahmekriterien für den Versuch erfüllten. „Deshalb besteht unsererseits und seitens der Forscher ein großes Interesse, die Aufnahmekriterien zu erweitern“, schrieb Sznol. Burzynski antwortete, dass die Aufnahmekriterien nicht erweitert werden sollten, ohne ebenfalls die Dosierung für die Patienten zu erhöhen. Antineoplastone, erklärte er, werden entsprechend der Körpergröße und der Größe des Tumors dosiert. Je größer und widerstandsfähiger der Tumor sei, desto höher wäre auch die Dosierung der Antineoplastone, die Burzynski allgemein verabreicht. Die Medikamente, die hingegen bei der üblichen Chemotherapie verabreicht werden, werden ausschließlich entsprechend der Körpergröße dosiert, zum großen Teil deshalb, weil sie so giftig sind, dass ihre Verträglichkeit begrenzt ist. Wegen ihrer geringeren Giftigkeit können die Antineoplastone in einer größeren 228
Bandbreite von Dosierungen verabreicht werden. Dies wurde von den Forschern des NCI, die eine Erweiterung des Experiments vorschlugen, jedoch nicht berücksichtigt. Burzynski wurde sofort klar, dass die Behandlung größerer Tumore, die Metastasen gebildet hatten, ohne eine Erhöhung der Dosierung die Ergebnisse verfälschen und die Antineoplastone in ein ungünstiges Licht rücken würde. Es würde so erscheinen, als ob sie nutzlos wären oder nicht so wirksam wie reines Phenylazetat. In einem Brief vom 29. März 1944 an Snzol schrieb Burzynski, dass er „erwarten würde, dass die Reaktionen der Patienten, die unter den gegenwärtig geltenden Aufnahmekriterien aufgenommen würden, sich von denen, die unter den erweiterten Aufnahmekriterien zugelassen werden sollen, wie Sie es in Ihrem Brief vom 23. März vorschlagen, signifikant unterscheiden“. Statt sämtliche Patienten in einem Versuch zusammenzufassen, schlug Burzynski einen getrennten Versuch für Patienten mit großen und multifokalen Tumoren vor, „die entsprechend der abgeänderten Versuchsanordnung behandelt und ausgewertet werden“. Damit waren Friedman und Sznol aber nicht einverstanden. Sie antworteten: „Auf Verlangen der Forscher wurden die Abänderungen … genehmigt.“ Diese Formulierung schob die Verantwortung für die Abänderung der Versuchsanordnung auf die leitenden Forscher bei diesem Experiment, Dr. Jan Buckner von der Mayo-Klinik und Dr. Mark Malkin vom Memorial Sloan-Kettering. In einem Brief vom 31. Januar 1995 schrieb Malkin jedoch an den Vorsitzenden des Prüfungsausschusses der Klinik, dass „die unten beschriebenen Abänderungen auf Veranlassung des NCI durchgeführt wurden.“ Sznol behauptete später, dass die Entscheidung, die Versuchsanordnung zu ändern und Burzynskis Vorschlag in Bezug auf eine eigene Versuchsanordnung für größere Tumore gemeinsam getroffen wurde. „Die Forscher und ich erkannten, dass für das Experiment eine zu geringe Zahl von Versuchspersonen zur Verfügung stand. Das Interesse war sehr gering. Und wir waren darüber sehr besorgt“, behauptete er. „Ich fragte die Forscher, ob sie etwas tun könnten, um das Interesse zu erhöhen.“ Aber das war im Februar oder März 1994, nur zwei Monate, nachdem 229
Ingrid Schultz zum NIH gekommen war, und nur einen Monat, nachdem der erste Patient akzeptiert worden war. War das nicht noch ein wenig verfrüht, um zu glauben, dass die ursprünglichen Aufnahmekriterien ein wenig zu streng waren? Sznol versuchte, das zu erklären. „Die Forscher gingen davon aus, dass die Aufnahmebedingungen das Problem wären. Also versuchten wir, sie zu ändern, aber Burzynski lehnte das ab. Ich überprüfte dann, ob das, was sie tun wollten, mit anderen Untersuchungen in Bezug auf Hirntumore in Einklang stand, und das tat es. Ich ging zu Mike Friedman und sagte ihm, dass das in Ordnung wäre, und wir schnell mit der Untersuchung anfangen könnten. Also sagten wir: „Na schön, fangen wir an, gleichgültig was Burzynski dazu sagt.“ „Als Nächstes befassten wir uns mit der Best-Case-Serie, die er dem Team vom NCI präsentiert hatte, das seine Klinik besuchte, um zu sehen, wie er seine Patienten behandelte. Und seine Methode stimmte weitgehend mit der Art und Weise überein, wie wir sie behandeln wollten. Vielleicht gab es da einige winzige Unterschiede, aber wir sagten uns: Warum sollen wir nicht tun, was Burzynski tut?“ Eigentlich war es aber nicht das, was Burzynski normalerweise tut. „Hätten sie sich die Best-Case-Serie genauer angeschaut, dann hätten sie festgestellt, dass die Patienten, die die geringsten oder langsamsten Reaktionen zeigten, diejenigen mit den größten Tumoren waren“, sagte Burzynski. „Patienten mit größeren Tumoren verabreichen wir normalerweise höhere Dosen. Ich habe Sznol von Anfang an gesagt, dass er mehr Antineoplastone benötigen würde, wenn er Patienten mit fortgeschrittenen Tumoren behandeln wollte. Statt ihnen also ein Gramm A10 pro Tag und pro Kilo Körpergewicht zu geben, müssten sie ihnen fünf Gram pro Kilo geben.“ Dies, bemerkte er, steht in Übereinstimmung mit den Ergebnissen des Teams, das 1991 seine Klinik besucht hatte. Es hatte berichtet dass „bei Studien mit Gewebekulturen keine signifikante [Antitumor]-Wirkung festgestellt werden konnte, wenn geringere Konzentrationen verwendet wurden“.
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Das endgültige Ergebnis war, dass der Versuch des NCI mit den Antineoplastonen im Sommer 1995 abgebrochen wurde. Der parallel dazu verlaufende Versuch mit Phenylazetat ging jedoch wie geplant weiter. Aber das NCI war mit Burzynski noch nicht fertig. Kurz nach dem Abbruch der Versuche mit den Antineoplastonen gab es über sein Mitteilungsblatt Cancernet ein Informationsblatt und eine Webseite im Internet heraus, in dem stand, dass bei dem Besuch vor Ort festgestellt wurde, dass „Dr. Burzynski aus der Gesamtzahl seiner Patienten sieben Tumorpatienten aussuchte, von denen er glaubte, dass sie durch die Antineoplastone geheilt worden seien“. Man fügte noch hinzu, dass das überprüfte Material „nicht sämtliche zur Verfügung stehenden Informationen in Bezug auf die Patienten beinhalten würde“, Und im Cancernet wurde gesagt, dass der NCI-Versuch abgebrochen worden war, „weil man sich mit Dr. Burzynski nicht über die vorgeschlagenen Abänderungen an der Versuchsordnung einigen konnte“. Burzynski widersprach in einem Brief an den NCI-Direktor Richard Klausner. Er stellte klar, dass er nicht dafür verantwortlich sei, dass das Besucherteam sich 1991 geweigert hätte, noch länger zu bleiben und sich mit mehr als nur sieben Fällen zu beschäftigen. Er fügte hinzu, dass die Unterlagen und Röntgenbilder, die das Team überprüft hatte, alle verfügbaren Informationen über die Patienten enthielt, und er wies darauf hin, dass das NCI niemals einen Versuch unternommen hätte, mit ihm eine Einigung in Bezug auf die Veränderungen der Aufnahmekriterien für die Versuche zu erzielen. Tatsächlich hatte das NCI niemals auf Burzynskis Vorschlag in Bezug auf einen separaten klinische Versuch mit größeren Tumoren geantwortet. Auch nachdem das „Mitteilungsblatt“ erschienen war, hörten das NCI und seine Forscher nicht damit auf, Burzynski anzugreifen. Buckner von der Mayo-Klinik und Malkin vom Memorial Sloan-Kettering sowie einige weitere ihrer Kollegen schrieben eine 31-seitige Abhandlung, die in Fachzeitschriften veröffentlicht wurde. Dort fassten sie ihre Erfahrungen mit den Antineoplastonen zusammen. Nachdem sie die Bemerkung losgeworden waren, dass „ihnen der Geruch des Mittels nichts ausgemacht 231
hätte“, sagten sie, dass „bei keinem der sieben untersuchten Patienten ein Rückgang des Tumors zu verzeichnen war. Bei allen Patienten wurde der Tumor größer, und sie starben daran“. Damit ignorierten sie natürlich den früheren Bericht des NCI, in dem diese Behörde bemerkte, dass mindestens ein Patient wahrscheinlich überlebt hätte, wenn er die Behandlung nicht abgebrochen hätte. Weder Buckner noch Malkin haben meine Fragen, die ich für dieses Buch stellte, beantwortet, ob sie die bei dem Test verwendete Dosis der Antineoplastone verringert hätten. Auch Thibault reagierte nicht auf meine Bemühungen, von ihm einen Kommentar zu diesem Punkt zu bekommen. Insgesamt hinterließen die Maßnahmen des NCI den Eindruck, dass es überhaupt nicht wollte, dass die Antineoplastone wirksam sind. Man war wohl direkt erleichtert, als man im Cancernet einen Bericht veröffentlichte, demzufolge die Wirksamkeit der Antineoplastone noch völlig unbewiesen sei. Gegenüber den Versuchen mit Phenylazetat zeigte das NCI eine vollkommen unterschiedliche Haltung. „Die wissenschaftliche Frage, was nun wirksamer ist - die Antineoplastone oder das Phenylazetat – ist sehr schwer zu beantworten“, sagte Sznol. Als er diese Bemerkung machte, war er im Besitz einer Kopie der Arbeit von Buckner und Malkin, in der die Autoren widerwillig einräumten, dass Burzynski mit seinem Argument bezüglich der Biochemie, das er seit mehr als einem Jahrzehnt vorbrachte, Recht hätte. Burzynski behauptete nämlich, dass Phenylazetylglutamin, eine der beiden anderen wichtigen Komponenten der Antineoplastone, die Wirksamkeit des Phenylazetats intensiviert und über einen längeren Zeitraum aufrecht erhält. Ebenso gaben Buckner und Malkin auf Seite 19 ihres Manuskriptes (das später in Band 74 der Mayo Clinic Proceedings vom 1. Februar 1999, Seite 137 – 145 veröffentlicht wurde) zu, dass Untersuchungen des den Patienten entnommenen Blutes gezeigt hätten, dass jene, die mit Antineoplastonen behandelt wurden, einen höheren Gehalt von Phenylazetylglutamin im Blut hatten als jene, denen man Pheylazetat verabreicht hatte. Das bedeutete, dass Patienten, die mit Antineoplastonen behandelt wurden, das Phenylazetylglutamin nicht so schnell mit dem Urin ausscheiden wie 232
die, denen Phenylazetat verabreicht worden war. Und das war genau der Grund, warum Burzynski ein Jahrzehnt zuvor die Behandlung mit Phenylazetat aufgegeben hatte. Nachdem Burzynski die Resultate der Bluttests, die in der Arbeit von Buckner und Mallin veröffentlicht worden waren, überprüft hatte, präsentierte er der Mayo-Klinik seine Antwort. Diese wurde in der Juniausgabe der Zeitschrift von 1999 auf den Seiten 641 – 642 veröffentlicht. Er wies darauf hin, dass die Bluttests bewiesen hatten, dass den Patienten bei dem vom NCI geförderten Versuch Dosen verabreicht worden waren, die 53 Mal geringer waren als die, die Burzynski seinen eigenen Patienten gab. „Es handelt sich um ein Mittel, das sehr von der Dosierung abhängig ist“, sagte er. „Diese Dosierungen haben dafür gesorgt, dass die Ergebnisse unzureichend waren.“ Bei den Krebsversuchen mit Phenylazetat, bei denen einer von Dr. Michael Prados von der medizinischen Fakultät der University of California geleitet wurde, gab es keine größeren Probleme. Es war derselbe Prados, der bei der Besprechung anwesend war, bei der 1987 der Hirntumor von Pamela Winningham diskutiert wurde. Winningham sagte, dass es überhaupt keinen Zweifel gäbe, dass Prados bereits seit Jahren wusste, dass sie mit Antineoplastonen behandelt wurde und dadurch überlebt hatte. Es ist ebenfalls derselbe Prados, der 1993 Ric Schiff sagte, dass er keine andere Möglichkeit sähe, den rhabdoiden Hirntumor von Crystin Schiff zu behandeln, als Chemotherapie und Bestrahlung. Es stimmt zwar, dass die seltenen rhabdoiden Tumore bei dem Versuch mit Phenylazetat nicht einbezogen worden waren. Aber es ist nicht wahr, dass Prados von keiner anderen Behandlungsmethode wusste, um Hirntumore zu behandeln. Bei der Konferenz der Amerikanischen Gesellschaft für klinische Onkologie von 1995 präsentierte Prados seinen ersten formellen Bericht über die Experimente mit Phenylazetat bei der Behandlung von Hirntumoren. Er berichtete, dass es bei fünf der ersten 19 Patienten, die ausgewertet werden konnten, zu einem Rückgang des Tumors gekommen war. Bei einem war der Tumor um 66 % geschrumpft, bei einem anderen um 48% und bei drei weiteren zwischen 20 und 30%. Das war ein Ergebnis, 233
das Burzynski sehr optimistisch stimmte. Seine Reaktion schien aber ein wenig naiv zu sein. „Es kann für uns nur nützlich sein, wenn sie positive Ergebnisse erzielen. Wenn sie positive Ergebnisse mit Phenylazetat erzielen, während unser Mittel bedeutend wirksamer ist, dann kann uns das nur helfen.“ Während der Krieg gegen Burzynski sich allmählich seinem Labor näherte, machte eine Serie von Ereignissen einige Dinge unmissverständlich klar. Es stellte sich heraus, dass der NCI den Antineoplastonen niemals eine faire Chance gegeben hatte, weil es einigen seiner Mitarbeiter sehr schwer fiel, mit Burzynski auszukommen, und weil Burzynski sich weigerte, einem Versuch zuzustimmen, von dem er glaubte, dass er nur durchgeführt würde, um die Unwirksamkeit seines Mittels zu beweisen. Es wurde auch offensichtlich, dass es im finanziellen Interesse der Elan Corporation lag, das Phenylazetat und nicht die Antineoplastone zu produzieren, selbst wenn es nachweislich nicht so wirksam war, und obwohl die chemischen Gründe für die geringere Wirksamkeit bekannt waren. Und die Ereignisse zeigten auch, dass die Versuchsleiter des NCI von Anfang an von einer Zusammenarbeit mit Burzynski nichts wissen wollten. Postskriptum, Frühjahr 2000 Weniger als ein Jahr nach Burzynskis Strafprozess wurde durch die Maßnahmen des Patentamtes der Vereinigten Staaten klar, dass, obwohl das NCI mit Burzynski nichts zu tun haben wollte, seine Wissenschaftler sich immer noch sehr viel von dessen Mittel versprachen. Dies geht aus ihren internen Mitteilungen Anfang der neunziger Jahre eindeutig hervor. Ende der neunziger Jahre erwarb das Department of Health and Human Services, die Dachorganisation des NCI, fünf Patente für die Verwendung von Phenylazetat und Phenylazetylglutamat als Antikrebsmittel. Die Anträge für alle fünf Patente wurden von Dvorit Samid unterzeichnet, die auf den Deckblättern als die Erfinderin aufgeführt wurde. Die Anträge erfolgten über einen Zeitraum von drei Jahren, zwischen 1992 und 1994, wurden aber erst offiziell, als die Patente 1997 234
erteilt wurden. Somit war ihre Existenz zum Zeitpunkt der ersten Ausgabe von The Burzynski Breakthrough noch nicht öffentlich bekannt. Der Zeitpunkt und der ständige Strom von Patentanträgen machten es offensichtlich, dass das NCI seine Arbeit kopierte, während die FDA gegen Burzynski ermittelte und sich darauf vorbereitete, ihn vor Gericht zu bringen. Tatsächlich sind alle fünf Patente von Samid, die vom NCI überprüft werden mussten, bevor sie beantragt werden konnten, den bereits bestehenden Patenten von Burzynski auffällig ähnlich. Es sind chemische Zeichnungen vorhanden, in denen dieselben Moleküle dargestellt werden, die für sein Mittel von zentraler Bedeutung sind. In Samids Patentantrag wurde über die Infusion von Phenylazetat und Phenylazetylglutamin – den wichtigsten Bestandteilen des Antineoplaston AS2-1 – in die Rückenmarkflüssigkeit von Patienten mit metastatischem Prostatakrebs Folgendes ausgesagt: „Eine Stabilisierung des PSA (prostata-spezifischen Antigens) für mehr als zwei Monate wurde bei drei … Patienten mit Prostatakrebs festgestellt. Ein Patient mit einem Glioblastoma multiforme (einem tödlich verlaufenden Tumor) zeigte während eines Zeitraums von mehr als fünf Monaten eine deutliche Verbesserung der intellektuellen Funktionen.“ Samid berichtete darüber auf der Seite 122 ihres Patentantrags für den Einsatz einer „therapeutisch wirksamen Menge Phenylazetat oder pharmazeutisch akzeptabler Derivative“ gegen Krebs. Einige Sätze in den Patenten des NCI lesen sich fast wie eine Werbung für Antineoplastone. „Phenylazetat kann eine Zytostase (Stabilität der Zellen) und die Umkehr maligner (bösartiger) Eigenschaften von Glioblastomazellen bei Menschen bewirken, wenn es in pharmakologischen Konzentrationen angewendet wird, die für Kinder und Erwachsene verträglich sind … Phenylazetat beeinträchtigt das Wachstum von Tumoren, während es gesundes Gewebe nicht angreift.“ Samid beschrieb einen Fall („Beispiel 7“) von „Wachstumshemmung bei bösartigen Glioma“ bei der Anwendung eines Mittels, das als Patent Nr. 5.635.533 angemeldet wurde. „Der therapeutische Nutzen von Natriumphenylazetat ist stabil, wenn keine weiteren Behandlungen durchgeführt 235
werden“, fügte sie bei der Beschreibung von Beispiel 27 hinzu. Kurz gesagt stellte das NCI unmissverständlich fest, dass Bestandteile der Antineoplastone die Entwicklung von Glioma, eine Gruppe gefährlicher Hirntumore, rückgängig machen können, und dass diese positiven Wirkungen nachlassen, wenn die Behandlung eingestellt wird. Jeder von Samids fünf Patentanträgen enthielt auch eine konkrete Aussage, die einigen Kritikern Burzynskis widerspricht, die behauptet hatten, dass der Anstieg des Salzgehaltes im Blut, der manchmal auf die Antineoplastone zurückgeführt wird, das Mittel giftig macht. „Die klinischen Erfahren haben gezeigt, das eine akute oder langfristige Behandlung mit hohen Dosen von Kaliumphenylazetat sehr gut vertragen werden und Nebenwirkungen kaum auftreten“, stand in den Dokumenten des NCI. In ihrem Antrag auf Verwendung von Phenylazetat oder seiner Derivatives zur Behandlung von AIDS, Anämie und Krebs – ein Antrag, der als Patent Nr. 5.635.532 genehmigt wurde – schrieb Samid einen Abschnitt über die Vorteile dieses Mittels, der von Burzynski selbst hätte stammen können. Er hatte wiederholt erwähnt, dass Antineoplastone Wirkstoffe sind, die zwischen den einzelnen Zellen differenzieren. Sie verhindern das Wachstum von Tumoren, indem sie ausschließlich auf bösartige Zellen einwirken und die gesunden Zellen in Ruhe lassen. „Einige dieser differenzierenden Wirkstoffe sind bekannt“, schrieb Samid auf der ersten Seite ihres Patentantrags. „Ihre klinische Anwendung wurde jedoch durch eine gewisse Toxizität bzw. negative Nebenwirkungen behindert. Die vorliegende Erfindung bietet Methoden und Mittel zur Behandlung verschiedener Krankheitsbilder mit Phenylazetatsäure.“ Burzynski hätte es nicht besser ausdrücken können. Einer der Hauptgründe dafür, dass Antineoplastone anderen Therapien vorzuziehen sind, liegt darin, dass sie ungiftig sind und effektiv zwischen gesunden Zellen und Krebszellen unterscheiden. Samid fügte im selben Patentantrag hinzu, dass „in Bezug auf die Krebsvorbeugung die positiven Wirkungen von Kaliumphenylazetat möglicherweise noch dramatischer sind als das, was wir bei experimen236
tellen Modellen beobachten konnten … Selbst wenn die chemotherapeutische Vorbeugung eine ständige Weiterbehandlung erfordert, wäre eine solche Behandlung akzeptabel, wenn man bedenkt, dass sie vollkommen ungiftig ist“. Im selben Antrag erwähnt sie noch die Anwendung einer Kombination von Phenylazetat und Phenylazetylglutamin, also genau das, was Burzynski seit 1976 mit AS2-1 getan hat. Sie schrieb ebenfalls, dass die Chemikalien, die sie für ihre Arbeit benötigt, zum großen Teil von Elan Pharmaceuticals geliefert werden, obwohl es keinen Hinweis auf die Höhe der finanziellen Unterstützung durch dieses Unternehmen gibt. In Burzynskis eigenen Patenten, die er zwischen 1982 und 1990 erwarb, wird wiederholt beschrieben, dass dieselben Chemikalien gegen dieselben Krankheiten auf dieselbe Art und Weise verwendet werden wie es Samid tut, die behauptet, dies alles erfunden zu haben. Samid behauptete, dass einer der Gründe, warum sie die Unterstützung durch die Elan Corporation nicht erwähnte, darin bestünde, dass sie überhaupt nicht wusste, wie viel Geld das Unternehmen für ihre Arbeit und die damit verbundenen klinischen Versuche ausgab. „Elan hatte eine Vereinbarung mit dem NCI, die Forschung zu unterstützen, und meine Untersuchungen waren die wichtigste Arbeit in diesem Zusammenhang“, sagte sie. „Ich habe nie erfahren, wie viel Geld sie dafür ausgaben.“ Offensichtlich kam es irgendwie zu einer Duplizität, ob die nun von Samid beabsichtigt war oder nicht. Ohne dies direkt zuzugeben, schiebt sie die Schuld auf die Bürokraten der Regierung. „Sowohl während meiner Zeit in der Uniformed Services Medical School in Bethesda in Maryland als auch während meiner Arbeit beim NCI war es üblich, dass meine Arbeit ständig überprüft wurde, um festzustellen, ob etwas davon für ein Patent in Frage käme“, sagte sie in einem Interview im Frühjahr 2000. Während der Zeit hatte sie sich vorübergehend von ihrem Posten am Medical College of Virginia in Charlottesville beurlauben lassen. Sie war 1996 von NCI nach Charlottesville gezogen, kurz nachdem sie die Patentanträge unterzeichnet hatte. „Wenn man beim NCI arbeitet, kann man erst dann eine Arbeit veröffentlichen, wenn vorher überprüft wurde, ob die Arbeit bereits von einem anderen Wissenschaftler veröffent237
licht wurde, oder es einen anderen Grund gibt, dass sie nicht veröffentlicht werden darf.“ Aber wenn man die offiziellen Sprecher des NCI fragt, ob dieses von ihr beschriebene Verfahren zum Standard des Institutes gehört, lautet die Antwort nein. „Es gibt keine Vorschrift, dass Arbeiten von Anwälten oder Patentexperten überprüft werden müssen“, sagte Robert Kuska, ein Sprecher des NCI. „Normalerweise reichen die Wissenschaftler zu dem Zeitpunkt, da sie ihre Arbeiten veröffentlichen, einen Bericht über ihre Entdeckung ein. Aber das erfolgt normalerweise auf Initiative des Wissenschaftlers.“ Forscher an verschiedenen größeren Universitäten bestätigten ebenfalls, dass praktisch keine Institution von ihren Wissenschaftlern fordert, ihre Arbeit für die Überprüfung auf ihre Patenttauglichkeit vorzulegen, bevor sie veröffentlicht wird. Samid betonte, dass nicht sie, sondern andere Mitarbeiter des NCI die Entscheidung trafen, den Antrag auf die Patente zu stellen, der ihre Unterschrift trägt. „Es war nicht meine Idee“, sagte sie. „Und es kann auch nicht sein, dass gleichzeitig noch jemand anders dieselbe Sache entdeckt haben soll. Meine Arbeit wurde vom United States Patent Office überprüft. Es ist nicht möglich, dort jemanden zu täuschen. Man vergleicht dort sehr genau, und entscheidet dann, ob es sich um eine einzigartige Arbeit handelt oder nicht. Und sie brauchten Jahre, um meine Arbeit zu überprüfen.“ Obwohl er bereits Anfang 1998 von den Patenten des NCI erfuhr, hatte Burzynski auch zwei Jahre später noch keine Klage wegen Patentverletzung gegen das Institut oder seine Muttergesellschaft eingereicht. „Es gibt überhaupt keine Zweifel, dass diese Patente sehr ähnlich sind, was die Technologie betrifft. Auch die Chemie ist sehr ähnlich“, sagte Patricia Kammerer, Burzynskis Patentanwältin in Houston im Frühjahr 2000. „Aber Dr. Burzynski kann jetzt noch nicht versuchen, diese Patente anzufechten. Wenn man ein Patent besitzt, kann man gegen jede aktive Verletzung gerichtlich vorgehen. „Aktiv“ bedeutet in diesem Zusammenhang die Nutzung, der Verkauf oder die Herstellung eines Produktes. Es ist also noch zu früh, um eine Klage einzureichen, weil wir ja 238
nicht wissen, was die Regierung mit diesen Patenten vorhat. Alles was wir jetzt haben, ist so eine Art Vorwarnung, weil die Patentanträge veröffentlicht wurden. Wenn sie das Medikament testen, dann können wir klagen. Aber wir wissen einfach noch nicht, was sie vorhaben.“ Anfragen beim NCI unter Berufung auf den „Freedom of Information Act“ brachten keinen Hinweis darauf, was in Bezug auf die fünf Patente geplant ist, die sich aus Samids Arbeit ergaben. Anfang 2000 wurden in der Internet-Liste aller klinischen Versuche der FDA ausschließlich Tests mit Phenylazetat gegen einige Arten von Tumoren aufgeführt. Burzynski hatte bereits vor längerer Zeit darauf verzichtet, Phenlyazetat als Krebsmittel patentieren zu lassen. Aber es kann nicht bestritten werden, dass es zu einer Duplizität der Arbeiten gekommen war. Das Patentamt weigerte sich, darüber einen Kommentar abzugeben. Kammer spekulierte, dass „ein Prüfer möglicherweise zu bequem war, um gründlicher nachzuprüfen“. Sie sagte, dass solche Fehler selten vorkämen, aber mitunter eben doch passieren würden. „Das ist alles sehr seltsam“, bemerkte sie. Eines ist jedoch vollkommen klar: Indem das National Cancer Institute die Arbeit von Samid einer Überprüfung unterzog und zum Patent anmeldete, bestätigte es offiziell die potentielle Wirksamkeit des Mittels, das Burzynski während der sechziger und siebziger Jahre entdeckt hatte. Aber das Institut gesteht ihm dafür keinerlei Verdienste zu, abgesehen davon, dass es einige seiner veröffentlichten Arbeiten als Fußnoten aufgeführt hat. Niemand beim NCI war bereit, zu den Motiven des Instituts Stellung zu nehmen oder etwas über die Pläne in Bezug auf die Nutzung der Patente auszusagen. Falls das NCI die Patente jemals nutzen und Phenylazetat und Phenylazetylglutamin als Krebsmittel vertreiben sollte, und Burzynski nichts dagegen unternimmt, dann könnte es sein, dass er in keiner Weise von seinen Entdeckungen profitiert, weder finanziell noch in Form einer Anerkennung als Erfinder und Pionier auf dem Gebiet der Wissenschaft.
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Aktueller Stand, 2001 Zu Beginn des neuen Jahrtausends wurde der Krieg gegen Burzynski und seine Behandlung mit Antineoplastonen, der ab Mitte der neunziger Jahre in den Laboratorien ausgetragen wurde, in erster Linie in bekannten medizinischen Fachzeitschriften geführt. Weder das Journal of the American Medical Association (JAMA), noch das New England Journal of Medicine, die Mayo Clinic Proceedings, oder die englische Zeitschrift Lancet oder irgendeine andere größere Fachzeitschrift fand sich bis zum Sommer 2001 dazu bereit, die Entdeckungen von Burzynski oder seine Antworten auf die Angriffe anderer zu veröffentlichen, mit Ausnahme von Leserbriefen. Als Buckner 1999 die Arbeit veröffentlichte, in der er und Malkin ihren misslungenen Versuch mit Antineoplastonen beschrieben, der Mitte der neunziger Jahre stattfand gab er unabsichtlich zu, dass sie ihren wenigen Patienten Dosen von Antineoplaston verabreichten, die weit unter denen lagen, die eine Wirksamkeit des Mittels garantierten. So sorgten sie dafür, dass der Versuch fehlschlug und verurteilten die Patienten zum sicheren Tod. Aber als Burzynski reagierte, indem er der Zeitschrift Mayo Clinic Proceedings Informationen zukommen ließ, veröffentlichte sie diese nur als Leserbrief. Leserbriefe werden in wissenschaftlichen Abhandlungen nicht einmal als Fußnoten aufgeführt. Deshalb gibt es keine offiziellen Unterlagen über irgendwelche Berichte oder Reaktionen seitens Burzynski. „Sie haben eine Studie veröffentlicht, bei der es zu zahlreichen Abweichungen von der Versuchsanordnung kam. Es wurden lediglich sieben Patienten an drei verschiedenen Standorten getestet. Und außerdem war der Versuch schon deshalb höchst fehlerhaft, weil den Patienten nur ein 50stel der wirksamen Dosis verabreicht wurde“, sagte Burzynski. „Dann lehnten sie meine Abhandlung über die Resultate unseres Versuches der Phase 2 ab, bei dem wir die Wirksamkeit der Antineoplastone gegen primäre Hirntumore testeten, obwohl wir 23 Patienten mit Hirnstammgliom behandelten und sehr gute Ergebnisse erzielten. Sie sagten, dass es keine Priorität gäbe, um sie zu veröffentlichen.“ 240
Als Burzynski ähnliche Abhandlungen über Versuche vorlegte, die von der FDA genehmigt worden waren, wollten weder das JAMA noch das New England Journal sie auch nur überprüfen lassen. Vom Lancet kam die Antwort: „Wir sehen keine Möglichkeit, Ihnen in unserer Zeitschrift Platz einzuräumen.“ „Ich kann nicht verstehen, wie das möglich sein kann. Unsere Resultate zeigen zum ersten Mal in der Geschichte der Medizin, dass es möglich ist, Hirnstammgliome und viele andere Hirntumore zu heilen. Diese Zeitschriften haben einige andere Arbeiten veröffentlicht, in denen nicht einmal definiert wurde, was mit „teilweiser Reaktion“ gemeint ist. Und komplette Heilungen hat es dort überhaupt nicht gegeben. Diese Ungerechtigkeit ist kaum zu fassen.“ Obwohl das JAMA die Antwort Burzynskis auf seinen Artikel von 1994 veröffentlichte, in dem es seine Arbeit einer vernichtenden Kritik unterzogen hatte (siehe Kapitel 7), und die Mayo Clinic Proceedings sich mehrere Jahre später ebenfalls einverstanden erklärten, einen Leserbrief Burzynskis zu der Abhandlung von Buckner und Malkin zu veröffentlichen, haben ihre Aktionen eine wirksame Gegendarstellung durch Burzynski ziemlich unmöglich gemacht. Burzynski kam zu dem Schluss: „Es handelt sich hier um eine Riesenverschwörung, bei der vorsätzlich falsche Informationen verbreitet werden.“
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DIE GESCHICHTE VON MARY JO SIEGEL
Die Geburt einer engagierten Kämpferin Dr. Burzynski hat mein Leben gerettet. Und das hat er getan, ohne dass ich im Mindesten dabei leiden musste. Ich muss weiterhin Zugang zu ihm und seiner Behandlung haben. - Zeugenaussage von Mary Jo Siegel vor dem House Committee on Commerce, Subcommittee on Oversight and Investigation (etwa: Prüfungs- und Untersuchungsausschuss des Repräsentantenhauses in Bezug auf kommerzielle Angelegenheiten), Februar 1996
Mary Jo Siegels plötzliche Erleuchtung kam eines Abends Ende April 1992. Für die temperamentvolle vierzigjährige Mutter von drei Kindern war dies das Ende von mehr als einem Jahr der Tortur. Man hatte bei ihr ein Hodgkinslymphom der Stufe 4 diagnostiziert, einen langsam wachsenden aber fast immer tödlich verlaufenden Krebs. Natürlich hatte sie von Anfang an die Wirksamkeit der Antineoplastone geglaubt, die sie von D. Stanislaw Burzynski bekam, und die sie sich 24 Stunden pro Tag in die Brust pumpte. Aber bis zu diesem Abend im April konnte sie nie vollkommen sicher sein. „Ich wachte mitten in der Nacht auf und hatte einen schrecklich steifen Hals, genau an der Stelle, wo sich lange Zeit ein ziemlich großer Tumor befunden hatte“, erinnerte sie sich. Sie war davon überzeugt, dass der Tumor nun verschwunden war. Er kehrte niemals zurück. Es ist wohl keine Überraschung, dass Mary Jo Siegel und ihr Mann Steve zu zwei der engagiertesten Kämpfer für die Sache Burzynskis werden sollten. Sie organisierten Busreisen von Houston nach Austin in Texas für Patienten, die an der Gerichtsverhandlung teilnehmen wollten, bei der entschieden werden sollte, ob Burzynski seine Zulassung als Arzt behalten würde. Sie sagten vor dem House 242
Commerce Committee in Washington D.C. aus. Sie halfen dabei, insgesamt 700.000 Dollar zusammenzubringen, um die Verteidigung Burzynskis bei seinem Strafprozess zu bezahlen. Bevor das alles anfing, erlebten die Siegels mehrere Jahre ärztlicher Fehler, körperlicher Schmerzen und geistiger Folter. Ihr Familienleben wurde durch Mary Jos Krankheit schwer belastet. Sie nahmen eine Hypothek auf ihr Haus auf und verschuldeten sich total, weil die Versicherungsgesellschaft nicht für ihre Behandlung aufkommen wollte. Im Laufe von vier Jahren mussten sie 90.000 Dollar aus eigener Tasche bezahlen. Bevor Mary Jo Siegel von Burzynski und seiner Behandlungsmethode auch nur gehört hatte, musste sie bereits eine lange Reihe schmerzhafter Therapien über sich ergehen lassen. Mehr als 30 cm ihres Darms mussten entfernt werden, weil ein großer Tumor eine Verstopfung verursacht und einen Teil ihres Dickdarms gangränös (durchlässig) gemacht hatte. Sie unterzog sich mehrerer schmerzhafter Knochenmarkbiopsien. Und sie reiste durch das ganze Land auf der Suche nach einer Behandlung, die keinen Haarausfall oder Sterilität, grauen Star, Nieren- und Blasenschäden und ein geschrumpftes Herz verursachen würde – all dies übliche Nebenwirkungen der verschiedenen „konventionellen“ Krebsbehandlungen. Sofort, nachdem sie von Burzynski erfahren hatte, reiste sie von ihrer Heimatstadt Pacific Palisades in Kalifornien nach Houston. Diese Entscheidung war für Mary Jo und ihren Mann, einem Unternehmensberater, sehr einfach. „Wir waren einfach verzweifelt, nachdem wir Näheres über Knochenmarktransplantationen erfahren hatten“, sagte Mary Jo. „Ich hatte mich einer Selbsthilfegruppe von Krebspatienten angeschlossen, und eines Tages ging ich mit einer Freundin aus dieser Gruppe am Strand spazieren. Sie sagte mir, dass sie sich mit Dr. Burzynski wegen ihres Eierstockkrebses in Verbindung gesetzt hätte, und dass er ihr zurückgeschrieben hätte, dass er sie nicht behandeln könnte, weil er noch nicht untersucht hätte, inwieweit sein Medikament auf Eierstockkrebs wirken würde. Ich dachte, dass er doch ein sehr ehrlicher Mensch wäre, 243
wenn er Leuten riet, nicht zu ihm zu kommen, weil er nicht sicher wäre, ob er ihnen helfen könnte. Also stiegen Steve und ich sofort in ein Flugzeug und flogen nach Houston.“ Die Behandlung, die sie dort erfuhr, war ganz anders als alles, was sie jemals in den angesehenen Krebszentren an der University of Southern California oder dem Dana Farber Cancer Institute in Boston erlebt hatte. „Er versprach nicht, mich zu heilen“, erinnerte sich Mary Jo an ihren ersten Besuch bei Burzynski. „Er sagte nur, dass er bei Lymphomen sehr gute Resultate erzielt hätte. Dann gab er mir, im Gegensatz zu den anderen Ärzten, die wir darum gebeten hatten, die Namen und Telefonnummern von Leuten, die er behandelt hatte. Ich rief sie alle an und erfuhr, dass es ihnen allen gut ging. Ich sagte Steve, dass ich sofort mit dieser Behandlung anfangen wollte.“ Weniger als zwei Tage nach ihrem ersten Besuch bei Burzynki fing sie an, Antineoplastone in Kapselform einzunehmen. „Es könnte funktionieren“, sagte ihr Burzynki, warnte sie aber gleichzeitig, dass die orale Einnahme zwar leichter wäre, sich aber möglicherweise als nicht so wirksam erweisen würde wie eine intravenöse Infusion. Tatsächlich halfen die Kapseln überhaupt nicht. „Ich nahm die Kapseln etwa drei Monate lang, und während der Zeit bildete sich ein riesiger Tumor in meinem Hals“, sagte Mary Jo. „Er hatte etwa die Größe einer halben Orange. Ich trug Rollkragenpullis, um ihn zu verstecken. Dann, eines Tages, als Steve und ich in Las Vegas auf Urlaub waren, merkte ich, dass er sehr schnell wuchs. Ich flog sofort nach Houston. Burzynski sah ihn sich an und sagte, dass er mir eine höhere Dosis seines Mittels verabreichen wollte. Aber dazu bräuchte ich einen Katheder.“ Mary, die aufgrund der Gespräche mit anderen Patienten davon überzeugt war, dass die höhere Dosis ihr helfen würde, ging sofort zu einem Gefäßchirurgen, der in der Nähe wohnte, und ließ sich einen Katheder in die Brust implantieren. Das dauerte kaum zwanzig Minuten. Das Verfahren war so unkompliziert, dass sie und Steve weniger als eine Stunde später in ein Restaurant zum Essen gingen. Noch am selben Tag war 244
Mary Jo wieder in Burzynskis Klinik und war bereit, sich durch ihren Katheder die Antineoplastone verabreichen zu lassen, der direkt in ihre untere Hohlvene führte, eine große Vene, die das Herz mit Blut versorgt. Drei Wochen lang passierte nicht allzu viel. Ihr Halstumor hörte auf zu wachsen, aber er war immer noch da. Dann kam ihr nachts die plötzliche Erkenntnis. Es war der Moment, auf den Mary Jo Jahre lang gewartet und gehofft hatte. Nie zuvor und niemals danach hatte sie auch nur annähernd so viel Schmerzen und Angst erduldet, wie während der Jahre, die schließlich zu diesem Augenblick an dem Abend im April führten. Die kleine brünette, stets lächelnde und agile Mary Jo bekam Ende 1989 seltsame Symptome. „Ich bekam plötzlich schlimme Magenkrämpfe– eigentlich waren es mehr als nur Schmerzen.“ Sie ging zu ihrer Hausärztin. „Sie behandelte meine Geschwüre etwa ein Jahr lang. Ich bekam Zantac und Pepcid. Am Anfang kamen die Krämpfe unregelmäßig und dauerten nur etwa eine Stunde. Aber ich bemerkte ziemlich schnell, dass die Medikamente dagegen nichts ausrichteten.“ Während dieses Jahres wurde sie mehrere Male in der Notaufnahme von Santa Monica und dem St. John's Hospital in Los Angeles behandelt. Jedes Mal verabreichten ihr die Ärzte Injektionen mit Demerol, um ihre Eingeweide zu entkrampfen und damit ihr Leiden zu besänftigen. „Ich hatte so starke Schmerzen, dass ich noch nicht einmal merkte, wo mich Steve hinbrachte, sagte sie. „Ich musste mich übergeben und hatte starken Durchfall. Schließlich sagte ich Steve, dass ich nicht so weitermachen könne. Wenn wir nicht schnellstens etwas unternehmen würden, dann würde ich sterben.“ Das Paar wandte sich an einen Magen-Darm-Spezialisten. „Er kam zu dem Schluss, dass der erste Arzt sich geirrt, und ich kein Geschwür hätte. Er sagte mir, dass ich einfach meine Essgewohnheiten ändern müsste und nach Möglichkeit Stress vermeiden sollte“, erinnerte sich Mary Jo und schüttelte mit dem Kopf. „Später bezeichneten wir diese Zeit als die Ärztehölle“, sagte sie, und verzog das Gesicht. „Ich war natürlich froh, dass die Tests nichts erge245
ben hatten, aber ich hatte ja immer noch meine Magenkrämpfe. Nur dass sie jetzt, nach mehr als einem Jahr, jedes Mal kamen, wenn ich aß. Wenn ich in einem Restaurant saß, drückte ich immer die Daumen, dass ich es bis nach Hause schaffen würde, bevor die Krämpfe anfingen. Später erfuhr ich dann, dass das Essen sich in meinem Darm staute.“ Was das eigentliche Problem war, fand Mary Jo im Februar 1991 heraus, nachdem sie einen schweren Anfall von Magenschmerzen und Übelkeit bekam, und Steve sie in die Notaufnahme im St. John's Hospital fuhr. „Sie wollten mir wieder Demetrol geben, aber Steve sagte ihnen, dass es nicht wirkt. Ein junger Radiologe namens Ross Goldberg sagte: Machen wir eine Computertomographie von ihrem Unterleib, solange sie noch Schmerzen hat.“ Also gaben sie mir ein Glas Bariumlösung zu trinken. Es war schrecklich! Ich musste mich anstrengen, um es nicht wieder auszukotzen“, erinnerte sie sich. Goldberg konnte auf der Tomographie schnell erkennen, dass es eine größere Verstopfung in Mary Jos Darm gab. Er rief unverzüglich den Chirurgen Barry Mann hinzu, und weniger als einen Tag später entfernte der mehr als 30 cm ihres Darms. „Er war durchlässig“, sagte Mary Jo. „Ohne die Operation hätte ich nicht mehr lange gelebt.“ Aber Mann hatte auch schlechte Nachrichten. Drei Tage später kam er in Mary Jos Krankenzimmer und bat ihre Eltern und Steve auf den Flur. Dort teilte er ihnen mit, dass die Verstopfung sich als Krebstumor herausgestellt hatte. Er fragte Steve, was er nun tun wollte. Steve war unsicher, also schlug Mann ihm vor, Mary Jo die Wahrheit zu sagen. Die Wahrheit war, dass ihr Tumor als Non-Hodgkin-Lymphom niedrigen Grades diagnostiziert worden war. Die Ärzte glaubten zuerst, dass die Geschwulst sich nur in ihrem Darm befinden würde, und dass ihr Krebs daher nur zur Stufe 1 gehören würde, also eine Geschwulst wäre, die sich nicht ausgebreitet hätte. Sie spendeten Mary Jo das, was sie unter Trost verstanden. „Machen Sie sich keine Sorgen“, sagte ein Onkologe, der sie untersucht hatte. „Sie haben einen langsam wachsenden Krebs.“ Damit lag er nicht nur falsch, sondern machte Mary Jo auch noch falsche Hoffnungen. „Sie haben mir nicht gesagt, dass ich selbst 246
