War Made Easy Wie US-Präsidenten Kriege planen Norman Solomon
War Made Easy Norman Solomon Copyright deutsche Ausgabe© 2016 – Verlag: Jim Humble Verlag Das Neue Licht / Jim Humble Verlag Postbus 1120, 6040 KC Roermond, Nederland www.dasneuelicht.com www.jimhumbleverlag.com Erste Auflage: Juni 2016 ISBN: 9789088791536
Übersetzung aus dem Englischen durch Klaus Peter Kubiak Ursprünglicher Titel: War Made Easy: How presidents and Pundits keep spinning us to death / Norman Solomon. John Wiley & Sons, Inc. Copyright © 2005 by Norman Solomon. All rights reserved. This translation published under license with the original publisher Turner Publisher. Published by John Wiley & Sons, Inc., Hoboken, New Jersey Gleichzeitig in Kanada veröffentlicht
Die Vervielfältigung und/oder (digitale) Speicherung von Teilen dieser Ausgabe bzw. deren Veröffentlichung durch Druck, Mikrofilm, Bildaufnahmen oder auf sonstige Weise, sei es chemisch, elektronisch oder mechanisch, bedarf immer der vorherigen, schriftlichen und ausdrücklichen Zustimmung des Verlegers.
INHALT
Vorwort ................................................................................................................ 4 1. Die USA sind eine gerechte und anständige Supermacht............................... 42 2. Unsere Politiker werden alles tun um einen Krieg zu vermeiden................... 52 3. Unsere Führer würden uns niemals bewusst belügen ..................................... 81 4. Dieser Kerl ist ein moderner Hitler ................................................................ 93 5. Hier geht es um Menschenrechte.................................................................. 108 6. Es geht hier nicht um Öl oder Firmenprofite ................................................ 122 7. Sie sind die Aggressoren, nicht wir .............................................................. 134 8. Wenn dieser Krieg ungerecht ist, dann wird der Kongress ihn schon verhindern .................................................................................. 141 9. Wenn dieser Krieg ungerecht ist, werden die Medien uns das schon mitteilen ................................................................................ 152 10. Das Fernsehen bringt uns den Krieg ins Wohnzimmer .............................. 179 11. Wer gegen den Krieg ist, ist für den Feind ................................................. 206 12. Dies ist eine notwendige Schlacht im Kampf gegen den Terrorismus ....... 222 13. Was die Regierung am meisten benötigt, ist eine bessere PR .................... 234 14. Das Pentagon führt Kriege so human wie möglich .................................... 244 15. Unsere Soldaten sind Helden. Ihre sind unmenschlich............................... 267 16. Amerika braucht die Entschlossenheit, um das .......................................... 276 „Vietnamsyndrom“ abzuschütteln .............................................................. 276 17. Ein Rückzug würde die Glaubwürdigkeit der USA untergraben................ 289 Nachwort .......................................................................................................... 306 Danksagung ...................................................................................................... 311
VORWORT
Wie plane ich einen Krieg? Manchmal beginnt ein Krieg sehr plötzlich, so wie ein heftiger Blitz am Horizont. Aber häufig entsteht er auch im Laufe von Monaten oder Jahren, so wie ein fernes Donnern, das plötzlich zu einem ohrenbetäubenden Knall wird. Auf jeden Fall ist es nicht die Pflicht des Bürgers, einfach daneben zu stehen, und auf den Ausbruch des Krieges zu warten. So denken wir jedenfalls in den Vereinigten Staaten, und die Politiker in Washington wollen sicher nicht, dass der Eindruck entsteht, dass ihnen die Interessen der Wähler vollkommen gleichgültig sind. Wenn ein Präsident militärische Aktionen im Ausland anordnen will, dann muss er zunächst einmal die Öffentlichkeit dafür gewinnen, also sozusagen den Sieg an der Heimatfront erringen. An dieser Front sind die Medien seine wirksamste Waffe. Von Anfang an muss er dafür sorgen, dass die Bevölkerung geschlossen hinter ihrem Oberbefehlshaber steht. Eine Medienkampagne, mit der sie davon überzeugt werden soll, dass der nächste Krieg ein gerechter ist – notwendig, gerechtfertigt und alle Schmerzen wert, die er verursachen mag. Drei Jahrzehnte lang litt die Dominikanische Republik unter der schrecklichen Diktatur von Rafael Trujillo, bis dessen Ermordung im Jahre 1961 eine neue Zeit für dieses Land in der Karibik versprach. Im Dezember 1962 wurden freie Wahlen abgehalten, und Juan Bosch erhielt fast zwei Drittel der abgegebenen Stimmen. Sieben Monate nach Beginn seiner Amtszeit wurde Bosch durch eine Revolte des Militärs aus dem Amt vertrieben. Ende April 1965 kam es zu einem Volksaufstand, der Bosch beinahe wieder an die Macht gebracht hätte. Aber Präsident Lyndon B. Johnson schickte seine Marines und erklärte im Fernsehen, dass diese Militäraktion notwendig gewesen sei, um das Leben von US-Amerikanern zu retten.1 Kurz darauf folgten weitere Rechtfertigungen. Fast vierzig Jahre später erinnerte sich einer von Johnsons Assistenten, was wirklich hinter den Kulissen vor sich ging. „Unsere Truppen befanden sich bereits in der Luft,“ schrieb Richard Goodwin. „Da berief Johnson uns zu einer Konferenz ins Weiße Haus, um die Entscheidung zu erklären, die er bereits getroffen hatte. Wir waren alle im Kabinettsaal versammelt, und William Raborn, der gerade eben sein Amt als neuer Leiter der CIA übernommen hatte, erklärte 4
uns, dass Kommunisten am Aufstand von Bosch beteiligt gewesen seien oder ihn sogar maßgeblich mitbestimmt hätten. Diese Annahme, und nicht irgendein angebliches Blutbad, war der eigentliche Grund für Johnsons Intervention. Nach der Konferenz trafen Bill Moyers, ebenfalls Mitarbeiter von Johnson, und ich uns privat mit einigen Mitarbeitern der CIA. „Wer waren diese Kommunisten,“ fragten wir, „und woher wissen wir das überhaupt?“ Man gab uns einige unglaublich zweifelhafte Informationen, zum Beispiel, dass man einen Bekannten von Bosch in einem Wohngebäude gesehen hätte, in dem man eine kommunistische Zelle vermutete. Aber das bewies doch überhaupt nichts! Dennoch schickte man 20.000 Soldaten, um einen Feind zu bekämpfen, dessen Existenz überhaupt nicht sicher war.“2 Aufgezeichnete Telefongespräche des Weißen Hauses aus jener Zeit, die im Jahre 2001 freigegeben worden waren, bieten Informationen in Bezug auf Präsident Johnsons Entscheidung zu einer Invasion der Dominikanischen Republik. Diese Tonbänder sind für die Forscher besonders interessant, weil Johnson sehr viel telefonierte. „Johnson entschied sich dafür, Truppen einzusetzen, obwohl er wusste, dass es keine konkreten Beweise für eine kommunistische Gefahr gab“, schrieb Alana McPherson, eine Wissenschaftlerin, die die Aufnahmen auswertete. „Der Präsident spekulierte möglicherweise mehr auf den politischen Nutzen einer Furcht vor einem „weiteren Kuba“ in der westlichen Hemisphäre, so dass die Möglichkeit einer kommunistischen Übernahme für ihn eher zweitrangig war.“3 Am Morgen des 26. April 1965 (zu diesem Zeitpunkt gewann die Revolte von Bosch allmählich an Boden) sprach Johnson mit Thomas Mann, dem stellvertretenden Verteidigungsminister. Johnson: “Wir müssen die Regierung dort unterstützen und irgendwie stabilisieren. Dieser Bosch taugt nichts ...“ Mann: „Nein, der Kerl taugt überhaupt nichts … Wenn wir dort keine vernünf-
tige Regierung zustande bringen, dann kriegen wir nur einen neuen Bosch. Dann haben wir dort ein weiteres Problem.“ Johnson: „Dann sollten wir das machen. Das ist dann Ihre Aufgabe. Regeln Sie
das!“ Mann: “… Ich denke, wir sollten Balaguer zurückholen. Der lag in den Umfra-
gen ganz vorn.“
5