mit Chemotherapie nur noch fünf bis zehn Jahre zu leben hätte. Es gab noch vier andere Leute in meiner Selbsthilfegruppe, bei denen etwa zur selben Zeit wie bei mir ein Lymphom diagnostiziert worden war. Sie alle hatten sich entschlossen, sich auf konventionelle Art und Weise behandeln zu lassen. Drei von ihnen sind inzwischen gestorben, und die Vierte liegt im Sterben. (Anmerkung des Autors: Die Frau starb weniger als ein Jahr, nachdem Mary Jo im August 1996 für dieses Buch interviewt wurde.) Es war wirklich schwer für mich, zu sehen, was mit ihnen geschah. Und es war noch schlimmer für sie, zu sehen, dass es mir besser ging, während es ihnen immer schlechter ging.“ Ein weiterer Arzt mit seltsamem Humor stürmte kurze Zeit später in ihr Krankenzimmer.Er machte gerade eine kurze Pause von seiner Kampagne für die Wahl zum Vorsitzenden des Ärzteverbandes von Los Angeles County, dem örtlichen Zweig der AMA. „Es ist nichts, worüber man sich Sorgen machen muss, aber wahrscheinlich werden Sie für den Rest Ihres Lebens Durchfälle haben“, sagte er ihr. „Aber das ist doch kein Problem. Sie können dagegen Tabletten nehmen.“ Mary Jo und Steve waren verzweifelt. Beide waren dafür, sofort mit der Chemotherapie anzufangen, während sie noch im Krankenhaus war. Aber ihr Hämatologe riet ihr davon ab, sofort damit anzufangen. „Er saß auf meiner Bettkante und redete über Lymphome“, erinnerte sie sich. „Wir hatten das Wort Lymphom noch nie gehört.Wir wussten nicht einmal, wie man das buchstabiert.“ Der Facharzt für Blutkrankheiten versicherte ihnen: „Es ist nur eine kurze Chemotherapie notwendig. Ihr Krebs ist indolent, also träge.“ Dass er dieses Wort benutzte, verwirrte Steve. „Ich hatte das Wort nur einmal gehört, als mein Vater mich als einen indolenten, faulen Sack bezeichnete“, erklärte er. „Und in diesem Zusammenhang bedeutete das Wort auch faul. Es bedeutete, dass die Krankheit nicht viel tat, also nicht sehr aktiv war.“ Der Hämatologe überwies Mary Jo an Dr. Peter Rosen, einen Lymphomspezialisten im Norris-Krebszentrum der University of Southern California in East Los Angeles. Rosen, sagte er etwas flapsig, ist ein Lym247
phomane. Er weiß mehr über diese Krankheit als jeder andere in den westlichen Staaten.“ Also gingen die Siegels zu Rosen. „Ich musste unbedingt etwas tun“, sagte Mary Jo. „Aber ich wollte etwas Richtiges tun. Ich hatte wirklich die Nase voll von all den falschen Diagnosen.“ Die falschen Diagnosen waren jedenfalls vorbei, als sie Rosen zum ersten Mal traf. Er bestätigte nicht nur die Lymphomdiagnose, sondern sagte auch, nachdem er Mary Jos komplette Fallgeschichte gehört hatte, dass es „sehr ungewöhnlich“ sei, dass die Krankheit sich nur auf eine Stelle konzentrieren würde. Er führte eine manuelle Untersuchung durch und stellte eine Geschwulst unter Mary Jos rechtem Arm fest. Kein anderer Arzt hatte sie bemerkt, aber sie brachte ihren Fall von der „indolenten“ Stufe 1 sofort in die gefährliche Stufe 3. Und sie sollte schon bald in die Stufe 4 aufrücken, während immer mehr Krebsknoten entdeckt wurden. Mary Jo zittert immer noch ein wenig, wenn sie an diesen Moment zurückdenkt. „Es war schrecklich. Ich dachte: Oh, Gott! Das Ding ist überhaupt nicht indolent. Es ist nicht faul, es ist schwer an der Arbeit.“ Rosen sagte gleich, dass Bestrahlung wenig gegen diesen Krebs ausrichten würde. Da die Geschwulst bedeutete, dass der Krebs sich ausgebreitet hatte, wäre es sinnlos, die Bestrahlung auf einen einzelnen Punkt zu richten. Man führte unverzüglich eine Reihe schmerzhafter Nadelbiopsien der Geschwulst im Unterarm durch, die sich einige Tage später als bösartig erwies. Dann kam der Knochenmarktest. „Das war ein Alptraum“, sagte Mary Jo und verzog das Gesicht. „Meine Kinder waren inzwischen alle sehr aufgebracht. An dem Morgen, an dem der Test durchgeführt werden sollte, hatten wir einen Riesenstreit mit unserer ältesten Tochter Jamie, die damals 15 war. Ich weiß überhaupt nicht mehr, worum es dabei überhaupt ging, aber die Spannung verursachte einen ziemlichen Konflikt.“ Der Streit beschäftigte sie immer noch, als sie sich auf den Weg zum St. John's Hospital machte, wo sie mit dem Gesicht nach unten auf einem Tisch lag, während ihr die Schwester über ihrem hinteren Becken eine Nadel in die Haut steckte, 248
die „so dick war, dass sie wie ein Bleistift aussah“. Die Nadel ging durch mehrere Schichten Fettgewebe und stieß schließlich fühlbar gegen einen Knochen. Steve Siegel erinnerte sich noch, dass überall Blut war. Das ist das Einzige, woran er sich noch erinnern konnte, denn er fiel in Ohnmacht, noch bevor die Schwester Mary Jo sagen konnte: „Das hat noch nicht gereicht. Ich muss das noch noch einmal machen.“ Dies war der erste von insgesamt sechs Knochenmarktests, die Mary Jo über sich ergehen lassen musste. „Sie taten scheußlich weh, aber es sind die wirksamsten Tests“, sagte sie. „Wenn die Krankheit aus dem Knochenmark verschwunden ist, dann weiß man, dass man wirklich wieder gesund ist. Bei meinem sechsten Test war ich krebsfrei, aber ich wollte noch einen, um ganz sicher zu gehen. Ich war wahrscheinlich die allererste Person, die jemals freiwillig um einen Knochenmarktest gebeten hat.“ Die Ergebnisse des ersten Tests bestätigten, dass der Krebs sich ausgebreitet hatte. Jetzt erklärte Rosen den sehr besorgten Siegels, dass eine Krankheit wie die von Mary Jo unheilbar sei. „Wir können Sie für einige Zeit behandeln“, sagte er. „Wir können Sie sogar für einen sehr langen Zeitraum behandeln. Aber wir können Sie nicht heilen.“ Rosen kennt ihren Fall in allen Einzelheiten. „Sie hatte ein langsam wachsendes Lymphom geringen Grades“, sagte er bei einem Interview im Jahre 1996. „Sie hatte geschwollene Lymphknoten, die man mit der Hand fühlen konnte.“ Er sagte den Siegels, dass sie jetzt verschiedene Optionen hätten – entweder gar nichts zu tun oder eine aggressive Chemotherapie und Bestrahlung durchführen zu lassen. „Wir glaubten nicht, dass wir noch länger warten durften“, sagte Steve. „Sobald wir mit Sicherheit wussten, was sie hatte, beschäftigten wir uns genauer mit ihrer Krankheit. Wir erfuhren, dass sie immer aggressiver wird, und dass man nicht vorhersagen kann, wie schnell sie sich entwickelt. Manchmal dauert es 10 Jahre, manchmal nur drei oder weniger. Und irgendwo in der Fachliteratur stand, dass sie in den früheren Stadien wirksamer zu behandeln ist als später.“
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Die aggressivste der üblichen Lymphomtherapien ist eine Kombination aus massiver Chemotherapie, Bestrahlung und Knochenmarktransplantation, wobei die Dosierung bei der Chemotherapie und der Bestrahlung so hoch ist, dass sie den Patienten fast tötet. Sie entspricht der Strahlung, der die Menschen ausgesetzt waren, die sich beim Abwurf der Atombombe auf Hiroshima innerhalb einer Meile Entfernung vom Stadtgebiet aufhielten. Die Siegels erfuhren, dass die besten Knochenmarktransplantationen im Dana Farber Cancer Institute durchgeführt wurden. Dabei wird der größte Teil des Knochenmarks des Patienten entfernt, von Krebszellen gereinigt und eingefroren, bevor es dann wieder dem Patienten eingespritzt wird. „Wir gingen dorthin und trafen Dr. Lee Nadler, der den ehemaligen Senator Paul Tsongas aus Massachusetts behandelt hatte“, sagte Steve. „Er warf einen Blick auf Mary Jo, und ich konnte sehen, dass seine Augen aufleuchteten. Ich glaube, er sah sie als so eine Art Versuchskaninchen an. Sie hatte bisher noch keine Strahlen- oder Chemotherapie bekommen, und er wollte sofort damit anfangen.“ Aber die Siegels wollten noch abwarten. „Ich wollte, dass ich mich bei der Bar Mitzvah-Feier meines Sohnes noch einigermaßen wohl fühlte. Er war damals zwölfeinhalb Jahre alt“, sagte Mary Jo. „Also schlug Nader vor, dass wir in einigen Monaten wiederkommen sollten. Ich war etwa zu 90 % sicher, dass ich das tun sollte.“ Diese Reise nach Boston war eine der schrecklichsten Erlebnisse in ihrem ganzen Leben. „Wir gingen in die „Cheers“-Bar und schauten uns dort um. Ich dachte: „Mein Gott, die alle hier haben ihren Spaß, außer mir. Jeder hier ist so lebendig, und ich werde vielleicht bald sterben.“ Aber sie fühlte sich nicht körperlich krank, und sie hatte auch nicht das Gefühl, dass sie bald sterben würde. Sie hatte seit ihrer Unterleibsoperation ziemliche Schmerzen. „Selbst als ich die Operation im Krankenhaus hinter mir hatte, war ich noch voller Energie. Ich lief jeden Tag in der Klinik herum. Ich schleppte meinen Infusionsständer überall mit mir herum. Als ich dann durch Boston spazierte, fühlte ich mich wunderbar. Und hier war nun Dr. Nadler, der mir sagte, dass ich die Behandlung 250
durchführen lassen sollte, die mich fast umbringen und mir jedes Quäntchen Energie und Vitalität abzapfen würde. Nadler machte sie auch auf einige der Nebenwirkungen der Therapie aufmerksam. Ihre Augen, ihr Mund, ihre Nieren, Blase und ihr Herz würden alle in Mitleidenschaft gezogen. „Wir bringen Sie so nahe an den Tod, wie es möglich ist, und dann retten wir Sie“, sagte Nadler. Die Siegels erfuhren, dass bei Leuten, die diese Prozedur überleben, immer noch die Gefahr besteht, dass sie nach etwa 10 Jahren Leukämie bekommen können, als Nachwirkung der Strahlentherapie. „Und bei all dem machten sie uns noch nicht einmal viel Hoffnung“, sagte Steve. „Sie sagten, dass die Chance, die nächsten zwei bis fünf Jahre zu überleben, bei 40 % liegen würde. Und es gab auch eine 3 – 6 %-ige Chance, dass Mary Joe während der Behandlung sterben würde.“ „Ich brach zusammen und weinte, als man mich in den Isolationsraum für die autologe Knochenmarkbehandlung brachte“, erinnerte sich Mary Jo. „Die Schwestern versuchten, mich zu trösten. Sie sagten mir, dass es doch wunderbar wäre. Ich würde alles zu essen bekommen was ich wollte, Eiscreme und alles Mögliche. Aber ich bin gern mit Menschen zusammen, und für etwa die nächsten sechs Wochen würde ich nur Leute sehen, die Schutzbekleidung trugen und vollkommen steril waren. Ich würde es einfach nicht ertragen, sechs oder acht Wochen von meinen Kindern getrennt zu sein. Ich dachte, ich hätte wahrscheinlich nur noch wenig Zeit. Also wollte ich diese wenige Zeit damit verbringen, nach einer besseren Behandlungsmethode zu suchen. Ich schloss mich einer Selbsthilfegruppe von Krebskranken an. Und dann erfuhr ich von Dr. Burzynski.“ Mary Jo ließ sich nicht entmutigen, auch wenn sie mit Dr. Burzynskis Kapseln keinen unmittelbaren Erfolg hatte. „Ich hatte mit den anderen Leuten gesprochen, und ich glaubte, dass das Zeug wirken würde“, sagte sie. „Man darf nur nicht den Mut verlieren. Man muss an seiner Heilung engagiert mitarbeiten. Man darf dabei nicht passiv sein.“ Burzynski versorgt seine Patienten jetzt mit Antineoplastonen in Lösungen, die aus Beuteln intravenös in den Körper injiziert werden. Als Ma251
ry mit der Behandlung anfing, wurde dieses Mittel noch in Flaschen vertrieben, und die Patienten mussten sie jeden Tag in Plastikbeutel umfüllen. Alle zwei Tage musste sie also den Schlauch in ihrem Katheder herausnehmen und sterilisieren, um eine Infektion zu vermeiden. Aber das machte ihr nichts aus. Im Gegenteil, dies gab ihr das Gefühl, dass sie etwas Konstruktives zu ihrer Heilung beitrug. Kurz nach Beginn der Behandlung teilte Mary Jo Dr. Rosen mit, dass sie sich an Burzynski gewandt hatte. Rosen, der normalerweise sehr freundlich ist, reagierte wie ein abgewiesener Liebhaber. „Er sagte mir, dass Burzynski ein Betrüger und Scharlatan wäre. Aber ich beschloss, trotzdem mit der Behandlung mit den Antineoplastonen weiterzumachen. Sie sind vollkommen ungiftig, und ich dachte, dass sie mir zumindest nicht schaden könnten“, sagte Mary Jo. Dann kam ihr die Erkenntnis. „Ich hatte von Anfang an daran geglaubt, dass die Antineoplastone funktionieren, und dass sie mir helfen würden. Aber jetzt weiß ich es mit Bestimmtheit“, sagte sie. Aber das plötzliche Verschwinden ihres Halstumors war nicht das Ende ihrer Therapie. „Ich behielt meinen Katheder noch ein Jahr weiter, bis April 1993. Dann sagte man mir, dass ich geheilt sei.“ Während des gesamten Jahres ließ Mary Jo alle drei Monate Computertomographien durchführen. Jedes Mal stellte man fest, dass die Tumore, die ihren Darm, ihre Unterarme, Leistengegend und ihren Hals befallen hatten, zurückgegangen waren. „Alle zwei Monate flog ich auch nach Houston und brachte einen neuen Vorrat an Antineoplastonen mit nach Hause.“ Dies war notwendig, weil es Burzynski gemäß einer richterlichen Verfügung von 1983 untersagt war, seine Medikamente außerhalb des Staates Texas zu vertreiben, wenn es von der FDA nicht genehmigt wurde. Während dieser Zeit nahmen die Siegels zwei weitere Hypotheken auf ihr Haus auf. Die Versicherungsgesellschaft Blue Shield of California weigerte sich, für die Therapie aufzukommen, weil sie nicht von der FDA genehmigt worden war, und Steve konnte sie nicht dazu überreden, nachzugeben.
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Trotzdem erreichte Mary Jo ihr Ziel. Nach der Aussage von Dr. Rosen, der jetzt vom USC Norris Cancer Center zu einer ähnlichen Einrichtung an der UCLA gewechselt war, war sie jetzt auf dem Weg der Genesung. „Rosen war wirklich glücklich, als er mir das sagte. Aber er hat niemals zugegeben, dass die Antineoplastone wirkten. Ich hörte, wie er sagte, dass es sich um eine spontane Remission handelte. Er sagte mir, dass die Krankheit manchmal zurückgeht und dann wieder stärker wird. Aber sie pendelt doch nicht zwischen der Stufe 3 und 4 hin und her. Sie wird höchstens stärker.“ Es gab auch nicht sehr viele spontane Remissionen unter den 52.700 neuen Krebsopfern, bei denen 1996 ein Non-Hodgkin-Lymphom festgestellt wurde. Den Statistiken der Amerikanischen Krebsgesellschaft zufolge starben in diesem Jahr etwa 23.300 Personen an der Krankheit. Niemand weiß, wie viele spontane Remissionen in einem Jahr auftreten, aber einige Ärzte sprechen von einer bei jeweils 100.000 Fällen. „Spontane Remissionen sind extrem selten“, berichtete ein führender Mitarbeiter der Krebsgesellschaft. „Es gibt so wenige davon, dass wir darüber keine Statistiken führen.“ Dennoch bleibt Rosen bei seiner Ansicht, die er geäußert hatte, als Mary Jo auf dem Weg der Besserung war. „Es ist ungewiss, was diese Verbesserung verursachte“, sagte er. „Ja, klinisch ist sie jetzt wieder vollkommen gesund. Der Zustand ihrer Lymphknoten hat sich zufällig verbessert. Wir wissen nicht, warum es ihr jetzt besser geht. Sie wird von einem Betrüger und Scharlatan behandelt. Die beste Methode festzustellen, ob das Mittel funktioniert, wäre, es wissenschaftlich in Doppelblindversuchen zu überprüfen, was er aber niemals getan hat. Dieser Mann spielt sich als Erlöser auf. Aber er betreibt nichts anderes als einen Kreditkartenautomaten. Er berechnet exorbitante Gebühren, und er teilt seine Erkenntnisse nicht mit anderen.“ Tatsächlich hat Burzynski Dr. Rosen Anfang der neunziger Jahre jedoch angeboten, ihm Antineoplastone zu liefern, falls der in Los Angeles ansässige Arzt seine eigenen medizinischen Versuche damit durchführen wollte. Rosen lehnte ab. 253
Trotz dieses Konflikts will Mary Jo Siegel Dr. Rosen während der nächsten Jahre noch etwa alle sechs Wochen aufsuchen. Die Sache verlief für sie nicht ausschließlich positiv, seit ihr 1993 erklärt wurde, dass sie auf dem Weg der Besserung wäre. Im Oktober 1995 zeigte eine Computertomographie zwei Lymphknoten in ihrem Hals. „Er ist wieder da“, klagte sie, als sie die Nachricht erhielt. „Ich fing an zu weinen, als man mir die Mitteilung zufaxte.“ Sie fuhr unverzüglich nach Houston und fing wieder an, die Antineoplaston-Kapseln einzunehmen. Eine Computertomographie, die drei Monate später durchgeführt wurde, zeigte, dass die Knoten verschwunden waren. Sie war wieder auf dem Weg der Besserung. Aber trotzdem nahm sie weiterhin die Antineoplastone ein. Ihr Krankheitsverlauf entsprach vollkommen den Erwartungen von Burzynski. „Um absolut sicher zu gehen, dass ein Tumor nicht zurückkehren wird, müssen wir sämtliche Krebszellen eliminieren“, sagte er. „Aber man kann nie mit Sicherheit sagen, wann wir das geschafft haben. Patienten, bei denen man vermutet, dass sie auf dem Weg der Besserung sind, können Rückfälle erleiden. Aber wenn sie die Behandlung dann wieder aufnehmen, so wie Mary Jo das getan hat, dann sind sie fast immer wieder auf dem Weg der Besserung“, erklärte Burzynski. Im Laufe ihrer Behandlung erfuhren Mary Jo und Steve von den ständigen Schwierigkeiten, die Burzynski mit den Bundesbehörden hatte. Daraufhin engagierten sie sich ebenso engagiert für seine Verteidigung wie sie vorher nach einer alternativen Heilmethode gegen den Krebs gesucht hatten. „Ich setzte mich bereits für Burzynski ein, bevor man mir offiziell verkündete, dass ich auf dem Weg der Genesung sei“, sagte Mary Jo. „Ich konnte beobachten, wie mein Tumor schrumpfte. Das ist der Grund, warum mich das, was einige Richter über Burzynski sagten, so sehr entsetzte. Diese Richter lassen nicht zu, dass die Interessen der Patienten denen der FDA im Weg stehen. Aber ich war immer der Meinung, dass wir als Patienten uns Gehör verschaffen müssen. Und ich war immer 254
zuversichtlich, dass ein mitfühlender Richter uns schließlich Gehör schenken würde.“ Die Siegels sagten zwischen Anfang 1994 und Mitte 1996 bei drei Anhörungen des Kongresses sowie bei zwei Gerichtsprozessen als Zeugen aus. „Wenn wir die Öffentlichkeit ständig über Dr. Burzynski informieren, dann kann die Regierung nicht einfach mit ihm tun was sie will“, betonte Mary Jo. „Ich brauche diesen Mann. Er hat mein Leben gerettet. Ich bin sicher, dass ich ohne ihn und sein Heilmittel schon längst tot wäre, ebenso wie die Leute, die ich kannte, und bei denen zu genau demselben Zeitpunkt dieselbe Krankheit festgestellt wurde wie bei mir.“ Postskriptum Pacific Palisades, Kalifornien, Mitte 2000 - „Es ist nichts Dramatisches an meiner Gesundheit“, sagte Mary Jo Siegel. Aber das stimmt nur dann, wenn man es nicht für dramatisch hält, dass sie neun Jahre, nachdem man bei ihr Krebs feststellte und ihr sagte, dass er fast mit Sicherheit tödlich wäre, jetzt vollkommen frei war von dem Non-HodgkinLymphom, das ihr Leben bedrohte. Die andere gute Nachricht für Mary Jo und ihren Mann Steve, die beide noch in der Patientengruppe von Burzynski aktiv sind, ist, dass dessen Klinik immer noch existiert und nicht mehr von der Justiz bedroht wird. „Ich arbeite immer noch jeden Tag in der Patientengruppe“, sagte Mary Jo, deren Esszimmer jetzt allerdings nicht länger wie eine Kommandozentrale aussieht. „Ich verwalte die Webseite der Gruppe,4 und ich bekomme jeden Tag zwischen fünfzehn und dreißig E-Mails aus der ganzen Welt von Leuten, die mehr über Dr. B erfahren wollen.“ Sie verweist einige von ihnen an andere Patientenaktivisten wie Ric Schiff (siehe Die Geschichte von Crystin Schiff) oder an andere Patienten oder Eltern von Patienten. „Ich habe es manchmal sogar mit Patienten zu tun, die total verängstigt sind, weil ihre Ärzte ihnen gedroht haben, sie anzuzeigen, falls sie ihre Kinder nicht durch die übliche Chemotherapie und 4
www.burzynskipatientgroup.org 255
Bestrahlung behandeln lassen. Aber wir versuchen jetzt nicht ernsthaft, Geld zu sammeln. Unsere wichtigste politische Aufgabe sehen wir darin, die Legalisierung des Medikaments durchzusetzen und Ausnahmegenehmigungen zu erhalten, damit Patienten, die nicht zu den klinischen Versuchen von Dr. Burzynski zugelassen werden, ebenfalls von dieser Behandlung profitieren. Wenn sie nicht gerade Lobbyarbeit betreibt und anderen Patienten hilft, geht Mary Jo häufig zum Walken. In der Nähe ihres Hauses gibt es eine vier Meilen lange Strecke vom oberen Ende eines Canyons hinter ihrem Haus bis zu einem Wasserfall, eine zehn Meilen lange Strecke zu einem nationalen Schutzgebiet in den Bergen von Santa Monica. Wie fast alle anderen Krebspatienten, die sich auf dem Wege der Besserung befinden, lässt Mary Jo jedes Jahr eine Computer- oder Kernspintomographie durchführen. In den letzten fünf Jahren ist kein neuer Krebs mehr aufgetaucht. Sie besucht immer noch jedes Jahr Dr. Peter Rosen an der UCLA, der sich immer noch standhaft weigert zu glauben, dass die Antineoplastone irgendetwas mit ihrer Genesung zu tun haben. Und sie besucht jährlich die Klinik von Burzynski. Nach ihren Jahren in der „Ärztehölle“, in der jede einzelne Frau in ihrer Selbsthilfegruppe inzwischen gestorben ist – keine von ihnen hat es mit der Behandlung mit Antineoplastonen versucht – erscheint ihr das gegenwärtige Leben wie ein Leben im Himmel.
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KAPITEL 7 Antwort auf die Kritiker
Wenn man Dr. William Jarvis, dem Präsidenten des National Council Against Health Fraud (Nationaler Rat gegen Betrug im Gesundheitswesen) gegenüber den Namen Dr. Stanislaw Burzynski erwähnt, ist seine erste Reaktion: „Das ist ein Quacksalber!“ Dann fragt er meist nach: „Haben Sie schon mal von Saul Green gehört?“ Saul Green., pensionierter Biochemiker vom New Yorker Memorial Sloan-Kettering Krebszentrum. Ehemaliger Berater der Washingtoner Rechtsanwältin Grace Monaco, die die Aetna Life Insurance Co. bei ihren Prozessen gegen Dr. Stanislaw Burzynski unterstützt hat. Autor des Artikels „Antineoplastone: Eine unbewiesene Krebstherapie“, der in der Ausgabe des Journal of the American Medical Association vom 3. Juni 1992 erschien. Immer noch ein engagierter und lautstarker Kritiker Burzynskis. Greens Artikel hat Burzynskis Ruf vielleicht mehr geschadet als alles andere, was jemals über ihn geschrieben worden ist. Und das war ja auch die Absicht. „Viele Ärzte wissen nicht, was sie ihren Patienten antworten sollen, wenn sie ihnen sagen: Hören Sie mal, Herr Doktor. Ich habe nur noch wenige Monate zu leben. Warum sollte ich also nicht zu Dr. Burzynski oder jemandem wie ihn gehen? Dieser Artikel gibt dem Arzt die Möglichkeit zu sagen: Hier sind die Tatsachen, ohne dass das herablassend klingt“, sagte Dr. David Cooper, damals Autor und Herausgeber des JAMA und Leiter der Abteilung für Endokrinologie im Sinai Hospital in Baltimore. Cooper behauptet, dass fünf Ärzte Greens Artikel überprüft hätten, bevor er akzeptiert und veröffentlicht wurde. Er wurde in der Ausgabe des Lancet Letter vom 5. Juni 1992 veröffentlicht. Der Lancet ist ein landesweit erscheinendes Ärztemitteilungsblatt. Seit damals ist Greens Artikel die wichtigste Quelle, die von fast jedem sogenannten Quacksalberjäger angeführt wird, der jemals Burzynski 257
angriff. Ein Beispiel ist ein Kommentar, den Dr. Barrie Casselith 1996 im Cancer, der offiziellen Publikation der Amerikanischen Krebsgesellschaft veröffentlichte. Sie bezeichnet Greens Analyse als eine „Laboruntersuchung durch einen angesehenen Wissenschaftler, der zu dem Schluss kam, dass Antineoplastone nicht einmal existieren“. Aber sie sagte niemals, dass Green offen zugab, dass er sozusagen eine „literarische Kritik“ schrieb und niemals versuchte, eine konkrete Analyse im Labor durchzuführen. Und sie erwähnte mit keinem Wort, dass Green mit der Versicherungsgesellschaft Aetna bei den Prozessen gegen Burzynski zusammenarbeitete. Dann wäre da noch der Readers Guide to Alternative Health Methods, der 1993 von der AMA veröffentlicht wurde, die zufällig die Zeitschrift JAMA herausgibt. In diesem Buch wird Green als die Autorität in Bezug auf Burzynski bezeichnet, und man kommt darin, gemeinsam mit Green, zu dem Schluss, dass „durch keinen der unabhängigen Tests, die mit Antineoplastonen bei experimentellen Tumorsystemen durchgeführt wurden, irgendwelche Wirkungen gegen den Krebs nachgewiesen werden konnten“. Das Problem ist nur, dass Greens Artikel nicht immer „die Fakten“ präsentiert, wie Cooper behauptete. Manchmal liefert er eine ziemlich bunte Mischung aus fragwürdigen Zitaten und Halbwahrheiten. Green hat Burzynskis Klinik niemals besucht. Er hat niemals die Krankenakte auch nur eines Patienten gesehen oder mit einem einzigen der Patienten oder Mitarbeiter von Burzynski gesprochen. Stattdessen versucht er, mit seiner „literarischen Kritik“, Burzynskis eigene Schriften und die der Leute zu benutzen, die mit ihm gearbeitet oder korrespondiert haben, um seine Theorie zu widerlegen, dass Antineoplastone wirken, indem sie Krebszellen „normalisieren“ und sie wieder in den gesunden Kreislauf der Zellerneuerung zurückbringen. Er fängt damit an, dass Burzynski in Bezug auf seine Kompetenz und Ausbildung gelogen hat. „In Burzynskis Bibliographie findet sich keine Doktorarbeit“, behauptet Green. Und das ist nicht wahr. Es ist tatsächlich eine Doktorarbeit aufgeführt. Sie umfasst 274 Seiten. Der Titel lau258
tet „Untersuchungen in Bezug auf Aminosäuren und Peptide im Blutserum gesunder Menschen und Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz“. Burzynski bewahrt eine Kopie davon in seinem Büro auf, ein Buch mit einem grünen Einband. In Briefen, die er später schrieb, behauptete Green, dass Burzynski niemals einen Ph.D. erhielt, sondern lediglich den Grad eines DMsc. Er sagte: „Die Behörden in Warschau haben mir mitgeteilt, dass der DMsc. und der Ph.D. keine gleichwertigen akademischen Grade sind.“ Burzynski reagierte mit einer eidesstattlichen Erklärung von Zdislaw Kleinrok, die auf Briefpapier abgefasst wurde, das ihn als Rektor und Präsident der medizinischen Akademie von Lublin ausweist. Sie bestätigt, dass „Dr. Stanislaw R. Burzynski, nachdem er im Juni den Dr. med. erhalten hatte, am 16. Oktober 1968 für seine Studien auf dem Gebiet der Biochemie auch den Grad eines Ph.D. (Dr. phil.) erhielt.“ Green kritisierte auch die Produktionsanlagen von Dr. Burzynski. Er sagte, dass „die FDA niemals schriftlich bestätigt hat, dass die Produktionsanlagen im Forschungsinstitut von Burzynski betriebsbereit im Sinne des Leitfadens der Guten Herstellungspraxis wären“. Er sagte, dass Sharon Miller, eine Mitarbeiterin der Niederlassung der FDA in Houston, ihm dies bei einem Telefongespräch mitgeteilt hätte. Als jedoch Burzynskis Mitarbeiter Dean Mouscher mit Miller telefonierte und sie fragte, warum sie sich geweigert hätte, zu bestätigen, dass Burzynskis Anlage sämtliche Überprüfungen durch die FDA bestanden hätte, sagte sie, dass sie Green niemals gesagt hätte, dass die Anlage durchgefallen wäre, sondern nur, dass sie nicht aus sicherer Quelle wüsste, ob die Anlage bei der Inspektion durchgekommen wäre. Tatsächlich hatte die Anlage die Prüfungen wiederholt bestanden, aber davon erwähnte Green nichts. Green behauptete ebenfalls, dass die Antineoplastone überhaupt nicht gegen Krebs wirken können, weil sie sich „in wässrigen Lösungen nicht auflösen“. Er fügte hinzu, dass dies bedeutete, dass Burzynski bei seinen intravenösen Behandlungen überhaupt keine Antineoplastone benutzen kann, sondern etwas wie Natriumsalz oder Phenylazetylglutamin benut259
zen muss. Diese Chemikalien, so behauptet er, „resultieren aus der Verbindung von Glutamin in der Leber mit … Phenylessigsäure“. Es ist korrekt, dass die Antineoplastone A10 und AS2-1 L-glutamin, Phenylazetat und Phenylazetylglutamin enthalten. Burzynski antwortete darauf, dass „die Löslichkeit von [Antineoplastonen] in Wasser innerhalb des Löslichkeitsbereiches von Aminosäuren liegt. Das heißt, sie sind löslicher als zum Beispiel Tyrosin und Tryptophan. Viele wichtige biologische Substanzen, wie steroide Hormone, haben eine geringere Löslichkeit“. Und in ihrer Abhandlung, in der die vom NCI finanzierten und gescheiterten klinischen Versuche mit Antineoplastonen zusammengefasst wurden, haben Jan Buckner und Mark Malkin die angeblichen Schwierigkeiten mit der Löslichkeit von A10 oder AS2-1 nicht einmal erwähnt. Sie behaupten, dass sie die Antineoplastone nach genau derselben Methode eingeleitet hätten wie Burzynski, komplett mit tragbaren programmierbaren Pumpen, die die Patienten nach ihrem Klinikaufenthalt mit nach Hause nehmen konnten. Hätten sie das so durchführen können, wenn die Antineoplastone nicht löslich wären, so wie Green behauptet? Greens nächster Kritikpunkt betraf die In-Vitro-Tests mit Antineoplastonen in Labors, die nicht von Burzynski betrieben werden. Eines der Labors, in dem solche Tests durchgeführt wurden, war das Medical College of Georgia in Augusta, wo Forscher A 10 an Krebszellkulturen testeten. In seinem Artikel im JAMA schrieb Green, dass die Forscher in Georgia „Burzynski mitgeteilt hätten, das ihre Untersuchung nicht bestätigt hätte, dass A10 menschlichen Patienten helfen könnte“. Aber in einem Leserbrief an das JAMA, der nur eine Woche nach Erscheinen des Artikels von Green geschrieben wurde, kritisierte der ehemalige klinische Leiter des Gaschromatographie- und MassenspektrometrieLabors im Medical College of Georgia die Aussagen von Green. „Bei der Arbeit am MCG waren niemals Patienten beteiligt, aber in Vitro konnte nachgewiesen werden, dass das Wachstum von MCF-7 Brustkrebs und Nb-2 Rattenlymphomzellen gehemmt wurde“, schrieb Dr. Edwin D. Bransome Jr., der sich dabei auf zwei bekannte Arten von 260
Labor-Krebszellen bezog. „Deshalb ist Greens Schlussfolgerung, dass „mit keinem der unabhängigen Tests, bei denen Antineoplastone gegen experimentelle Tumorsystemen eingesetzt wurde, eine Wirkung gegen Krebs nachgewiesen werden konnte, einfach nicht korrekt“. JAMA hat den Leserbrief von Bransome niemals veröffentlicht. Ebenso hat Green behauptet, dass er Briefe an ausländische Forscher geschickt hätte, die Versuche mit Antineoplastonen durchführten, zum Beispiel an Hideaki Tsuda von der medizinischen Fakultät der Kurune Universität in Japan. Tsuda soll Green zufolge geantwortet haben: „Wir haben keine Resultate unserer klinischen Untersuchungen über Antineoplastone veröffentlicht … Unsere Untersuchung hat nicht ergeben, dass das Antineoplaston A10 irgendwelche biologischen Wirkungen aufweist.“ Aber als Burzynski Tsuda fragte, was er Green tatsächlich mitgeteilt hätte, erwiderte der japanische Wissenschaftler in einem Brief: „Wir haben ihm [Green] mitgeteilt, dass wir nicht davon ausgehen, dass er irgendwelche biologischen Wirkungen des Antineoplastons A10 bei unserer Studie feststellen wird. Mit diesem Satz haben wir eigentlich gemeint, dass Dr. Green kein Dr. med. ist. Also wird er in unserer Studie keine biologische Wirkung des Antineoplaston A10 feststellen können, selbst wenn es eine Wirkung gäbe. Das habe ich gesagt, und das ist mit unserem Brief gemeint.“ Für seinen ziemlich durchsichtigen Versuch, Burzynski in Misskredit zu bringen, zitiert Green einen einzelnen Satz von Tsuda, und den auch nur zum Teil. Und keiner der fünf Mediziner, die Greens Artikel überprüften, verfügte über die Informationen oder auch nur die Neigung, um ihm zu widersprechen. Tsuda stand seit Jahren mit Burzynski, dem einzigen Lieferanten von Antineoplastonen, in brieflichem Kontakt. Tsuda benutzt die Antineoplastone bei seinen klinischen Versuchen gegen Leber- und Dickdarmkrebs. Als Greens Tirade gegen Burzynski veröffentlicht wurde, riet ihm Tsuda: „Wir glauben, dass Sie auf diesen Artikel nicht eingehen sollten, denn früher oder später wird das NCI aufgrund seiner klinischen Versuche mit Hirntumoren eine direkte Antwort darauf geben. Manchmal ist 261
Schweigen wirksamer, und es ist nicht ratsam, dass Sie den anderen Wissenschaftlern den Eindruck vermitteln, dass Sie ständig nur in Streitereien verwickelt sind. Niemand möchte sich an solchen Streitereien beteiligen … Wir werden einige Fallgeschichten veröffentlichen, aus denen hervorgeht, dass die Antineoplastone Krebspatienten geholfen haben.“ In einem weiteren Brief berichtete Tsuda im Jahre 1995, dass „das Interesse an den Antineoplastonen bei der Kurune Universität jetzt rapide wächst, denn wir behandeln multiple Lebermetastasen des Dickdarms bei unserem eigenen Präsidenten. Während der letzten sechs Monate ging es ihm ziemlich gut. Wir verfügen auch über einen ziemlich guten Kontrollfall mit Hepatom … Hepatoma sind eines der größten medizinischen Probleme in Asien.“ Ein Teil dieser Korrespondenz waren natürlich private Briefe, von denen Green nichts wusste, als er an Dr. T. Sugimura vom Nationalen Krebszentrum in Japan schrieb und um Informationen über die Forschung mit Antineoplastonen in seinem Land bat. Green veröffentlichte Sugimuras Antwort: „Ich fürchte, dass das Antineoplaston A10 in unserem Land nicht sehr populär ist.“ Als nächstes zitierte Green einen Brief von Dr. Carlo Trevisani, dem Präsidenten der italienischen pharmazeutischen Gesellschaft Sigma Tau, der 1991 berichtete, dass seine Firma „nicht die Absicht hat, sich mit der Entwicklung von Antineoplastonen zu befassen“. Trevisani, dessen Firma die von Burzynski gelieferten Antineoplastone testete, sagte, dass „aufgrund dieser Ergebnisse das Projekt eingestellt wurde, und weitere Tests oder klinische Versuche nicht geplant sind. Dr. Burzynski wurde über diese Resultate unterrichtet“. Green macht jedoch keine genaueren Angaben über die Art der von Sigma Tau durchgeführten Tests. Und aus der Korrespondenz der Firma mit Burzynski geht hervor, dass Sigma Tau niemals den Unterschied zwischen dem menschlichen Immunsystem und dem sogenannten biochemischen Abwehrsystem verstanden hat, auf den Burzynski stets hingewiesen hatte. Sigma Tau hat also Antineoplastone getestet, um festzu262
stellen, ob sie Immunreaktionen hervorrufen. Und das tun sie nicht. „Sie haben sie auf die falsche Art und Weise getestet“, sagte Burzynski. „Der zuständige Wissenschaftler war ein Spezialist für das Immunsystem. Antineoplastone rufen aber keine Reaktion des Immunsystems hervor. Das haben wir niemals behauptet.“ Dann kramte Green wieder die alte Kontroverse um die Mäuseleukämie P388 hervor. Er berichtete (so als ob er der erste wäre, der das herausgefunden hatte), dass der NCI in den Jahren 1983 und 1985 Tests mit den Antineoplastonen A2 und A5 durchgeführt hatte, zwei der frühesten Fraktionen des Breitbandmittels Antineoplaston A. „Die Resultate zeigten, dass die Dosen, die hoch genug waren, um toxische Effekte bei Mäusen zu erzeugen, nicht das Wachstum von Tumoren hemmte oder sie abtötete“, schrieb er. Burzynski hatte natürlich genau dieses Resultat vorausgesagt, als er dem NCI die Antineoplastone für seine Tests überließ. Green schrieb nichts darüber, dass Burzynski erklärt hatte, dass aufgrund der Tatsache, dass die Antineoplaston artenspezifisch – manchmal sogar tumorspezifisch – seien, es so gut unmöglich wäre, dass sie irgendeine Wirkung gegen die Mäuseleukämie P388 aufweisen würden. Auch erwähnte Green mit keinem Wort, dass der Stamm P388 heutzutage nicht mehr als Maßstab für die Ermittlung der Wirksamkeit eines neuen Medikaments benutzt wird, weil er keinen akkuraten Messwert für die möglichen Vorteile vieler neuer Medikamente liefert. Green bemerkte außerdem, dass der NCI im Jahre 1990 das Antineoplaston A10 an einer Reihe von Tumoren aus Zelllinien getestet hätte, einschließlich Lungenkrebs, Krebs des zentralen Nervensystems, Dickdarmkrebs, Melanome, Eierstockkrebs und Nierenzellkrebs. Er zitierte den Leiter der Abteilung für die Medikamentensynthese und Chemie, der gesagt haben soll, dass „das Medikament bei der getesteten Dosis weder das Wachstum von Tumoren hemmte, noch irgendeine Zytotoxizität (tödliche Wirkung auf Krebszellen) aufwies“. Die Dosis, mit der getestet wurde, antwortete Burzynski, war etwa 10.000 Mal geringer als die für eine signifikante Reaktion erforderliche 263
Dosis. Was Green in seinem Artikel im JAMA nicht erwähnte, war, dass Burzynski am 24. März 1992 einen Bericht von derselben Abteilung erhielt, aus dem hervorging, dass die Antineoplastone bei denselben Tumorkulturen eine Wirkung zeigten, wenn sie bei einer höheren Dosis getestet wurden. Als Burzynski in einem Leserbrief an das JAMA, der im Januar 1993 veröffentlicht wurde, auf diesen eklatanten Widerspruch hinwies, antwortete Green, dass er „Mitteilungen vom NCI erhalten hatte, dass die 1991 vom ihm durchgeführten Tests keine positiven Resultate ergeben hätten“. Aber in dem Bericht des NCI über diese Tests wurde kein Urteil über die Resultate abgegeben. Stattdessen bestand er zum großen Teil aus einer Reihe von Grafiken, aus denen hervorging, wie stark die Kulturen aus Tumorzellen wuchsen, wenn sie mit unterschiedlichen Mengen von Antineoplastonen behandelt wurden. Diese Graphiken zeigten eindeutig: Je mehr A10 und AS2-1 in die Gewebekulturen eingeführt wurden, desto weniger Wachstum an Krebszellen war zu verzeichnen. Dies galt für Lungenkrebs, Krebs des zentralen Nervensystems, Dickdarmkrebs, Krebs der Eierstöcke und Nierenkrebs, wobei die meisten Krebsarten stärker auf AS2-1 als auf A10 reagierten. Und dies bedeutet zumindest, dass die Diagramme, die im Labor des NCI erstellt wurden, zeigen, dass das Wachstum der Tumore im Reagenzglas bis zu einem gewissen Grad gehemmt wurde, gleichgültig was einige Wissenschaftler oder Techniker des NCI Green vorher gesagt haben mögen. Außerdem besagt der Bericht des NCI an Burzynski, dass einige der getesteten Antineoplastone aus Losen stammten, die bereits 1984 geschickt worden waren, also acht Jahre vor der Durchführung der Tests. Das Medikament verliert normalerweise nach einigen Monaten einen großen Teil seiner Wirkung. Alle Resultate, die also mit bereits älteren Antineoplastonen erzielt werden, sind eine Bestätigung dafür, dass die Wirkung stärker ist, je mehr Antineoplastone verwendet werden und je frischer sie sind. All dies widerspricht den Aussagen von Green, dass „keiner der Tests, die von unabhängigen Wissenschaftlern mit Antineoplastonen an Tumoren durchgeführt wurden, eine Wirkung gegen Krebs aufgezeigt hätte“. 264
Dieses wirft einige ernsthafte Fragen in Bezug auf die Prüfverfahren auf, die beim JAMA anscheinend üblich sind. Wie konnte Green mit seinen Schlussfolgerungen an fünf Ärzten vorbeikommen und in einem so angesehenen Journal veröffentlicht werden? Coopers Kommentare, die im Lancet Letter veröffentlicht wurden, liefern vielleicht einen Hinweis darauf. Er wollte Greens Schlussfolgerungen oder etwas Ähnliches. Außerdem hatte keiner der fünf Ärzte, die seine Kommentare überprüften, Zugang zu allen Dokumenten, die von Green angeführt wurden. Also verließen sie sich in gewisser Weise einfach auf seine Ehrlichkeit, und das ist genau das, was Green bei Zeitschriften bemängelt, in denen einige der Arbeiten von Burzynski erschienen sind. Was nützt eine Überprüfung durch Kollegen, wenn diese angeblichen Kollegen nicht einmal genau darüber Bescheid wissen, was sie da eigentlich überprüfen, oder wenn sie selbst bestimmte politische Absichten verfolgen? Und wie steht es mit den Absichten von Green? Er bestreitet, dass er Aetna jemals bei einem ihrer Prozesse gegen Burzynski und seine Patienten geholfen hat. In einem Brief, den er am 19. November 1996 an mich schrieb, lauteten seine genauen Worte: „Ich war niemals bei Aetna beschäftigt, und das kann ich beweisen. Ich war als Berater für eine Anwältin tätig, die die Aetna beim Prozess vertrat. Sie brauchte einen Wissenschaftler, der ihr die rein fachlichen Stellen in den Arbeiten von Burzynski erklärte. Der Bericht, den ich für sie ausarbeitete, basierte auf dem, was Burzynski in seinen eigenen Abhandlungen geschrieben hatte. Mein Bericht wäre ebenso ausgefallen, wenn mich Burzynski selbst dafür bezahlt hätte.“ Dass er betonte, dass er nicht für die Aetna arbeitete, sondern lediglich für ihre Anwältin, um so den Eindruck von Unvoreingenommenheit zu verbreiten, ist typisch für die Argumentation, die sich durch seine sämtlichen Schriften über Burzynski hindurchzieht. Es ist Haarspalterei oder bestenfalls eine Halbwahrheit. Das ist zumindest die Schlussfolgerung, zu der der Forscher Dr. Lichman Chen gekommen ist, der Ende 1996 eine unabhängige interne Analyse über Greens Artikel im JAMA für das Amt für Alternative Medizin am NIH durchführte. Chen bezeichnet viele Aussagen von Green als 265