Johnson: “Ja, versuchen Sie das. Versuchen Sie es!“ Einen Tag nach diesem Gespräch erreichte der dominikanische Aufstand Santo Domingo.5 In Washington wurden die Politiker durch diese Entwicklung in Aufregung versetzt. Das Weiße Haus hatte sich aktiv gegen die Rebellion eingesetzt und sich auf die Seite der dominikanischen Armee geschlagen. Sie hatte eine Bombardierung der Stadt und einen massiven Panzerangriff durch Infanteriekräfte genehmigt. Die US-Botschaft telegraphierte, dass sie den Angriff genehmigt hatte, „obwohl das noch mehr Blutvergießen bedeuten würde“, weil „das die einzige Möglichkeit ist, eine Übernahme der Regierung durch die Linke zu verhindern.“6 Aber der Angriff schlug fehl, und Präsident Johnson entschied sich für eine Invasion. Um der amerikanischen Bevölkerung eine kommunistische Gefahr vorzugaukeln, bemerkte der Forscher McPherson, „stellte Johnson in seiner Rede zwei Behauptungen auf, die so nicht ganz stimmten: Die erste war, dass linke Rebellen in Kuba ausgebildet worden waren, und die zweite, dass die Rebellen, die in Kuba ausgebildet worden waren, von Fidel Castro geführt worden waren. Für die erste Theorie gab es kaum Beweise, und für die zweite überhaupt keine. Aber für Johnson war das kein Problem, denn auf diese Weise konnte er die Intervention damit rechtfertigen, dass die Vereinigten Staaten eine internationale kommunistische Aggression verhindert hätten.“7 Johnson gelang es, die Öffentlichkeit von seinen Argumenten zu überzeugen. Bei einer Fernsehansprache vom 28. April, bei der er verkündete, dass einige Marines in Santo Domingo an Land gegangen seien, verschwieg er, dass die Aktion durchgeführt worden war, um eine kommunistische Übernahme des Landes zu verhindern. Stattdessen behauptete er, dass es um die Rettung amerikanischer Bürger ging. (Jahrzehnte später bemerkte der Zeitungskolumnist Jan Glidwell, der als junger Marine an der Invasion teilgenommen hatte: „Johnson hatte uns gesagt, dass er uns dorthin geschickt hätte, um 'Amerikaner zu retten.' Aber niemand, mit dem ich darüber sprach, hatte jemals einen Amerikaner gesehen, der nicht entweder eine amerikanische Uniform trug oder ein Armband des Roten Kreuzes.“8) Neue Wellen amerikanischer Truppen erreichten Santo Domingo. Am 30. April erwähnte Johnson während einer zweiten Fernsehansprache „Anzeichen dafür, dass Leute, die außerhalb der Dominikanischen Republik ausgebildet worden waren, die Kontrolle übernehmen wollten.“9 Zwei Tage später gab Johnson jede Zurückhaltung auf. Bei einer landesweit übertragenen Rede erklärte er: „Was als ein demokratischer Volksaufstand begann, der Demokratie und soziale Gerech6
tigkeit herbeiführen wollte, wurde schon bald von einer Bande kommunistischer Verschwörer übernommen.“10 Die Kommunisten für alles verantwortlich zu machen, war immer eine bequeme Rechtfertigung für die Invasion. „Anscheinend behauptete Johnson das nicht, weil er neue Beweise hatte,“ sagte McPherson, „sondern weil ein wichtiger Liberaler, John Bartlow Martin, an dem Nachmittag gerade aus Santo Domingo zurückgekehrt war und dieselbe Behauptung bei einer Pressekonferenz aufgestellt hatte.11“ Martin war ehemaliger USBotschafter in der Dominikanischen Republik und genoss den Ruf eines besonnenen Diplomaten. Als er Reportern gegenüber sagte, dass eine Revolte des Partido Revolucionario Dominicano von Bosch in den letzten Tagen „von den Kommunisten Castros übernommen worden sei“, war Johnson geradezu begeistert.12 Am selben Nachmittag drückte Johnson bei einem Telefongespräch Martin gegenüber seine Dankbarkeit aus. Er sagte: „Ich bin sehr, sehr stolz auf Sie und auf das, was Sie getan haben.“ Der Oberkommandierende versicherte dem Diplomaten, dass es keine Kanonenboot-Politik geben würde, und unterstrich dann Martins besonderen Wert in dieser Krise: „Ich denke, Sie sollten über Ihre Sympathien und Ihre Gefühle reden, und dass Sie gegen die Diktatur sind … Vielleicht könnten Sie, der Sie nicht für diese Operation verantwortlich sind, darüber besser reden als irgendjemand sonst.