„falsche Darstellungen und fehlerhafte Interpretationen“. Seine Bewertung von Burzynski: „Ich halte seine Arbeit für glaubhaft, und sie verdient weitere Untersuchungen. Auf keinen Fall ist er ein Scharlatan oder seine Arbeit ein Schwindel … Wovor haben diese selbsternannten Entlarver eigentlich Angst?“ Green ist nicht der einzige Kritiker Burzynskis. Er ist nur der prominenteste und hartnäckigste. Zu den anderen Punkten, die man Burzynski vorwirft, gehört unter anderem, dass er seine Ergebnisse nicht in Fachzeitschriften veröffentlicht und keine zuverlässigen Statistiken in Bezug auf Reaktion seiner Patienten auf die Behandlung führt. Dann wären da noch die Kosten für die Therapie mit den Antineoplastonen (Green behauptet, dass Antineoplastone nicht besser sind als normales Phenylazetat, das nur einen Bruchteil von dem kostet, was Burzynski für die Antineoplaston-Therapie berechnet), und dass er keine Doppelblinduntersuchungen durchführt, um festzustellen, ob die Antineoplastone wirklich funktionieren. Der Artikel von Green bietet ein gutes Beispiel dafür, warum Burzynski den Fachzeitschriften insgesamt sehr wenig Vertrauen entgegenbringt, obwohl er natürlich weiß, dass sie die einzige Möglichkeit sind, unter den Wissenschaftlern allgemeine Anerkennung zu gewinnen. Aber wer behauptet, dass Burzynski nicht in Fachzeitschriften veröffentlicht hat, hat es schlicht und einfach versäumt, seine Bibliographie zu lesen. Darin sind Arbeiten aufgeführt, die in Fachjournalen wie Experimental Clini-
cal Chemotherapy, the International Journal of Tissue Reaction, Future Trends in Chemotherapy und dem Journal of Cancer, Chemistry and Biophysics erschienen sind. Dort sind ebenfalls Artikel aufgeführt, die in einem Dutzend Büchern erschienen sind, die zwischen 1980 und 1995 veröffentlicht wurden. Es ist wahr, dass Burzynski während der achtziger Jahre nur sehr wenige Statistiken über seine Patienten veröffentlicht hat. Aber dies änderte sich Ende 1988, als er in der Fachzeitschrift Advances in Experimental and Clinical Chemotherapy die Ergebnisse einer Studie veröffentlichte, die er an zwanzig Patienten mit Hirntumor durchgeführt hatte. In dieser Ab266
handlung berichtete er über eine objektive Reaktionsrate von 55 % bei Patienten mit metastatischem Lungenkrebs und Astrozytoma sowie Gliobastoma Multiform-Hirntumoren. Eine objektive Reaktion definiert er als eine Reduktion der Tumorgröße. Er berichtete, dass nur bei 25 % dieser Gruppe die Krankheit schlimmer geworden war, während sie bei 20 % stabil blieb, jedoch mit verminderter Symptomatik. Damals fing Burzynski an, Statistiken sorgfältiger zusammenzustellen, als er es während der ersten Jahre seiner privaten Praxis getan hatte, als er noch ständig mit Prozessen geplagt wurde und vor Gerichten erscheinen musste. Selbst nach seiner Anklage im November 1995 setzte er seine Bemühungen fort und schickte Röntgenbilder und Fallberichte von Dutzenden von Patienten an außenstehende Experten, die seine häufigen Erfolge bestätigten. Ende 1996 unterbreitete er dem Southwest Neuro-Imaging Center in Phoenix 28 aktuelle Fälle von Hirntumor zur Begutachtung durch unabhängige Radiologen. Diese Radiologen kamen zu den folgenden Ergebnissen: Bei dreizehn Patienten schrumpfte der Tumor um mehr als 50 %, während er bei drei anderen beträchtlich schrumpfte, jedoch um weniger als 50 %. Dann unterbreitete er Dr. Robert Burdick von der Universität Washington siebzehn weitere Fälle zur Auswertung. Resultat: Bei fast der Hälfte von ihnen war es zu einer kompletten Heilung gekommen. Diese Ergebnisse wurden bei Hirntumoren erzielt, die fast immer schnell wachsen und tödlich verlaufen. Man stellte fest, dass die Antineoplastone sehr vielversprechend sind und viele Krebsarten auflösen. Aber sie sind immer noch kein „Wundermittel“, das sofort sämtliche Tumore zerstört. Burzynski hatte eine solche Behauptung auch niemals aufgestellt, obwohl ihm dies von Kritikern unterstellt wurde, die ihn als Quacksalber bezeichneten. Die FDA kritisierte auch häufig die Kosten für eine, wie sie sie nennt, „unbewiesene Krebstherapie“. Sie beklagte die „finanziellen Opfer für ein Mittel, dessen Wirksamkeit nicht nachgewiesen ist, und das nichts als falsche Hoffnungen erweckt“, Es stimmt zwar, dass die Therapie mit Antineoplastonen eine ziemlich teure Art von alternativer Heilmethode 267
ist. Sie kostet zwischen 3.000 und 9.000 Dollar pro Monat. Aber in den vielen Fällen, in denen sie wirksam ist, ist sie ein wirkliches „Schnäppchen“, denn die übliche Chemotherapie kann mehr als 10.000 Dollar pro Monat kosten. Diese Summe wird von denselben Versicherungsgesellschaften, die sich weigern, für die Ansprüche der Patienten von Burzynski aufzukommen, bereitwillig übernommen. Der Wirkstoff TPA, der von der kalifornischen Firma Genentech hergestellt und für die Beseitigung von Blutgerinseln eingesetzt wird, kostet pro Injektion 2.000 Dollar. Wenn sich die Versicherungsgesellschaften weigern, für Antineoplastone zu bezahlen, tragen die Patienten von Burzynski die finanziellen Lasten ganz allein. Einige von ihnen müssen Verwandte, Kollegen und Nachbarn um Unterstützung bitten. Obwohl Burzynski manchmal Patienten umsonst behandelt, müssen die meisten doch für ihre Behandlung bezahlen. Er braucht eine Menge Geld, um eine moderne Klinik mit Dutzenden von Mitarbeitern, einer chemischen Produktionsanlage mit mehr als fünfzig Mitarbeitern und eine Belegschaft, von der mehr als zwei Dutzend Personen einen Doktortitel haben, zu unterhalten. Dann wäre da noch die Sache mit den Doppelblinduntersuchungen. „Sie sind die einzige Methode, mit der die Wirksamkeit eines Medikaments festgestellt werden kann“, sagte Dr. Jarvis vom National Council Against Health Fraud. Aber selbst Burzynskis härteste Kritiker würden niemals auf den Gedanken kommen, Doppelblinduntersuchungen an Krebspatienten im fortgeschrittenen Stadium durchzuführen. Das würde ja bedeuten, dass man der Hälfte einer Gruppe ein Placebo irgendwelcher Art verabreicht. „Das kann ich einfach nicht tun“, sagte Burzynski. „Denn wenn ich das täte, würde ich die Hälfte der Leute, die mich um Hilfe bitten, zum Tode verurteilen.“ Statt Doppelblinduntersuchungen durchzuführen, testen Krebsforscher neue Krebsmittel häufig an Patienten, die bereits jede andere etablierte Form der Behandlung hinter sich haben. Aber dies kann den Versuch mit einem neuen Medikament, wie zum Beispiel den Antineoplastonen, auf zweierlei Art und Weise beeinflussen. Zuerst einmal sind Patienten, 268
bei denen andere Formen der Therapie nicht geholfen haben, häufig so geschwächt, dass ihnen nichts mehr helfen kann. Die Nebenwirkungen der hochgiftigen Chemotherapie und Bestrahlung kann einem bereits geschwächten Körper praktisch den Rest geben. Wenn Patienten sterben, nachdem sie es als letzte Möglichkeit mit Antineoplastonen versucht haben, sind die Kritiker sehr schnell dabei, dies als einen Misserfolg dieser Therapie hinzustellen. Außerdem hat die Strahlenbehandlung sehr häufig Spätfolgen. Bei Patienten, die zu dem Zeitpunkt, da sie ihnen verabreicht wird, anscheinend nicht auf eine Strahlenbehandlung reagieren, kann diese noch Wochen oder Monate später ziemlich negative Folgen haben. So haben einige Onkologen behauptet, dass Patienten, die nicht auf die Strahlentherapie reagierten, und deren Zustand sich erst verbesserte, nachdem sie Dr. Burzynski aufgesucht hatten, eigentlich von den verspäteten Wirkungen dieser Strahlentherapie profitiert haben. Burzynski hat überzeugende Antworten auf praktisch jedes wissenschaftliche und medizinische Argument, das gegen ihn vorgebracht wird. Ob man sich persönlich seiner Meinung oder der seiner Gegner anschließt, ist letztlich immer eine Sache der Einstellung. Postskriptum, Frühjahr 2000 Viele Jahre lang war Saul Greens Artikel im JAMA das wichtigste Argument, das die FDA und viele Onkologen dazu benutzten, um Patienten davon abzubringen, sich von Dr. Burzynski behandeln zu lassen. Das meiste von dem, was Green behauptet, ist bereits durch die erste Ausgabe dieses Buches widerlegt worden. Ein Wissenschaftler, dessen Brief er zitiert, beweist jedoch mehr als jeder andere, dass die Behauptungen, die er in seinem Artikel aufstellt, vollkommen haltlos sind. Der Wissenschaftler heißt Dr. Hideaki Tsuda, ein japanischer Krebsforscher, dessen Brief Green so zitierte, dass sich daraus praktisch das Gegenteil von dem ergab, was Dr. Tsuda in Wirklichkeit gesagt hatte. Nachdem ich durch dieses Buch Greens Artikel gründlich widerlegt hatte, unternahm Tsuda selbst einen Schritt, mit dem er nachzuweisen versuchte, dass die Antineoplastone gegen viele Krebsarten wirksam sind. 269
Er übersetzte die erste Ausgabe dieses Buches ins Japanische und ließ es durch den japanischen Verlag Aoki Shoten in Tokio veröffentlichen. Die japanische Ausgabe erschien im September 1999. „Wenn das nicht beweist, wie gründlich meine Einstellung gegenüber den Antineoplastonen missverstanden wurde, dann weiß ich auch nicht“, sagte Tsuda. Da der Artikel von Green nun gründlich diskreditiert war, brauchten die Publizisten der FDA und die etablierten Krebsmediziner ein neues, etwas glaubhafteres Argument, mit dem sie jene, die sich nach Burzynski erkundigten, abschrecken konnten. Im September 1998 wurde es ihnen vom Cancer Letter geliefert. Dieses Informationsblatt veröffentlichte eine Sonderausgabe mit einem angeblich neutralen Bericht über die Arbeit Burzynskis. Dieser enthielt eine Analyse des Jahresberichts über seine klinischen Versuche, die Burzynski bei der FDA eingereicht hatte. Der Herausgeber des Cancer Letters, Paul Goldberg, bemühte sich um Fairness und führte ein ausführliches Interview mit Burzynski, bevor er den Jahresbericht drei prominenten Onkologen unterbreitete: Dr. Howard Ozer, Leiter des Krebszentrums an der Allegheny University in Philadelphia; Dr. Henry Friedman, Professor für Pädiatrie an der medizinischen Fakultät der Duke University und Dr. Peter Eisenberg, einem Onkologen, der eine Privatpraxis in Marin County in Kalifornien betreibt. Das Problem war nur, dass Goldberg sich offensichtlich nicht der Burzynski-feindlichen Tendenzen bewusst war, die in den Kreisen der konventionellen Krebstherapeuten herrscht. Die von Goldberg ausgewählten drei Ärzte kamen übereinstimmend zu verschiedenen Schlussfolgerungen, die die FDA bereitwillig an potentielle Interessenten weitergab, die sich bei ihr nach Burzynski und seiner Therapie erkundigten. Ihre wichtigsten Kritikpunkte waren, dass Burzynskis Versuchsanordnungen „schlecht geplant und die Daten nicht interpretierbar“ seien; dass die Antineoplastone äußerst giftig wären, und dass Burzynski die Kategorie „stabile Krankheit“ als Indikator für eine positive Reaktion auf seine Mittel verwenden würde. Der Cancer Letter berichtete ebenfalls, dass „die Prüfer nicht die Daten im Jahresbericht überprüft hätten. Sie bewerteten zuerst die Versuchsanordnung und 270
die Qualität der Daten. Sie kamen zu dem Schluss, dass die Untersuchungen so fehlerhaft wären, dass eine Überprüfung vollkommen sinnlos wäre“. Burzynski reagierte unverzüglich auf diese Kritiken. Seine Gegenargumente wurden auch im Cancer Letter veröffentlicht. Aber die FDA schickte diese nicht an einen einzigen potentiellen Interessenten. Burzynski hatte in seiner Replik unter anderem geschrieben: „Es mag für die Prüfer eine Überraschung sein, dass die Versuchsanordnung, die sie kritisieren, von Ärzten des Memorial Sloan-Kettering Cancer Center so aufgestellt und bei der Phase II der Untersuchungen der Antineoplastone durch das Nationale Krebsinstitut so verwendet wurde.“ Burzynski sagte also nichts anderes, als dass er die Versuchsanordnungen verwendet hatte, die für die vom NCI geförderten und fehlgeschlagenen klinischen Versuche konzipiert wurden, weil er wusste, dass fast alles, was er tat, von seinen Kritikern gründlich verrissen wird. Seine Kritiker griffen jetzt also einige ihrer prominenten Kollegen an, ohne dass sie sich dessen überhaupt bewusst waren. Burzynski sagte dazu: „Wenn unsere Versuchsanordnungen fehlerhaft sind, dann waren es auch die vom NCI und seinen ausgewählten Prüfern. Wir haben uns immer bemüht, uns nach den Standards des NCI zu richten.“ Burzynskis Antwort auf die Behauptung der Prüfer vom Cancer Letter, dass Antineoplastone giftig seien, war ebenfalls eine überzeugende Abfuhr. Ozer, Friedman und Eisenberg bemängelten übereinstimmend, dass viele der Patienten Burzynskis an Hypernatriämie litten, einem Übermaß an Natrium im Blut. Friedman schrieb: „Hypernatriämie bei Patienten mit Krebs außerhalb des Gehirns ist ein Problem, aber wenn man es mit einem Patienten mit einer Geschwulst im Gehirn zu tun hat ... dann bekommt man ein sehr viel größeres Problem wegen der Flüssigkeitsverschiebung, die dabei auftritt. Wenn man die Hypernatriämie behandelt, dann kann das zu einer signifikanten Schwellung des Tumors im Gehirn führen und letztendlich zum Tod des Patienten. Ein Patient mit Hypernatriämie muss mit extremer Vorsicht behandelt werden.
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Eine Hypernatriämie ist für Tumorpatienten doppelt gefährlich. Zuerst einmal ist die Hypernatriämie selbst sehr gefährlich. Und zweitens kann ein Patient, nachdem man die Hypernatriämie behandelt hat, ein zerebrales Ödem (Gehirnschwellung) bekommen. Wenn man einen Gehirnturm hat und dann auch noch ein zerebrales Ödem, dann nimmt das häufig einen tödlichen Ausgang. Burzynski erwiderte, dass eine „ernsthafte Hypernatriämie“ bei weniger als einem Prozent seiner Patienten auftritt. „Bei den anderen Patienten war die Hypernatriämie nur ein Laborergebnis ohne irgendwelche Veränderungen im Zustand des Patienten. Und sie konnte durch einfache Maßnahmen wie Hydrierung behoben werden“, sagte er. Burzynski spekulierte, dass sich die drei Prüfer möglicherweise auf die Hypernatriämie konzentriert haben könnten, denn auf Verlangen der FDA meldet er ihr selbst den geringsten Anstieg von Natrium im Blut. „Es ist übliche Standardpraxis [bei den Onkologen], dass bei klinischen Versuchen, bei der Chemotherapie angewandt wird, eine so geringe Veränderung normalerweise nicht gemeldet wird, weil sie keine klinische Bedeutung hat“, fügte Burzynski hinzu. „Studien mit Antineoplastonen haben gezeigt, dass das gesamte Natrium, das durch Antineoplaston verursacht wird, [fast immer] sehr schnell durch die Nieren wieder ausgeschieden wird.“ Burzynski sagte, dass eine ernsthafter Hypernatriämie bei nur zwei von 967 Patienten, die im Jahresbericht von 1997 aufgeführt wurden, nicht behoben werden konnte – die große Mehrheit der Patienten hatte damit keinerlei Probleme. Einer von den zwei starb an einem damit nicht in Zusammenhang stehenden Schlaganfall, bevor seine Hypernatriämie behandelt werden konnte, und der andere verweigerte eine Behandlung dieser Krankheit. Burzynski fügte hinzu, dass es bei ihm üblich sei, die Behandlung bei Patienten abzubrechen, bei denen der Gehalt von Natrium im Blut um einen Punkt steigt. „Bei praktisch all diesen Patienten ist der Natriumgehalt am nächsten Tag wieder normal“, sagte er. „Normalerweise müssen wir dafür keinerlei Behandlungsmaßnahmen einleiten. Wir bitten den Patienten lediglich, mehr Flüssigkeit zu sich zu nehmen.“ 272
Das Risiko einer Hypernatriämie ist eigentlich der Hauptgrund dafür, dass Burzynski darauf besteht, dass neue Patienten mindestens zehn Tage, normalerweise aber zwei Wochen, in der Nähe der Klinik wohnen, nachdem sie mit der Behandlung angefangen hatten. Neben den Anweisungen, die man den Patienten in Bezug auf die Handhabung und Wartung der Infusionspumpe erteilt, werden zahlreiche Bluttests durchgeführt, und täglich wird der Salzgehalt des Blutes überprüft. Bei ganz neuen Patienten werden diese Tests alle sieben Minuten durchgeführt. Die Mengen werden angepasst, bis jedes Problem ausgeräumt ist. Bevor die Patienten wieder entlassen werden, müssen sie sich wiederum zahlreichen Bluttests unterwerfen, deren Ergebnisse unverzüglich an Burzynski weitergegeben werden, der dann, falls es notwendig ist, die entsprechenden Änderungen an der Dosis vornimmt. Im Gegensatz zu den Befürchtungen von Dr. Friedman berichtete Burzynski, dass „ein zerebrales Ödem aufgrund der osmotischen Wirkungen der Mittel während der Behandlung normalerweise reduziert wird. Wenn die Patienten in der Behandlung sind, dann ist die Gefahr, dass sich ein zerebrales Ödem entwickelt, normalerweise geringer. Wenn wir die Behandlung unterbrechen, dann könnten sich zerebrale Ödeme entwickeln. Einige von ihnen haben möglicherweise einen Absetzeffekt. Bei solchen Patienten müssen wir manchmal auf andere Medikamente zurückgreifen, um das Ödem zu reduzieren. Aber etwa 98 % unserer Patienten weisen die Tendenz auf, mehr als die übliche Menge von Flüssigkeit auszuscheiden, und etwa 1,5 % zeigen die Tendenz, Flüssigkeit zurückzuhalten. Dies scheint vorteilhaft zu sein, denn viele Krebspatienten haben Probleme mit dem Zurückhalten von Flüssigkeit.“ Tatsächlich führen viele Patienten ein häufiges Urinieren als lästige Begleiterscheinung an, mit der sie sich während der Behandlung herumplagen müssen. Die Prüfer vom Cancer Lancet erhoben ebenfalls Einwände dagegen, dass Burzynski häufig eine stabile Krankheit als positive Reaktion anführte. Nach den Standards der FDA wird eine stabile Krankheit so definiert, dass sich die Größe des Tumors während der ersten sechs Mona273
te der Behandlung entweder nicht verändert oder um 49 % oder weniger reduziert. Natürlich reagieren die meisten Patienten mit einem vorher schnell wachsenden Tumor mit Erleichterung, wenn er einige Zeit nach Beginn der Behandlung nicht mehr wächst oder sogar kleiner wird, und halten diese Verbesserung für eine Reaktion auf die Behandlung. Dies reicht der FDA und den Prüfern vom Cancer Letter aber nicht aus. Ozer bemerkte dazu: „Ich bin überrascht, dass Dr. Burzynski eine stabile Krankheit für ein positives Ergebnis hält. Das widerspricht allen etablierten Versuchskriterien.“ Burzynski reagierte unverzüglich, indem er Berichte von klinischen Versuchen zitierte, die in drei verschiedenen Fachzeitschriften veröffentlicht wurden (Clinical Cancer Research, 1996; dem Journal of Neurosurgery, 1995, sowie Cancer, 1991), in denen eine stabile Krankheit als „objektive Reaktion“ bezeichnet wurde. Diese Versuche wurden von Ärzten in führenden Krebskliniken durchgeführt: Memorial SloanKettering in New York; M.D. Anderson in Houston; der Mayo Klinik in Rochester, Minnesota; dem John Hopkins in Baltimore; der University of California in San Francisco sowie der Duke University. Burzynski, der bemerkte, dass er noch viele andere Institutionen aufführen könnte, sagte, dass diese Institutionen zeigen, dass „in Fachartikeln, in denen klinische Versuche an Hirntumoren beschrieben werden, eine stabile Krankheit üblicherweise als objektive Reaktion bezeichnet wird“. Nachdem er die wichtigsten Kritikpunkte aus dem Cancer Letter widerlegt hatte, beschäftigte er sich auch mit zahlreichen kleineren Einwänden, die in dem umfangreichen Bericht erhoben worden waren. Hier einige Beispiele: Der Cancer Letter berichtetet, dass Ärzte, die die Folgebehandlung an den Patienten von Burzynski durchführen, nachdem diese wieder heimgekehrt sind, „keine Kenntnis von der Versuchsanordnung Burzynskis haben“. Burzynski sagte dazu: „Allen Ärzten werden Kopien der Versuchsanordnung ausgehändigt, die ihre Patienten betreffen.“ Der Cancer Letter zitiert eine Erklärung der FDA, derzufolge „Burzynski mehreren tausend Patienten Antineoplastone verabreicht hat, und in 274
den meisten Fällen dabei keine ausreichenden Informationen gesammelt hat, ob das Produkt sicher ist und tatsächlich wirkt“. Burzynski antwortete darauf: „Alle Informationen, die bei der Behandlung sämtlicher Patienten gesammelt werden, werden der FDA unterbreitet, um die Sicherheit und Wirksamkeit der Antineoplastone zu belegen. Da die FDA sich über Jahre hinweg geweigert hat, uns eine IND-Genehmigung zu erteilen, sind wir erst seit kurzem in der Lage, die detaillierten Informationen zu sammeln, die die Behörde von uns fordert.“ Die FDA weigert sich auch, präzise anzugeben, welche Beweise sie von Burzynski fordert, bevor sein Mittel die Genehmigung erhält. Der Cancer Letter zitiert Dr. Mark Malkin, den Forschungsleiter einer der abgebrochenen Versuche, die der NCI an den Antineoplastonen durchführen ließ: „Bei zwei … Patienten haben wir Schläfrigkeit und Anfälle beobachtet, als die Antineoplastone abgesetzt wurden. Bei zwei Patienten schienen als Folge der Therapie Ödeme aufgetaucht zu sein.“ Dazu sagte Burzynski: „Die Schläfrigkeit und die Anfälle bei diesen Patienten waren typische Symptome der Hirntumore, und nicht das Ergebnis der Behandlung mit den Antineoplastonen. Die Patienten mit den Ödemen hatten diese bereits, bevor mit der Behandlung mit den Antineoplastonen begonnen wurde. Unserer Erfahrung nach (die auf der Behandlung von tausenden von Patienten beruht) zeigen weniger als zwei Prozent der Patienten die Tendenz, Flüssigkeit zurückzuhalten.“ Der Cancer Letter zitiert Malkin, der über Hypernatriämie, der einzigen Krankheit, die von Ozer, Friedman und Eisenberg als Folge der giftigen Wirkung der Antineoplastone angeführt wurde, sagte: „Man kann sie nicht überwachen. Man kann nicht feststellen, wann sie beginnt, und man kann sie behandeln, wenn es notwendig ist.“ Burzynski sagte dazu: „Dr. Malkin, der im Auftrag des NCI im Sloan-Kettering die Antineoplastone untersuchte, hat darauf hingewiesen, dass eine Hypernatriämie normalerweise unbedeutend und problemlos zu behandeln ist.“ Der Cancer Letter berichtete, dass die Prüfer „die Daten im Jahresbericht nicht geprüft haben“. Diese Aussage bestätigt wieder einmal die Voreingenommenheit der Prüfer, die die vom Memorial Sloan-Kettering 275
Cancer Center konzipierte und vom NCI und der FDA genehmigte Versuchsanordnung kritisierten. Sie machten sich nicht einmal die Mühe, die Daten im Jahresbericht zu überprüfen, gaben aber dennoch ein negatives Gutachten ab. Da sie die Daten in Bezug auf die Behandlung nicht überprüften, ist ihr Urteil wissenschaftlich wertlos. Dr. Ozer schrieb, dass „Dr. Burzynski eine heterogene, nicht konkret definierte Patientengruppe untersucht. Er behandelt Patienten, die in seine Klinik kommen – und ausschließlich Patienten, die in seine Klinik kommen. Er ermittelt Daten danach, wo die Krankheit auftritt, gleichgültig, in welchem Stadium der Krankheit sich der Patient befindet und gleichgültig, welche Behandlung bei ihm durchgeführt wurde, bevor er in seine Klinik kam.“ Ohne auch nur die Tatsache zu erwähnen, dass Ozer hier eine banale Binsenweisheit kritisiert, nämlich dass er selbstverständlich nur die Patienten behandeln kann, die zu ihm in die Klinik kommen und logischerweise keine Patienten behandelt, die gar nicht erst bei ihm auftauchen, sagte Burzynski dazu: „Der Prüfer ignoriert die Tatsache, dass jede Versuchsanordnung entsprechend der Behandlung einer bestimmten Art von Krebs konzipiert wird. Bei den Versuchsanordnungen wird genau festgelegt, welches Krankheitsstadium für die Behandlung akzeptiert wird und welche vorherigen Behandlungen der Patient erhalten haben darf. Nur ein kleiner Teil der Patienten, die zu uns kommen, werden für klinische Versuche zugelassen. Die meisten werden nicht akzeptiert. Und das können wir beweisen.“ Dr. Ozer beklagte sich, dass er „Probleme in Bezug auf die Einhaltung der Versuchsordnung sehe. Bei den Versuchen ist vorgesehen, dass alle 90 Tage die Krankheitsentwicklung bei den Patienten ausgewertet wird. In einigen Fällen ist festzustellen, dass Dr. Burzynski diese Auswertung monatlich durchführt“. In anderen Worten beklagt sich Dr. Ozer darüber, dass Dr. Burzynski bei seiner Arbeit zu gründlich vorgeht. Burzynski sagte. „Bei meisten Versuchsanordnungen sieht man eine monatliche Auswertung vor. Bei anderen ist dies nur alle neunzig Tage vorgesehen.“
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Dr. Ozer schrieb: „Ich habe Patienten gesehen, die Reaktionen aufwiesen und dann aus der Studie ausstiegen. Das bedeutet doch wohl, dass sie in Bezug auf das Ergebnis der Studie nicht so positiv eingestellt sind wie Dr. Burzynski.“ Burzynski: „Einige der Patienten fühlten sich so gut, dass sie sich dazu entschieden, die Behandlung früher abzubrechen, als ich es für richtig hielt. Ihr Tumor ist verschwunden, und sie glauben, dass es nicht notwendig sei, sich einer Nachbehandlung zu unterziehen. Wir können Ihnen die Namen und Telefonnummern dieser Patienten sowie die Namen ihrer Hausärzte unterbreiten.“ Dies sind nur wenige Kritikpunkte, zu denen Burzynski Stellung nahm, aber sie zeigen doch deutlich, dass die Argumente der Prüfer vom Cancer Letter ziemlich fadenscheinig und unlogisch sind. Alle drei Prüfer gaben zu, dass sie Burzynskis Daten nicht ausgewertet haben. Aber dann versuchen doch alle, eben diese Daten zu zerpflücken. Wichtiger als alles, was dieses Gremium so von sich gab, war wahrscheinlich die Aussagen von Dr. Dieter Schellinger, Leiter der Neuroradiologischen Abteilung des Georgetown University Hospitals in Washington D.C., der häufig Kernspintomographien von Patienten überprüft, die Burzynski als Reaktionen klassifiziert. Schellinger sagte gegenüber dem Cancer Letter: „Ich weiß ziemlich wenig über das Mittel, das Burzynski verwendet. Ich schaue mir lediglich Röntgenbilder an.“ Diese Röntgenbilder, die durch keinerlei Politik beeinflusst werden können, zeigen, dass: „... die Mehrheit der Fälle, die ich überprüft habe, mit Burzynskis Aussagen übereinstimmen. In einigen Fällen habe ich sie noch höher eingeschätzt als er selbst“, sagte Schellinger. Patienten, die die FDA während der letzten Jahre um Informationen über Burzynski baten, hörten weder die Aussagen Schellingers noch die Antworten, die Burzynski auf jede Kritik gab, die im Cancer Letter gegen ihn vorgebracht wurde. Man kann aus diesem Verhalten nur den Schluss ziehen, dass die FDA davor zurückschreckt, den Patienten das mitzuteilen, was sie selbst über Burzynski weiß. Der Grund dafür mag sein, dass jeder, der darüber informiert ist, viele der Maßnahmen der FDA während der letzten zwanzig Jahre zwangsläufig in Frage stellen muss. 277
DIE GESCHICHTE VON THOMAS WELLBORN
Wieder zurück in seinem geliebten Angelboot Mir wäre es egal, wenn Burzynski Fort Knox ausgeraubt oder den Papst erschossen hätte. Die Hauptsache ist, dass sein Mittel wirkt. - Virginia Wellborn im September 1996, nachdem zwei Kernspintomographien zeigten, dass der Hirntumor ihres Gatten vollkommen verschwunden war.
Thomas Wellborn war vollkommen gesund, bevor er sich 1989 pensionieren ließ und sich an dem grünen, mit Bäumen gesäumten Ufer des Pickwick-Sees in der Nähe von Florence in Alabama zurückzog. „Der See wimmelt von Kleinmaulbarschen, und ich wollte meine ganze Freizeit mit Angeln verbringen“, sagte Wellborn, der einen großen Teil seines Arbeitslebens damit verbrachte, als Fischereibiologe an der Mississippi State University in Starkville und an der Universität von Florida die Krankheiten von Welsen zu heilen. Thomas, der damals 62 Jahre alt war, angelte am Morgen des 17. Juni 1994 zusammen mit einem ehemaligen Studenten auf dem wunderschönen, von der Tennessee Valley Authority künstlich angelegten See, als sich sein Hirntumor zum ersten Mal bemerkbar machte. Tom sagte später, dass es schon vorher Anzeichen dafür gegeben hätte, dass mit ihm etwas nicht in Ordnung wäre. Er hatte einen großen Teil der Jahre 1990 und 1991 mit Reisen in Afrika und Ägypten verbracht, und gleich in der ersten Nacht, als er wieder daheim war, an einem hohen Fieber gelitten. „Wir dachten an all die Parasiten, denen ich in diesen Ländern ausgesetzt war“, sagte er. „Und wir hatten so ein komisches Gefühl dabei.“ Aber in der rund um die Uhr geöffneten Notfallklinik, die sie aufsuchten, konnte man nichts feststellen, also dachten Tom und Virginia Wellborn, dass sich die Sache wohl von allein erledigen würde. Aber sein 278
Fieber ging einfach nicht weg. Es ließ gelegentlich nach, aber während der nächsten zwei Jahre hatte Tom ständig leichtes Fieber, niemals über 39°C und niemals unter 37°C. „Ich war jeden Nachmittag total im Eimer, und ich hatte die ganze Zeit Muskelschmerzen“, sagte er. Erst später wurden er und Virginia, die Krankenschwester war, sich bewusst, dass das Fieber wahrscheinlich ein Symptom für eine ernstere Sache war. Aber das Fieber konnte Tom Wellborn nicht von seinem 6 m langen Angelboot fernhalten. An einem Tag im Juni stand er am Bug und bediente den Motor, als der erste Anfall ihn erwischte. Das, was er als nächstes mitbekam, war, dass er im Boot lag und keine Kontrolle mehr über seinen linken Arm und seine linke Gesichtshälfte hatte, die unkontrolliert zuckte. Speichel tropfte aus seinem Mund, und er war unfähig zu sprechen. „Ich konnte mich nicht mehr kontrollieren. Ich konnte nur noch dasitzen“, erinnerte er sich. „Ich dachte sofort, dass ich entweder einen Schlaganfall hätte oder einen Gehirntumor.“ Das dachte auch sein Angelpartner Terry Bates, ein Fischereibiologe, der für das Landwirtschaftsministerium arbeitete. „Wir hatten an dem Morgen schon eine Menge Fische gefangen. Ich saß hinten im Boot und Tom vorn. Plötzlich drehte er sich um, und ich sah ihn an. Er hockte sich hin und hielt seinen Kopf mit beiden Händen. Speichel tropfte aus seinem Mund. Er fragte mich sofort, was mit ihm los sei. Ich war ziemlich erschreckt und wollte sofort ans Ufer zurück, aber er wollte unbedingt weiter angeln, also blieben wir noch etwa eine Stunde auf dem See. Ich persönlich dachte, dass er wahrscheinlich einen Schlaganfall hatte.“ Tom verlor nicht das Bewusstsein und erholte sich sehr schnell wieder. Innerhalb von fünf Minuten fühlte er sich wieder ganz wohl. „Ich wollte wirklich noch ein wenig angeln“, sagte er. „Vielleicht dachte ein Teil von mir, dass es möglicherweise sehr lange dauern würde, bis ich wieder in einem Angelboot sitzen würde.“ Für mehr als zwei Jahre sollte dies sein letzter Angelausflug gewesen sein. „Er tat das, was mit ihm passiert war, ein wenig leichtfertig ab“, 279
erinnerte sich seine Frau. „Ich dachte, dass er vielleicht einen leichten Schlaganfall hätte, und ich sagte ihm, dass er zum Arzt gehen sollte.“ Sie sagte ihm zu der Zeit nichts, aber als Krankenschwester wusste Virginia Wellborn, dass solche Anfälle häufig bei Opfern von Hirntumoren auftreten. Zwei Tage später war Tom immer noch nicht zum Arzt gegangen. Eigentlich plante er bereits seinen nächsten Angelausflug. Er stand um 4 Uhr morgens auf, um wieder hinauszufahren. Plötzlich bekam er einen weiteren Anfall. „Er drehte sich in unserem Schlafzimmer um und schaltete das Licht an. Dann zeigte er auf sein Gesicht, das unkontrolliert zuckte“, sagte Virginia. „Ich wusste sofort, dass es ein Anfall war. Nach fünf Minuten war er wieder vorbei.“ Aber dieses Mal ging er zum Arzt, nicht zum Angeln. Zuerst wollten die Ärzte in der ambulanten Klinik ihn überhaupt nicht untersuchen. „Sie nahmen meine Beschreibung überhaupt nicht ernst“, sagte Virginia, die früher als Operationsschwester im angesehenen Emory University Hospital in Atlanta gearbeitet hatte. „Sie sagten mir ständig, dass ich ihn wiederbringen sollte, und sie hörten mir überhaupt nicht zu, als ich ihnen sagte, dass diese Anfälle nicht vorhersehbar wären und nicht lange genug anhalten würden, um ihn schnell genug in die Klinik zu bringen, während sie noch andauerten.“ Schließlich konnte sie sich bei einem Arzt in der Notaufnahme durchsetzen, der Tom an einen Neurologen verwies. Als der Arzt kein offensichtliches Problem feststellen konnte, schlug er vor, eine Kernspintomographie von Toms Kopf zu machen. Sie ergab einen Tumor von der Größe eines Vierteldollarstücks im linken primären Motorkortex in Toms Gehirn. Dieser Bereich kontrolliert die Bewegung der linken Gesichtshälfte. „Ich hoffte wider alle Vernunft, dass die Tomographie kein Ergebnis zeigen würde, und dass ich lediglich einen Schlaganfall hatte“, erinnerte sich Tom zwei Jahre später. „Aber ich dachte, dass es höchstwahrscheinlich ein Tumor wäre. Ich hoffte nur, dass er gutartig wäre und keine große Bedeutung haben würde. Aber ich dachte, dass das auch ein 280
Todesurteil für mich bedeuten könnte. Und ohne Dr. Stanislaw Burzynski wäre es auch genau das gewesen.“ „Ich fühlte mich ebenso wie Tom“, erinnerte sich seine Frau. „Ich hatte so einige Erfahrungen als Operationsschwester in der Neurologie in Jackson, Mississippi, und ich arbeitete auf der Postoperationsstation der Neurochirurgie in Emory. Und ich habe auch in einem Sterbehospiz für Patienten mit Gehirntumor gearbeitet. Also hatte ich das Gefühl, dass die Prognose nicht sehr positiv war.“ Die Wellborns waren entschlossen, alles zu tun, was sie konnten, gleichgültig, was es kostete, wenn es nur eine Chance gäbe, Toms Leben zu retten. Ihre nächste Anlaufstelle war das Baptist Memorial Hospital in Memphis, Tennessee, etwa 140 Meilen nordwestlich ihres Seniorenheims. Ihr Neurologe in Alabama hatte sie vorgeschlagen. Sie wäre das nächste Zentrum, in dem man eine zuverlässige Biopsie durchführen würde. Die Wellborns mussten sich fast einen Monat gedulden, bis endlich die Explorationsoperation durchgeführt wurde. „Viele Leute waren damals in Urlaub, deshalb war es schwierig, einen Termin zu bekommen“, sagte Tom. „Wir mussten vier Wochen warten, bis zum 31. Juli 1994, bis wir endlich drankamen.“ Dann wurde die Biopsie durchgeführt, vermittels einer Nadel, die durch ein Loch eingeführt wurde, das man in Toms Schädel gebohrt hatte. Das Ergebnis war alles andere als beruhigend. „Die Diagnose lautete: Astrozytom der Stufe 2“, sagte Tom. Dr. Clarence Wattridge, der die Operation durchgeführt hatte, riet sofort zu einer Chemotherapie und Bestrahlung, obwohl eine Chemotherapie bei Hirntumoren selten etwas bewirkt. Er sagte, dass eine Operation wegen der Lage des Tumors nicht in Frage käme. Eine Operation würde höchstwahrscheinlich bedeuten, dass Tom für immer gelähmt bleiben würde. Das wurde später durch einen Onkologen in Nashville bestätigt, der sich auf Operationen mit gezielten Gammastrahlen spezialisiert hatte. Wattridge machte den Wellborns keine falschen Hoffnungen. Toms Tumor, sagte er, wäre sehr schwer zu behandeln. „Alle Hirntumore sind schwer zu behandeln“, betonte er. Und er sagte Tom, dass es an der Zeit wäre, „seine persönlichen Angelegenheiten in Ordnung zu bringen“. 281
„Ich dachte, dass ich bald Witwe sein würde“, gab Virginia zu. „Unsere vier Kinder waren ganz außer sich. Zwei von ihnen waren während der Biopsie mit uns im Krankenhaus.“ Tom war etwas gelassener. „Der Gedanke, möglicherweise sterben zu müssen, störte mich nicht sehr. Ich machte mir nur ein wenig Sorgen um meine Familie“, sagte er. „Der Gedanke, dass ich meine drei Enkelkinder nicht mehr aufwachsen sehen würde, war doch schon sehr belastend für mich.“ Tom bestand darauf, dass man sagte, wie seine Chance aussahen. Und sie sahen nicht sehr gut aus. „Die Ärzte in Memphis sagten mir, dass mir nur noch etwa zwei Monate bis ein Jahr bleiben würden, falls die Behandlung nicht klappen würde, und noch etwa zwei bis fünf Jahre, falls sie funktionierte.“ Falls er an dem Tumor sterben würde, würde er wahrscheinlich zuerst gelähmt werden, dann Schwierigkeiten beim Schlucken und Sprechen bekommen, und zuletzt würde ihm das Atmen unmöglich werden. Die Wellborns, die total niedergeschlagen waren, kehrten ins KernspinDiagnosezentrum nach Florence zurück, um mit der Behandlung anzufangen, die von dem dortigen Onkologen Dr. J. Patrick Daugherty geleitet wurde. Er schickte Tom in eine Klinik nach Decatur in Alabama, etwa 35 Meilen entfernt. Dort sollte er sieben Wochen lang täglich bestrahlt werden. Insgesamt erhielt Tom 5970 RAD. Gleichzeitig machte er eine intensive Chemotherapie durch, die zum Teil aus hohen Dosen der Medikamente Vincristin und Procarbazin bestand. „Ich fühlte mich immer sehr schlecht nach der Einnahme von diesem Zeug“, erinnerte sich Tom. „Meine Füße und meine Arme juckten, während ich es einnahm, und das ging noch eine ganze Weile danach so weiter. Ich hatte ein stark brennendes Gefühl, wenn mir das Vincristin durch die Infusion eingeflößt wurde.“ Nervenschäden sind häufige Nebenwirkungen der Chemotherapie, und Tom glaubt, dass sie die Ursache des Kribbelns gewesen sei. Er hatte bereits die volle Strahlungsbehandlung hinter sich sowie fünf der sechs geplanten wöchentlichen Chemotherapie-Sitzungen, als Daug282
herty die Behandlung unterbrach, nachdem im März 1995 eine zweite Kernspintomographie durchgeführt worden war. „Ich hatte während dieser Zeit einen weiteren Anfall, also dachte Daugherty, dass etwas nicht stimmen würde. Er wollte das genau überprüfen“, erklärte Tom. „Dieses Mal war der Tumor etwa auf die Größe einer Aprikose angewachsen. Er befand sich also jetzt in Stufe 3.“ Die konventionelle Therapie hatte offensichtlich nicht funktioniert, also unterbrach Daugherty die Behandlung. „Im Moment konnte niemand sagen, wie die Alternative aussehen würde“, sagte Tom. „Ich war praktisch abgeschrieben. Daugherty sagte zwar, dass er versuchen würde, eine andere Art experimenteller Behandlung zu finden, aber anscheinend fand er keine.“ Etwa um diese Zeit sah Virginia Wellborn einen kurzen Bericht über Burzynski und seine Antineoplaston-Therapie in den Abendnachrichten auf CBS. „Die Patienten, die man interviewte, machten wirklich einen intelligenten Eindruck“, bemerkte sie. „Ich merkte, dass sie wirklich ehrlich und aufrichtig waren. Natürlich dachte ich, dass der Mann auch möglicherweise ein Quacksalber sein könnte, und dass wir nach Houston fahren und jeden Cent ausgeben könnten, den wir hatten, ohne dass es Tom irgendwie helfen würde.“ Das Paar frage Daugherty um Rat. Sie baten den Onkologen, Burzynski anzurufen, was er auch tat. Burzynski schickte Daugherty einen Packen wissenschaftlicher Unterlagen. Er las sie und kam zu dem Schluss, dass die Sache sehr plausibel wäre. Sein Hauptsorge war aber, dass Burzynski ein lukratives Betrugsunternehmen leiten könnte. Er riet den Wellborns: „Sie haben nichts zu verlieren außer etwas Geld. Also versuchen Sie es einfach mal.“ Die Wellborns kamen am 4. Mai 1995 in der Klinik von Burzynski an. „Mein erster Eindruck war sehr positiv“, erinnerte sich Virginia Wellborn. „Im Wartezimmer herrschte eine fast familiäre Stimmung. Alle redeten miteinander und verglichen irgendwelche Notizen. Es war natürlich auch sehr professionell, aber die Stimmung war sehr viel freundlicher als in den meisten anderen Arztpraxen.“ 283
Burzynski war sehr sachlich. „Ich denke, dass ich Ihnen helfen kann“, sagte er Wellborn, gab ihm aber keine konkrete Zusage. „Ich habe mit dieser Art von Tumor bereits gute Resultate erzielt.“ Die wichtigste Frage, die die Wellborns hatten, war: Würde Tom möglicherweise ein Placebo erhalten oder die Antineoplastone? „Hier bekommt jeder die richtige Medizin“, antwortete Burzynski. Er schlug vor, dass Tom die Behandlung zwei Monate lang ausprobieren und dann eine weitere Kernspintomographie machen sollte. „Wenn die Ergebnisse positiv sind, dann können wir weitermachen. Falls nicht, werden wir die Behandlung abbrechen.“ Als Nächstes besuchten die Wellborns einen Gefäßchirurgen, der Tom einen Hickman-Katheder in die Brust einsetzte. Ein Ende wurde direkt mit der Schlüsselbeinvene verbunden, und durch das andere konnte das Mittel direkt in den Blutstrom eingeleitet werden. Am folgenden Morgen kehrte das Paar in die Klinik von Burzynski zurück, erwarb dort eine Pumpe und fing sofort an, sich im Gebrauch dieser Pumpe zu üben. Der Preis: 5.000 Dollar für eine neue Pumpe und 13.000 Dollar im Voraus für die Anleitung, das Training und die ersten beiden Monate der Behandlung. Für keine dieser Kosten kam die Krankenkasse auf. Insgesamt verbrachten die beiden zehn Tage in Houston. Sie wohnten in einem Motel, während Burzynskis Mitarbeiter Toms Reaktion auf die Antineoplastone beobachteten. Dann fuhren sie wieder heim, wo Tom 24 Stunden pro Tag an die Pumpe angeschlossen blieb. „Zum größten Teil war die Behandlung nicht im mindesten unangenehm“, berichtete Tom. „Natürlich tat es hinten ein bisschen weh, wenn ich die Pumpe herumtragen musste, und es war unbequem, damit zu schlafen. Nicht, dass es Schmerzen bereitete, aber es war schon ein wenig lästig, weil ich mich im Bett jetzt nicht mehr herumwälzen konnte.“ Nach zwei Monaten wurde in Florence eine weitere Kernspintomographie durchgeführt. Der Tumor war immer noch da, aber die Tomographie zeigte, dass er nicht mehr so groß war wie vorher. Seit Beginn der Behandlung mit den Antineoplastonen war er nicht mehr gewachsen. 284