““13 Es war ein klassischer Moment. Es kam zu einer neuen Militäraktion, und der Präsident nutzte als politische Deckung einen Mann, der für seine Zurückhaltung und seine demokratischen Prinzipien bekannt war. Für diese in aller Eile durchgeführte Invasion der Dominikanischen Republik war John Bartlow Martin als Feigenblatt äußerst nützlich. Fast vierzig Jahre später, während der sich in die Länge ziehenden Vorbereitungen auf die Invasion des Iraks, wurde diese Dienstleistung – in einem sehr viel größeren Maßstab – von Colin Powell geliefert. Welche Gefahren den amerikanischen Staatsbürgern in der Dominikanischen Republik auch immer gedroht haben mögen – sie waren schnell vergessen. „Zu jenem Zeitpunkt befanden sich fast 2000 US-Bürger in der Dominikanischen Republik,“ schrieb der Professor für internationales Recht, John Quigley. „Und von diesen wohnten nur eintausend in Santo Domingo, dem einzigen Ort, an dem es zu Feindseligkeiten gekommen war. Am 27. April, einem Tag von der Invasion, wurden 1172 von ihnen per Schiff und Hubschrauber durch die USMarine evakuiert, ohne dass Truppen gelandet wären. Am 28. April, jedoch noch vor der Landung der Marines, wurden weitere 684 Amerikaner auf diesel7
be Art und Weise evakuiert. Insgesamt hatten also vor der Invasion bereits 1856 Amerikaner das Land verlassen.“14 Aber in den folgenden Tagen landeten ständig US-Marines und Armeesoldaten. Präsident Johnson erklärte, dass „wir zu 99% aus dem Grund gelandet sind, um das Leben von Amerikanern und Staatsbürgern anderer Länder zu schützen.“15 Dieser Vorwand war so fadenscheinig, dass, wie Murrey Marder einige Jahrzehnte später in einem Artikel schrieb, „in der Bitte um Intervention, die die in der Dominikanischen Republik herrschende Militärjunta an die USA richtete, die Rettung von Menschenleben nicht einmal erwähnt wurde.”16 Bei einer geschlossenen Sitzung des Ausschusses für auswärtige Beziehung des Senats, die zweiundeinhalb Monate nach der Invasion stattfand, bezeugte der stellvertretende Außenminister Mann, dass die US-Regierung ihren Botschafter in Santo Domingo gebeten hätte, festzustellen, ob der Führer des Militärregimes der Dominikanischen Republik „bereit wäre, uns eine zusätzliche Botschaft zukommen zu lassen, in der er aussagte, dass es notwendig sei, das Leben von USAmerikanern zu retten.“ Bei einer Zeugenaussage, die viele Jahre lang geheim blieb, sagte Mann den Senatoren: „Wir fragten ihn, ob er bereit wäre, die Begründung dahingehend zu ändern, dass es nicht mehr um den Kampf gegen den Kommunismus ginge, sondern um die Rettung von amerikanischen Staatsbürgern.”17 Die Invasion wurde von Politikern wie Robert Kennedy und Zeitungen wie der New York Times und dem New Yorker heftig kritisiert. Aber insgesamt fand die Aktion des Weißen Hauses in den USA eine breite Zustimmung. Die zweifelhafte Begründung und die Zahl der Toten – man schätzte zwischen 26 und 31 Soldaten und etwa 3000 Dominikanern, viele von ihnen Zivilisten – wurden weitgehend ignoriert. Außerdem wurde die Aktion im Nachhinein von der Organisation Amerikanischer Staaten gutgeheißen. Unter amerikanischem Druck stellte die OAS einige Wochen später Soldaten zur Verfügung, die die Invasionstruppen bei der Überwachung der Dominikanischen Republik halfen. Der größte Teil der Soldaten – insgesamt 1129 – kam aus Brasilien, einem Land, in dem das Militär erst kürzlich mit amerikanischer Hilfe die demokratisch gewählte Regierung durch eine repressive Diktatur ersetzt hatte.18 Einige der anderen Soldaten der „Interamerikanischen Friedenstruppe“ wurden von faschistischen Diktaturen wie Paraguay und Nicaragua gestellt, das damals von Anastaso Somoza regiert wurde. Die multinationale Truppe rechtfertigte 8
das, was viele für einen übereilten Schritt seitens der USA hielten, wie Juleyka Lantigua, ein in der Dominikanischen Republik geborener und aufgewachsener Schriftsteller es ausdrückte. „Ironischerweise verletzte diese gemeinsame Aktion die Charta der OAS. In Artikel 15 heißt es dort, dass kein Mitglied das Recht hat, sich in die inneren oder äußeren Angelegenheiten eines anderen Mitgliedstaates einzumischen.'“19 Ebenso wie zahlreiche andere lateinamerikanische Diplomaten betrachtete Clara Nieto – die zu jener Zeit einer UN-Delegation Kolumbiens angehörte – die Invasion der Dominikanischen Republik als „einen regelrechten Skandal“. Sie beschrieb die Reaktion wie folgt: „Obgleich die Bürger als auch die Ausländer die Invasion verurteilten, stand die überwältigende Mehrheit der Bürger Umfragen zufolge auf der Seite ihres Präsidenten. Sie unterstützten die Art und Weise wie er diesen erneuten revolutionären Aufstand zerschlagen hatte.“ Nieto fügte hinzu: „Ein messianisches und interventionistisches Fieber ergriff die meisten Abgeordneten des Kongresses der USA. Im September 1965 stimmte das Repräsentantenhaus mit 312 zu 54 Stimmen einer Resolution zu, die die Regierung dazu ermächtigte, sich – auch mit militärischen Mitteln - in die Angelegenheiten anderer Länder einzumischen, wenn die Gefahr einer kommunistischen Subversion vorhanden war. Damit wurde die Johnson-Doktrin legitimiert.“20 Die US-Regierung benötigte einen neuen Führer für die Dominikanische Republik, und Joaquin Balaguer war der geeignetste Kandidat. Er war 1956 von Trujillo zum Vizepräsidenten ernannt worden, und wurde 1960 zur Galionsfigur, bevor er abgesetzt wurde. Im Frühjahr 1965, als die US-Truppen nach der Invasion die vollständige Kontrolle übernommen hatten, wurde er darauf vorbereitet, die Macht zu übernehmen. „Mit imperialer Arroganz“ schrieb Nieto „hielt Johnson seine Truppen im Land und mischte sich willkürlich in dessen innere Angelegenheiten ein. Zum Beispiel setzte er den ehemaligen Präsidenten Joaquin Balaguer, der in New York im Exil gelebt hatte, wieder als Präsidenten ein. Während der Invasion hatte er Johnson als Berater gedient.“21 Während der nächsten Jahrzehnte, während denen Balaguer zeitweise mal im Amt war und dann mal wieder nicht, ging es ihm sehr gut, während das Volk immer mehr in Armut versank.22 Zwanzig Jahre nach der Invasion erschien ein interessanter Artikel in der New York Times, der auf Gesprächen mit Personen beruhte, die damals dabei waren. „Ein Punkt, bei dem unter den Dominikanern allgemein Übereinstimmung herrscht …. ist, dass die Gründe, die Präsident Johnson für eine Invasion auf9
führte, jeder Grundlage entbehren,“ stellte die Zeitung fest. „Nahezu jeder, den wir interviewt haben, ging davon aus, dass die Gefahr für die Amerikaner, die in der Hauptstadt wohnten, minimal war, und dass die paar vereinzelten dominikanischen Kommunisten, die praktisch führerlos waren, für niemanden eine ernsthafte Gefahr darstellten.“ Selbst ein wichtiger Offizier, der 1965 gegen eine Wiedereinsetzung von Juan Bosch als Präsidenten gekämpft hatte, widersprach den Aussagen Washingtons, wie die Times berichtete: „Der General im Ruhestand Elias Wessin y Wessin, einer der wichtigsten Truppenkommandanten, der gegen Bosch gekämpft hatte, sagte, dass er niemals davon ausging, dass amerikanische Zivilisten in Gefahr wären, oder dass die Gefahr bestünde, dass die Dominikanische Republik zu einem zweiten Kuba werden könnte.“23 Ende April war eine Zeit des Aufruhrs in der Dominikanischen Republik. Am 32. Jahrestag des Aufstands, der der Invasion vorausging, kam es bei Demonstrationen in der Hauptstadt zu Zusammenstößen zwischen Studenten und Soldaten. Die Autonome Universität von Santo Domingo ließ Vorlesungen ausfallen, „um weitere Unruhen zu vermeiden,“ wie Associated Press berichtete. „Die dominikanische Flagge auf dem Campus wurde als Symbol der Trauer über die Invasion auf Halbmast gesetzt“.24 Der Dekan der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität von Calgary, Stephen J. Randall, der die Invasion als „die erste direkte militärische Invasion der Vereinigten Staaten in Lateinamerika seit den späten zwanziger Jahren“ bezeichnete, bemerkte, dass „das direkte Ergebnis die Etablierung eines repressiven politischen Regimes unter Balaguer und die Unterdrückung der Aktivisten des Partido Revolucionario Dominicano war.“25 Mehrere Jahrzehnte später sind die Folgen in der Dominikanischen Republik immer noch zu spüren. „Nach der Invasion blieb Balaguer während eines großen Teils der folgenden 28 Jahre an der Macht, und gewann eine gefälschte Wahl nach der anderen,“ sagte der Schriftsteller Lantigua im Jahre 2000. „Und das Erbe von 1965 lebt immer noch weiter. Die dominikanischen Führer regieren immer noch im Namen einer privilegierten sozialen Klasse und ausländischer Mächte. Die Präsidenten werden immer noch durch politische Machenschaften seitens Balaguer und seinen Helfern ins Amts gehievt. Und die Korruption ist allgegenwärtig.