„Es gibt kein Anzeichen für akute hyperfundierte Segmente oder neue Massen“, stand in dem formellen Bericht. „Ich fühlte mich etwas erleichtert und war vorsichtig optimistisch, als ich das hörte“, erinnerte sich Tom. „Bis jetzt hatte nichts anderes gewirkt, und jetzt war ich wenigstens nicht schlimmer dran als vorher.“ Der Onkologe Daugherty, der die Kernspintomographie und den Bericht überprüfte, wiederholte noch einmal seine Bemerkung, dass „Sie nichts zu verlieren haben, wenn Sie weitermachen“. Also blieb Tom bei der Behandlung und fuhr alle zwei Monate für zwei Tage nach Houston, um sich untersuchen zu lassen und einen neuen Vorrat an Antineoplastonen zu besorgen. Unterwegs machte das Paar Zwischenstation im Haus einer seiner Töchter in Mississippi. „Ich habe einmal versucht zu angeln, während ich immer noch an diese Pumpe angeschlossen war“, sagte Tom. „Aber es fiel mir schwer, das Ding durch die Gegend zu schleppen. Ich hatte enorme Schwierigkeiten, mein Boot wieder auf den Anhänger zu kriegen. Ich versuchte es und war einfach zu schwach. Meine Knie zitterten, und schließlich fiel ich hin.“ Während der Bestrahlung und der Chemotherapie verlor Tom etwa 27 von seinen fast 100 kg Gewicht. „Ich wog nur noch 70 kg. Soviel hatte ich das letzte Mal vor vierzig Jahren gewogen, als ich Virginia traf“, sagte er. „Ich war total müde, sowohl während der konventionellen Therapie als auch bei der intravenösen Behandlung bei Burzynski. Das überraschte mich nicht sehr. Er hatte mir vorher gesagt, dass die Antineoplastone mich müde und durstig machen würden, dass das aber schnell wieder vorbeigehen würde.“ Während der Behandlung litt er auch unter Magnesiummangel. Auch darauf hatte Burzynski ihn vorbereitet. Das wurde durch entsprechende Nahrungsergänzungsmittel ausgeglichen. Tom machte eine weitere einmonatige Behandlung mit, bevor wieder eine Kernspintomographie durchgeführt wurde. Diese Tomographie, die im August 1995 durchgeführt wurde, zeigte, dass der Tumor geschrumpft war. „Ich war überglücklich“, erinnerte er sich. „Es war fast so, als ob jemand mein Todesurteil widerrufen hätte. Ich hatte schon 285
vermutet, dass die Behandlung erfolgreich wäre, weil ich keine Anfälle mehr bekommen hatte, sobald sich der Tumor stabilisiert hatte. Aber jetzt hatte ich den konkreten Beweis. Und auch Dr. Daugherty war darüber erfreut. Seine Skepsis ließ allmählich nach. Burzynski sagte nur: „Machen wir einfach mit der Behandlung weiter. Ich glaube, Sie werden weitere Fortschritte machen.“ Also fuhren die Wellborns bis Anfang 1996 weiterhin alle zwei Monate durch den ganzen Süden, weil die gesetzlichen Vorschriften es Burzynski untersagten, die Antineoplastone außerhalb des Staates Texas zu vertreiben. Tom ließ auch seinen Kopf alle acht bis neun Wochen röntgen. Und am 20. Dezember 1995 ergab eine Kernspintomographie, dass Toms Tumor vollkommen verschwunden war. Im offiziellen Bericht stand: „Ein Vergleich mit der Untersuchung vom 2. Oktober hat ergeben, dass eine weitere Kontraktion der kleinen zerebralen Läsionen in der rechten Gehirnhälfte stattgefunden hat, wobei nur ein geringer, mit Flüssigkeit gefüllter Hohlraum im rechten periventrikulären Marklager verbleibt.“ Tom sagte dazu: „Jetzt gab es keinen Zweifel mehr, dass diese Therapie mir half.“ Selbst der Onkologe Daugherty war davon überzeugt. „Obwohl ich nicht in der Lage bin, Dr. Burzynskis Arbeit zu beurteilen, kann ich mir doch ein Urteil über die Entwicklung von Dr. Wellborn erlauben, schrieb Daugherty in einem Brief vom Februar 1996. „Es gibt für mich überhaupt keinen Zweifel, dass er von den Infusionen profitiert hat, die er unter der Anleitung von Dr. Burzynski bekam. Die Röntgenbilder bestätigen dies ebenfalls, wie es in meinen Behandlungsnotizen aufgezeichnet ist.“ Monate später sagte er: „Es gibt überhaupt keinen Zweifel, und jede Analyse hat ergeben, dass Toms Tumor sich entwickelte. Aber die Röntgenbilder, die angefertigt wurden, seit er bei Dr. Burzynski in Behandlung ist, sprechen für sich. Die Leute, die daran glauben, werden sagen, dass er auf die Behandlung angesprochen hätte. Andere werden behaupten, dass es die Spätwirkungen der Bestrahlung war, die er vorher 286
erhalten hat. Ich glaube aber, dass das sehr unwahrscheinlich ist. Es ist sehr schwer, diese Ergebnisse anzuzweifeln, und ich persönlich bin sehr glücklich darüber. Und ich habe einen weiteren Patienten mit einem Lymphom kennengelernt, der ebenfalls bei Dr. Burzynski in Behandlung war. Ich weiß, dass man das lediglich als Anekdote bezeichnen wird, aber spontane Remissionen sind extrem selten. Sie treten in weniger als 5 % aller Fälle auf, wahrscheinlich sogar in weniger als 1 %.“ Aber es ergab sich ein neues Problem, als Tom sich in den letzten Phasen seiner intravenösen Antineoplaston-Behandlung befand. Burzynski wurde im November 1995 angeklagt, weil er in Fällen wie dem von Tom ein nicht genehmigtes Medikament außerhalb der Staatsgrenzen vertrieben hatte. Außerdem warf man ihm Versicherungsbetrug in dutzenden von Fällen vor. Die Bundesstaatsanwälte in Houston baten den US-Bezirksrichter Simeon T. Lake, Burzynskis Klinik zu schließen. Der Richter weigerte sich schließlich, diesem Antrag stattzugeben, aber er belegte die medizinische Arbeit Burzynskis doch mit einer Menge Auflagen, unter anderem mit der, dass die FDA über die Fortschritte jedes einzelnen Patienten, den Burzynski behandelte, unterrichten würde. „Wir hatten furchtbare Angst, dass Tom die Behandlung nicht abschließen könnte, weil die FDA irgendetwas unternehmen würde“, erinnerte sich Virginia. „Und wir waren sicher, dass sein Tumor wiederkommen würde, wenn er die Behandlung nicht abschließen könnte. Wir glaubten nicht, dass bereits sämtliche Krebszellen abgetötet worden waren, und Burzynski glaubte das auch nicht.“ Virginia schickte unverzüglich Protestbriefe an die Senatoren Phil Gramm aus Texas, Trent Lott aus Mississippi und Howell Heflin aus Alabama. Den Brief an Heflin brachte sie sogar persönlich in sein Bezirksbüro im nahen Alabama. „Alle außer Trent Lott ignorierten meine Briefe“, sagte Virginia. „Lott sagte, dass er zwar Sympathien mit uns hätte, dass er aber nicht in ein gerichtliches Verfahren eingreifen könnte.“ Virginia, die verzweifelt war, dass Tom möglicherweise seine Antineoplastone nicht mehr bekommen würde, und dann sein Tumor zurückkommen könnte, schrieb schließlich an Hillary Rodham Clinton. 287
Wieder erhielt sie keine Antwort. Wie sich herausstellte, hatte die FDA niemals Toms Behandlung abgebrochen. Während er auf seinen Prozess wartete, durfte Burzynski weiterhin die Patienten behandeln, die bei ihm bereits in Behandlung waren. Er erhielt sogar die Erlaubnis, seine Medikamente unter den Bedingungen der soeben für ihn ausgestellten IND-Genehmigung über die Staatsgrenzen hinaus in die Heimatorte der Patienten zu schicken. Tom konnte also auch sechs Monate, nachdem die Tomographie vom Dezember gezeigt hatte, dass er krebsfrei war, weiterhin mit der Behandlung fortfahren. Die einzige Bedingung war, dass er nun wöchentliche Bluttests durchführen lassen musste. „Das war für mich eine überflüssige und lästige Sache“, sagte er. „Am Anfang meiner Behandlung hatte Burzynski jede Woche Bluttests durchführen lassen, um meinen Elektrolythaushalt zu überprüfen. Die Ergebnisse wurden ihm dann zugefaxt. Er war sehr gründlich und reagierte unverzüglich, wenn es auch nur das kleinste Problem gab. Ich weiß also nicht, warum die FDA sich da einmischte.“ Eine weitere Kernspintomographie im April 1996 und noch eine im Juli 1996 zeigten beide, dass kein Tumor mehr vorhanden war. Und nach der Untersuchung im Juli wurde Tom endlich die Pumpe los, die er seit mehr als einem Jahr mit sich herumschleppen musste. „Burzynski ließ mir die Wahl, entweder noch drei weitere Monate am Tropf zu hängen oder auf die Kapseln umzusteigen und bis Januar 1997 dabei zu bleiben“, erinnerte sich Tom. „Ich entschied mich für die Pillen, damit ich mich freier bewegen konnte.“ Nach all den Behandlungen, die er durchmachen musste, sagte Tom im Herbst 1996, dass „ich das Leben jetzt wieder voll genieße. Ich bin so gesund wie früher, bevor diese Sache anfing, nur ein wenig leichter und ein wenig schwächer. Aber ich trainiere mir jetzt wieder Muskeln an. Ich hebe bereits wieder Gewichte. Ich habe damit angefangen, sobald ich die Pumpe loswurde. Und sobald der Katheder herausgenommen wird, gehe ich auch wieder angeln. Solange er noch drin ist, will ich kein Risiko eingehen, dass er möglicherweise reißt“. 288
Das Vorgehen der FDA gegen Burzynski 1995 und 1996 verfolgte Tom mit Erstaunen und Empörung. „Ohne ihn wäre ich jetzt zweifellos schon tot. Er war in allem, was er für mich tat, immer grundehrlich. Ich halte ihn für einen Pionier. Und ich glaube, dass die FDA kriminell ist, wenn sie Leuten, die in derselben Situation sind, wie ich es war und keine andere Hoffnung haben, die Antineoplastone vorenthält. Was sie tut, ist so, als ob sie den Kopf eines Ertrinkenden unter Wasser drückt. Ich kann verstehen, wenn man zuerst die konventionelle Therapie anwenden will. Aber ich kann es nicht verstehen, dass man Leuten, bei denen sie nicht geholfen hat, die Alternativen verweigert. Wenn nichts anderes, so können die Antineoplastone den Menschen zumindest Hoffnung geben. Mir haben sie ein neues Leben geschenkt.“ Postskriptum Houston, Mississippi, Mitte 2000 – Tom Wellborn ist seit fast zwei Jahren tot – aber der Hirntumor, den man bei ihm diagnostizierte, hat damit nichts zu tun. „Tom ließ etwa einen Monat vor seinem Tod im September 1998 eine Kernspintomographie durchführen. Und auf der war nichts zu sehen als ein wenig Narbengewebe“, erinnerte sich seine Frau Virginia. Ein Bericht über die Tomographie, der vom Strahlungsonkologen B.L. Sullivan aus Columbus in Mississippi am 25. August 1998 unterzeichnet wurde, bestätigt diese Aussage. Der Tod kam ganz plötzlich und ohne jede Vorwarnung am 22. September, weniger als einen Monat nach der Tomographie. „Wir waren zum Essen ausgegangen, und er hatte sich hinterher hingelegt, während ich noch in die Stadt ging, um ein paar frühe Weihnachtseinkäufe zu erledigen“, erinnerte sich Virginia. „Als ich zurückkam, fand ich ihn auf dem Boden der Küche. Es tut mir immer noch leid, dass ich in seinen letzten Minuten nicht bei ihm war.“ Es gab keinen Hinweis darauf, dass Toms Astrozytom zurückgekehrt war, und es wurde keine Autopsie durchgeführt. Die Wellborns waren aus ihrem Seniorenheim in Alabama in die Kleinstadt Houston in Mississippi gezogen, etwa 120 Meilen südöstlich von 289
Memphis in Tennessee, um in der Nähe ihrer Tochter Susan und ihrer Familie zu sein, nachdem Tom im Dezember einen Schlaganfall erlitten hatte. Davon hatte er sich nie mehr ganz erholt. Die Zeit seiner täglichen Angelausflüge war endgültig vorbei. Als Todesursache wurde offiziell Aspirationspneumonie angegeben. Niemand wird jemals mit Sicherheit wissen, ob die massive Bestrahlung, die er durchmachte, bevor er auf Antineoplastone umstieg, die Ursache dafür war. Aber diejenigen, die mit der Geschichte von Crystin Schiff vertraut sind, sind fest davon überzeugt. Burzynski sagte dazu: „Aufgrund der Umstände glaube ich, dass Mr. Wellborn wahrscheinlich an einem Schlaganfall und nicht an Pneumonie gestorben ist, wie es im Totenschein angegeben ist. Mr. Wellborn wurde sehr viel Strahlung ausgesetzt, bevor er zu uns kam, und das könnte seine Blutgefäße beeinflusst und ihn anfälliger für einen Schlaganfall gemacht haben.
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Kapitel 8 Die Zukunft: Die Antineoplastone werden zu einer konventionellen Therapie Es spielt keine Rolle, ob wir vor Gericht Recht bekommen oder nicht. Wir werden letztendlich gewinnen. Innerhalb der nächsten Jahre werden die Antineoplastone überall akzeptiert. - Dr. Stanislaw R. Burzynski, Februar 1997 (während die Geschworenen bei seinem Strafprozess in der Beratung waren).
Während seines erste Strafprozesses Anfang 1997 strahlte Dr. Stanislaw R. Burzynski einen starken Optimismus aus. Er wusste, was im Falle eines Schuldspruches in allen Anklagepunkten auf dem Spiel stand: 300 Jahre Gefängnis und ein wahrscheinliches Todesurteil für all seine Patienten. Und die Gewissheit, dass, falls man ihn einsperrte, jemand anders sich nicht nur sein Lebenswerk aneignen würde. Ihm selbst würde man jeden Verdienst absprechen. Dennoch blieb er die optimistischste Person im Gerichtssaal von Simeon T. Lake. Er begrüßte seine Patienten und andere Zuschauer jeden Tag mit einem herzlichen Lächeln, trockenen Witzen und einem persönlichen Handschlag. „Ich werde gewinnen. Sie können mich anklagen so oft sie wollen. Sie werden mich niemals besiegen.“ Nachdem er seine beiden Prozesse überstanden hatte, ging er seine nächste größe Aufgabe mit derselben positiven Einstellung an. Er wurde in praktisch jeder Zeitung heftig angegriffen, vom Journal of the American Medical Association bis zur New York Times. Aber er zweifelte nicht einen Augenblick daran, dass die Antineoplastone eines Tages nicht nur auf den Markt kommen, sondern zur Standardtherapie gegen viele Krebsarten werden würden. „Das ist das Nächste, was wir tun werden: uns um die Zulassung des 291
Mittels bemühen“, erklärte er. Natürlich würde jeder neue Antrag von derselben FDA bearbeitet werden, die Burzynski bereits seit 1983 schikanierte, und die anscheinend fest entschlossen war, den Krieg, den sie ihm bei dem ersten der vielen Prozesse erklärt hatte, unbarmherzig fortzuführen. Wie schwer sie es ihm machen wollte, eine allgemeine Anerkennung seines Mittels zu erreichen, wurde im September 1996 offensichtlich, als er noch auf seinen Prozess wartete. Zwischen seiner Anklage 1995 und seinem Prozess 1997 wurde Burzynski gestattet, seine Klinik weiter zu betreiben. Jedoch wurde ihm auferlegt, jeden einzelnen der Patienten, den er bereits behandelte, und jeden neuen Patienten entsprechend der von der FDA erteilten INDGenehmigung zu behandeln. Die Ironie bei dieser Genehmigung war, dass er nun plötzlich das tun durfte, wofür er sich demnächst vor Gericht verantworten musste und was er bisher immer tunlichst vermieden hatte. Ein Beamter dieser Behörde, der im Rahmen einer IND-Genehmigung ein Medikament prüft, hat das Recht, dieses Medikament an jeden Ort zu schicken. Nachdem er es fast zwanzig Jahre lang peinlich vermieden hatte, die Antineoplastone über die Staatsgrenze hinaus zu verschicken und von seinen Patienten verlangt hatte, nach Texas zu kommen, um sich neue Vorräte abzuholen, konnte Burzynski seine Medikamente jetzt überall hin verschicken – und das ganz legal. Die Patienten, die bereits bei ihm in Behandlung waren, wurden alle entsprechend derselben IND-Genehmigung behandelt, während er sozusagen noch auf Bewährung war. Der sogenannte CAN-1-Versuch war nur einer von 71 klinischen Versuchen, die Burzynski durchzuführen hatte, während er auf seinen Prozess wartete. Bei all seinen klinischen Versuchen war Burzynski verpflichtet, monatliche Fortschrittsberichte über jeden Patienten zu unterbreiten. Als weitere Bewährungsauflage war es ihm nicht gestattet, neue Patienten aufzunehmen, die nicht für eine seiner IND-Genehmigungen in Frage kamen. Da die FDA nur den Patienten gestattete, an den klinischen Versuchen teilzunehmen, für die keine konventionelle Behandlung zur Verfügung stand, konnte Burzynski jetzt nur noch neue Patienten aufnehmen, wenn bei ihnen mindestens 292
zwei Chemotherapien und Strahlungsbehandlungen fehlgeschlagen waren und auch sonst alle konventionellen Therapien ausgeschöpft worden waren. Das war für Burzynski immer sehr ärgerlich, denn er konnte sehen, dass fast alle neuen Patienten, die zu ihm kamen, bereits auf der Schwelle des Todes standen. „Das ist schrecklich. Sowohl für uns als auch für unsere Patienten. Unsere Patienten hätten eine viel größere Chance, wenn sie nicht durch eine vorherige Chemotherapie oder Strahlenbehandlung geschwächt wären“, sagte er. Aber er wurde niemals gezwungen, die Behandlung auch nur eines seiner Patienten einzustellen. Dieses Zugeständnis wurde ihm gemacht, weil Richter Lake mit einer Flut von Briefen ehemaliger Patienten überschwemmt wurde. Ein weiterer Grund war eine Reihe von Anhörungen. Der Leiter der FDA, David Kessler, wurde von einem Unterausschuss des House Commerce Committee vorgeladen. Mitglieder dieses Ausschusses hatten auch Dutzende von Patienten von Burzynski gehört, die alle aussagten, dass sie auf die weitere Behandlung dringend angewiesen seien. Die Dokumentation, die für den CAN-1-Versuch verlangt wurde, erbrachte schon bald den ersten statistischen Beweis, von dem Burzynski und seine Anhänger glaubten, dass er überzeugend genug wäre, um die Zulassung der Antineoplastone zu rechtfertigen. Dies würde sie aus der Kategorie der experimentellen oder alternativen Heilmittel herausheben und sie zu einem anerkannten Standardheilmittel machen. Von Beginn seiner juristischen Schwierigkeiten an war Burzynski davon überzeugt, dass dies letztendlich geschehen würde. Und dann würden die Antineoplastone die meisten Krebstherapien des 20. Jahrhunderts ersetzen. „Die alternative Medizin von vor hundert Jahren ist die etablierte Medizin von heute“, sagte er, und erinnerte daran, dass die Ärzte, die ihre Patienten zur Ader ließen und sie mit Blutegeln behandelten, die Medizin des 19. Jahrhunderts beherrschten. Heute sieht man diese Mediziner als zum Teil sadistische Quacksalber an. Ab dem Moment, da er damit begann, systematische Statistiken aufzustellen, um sie der FDA zu präsentieren, wurde es leichter, Burzynskis 293
Argumente zu belegen, obwohl die FDA konsequent damit fortfuhr, seine Studien abzuwerten. „Wir haben mit unseren klinischen Versuchen bisher spektakuläre Ergebnisse erzielt“, hieß es in einem Bericht von September 1996, den Dean Mouscher schrieb, Burzynskis Leiter für klinische Versuche. „Bei etwa 35 bis 40 % unserer Patienten konnten wir eine geradezu dramatische Reduktion der Tumorgröße verzeichnen. Bei vielen anderen kam es zu einer Stabilisierung der Krankheit. Und man sollte nicht vergessen, dass bei den meisten dieser Patienten die konventionelle Therapie völlig versagt hat. Man hatte ihnen gesagt, dass es keine Möglichkeit gäbe, ihren Tumor aufzuhalten.“ Während der nächsten Jahre ging es den Patienten, die am Versuch CAN-1 teilgenommen hatten, sehr gut. Bis zum Frühjahr 2000 konnte Burzynski berichten, dass von 35 Patienten mit Hirntumor, die an diesem Versuch teilgenommen hatten, es bei neun zu einer kompletten Heilung gekommen war. Bei acht war eine teilweise Remission zu verzeichnen – ihr Tumor war um mehr als 50% geschrumpft. Und bei elf weiteren hatte sich die Krankheit stabilisiert - ihr Tumor war entweder nicht gewachsen oder ein wenig geschrumpft, jedoch um weniger als 50%. Diese Rate von 48 % totaler oder teilweiser Heilung, zusammen mit den 32%, bei denen die Krankheit stabil blieb, bedeutete, dass die Antineoplastone das Fortschreiten der Krankheit in Richtung einer Lähmung und des anschließenden Todes bei 80% der Hirntumorpatienten, die er zu dem Zeitpunkt behandelt hatte, da er angeklagt wurde, aufgehalten hatte. All diese Patienten hatten mindestens vier weitere Jahre gewonnen, während andere Ärzte ihnen nur noch wenige Monate eingeräumt hatten. Ähnlich beeindruckende Zahlen erhielt Burzynski bei anderen klinischen Versuchen. Bis zum Frühjahr 2000 konnte Burzynski berichten, dass von den 36 Patienten, die an seinen Versuchen teilnahmen und die an dem Hirnstammgliom litten, das die Ärzte von Tori Moreno veranlasste, ihr einen baldigen Tod vorauszusagen (siehe Die „Geschichte von Tori Moreno“), fünfzehn innerhalb von weniger als drei Jahren (die meisten viel eher) entweder völlig oder zum Teil geheilt wurden und bei 294
zehn sich die Krankheit stabilisiert hatte. Bei einem weiteren Versuch, an dem zehn Kinder mit Astrozytomen teilnahmen verschlimmerte sich die Krankheit in keinem Fall. Alle anderen wiesen entweder eine völlige oder teilweise Remission auf, oder das Wachstum des Tumors wurde aufgehalten. Im Gegensatz dazu liegt die Chance, länger als fünf Jahre zu überleben bei der konventionellen Chemo- oder Bestrahlungstherapie bei 1 : 1000. Bei anderen Versuchen, besonders bei jenen, an denen Patienten mit Hirntumor teilnahmen, konnten ähnlich dramatische Resultate erzielt werden. Und trotzdem erteilte die FDA bis zum Sommer 2000 immer noch keine Genehmigung. Es spielte wohl keine Rolle, dass die Ergebnisse, die bei diesen neueren Versuchen erzielt wurden, zumindest einen der Einwände widerlegt hatten, die 1997 von Dr. Robert J. DeLap, dem Direktor der Abteilung für onkologische medizinische Produkte, geäußert worden waren. DeLap schrieb damals: „Die Beobachtungen, die in Ihrer klinischen Praxis oder bei dem CAN-1-Versuch gemacht wurden, können nicht als Grundlage für den Antrag auf die Zulassung eines neuen Medikaments verwendet werden, denn sie repräsentieren keine angemessene und ausreichend kontrollierte Untersuchung, wie sie in den Bestimmungen der FDA für einen Antrag festgelegt ist.“ Die Bedingungen für die Aufnahme neuer Patienten für die jüngsten Versuche waren natürlich viel strenger als die für den Versuch CAN-1, bei dem alle Patienten zugelassen worden waren, die bereits vor seiner Anklage behandelt worden waren, gleichgültig, welche Behandlungen sie mitgemacht hatten, bevor sie zu Burzynski kamen. Aber DeLap erklärte auch, dass „diese Behörde niemals Daten von einem einzelnen Forscher oder einer einzelnen Klinik als Grundlage für die Genehmigung eines neuen Medikaments zur Krebsbehandlung akzeptiert hat. Selbstverständlich müssen Ergebnisse in Bezug auf Sicherheit und Wirksamkeit eines neuen Medikaments von mehr als einem einzelnen Forscher wiederholt werden können“. Er fügte hinzu, dass „die von Präsident Bill Clinton und Vizepräsident Al Gore im März 295
1996 angekündigten Krebsinitiativen kein Gesetz und keine Bestimmung in Bezug auf die Genehmigung eines neuen Medikaments zur Krebsbehandlung außer Kraft setzen“. Diese letzte Bemerkung von DeLap widersprach ganz eindeutig dem Geist der Ankündigung von Clinton und Gore, mit denen man den Amerikanern versicherte, dass man Heilmittel gegen den Krebs schneller genehmigen würde. Seine Bemerkung widersprach auch der Aussage des damaligen FDA-Beauftragten Frank Young von 1989, der gesagt hatte, dass es von jetzt an die Politik der FDA sei, vielversprechende Krebsmedikamente zu genehmigen, wenn sie auch nur in zehn Fällen positive Resultate gezeigt hätten. Youngs Ankündigung wurde niemals zurückgenommen und blieb offizielle Geschäftspolitik der FDA während der gesamten Zeit, da Burzynski angeklagt wurde und seine Prozesse auszufechten hatte und in den Jahren danach. Aber die konsequent negative Haltung der FDA gegenüber Burzynski wurde niemals erklärt. Alle Versuche, von der FDA und ihren führenden Mitarbeitern eine Begründung für ihre gnadenlose Kampagne gegen die Antineoplastone zu bekommen, schlugen fehl. Einige der strengsten Kritiker der FDA unter den Patienten Burzynskis behaupteten von Anfang an, dass die Behörde eher daran interessiert wäre, die finanziellen Interessen der pharmazeutischen Industrie zu wahren als ein erfolgreiches Mittel gegen den Krebs zu finden. Die Pharmaindustrie macht regelmäßig Gewinne von Milliarden Dollar aus konventionellen Chemotherapien, und Krankenhäuser, Ärzte und die Hersteller medizinischer Geräte verdienen weiterhin Milliarden mit der Strahlungsbehandlung. DeLap und andere haben sich strikt geweigert, zu dieser Behauptung Stellung zu nehmen. Sie sagen, dass allein die Frage schon eine Beleidigung wäre und keine Antwort verdient. Aber in einer außergewöhnlich ehrlichen Erklärung gegenüber dem langjährigen Reporter von USA Today, Dennis Cauchon, die am 12. April 2000 in einem Artikel dieser Zeitung erschien, in dem es um die Weigerung der FDA ging, zu genehmigen, dass viel verwendete Medikamente nicht mehr verschreibungspflichtig wären, sondern über den 296
Ladentisch verkauft werden könnten, sagte DeLap: „Wir wollen nicht die Pharmaunternehmen fallenlassen“. Cauchon erklärte, dass DeLap zu bedenken gab, dass dies „der Forschung zur Herstellung neuer Medikamente schaden könnte“. Der wichtigste Prüfer der FDA – der Mann, der Zac McConnell die Antineoplastone zuerst untersagt und dann wieder erlaubt hatte, als der politische Wind sich drehte – gab zu, dass die finanziellen Interessen der Pharmaindustrie bei den Entscheidungen der FDA eine Rolle spielen. DeLap wies 1977 ebenfalls darauf hin, dass er niemals die Verpflichtung seines ehemaligen Chefs Young erfüllen würde, Medikamente zu genehmigen, die bei mindestens 10 Patienten positive Ergebnisse im Sinne der FDA gezeigt hätten. DeLap teilte Burzynski mit, dass es keine Rolle spielte, welche Ergebnisse er bei der Behandlung seiner Patienten erzielte, selbst wenn diese Patienten die von der FDA genehmigten IND-Genehmigungen erfüllen würden und jede konventionelle Behandlung bei ihnen fehlgeschlagen wäre. Zu dieser Zeit hatte Burzynski bereits an einer Zahl von Patienten positive Resultate erzielt, die die Zahl der von der FDA genehmigten klinischen Versuche um das Mehrfache überstieg (siehe Anhang: Patienten sämtlicher klinischer Versuche). Aber er war darauf angewiesen, dass andere Forscher die Ergebnisse, die er in seiner eigenen klinischen Praxis erzielt hatte, nicht nur bestätigten und sich dafür einsetzten, sondern diese auch bei ihren eigenen Patienten praktisch anwendeten. Burzynski musste Jahrelang zwei schwierige Aufgaben bewältigen, nämlich die Ergebnisse seiner Arbeit durch den üblichen Genehmigungsprozess schleusen und gleichzeitig seine Patienten behandeln. Deshalb erklärte er sich mit den ersten Versuchsanordnungen einverstanden und lieferte die Antineoplastone für die vom NCI genehmigten klinischen Versuche, die 1994 in der Mayo Klinik und dem Memorial Sloan-Kettering Krebszentrum begannen. Und deshalb lieferte er auch Jahrelang der von Dr. Hideaki Tsuda geleiteten Forschungsgruppe die Antineoplastone gratis. Tsuda verwendete die Antineoplastone, um unter anderem den Kanzler seiner Universität von dem Dickdarmkrebs zu 297
heilen, der sich bis in die Leber ausgebreitet hatte (siehe Anhang: Vorläufige Ergebnisse zweier Versuche in Japan). Aber jetzt behauptete die FDA auf einmal, dass das nicht ausreichte. Wenn Burzynski sich nicht an dieselben Verfahren für die Zulassung neuer Medikamente hielt wie die großen pharmazeutischen Unternehmen, deren Kosten für Forschung und Entwicklung üblicherweise 400 Millionen übersteigen, bevor ein Medikament auf den Markt gebracht wird, dann könnte er die Genehmigung seines Heilmittels vergessen. DeLap handelte in Übereinstimmung mit einer Aussage von Richard Crout, einem ehemaligen leitenden Mitarbeiter der FDA, der 1982 erklärt hatte, dass „ich niemals ein Medikament genehmigt habe, das eine einzelne Person hergestellt hat und es auch niemals tun werde. Ich genehmige ausschließlich Medikamente, die von großen pharmazeutischen Firmen mit unbegrenzten Ressourcen hergestellt wurden“. Die Botschaft, die die FDA kleinen Unternehmern wie Burzynski damit übermittelte, war also einfach und unmissverständlich: Entweder Sie übertragen sämtliche Rechte und Gewinne, die sich aus Ihren Erfindungen und Entdeckungen ergeben, an die großen Pharmaunternehmen, oder Sie werden niemals erleben, dass sie auf den Markt kommen und Menschenleben retten. Obwohl Burzynski praktisch allein war und ihm auch kaum ein anderer Wissenschaftler beistand, beugte er sich niemals diesem Diktat. Seine Weigerung, seine Patente und Rechte abzutreten, waren wahrscheinlich die Ursache fast all seiner juristischen Probleme. Burzynskis Kritiker werfen ihm häufig vor, dass er hunderte oder tausende von Menschen einfach sterben ließ, weil er außerhalb der etablierten wissenschaftlichen Verfahren arbeitete. Dabei ignorieren sie sowohl die negative Haltung der FDA gegenüber kleinen wissenschaftlichen Instituten als auch die dreizehn Jahre, die zwischen dem ersten Antrag Burzynskis auf die Zulassung seines neuen Medikaments und dem Zeitpunkt vergangen war, da Patienten und Politiker die FDA endlich dazu zwangen, ihm einige Dutzend Genehmigungen zu erteilen. Sein Status als Außenseiter, der häufig von medizinischen Zeitschriften heftig angegriffen wurde, machte es Burzynski auch praktisch unmög298
lich, Wissenschaftler zu finden, die bereit waren, mit ihm zu kooperieren. Eine der Bestimmungen der FDA sieht vor, dass, sobald ein Patient, dem ein neues Medikament verabreicht wird, das sich noch im Experimentierstadium befindet, heimkehrt, der Fortschritt und der allgemeine Gesundheitszustand dieses Patienten von einem ortsansässigen Arzt überwacht werden muss. Solche Ärzte werden in der entsprechenden Bestimmung als „Mitarbeiter“ bezeichnet. Alle von Burzynskis Patienten werden auf diese Art und Weise betreut, aber hunderte von Ärzten in allen Teilen der USA haben sich geweigert, weiterhin Patienten zu betreuen, die zu Burzynski gegangen sind, weil sie fürchten müssen, als „Mitarbeiter“ von Burzynski ins Abseits zu geraten. Aber Burzynski hat sich stets bemüht, Wissenschaftler zu finden, die die Antineoplastone versuchsweise in ihren eigenen Kliniken und Laboratorien anwenden, um zu beweisen, dass ihre Wirksamkeit nicht von irgendeiner Art Placeboeffekt abhängt, der durch die jeweilige Persönlichkeit des Patienten oder durch Optimismus verursacht wird. Einer dieser Mitarbeiter berichtete 1998 beim Internationalen Kongress für Chemotherapie in Stockholm über große Erfolge mit dem Mittel. Dr. P.J. van der Schaar vom Internationalen Biomedizinischen Zentrum im holländischen Leende berichtete, dass er 27 Patienten die Mittel AS2-1 und A-10 verabreicht hätte. Fünf dieser Patienten litten an AstrozytomHirntumoren, drei an Glioma-Hirntumoren, drei an einer unbekannten Art von Hirntumor, einer an einem Medulloblastom und zwei an Prostatakrebs. Andere hatten Lungenkrebs, Nierenkrebs, Brustkrebs, Krebs der Bauchspeicheldrüse und Magenkrebs, oder bösartige Melanome, bösartige Myelome und Osteosarkome. „Wie das auch bei vielen anderen Behandlungsformen der Fall ist, verbesserte sich der Zustand der Patienten im Laufe der Zeit ohne ersichtliche Gründe“, sagte van der Schaar. Er berichtete über objektive Reaktionen bei Patienten mit Astrozytomen, Prostatakrebs, Brustkrebs, Osteosarkom und Krebs der Bauchspeicheldrüse. Er fügte hinzu, dass die Patienten praktisch unter keinerlei Nebenwirkungen zu leiden hatten. „Diese Studie beweist, dass die Therapie mit Antineoplastonen nicht auf Krankenhäuser beschränkt bleiben 299
muss“, sagte er. „Es handelt sich hier um eine patientenfreundliche Therapie mit bemerkenswert wenigen Nebenwirkungen, die in den meisten Fällen ambulant durchgeführt werden kann.“ Aber die FDA zeigt häufig nicht sehr viel Respekt für ausländische Forschungen wie jene, die von van der Schaar und Tsuda durchgeführt wurden, gleichgültig wie solide sie auch sein mögen. Aus diesem Grund setzte Burzynski große Hoffnungen auf eine Beziehung mit dem Labor von Dr. Fred Epstein, dem Direktor des Instituts für Neurologie und Neurochirurgie im Beth Israel Medical Center in New York City, die Anfang 2000 begann. Dr. Epstein ist Professor und Fakultätsleiter bei der Albert Einstein School of Medicine. Er gilt als einer der führenden Hirnchirurgen der Welt, und hat Tori Morenos Kernspintomographie gesehen, bevor ihre Eltern sie im Herbst 1998 zu Burzynski brachten, und noch einmal, nachdem sie zwei Monate lang mit Antineoplastonen behandelt worden war. Er stellte fest, dass ihr Tumor während der Zeit um 23 % geschrumpft war. „Burzynski verfügt offenbar über ein Mittel, das die Entwicklung des Krebses umkehrt“, sagte er. „Im Falle von Tori Moreno kam es ganz eindeutig zu einer Umkehr des Krebses aufgrund der Behandlung. Ich hatte das nicht erwartet, aber es hat mich auch nicht sehr überrascht.“ Epsteins Mangel an totaler Erschütterung ist darauf zurückzuführen, dass er schon vorher mit Burzynskis Arbeit ein wenig vertraut war. Aber er sagte, dass er zu einer wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit Burzynski bereit war, nachdem er die Resultate gesehen hatte, die bei Moreno erzielt wurden. „Diese Sache musste wirklich ernst genommen werden“, sagte er über die Antineoplastone. Epstein schickte im Frühjahr 2000 mehrere seiner Mitarbeiter nach Houston, um sich von Burzynski und seinem Personal in dieser Form von Therapie ausbilden zu lassen. „Es ist bisher noch sehr schwierig, die Antineoplastone einzuschätzen, aber ich hoffe wirklich, dass wir Erfolg haben werden, wenn wir sie hier bei Beth Israel testen“, sagte Epstein. Burzynski sagte, dass Epstein ihm während der letzten zehn Jahre mehrere Patienten mit einem inoperablen Hirntumor geschickt hatte. „Bei 300
den meisten konnten wir gute Ergebnisse erzielen. Wir haben jetzt einen seiner Patienten in Behandlung, und der reagiert sehr positiv“, sagte er Anfang 2000. Burzynski ist überzeugt davon, dass man auch in der Klinik von Epstein zu positiven Resultaten kommen wird. Aber eine unabdingbare Voraussetzung dafür wäre eine positive Einstellung seitens Epsteins Mitarbeitern. „Eine positive Einstellung gibt dem Patienten die Motivation, unseren ziemlich komplizierten Anweisungen genau Folge zu leisten“, sagte er. „Es ist äußerst wichtig, das Mittel regelmäßig und systematisch anzuwenden. Wenn der Patient nicht davon überzeugt ist, dass die Antineoplastone ihm helfen werden, dann wird er die Behandlung nicht konsequent durchführen.“ Aber Burzynski betont auch, dass eine solche positive Einstellung selbst noch nicht ausreicht, um einen Hirntumor aufzulösen. „Kein Placebo kann irgendeine Wirkung auf diese Art von Tumor haben“, sagte er. Und Epstein stimmte zu. „Placebos lösen keine Hirntumore auf“, sagte er. Weder Burzynski noch Epstein erwarteten ernsthafte Probleme bei der Genehmigung, entsprechend Burzynskis klinischer Versuchsanordnungen Patienten behandeln zu dürfen. Und ab Ende 1998 wurde Patienten, die beim Karnovsky-Test schlecht abgeschnitten hatten, fast automatisch eine Sondergenehmigung erteilt, so dass Burzynski sie behandeln konnte, selbst wenn sie nicht für die klinischen Versuche in Frage kamen. Durch den Karnovsky-Test wird der körperliche Zustand der Patienten ermittelt. Patienten, die eine Sondergenehmigung erhalten, schneiden bei diesem Test normalerweise mit 50 Punkten oder weniger ab – ein Wert, der aussagt, dass sie praktisch todkrank sind. Aber ebenso, wie sie es bereits 1996 getan hatte, als Burzynski praktisch auf Bewährung auf freiem Fuß war, legten sie ihm und seinen Patienten auch jetzt ständig Hindernisse in den Weg. Es war nicht nur der Riesenhaufen von Formularen, die Burzynski Monat für Monat ausfüllen musste. Er musste deshalb zwei neue Sekretärinnen einstellen und Jahrelang bis spät in die Nacht arbeiten und die Reaktionen jedes einzelnen Patienten beschreiben. Auch die Patienten zwang man, lästige Aufgaben zu erledigen. Während Burzynski sie einmal pro Monat oder alle zwei Wo301
chen Bluttests unterzogen hatte, sobald ihre Dosis festgelegt war, forderte die FDA jetzt mindestens zweimal pro Woche Bluttests – und das für ein Medikament, das bereits die klinischen Tests der Phase I hinter sich hatte und als sicher galt. Ein Beweis dafür, dass die Bundesbehörden bereits seit längerer Zeit wissen, dass Antineoplastone sicher sind, ist ein Satz, der in fünf Patentanträgen für „auf Phenylazetat-Basis hergestellte Medikamente“ erscheint, die vom National Cancer Institut gestellt wurden: „Die klinische Erfahrung hat gezeigt, dass eine akute oder langfristige Behandlung mit Kaliumphenylazetat gut verträglich und weitgehend frei von Nebenwirkungen ist.“ Diese Aussage der Regierung bedeutet, dass Burzynski und seine Patienten mit Fug und Recht behaupten durften, dass die Vorschrift, dass zweimal wöchentlich Bluttests durchzuführen sind, wenn man sich einer Behandlung mit Antineoplastonen unterzieht, eine reine Schikane war. Aber die ärgerlichste Forderung war, dass für fast alle klinischen Versuche Burzynskis nur Patienten aufgenommen werden durften, bei denen bereits zwei konventionelle Behandlungen fehlgeschlagen waren. Diese Vorschrift bedeutete in der Praxis, dass er niemanden behandeln durfte, der nicht als körperliches Wrack zu ihm kam. Selbst wenn Patienten mit den konventionellen Behandlungsmethoden nichts zu tun haben und sofort mit der Antineoplaston-Therapie anfangen wollten, durften sie das nicht. Der bekannteste Fall war der des vier Jahre alten Thomas Navarro aus Arizona. Er wurde Ende 1999 in Burzynskis Klinik gebracht, weil seine Eltern nicht wollten, dass ein lokaler Medulloblastom-Hirntumor mit Chemotherapie oder Bestrahlung behandelt wurde. Diese Therapien würden ihn fast mit Sicherheit für den Rest seines Lebens geistig schwächen, selbst wenn der Krebs durch sie geheilt würde. Der Onkologe in Arizona, der bei einem ähnlichen Hirntumor bei Zac McConnell (siehe Die Geschichte von Zachary McConnell) eine Strahlentherapie anwenden wollte, schätzte, dass die Behandlung seinen Intelligenzquotienten um etwa 30 Punkte herabsetzen würde. Dr. Larry Kun, Vorsitzender der Abteilung für Strahlenonkologie des St. Jude 302
Children's Research Hospital in Memphis, Tennessee und Vorsitzender des nationalen Ausschusses für Hirntumore der Pediatric Oncology Group, schätzte, dass Thomas Navarros Intelligenz um 20 bis 30 Punkte herabgesetzt würde, falls man ihn der Standardtherapie unterzog. Eine Untersuchung, bei der zwischen 1984 und 1999 29 Kinder behandelt wurden, ergab, dass 51 % der Kinder noch weitere fünf Jahre überlebten. „Seine Intelligenz wäre unter dem normalen Niveau, aber er wäre immer noch in der Lage, zu lernen und zu funktionieren“, sagte Kun in einem Interview. Kun sagte auch, dass, falls Thomas' Vater darauf bestehen würde, statt der üblichen Therapie die Behandlung mit Antineoplastonen durchführen zu lassen „er sein Kind vorsätzlich in den Tod schickt, weil jemand ihn in die Irre geführt hat“. Kun fügte hinzu, dass „der Erfolg der Therapie von Burzynski nicht nachgewiesen ist.“ Aber zu diesem Zeitpunkt hatte Burzynski bereits dreizehn Kinder mit aktiven Medulloblastom-Tumoren behandelt. Dabei erzielte er zwei komplette Remissionen und zwei teilweise Remissionen. Fünf Fälle blieben stabil, und bei nur vier schritt die Krankheit fort. Aber das beeindruckte Kun nicht besonders. „Burzynski hatte die Gelegenheit, die Wirksamkeit seines Heilmittels zu beweisen, und er hat nicht kooperiert“, sagte er, und bezog sich dabei auf die fehlgeschlagenen klinischen Versuche des NCI Mitte der neunziger Jahre. Aber Kun gab zu, dass er nur einen kleinen Teil der Korrespondenz zwischen Burzynski und dem NCI gesehen hätte (siehe Kapitel 6, „Der Krieg kommt ins Labor“), aus der hervorgeht, dass die Mitarbeiter des NCI die Versuchsanordnung auf eine Art und Weise willkürlich verändert haben, die einen Fehlschlag praktisch garantiert hätte, wenn Burzynski weiter mitgemacht hätte. Da die Eltern von Thomas ihrem Sohn das Trauma der Bestrahlung und den fast mit Sicherheit eintretenden geistigen Schaden ersparen wollten, verweigerten sie die konventionelle Therapie. Die Onkologen in seinem Heimatstaat erwirkten bei Gericht eine einstweilige Verfügung, um Thomas der Obhut seiner Eltern zu entziehen und es den Ärzten zu ermöglichen, bei ihm die konventionellen Behandlungsmethoden durchzu303
führen. Die Eltern waren also gezwungen, Monatelang in einem Hotel in Houston zu wohnen und sich bei der FDA um eine Ausnahmegenehmigung für ihren Sohn zu bemühen. Selbst nachdem sechs Senatoren und vier potentielle Präsidentschaftskandidaten eine Petition für eine Ausnahmegenehmigung unterzeichnet hatten, gab die FDA nicht nach. Ihre Mitarbeiter behaupteten ungerührt, dass Burzynski „keine überzeugenden Resultate“ gegen Medulloblastome wie das von Thomas erzielt hätte, obwohl dieser Krebs zu den sehr seltenen Hirntumoren gehört, bei denen eine Standardtherapie so gut wie nichts ausrichtet. Die fünfjährige Überlebensrate von Patienten bei Standardtherapien, die im St. Jude's registriert wurde, war nicht so gut wie die Resultate, die Burzynski bei seinem klinischen Versuch mit 13 Patienten erzielt hatte und die man hätte auswerten können (siehe Tabelle im Anhang). Die FDA war Thomas Navarro und seinen Eltern, Jim und Donna, gegenüber unerbittlich. Sie wollte es ihnen nicht erlauben, Burzynskis Therapie bei ihrem Sohn anzuwenden, egal wie viele führende Regierungsbeamte sie drängten, nachzugeben und den Eltern zu erlauben, die Therapie zu wählen, die sie für die beste hielten. Es war der Fall von David Smith, der die Gerichte dazu veranlasste, zu entscheiden, dass die FDA das Recht hätte, Zwang auf die Patienten und ihre Familien auszuüben, statt ihnen die Entscheidung über ihr eigenes Wohl selbst zu überlassen. Im Januar 1993 wurde bei dem 13-jährigen David Smith aus Lexington in North Carolina ein Hodgkin-Lymphom der Stufe 4 diagnostiziert. Die Metastasen hatten sich bis in sein Skelett ausgebreitet. Zwischen März und Juni dieses Jahres hatten er fünfzig Strahlenbehandlungen durchgemacht, die direkt auf seinen Hals und seine Brust gerichtet waren. Die Strahlung erzeugte Nebenwirkungen, die zwischen Juni 1993 und Juni 1994 andauerten: Hautverfärbungen, körperliche Erschöpfung, ständige und starke Halsschmerzen, ein dramatischer Rückgang der weißen Blutkörperchen, starker Haarverlust, ein dramatischer Rückgang der Spermien sowie unregelmäßiger Herzschlag. Bis November 1993 hatte die Behandlung David jedoch von seinem Krebs befreit. Aber nicht für immer. 304
Im Februar 1996 bekam er starke Knochenschmerzen in seiner linken Hüfte und in seinem linken Bein, starken Nachtschweiß und Schüttelanfälle. Diese wurden als Hodgkinsche Krankheit diagnostiziert, die sich auf seine Knochen ausgebreitet hatte. Davids Arzt riet seinen Eltern, sich einer Chemotherapie zu unterziehen, einer Behandlung, die als MOPP-ABVD bekannt ist (Mechlorethamin + Vincristin + Procarbazin + Prednison + Doxorubicin + Bleomycin + Vinblasin + Procarbazin). Außerdem wäre wahrscheinlich eine Knochenmarktransplantation notwendig. Zu den wahrscheinlichen Nebenwirkungen, die von der FDA eingeräumt werden, gehören: Schäden an Herz und Lungen, Schäden des Bindegewebes, Zerstörung des Immunsystems, Unfruchtbarkeit, Appetitverlust, Übelkeit und Erbrechen, Gewichtsverlust, ständige Müdigkeit und möglicherweise Tod. Er erfuhr auch, dass diese Chemotherapie seine Lebenserwartung drastisch reduzieren könnte und, obwohl häufig behauptet wird, dass sie wirksam gegen die Hodgkinsche Krankheit wäre, 35 % aller Patienten, die sich einer solchen Behandlung unterziehen, trotzdem nicht geheilt werden. Am 1. April 1996 begab sich David in die Klinik von Dr. Burzynski, wo er mit der Behandlung mit den Antineoplastonen anfing. Weniger als sechs Wochen später zeigte eine Computertomographie seines Körpers eine „signifikante Verbesserung“ seiner Tumore. Die vorher sichtbaren Metastasen an seiner Wirbelsäule und seinen Rippen waren jetzt nicht mehr zu erkennen. Aber Burzynski war gezwungen, die Behandlung von David der FDA zu melden. Er beantragte im Mai 1996 eine Ausnahmegenehmigung, die es ihm erlauben würde, die Antineoplastone weiterhin einzunehmen. Am 23. Mai wies die FDA Burzynski an, die Behandlung von David trotz der offensichtlichen Erfolge zu unterbrechen. Mit finanzieller Unterstützung durch andere Patienten von Burzynski heuerte David einen Anwalt aus Washington an, der sich bemühte, die FDA zu einer Änderung ihrer Haltung zu bewegen. Er legte ihr eine eidesstattliche Erklärung vor, dass sein Mandant eher sterben würde, als sich einer Chemotherapie zu unterziehen. Aber am 27. Mai 1996, an dem Tag, an dem seine Vorräte an Antineoplastonen zu Ende gingen, lehnte die FDA 305
den Antrag ab. David sagte vor einem Bundesgericht, dass die Entscheidung der FDA, ihm die Durchführung einer potentiell lebensrettenden neuen Krebstherapie zu verweigern, sein verfassungsmäßiges Recht auf Freiheit der Entscheidung verletzen würde – das Recht, mit seinem eigenen Körper zu tun, was er für richtig hielt. Die FDA antwortete, dass sie „nicht mit gutem Gewissen zulassen könnte, dass Dr. Burzynski seine Medikamente, die sich noch im Versuchsstadium befinden, an Mr. Smith ausprobiert. Es gibt keine Rechtfertigung dafür, eine bewährte Therapie mit hoher Heilungsrate durch eine unbewiesene, nicht erprobte Therapie zu ersetzen“, Fast vier Jahre später sollte Dr. Richard Pazdur, Leiter der Abteilung für onkologische Heilmittel (Division of Oncology Drug Products) der FDA diese Aussage noch einmal wiederholen, als er Thomas Navarro die Behandlung mit Antineoplastonen verweigerte. „Es widerspricht allen ethischen Grundsätzen, einem Kind unter solchen Verhältnissen ein experimentelles Medikament zu verabreichen und es so praktisch als Versuchskaninchen zu missbrauchen“, sagte er in einem Interview mit The Cancer Letter. Ein Gespräch mit mir für dieses Buch lehnte er ab. Zu Davids Fall fügte die FDA hinzu, dass „die Gerichte sich nicht in der Lage sahen, die Inanspruchnahme eines neuen Medikaments zur medizinischen Behandlung als verfassungsmäßiges Recht anzuerkennen. Die Rechtsanwälte der FDA bemerkten ebenfalls, dass es Smith „frei steht, eine konventionelle Therapie abzulehnen“, aber falls er das tat, hatte er damit nicht automatisch auch das Recht, sich einer Alternativbehandlung seiner Wahl zu unterziehen. Es war also vollkommen gleichgültig, was David wollte. Die FDA verlangte von ihm, dass er sich einer Chemotherapie unterzog, gleichgültig, welche Nebenwirkungen er dadurch zu erleiden hatte. Erst wenn diese nichts nützen würde, würde sie es ihm gestatten, mit der Behandlung bei Dr. Burzynski weiterzumachen. Ein Medikament, das den Patienten schweres Leid und gesundheitliche Beeinträchtigungen zumutete, war also einer Behandlung vorzuziehen, die zahlreichen Patienten bereits geholfen hatte. Die FDA argumentierte gar, dass der Knochenscan, der 306
zeigte, dass sich seine Gesundheit wesentlich verbessert hatte, während er die Antineoplastone einnahm, keine Rolle spielte. Sie zitierte ein Urteil des Obersten Gerichtshofes von 1973, demzufolge „die Eindrücke oder Überzeugungen von Ärzten, gleichgültig wie engagiert diese vertreten werden, nicht unbedingt beweiskräftig sind“. Die FDA sagte also nicht anderes, als dass es keine Rolle spielte, wie viele Ärzte oder Radiologen die Knochenscans sahen und zu dem Schluss kämen, dass die Antineoplastone funktionierten. Der Große Bruder im Hauptquartier der FDA in Rockville, Maryland, wusste es besser. Es ist eine typische Einstellung: „Kommt mir nicht mit Tatsachen. Ich tue was ich will.“ Und es war dieselbe Einstellung, die die FDA später gegenüber Thomas Navarro einnahm. Grundsätzlich war es ihr gleichgültig, wie gut es den Patienten ging oder ob Burzynski ihnen die Chance auf eine Heilung bot. Er durfte sie einfach nicht mit Antineoplastonen heilen! Und ein Bundesrichter in Washington bestätigte die Position der FDA im Falle von David Smith, und schuf damit einen Präzedenzfall, mit dem Thomas Navarros dringende Bitten um eine Ausnahmegenehmigung abgelehnt wurden. Niemand im Kongress ergriff eine formelle Maßnahme, nachdem der Fall Smith bekannt wurde. Aber die Navarros bekamen so viel öffentliche Aufmerksamkeit mit ihren Auftritten bei Fernsehsendern wie CBS, NBC, dem Fox-Kanal und CNN, dass der Vorsitzende des House Government Oversight Committee on Govenment Reform, der Republikaner Dan Burton aus Indiana den Thomas Navarro FDA Patient Rights Act einbrachte. Diese Gesetzesvorlage sollte es Patienten erlauben, einer Behandlung, die sich noch im Versuchsstadium befindet, den Vorzug vor den Standardtherapien zu geben, wenn er über beide Möglichkeiten und die damit verbundenen Risiken vollständig informiert ist. Die Schwierigkeiten, die man David Smith und Thomas Navarro machte, waren eindeutige Fälle juristischer Spitzfindigkeit, mit der man den freien Willen von Patienten unterdrücken wollte, deren Leben auf dem Spiel stand. Am Ende überlebte Smith und nahm trotz des Verbots der FDA und der Gerichtsentscheidung weiterhin die Antineoplastone ein. 307
Burzynski konnte ihn zwar nicht behandeln oder ihm das Mittel selbst schicken, aber mitfühlende Patienten, die von seinen Schwierigkeiten hörten, schickten ihm wiederholt Kisten mit Flaschen und Plastikbeuteln aus ihren eigenen Vorräten. Thomas Navarro und seine Eltern bekamen Hilfe durch eine alternative Behandlung in Tijuana in Mexiko. Barton war nicht der einzige Kongressabgeordnete, der für Burzynski und seine Patienten Interesse zeigte. Eine wichtige Veränderung, die durch die Machtübernahme durch die Republikaner nach den Kongresswahlen 1994 bewirkt wurde, war, dass der kalifornische Kongressabgeordnete Henry Waxman, ein Demokrat und der einzige begeisterte Unterstützer der FDA auf dem Capitol Hill, nicht länger einem Ausschuss vorsaß, der Macht über die FDA hatte. Diese Rolle ging jetzt für die nächsten fünf Jahre an den Republikaner Joe Barton aus Dallas in Texas. Während der ersten beiden Jahre, da Barton das Subcommittee on Oversight and Investigation des House Commerce Committes leitete, lud er viermal den FDA-Vorsitzenden Kessler vor, wobei die Behandlung von Burzynski und seiner Antineoplastone jedes Mal ein wichtiges Thema der Befragungen war. Bei den Kongressanhörungen sagten einige derselben Patienten aus, die später als Zeugen bei Burzynskis Strafprozessen vorgeladen wurden. „Ohne seine Behandlung wird mein Sohn sterben“, sagte Mary Michaels aus Troy in Michigan unter Tränen. Ihr Sohn Paul hatte einen Hirntumor, der durch die Antineoplastone geschrumpft war, und dann unter Kontrolle gehalten wurde. Auffälligerweise verließen Kessler, Robert Spiller, DeLap und andere Mitarbeiter der FDA, die Burzynski Jahrelang verfolgt hatten, immer den Saal, bevor die Patienten ihre oft herzzerreißenden Geschichten erzählen konnten. Ebenso wie bei den Gerichtsprozessen schien das Schicksal von Patienten für sie keine große Rolle zu spielen, besonders, wenn es um die Macht ihrer Organisation ging. Vielleicht konnten sie es aber auch nicht ertragen, den Patienten zuzuhören, die unter ihren menschenverachtenden Entscheidungen zu leiden hatten. Die FDA hat es niemals öffentlich zugegeben, aber niemand in der Klinik von Burzynski zweifelt daran, dass ohne das Interesse und die Maßnahmen des Kon308
gresses diese Behörde darauf bestanden hätte, die Klinik endgültig zu schließen. Aber nachdem der Strafprozess beendet war, entwickelte sich allmählich ein normales Arbeitsverhältnis zwischen Burzynski und dem Teil der FDA, der nicht für seine Strafverfolgung zuständig war. Wo während der Prozessdauer fast keinem Patienten eine Ausnahmegenehmigung erteilt wurde, erhielten jene, die bei dem Karnovsky-Test sehr schlecht abgeschnitten hatten, sie nun fast routinemäßig. Während die FDA die Anträge Burzynskis auf eine IND-Genehmigung mehr als ein Jahrzehnt verzögert hatte, mischte sie sich jetzt kaum noch ein, wenn er seine klinischen Versuche durchführte. Aber die Behörde fuhr weiterhin damit fort, an alle Personen, die sich über Burzynski erkundigten, negative Berichte zu schicken, wobei sie niemals seine Antworten auf die Vorwürfe einschloss, die gegen ihn vorgebracht wurden. Es gab nicht den geringsten Hinweis darauf, dass die Antineoplastone jemals den schnellen Genehmigungsprozess erleben würden, den Präsident Clinton und die FDA selbst für Krebsmedikamente angekündigt hatten. Also suchte Burzynski mehrere Jahre lang systematisch nach legalen Wegen, seinen Patienten die Antineoplastone zu verabreichen – Methoden, die ihn nicht mit dem Gesetz in Konflikt bringen würden. Und im Sommer 1999 entdeckte er eine Möglichkeit. Ucyclyd Pharma, ein kleines pharmazeutisches Unternehmen in New Jersey, hatte die Genehmigung als „Orphan Drug“ für ein Kaliumphenylbutrat zur Behandlung von Hyperammonämie erhalten, einer seltenen Kinderkrankheit, bei der ein hoher Anteil an Ammoniak zu einem Ausfall der Leber führen kann. Als „Orphan“ (Waise) werden Medikamente bezeichnet, die gegen Krankheiten eingesetzt werden, die äußerst selten vorkommen. In den Labors des Forschungsinstitutes von Burzynski, mehrere Kilometer von seiner Klinik entfernt, entdeckten Wissenschaftler, die für Burzynski arbeiten, dass Kaliumphenylbutyrat, wenn es oral eingenommen wird, in der Leber zu einer Kombination von Phenylazetylglutamin und Phenylazetat verstoffwechselt wird, das dann in den Blutstrom eindringt.
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Diese beiden Chemikalien sind die wichtigsten Bestandteile des Antineoplastons AS2-1. Da Kaliumphenylbutyrat bereits von der FDA genehmigt wurde, konnte es Burzynski ohne weiteres seinen Patienten verschreiben, ohne dass gegen ihn juristische Schritte eingeleitet würden. Die allgemeine Praxis, bei der Ärzte Medikamente für andere Krankheiten verschreiben als für die, für die diese Medikamente zugelassen wurden, nennt man „zulassungsüberschreitende Verschreibung“. Burzynski konnte jetzt plötzlich so viele Patienten behandeln wie er wollte, ohne dass dafür eine Sondergenehmigung erforderlich war. Aber er durfte ausgerechnet die Patienten nicht behandeln, die es am dringendsten benötigten. Denn wenn man dieses Medikament oral einnimmt, dann ist die Dosis niemals hoch genug, um aggressive Tumore zu bekämpfen. Burzynski machte jedoch die Erfahrung, dass das Medikament sowohl allein, als auch in Kombination mit einigen konventionellen chemotherapeutischen Mitteln bei der Unterdrückung von Tumoren sehr nützlich sein kann. Es kann auch als Substitut für Antineoplastonkapseln bei Patienten dienen, bei denen der Tumor chirurgisch entfernt wurde und ein erneutes Auftreten verhindert werden soll. Bis Mitte 2000 behandelte Burzynski mehr als einhundert Patienten mit Kaliumphenylbutyrat, das unter der Handelsbezeichnung Buterate vertrieben wird. Seine Patienten benötigten so viel von diesem Medikament, dass die Klinik von Burzynski eine Apothekerlizenz beantragte und es in sehr großen Mengen erwarb. „Mit Kaliumphenylbutyrat können wir unseren Patienten eine höhere Menge wirksamer Mittel verabreichen als mit unserem eigenen AS2-1 in Kapselform“, sagte Burzynski. „Wenn es oral verabreicht wird, kann AS2-1 auch zum Teil in dieselben Chemikalien verstoffwechselt werden. Aber Kaliumphenylbutyrat ist für unsere Patienten leichter einzunehmen, weil es einen weniger intensiven Geruch hat als AS2-1. Die meisten Patienten haben nicht mehr als 15 g AS2-1 täglich eingenommen. Mit Kaliumphenylbutyrat können wir ihnen bis zu 30 g täglich verabreichen. Das ist immer noch sehr wenig im Vergleich dazu, was man durch Infusion in die Blutbahn erzielen kann, aber es ist sehr nütz310
lich bei einigen Patienten, die aufgrund des Geruchs der Kapseln Schwierigkeiten hatten, sie vorschriftsgemäß einzunehmen. Dieses Mittel ist auch sehr nützlich, wenn jemand aus anderen Gründen keine intravenöse Behandlung wünscht.“ Burzynski würde die meisten dieser Patienten lieber mit dem Antineoplaston A-1 behandeln. Ende der neunziger Jahre kam er zu dem Schluss, dass es wirksamer ist als AS2-1. „A-10 ist das beste Mittel, das wir gegenwärtig anbieten können, aber die FDA schränkt die Verwendung von A-10 durch uns streng ein. Im Jahre 1999 bekamen wir monatlich etwa eintausend Anfragen deswegen, aber wir können nur etwa 25 dieser Leute pro Monat für unsere Versuche mit A-10 und AS2-1 aufnehmen. Wenn ich die Wahl hätte, würde ich ausschließlich A-10 verwenden, das eine Kombination von Phenylazetylglutamin und Phenylazetylsoglutomin ist. Bei unseren klinischen Versuchen hat sich A-10 als das beste Mittel erwiesen, aber wir haben dies erst durch unsere klinischen Versuche erfahren.“ Die neue Methode, Kaliumphenylbutyrat oral zu verabreichen, hat das Leben vieler Patienten von Burzynski leichter gemacht. Er erhielt mehrere positive Resultate bei der Behandlung von Kindern mit Astrozytomen, als er ihnen an Stelle der Antineoplastone durch den Brustkatheder eine Kombination von Buterat und AS2-1-Kapseln verabreichte. „Aber damit erzielen wir keine Dosis, die hoch genug ist, um Gliome, Glioblastome, PNETs und Hirnstammtumore zu behandeln“, sagte er. „Für die brauchen wir eine höhere Dosis, als wir sie oral verabreichen können. Aber einige Patienten können wir für eine Weile intravenös behandeln, und dann zur oralen Medikation übergehen. Das ist ein Zeichen dafür, dass manchmal eine hohe Dosis notwedig ist, manchmal aber auch nicht.“ Die FDA war natürlich nicht die einzige Behörde, mit der Burzynski sich herumschlagen musste, nachdem seine Strafprozesse vorüber waren. Es gab da noch den Staat Texas, dessen Gremium medizinischer Prüfer Anfang der neunziger Jahre Anhörungen veranstaltete, die das klare Ziel verfolgten, Burzynski die ärztliche Zulassung zu entziehen. 311
Bei endlosen Anhörungen während des gesamten Sommers 1994 sagten Zeugen wie Dr. Nicholas Patronas, damals Chef der Radiologie der National Institutes of Health, aus, dass „die Therapie mit Antineoplastonen notwendig für das Überleben zahlreicher Patienten [von Burzynski] ist“. Außerdem berichtete der Ausschuss: „Es wurde kein Beweis erbracht, der diesen Zeugenaussagen widersprach.“ Trotzdem kam er zu einer Entscheidung, die in ihrer Logik ein wenig an Alice im Wunderland erinnerte. Er ordnete an, Burzynski die ärztliche Zulassung zu entziehen, hob diese Entscheidung dann wieder auf und entschied, ihm eine zehnjährige Bewährung aufzuerlegen. Eine Bewährungsauflage war, dass Burzynski ohne irgendeine Art von Genehmigung durch die FDA keine Antineoplastone mehr vertreiben durfte. Ebenso wie die FDA im Fall Smith spielten das Wohl und die Wünsche der Patienten auch für diesen texanischen Ausschuss keine Rolle. Da die FDA die Antineoplastone nicht genehmigt hätte, so entschied er, sollte Burzynski sie auch nicht vertreiben. Andernfalls würde man ihn bestrafen. Deshalb dürften die Patienten dieses Mittel auch nicht benutzen, selbst wenn ihr Leben auf dem Spiel stand. Burzynski legte unverzüglich Einspruch gegen diese Entscheidung ein, und die Sache blieb in der Schwebe – und Burzynskis Praxis unberührt – solange noch nicht über sie entschieden wurde. Aber sobald der Strafprozess vor dem Bundesgericht zum Abschluss gekommen war, wurden die texanischen Behörden sehr schnell wieder aktiv. Sie begannen mit einem Zivilprozess in Austin und San Antonio und versuchten, Burzynskis die Zulassung als Arzt zu entziehen. Aber da bei diesen Verhandlungen dieselben Zeugen zu Wort kommen sollten, die bei den Strafprozessen für Burzynski ausgesagt hatten, bemühte sich der Staat schließlich um einen außergerichtlichen Vergleich. Zuerst wollten die Staatsanwälte Burzynski dazu überreden, dass er zugab, in irgendeiner Form gegen das Gesetz verstoßen zu haben. Er weigerte sich, und forderte sie auf, doch einen neuen Prozess gegen ihn anzustrengen. Die Behörden wollten sich darauf aber nicht mehr einlassen. Dieses Mal kam es zu einem Vergleich. Burzynski stimmte zu, einen Hinweis in die Einverständniserklärung einzufügen, die alle Patienten 312
unterschreiben müssen, bevor sie behandelt werden. Er lautete: „Die Antineoplastone werden gegenwärtig auf ihre Sicherheit und Wirksamkeit bei klinischen Versuchen an Patienten getestet. Die Sicherheit und Wirksamkeit der Antineoplastone wurden bisher noch nicht nachgewiesen.“ Burzynski erklärte sich damit einverstanden, weil dieser Hinweis praktisch derselbe war, der allen Patienten gegeben wurde, die an einem von der FDA genehmigten klinischen Versuch teilnahmen. Er zahlte dem Staat 50.000 Dollar für „angemessene Anwaltsgebühren und Ausgaben für Nachforschungen“. Er hielt dies für einen geringen Preis für die Freiheit, ohne staatliche Einmischung weiterarbeiten zu dürfen. Und er war ja auch bedeutend geringer als die 12 Millionen Dollar, die der Staat ursprünglich von ihm wollte, als er die Strafprozesse anstrengte. Da er jetzt endlich von jeder staatlichen Einmischung befreit war, konnte er sich auf eine zentrale Frage konzentrieren, die ihn schon seit Jahrzehnten beschäftigte: Er hatte nicht die geringsten Zweifel, dass die Antineoplastone viele Krebsarten schrumpfen lassen oder beseitigen, aber er wusste nicht, wie sie das genau bewirken. Inzwischen hatten andere Forscher in einer Reihe von Untersuchungen, deren Ergebnisse während der achtziger und neunziger Jahre veröffentlicht wurden, über jeden Zweifel hinaus festgestellt, dass zwischen 50 und 65 % aller Krebsfälle mit einer unzureichenden Leistung des Tumorsuppressorgens P53 zusammenhängen, das in der DNS jeder einzelnen Zelle im menschlichen Körper vorhanden ist. Dieses Gen hat seinen Namen dadurch erhalten, dass es Proteine erzeugt und sein Molekulargewicht bei 53.000 liegt. Das heißt, dass ein solches Gen 53.000 Mal so viel wiegt wie ein Wasserstoffatom. Burzynski stellte fest, dass die verschiedenen Krebsarten, die mit Problemen des Gens P53 in Zusammenhang gebracht werden, fast immer auch jene waren, die am stärksten auf die Antineoplastone reagierten. Aber er verstand nicht genau warum, bis Dr. Stephen Baylin von der Johns Hopkins Universität in Baltimore in der Ausgabe des Magazins Science vom September 1997 eine Arbeit veröffentlichte. In dieser Abhandlung berichtete Baylin, dass „fast die Hälfte der Tumorsupp313
ressorgene, von denen man weiß, dass sie den genetischen Formen der Neoplasie zugrunde liegen, bei nicht ererbten Krebsarten eine Hypermethylierung aufweisen.“ Wenn man das biochemische Fachchinesisch einmal weglässt, heißt das, dass fast die Hälfte der Gene, die normalerweise das Wachstum von Krebs verhindern, mit einer Schicht von Methylgruppen bedeckt ist. Dies ergab für Burzynski sofort einen Sinn, denn mehr als 20 Jahre zuvor hatte er in seinem Labor in Baylor entdeckt, dass Antineoplastone sich mit Methyl verbinden. Jetzt vermutete er, dass seine Medizin bei vielen Krebsarten funktioniert, indem sie eine Schicht der Methylgruppen von ihrer Oberfläche entfernt, und so dafür sorgt, dass sie wieder normal funktioniert. Diese Entdeckung betrachtete er als ein enormes Potential für die Zukunft. Burzynskis Gefühl in Bezug auf die Bedeutung der Hypermethylierung, wie die Beschichtung der Gene mit Methylgruppen genannt wird, beruhte auf der Tatsache, dass zu jedem Zeitpunkt nur ein kleiner Teil der Gene im menschlichen Körper aktiv sind. Wir wissen noch sehr wenig darüber, was Gene sozusagen ein- und ausschaltet. Warum hört zum Beispiel das Gen, das dafür sorgt, dass die Nieren in einem Fötus wachsen, auf zu funktionieren? Warum wird das Gen, das den Haarausfall bei Männern verursacht, erst aktiv, nachdem die Fötusgene schon lange inaktiv geworden sind? Seit seiner Zeit im Anästhesielabor von Georges Ungar in Baylor ist Burzynski davon überzeugt, dass die Peptide, die er als Antineoplastone bezeichnet, Botenstoffe sind, die Informationen und Anweisungen zu den Zellen und ihren Komponenten tragen. Diese Informationen, dachte er, haben etwas mit der Aktivierung einiger Gene und der Deaktivierung anderer Gene zu tun. Jetzt kam Baylin und berichtete in der Zeitschrift Science, dass „die Muster der Methylierung eng mit den Mustern der Genexpression korrelieren“. Diese neuen Informationen ermöglichten es Burzynski endlich, zu verstehen und zu erklären, wie die Antineoplastone wahrscheinlich funktionieren. „Das P53-Tumorsuppressorgen sorgt dafür, dass abnorme Zellen absterben. Wenn die Zelle sich auf abnorme Art und Weise entwi314
ckelt, tötet sie dieses Gen durch einen programmierten Zelltod“, erklärte Burzynski. „Wenn das P53-Gen ein Protein aussendet, das ebenfalls P53 genannt wird, bilden die abnormen, also bösartigen, Zellen starre Muster innerhalb ihrer Zellwände. Das tun sie, indem sie sich mit Isoglutamin verbinden, einer Komponente unseres A-10, das normalerweise im Blut vorhanden ist. Sobald die Zelle davon betroffen wird, wird sie absterben, indem sie zuerst schrumpft und sich dann auflöst. Sie bildet kleine tentakelartige Ausbuchtungen, die allmählich durch Makrophagen in den Blutstrom gebracht werden, während sich dieser Prozess wiederholt. „Dieser Prozess des Zelltodes verläuft ganz allmählich, so dass es nicht zu Störungen im Körper kommt. Würden alle bösartigen Zellen eines größeren Tumors sofort absterben, würde der Patient unter extremen Fieberanfällen, Entzündungen, Schwellungen, Schmerzen und Vergiftungssymptomen durch abgestorbene Teile des Tumors leiden. Der Prozess muss also allmählich verlaufen, damit der Körper das ohne Schaden verkraften kann. Im Labor in Baylor während der siebziger Jahre haben wir bereits beobachtet, dass sich dieser Prozess über einen längeren Zeitraum hinzieht, wenn die Antineoplastone in Zellkulturen bei der DNS von vielen Arten bösartiger Zellen angewandt wurden.“ Burzynski hatte schon lange den Verdacht, dass die Inaktivität der Tumorsuppressorgene, die viele Krebsarten ungehindert wachsen lässt, möglicherweise auf eine Behinderung eben dieser Tumorsuppressorgene zurückzuführen ist. Der Bericht aus Baylor schien das zu bestätigen. „Wir haben schon lange vermutet, dass bei den etwa 50 % der Krebsfälle, die mit einer Mutation oder Blockade des P53-Gens zusammenhängen, die Blockade durch eine Chemikalie verursacht sein könnte, die sich an die DNA anheftet“, sagte er. „Wird das Gen mit ihr beschichtet, dann ist es inaktiv. Wir wissen jetzt, dass wir das Gen wieder zur Wirkung bringen, wenn wir die Schicht entfernen, indem wir die meisten Methylgruppen beseitigen.“ Dieser Prozess wird als Demethylierung bezeichnet. Burzynski fügte hinzu: „Unsere Untersuchung, die wir in den siebziger Jahren durchführten, hat bewiesen, dass die Antineoplastone das Methyl aus der DNS entfernen. Aber zu jener Zeit wusste noch 315
niemand etwas über Tumorsuppressorgene. Später wurde bewiesen, dass die Neurofibromatose [besser bekannt unter der Bezeichnung „Elefantenmann-Syndrom“] durch die Demethylierung der DNS blockiert werden kann.“ Burzynski hat sich die Behandlung dieser Krankheit mit Antineoplastonen patentieren lassen und einige Erfolge damit erzielt. Burzynski geht davon aus, dass nicht alle inaktiven Gene durch die Beschichtung mit Methylgruppen abgeschaltet werden. Bei anderen Genen sind möglicherweise andere Chemikalien beteiligt. „Aber wir wissen jetzt, dass eine Hypermethylierung entweder durch Vererbung oder durch Karzinogene in der Umwelt verursacht werden können, z.B. durch Tabak und bestimmte Chemikalien. Wir haben Anfang der neunziger Jahre in mehreren Abhandlungen dargelegt, dass die Blockade von Tumorsuppressoren durch Methylierung einer der Mechanismen ist, die Krebs verursachen, und ich glaube, dass dies jetzt bestätigt worden ist. Andere Tumorsuppressorgene außer dem P53 können ebenfalls mit Methyl beschichtet werden. Ein Beispiel ist das VHL-Gen, das nach seinem Entdecker, dem deutschen Wissenschaftler von Hippel und Lindau benannt wurde, und dessen Inaktivität häufig mit Nierenkrebs in Zusammenhang gebracht wird. Die Tatsache, dass diese Krankheit zum großen Teil erblich bedingt ist, sagte Burzynski, könnte erklären, warum die Wirksamkeit der Antineoplastone gegen Krebs manchmal von einer ethnischen Gruppe zu anderen variiert. „Wir konnten Dickdarmkrebs bei Asiaten, besonders Japanern, sehr erfolgreich behandeln“, sagte er. „Bei Europäern hatten wir leider nicht so viel Erfolg. Das könnte auch erklären, warum Dr. Tsuda in Japan mit Dickdarmkrebs bessere Erfolge hatte als wir.“ Verschiedene Studien, die nach seiner Zeit in Baylin veröffentlicht wurden, bieten weitere Einzelheiten darüber, wie die Tumorunterdrückung wirkt, sobald sie durch das Entfernen der Genbeschichtungen reaktiviert wird. Sie haben gezeigt, dass das P53-Gen den Zelltod nicht direkt einleitet. Es aktiviert vielmehr das WAF-1, das direkt für den Zelltod verantwortlich ist.
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Burzynski sieht in diesem neuen Wissen enorme Möglichkeiten. „Wir glauben, dass die anderen 117 Antineoplastone ähnliche Wirkungen bei anderen Genen haben könnten, die methyliert wurden“, sagte er. „Wir wissen auch, dass andere Gene durch die Antineoplastone von Blockaden befreit werden können. Wir haben mit ihnen einige Erfolge bei der Behandlung von Autoimmunkrankheiten erzielt.“ Ein Beispiel war die Heilung von Dr. Stephanie Sadik, einer Kinderärztin aus Florida, die fast an einer extrem seltenen genetischen Krankheit gestorben wäre, die als Takayasu-Arteriitis bekannt ist. Bei dieser Krankheit entzünden sich die Arterien des Opfers und werden allmählich erstickt. Dr. Sadik hatte seit ihrer frühesten Jugend an dieser Krankheit zu leiden. In den Anfangsstadien verursachte die Krankheit allgemeine Schmerzen und ständige Müdigkeit. Und während die Arterien, die zu ihren Armen führten, allmählich verstopft wurden, fiel der Blutdruck dort so stark, dass sie nicht mehr die Arme heben konnte. Sie konnte sich nicht einmal mehr kämmen. Nachdem Dutzende von Ärzten nicht in der Lage waren, ihr zu sagen, was ihr fehlte, wurde die Krankheit schließlich diagnostiziert, als sie Medizinstudentin an der Universität von Tel Aviv war. Danach wurde sie mit Steroiden, Immununterdrückern und chemotherapeutischen Wirkstoffen behandelt, z.B. mit Imuran, Methotrexat und Cyclophosphamid. Aber ihr Zustand wurde nicht besser. Die Schmerzen wurden immer schlimmer, und sie war unfähig, ihre Arme zu benutzen. Aufgrund der jahrelangen Behandlung mit den chemischen Mitteln nahm sie etwa 100 kg an Gewicht zu. Im Jahre 1993, als sie noch Medizinstudentin war, kam sie mit Burzynski in Kontakt. Ihre Mutter hatte gehört, wie der Moderator einer Talkshow im Radio die Antineoplastone als genetische Therapie beschrieb. „Dr. Burzynski hatte keine Ahnung, ob sein Mittel bei mir wirken würde oder nicht“, sagte sie. „Er hatte noch nie zuvor jemanden mit Takayasu-Arteriitis behandelt. Aber er verabreichte mir die AS2-1Kapseln. Nachdem ich sie sechs Monate lang eingenommen hatte, fühlte ich mich immer besser, und schließlich fühlte ich mich wieder normal. Jetzt bin ich auf dem Weg der Genesung. Ich habe keine Schmerzen 317
mehr. Und es gab keine Nebenwirkungen bei der Einnahme des Medikaments. Ich glaube, dass ich meine Genesung AS2-1 zu verdanken habe. Falls die Symptome jemals zurückkommen, oder falls man bei mir jemals wieder Krebs feststellen sollte, gehe ich sofort wieder zu Dr. Burzynski. Ich halte ihn für einen großen Wissenschaftler und einen großartigen Menschen. Burzynski ist davon überzeugt, dass Dr. Sadiks Heilung auf die Demethylierung eines Gens zurückzuführen ist – er weiß nicht welches – das die Entwicklung dieser Krankheit blockiert. „Andere Autoimmunkrankheiten können ebenfalls mit den Antineoplastonen geheilt werden“, sagte er im Frühjahr 2000. Anämie, sowohl Sichelzellenanämie als auch Thalassämie, könnten dadurch geheilt werden. Wir können das schaffen, indem wir die Blockade bei dem Gen beseitigen, das während der Lebenszeit eines Fötus das Hämoglobin F produziert. Das Gen wird nach der Geburt durch Hypermethylierung blockiert. Deshalb haben einige ethnische Gruppen aufgrund der Mutation der Gene, die das Hämoglobin erzeugen, weniger Hämoglobin. Dies verhindert, dass ihr Blut den Sauerstoff im ganzen Körper wirksam verteilt. Diese Krankheiten können behandelt werden, indem man den Körper dazu bringt, fötales Hämoglobin im Blut des Patienten zu erzeugen. Aber selbst wenn man die Patienten auf diese Weise behandelt, kann das Problem wieder auftreten, weil die Gene ja blockiert sind. Wir haben diese Krankheit mit AS2-1Kapseln behandelt und das Gen für Hämoglobin F befreit. Bei einem Forschungsprojekt, das unter der Führung von Dr. S.W. Bruslow an der Johns Hopkins Universität durchgeführt wurde, hat man das auch mit Phenylazetat geschafft. Der Vorgang ist sehr ähnlich wie der, der sich bei unseren Antineoplastonen abspielt.“ Burzynski kam zu dem Schluss, dass die Methylierung einer der wichtigsten Mechanismen ist, die der Körper einsetzt, um die Gene zu regulieren und zu bestimmen, welches von ihnen zu welchem Zeitpunkt aktiv ist. „Wir benötigen unterschiedliche Gene zu jeweils verschiedenen Zeiten unseres Lebens“, sagte er. „Wir funktionieren also wie eine Uhr, die einige Gene blockiert und andere eben nicht.“ 318
Burzynski sieht die Entwicklung der Mechanismen zur Blockierung einiger Gene und den Neustart anderer Gene nicht nur als Schlüssel für die Heilung praktisch aller Krebsarten, sondern auch als mögliche Lösung für viele andere Krankheiten. „Wenn wir einige Gene kontrollieren können, dann können wir ganze Organe und Körperteile regenerieren. Wir brauchen dann nicht annähernd so viele Transplantationen wie heute, wenn zum Beispiel Menschen mit Nierenerkrankungen ihre eigene Niere regenerieren könnten. Wenn das möglich wäre, dann wäre das Organ ja ihr eigenes, und wir bräuchten keine immununterdrückenden Medikamente mehr, um das Abstoßen transplantierter Organe zu verhindern. Wir könnten auch den Menschen stark verjüngen und die Lebenszeit enorm verlängern. Mit den Antineoplastonen haben wir eigentlich nur die ersten tastenden Schritte in diese Richtung gemacht, indem wir einige Gene befreit haben. Es gibt da noch wahnsinnig viele Möglichkeiten.“ Burzynski weiß natürlich, dass er das alles unmöglich allein schaffen kann. Während der Zeit, da er vor Gericht stand, beklagte sich der leitende Staatsanwalt darüber, dass, falls man ihn verurteilen würde, Burzynski keine Alternative für die Weiterbehandlung seiner Patienten anbieten könnte. „Er hat wirklich mit harten Bandagen gekämpft und sich ständig hinter seinen Patienten versteckt“, klagte er. Dazu sagte Burzynski 1997: „Wer sonst wäre wohl bereit, täglich 18 Stunden zu arbeiten, den ganzen Papierkram zu erledigen, die chemische Anlage zu beaufsichtigen, die Suche nach wirksameren Versionen des Medikaments zu leiten und dann auch noch die ganzen Patienten zu behandeln? Kein anderer ist verrückt genug, um das alles zu tun. Jeder andere, der so eine Praxis hat wie ich, würde die Gewinne einstreichen, anstatt den größten Teil von ihnen wieder in die Forschung und Produktion zu investieren.“ Aber drei Jahre später, im Frühjahr 2000, als er 57 Jahre alt war, wurde ihm klar, dass er zum Wohl seiner Patienten potentielle Nachfolger ausbilden musste. „Ich hätte gern mindestens drei Ärzte, die mit den Patienten arbeiten“, sagte er, und fügte hinzu, dass er gerade plante, vier Me319
diziner einzustellen, zusätzlich zu den drei, die bereits für ihn arbeiteten, und die die Erlaubnis hatten, in den Vereinigten Staaten zu praktizieren. Zu seinen Mitarbeitern zählten elf im Ausland ausgebildete Mediziner, die ihren Abschluss nicht in den USA gemacht hatten. „Ich weiß nicht, ob einer von ihnen mein Nachfolger werden kann. Wir werden feststellen, wie gut sie sind. Aber ich habe die Absicht, einen unserer neuen Mitarbeiter darin auszubilden, das gesamte Unternehmen zu leiten. Sein Erfolg und die Statistiken der klinischen Versuche, die Burzynski in den Jahren nach seinen Prozessen erzielt hat, haben die Einstellung guter Ärzte etwas leichter gemacht. „Aufgrund der Schwierigkeiten, die wir mit der FDA hatten, war es sehr schwer, gute Leute zu finden“, sagte er im Frühjahr 2000. „Das Verhältnis mit der FDA ist immer noch nicht gut, aber immerhin ein wenig besser als früher. Jetzt interessieren sich einige sehr gute Leute für unsere Sache. Drei von ihnen, die für uns arbeiten wollen, sind gegenwärtig noch an medizinischen Fakultäten beschäftigt.“ Burzynski ist zuversichtlich, dass die Antineoplastone demnächst sowohl von der FDA als von den europäischen Behörden genehmigt werden. „Wenn wir ohne Störungen durch irgendeine Behörde weiterarbeiten können, dann könnten die Antineoplastone schon bald zu einer konventionellen Therapie werden“, sagte er Anfang 2000. „Sie werden dann nicht mehr als Alternativmedizin angesehen. Wenn wissenschaftliche Paradigmen ins Wanken geraten, dann gibt es immer erbitterten Widerstand. Und wenn wir beweisen, dass es zusätzlich zum Immunsystem noch ein biochemisches Abwehrsystem gibt, dann tun wir genau das, nämlich Vorstellungen widerlegen, die seit vielen Jahren als wissenschaftliches Evangelium gelten. Deshalb hat man mich ständig als Quacksalber und Betrüger beschimpft. Aber selbst der Richter hat zugegeben, dass es für solche Anklagen keine Grundlagen gibt. Ich stehe also über diesen Angriffen. Ich stehe hinter allem, was ich getan habe.“ Das alte wissenschaftliche Paradigma liegt jetzt vielleicht schon im Sterben. Zelldifferenzierende Medikamente (Chemikalien, die ausschließlich bösartige Zellen angreifen und gesunde nicht beeinträchti320
gen) wurden Ende der neunziger Jahre zu einem wichtigen Thema in der etablierten Krebsforschung. Ein solches Medikament ist Herceptin, das an der Universitöt von Los Angeles entwickelt und von der biotechnologischen Firma Genentech und ihrer Muttergesellschaft HoffmanLaRoche vermarktet wird. Im Herbst 1999 wurde es gegen eine Form von Brustkrebs eingesetzt. Während der von der Amerikanischen Krebsgesellschaft geförderten „Science Writers Seminars“ (Seminare für wissenschaftliche Autoren) der Jahre 1998 und 2000 wurden ganze Sitzungen ausschließlich den Fortschritten in der Zelldifferenzierung gewidmet. Niemand weiß, wie diese Geschichte schließlich enden wird. Aber bereits im Sommer 2000 war es offensichtlich, dass das Denken der Wissenschaftler weltweit sich allmählich dem von Burzynski annäherte, auch wenn viele sich nicht darüber klar waren, wer hier der Vorreiter war. Herceptin, über das bereits sehr viel berichtet worden war, wurde genehmigt. Ebenso wie die Antineoplastone funktioniert es vollkommen ungiftig und greift ausschließlich die Krebszellen an, während es die gesunden Zellen nicht berührt. Aber es funktioniert nur bei einer Form dieser Krankheit, die etwa 30 % aller Patienten mit Brustkrebs betrifft. Ein weiteres Zeichen für eine Bewusstseinsveränderung sah man beim Seminar für wissenschaftliche Autoren der Amerikanischen Krebsgesellschaft 1998 in Newport Beach in Kalifornien. Der damalige Präsident der Gesellschaft, Dr. David Rosenthal von der medizinischen Fakultät der Universität Harvard bemerkte in einem Interview, dass „Burzynski ganz eindeutig seiner Zeit voraus ist“, Das Programm bei diesem Seminar sah eine Sitzung vor, bei der ausschließlich zelldifferenzierende Wirkstoffe behandelt wurden – Chemikalien, die ausschließlich kranke Zellen angehen und gesunde in Ruhe lassen. Aber kein Diskussionsteilnehmer dort oder bei einem anderen Seminar zwei Jahre später erwähnte auch nur die Tatsache, dass ein erfolgreiches zelldifferenzierendes Mittel bereits seit Jahrzehnten in Gebrauch ist, eines, das seine Wirksamkeit an mehr als 3000 Patienten erwiesen hatte. Es sind die Antineoplastone. 321
DIE GESCHICHTE VON MICHELE CURTIS
Hätten die Antineoplastone auch ihren Vater retten können?
Selten war eine Tochter so frustriert wie Michele Curtis in den Jahren 1995 und 1996, als sie mitansehen musste, wie ihr Vater an den verheerenden Auswirkungen seines Brustkrebs litt und schließlich starb. Denn Michele Curtis hat selbst den Krebs überlebt … und sie hatte allen Grund zu glauben, dass die Behandlung, der sie sich Anfang der achtziger Jahre unterzog, auch ihrem Vater geholfen hätte. Aber der wollte davon nichts wissen. Teil 1 des Krebsdramas der Familie Curtis begann in einer kleinen Grundschule nördlich von Detroit. Zu jener Zeit konnte sich Michele noch nicht vorstellen, dass sie Teil einer Krebsgemeinde sein könnte, aber das war sie damals wahrscheinlich schon. Keine staatliche Behörde hat jemals untersucht, was Anfang der achtziger Jahre in der AveryGrundschule, im Schulbezirk Berkley geschehen war. Während dieser Zeit wurden vier Lehrerinnen dieser Schule, sowie andere Mitarbeiter – die alle in demselben Gebäude arbeiteten – von einem Tumor des Weichgewebes betroffen. Und da es keine Untersuchung gegeben hatte, konnte Michele nur Vermutungen anstellen. Sie hatte nicht die Möglichkeit, herauszufinden, ob Krebs verursachende Stoffe in dem Gebäude vorhanden waren. Sie hat nie wieder an dieser Schule unterrichtet, nachdem ihr Krebs endlich verschwunden war. Michelle stammt aus Michigan. Ihr Vater hat den größten Teil seines Lebens in einem Buick-Werk in Flint verbracht. Sie besuchte die Eastern Michigan University in Ypsilanti und nahm danach die Lehrtätigkeit in einer Schule auf. Im Alter von 27 Jahren unterrichtete sie bereits vier Jahre im Bezirk Berkley. Sie leitete eine Klasse mit körperlich behinderten Kindern und hatte selbst zwei Söhne, Zwillinge, namens Aaron und Ryan. Damals, im Jahre 1982, war sie so beschäftigt, dass sie die frühen Symptome einer Krebserkrankung einfach nicht wahrnahm, 322
deren rechtzeitige Diagnose eine problemlose Behandlung ermöglicht hätte. Zu diesen frühen Symptomen gehörten regelmäßige schwere Migräneanfälle, Kopfschmerzen und starke Krämpfe im Unterleib, normalerweise begleitet von Durchfällen. Ende 1981, während einer jährlichen Routineuntersuchung, erzählte sie ihrem Gynäkologen von den Kopfschmerzen, und er empfahl ihr, einen Neurologen aufzusuchen. „Es war ziemlich dumm von mir, dass ich diesen Rat nicht befolgte“, sagte Michelle Jahre später. „Ich litt etwas an Kolitis, als ich auf dem College war, und ich tat einige der Symptome als Spätfolgen davon ab. Und ich dachte, dass die Kopfschmerzen etwas mit den Belastungen meines Berufes zu tun hatten.“ Aber am Memorial Day-Wochenende 1982 wurden die Schmerzen besonders stark, und sie konnte sie nicht länger ignorieren. „Ich hatte mir an dem Freitag einen Tag frei genommen, weil ein Mädchen, das ich unterrichtete, an den Special Olympics in Ypsilanti teilnahm“, erinnerte sie sich. „Als ich dort war, fühlte ich mich sehr krank, also ging ich nach Hause und nahm etwas Tylenol. Da es Freitag war, dachte ich, dass ich die Sache über das Wochenende auskurieren könnte und am nächsten Dienstag wieder gesund wäre. Aber damit lag ich total daneben! Meine Magenschmerzen wurden immer stärker. Diesmal waren sie in der linken Seite.“ Ihr Mann Harry fuhr sie zur örtlichen Niederlassung der Pontiac Osteopathic Clinic in der Nähe ihres Heimatortes Oxford in Michigan, etwa 40 Meilen nördlich von Detroit. Nach der Untersuchung empfahlen ihr die Ärzte, sich in der Hauptniederlassung der Klinik behandeln zu lassen. Aber sie gingen stattdessen ins Crittenton Hospital ins nahe Rochester, wo ihr Gynäkologe arbeitete. Als Michele im Crittenton ankam, war es bereits Samstag früh, und nur wenige Ärzte waren im Dienst. In der Notaufnahme wurden Bluttest durchgeführt und ihr Unterleib geröntgt. Die Blutanalyse ergab, dass etwas nicht in Ordnung war, aber sie waren sich nicht so ganz sicher, was es sein könnte. Auf dem Röntgenbild vom Unterleib war nichts Ne323
gatives zu erkennen. Also blieb Michele zur Beobachtung weiterhin im Krankenhaus. Die behandelnden Ärzte sagten ihr, dass es ratsam wäre, das ganze Wochenende zu bleiben. „Es war offensichtlich, dass sie wussten, dass etwas nicht stimmte. Deshalb machten sie einen Test nach dem anderen. Alle paar Stunden wurde mir Blut abgenommen.“ Aber Samstagabend hatte Michele extreme Schmerzen, und sie bat die Schwestern um ein Schmerzmittel, das stärker wäre als das Tylenol, das ihr intravenös eingeflößt wurde. Aber durch den Feiertag war dies ein verlängertes Wochenende. Deshalb hatte jeden Tag ein anderer Gynäkologe aus ihrer Ärztegruppe Dienst. „Während des Wochenendes untersuchte mich jeden Tag ein anderer Arzt, und jeder von ihnen hatte eine andere Vorstellung von dem, was zu tun war und welche Tests durchzuführen waren. Schließlich wurde mein Mann ziemlich wütend, und er forderte die Schwestern auf, endlich jemanden zu finden, der beurteilen könnte, was mit mir nicht stimmte“, erinnerte sich Michele. „Erst danach ließ sich endlich ein Gynäkologe dazu herab, eine Computertomographie von ihrem Unterleib zu machen. Das wurde am Montag, dem Memorial Day-Feiertag, durchgeführt. Und es erwies sich, dass die Ursache ihrer Schmerzen ein Tumor in ihrer linken Niere war. Er war bereits gerissen und blutete stark in ihren Unterleib. Als Dr. Alan Morgan die Tomographie sah, entschloss er sich, sofort zu operieren. Aber der Blutverlust durch die inneren Blutungen war so groß, dass eine Operation erst nach mehreren Transfusionen in Frage kam. Schließlich wurde sie am frühen Dienstagmorgen operiert. „Ich glaube, eine wichtige Lektion, die ich hier gelernt habe, war, dass man niemals an einem verlängerten Wochenende krank werden sollte“, scherzte Michele später. Morgan entfernte den Tumor mitsamt der Niere. „Er sagte mir, dass das notwendig gewesen sei, um ganz sicher zu gehen“, sagte Michele. „Und als der Laborbericht kam, war klar, dass er damit recht gehabt hatte.“ Bei dem Tumor handelte es sich um ein bösartiges Leiomyosarkom, einen Tumor des Weichgewebes, der Statistiken der Amerikanischen 324
Krebsgesellschaft zufolge jährlich bei etwa 1080 Amerikanern auftritt. „Da baten sie einen Onkologen hinzu“, sagte Michele. Der Onkologe, Dr. Ronald Izbicki, war ein sehr sympathischer Mensch. Aber er brachte Michelle die schlechte Nachricht ohne jede Umschweife bei. „Er sagte mir, dass die Chancen einer kompletten Genesung nach einer Chemotherapie etwa bei 40 % liegen würden“, erinnerte sich Michelle. „Da der Tumor gerissen und meine inneren Blutungen sehr stark waren, glaubte er, dass einige Krebszellen irgendwo in meinem Unterleib gelandet wären. Das bedeutete, dass es fast sicher war, dass der Krebs Metastasen bilden würde.“ Michele hatte Todesangst. „Ich war ein hoffnungsloser Fall. Mit 27 Jahren schon Krebs zu haben und möglicherweise zwei Kinder allein zu lassen, waren wirklich schreckliche Aussichten. Ich glaubte, ich müsste sterben, und dann müsste sich Harry ganz allein um die Zwillinge kümmern. Aber dann erinnerte sich Harry an einen ehemaligen Arbeitskollegen, dessen Sohn, der in der High School war, einen Hirntumor und Leukämie bekam. Bestrahlung und Chemotherapie hatten bei ihm überhaupt nicht geholfen, und die Ärzte hatten gesagt, dass sie nichts mehr für ihn tun könnten. Im Jahr zuvor hatten sie gesagt, dass er noch drei Monate zu leben hätte. Wir hatten seine Entwicklung die ganze Zeit verfolgt.“ Der Junge, Steve Hepp, fuhr nach Houston und ließ sich von Dr. Stanislaw Burzynski behandeln. Dieser erzählte den Eltern, dass er den Hirntumor ihres Sohnes behandeln könnte, aber mit seinen Antineoplastonen bisher noch keine Erfolge gegen Leukämie erzielt hätte. Während sie sich von der Operation erholte, bat Michele Steve Hepp, sie in ihrem Krankenzimmer zu besuchen. „Er erzählte uns alles über die Behandlung, wie er nach Texas gekommen war und wie die Antineoplastone injiziert wurden. Er beschrieb, wie er seinen Katheder desinfizierte und erzählte uns alles über den Arzt und seine Klinik.“ Der Hirntumor des jungen Mannes war bald verschwunden, und er ging zurück zum College.
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Jahre später starb er dann an seiner Leukämie. „Wir wissen alle, dass er ohne die Antineoplastone sehr viel früher gestorben wäre“, sagte Michele. Michelle und ihr Mann dachten immer noch daran, es eventuell mit der von Dr. Isbicki vorgeschlagenen Chemotherapie zu versuchen. „Ich dachte daran, dass ich meine Haare verlieren und mich sehr schlecht fühlen würde, und dass ich nicht mehr in der Lage wäre, mich um meine Kinder zu kümmern. Ich wollte nicht, dass eine Fremde mein Haus sauber halten und sich um meine Söhne kümmern würde. Das war doch alles meine Aufgabe! Meine Familie wollte davon auch nichts wissen. Nach Hepps Besuch rief sie sofort von ihrem Bett aus die Klinik von Burzynski an und bat um Informationsmaterial. Sie bat Morgan und Isbicki, das Material, das man ihr schicken würde, zu überprüfen. „Morgan sagte, dass es sehr vielversprechend klang“, Izbicki war etwas zurückhaltender. Und wir waren auch etwas unsicher. Wir waren ja darauf angewiesen, dass diese beiden Ärzte sich weiterhin um mich kümmern würden, auch wenn ich die Behandlung mit den Antineoplastonen mitmachen würde. Also fragte ich Izbicki, ob er bereit wäre, mich weiter zu behandeln, auch wenn ich nach Texas gehen würde. Er sagte zu, also beschlossen wir, es mit der Sache zu versuchen. Wir dachten, dass wir die Chemotherapie immer noch machen könnten, falls es mit den Antineoplastonen nicht klappen würde.“ Innerhalb weniger Tage nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus flogen Michele und Harry nach Houston und statteten der Klinik von Burzynski ihren ersten Besuch ab. Diese befand sich damals in einem kleinen Einkaufszentrum im Westen der Stadt. „Seine Mitarbeiter war sehr freundlich und entgegenkommend“, erinnerte sie Michele. „Sie halfen uns bei all unseren Anfangsproblemen mit den Versicherungsformularen, der Unterbringung in einem Hotel und allem anderen. Sie gaben mir sogar Tipps, an wen ich mich beim Michigan Blue Cross wenden sollte, damit die Gesellschaft für meine Behandlung aufkommen würde. Leider klappte das nicht. Sie bezahlte lediglich für die Blut326
tests, die man durchführte, während ich in Behandlung war, aber sie erhob sogar Einwände gegen die Erstattung der Computertomographie, die ich machen ließ, bevor ich mit der Behandlung anfing.“ Die Tomographie ergab, dass der gesamte sichtbare Krebs durch die Operation knapp zwei Wochen vorher entfernt worden war. Es gab „keine Hinweis auf vergrößerte Lymphknoten oder irgendwelche anderen Massenläsionen“ in ihrem Unterleib, sagte der Labortechniker. Aber Isbicki und Morgan hatten sie gewarnt, dass neue Geschwulste entstehen würden, falls Michele nichts dagegen unternehmen würde. Also beschloss sie, es mit den Antineoplastonen zu versuchen. Sie zahlte 5000 Dollar als Anzahlung für die Behandlung. „Später versuchte Burzynskis Klinik, der Versicherungsgesellschaft die Behandlung in Rechnung zu stellen, aber da diese nicht zahlen wollte, schickte die Klinik uns eine monatliche Abrechnung“, erklärte Michelle. „Sie bat uns, zu zahlen, was wir erübrigen konnten, aber sie haben uns niemals deswegen gedrängt. Trotzdem machte ich mir ständig Sorgen darüber, was die ganze Sache kostete. Wir waren erst seit etwas über drei Jahren verheiratet, und allzu viele Ersparnisse hatten wir nicht. Aber als ich dann Burzynskis Laboranlagen besuchte, wo man die Antineoplastone herstellt, fühlte ich mich bedeutend besser, was das Geld betraf, denn schließlich konnte ich sehen, wie viel er in die Geräte und das Personal investiert hatte. Es war ganz eindeutig, dass es sich hier nicht um eine bloße Abzocke handelte.“ Michelle wurde ein Katheder in der Brust installiert, und man begann unverzüglich damit, ihr vier Mal pro Tag große Mengen an Antineoplastonen einzuflößen. Die Dosis von 25 cm³ war so groß, dass man das nicht mit normalen Spritzen bewältigen konnte. Also besorgten sie sich ihre Spritzen bei einem Tierarzt, der bei der Behandlung von Pferden sehr große Kanülen verwendet. Michele führte die Behandlung drei Monate lang durch, bis das Gewebe um ihren Katheder herum infiziert war. Sie landete wieder in Crittenton, nachdem ihr eines Tages schwindlig geworden und sie auf dem Weg zum Badezimmer zusammengebrochen war.
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Im Krankenhaus entfernte man schnell ihren Katheder und verabreichte ihr intravenös Antibiotika gegen die Infektion. Es wurde ebenfalls eine Lumbalpunktion durchgeführt, weil sie während der Infektion schwere Kopfschmerzen hatte und Isbicki befürchtete, dass sich ihr Krebs in einen Hirntumor verwandelt haben könnte. Das war glücklicherweise nicht der Fall. Ihre Rückenmarkflüssigkeit war vollkommen rein und enthielt keine Krebszellen. Ihre Ärzte kamen zu dem Schluss, dass ihr Zusammenbruch ausschließlich auf ihre Infektion zurückzuführen war. „Ich rief unverzüglich die Klinik in Houston an, und Burzynski schlug vor, dass ich die Antineoplaston-Kapseln einnehmen sollte, mit deren Produktion seine Anlage gerade erst angefangen hatte“, sagte Michelle. Sie nahm das Mittel bis November 1982 und ist seitdem frei von Krebs. Sie fing nur noch einmal damit an, das Mittel einzunehmen, im Jahre 1983, als Izbicki eine plötzliche Reduktion ihrer weißen Blutzellen feststellte. „Burzynski war der Meinung, dass ich das Mittel in kleinerer Dosis wieder einnehmen sollte, und das tat ich dann auch“, sagte Michele. „Dann wurde im November 1983 eine Computertomographie durchgeführt – ohne jeden Befund. Seitdem bin ich krebsfrei.“ Jahre später wurde ihr Vater, Donald Noble, von einem neuen Krebs befallen. Er zögerte jedoch, auch nur zuzugeben, dass er einen Tumor hatte, aber schließlich stellte man bei ihm Brustkrebs fest, was bei Männern extrem selten vorkommt. Nur etwa 1 % aller Fälle von Brustkrebs tritt bei Männern auf. Michele drängte ihn, ebenfalls nach Houston zu fahren, um sich von Dr. Burzynski behandeln zu lassen. „Aber er wollte es auf keinen Fall“, sagte Michelle traurig. Er starb im September 1996. „Er war 83, und er ging überhaupt nicht gern zu Ärzten. Er wollte einfach niemandem zur Last fallen.“ Michelle erfuhr im Herbst 1994 vom Krebs ihres Vaters, als sie und ihre achtjährige Tochter Kristi ihre Eltern in ihrem Winterruhesitz in Florida besuchten. „Ich bat ihn, nach Houston zu fahren, aber er sagte, dass er nicht mehr so weit reisen wollte. In seinem Alter wollte er nicht mehr so viel Geld ausgeben. Er wusste ja von unseren Schwierigkeiten mit Blue Cross und deren Weigerung, für die Behandlung aufzukommen.“ Mi328
chele ist überzeugt davon, dass Burzynskis Behandlung ihr sowohl die Ausbreitung des Krebses erspart hatte, als auch die verheerenden Auswirkungen der Chemotherapie. Sie wusste, dass die Antineoplastone in vielen Fällen gegen Brustkrebs geholfen hatten, und dass sie auch die größte Hoffnung für ihren Vater hätten sein können, ebenso wie sie es für sie gewesen waren. Aber sie wollte ihn nicht zu sehr drängen. Sie wusste, dass ihr Vater es nicht sehr mochte, wenn man sich zu sehr in seine Entscheidungen einmischte. Sie musste aus nächster Nähe beobachten, wie seine Gesundheit allmählich immer weiter nachließ. Im März 1995 wurde sein Krebs offiziell diagnostiziert, als dieser sich bis in seinen Arm ausgebreitet hatte. Er hatte dort eine offene Wunde verursacht, die ständig eine Flüssigkeit absonderte. „Er versuchte, sie zu verbergen“, sagte Michelle. „Aber das bedeutete, dass er nicht mehr im Swimming Pool herumschwimmen konnte, wie er es bisher so gern getan hatte.“ Auf Drängen der anderen Familienmitglieder fand sich Michelles Vater dazu bereit, einen Arzt aufzusuchen. „Die offene Wunde hatte ihm einen solchen Schrecken eingejagt, dass er sich endlich untersuchen lassen wollte. Die Ärzte empfahlen eine sofortige Bestrahlung, und Don Noble unterzog sich dieser Behandlung. Aber als er in dem Frühjahr wieder nach Michigan heimkehrte, war sein Unterleib mit einem Ausschlag bedeckt. Ein anderer Arzt sagte ihm, dass er sozusagen eine zweite Manifestation seiner Krebserkrankung erleben würde und riet ihm dringend zu einer Chemotherapie. Nach einem Monat Behandlung war der Ausschlag verschwunden, und die Familie verbrachte einen Sommer voller Unruhe. Im folgenden Winter, als sie wieder in Florida waren, bemerkte Michelle wieder eine offene Wunde auf dem Arm ihres Vaters. Sie wurde kurz danach als ein weiterer Krebs diagnostiziert, und er unterzog sich einer weiteren Strahlenbehandlung. Aber dieses Mal verweigerte er die Chemotherapie. Er fürchtete, dass er es nicht mehr zurück nach Michigan schaffen würde, wenn er die starken Medikamente weiterhin einnehmen würde. Als er im März 1996 heimkehrte, hatte er bereits Schwierigkei329
ten mit dem Laufen. Bald bildeten sich kleine Knoten auf der Brust und auf dem Rücken. Einer von ihnen öffnete sich und sonderte bis zu seinem Tod Flüssigkeit ab. „Die ganze Zeit versuchte ich ihn dazu zu überreden, sich von Burzynski behandeln zu lassen, weil der sehr viele Erfolge gegen Brustkrebs erzielt hatte“, sagte Michele. „Aber mein Vater antwortete nur: Sieh mal, ich bin jetzt 83, und wenn es an der Zeit ist zu gehen, dann werde ich mich nicht dagegen sträuben“. Trotzdem war er bereit, es noch einmal mit einer Therapie zu versuchen. Also besuchte er einen Homöopathen in Pontiac, Michigan, der ihm eine Kräuterdiät verschrieb. Aber die hielt Micheles Vater kaum eine Woche durch. Eine Röntgenaufnahme seiner Brust, die man für den Homöopathen durchgeführt hatte, ergab, dass Noble große Tumore sowohl in der Brust als auch in der Leber hatte. Schließlich starb er an seinem Krebs. „Es war unglaublich traurig, das alles zu beobachten, wo ich doch wusste, dass es etwas gab, das ihm helfen könnte“, sagte Michele unter Tränen nur einige Tage nach dem Tod ihres Vaters. „Ich war zwar lange Zeit nicht völlig sicher, ob Burzynskis Behandlung bei mir tatsächlich funktionierte, oder ob ich nur Glück hatte und sich mein Krebs auch so nicht weiter ausgebreitet hätte. Aber meine Ärzte waren so sicher, dass sich der Krebs ausbreiten würde, nachdem der Tumor gerissen war, dass eigentlich überhaupt kein Zweifel daran bestehen kann, dass die Antineoplastone mich geheilt haben. Und ich weiß mit Sicherheit, dass mir diese Medizin nicht geschadet hat. Und deshalb machte es mich so unheimlich traurig, dass mein Vater einfach nicht zu Burzynski gehen wollte.“ Postskriptum Oxford, Michigan, Mitte 2000 – Michele Curtis spricht heutzutage nicht allzu viel über ihre Gesundheit. Sie denkt einfach nicht darüber nach, und sie ist sehr froh darüber. „Es gibt da nicht viel zu sagen. Ich bin kerngesund, und unsere Kinder halten mich und meinen Mann ständig in Atem.“ 330
Michele und Harry verbringen die meisten ihrer Urlaube in ihrer Hütte in der Nähe von Alpena im Norden Michigans. Aber manchmal reist sie auch mit Freunden zu exotischen Orten wie Puerto Vallarta in Mexiko, das sie im Frühjahr 2000 besuchte. „Für mich hat sich nicht sehr viel geändert“, sagte Michelle. „Ich unterrichte immer noch die erste Klasse in meiner Schule. Ich fühle mich immer noch großartig. Und falls der Krebs wieder auftauchen sollte, dann gehe ich einfach zu Dr. Burzynski. Das ist sicher!“
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Update – Zwischen 2000 und 2014 Spektakuläre Ergebnisse, aber das Schicksal wendet sich von Woche zu Woche und von Monat zu Monat
Mehr als 30 Jahre, nachdem die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) mit ihrer Kampagne anfing, die innovative Krebsbehandlung mit Peptiden zu unterdrücken – und später zu stehlen – die Dr. Stanislaw Burzynski bereits zu entwickeln begann, als er noch Medizinstudent in Polen war, hat sich diese Kampagne in ein ständiges Auf und Ab verwandelt, bei dem das Glück und die Hoffnung der Patienten praktisch jede Woche die Seiten wechselt. Viele Monate lang hatte die Kampagne den Charakter eines Zermürbungskrieges, in dem derjenige gewinnt, der die größere Ausdauer besitzt. In dieser Lage haben es kleine Firmen extrem schwer, besonders dann, wenn es sich um ein Ein-Mann-Unternehmen handelt. Es ist dann praktisch unmöglich, sich gegen die vereinten Kräfte der Regierung der USA und des Staates Texas durchzusetzen. Als man aber die Wirksamkeit der Behandlungsmethoden von Burzynski nicht mehr leugnen konnte, änderte die FDA ganz plötzlich ihre Strategie. „Man führt jetzt einen dreißigjährigen Krieg gegen uns“, sagte Burzynski Anfang März 2014 mit einem Anflug von Ironie und Entschlossenheit, und das an einem Punkt, an dem das Verhältnis zwischen ihm und der FDA einen neuen Tiefpunkt erreicht hat. „Wir haben erlebt, was der Dreißigjährige Krieg (der zwischen 1618 und 1648 zum größten Teil in Mitteleuropa stattfand) Deutschland angetan hat. Dieser neue dreißigjährige Krieg tut uns jetzt dasselbe an.” Als das Verhalten der FDA gegenüber Burzynski im Frühjahr 2014 allmählich weniger aggressiv wurde, war ihm bereits ein enormer Schaden zugefügt worden: Seine Klinik in der Nähe des Interstate 10 Katy Freeway im westlichen Teil Houstons, sein Privathaus in einer vornehmen Wohngegend und ein großes Grundstück, das er noch in Polen besitzt, 332
sind alle schwer mit Hypotheken belastet. Die Zahl seiner Mitarbeiter – ursprünglich waren es 150 – ist auf die Hälfte gesunken. Die ständigen Angriffe im Internet und in einer größeren amerikanischen Zeitung hat die Zahl seiner Patienten auf einen kleinen Rest reduziert. Seine klinischen Versuche wurden alle erfolgreich abgeschlossen. Deshalb konnte er keine neuen Patienten für die Experimente aufnehmen. Gleichzeitig lehnte die FDA Anträge auf Ausnahmegenehmigungen für die Behandlung schwerkranker Patienten mit wirksamen Antineoplastonen auf Peptidbasis strikt ab. Und sie forderte von ihm, einen neuen klinischen Versuch gegen eine seltene Form von Hirntumor, das „diffuse intrinsische Ponsgliom“, zu starten, das sich in und um den Hirnstamm ausbreitet, wo es nicht chirurgisch entfernt werden kann, ohne den Patienten zu töten. Dann plötzlich, Ende März 2014, genehmigte die FDA Anträge von acht Patienten auf eine Ausnahmegenehmigung, wobei sogar diese Behörde einräumte, dass es keine andere Behandlungsmethode gäbe, die diesen Patienten wirksam helfen könnte. Zwei Monate später teilte die FDA Burzynski mit, dass sie keine Einwände dagegen hätte, wenn er junge Patienten aufnähme und sie im Rahmen einer noch festzulegenden Versuchsanordnung mit Antineoplastonen behandelte. Bis Mitte Mai nahm Burzynskis Klinik entsprechend den Anordnungen der FDA neue Patienten auf. Die FDA erteilte auch eine versuchsweise Genehmigung für die Behandlung von bis zu 300 Patienten bei einem klinischen Versuch mit Antineoplastonen der Phase III an mehreren Standorten. Das war der nächste Schritt, der für eine endgültige Genehmigung des Medikaments erforderlich war. Die FDA gab keine Erklärung ab, warum sie das Verbot der vergangenen Monate, neue Patienten aufzunehmen, aufgehoben hatte. Aber Burzynski, der vier Jahre lang versucht hatte, die etwa 40 Millionen Dollar aufzutreiben, die er für die Durchführung eines großen Versuchs der Phase III benötigte, verfügte immer noch nicht über die notwendigen Mittel für einen klinischen Versuch der Phase III. Inzwischen waren die Erfolge Burzynskis im Kampf gegen den Krebs spektakulärer als je zuvor, verglichen mit denen der üblichen Behand333
lungsmethoden der Chemotherapie und Bestrahlung, die gemeinsam nur einen unbedeutenden Erfolg gegen Hirntumore erzielten. In einem Bericht über die 2194 Patienten, die sich zwischen 2002 und 2014 in seiner Klinik einer Behandlung gegen die 20 verbreitetsten Arten von Krebs behandeln ließen, schrieb Burzynski, dass bei 40 % seiner Patienten die Krankheit weiter fortschritt (siehe Diagramm). Das bedeutete, dass bei 60 % der Patienten der Tumor während der ersten 12 Wochen der Behandlung entweder verschwand, schrumpfte oder schlimmstenfalls unverändert blieb. Einige dieser Zahlen schienen zusammen mit den Ergebnissen, die er aus den klinischen Versuchen erzielte, die zwischen 1998 und 2012 unter der Aufsicht der FDA durchgeführt worden waren, endlich die Aufmerksamkeit der FDA zu erregen, nur Wochen, nachdem er einen offensichtlichen Tiefpunkt erreicht hatte. Die personalisierte Behandlung, wie sie von Burzynski konzipiert wurde und jetzt auch in einigen anderen Kliniken angewandt wird, erfordert, dass neue Patienten sich einem genetischen Test unterziehen, um festzustellen, welche Medikamente aus den Dutzenden, die auf dem Markt erhältlich sind, die besten Ergebnisse gegen den jeweilig vorhandenen Krebs erzielen. Burzynski und andere Ärzte in seiner Klinik verabreichen diese Medikamente dann in Kombination mit dem Medikament Kaliumphenylbutyrat (PB), das in der Leber zu Antineoplaston AS2-1 verstoffwechselt wird (zu Einzelheiten über die chemische Zusammensetzung siehe Kapitel 3 und 8). PB wurde Anfang 2000 für eine seltene Stoffwechselkrankheit bei Kindern zugelassen, und Burzynski verschreibt es seitdem in Tablettenform für Patienten, die nicht an seinen von der FDA beaufsichtigten klinischen Versuchen teilnehmen. Burzynski begann, Patienten auf diese äußerst individuelle Art und Weise zu behandeln, nachdem die Forschung in den späten neunziger Jahren gezeigt hatte, dass die Antineoplastone auf die bei einem typischen Hirntumor etwa 100 schadhaften Gene einwirken. (Die Art und Weise, wie die Behandlung auf diese Gene einwirkt, wird in Kapitel 8 beschrieben.) Aber er sagte, dass an einem bösartigen Hirntumor mehr als 600 schadhafte Gene beteiligt sein können. Um bessere Ergebnisse zu erzie334
len, muss der genetische Aufbau jedes Tumors bekannt sein. Deshalb wird zu Beginn jeder Behandlung das Genom des Patienten getestet. Sobald bekannt ist, welche Gene genau betroffen sind, werden zusammen mit dem PB die Medikamente verabreicht, die auf bestimmte Gene abzielen. Die Erfolgsraten sind dadurch gestiegen. Wie es schon seit Jahrzehnten der Fall ist, sind die Ergebnisse, die Burzynski bei Hirntumoren erzielt, exponentiell besser als die der üblichen Standardtherapien, bei denen weniger als ein Prozent der Patienten noch fünf Jahre überleben. Zwischen dem Jahr 2000 und dem 31. Januar 2014 hat Burzynski 172 Patienten mit Hirntumoren in klinischen Versuchen und mit einer auf den einzelnen Patienten zugeschnittenen gezielten Therapie behandelt. Seine Behandlungen erzielten in 7 % der Fälle, also bei 12 Patienten eine vollständige Heilung (der Krebs verschwand völlig). Eine teilweise Reaktion (eine Reduzierung der Tumorgröße von mehr als 50 % als Folge der Behandlung innerhalb von vier Wochen oder mehr) wurde bei 6 % erzielt, während bei 9 % kein neuer Tumor auftrat, wenn sie sich an Burzynski wandten, nachdem sie eine Strahlenund Chemotherapie hinter sich gebracht hatten. Die Gesamtrate der objektiven Reaktionen (Schrumpfen oder Verschwinden des Tumors) lag bei 37 % (64 Patienten), während bei weiteren 23 % die Krankheit stabil blieb (keine Zunahme der Tumorgröße) und bei 40 % die Krankheit weiter fortschritt. Obwohl sie die Erfolgsquoten der Standardtherapien weit in den Schatten stellen, bemerkte Burzynski, dass die Resultate der klinischen Versuche irreführend niedrig sind. „Das liegt daran, dass wir die Protokollierung zum ersten Mal im Jahre 1999 einführten, als nur ein einziges zielgerichtetes Mittel zur Verfügung stand, während wir heute etwa achtzig Prozent erfolg haben“, sagte er. „Meistens verfügten wir nicht über die richtigen Mittel, um Hirntumore erfolgreich zu behandeln, und die Reaktion war entsprechend gering. Heute passiert es sehr selten, dass man bei neuen Hirntumorpatienten keine Reaktion erhält. Fast jeder reagiert sehr schnell auf die Behandlung, und der Tumor schrumpft oder verschwindet während der ersten zwei Monate ganz. Dies ist seit fast 335
zwei Jahren der Fall.” Bei den jüngsten Fällen, bei denen der gezielte genetische Ansatz verwendet wird, kommt es nur bei 5 % der Fälle zu einem Fortschreiten der Krankheit, wobei 80 % in die Kategorie der kompletten oder teilweisen Reaktionen fallen. Burzynski selbst hat niemals festgestellt, wie die Reaktion in jedem einzelnen Fall zu kategorisieren ist. Statt dessen wurden während der Phase II der klinischen Versuche Kernspintomographien zu Radiologen der Georgetown University in Washington D.C. und dem berühmten M.D. Anderson Krebszentrum in einem anderen Teil von Houston geschickt. Dies erfolgte, um sicherzustellen, dass die Auswertungen in jedem Fall unbeeinflusst von Burzynski oder seiner Klinik erfolgten. Die wichtigsten Zahlen sind wahrscheinlich folgende: Von den knapp 400 Patienten, die seit Ende der neunziger Jahre bei den von der FDA genehmigten und beaufsichtigten klinischen Versuchen mit Hirntumoren behandelt wurden (bei denen die Antineoplastone statt der schwächeren PB-Tabletten verwendet wurden), haben bis Anfang 2014 77 mehr als fünf Jahre überlebt. Einige der Hirntumorpatienten von Burzynski leben immer noch, nachdem sie von anderen Ärzten bereits vor mehr als 25 Jahren als Todeskandidaten aufgegeben wurden. „Je erfolgreicher wir sind, desto schlimmer werden die Angriffe“, sagte Burzynski. Einige dieser Angriffe kommen von der „SkeptikerWebseite” (http://www.sciencebasedmedicine.org/the-sceptics-for-theprotection-of-cancer-patients-need-your-help), die Listen von Patienten sammelt, von denen einige bereits vor 15 Jahren gestorben sind. Einige der Namen, die sie aufführt, sind fiktiv. Aber die Wirkung ist enorm. „Sie schreckt die Leute ab. Sie lassen sich von uns nicht behandeln“, sagte Burzynski. Die finanzielle Situation von Burzynski ist so schlecht, dass er, der zur Zeit einen zehn Jahre alten Wagen fährt, in den sechs Monaten vor März 2014 keine Einnahmen durch seine Klinik oder andere Aufgaben mehr bezogen hat. „Sie (seine Gegner) haben uns angegriffen, weil wir unsere klinischen Testergebnisse nicht veröffentlicht haben“, sagte Burzynski. „Aber sie tun alles, um uns eben daran zu hindern. Sie haben sich an die 336
Organisatoren mehrerer internationaler wissenschaftlicher Kongresse gewandt und sie gebeten, uns nicht einzuladen. Einen Kongress in San Francisco im Dezember 2013 haben sie mit einer Demonstration zu stören versucht. Bei solchen Kongressen versuchen wir, unsere Resultate zu präsentieren. Häufig waren wir gezwungen, unsere Ergebnisse auf Plakaten zu präsentieren, statt vor einem größeren Ärztepublikum.” Aber niemand, der für die Skeptiker-Webseite über Burzynskis Resultate und Methoden schreibt oder sie bewertet, hat sich die Mühe gemacht, sich auch nur eine Kernspintomographie eines Patienten anzusehen, um die Behauptungen dieser Webseite zu bestätigen. Wer diese Webseite fördert, weiß man nicht genau, aber es gibt Hinweise darauf, dass sie von der National Geographic Society Foundation sowie von pharmazeutischen Unternehmen finanziert wird. „Diese Leute sind einfach nicht informiert“, sagte Burzynski. Aber die FDA und der Staat Texas sind durchaus gut informiert. Die FDA, die ihm 1997 einen Strafprozess angehängt hatte (im Falle eines Schuldspruchs hätten ihm 300 Jahre Gefängnis gedroht), schickte ihm Anfang 2013 drei Inspektoren, die sich mehr als zwei Monate in seiner Klinik aufhielten. Sie hatten Zugriff auf die Unterlagen sämtlicher Patienten. Sie hätten sich zwei Millionen Seiten dieser Unterlagen ansehen können. Aber sie schauten sich keine einzige Tomographie an. Sie wussten ganz genau, wie erfolgreich Burzynski war. Während sie an der Arbeit waren und einige Monate davor und danach, untersagte die FDA zum Teil die Aufnahme weiterer Patienten in der Klinik. Mehr als neun Monate, nachdem sie die Klinik verließen, gab die FDA zwei Warnbriefe heraus, in denen sie Burzynski nicht wegen schwerer Vergehen kritisierten, sondern wegen Kleinigkeiten, zum Beispiel weil er einige Patienten für komplett geheilt erklärt hatte (die keinen Hirntumor mehr aufwiesen), auch wenn sie immer noch kortikosteroide Medikamente einnahmen. Diese Medikamente werden eingesetzt, um die Schwellung um die Hirntumore herum, und damit den Druck im Kopf, zu reduzieren. Die Schwellungen um die Hirntumore herum können manchmal größer sein als die Hirntumore selbst. Viele Patienten, denen bereits vor der 337
Ankunft in Burzynskis Klinik hohe Dosen an Steroiden verabreicht wurde, benötigen weiterhin eine gewisse Dosis des Steroids (üblicherweise Dexamethason, auch als Decadron bekannt), auch wenn der Tumor bereits verschwunden ist. Burzynski hat diese Patienten als komplett geheilt eingestuft, während die FDA sie lieber als teilweise geheilt ansah. Sie brauchen weiterhin die Steroide, denn bei schweren, kritischen Dosen fallen die Nebennieren vieler Patienten aus, und ihre Aufgabe muss dann sozusagen durch die Steroide übernommen werden. Sobald ein Tumor verschwunden ist, kann es noch Monate dauern, bevor die Nebenniere wieder voll in Aktion tritt. Burzynski und seine Mitarbeiter schreiben also vor, dass die Decadron-Dosis langsam reduziert wird, wenn die Niere wieder voll funktionsfähig ist. Die Steroide sind für die Gesundheit des Patienten also unbedingt notwendig, auch wenn durch einige klinische Versuche diese Tatsache in Zweifel gezogen wurde. Die neuen Bestimmungen in Bezug auf die Klassifizierung von Fällen als komplette Reaktionen erlauben niedrige Dosen von Steroiden. Dies geht möglicherweise auf eine teilweise Änderung der Haltung der FDA Ende März 2004 zurück „Hier können wir wieder einmal sehen, dass man mehr an Vorschriften und Bestimmungen als an dem Wohl oder Überleben der Patienten interessiert ist“, sagte Burzynski. „All diese Leute wären ohne diese Behandlung heute nicht mehr am Leben, Wir haben viele dieser Menschen gerettet und ihnen wieder ein normales Leben ermöglicht. Trotzdem gibt die FDA Warnschreiben gegen uns heraus.” Der Texas Medical Board (TMB) nahm mehr oder weniger dieselbe Haltung ein. Er hat ein Verfahren eingeleitet, das darauf abzielt, nicht nur Burzynski, sondern auch Dr. Gregory Burzynski, seinem Sohn und vermutlichen Nachfolger als Chef der Klinik, die ärztliche Zulassung zu entziehen. Die Hauptanklage bestand darin, dass sie einige Patienten nicht entsprechend den geltenden Richtlinien behandelten.
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„Wir erklären ihnen, dass die Behandlung entsprechend der geltenden Richtlinien” bei den Patienten mindestens einmal, und oft mehr als einmal, häufig sogar sieben Mal, versagt hat“, klagte Burzynski. Für solche Patienten gibt es keine Standardbehandlung. Es ist absurd, aber es scheint ihnen vollkommen gleichgültig zu sein, dass wir dafür gesorgt haben, dass die Patienten immer noch leben. „Der wichtigste Aspekt bei jeder Behandlung gegen Krebs und die Reaktion auf diese Behandlung ist das Überleben. Ob ein Patient mit Steroiden behandelt wird oder nicht, ist nicht besonders wichtig, solange er, nachdem er eine tödliche Krankheit hatte, nach zehn oder fünfzehn Jahren immer noch lebt. Und wir haben viele solcher Patienten. Entwicklungen zwischen 2002 und 2003 Die Motivation war immer ein Schlüsselfaktor bei den Anhängern von Burzynski und seiner Antineoplaston-Behandlung. Wenn die Wirksamkeit dieses Mittels schon so oft unter Beweis gestellt wurde, warum wird er dann immer noch von der Regierung verfolgt? Warum hat die FDA ihn vor Gericht gebracht? Warum haben Forscher von so hoch angesehenen Institutionen wie der Mayo Klinik, dem Memorial SloanKettering Krebsinstitut und den National Institutes of Health ihre misslungenen Versuche mit den Antineoplastonen verfälscht? Viele Jahre lang hat man darüber spekuliert, dass amerikanische Wissenschaftler möglicherweise nicht wollen, dass ausgerechnet ein polnischer Einwanderer ein Mittel gegen den Krebs findet. Es gab auch Spekulationen in Bezug auf die Profite, die man mit der Krankheit Krebs machen kann: Die Antineoplastone sind viel leichter und billiger zu produzieren als die chemische Substanz für die Chemotherapie. Also wollen die großen Pharmakonzerne, dass diese neue Behandlungsmethode wieder verschwindet, damit sie weiterhin jedes Jahr Milliarden Dollar an Profite einstreichen können. All diese Spekulationen sind irgendwie berechtigt. Sie können eine Erklärung dafür sein, warum Burzynski so behandelt wurde, seit er 1997 339
von allen Anklagen, die man gegen ihn vorbrachte, freigesprochen wurde. Aber die Patentanträge, die Ende 1994 von den National Institutes of Health gestellt wurden – Kopien davon standen bis Ende 1999 (zwei Jahre nach Veröffentlichung der ersten Ausgabe dieses Buches) niemandem außerhalb des Patentamtes der Vereinigten Staaten zur Verfügung - beweisen, dass die führenden medizinischen Forschungsbehörden der US-Regierung die Behandlung mit Antineoplastonen nicht nur unterdrücken, sondern sie für ein pharmazeutisches Unternehmen stehlen wollten. Bei diesem Unternehmen handelte es sich um Elan Pharmaceuticals (zur Rolle dieses Unternehmens siehe Kapitel 6). Anfang der neunziger Jahre finanzierte die Elan die Forschungen von Dr. Dvorit Samid. Samid schrieb und unterzeichnete Patentanträge für die NIH, die 1994 eingereicht wurden. Diese waren praktisch identisch mit den Patenten, die Burzynski bereits besaß. Ihre Sprache war zwar nicht genau identisch, aber die Zeichnungen der Moleküle stimmten genau überein. Jeder, der beide Patentdokumente – das von Samid und das von Burzynski – las, konnte erkennen, dass das NIH versuchte, die Erfindung von Burzynski zu stehlen. Unmittelbar, nachdem ich für dieses Buches die Patentanträge des NIH gesehen hatte, die mit denen von Dr. Burzynski fast identisch sind, stellte ich unter Berufung auf den Freedom of Information Act eine Anfrage an das NIH und verlangte die Einsicht in alle schriftlichen Vereinbarungen, die die Rechte für die kommerzielle Entwicklung und Nutzung der NIH-Patente übertragen. Normalerweise reagiert die Regierung innerhalb von 30 Tagen bis drei Monaten auf solche Anträge. Aber diesmal nicht. Trotz zahlreicher Briefe und Telefonanrufe, die ich nach meinem ursprünglichen Antrag durchführte, kam es erst drei Jahre später zu einer Reaktion. Als die Antwort eintraf, war fast der gesamte Vertrag überarbeitet, ausgestrichen oder durch schwarze Tinte unleserlich gemacht. Aber der Name des Unternehmens, das die Entwicklungsrechte erwarb, die Unterschrift unter dem Vertrag und das Ausstellungsdatum waren immer noch zu lesen, auch wenn der Betrag, der für die Rechte zu 340
zahlen war, und der Betrag der an die US-Regierung zu zahlenden Tantiemen geschwärzt waren. Wie zu erwarten war, handelte es sich bei dem Unternehmen um die Elan. Der Vertrag war von Donald Panoz unterschrieben worden. Und das Datum war Frühjahr 1995. Innerhalb weniger Wochen nach der Unterzeichnung des Vertrages wurde die Klinik von Burzynski von bewaffneten Agenten der FDA gestürmt. Sämtliche Unterlagen wurden beschlagnahmt und die Patienten aus dem Wartezimmer mit vorgehaltener Waffe vertrieben. Drei Monate später wurde Burzynski angeklagt. Aus dem Ablauf dieser Ereignisse kann man das Motiv erkennen. Ab dem Augenblick, da die Wissenschaftlerin der US-Regierung, Samid, damit begann, sich mit finanzieller Unterstützung durch die Elan mit den Antineoplastonen zu beschäftigen, wollte man das Mittel Burzynski aus den Händen reißen. Das stand in völliger Übereinstimmung mit der schon lange bestehenden Einstellung sowohl der FDA als auch des National Cancer Institutes: Diese Therapiemethode sollte auf jeden Fall entwickelt werden. Aber die Regierungsbehörden zogen es vor, mit einem pharmazeutischen Unternehmen zusammenzuarbeiten und nicht mit einem einzelnen Wissenschaftler. Aber Elan konnte nichts unternehmen, bis Burzynski aus dem Weg geräumt war. Daher war es notwendig, ihn vor Gericht zu stellen und zu versuchen, ihn nach Möglichkeit lebenslang ins Gefängnis zu stecken. Denn solange Burzynski noch auf freiem Fuß war, konnte die Elan nicht von den praktisch gestohlenen Patenten profitieren, für die sie die Entwicklungsrechte erworben hatte. Wenn die Elan die Antineoplastone (oder wie sie diese auch immer nennen wollte) durch den klinischen Versuch und den Genehmigungsprozess für neue Medikament bringen und sie auf den Markt werfen würde, dann könnte Burzynski das Unternehmen auf all seine Gewinne sowie auf Schadensersatz verklagen. Aber er konnte nicht einfach klagen, nur weil es praktisch identische Patente gab und die Elan die Rechte daran besaß. Denn ihre bloße Existenz bedeutete noch nicht, dass ihm daraus ein finanzieller Schaden entstanden war. 341
Die Pläne der Elan und der US-Regierung, von Burzynskis Therapie zu profitieren, wurden ihnen jedoch vermasselt, als er freigesprochen wurde und seine früheren Patienten weiter behandeln und neue Patienten für klinische Versuche aufnehmen durfte. Dies beeinträchtigte jedoch die Karriere der Mitarbeiter der FDA und des National Cancer Institute, die ihn vor Gericht gebracht hatten, in keinster Weise. Nach seinem Ausscheiden aus der FDA wurde der ehemalige Beauftragte David Kessler Dekan der medizinischen Fakultät zuerst der Universität Yale und später der University of California in San Francisco. Michael Friedman, der in seiner internen Mitteilung 1991 zum ersten Mal zugegeben hatte, dass die Antineoplastone wirksam wären und der später im Namen der FDA dafür sorgte, dass man Burzynski vor Gericht stellte, wurde Vizepräsident der Abbott Laboratories und hatte später eine ähnliche Stellung bei der Monsanto Corporation. Danach wurde er dann Präsident des namhaften City of Hope National Medical Centers in Duarte östlich von Los Angeles. Aber es schadete der Elan, die etwa zwei Jahre nach Burzynskis Freispruch pleite ging und später als vollkommen neues Unternehmen wieder auftauchte – nicht in Irland, sondern in San Diego – und mit Antineoplastonen nichts mehr zu tun hatte. Es folgten einige Jahre des Waffenstillstands im langen Krieg zwischen Burzynski und den amerikanischen Gesundheitsbehörden. Burzynski begann mit 72 klinischen Versuchen in Übereinstimmung mit der von der FDA erteilten Genehmigung für neue Medikamente im Versuchsstadium (IND-Genehmigung). Die Resultate der klinischen Versuche der Phase II (Sicherheit und Wirksamkeit an einem klinischen Standort) waren so positiv, besonders bei der Behandlung von Hirnstammglioma bei Kindern und Glioma optischer Sehbahnen, dass die FDA im Jahre 2010 den Antineoplastonen für alle Gliome den Status von OrphanMedikamenten gewährte. Dieser Status ist normalerweise die Garantie für eine sehr schnelle Genehmigung sowie steuerliche Vorteile. Es folgten Verhandlungen in Bezug auf die Versuchsanordnung bei einem Experiment der Phase III, wobei sich sowohl Burzynski als auch 342
die FDA voll der Tatsache bewusst waren, dass, falls die Behandlung für den Einsatz gegen auch nur einen Typ von Glioma-Hirntumor genehmigt würde, es durch jeden Arzt für jede Art von Krankheit verschrieben werden könnte und ziemlich bald zur Standardbehandlung für viele Arten von Krebs und sogar einige andere Krankheiten werden würde. Diese Verhandlungen zogen sich über Jahre hin und waren von rein technischen Streitigkeiten bestimmt, während Burzynski gleichzeitig sporadisch mit einer Reihe von Finanzgebern wegen der Investition von einigen Millionen Dollar verhandelte, die er benötigen würde, um die Versuche der Phase III mit dem Medikament in einer Reihe von medizinischen Zentren in den USA und möglicherweise auch im Ausland durchführen zu lassen. Und dann, in den Jahren 2013 und 2014, wurde der Zermürbungskrieg richtig brutal. Maßnahmen und Warnungen durch die FDA Ein Brief der FDA an Burzynski Ende 2013 leitete eine neue Phase in der langen Schmutzkampagne gegen ihn ein. Diese Phase endete abrupt Ende März 2014, als die FDA ihm plötzlich gestattete, aufgrund einer neuen IND-Genehmigung acht Patienten zu behandeln und die Versuchsanordnung für seinen bevorstehenden klinischen Versuch der Phase III zu erweitern. Jeder Onkologe könnte eine IND-Genehmigung für jeden dieser acht Patienten beantragen, und sie würde genehmigt werden. In einem Brief von 2013 wurde Burzynski angewiesen, nicht mehr als zehn neue Patienten mit allen möglichen Indikationen aufzunehmen. „Das bedeutete, dass wir praktisch niemanden mehr für die klinischen Versuche aufnehmen konnten, weil wir bereits diese Grenze erreicht hatten, bevor der Brief überhaupt eintraf“, sagte er. „Wir konnten immer noch Patienten für eine persönliche Behandlung aufnehmen, aber wir gingen davon aus, dass, wenn die FDA uns Beschränkungen auferlegte, viele Patienten glauben würden, dass wir hier etwas Falsches tun, ob343
wohl wir die ganze Zeit Menschen gerettet und ihr Leben verlängert hatten. Damit wurde die Situation immer schwieriger.” Die Situation wurde noch schwieriger, nachdem Inspektoren der FDA im Januar zwei Warnbriefe geschickt hatten. „Wir haben festgestellt, dass Sie sich nicht an die entsprechenden Bestimmungen der FDA gehalten haben, die die Durchführung der klinischen Versuche und den Schutz der Patienten regeln“, stand in dem Brief. Dieser Brief war an das Burzynski Research Institute (BRI), dem Unternehmensbereich von Burzynskis Klinik gerichtet, der nominell die klinischen Versuche unterstützt. In dem Schreiben wurden die angeblichen technischen Verstöße im Fall von neun Patienten aufgelistet – neun von hunderten, die während eines Zeitraums von über zwölf Jahren behandelt worden waren. Zur Identifizierung der Patienten benutzte die Behörde Nummern statt Namen. Das las sich dann so: „Die Versuchspersonen 012184, 012206 und 012252 wurden nicht mit gleichbleibenden oder allmählich reduzierten Dosen von Kortikosteroiden behandelt. Deshalb wurden sie vom klinischen Versuchsleiter (Burzynski) fälschlicherweise als Stabile Krankheit eingestuft … Daher haben sie nicht die Kriterien für eine Stabile Krankheit erfüllt.” Ein auffälliger Widerspruch fand sich etwas weiter unten in dem Brief: Die Beamten schrieben, dass „wir es anerkennen, dass der Einsatz von Kortikosteroiden zur Aufrechterhaltung des physiologischen Zustand angemessen sein kann, obwohl die Versuchsanordnung vorschreibt, dass bei den Versuchspersonen die Kortikosteroide komplett abgesetzt werden müssen … zeigt die schriftliche Antwort des BRI nicht hinreichend klar auf, warum es nicht verhindert werden konnte, dass es zu einer falschen Bewertung kam … in Fällen, in denen Versuchspersonen nicht mit gleichbleibenden oder allmählich reduzierten Dosen von Kortikosteroiden behandelt wurden“. Die Inspektoren räumten dann ein, dass der Einsatz von Steroiden nach einer kompletten oder teilweisen Reaktion auf die Behandlung erforderlich sein könnte, hielten aber an der Behauptung fest, dass, falls man den Patienten weiterhin Steroide verab344
reichte, dies die Hinweise auf den Tomographien widerlegen würde, dass die Tumore stabil waren oder dass sie geschrumpft wären. Dann war da noch die Sache mit den Einverständniserklärungen (informierte Einwilligungen), in denen man die Patienten über die klinischen Versuche und die damit entstehenden Kosten informierte. Burzynskis bisherige Einverständniserklärungen, die er viele Jahre lang benutzt hatte, waren von der FDA genehmigt worden und enthielten keine Informationen in Bezug auf die Kosten, die in separaten Unterlagen aufgeführt wurden, die man allen Patienten unterbreitete. Die Inspektoren bemängelten: „Die Einverständniserklärungen … enthielten nicht alle erforderlichen Elemente einer solchen Erklärung. Insbesondere enthielten sie keine Erklärung in Bezug auf die zusätzlichen Kosten, die der Person daraus entstehen könnten, dass sie an den Versuchen teilnimmt … Daher hat das BRI es versäumt, dafür zu sorgen, dass die klinischen Untersuchungen in Übereinstimmung mit den entsprechenden Bestimmungen durchgeführt wurden.” Als Burzynski in seiner ersten Antwort vorschlug, dass die Kosten in den Einverständniserklärungen aufgeführt würden, antworteten die Inspektoren, dass jedes neue Formular, die besonderen zusätzlichen Kosten für den Patienten aufzuführen hat, die ihm aus seiner Teilnahme an dem Versuch entstehen könnten. Kurz gesagt wurde Burzynski jetzt aufgefordert, jeden einzelnen Cent aufzuführen, den eine solche Teilnahme kosten könnte. Und das war bei komplizierten Fällen eine Sache der Unmöglichkeit. Dann war da noch die Sache der sogenannten „Zweitprüfer”, der örtlich niedergelassenen Ärzte, die in der Nähe des Patienten wohnen und an ihnen regelmäßige Untersuchungen und Bluttests durchführen. Diese Ärzte (122 wurden von den Prüfern der FDA aufgeführt) wurden weder von der Klinik Burzynskis noch vom BRI jemals bezahlt. Trotzdem schrieben die Inspektoren, dass „die Bestimmungen der FDA vorsehen, dass Sponsoren der klinischen Untersuchungen von den Zweiprüfern ausreichende finanzielle Informationen erhalten, um es ihnen zu ermöglichen, entsprechend den Bestimmungen der FDA genaue Unterlagen oder Offenlegungserklärungen zu unterbreiten“. Die Inspektoren fügten 345
hinzu, dass „diese Informationen während der klinischen Untersuchungen einzuholen sind, auch wenn das BRI davon ausgeht, dass es keine finanziellen Beziehungen offenzulegen gibt. Und es ist erforderlich, dass die Arbeit der Zweitprüfer aufgeführt wird, um diese Informationen prompt zu aktualisieren, falls es während der Forschungsarbeiten oder bis zu einem Jahr nach ihrem Abschluss zu irgendwelchen größeren Veränderungen kommt“. Darauf sagte Burzynski in einem Interview: „Das ist eine einzigartige Situation. Die örtlich niedergelassenen Ärzte sind eigentlich keine Zweitprüfer – wir nennen sie nicht so, weil sie nicht aktiv an der Behandlung teilnehmen oder Entscheidungen treffen. Wir hatten im Laufe der Jahre 2000 solcher Leute. Aber niemand beschäftigt 2000 Zweitprüfer. Die finanziellen Informationen, über die die FDA hier spricht, bestehen darin, ob sie über Aktienanteile an dem Unternehmen, also dem BRI, verfügen, das die klinischen Tests unterstützt. Aber sie besitzen keine Aktienanteile – keiner von ihnen. Wir verfügen über eine Liste von Aktionären, die ständig aktualisiert wird. Und das BRI bezahlt sie auch nicht. Dennoch sagte die FDA, dass sie die Informationen von diesen Leuten benötigt. Das ist absurd, aber wir schicken ihnen allen Formulare. Einige werden uns ausgefüllt zurückgeschickt, andere wiederum nicht. Was hat all dieser Quatsch für eine Bedeutung, verglichen damit, dass wir das Leben so vieler Menschen retten? Das ist die Frage, die den Inspektoren überhaupt nicht in den Sinn kommt. Die FDA macht sich niemals Gedanken darüber. Und trotzdem konnte Burzynski noch einmal angeklagt werden und ins Gefängnis kommen, falls er nicht jeder einzelnen Anweisung der FDA Folge leistete. Das hatte er natürlich seit Jahrzehnten konsequent getan, bevor er die jüngsten Mitteilungen von der FDA erhielt, die eine beträchtliche Abkehr von der bisherigen Praxis darstellte, nämlich der sturen Weigerung, Patienten eine Sondergenehmigung zu erteilen. Dies hatte man nach den Warnschreiben Monatelang so gehalten.
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Die Anhörungen vor dem Texas Medical Board Im Gegensatz zur FDA hat der Texas Medical Board (TMB) keinerlei Befugnisse über irgendwelche klinischen Versuche. Er überwacht lediglich das Verhalten von Ärzten in diesem großen Staat, um sicherzustellen, dass die Patienten vorschriftsmäßig behandelt und ihnen für ärztliche Dienstleistungen nicht allzu hohe Gebühren berechnet werden. Diese Behörde kann Geldstrafen verhängen und Ärzten die Zulassung entziehen und damit praktisch ihre Karriere beenden. Im Allgemeinen leitet der TMB keine Verfahren gegen Ärzte ein, falls bei ihm keine Beschwerden eingehen. Aber Ärzten, die strafrechtlich verfolgt werden, wird die Identität der Person, die eine Anzeige erstattet hat, nicht preisgegeben, und sie haben auch nicht die Möglichkeit, die sich beschwerende Person während des vom TMB eingeleiteten Verfahrens zu befragen. Dies alles ist nur möglich, wenn eine durch den TMB – dessen Mitglieder vom Gouverneur des Staates ernannt werden, unter denen sich jedoch mindestens ein Arzt befinden muss – gegen einen Arzt ein Verfahren eingeleitet wird, der bei einer höheren Instanz gegen das Urteil Berufung einlegt. Im Jahre 2013 leitete der TMB ein Verfahren gegen Dr. Burzynski und drei Ärzte ein, die in seiner Klinik arbeiteten. Es war offensichtlich, dass man diese Ärzte einschüchtern und dazu bringen wollte, die Klinik zu verlassen. Zumindest in einem Fall war er sehr schnell erfolgreich damit. Ein Arzt kündigte seine Stellung in der Klinik, und die Anklage gegen ihn wurde ganz schnell wieder fallengelassen. Der Kern der meisten Klagen gegen die Ärzte der Klinik von Burzynski, einschließlich einer Klage gegen Burzynskis Sohn Gregory, bestand darin, dass sie, indem sie entweder Antineoplastone, PB oder beide zusammen in Kombination mit gezielt eingesetzten chemotherapeutischen Medikamenten verwendeten, den Patienten nicht die Art von Behandlung gaben, die heutzutage Standard wäre. Solche Verfahren wurden gegen Burzynski Senior mehrmals eingeleitet, und sie wurden jedes Mal eingestellt. 347
Er erzählt noch heute mit Vergnügen, wie eines dieser Verfahren gegen ihn beendet wurde. „Wir sagten der Behörde und ihrem Anhörungsbeauftragten, dass es keine Standardbehandlung gäbe, weil bei diesen Patienten bereits alle Standardbehandlungen versagt hätten, bevor sie überhaupt zu uns kamen“, sagte Burzynski, und schüttelte mit dem Kopf. „Aber trotzdem bestand dieser Richter (der Anhörungsbeamte) darauf, dass wir die Standardbehandlung hätten anwenden müssen. Davon ließ er sich einfach nicht abbringen. Ich präsentierte ihm dann eine Bordkarte für das Flugzeug, das ich auf dem Flughafen Charles de Gaulle in Paris betreten hatte, und zwar zu dem Zeitpunkt, da sich der Patient in meiner Klinik aufhielt. Damit konnte ich beweisen, dass ich ihn niemals gesehen hatte. Das beendete den Fall. Es spielte überhaupt keine Rolle, dass die Behandlung, die wir dem Patienten angedeihen ließen, viel besser und wirksamer war als die Standardbehandlung, die bei ihm so vollkommen versagt hatte.“ Das war ähnlich wie das Argument, das Burzynskis Anwalt Richard Jaffe bei einem Verfahren vorbrachte, das gegen den Arzt Alejandro Marquis aus dem Stab von Burzynski 2013 eingeleitet wurde. Jaffe schrieb in einem Brief an den TMB: „Weder Dr. Marquis noch irgendein anderer Arzt in der Klinik von Dr. Burzynski hat (bei dem Patienten VR) eine Behandlung durchgeführt … Die Ärzte von Burzynski haben dem Patienten im Juli 2011 einige Behandlungsoptionen angeboten. Jedoch entschied sich der Patient dafür, sich nicht in der Klinik von Burzynski behandeln zu lassen.“ Der TMB hat niemals erklärt, wie er dazu kam, im Fall eines Patienten eine Anklage gegen Marquis vorzubringen, den dieser niemals behandelt hatte. Möglicherweise hat einer der Gegner von Burzynski der Behörde den Namen des Patienten mitgeteilt und behauptet, dass dieser behandelt worden war – eine glatte Lüge. Die Klage, die gegen Gregory Burzynski vorgebracht wurde, lautete, dass er im Jahre 2011 einen Patienten mit einem fortgeschrittenen Glioblastom behandelt hätte, einem Hirntumor, der fast ausnahmslos tödlich verläuft, wenn er mit den üblichen Standardmethoden behandelt 348
wird. Der Patient, ein deutscher Staatsbürger, der von seinem Hausarzt zur Klinik begleitet wurde, unterzog sich einem Test des menschlichen Genoms, bei dem festgestellt wurde, dass neben PB oder den Antineoplastonen auch eine Reihe von Medikamenten helfen würde, die die Gene beeinflussen. In der Zusammenfassung seiner klinischen Behandlung hieß es: Wir sind der Meinung, dass dieser Patient unter Bedingungen behandelt wurde, die ein Fortschreiten seines Tumors begünstigen … Der Patient entschied sich nach etwa drei Wochen dafür, keine weiteren Medikamente mehr einzunehmen. Er starb nach fünf Monaten, was bei einem Patienten zu erwarten ist, der sich nicht (unserer) Behandlung eines Glioblastoms unterzog.“ In seinem Brief an den TMB erklärte Jaffe, wie der Patienten zuerst mit Antineoplastonen behandelt wurde. „Der Hersteller dieses Medikaments (Burzynski) traf eine Vereinbarung mit dem ausländischen Hausarzt dieses Patienten, ihn entsprechend den Exportbestimmungen der FDA mit einem Medikament im Versuchsstadium zu versorgen. Da der Patient die weitere Einnahme von Phenylbutyrat ablehnte, und dieses Mittel durch die Antineoplastone ersetzte, die ihm von seinem Hausarzt verschrieben wurden (und nicht von Burzynski junior), wurde dieser Wechsel des Medikaments in den medizinischen Unterlagen der Klinik von Burzynski notiert, wie es erforderlich ist, damit die Unterlagen vollständig sind.“ Jaffe fügte hinzu: „Sowohl vor als auch nach der Behandlung dieses Patienten erzielte die Klinik von Burzynski spektakuläre Erfolge bei der Behandlung dieser und ähnlich aggressiver Formen von Hirntumoren … Die Durchführung einer therapeutischen Behandlung bei einem Patienten mit einer tödlichen Krankheit, die in der klinischen Praxis bereits große Erfolge erzielt hat, steht in Übereinstimmung mit den texanischen Gesetzen.“ In einem anderen Brief an die Behörde schrieb Jaffe, dass „dieser Patient am Anfang eine messbare positive Reaktion auf die Behandlung zeigte, jedoch starb, nachdem er die Behandlung abbrach und sich zweimal weigerte, die zur Verfügung stehenden Standardbehandlungen durchführen zu lassen“. 349
Ebenso wie Dr. Marquis wurde auch der jüngere Burzynski beschuldigt, dass er es versäumt hätte, bei einem anderen Patienten die übliche Standardbehandlung durchzuführen. Dieser Patient ist nur unter der Abkürzung SW bekannt. Gregory Burzynski antwortete darauf: „Ich hatte mit der Behandlung dieses Patienten nichts zu tun. Außerdem war ich an dem besagten Tag nicht in der Klinik.“ Ebenso wie bei der Anklage gegen Marquis war es auch hier unmöglich, festzustellen, wie der TMB an die Informationen in Bezug auf die Identität und den Zustand des Patienten gekommen war. Das Ergebnis der verschiedenen Fälle, die der TMB bearbeitete, werden wohl erst frühestens 2015 bekannt. Einer der Gründe dafür ist, dass der TMB wiederholt bereits festgelegte Termine für Verhandlungen um bis zu zwei Monate verschob. Die einzige Gewissheit war, dass die Informationen, mit denen man dem älteren Burzynski und seiner Klinik schaden wollte, dem TMB entweder durch eine Familie eines verstorbenen Patienten, einen verbitterten Arzt, den man entlassen hatte oder aber durch die FDA zugespielt wurden. Die FDA, die nicht dazu verpflichtet ist, Informationen über Fälle bekannt zu geben, die noch in der Schwebe sind, verweigerte jede Auskunft über ihre Quellen. Aber gegen diese Klagen – auch wenn sie vollkommen unbegründet waren, wie im Falle von Patienten, die von den Ärzten der Klinik Burzynskis überhaupt nicht behandelt wurden – musste trotzdem juristisch vorgegangen werden. Und das kostete mehr als 100.000 Dollar an Prozessgebühren. Und zusätzlich mussten noch die Mitarbeiter der Klinik bezahlt werden, die die Widersprüche formulierten. Dies warf die ernsthafte Frage auf, ob die Klinik Burzynskis lang genug durchhalten würde, um diesen Anklagen entgegenzutreten, wie sie es in der Vergangenheit geschafft hatte. In den ersten Monaten von 2014 meldete Burzynski Senior, dass seine Klinik wegen der restriktiven Vorschriften der FDA und der negativen Publicity nur noch dreißig neue Patienten pro Monat aufnahm. „Das reicht nicht aus, um einer Klinik dieser Größe das Überleben zu sichern“, sagte er.
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Entlarvung von USA Today Dr. Stanislaw Burzynski hat im Laufe der Zeit eine Menge negativer Geschichten über sich und seine Behandlung mit Antineoplastonen gelesen und gehört, aber keine richtete so viel Schaden an wie eine Reihe von Artikeln, die im November 2013 von der USA Today veröffentlicht wurden, der Zeitung mit der größten Auflage in den USA. Mehr als 2,9 Millionen Ausgaben werden im Schnitt täglich verkauft und viele davon von Hotels und Fluggesellschaften gratis verteilt. Diese Auflage stellt Publikationen wie die Houston Press, das Journal of the American Medical Association und The Cancer Letter weit in den Schatten. Sie alle haben vernichtende – und zum großen Teil falsche – Berichte über Burzynski und seine Arbeit verbreitet. Die Quelle der Informationen für den Artikel von Ende 2013, der von der FDA häufig an Leute verteilt wird, die sich nach Burzynski erkundigen, ist weiterhin unbekannt, zum Teil deshalb, weil die Journalistin Liz Szabo und ihre Redakteure nicht verpflichtet sind, zu verraten, warum sie Burzynski angriffen. Aber die Geschichte von USA Today ist, wie all die anderen – die in Kapitel 7 praktisch in ihrer Gesamtheit widerlegt werden – gespickt mit Lügen und Halbwahrheiten. Die Geschichte können Sie im Internet unter nachlesen5. Sie wird von Skeptikern und Burzynski-feindlichen Blogs und Webseiten benutzt, seit sie zum ersten Mal veröffentlicht wurde. Weder die USA Today noch irgendeine andere Zeitung hat Burzynskis Antworten auf die vielen unwahren Behauptungen veröffentlicht, die über ihn und seine Arbeit verbreitet wurden. Hier ist der Text von Burzynskis Antwort auf den Artikel, der Brent Jones, dem Ethikbeauftragten der Zeitung, unterbreitet wurde:
Die beiden Artikel über mich und die klinischen Versuche in der Burzynski-Klinik enthalten falsche Informationen und unvollständige 5
http://www.usatoday.com/story/news/nation/2013/11/15/stanislawburzynski-cancer- controversy/2994561/ 351
und voreingenommene Ansichten in Bezug auf jeden wichtigen Punkt. Ich kann in dieser kurzen Antwort nicht auf jeden einzelnen Punkt eingehen. Wir werden gemäß den Vorschriften der FDA auf deren Schreiben eingehen und unsere Stellungnahme abgeben. Jedoch kann ich an dieser Stelle bereits sagen, dass in diesen Artikeln die wichtigsten Tatsachen in Bezug auf unsere Arbeit und die Ergebnisse, die wir erzielt haben, einfach verschwiegen wurden. Bei unseren klinischen Versuchen haben wir einige der schlimmsten Formen von Krebs behandelt. Wir haben dutzende von Patienten geheilt, denen durch die zurzeit verfügbaren Behandlungsmethoden nicht geholfen werden konnte. Hier einige Zahlen, um das Gesamtbild zu verdeutlichen: Die meisten der 401 Patienten mit Hirntumoren, die wir bei der Phase II mit Antineoplastonen behandelt haben, hatten eine Lebenserwartung von weniger als einem Jahr, aber 77 von ihnen haben länger als fünf Jahre überlebt, und viele von ihnen sind 10 oder selbst 15 Jahre nach der Behandlung immer noch Leben. Das ist ein beispielloser Erfolg bei dieser Art von Patienten. Es ist bekannt, dass ein Patient nur mit einem Medikament im Versuchsstadium behandelt werden darf, wenn keine andere Behandlung mehr möglich ist. Wir sind besonders stolz auf unsere Resultate bei diffusen intrinsischen Pontingliomen (DIPG), die allgemein als 100 %-ig tödlich gelten. Jedoch haben 19 % der Patienten bei unserem klinischen Versuch mit dieser Krankheit fünf Jahre lang überlebt. Trotz der verfahrenstechnischen Probleme, die die FDA in ihren Warnschreiben aufwarf, kann diese beispiellos langfristige Überlebensrate dieser Patienten von der FDA oder ihrer Zeitschrift nicht unter den Teppich gekehrt werden. (Anmerkung: Es handelt sich dabei um eine Form von Gehirntumor, für die die FDA 2014 von Burzynski verlangte, einen neuen Versuch mit 30 Patienten durchzuführen.) Bedauerlicherweise hilft diese Behandlung nicht allen Patienten, und offen gesagt gibt es in diesem Stadium unserer Forschung noch viele unbeantwortete Fragen, warum dies so ist. Aber es gibt überhaupt keinen vernünftigen Zweifel daran, dass es Patienten gibt, die einen unheil352
baren und tödlichen Hirntumor hatten, durch die Antineoplastone geheilt wurden, und jetzt wieder ein normales und produktives Leben führen. Und es gibt dutzende solcher Patienten. Es ist eine traurige Ironie, dass die Antineoplastone trotz all dieser nachgewiesenen Heilerfolge von der FDA noch nicht genehmigt wurden, während sie viele Krebsmittel genehmigte, die das Leben eines Patienten nur um etwa 60 Tage verlängern. Vor kurzem nahm ich an einem Kongress für Neuroonkologie in San Francisco teil, wo man eine Untersuchung vorstellte, derzufolge eine Gruppe von Patienten mit fortgeschrittenem Hirntumor, der man ein Placebo verabreicht hatte, länger überlebt hatte als die Patienten, die man der üblichen Standardbehandlung gegen Krebs unterzogen hatte. Im Augenblick ist dies das Beste, was man solchen Patienten anbieten kann. Wir können und müssen es besser machen! Ich bin, ebenso wie viele der Patienten, die durch die Antineoplastone geheilt wurden, der Überzeugung, dass diese Therapie ein Teil der Lösung für die über 100.000 Amerikaner ist, die an dieser Art von Krebs leiden. Ihre beiden Artikel sind nicht sehr hilfreich dabei, eine wirksame Kur für diese Art von Krebs zu fördern. Sie werden viele Menschen dazu veranlassen, sich einer unwirksamen Behandlung zu unterziehen und dann daran zu sterben. Die USA Today hat diesen Leserbrief nicht veröffentlicht, und Jones antwortete Wochen später mit einem sehr kurzen Brief, dass die Zeitung „zu ihrem Bericht stehen würde“. Burzynski glaubte natürlich nicht, dass es möglich wäre, mit einem einfachen Leserbrief sämtliche falschen Darstellungen in dem Artikel von Szabo zu widerlegen. Aber es ist schon möglich, ihre Lügen und irreführenden Informationen durch dieses Buch zu entlarven. Diese Lügen fangen bereits direkt nach der Einleitung an, in der das Schicksal eines sechsjährigen Jungen aus New Jersey geschildert wird, der nach 10 Monaten an DIPG starb. Szabo bezeichnet Burzynski als „einen Internisten ohne Zulassung und formelle Ausbildung in Onkologie“. Aber Burzyn353
ski hat neben seinem M.D. (Dr. med.) nicht nur einen Ph.D. (Dr. phil.). Er beschäftigt auch einen zugelassenen Onkologen (eine Zeitlang arbeiteten drei Onkologen in seinem Stab), und 2013 und 2014 arbeitete er als Chefredakteur der Fachzeitschrift Reviews of Recent Clinical Trials, die vom wissenschaftlichen Verlag Bentham Science Publishers herausgegeben wird. Er wurde auch zum Professor für Neurologie an der Fakultät der Universität für medizinische Wissenschaften von Beijing ernannt. Der Artikel in der USA Today über die medizinische Befähigung von Dr. Burzynski wird sowohl durch die qualifizierten Ärzte in seiner Klinik widerlegt als auch durch die internationale Anerkennung, die er erhalten hat. In dem Artikel wird außerdem behauptet, dass die Wirkung der Antineoplastone niemals durch die FDA anerkannt worden sei. Tatsächlich hat die FDA ihnen den Status eines „Orphan-Medikaments“ zuerkannt, wie in diesem Kapitel bereits erwähnt wurde. Damit hat die Zeitung sich regelrecht zu einer Lüge hinreißen lassen. Szabo begann ihre Geschichte, wie dies viele Reporter tun, mit einer Anekdote. Sie erzählte von Josia Cotto, die unter DIPG litt. Sie schrieb über die Kosten der Behandlung und behauptete: „Der „Arzt aus Texas“ hatte als Anzahlung 25.000 Dollar im Voraus verlangt, bar oder per Scheck.“ Das war eine Irreführung, denn der Betrag, den Burzynski von seinen Patienten im Voraus verlangt, wenn ihre Versicherung die Zahlung verweigert, ist bedeutend geringer als das, was andere Kliniken verlangen, sowohl in Houston als auch in anderen Teilen der USA. Das Wall Street Journal berichtete im Jahre 2008, dass das weltberühmte M.D. Anderson Cancer Center, das sich ebenfalls in Houston befindet, 105.000 Dollar verlangte, bevor es einen Leukämiepatienten behandelte, dessen Versicherung nicht für eine experimentelle Therapie aufkommen wollte. Szabo kritisierte Burzynski also, weil er von einem Patienten von außerhalb des Staates, dessen Behandlung die Versicherung nicht bezahlen wollte, einen weit geringeren Betrag verlangte. Im Zusammenhang mit der Geschichte von Josia behauptete die Zeitung auch: „Von den Kindern, die an einem solchen Tumor leiden, überleben 354
nur 5 % länger als fünf Jahre.“ Das ist eine falsche Darstellung, denn es gibt nirgendwo in der Welt einen einzigen registrierten Fall eines Kindes mit DIPG, das auch nur ein Jahr überlebt hätte – jedenfalls nicht außerhalb der Klinik von Burzynski. Inzwischen haben 19 % von Burzynskis DIPG-Patienten im Jahre 2014 bereits länger als fünf Jahre überlebt. Burzynski sagte dazu: „Die Journalistin wurde auf diese Tatsachen aufmerksam gemacht.“ Also hat sie in Bezug auf die weltweiten Überlebensstatistiken schlicht und einfach gelogen. In dem Artikel schrieb Szabo außerdem: „Das National Cancer Institut hat festgestellt, dass es keinen Beweis dafür gibt, dass Burzynski auch nur einen einzigen Patienten geheilt oder seine Lebenszeit auch nur ein wenig verlängert hätte.“ Aber in einer internen Mitteilung, die Michael Friedman vom NCI bereits im Jahre 1991 an mehrere Kollegen schickte (siehe Kapitel 1, 4, 5 und 6) stellte dieser eindeutig fest, dass „es zu konkreten Reaktionen der Hirntumore auf die Behandlung kam“. In dem Artikel heißt es weiter: „Er hat seine Theorien niemals durch die Veröffentlichung von Ergebnissen einer randomisierten kontrollierten Zufallsstudie belegt.“ Burzynski hat jedoch viele solcher Ergebnisse in Fachzeitschriften für pädiatrische Onkologie veröffentlicht und bei zahlreichen internationalen Kongressen persönlich präsentiert. Er war niemals zurückhaltend bei der Veröffentlichung seiner Ergebnisse, zum Beispiel der Ergebnisse, die im Anhang zu diesem Buch stehen, oder der Ergebnisse, über die im Januar 2014 berichtet wurde, und die auch in diesem Kapitel erwähnt wurden. Szabo zitiert den pädiatrischen Onkologen Peter Adamson vom Childrens's Hospital in Philadelphia, der Burzynski als einen „geschäftstüchtigen Quacksalber“ bezeichnete. Aber Adamson hat sich auch nicht eine einzige Tomographie eines Patienten von Burzynski angesehen, bevor er diese Aussage machte. Alles was er Szabo sagte, die willkürlich Zitate auswählte, um ihre Geschichte zu untermauern, basierte auf Hörensagen, also auf dem, was er von anderen Ärzten gelesen oder gehört hatte, und von denen die meisten niemals einen Patienten von Burzynski gesehen oder eine Tomographie angeschaut hatten. 355
Praktisch jeder Abschnitt, den Szabo schrieb, enthielt ähnliche Irrtümer, Halbwahrheiten und Aussagen, die darauf basierten, was bereits vorher über Burzynski berichtet oder geschrieben worden war – praktisch überall außer in diesem Buch. Sie erwähnte zwar einige der vielen Patienten, die behaupten, dass sie ihr Leben Burzynski zu verdanken hätten, z.B. Mary Jo Siegel, deren Geschichte in diesem Buch erzählt wird, und die 23 Jahre nach ihrer Krebsdiagnose immer noch gesund und munter ist. Aber sie tut diese Geschichten als unwichtig ab, während sie den Aussagen anderer Personen vertraut, die keine direkten Erfahrungen mit den Antineoplastonen hatten. Die gemeinste Lüge in der Artikelserie in der USA Today war wahrscheinlich die, als Szabo andere „Experten” zitierte, die gesagt hatten, dass Burzynskis Patienten „möglicherweise durch Therapien geheilt wurden, die sie zuvor mitgemacht hatten“. Wenn sie wirklich dadurch geheilt wurden, dann wären diese Personen wohl die einzigen, die jemals durch die Therapien, die sie mitmachten, bevor sie in die Klinik von Burzynski kamen, geheilt wurden. Für DIPG, Glioblastome, Gliome, Astrozytome und verschiedene andere Tumore gibt es einfach keine Heilmöglichkeiten, außer die mit den Antineoplastonen. Was lernen wir daraus? Glauben Sie nicht alles, was Sie in einer Zeitung lesen, schon gar nicht, wenn es in der USA Today steht. Die Zukunft Es herrschte ein allgemeiner Optimismus bei dem Galadinner im luxuriösen Houston Hotel, in dem 2006 der 30. Jahrestag der Eröffnung der Klinik von Burzynski gefeiert wurde. In einer Rede nach der anderen wurde den ca. 600 Gästen, die in Ballkleidern und Smokings erschienen waren, immer wieder von den Schwierigkeiten berichtet, die Burzynski in der Vergangenheit durchmachen musste, und von der Hoffnung auf eine bessere Zukunft, wenn die FDA die Antineoplastone endlich genehmigen würde, wenn auch nur deshalb, weil die Generation von Be356
amten, die ihn Jahrzehntelang gequält hatte, endlich in den Ruhestand versetzt würde. Und auch Ende März 2014 war die Stimmung wieder optimistisch, als es Anzeichen dafür gab, dass die FDA wieder die Art von Waffenstillstand einführen wollte, von der die Jahre zwischen 1998 und 2012 zum großen Teil bestimmt waren. Die jüngste wechselhafte Entwicklung trat ein, nachdem die Dinge 2013 kritisch geworden waren, obwohl Burzynski in der Zwischenzeit bereits hunderte weiterer Patienten von einer Reihe von Krebsarten geheilt hatte. Was die Situation vor dieser plötzlichen Entwicklung von Ende März 2014 noch schlimmer machte, war die Tatsache, dass im Gegensatz zu der Zeit seines Strafprozesses im Jahre 1996 ihm diesmal keine Patienten zu Hilfe eilen konnten, denn ein bürokratischer Zermürbungskrieg spielt sich außerhalb der Öffentlichkeit ab und bietet nicht das öffentliche Forum wie ein Prozess mit Geschworenen in einem Gerichtssaal. Es gab auch eine Veränderung in der Zusammensetzung der Patienten, die Burzynski behandelte. Das lag zum Teil an seinen verbesserten, auf Genetik basierenden Behandlungsmethoden, bei denen der Krebs sehr viel schneller verschwand als vorher. „Sie verbringen nicht mehr so viel Zeit bei uns oder miteinander“, sagte Burzynskis Frau, Dr. Barbara Burzynski, Anfang 2014. „Einige Patienten, die wir vom Krebs geheilt haben, verweigern sogar die Bezahlung für ihre Behandlung. Wenn wir sie um Geld bitten, dann sagen sie uns Dinge wie: Eines Tages komme ich vorbei und brenne eure Klinik nieder.' Sie kennen ja unsere politische Situation“ Das ist einer der Gründe, sagte sie, warum Patienten Burzynski bis 2014 insgesamt mehr als 2 Millionen Dollar schuldig waren. Einen großen Teil dieses Geldes wird er wahrscheinlich niemals bekommen. „Einige Patienten schulden uns 100.000 Dollar. Und letztendlich zahlen sie uns vielleicht 12.000 Dollar“, sagte Barbara Burzynski. Aber niemand dachte jemals daran, eine Behandlung abzubrechen, weil keine Zahlung erfolgte, gleichgültig wie hoch die Schulden der Patienten auch waren.
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Einige von Burzynskis älteren Patienten oder ihre Angehörigen, die nach wie vor von Mary Jo Siegel und Frederick Schiff geführt wurden, versuchten einen weiteren Rettungsversuch. Aber der Optimismus, den sie während des Strafprozesses 17 Jahre zuvor hatten, war jetzt sehr gedämpft. Und dennoch … Burzynski selbst blieb optimistisch und das vielleicht mit gutem Grund. Und sein Sohn verkündete 2006 während eines Galadinners, bei dem er zu seinem designierten Nachfolger ernannt wurde, dass auch er davon ausginge, dass die Klinik für unbegrenzte Zeit weiterarbeiten würde, obwohl er einige eigene Ideen vertrat, wie sie in Zukunft geführt werden sollte. Der ältere Burzynski sagte Anfang 2014, dass er schon bedeutend schwierigere Situationen durchgemacht hätte als den gegenwärtigen Konflikt mit der FDA und dem Texas Medical Board. „Wir haben immer einen Weg gefunden, solche Schwierigkeiten zu überwinden, und ich bin sicher, dass wir auch dieses Mal gewinnen werden“, sagte er. „Ich bin zuversichtlich, dass die Gerechtigkeit obsiegen wird.“ Falls dem so wäre, dann würde dies auf eine umgekehrte Art und Weise geschehen, als er bisher angenommen hatte. Früher ging es davon aus, dass seine Antineoplastone sich zuerst in den USA durchsetzen und dann auch in anderen Ländern zur Standardtherapie gegen viele Arten von Krebs werden würden. Jetzt hingegen glaubte er eher, dass sie sich zuerst in anderen Ländern durchsetzen würden, so dass die FDA dann gezwungen wäre, sie auch in den USA zu genehmigen. Die Entwicklungen von Ende März 2014 boten aber einige Hoffnungen, dass diese Art der Behandlung zuerst in den Vereinigten Staaten genehmigt werden würde. Aber trotzdem schienen die Aussichten auf eine Genehmigung in anderen Ländern eher als vielversprechend. Burzynski, der enge Beziehungen zu medizinischen Fakultäten in Beijing aufgebaut hat, glaubte, dass das Medikament zuerst in China genehmigt würde. Aber er ging auch davon aus, dass die Entwicklungen in Großbritannien schneller verlaufen würden.
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„Wir hatten mehr als 15 Patienten in Großbritannien“, sagte er. „Unsere Behandlung war bei den meisten sehr erfolgreich. Nur 25 % zeigten keine Reaktion.“ Die spektakulärsten Erfolge in Großbritannien erzielte man bei zwei Frauen, Hannah Bradley aus Hampstead und Laura Hymes aus Kent. Bradley litt an einem anaplastischen Astrozytom, und Hymes an einem Glioblastom. Keine von beiden reagierte auf die konventionelle Behandlung. Beide hatten sich einer Operation unterzogen, um so viel von ihrem Tumor entfernen zu lassen wie möglich. Und bei beiden war der Tumor zurückgekehrt. Dann unterzogen sie sich einer Strahlenbehandlung, und der Tumor kam wieder zurück. Beide wurden im Jahre 2010 mit Antineoplastonen behandelt, und Bradley war 2014 immer noch krebsfrei. Sie setzte die Behandlung viele Monte lang fort, nachdem sie vollkommen geheilt worden war. Hymes teilte Burzynski jedoch mit, dass sie die Behandlung mit den Antineoplastonen drei Monate, nachdem sie geheilt worden war, abgebrochen hätte. Der Tumor wäre dann zurückgekommen. Ihr Hausarzt bat die FDA zu diesem Zeitpunkt um eine neue Lieferung von Antineoplastonen, um erneut mit der Behandlung anzufangen. Die FDA weigerte sich zuerst, mit der Begründung, dass man diese Behandlung nicht einfach abbrechen und dann wieder neu aufnehmen könnte. Aber diese Ablehnung ließ sich aus der Versuchsanordnung überhaupt nicht rechtfertigen. Dennoch gab es eine Verzögerung von fünf Wochen, während denen das Glioblastom von Hymes um das Fünffache anwuchs und sie an den Rand des Todes brachte. Ihre Familie nahm sich einen Anwalt, der dem BRI als Hersteller eines Medikaments im Versuchsstadium das Recht verschaffte, die Antineoplastone dem Hausarzt zu schicken. „Wir schickten ihr gratis Medikamente im Wert von 70.000 Dollar“, sagte Burzynski. Sie fing unter der Obhut ihres Hausarztes erneut mit der Behandlung an, und nach fünf Wochen war sie praktisch wieder tumorfrei. „Ihr Arzt hatte so etwas noch nie erlebt“, sagte Burzynski. Man bat den National Health Service Großbritanniens, für die Behandlung aufzukommen. Über den Antrag war Anfang 2014 noch nicht entschieden 359
worden. Zu diesem Zeitpunkt hatte all dies die Chancen auf einen größeren klinischen Versuch in Europa wesentlich erhöht. „Es gibt 22 Länder, in die wir unsere experimentellen Medikamente liefern und einen solchen Versuch durchführen können“, sagte Burzynski. Wenn es gelingen würde, einen solchen Versuch zu organisieren, plante Burzynski, europäische Investoren anzusprechen, um das Risikokapital zur Verfügung zu stellen und diese Therapie schließlich auf dem gesamten Kontinent zu verbreiten. „Wir könnten ein europäisches Unternehmen gründen,“ sagte er. „Dann müssten auch die Amerikaner uns anerkennen. Die Welt ist ja inzwischen zu einem kleinen Ort geworden.“ Burzynski hegte auch die Hoffnung, dass die Nahrungsmittelzusätze von Aminocare, mit deren Vermarktung er Anfang 2000 angefangen hatte, etwas lukrativer sein würden als bisher. Sie wurden seitdem im Internet angeboten und für den Verkauf in Europa lizensiert, waren jedoch nicht sehr erfolgreich. „Aber der Bodybuilder Fabio Lanzoni (besser unter dem Namen Fabio bekannt), hat bereits Interesse geäußert,“ sagte Burzynski. „Möglicherweise macht er Aminocare zum Teil seines Warensortiments (das er unter der Markenbezeichnung „Healthy Planet Products verkauft).“ Falls sich einer dieser Pläne oder Möglichkeiten als erfolgreich erweisen sollte, während er gleichzeitig sowohl gegen die FDA als auch gegen den Texas Medical Board ankämpfen musste, stellte er sich vor, dass seine Klinik weiterhin auf Hochtouren arbeiten würde. Sein Sohn und potentieller Nachfolger teilte diesen Optimismus. Aber was die Leitung der Klinik anging, vertrat er seine eigenen Ansichten. „Mein Vater hat eine sehr erfolgreiche Behandlungsmethode gegen den Krebs entwickelt“, sagte der jüngere Dr. Burzynski Anfang 2014 in einem Interview. „Wir müssen dafür sorgen, dass sie genehmigt und zur Standardtherapie wird. Es wäre eine ungeheure Schande und die Verschwendung einer lebenslangen Arbeit, falls sie nicht genehmigt wird. Sobald das aber geschieht, möchte ich, dass die Klinik erweitert und eine größere Betonung auf „Wellness” gelegt wird.
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Der jüngere Burzynski besuchte die University of Texas in Austin, machte seinen M.D. (Dr. med.) an der Universität von Krakau in Polen („wo Kopernikus lernte und lehrte“, bemerkte Gregory Burzynski mit Stolz) und absolvierte seine Assistenzzeit als Arzt wiederum an der University of Texas in Austin. „Selbst jetzt, wo wir so unter Druck stehen, haben wir Verbündete, die bereit sind, sich für uns einzusetzen“, sagte er. „Es gibt Ärzte an angesehenen Institutionen in den USA, die klinische Tests mit Antineoplastonen durchführen wollen. Das Problem ist nur, dass all die negative Publicity das Denken ein wenig vergiftet hat.” Sein Sohn wünscht sich, dass Burzynski sich nicht mit den ständigen bürokratischen Problemen mit der Genehmigung herumschlagen müsste. „Er ist ein Entdecker und kein Politiker“, sagte er. „Es wäre aber großartig, wenn er auf Kritik manchmal anders reagieren würde.” Der ältere Burzynski neigte manchmal dazu, seine Kritiker als „Idioten” zu bezeichnen oder sie mit anderen wenig schmeichelhaften Ausdrücken zu belegen. „Wenn er nur sich manchmal ein wenig besser beherrschen könnte, dann wäre sein Ruf viel positiver, so wie er sein sollte.” Das, so sagte er, würde es ihm ermöglichen, sich mehr auf seine wichtige Aufgabe zu konzentrieren, anstatt sich mit staatlichen Behörden herumzuschlagen. Schließlich sagte der jüngere Burzynski, dass sein Vater es in Zukunft ein wenig anderen überlassen müsste, wie die Antineoplastone vermarktet werden. „Wir brauchen Investoren, und Investoren verschenken ihr Geld nicht aus Herzensgüte“, sagte er. „Sie erwarten, dass sie etwas zurückbekommen, und deshalb müssen wir ihnen ein wenig die Kontrolle überlassen. Es ist ein etwas konventionelleres Geschäftsmodell erforderlich und nicht so sehr eines, über das wir die totale Kontrolle ausüben, so wie früher. Es gibt sehr kluge Leute, die wir hier einbeziehen und die die ganze Sache zu einem größeren Erfolg machen könnten, als sie es bisher war“. 361
Von einer Sache ist er fest überzeugt: Die Antineoplastone werden irgendwann unter einem anderen, etwas kommerzielleren Namen vermarktet. „Ich will nicht, dass wir zu einer Firma wie Kodak werden und in der Versenkung verschwinden, weil wir uns nicht ändern wollten“, sagte der jüngere Burzynski. Aber sein Vater sagte niemals etwas darüber, dass er seine Geschäftsmethoden ändern wollte.
Niemand wusste, wie diese etwas nebensächlichen innerfamilären Differenzen schließlich gelöst werden würden. Aber wenn eine Sache sicher war, dann diese: Trotz der dramatischen Wechselfälle, die er 2013 und 2014 durchmachen musste, ist die Geschichte von Dr. Stanislaw Burzynski und seiner vielversprechenden Krebsbehandlung mit Sicherheit noch nicht zu Ende. Ob sie in Houston weitergeht oder anderswo, kann niemand mit Sicherheit vorhersagen.
362
NACHWORT Die Patienten Die Therapie mit Antineoplastonen ist eine Therapie für Aktivisten. Ihr Erfolg hängt von der aktiven Mithilfe der Patienten und ihrer Familien ab. Es erfordert gewisse Anstrengungen, die Infusionspumpe jeden Tag zu füllen. Und es macht eine Menge Arbeit, die Katheder, die die meisten Patienten benutzen, zu reinigen und zu sterilisieren. Es es ist mit Sicherheit anstrengend, die Infusionspumpe Tag und Nacht, Woche für Woche und Monat für Monat überallhin mitzuschleppen. Der Erfolg der Therapie hängt häufig von der Bereitschaft und der Fähigkeit der Patienten ab, diese Aufgaben durchzuführen. „Die besten Erfolge erzielen wir bei zwei Gruppen von Patienten: kleinen Kindern und Erwachsenen in der Altersgruppe von vierzig bis sechzig Jahren“. sagte Dr. Burzynski. „Die Kinder werden von ihren Eltern gezwungen, die Pumpe zu tragen, und sie erledigen die meisten Aufgaben für sie. Aber Erwachsene zwischen zwanzig und dreißig Jahren, und selbst einige in den Vierzigern, reagieren oft zu ungeduldig auf die ganze Sache. Sie erwarten sofortige Ergebnisse. Aber dieser Prozess kann oft Monate dauern. Viele Patienten, die über sechzig sind, haben sich bereits aufgegeben. Unter den Erwachsenen erzielen wir also die größten Erfolge bei Patienten in den mittleren Jahren. Sie haben Geduld mit der Therapie, und sie sind bereit, die dafür notwendige Arbeit zu investieren.“ Diese Analyse wurde durch die Patienten bestätigt, die an jenem sonnigen Tag im Mai 1996 im Wartezimmer von Dr. Burzynski saßen. Fast ein Jahr später sind sie alle noch am Leben. Einer von den vieren ist ein voller Erfolg, einer zumindest ein Teilerfolg, eine dritte hätte wahrscheinlich Erfolg gehabt, wenn sie bei der Therapie geblieben wäre, und einer beendete die Therapie nach gerade mal drei Wochen. William Boyd hat zweifellos am meisten von der Behandlung profitiert. Nach mehr als einem Jahr der Antineoplaston-Behandlung wendet er sie immer noch regelmäßig an, und sein Gehirntumor ist zu mindestens 363
97 % verschwunden. „Vielleicht erinnern Sie sich noch, dass die Ärzte und Schwestern in North Carolina uns Anfang 1996 gedrängt haben, uns bestrahlen zu lassen und eine Chemotherapie mitzumachen, nur damit wir noch ein wenig Zeit gewinnen“. sagte seine Frau Shirley Anfang 1997. „Jetzt haben wir nicht nur „ein wenig Zeit gewonnen“, sondern in den Antineoplastonen die Lösung gefunden. Unser Neurologe hier in Greensboro sagte, dass die Food and Drug Administration die Antineoplastone unbedingt genehmigen sollte. Er kennt neben Bill noch mindestens zwei andere Patienten, die durch sie einen Hirntumor überlebt hatten. „Es ist nicht hundertprozentig klar, ob Bills Tumor komplett verschwunden ist. Ein Bericht aus unserer örtlichen Klinik besagt, dass die letzte Kernspintomographie gezeigt hätte, dass er vollkommen verschwunden wäre. Aber Dr. Burzynski sagte bei unserem letzten Besuch in Houston, dass er nur zu 97 % verschwunden sei. Und wir wissen, dass es bei diesen Tomographien immer einen Spielraum für Interpretationen gibt.“ Tatsächlich kann ein Ödem oder eine einfache Schwellung manchmal so aussehen wie ein aktiver Tumor, ebenso wie Narbengewebe oder Massen von abgestorbenen Krebszellen. William Boyd entschied sich, die Infusion der Antineoplastone insgesamt 18 Monate durchzuführen. Falls bis dahin jeder Zweifel ausgeräumt wäre, dass der Tumor verschwunden sei, würde er noch eine Zeitlang die Kapseln einnehmen. „Zu Dr. Burzynski zu gehen, war wirklich das Beste, was wir tun konnten“, sagte Billy. „Mir geht es einfach immer besser. Wie kann es da noch einen Zweifel geben, dass dieses Zeug wirklich funktioniert?“ Bei Mitzi Jo Goodfellow gab es ein Jahr nach Beginn der Behandlung mit den Antineoplastonen immer noch einige Zweifel, inwiefern ihr das Mittel helfen würde. Ebenso wie Bill Boyd verzeichnete man auch bei ihr eine dramatische Reduktion der Größe ihres Tumors. Bis zum 10. Juni 1996, nur zehn Wochen nach Beginn der Behandlung, war ihr Tumor um 67 % geschrumpft. Aber sie litt unter häufigen Infektionen, Gewichtsverlust und gelegentlichen Anfällen, und sie hatte das Gefühl, 364
dass die Behandlung sie müde machen würde. Also stellte sie die Einnahme des Mittels am 9. August 1996 ein. Bis März 1997 hatte ihr einst sehr aggressiver Glioblastom-Tumor nicht an Größe zugenommen. Eine Computertomographie, die damals durchgeführt wurde, zeigte, dass er in der Zwischenzeit sogar ein wenig geschrumpft war. Während dieser Zeitspanne hatte sie keine Behandlung irgendwelcher Art mitgemacht. „Wir wissen also nicht, wie sehr sie von der Behandlung profitiert hätte“, sagte Burzynski damals. „Die Tatsache, dass der Tumor während der vielen Monate nicht gewachsen ist, könnte ein Hinweis darauf sein, dass er verschwunden ist. Bei der verbleibenden Läsion, die wir sehen, könnte es sich um Narbengewebe oder abgestorbene Zellen handeln. Wir können erst sicher sein, wenn wir weitere Tomographien gesehen haben. Vielleicht fängt der Tumor ja wieder an zu wachsen.“ Falls das passieren würde, sagte Mitzi Jo, würde sie sofort wieder zu Burzynski gehen und wieder mit der Behandlung anfangen. „Ich glaube, dass ich sehr stark von der Behandlung profitiert habe, obwohl ich dabei etwa 10 kg abgenommen habe. Ich habe nur deshalb aufgehört, weil ich einige Anfälle hatte und eine Menge Gewicht verloren habe.“ In den sieben Monaten, nachdem sie die Behandlung abbrach, nahm sie sieben bis acht Kilo zu und kehrte wieder zu ihrem normalen Leben zurück. „Ich würde nie wieder eine Chemotherapie oder Strahlungsbehandlung mitmachen“, sagte sie. Für Sydney Seaward und Krystyna Pataluch war dieser Kurs nicht so klar. Seaward hatte niemals das Gefühl, dass sie zu den Patienten von Burzynski passte. Sie hielt die Behandlung nur drei Wochen durch. „Ich hatte nie das Gefühl, dass ich mich einer Gruppe verzweifelter Patienten anschließen sollte“, sagte sie. „Ich gehörte auch zu der Minderheit der Patienten, die an Nebenwirkungen zu leiden hatten.“ Seaward berichtete, dass sie während der Behandlung mit den Antineoplastonen immer furchtbar müde war und an Alpträumen litt. „Ich war paranoid und aggressiv“, erinnerte sie sich. „Ich bildete mir ein, dass die Leute mir schaden wollten. Ich litt an Kurzatmigkeit.
365
Es war das erste Mal, seit bei mir Krebs festgestellt wurde, dass ich mich wirklich krank fühlte.“ „Wir hatten niemals die Gelegenheit, ihre Dosis entsprechend anzupassen“, sagte Burzynski später. „Müdigkeit ist ganz normal während der ersten Wochen der Behandlung. Sie ist ein Teil des Anpassungsprozesses, und sie dauert auch nicht lange an. Aber wir hatten nie die Chance, ihr die volle Dosis des Mittels zu verabreichen.“ Seaward sagte, dass ihre Tumore in den Monaten nach Abbruch der Behandlung sich trotzdem fast auflösten. „Ich führe das auf meine Gebete zurück“, sagte sie. „Ja, ich kehrte schließlich zur konventionellen Chemotherapie zurück, und man hat mich dort mit offenen Armen empfangen.“ Aber sie gibt zu, dass ihre Tumore fast verschwunden waren, bevor sie sich wieder in die konventionelle Behandlung begab. „Ich glaube, die größte Schwierigkeit, die ich mit den Antineoplastonen hatte, war die Tatsache, dass alle anderen Ehepartner, Geliebte oder Familienangehörige hatten, die ihnen halfen. Ich musste alles selbst erledigen“, sagte Seaward. Ich musste mich ständig mit Nadeln und Schläuchen herumplagen, und niemand half mir dabei. Ich hatte ursprünglich gehofft, dass meine Zimmerpartnerin mir helfen würde, aber es stellte sich heraus, dass sie eine panische Angst vor Nadeln hatte.“ Sie ging häufig zur Unterstützung in die Klinik von Burzynski, aber diese Besuche dauerten häufig einen ganzen Tag, weil die Ärzte und Schwestern mit anderen Patienten beschäftigt waren. „Die drei Wochen, in denen ich in der Therapie war, kamen mir wie eine Ewigkeit vor. Es war die maximale Zeit, die ich körperlich und geistig verkraften konnte.“ Burzynski ist davon überzeugt, dass Seaward sich der Behandlung nicht engagiert genug widmete. „Sie bestand zum Beispiel darauf, dass der Katheder in ihren Arm implantiert wurde, statt in ihre Brust“, sagte er. „Deshalb konnte wir das Mittel nicht so genau dosieren, wie es sonst möglich gewesen wäre. Und drei Wochen sind einfach zu kurz, um eine Reaktion zu erwarten.“ Seaward ist gegenüber Burzynski keineswegs negativ eingestellt. „Ich glaube, dass er ein sehr freundlicher und engagierter Mensch ist“, sagte 366
sie. „Er will den Leuten wirklich helfen, und ich glaube, dass er es bei vielen Leuten auch wirklich schafft. Er ist auf dem richtigen Weg, auch wenn es bei mir nicht geklappt hat.“ Bei Krystyna Pataluch gab es keine Probleme mit Nebenwirkungen, sondern ausschließlich mit den Ärzten außerhalb der Klinik von Burzynski. „Zwei Monate lang ging alles gut, nachdem sie mit der Behandlung angefangen hatte und aus Houston zurückgekehrt war“, berichtete ihr Mann Stan. „Ihr Tumor war geschrumpft, aber zwischendurch brauchte sie Bluttransfusionen wegen ihrer inneren Blutungen. Das hatte nichts mit den Antineoplastonen zu tun, aber das war der Beginn unserer Schwierigkeiten. „Niemand in Chicago wollte uns helfen, als sie erfuhren, dass wir bei Dr. Burzynski in Behandlung waren. Als sie Blut brauchte – und nach einiger Zeit brauchte sie etwa zweimal pro Woche Transfusionen – waren wir gezwungen, in die Notaufnahme des örtlichen Krankenhauses zu gehen. Nach etwa sieben oder acht Wochen brachen wir also die Behandlung ab.“ Krystyna reiste für zwei Monate experimenteller Behandlung in ihr Heimatland Polen, aber ihr Tumor fing bald wieder an zu wachsen. Nachdem sie nach Chicago zurückgekehrt war, war er so groß, dass er den Dickdarm blockierte und ein Kolostomiebeutel eingesetzt werden musste. Und da es die einzige Möglichkeit war, die örtlichen Ärzte dazu zu bringen, ihr zu helfen, stimmte sie schließlich einer Chemotherapie zu. Zehn Monate nach ihrem ersten Besuch bei Burzynski waren die Resultate dieser konventionellen Behandlung noch nicht eindeutig. „Eigentlich wissen wir ja genau, dass nichts von dem, was geschah, Burzynskis Schuld war“, sagte Stan. „Wir stehen hundertprozentig hinter ihm. Wir haben nur deshalb mit der Behandlung aufgehört, weil wir mit dem Problem der Blutungen nicht selbst fertig werden konnten und die Ärzte sie nicht behandeln wollten, solange sie noch Antineoplastone einnahm. Aber sie wird mit Sicherheit zu ihm zurückkehren, falls die Chemotherapie nicht funktioniert, denn wir wissen ja, dass die Therapie von Burzynski Resultate erbracht hatte, bevor wir sie unterbrachen.“ Im 367
Mai 1997 plante Krystyna Pataluch, nach Houston zurückzukehren und die Therapie wieder aufzunehmen. Postskriptum, Frühjahr 2000 Syndney Seaward ist tot. Im Frühjahr 1997 führte sie die Reduktion ihres Brustkrebstumors auf ihre Gebete zurück. Aber weder ihre Gebete noch die konventionelle Chemotherapie und Bestrahlung konnten verhindern, dass er mit aller Macht zurückkehrte und sich einige Monate später stark ausbreitete. Sie starb im September 1998. „Wir wissen nicht mit Sicherheit, ob sie auf die Antineoplastone reagiert hätte“, sagte Burzynski. „Aber wir sind sicher, dass sie die Behandlung niemals konsequent durchführte und ihr niemals eine richtige Chance gab. Ich wünschte, sie hätte uns die Chance gegeben, ihr zu helfen.“ Die Geschichte von zwei anderen Patienten, die sich in jenem Mai 1996 im Wartezimmer von Burzynski aufhielten, nahm einen positiveren Verlauf. Mitzi Jo Goodfellow ist vier Jahre nach Beendigung ihrer Behandlung immer noch gesund und frei von Tumoren. William Boyd ist ebenfalls frei von Tumoren und politisch wieder sehr aktiv. Er bewirbt sich um den Senatorenposten für den Staat North Carolina. „Mir geht es einfach prima“, sagte Mitzi Jo, die eine Auszeit von ihrem Teilzeitjob genommen hat. „Ich habe die Behandlung von Dr. Burzynski nur drei Monate lang durchgeführt, aber anscheinend war das lange genug. Mein Tumor war fast verschwunden, als ich die Behandlung abbrach, und jetzt bin ich seit mehr als einem Jahr tumorfrei.“ Mitzi Jo nimmt Dilantin, ein Mittel gegen Anfälle, und sie sagte, dass sie Probleme mit ihrem Kurzzeitgedächtnis hätte. „Man hat mir gesagt, dass während der Operation ein Teil meines Gehirns in Mitleidenschaft gezogen wurde, bevor ich zu Dr. Burzynski ging“, sagte sie. „Aber ich bin noch am Leben, und mein Arzt, Dr. Decker, sagte, dass er total überrascht wäre, und dass es ein Wunder sei.“ „Es ist aber kein Wunder“, sagte Burzynski. „Sie blieb nicht so lange bei der Behandlung wie viele andere Patienten, aber anscheinend reichte das für sie aus.“ 368
Die Entwicklung von Krystyna Pataluch nahm jedoch ein tragisches Ende. Sie starb Ende 1997. „Sie ging nicht wieder zu Dr. Burzynski, weil sie einfach zu schwach war“, sagte ihr Mann Stan. „Ihr Hämoglobinspiegel war so niedrig, dass sie während der letzten Monate ihres Lebens jede Woche oder noch häufiger Bluttransfusionen bekommen musste. Ich wünschte, sie wäre stark genug für die Reise gewesen. Wäre sie nach Houston zurückgekehrt, glaube ich, dass sie viel länger überlebt hätte.“ Bill Boyd hat überlebt, und er ist äußerst aktiv. Er hält es für ein Wunder, dass er immer noch lebt. Aber er kennt auch den Grund dafür. „Es waren die Antineoplastone, und ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, damit die FDA sie genehmigt, damit auch andere Menschen davon profitieren können. Ich will auch die Versicherungsgesellschaften dazu bringen, für diese Art von alternativer Behandlung aufzukommen, damit sie jedem Menschen zur Verfügung steht. Das ist einer der Gründe dafür, warum ich mich wieder für ein Amt bewerbe.“ Bill hatte keinerlei gesundheitliche Probleme mehr, seit sein Tumor Anfang 1998 nicht mehr festgestellt werden konnte. „Ich gehe jeden Tag zur Arbeit, und ich tue das gern. Ich habe keine Probleme mehr mit meiner Gesundheit.“ Aber seine Frau Shirley hatte einige Probleme. Sie musste sich einer Operation wegen endometrialer Tumore in der Brust und im Dickdarm unterziehen, und eine weitere Operation wegen einer Beckengeschwulst stand wahrscheinlich im Frühjahr 2000 an. „Ich bekam vor anderthalb Jahren drei chemotherapeutische Behandlungen, die mir nicht halfen. Vielleicht gehe ich bald wieder zu Dr. Burzynski. Ich weiß, wie gut es Bill geht, und ich bin sicher, dass das auch bei mir möglich sein wird.“ Burzynski ist der Meinung, dass diese Patienten und die neun anderen, deren Geschichte in diesem Buch detailliert erzählt wurde, „nur einen kleinen aber sehr wichtigen Teil der Gesamtheit darstellen“. Viele der Patienten, die ihn in seiner Klinik aufsuchten, taten dies, nachdem sie eine massive Bestrahlung und Chemotherapie hinter sich hatten. Einige wenige hatten noch keinerlei Behandlung mitgemacht. 369
„Sie haben die besten Chancen, wenn sie sofort zu mir kommen, ohne vorher von der Chemotherapie oder der Bestrahlung beeinträchtigt zu werden“, sagte Burzynski. „Wenn zum Beispiel Thomas Wellborn zuerst zu uns gekommen wäre, dann würde er vielleicht heute noch leben.“ Aber bis die FDA die Antineoplastonbehandlung offiziell anerkennt, ist es den meisten Patienten nicht möglich, zu ihm zu kommen, bevor sie sich ein oder zwei Mal der heutigen Standardtherapien unterzogen haben. Wenn es eine Lehre gibt, die aus dem Schicksal der 13 Personen, die in diesem Buch beschrieben wurden, gezogen werden kann, dann ist es die, dass diejenigen, die ihre vorgeschriebene Dosis an Antineoplastonen willkürlich änderten, und jene, die ihre Behandlung freiwillig oder unter Druck der FDA abbrachen, ein tragisches Schicksal erleiden mussten. „Es gibt überhaupt keine Zweifel, dass eine strenge Einhaltung der Vorschriften ein wesentlicher Faktor beim Ergebnis unserer Behandlung ist“, sagte Burzynski. „Wenn vorher keine andere Behandlung durchgeführt wurde, zum Beispiel Chemotherapie oder Bestrahlung, die das Immunsystem, die Atmung oder die Blutgefäße beeinträchtigen, dann ist das ebenfalls vorteilhaft. Wenn eine Behandlung nicht ordnungsgemäß durchgeführt wird, dann kann das immer zu einem negativen Ergebnis führen.“ Neuester Stand, Mitte Sommer 2001 Zum ersten Mal seit Burzynski Ende der siebziger Jahre Antineoplastone bei menschlichen Patienten eingesetzt hat, werden diese jetzt anscheinend in einem angesehenen Krankenhaus getestet, und zwar auf dieselbe Art und Weise, wie sie Burzynski seit langer Zeit verwendet. Der angesehene pädiatrische Gehirnchirurg und Onkologe Fred Epstein vom Beth Israel Medical Center in New York City und der Albert Einstein Medical School hat die Genehmigung seines Krankenhauses erwirkt, dort eine neue Forschungsstätte zu errichten, um die Antineoplastone von Dr. Burzynski auf ihre Wirkung gegen Gehirnstammgliome zu testen, die auf alle üblichen Behandlungsmethoden nicht reagiert haben. 370
„Was die Akzeptanz dieser Behandlungsmethode betrifft, könnte dies von entscheidender Bedeutung sein“, sagte Burzynski. „Es wäre eine unabhängige Bestätigung unserer Forschungsergebnisse. Dies erfolgte zwar schon in Japan, aber das Land liegt außerhalb der Zuständigkeit der FDA“. Burzynski berichtete ebenfalls über positive Resultate bei der Behandlung mit Natriumphenylbutyrat, das er Mitte 2001 bei etwa 150 Patienten anwendete, die an bis zu zwanzig verschiedenen bösartigen Tumoren litten. „Unsere Ergebnisse variieren von Typ zu Typ, aber wir machen sehr gute Fortschritte.“ Und im Mai 2001 erhielt Burzynski die Erlaubnis, Thomas Navarro zu behandeln, über dessen Schwierigkeiten ausgiebig in den Medien berichtet worden war. Seine Gehirntumore hatten sich bis dahin so stark entwickelt, dass seine Ärzte ihm nur noch einen Monat gaben. Mitte des Sommers war er aber immer noch quicklebendig, und er schien auf die Behandlung zu reagieren. Die FDA hat Medikamente wie Herceptin und Gleevec genehmigt, die genetisch auf bestimmte Krebsarten einwirken. Burzynski sagte dazu: „Es wird allmählich akzeptiert, dass es Schalter gibt, mit denen man den Krebs an- und abstellen kann. Die Leute verstehen langsam, was wir bereits seit vielen Jahren predigen. Die Entwicklung verläuft in unserem Sinne, auch wenn andere Wissenschaftler nicht erwähnen, dass wir das schon seit Jahrzehnten gesagt und unsere Patienten entsprechend behandelt haben.“
371
AUSWERTUNGEN DER KLINISCHEN VERSUCHE BIS JULI 2001
34
Anaplastisches Astrozytom
2
1
Anaplastisches Ependymom 1
1
Fortschreitende Krankheit
Teilweise Heilung*
29
SÄMTLICHE HIRNTUMORE
Stabile Krankheit***
Komplette Heilung
221
Art des Krebses
Keine Wiedererkrankung**
Zahl der Patienten
Schließt alle auswertbaren Patienten ein, die seit 1988 bei von der FDA überwachten klinischen Versuchen mit den Antineoplastonen A10 und AS2-1 behandelt wurden. Patienten, bei denen die Krankheit bis dato stabil blieb, könnten eine Verbesserung erfahren und zum Teil oder komplett geheilt werden.
78
80
(Verschiedene Arten von Hirntumoren in der Gesamtzahl oben eingeschlossen 1 1
Anaplastisches Oligodendrogliom 4
1
2
1
Astrozytom
16
1
6
8
1
Hirnstammgliom
17
3
3
5
6
Plexuskarzinom
1
Ependymom
4
Glioblastoma Multiforme
79
Gliom
3
1
4
372
1
2
1
9
24
42
2
1
Gliosarkom
1
Meningiom
3
Gemischtes Gliom
1
Gemischtes Gliom/
12
Fortschreitende Krankheit
Stabile Krankheit***
Keine Wiedererkrankung**
Teilweise Heilung*
Komplette Heilung
Zahl der Patienten
Art des Krebses
1 1
1 1
4
1
3
4
2
1
1
Neurozytom
1
1
Oligodendrogliom
8
Oligodendrogliom Wirbelsäule
1
Pilozytisches Astrozytom
5
Anaplastisches Astrozytom Gemischtes Gliom/ Astrozytom
2
2
2
2
1 2
Pilozytisches Astrozytom (Gliom 2
1
1
1
1
1
2
5
4
1
1
der Sehbahn) PNET (Medulloblastom)
13
2
Rhabdoider Tumor
3
1
Schwannom
1
1
Gliom der Sehbahn
1
1
Astrozytom der Sehbahn
2
1
373
1
Krebs der Nebenniere
1
Brustkrebs
20
Karzinome unbekannter Herkunft
Fortschreitende Krankheit
Stabile Krankheit***
Keine Wiedererkrankung**
Teilweise Heilung*
Komplette Heilung
Zahl der Patienten
ANDERE KREBSARTEN
1 4
8
8
4
1
3
Dickdarmkrebs
10
2
8
Speiseröhrenkrebs
8
2
4
Hals- und Kopfkrebs
5
3
2
Nierenkrebs
9
5
4
Leukämie
2
2
Leberkrebs
2
Lungenkrebs
17
Bösartige Melanome
5
Marginalzonnen-
4
4
Mesotheliome
2
1
Multiple Meliome
3
2
2 6
11 5
lymphom
3
374
1
Fortschreitende Krankheit
Neuroblastome
2
Neruendokriner Tumor
3
1
Nicht klassifiziert
3
3
Non-Hodgkin-Lymphom
47
Eierstockkrebs
2
2
Bauchspeichel-drüsenkrebs
4
4
Prostatakrebs
22
Dünndarmkrebs
1
1
Weichgewebe-sarkom
6
6
Magenkrebs
1
Harnblasenkrebs
1
Gebärmuuterhals-krebs
6
GESAMT:
411
*
1
Stabile Krankheit***
Teilweise Heilung* Keine Wiedererkrankung**
Komplette Heilung
Zahl der Patienten
ANDERE KREBSARTEN
4
1
7
2
27
4
7
2
9
9
1 1
37
42
12
3
3
155
165
Bei fast allen Patienten, die entsprechend einer Sondergenehmigung behandelt
wurden, sind alle anderen vorhandenen Behandlungen fehlgeschlagen, und sie waren sehr krank, als sie zur Behandlung zugelassen wurden. Die meisten von ihnen hatten noch eine Lebenserwartung von zwei Monaten oder darunter, als sie eintrafen. **
Definition der FDA: eine 50 %-ige oder höhere Reduktion der Tumorgröße
innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten. *** Der Tumor ist innerhalb von sechs Monaten um weniger als 50 % geschrumpft. Er hat sich aber nicht weiter verschlimmert.
375
PATIENTEN MIT SONDERGENEHMIGUNG*
Komplette Heilung
Teilweise Heilung* Keine Wiedererkrankung** Stabile Krankheit***
221
29
34
Anaplastisches Astrozytom
2
1
Anaplastisches Ependymom 1
1
Anaplastisches Oligodendrogliom
4
Astrozytom
16
Hirnstammgliom
17
Plexuskarzinom
1
Ependymom
4
Glioblastoma Multiforme
79
Gliom
3
Gliosarkom
1
Art des Krebses
SÄMTLICHE HIRNTUMORE
78
Fortschreitende Krankheit
Zahl der Patienten
Schließt alle Patienten ein, die seit 1996 von der FDA eine Sondergenehmigung erhalten haben.
80
(Verschiedene Arten von Hirntumoren in der Gesamtzahl oben eingeschlossen 1 1 1
2
1
1
6
8
1
3
3
5
6 1
4
1
2
1
9
24
42
2
1 1
Alle Resultate vorläufig, Stand 15. Mai 2000; der Zustand der Patienten mit stabiler Krankheit, die an diesem Datum aufgeführt wurden, kann sich verbessert haben. Es kann bei ihnen zu einer teilweise oder kompletten Remission gekommen sein. 376
Meningiom
1
Gemischtes Gliom
3
Oligodendro-gliom
1
Pilozytisches Astrozytom
2
PNET
2
Rhabdoier Tumor
2
Fortschreitende Krankheit
Teilweise Heilung* Keine Wiedererkrankung** Stabile Krankheit***
Komplette Heilung
Zahl der Patienten
Art des Krebses
1
1 1
1
1
Andere Krebsarten Krebs der Neben-niere
1
Brustkrebs
15
Karzinom unbekannter Herkunft
7
Dickdarmkrebs
24
Speiseröhren-krebs
4
Hals- und Kopf-krebs
9
4
Leukämie
1
1
Leberkrebs
1
Lungenkrebs
18
3 1
1
7
6
Lymphome des zenralen Nerven- 1
1
systems Bösartiges Melanom
3
4
1
377
1
Fortschreitende Krankheit
Teilweise Heilung* Keine Wiedererkrankung** Stabile Krankheit***
Komplette Heilung
Zahl der Patienten
Art des Krebses
Mesotheliom
6
2
Multiples Myelom
1
1
Neuroblastom
1
Neuoendokriner Tumor
1
Non-Hodgkin-Lymphom
7
Eierstockkrebs
4
Bauchspeichel-drüsenkrebs
4
Prostatakrebs
6
2
Nierenzell-karzinom
9
3
Dünndarmkrebs
1
Weichgewebe-sarkom
7
2
Magenkrebs
2
1
Harnblasenkrebs
4
1
Gebärmutterhals-krebs
1
1
Morbus Walden-ström
1
1
Gesamt
237
1
1
5 2
1
378
2
1
17
2
1
20
86
*
Bei fast allen Patienten, die entsprechend einer Sondergenehmigung behandelt
wurden, sind alle anderen vorhandenen Behandlungen fehlgeschlagen, und sie waren sehr krank, als sie zur Behandlung zugelassen wurden. Die meisten von ihnen hatten noch eine Lebenserwartung von zwei Monaten oder darunter, als sie eintrafen. **
Definition der FDA: eine 50 %-ige oder höhere Reduktion der Tumorgröße
innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten. *** Der Tumor ist innerhalb von sechs Monaten um weniger als 50 % geschrumpft. Er hat sich aber nicht weiter verschlimmert.
ABGESCHLOSSENE KLINISCHE VERSUCHE
2
3
Fortschreitende Krankheit
8
Stabile Krankheit**
Teilweise Heilung*
Kinder mit Astrozytom-Hirntumoren niedrigen Grades
Komplette Heilung
Art des Versuches
Zahl der Patienten
Resultate der klinischen Versuche der Phase II, bei denen die Antineoplastone in Gruppen von 40 oder weniger Patienten mindestens vier komplette oder teilweise Remission bewirkten. Resultate von Mai 2000 bei Patienten, deren Behandlung 1996 oder früher begann
2
1
29 % komplette Remissionen, 37,5 % teilweise Remissionen, bei einer Gesamtrate von 62,5 % gemäß der von der FDA fesgelegten objektiven Reaktion auf die Antineoplastone
379
1
Fortschreitende Krankheit
3
Stabile Krankheit**
Teilweise Heilung*
Erwachsene mit gemischten Gliom- 11 Hirn-tumoren
Komplette Heilung
Zahl der Patienten
Art des Versuches
2
5
27,3 % komplette Remissionen, 9,1 % teilweise Remissionen, bei einer Gesamtrate von 36,4 % gemäß der von der FDA festgelegten objektiven Reaktion auf die Antineoplastone Patienten mit Hirnstamm-Gliom
21
3
4
5
9
1,4 3 % komplette Remissionen, 19 % teilweise Remissionen, bei einer Gesamtrate von 33,3 % gemäß der von der FDA festgelegten objektiven Reaktion auf die Antineoplastone Patienten mit primären Hirntumoren
11
1
5
4
1
9,1 % komplette Remissionen, 45,5 % teilweise Remissionen, bei einer Gesamtrate von 54,5 % gemäß der von der FDA festgelegten objektiven Reaktion auf die Antineoplastone Erwachsene mit anaplastischen Astrozytomen
15
2
2
5
6
13,3 % komplette Remissionen, 13,3 % teilweise Remission, 33,3 % stabile Krankheit, 40 % fortschreitende Krankheit.
380
*
Definition der FDA: 50 %-ige oder stärkere Schrumpfung des Tumors für einen
Zeitraum von mehr als 4 Wochen ** Weniger als 50 %-ige Schrumpfung des Tumors, jedoch kein Fortschreiten der Krankheit für einen Zeitraum von mindestens 12 Wochen.
VORLÄUFIGE RESULTATE VON ZWEI JAPANISCHEN VERSUCHEN Gemeldet durch Dr. Med. Hideaki Tsuda in Kurume, Frühjahr 2000 Medizinische Fakultät der Universität Kurume in Japan
Art des Krebses
Zahl der
Zahl der Patienten,
Zahl der
Zahl der
Patienten bei der längere Zeit Patienten, bei
Patienten, bei
kein Rückfall
denen es nach
denen es nach
eintrat
längerer Zeit zu kürzerer Zeit zu einem
einem
Wiederauftre-
Wiederauftrete
ten des Tumors n des Tumors
Hepatozelluläres 8
2
kam
kam
5
1
Karzinom (Leberkrebs)
Alle Patienten, die mit AS2-1 behandelt wurden, nachdem durch eine erste Behandlung der Tumor entfernt wurde. Tsuda schrieb in seinem Bericht: „Ein hepatozelluläres Karzinom kehrt nach einer ersten erfolgreichen Behandlung fast immer zurück.“ Die übliche Erstbehandlung in Japan besteht aus Äthanolinjektionen, Mikrowellenablation, transarterieller Chemoembolisation sowie einer Chemotherapie, die auf die hepatitische Arterie abzielt.
381
Tsuda berichtete weiter: "Die Überlebenskurve dieser acht Patienten, die mit dem Antineoplaston AS2-1 behandelt wurden, sieht im Augenblick besser aus als die bei irgendeiner anderen Behandlungsform gegen hepatozellulären Krebs (wir müssen die Zahl der Patienten noch erhöhen, aber wir sind sehr optimistisch, was die Reaktion betrifft).“ Dickdarmkrebs
8
Rezidivrate (Wiederauftreten der Krankheit) Leber 1
Lunge 0
Bei der Studie wurde die Rezidivrate nach einer chirurgischen Entfernung des Dickdarmkrebses und des metastatischen Leberkrebses verglichen. Alle Patienten wurden für einen Zeitraum von ein bis zwei Wochen mit einer Kombination von oral verabreichtem AS2-1 und Injektionen von A10 behandelt (nachdem die Tumore chirurgisch aus Dickdarm, Leber bzw. Lunge entfernt wurden). Nur ein Tumor trat nach etwa 19 Monaten wieder auf. Tsuda berichtet, dass die normale Rezidivrate bei Lebertumoren bei 63 % liegt und bei Lungenkrebs bei 48 % innerhalb desselben Zeitraums. „Die Antiplastone A10 und AS2-1reduzierten die Rezidivrate“, berichtete Tsuda. Er fügte hinzu: „Der ehemalige Präsident unserer Universität in Kurume unterzog sich 1995 wegen einer Krebserkrankung mit Metastasen einer Dickdarmoperation und einer Mikrowellenablation. Seitdem nimmt er das Antineoplaston AS2-1 und ist frei von Krebs. Er hat noch fünfeinhalb Jahre gelebt, ohne seine üblichen Aktivitäten auch nur im Mindesten einzuschränken. Kein anderer Patient mit Dickdarmkrebs und multiplen Lebermetastasen hat länger als 28 Monate überlebt, gleichgültig welcher Art von Behandlung er im Krankenhaus der Universität von Kurume unterzogen wurde.“
382
FRĂœHE RESULTATE DER KREBSBEHANDLUNG MIT KALIUMPHENYLBUTYRAT Stand 1. Juli 2001
Dickdarm-krebs
Brustkrebs
Non-HodgkinLymphom
Zahl der Patienten
36
21
28
21
Fortschreiten-de Krankheit
1
4
6
5
Stabile Krankheit ****
18
5
6
6
Totale objektive Reaktionen
17
12
16
10
Signifikante Verbesserung ***
3
9
12
2
TeilweiseReaktion **
4
2
3
5
Komplette Reaktion
10
Krebsart
Prostatakrebs
Dr. Stanislaw Burzynski begann Ende 1999 damit, Patienten mit Tabletten des von der FDA genehmigten Medikaments Kaliumphenylbutyrat zu behandeln (siehe Kapitel 8).
Zahl der Patienten ohne neuen
3
1
Tumor *
383
1
Bis Mitte des Sommers 2001 hatte er etwa 150 auswertbare Patienten mit unterschiedlichen Arten von Krebs in seiner Privatpraxis behandelt, in der nicht dieselben Bestimmungen gelten wie bei den klinischen Versuchen. Zu den auswertbaren Patienten gehören jene, die so lange in Behandlung blieben, dass man ihre Ergebnisse verfolgen und beurteilen konnte. Im Folgenden sehen Sie eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Behandlung bei vier Arten von Krebs. Die Zahl der Patienten, die gegen andere Krebsarten behandelt wurden, ist zu gering, um sie in diese Tabelle zum 1. Juli 2001 einzubeziehen. *
Patient traf nach Operation oder anderer Behandlung ohne Tumor ein, und der
Tumor trat nicht wieder auf. ** Definition der FDA: Mehr als 50 %-ige Schrumpfung des Tumors, bestätigt durch mehrere Tomographien. *** Von Dr. Burzynski aufgestellte Kategorie: Patienten, bei denen der Tumor deutlich schrumpfte, was auf einer Tomographie zu sehen war, jedoch noch nicht durch weitere Tomographien bestätigt werden konnte. Von Patienten, die nicht an klinischen Versuchen teilnehmen, kann nicht gefordert werden, dass sie regelmäßigen Abständen Tomographien durchführen lassen, und einige von ihnen lassen diese für mehr als 1 Jahr nicht durchführen. Eine Bestätigung durch wiederholte Tomographien ist bei einigen somit oft unmöglich, obwohl die Reaktion möglicherweise deutlich zu beobachten ist. ****
Reduktion der Tumorgröße um weniger als 50 %, die mindestens 84 Tage
andauerte; keine fortschreitende Krankheit.
384
DR. BURZYNSKI-THERAPIE IN DEUTSCHLAND
Dr. Burzynski betreut Krebspatienten aus der ganzen Welt. Patienten, die an seiner Antineoplastone-Therapie teilnehmen wollen, müssen zur Burzynski-Klinik in Houston, USA, fliegen. Hier werden sie durch Burzynskis Team drei Wochen lang begleitet, und die AntineoplastoneTherapie wird individuell an den Patienten angepasst. Die Klinik hat einen internationalen Charakter und ist mehrsprachig, es wird auch Deutsch gesprochen. Nach drei Wochen fliegt der Patient wieder nach Hause und bekommt für einige Monaten seine Medizin mit. In seiner Heimat soll der Patient weiter durch einen von Burzinski geschulten Arzt begleitet werden. Sie können alternativ auch Ihren eigenen Arzt mit in die Burzinski Klinik in Houston nehmen, eine Option, die wahrscheinlich nur finanzkräftigen Patienten offen steht, aber durchaus gängig ist. Haben Sie Interessen an der Antineoplastone-Therapie nach Dr. Burzynski, dann vermitteln wir Sie gerne weiter. Bitte schreiben Sie ihr Anliegen an: info@jimhumbleverlag.com Dr. Burzynskis Aminocare® Anti Aging Cream und Aminocare® Nahrungsergänzung jetzt neu im Jim Humble Verlag
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