10
Vor 35 Jahren haben die amerikanischen Marines verhindert, dass das Volk der Dominikanischen Republik sein politisches Schicksal selbst bestimmt. Und das ist kein Jubiläum, das viele Menschen in meinem Land besonders feiern.“26 Als ein ehemaliger Präsident des Landes, Leonel Fernandez, die Wahl von 2004 gewann und damit nach vier Jahren wieder ins Amt kam, kleidete er sich mit dem Umhang von Juan Bosch, führte seine Anhänger in einer Prozession zum Friedhof, auf dem Bosch beerdigt worden war und bezeichnete ihn als seinen „spirituellen Führer.“ Aber Fernandez ist ein ehemaliger Protegé von Balaguer, und – was nach Ansicht von Associated Press noch wichtiger ist – seine gegenwärtige konservative Wirtschaftspolitik hat überhaupt keine Ähnlichkeit mit Boschs ursprünglichen Ideen in Bezug auf Landreform und seinen kühne Maßnahmen, mit denen er den Armen helfen wollte. ”27 Vierzig Jahre nach der Invasion ist die Dominikanische Republik immer noch verarmt, und trotzdem haben die Politiker in Washington gegen ihren Präsidenten anscheinend nichts einzuwenden. Rückblickend kann man erkennen, dass die Invasion der Dominikanischen Republik im Jahr 1965 eine Reihe militärischer Aktionen der USA in der westlichen Hemisphäre und darüber hinaus nach sich zog. Während die verdeckten Invasionen der CIA in Lateinamerika so regelmäßig kamen wie die Jahreszeiten, war die massive Invasion in einem so kleinen Land der politische Prototyp für zwei Blitzinvasionen in den achtziger Jahren – Grenada und Panama – und, auf eine etwas kompliziertere Art und Weise, die relativ begrenzten Invasionen der USA in Haiti während der Regierungszeiten von Clinton und George W. Bush. In beiden Fällen fand der Mann, der im Weißen Haus regierte, Mittel und Wege, um die Medien dazu zu bringen, die Öffentlichkeit in ihrem Sinne zu beeinflussen und die Politik durchzusetzen, die Lyndon Johnson gegenüber dem stellvertretenden Außenminister Mann so formuliert hatte: „Wir werden die Regierung dort einsetzen und sie auf die eine oder andere Weise lenken und stabilisieren.““28 Seit den sechziger Jahren verliefen die Lieblingskriege der USA immer sehr schnell und – zumindest für den größten Teil der Leute daheim – sehr „erfolgreich“. Sie vermittelten den Eindruck, dass man etwas Wichtiges vollbracht hätte.29 Mit der eindeutigen Ausnahme von Vietnam und den Nachwirkungen der Invasion im Irak waren die jüngeren Kriege in den USA nicht besonders umstritten. In der öffentlichen Wahrnehmung haben die USA sich um die Do11
minikanische Republik, Grenada und Panama fürsorglich gekümmert. Dasselbe behauptet man in Bezug auf den Golfkrieg, Jugoslawien und Afghanistan. Kleinere Interventionen, wie das Abfeuern von Raketen auf den Sudan und Afghanistan im Jahr 1998, oder die unglückseligen Expeditionen im Libanon 1983 und Somalia 1993, werden als erfolgreiche Missionen gefeiert, als unange-messene Aktionen oder einfach als Versuche mit negativen Resultaten abgetan. Wenn der Präsident mehr abbeißt als das Pentagon kauen kann, hält die Mehrheit der Amerikaner die militärischen Abenteuer der Regierung immer noch für akzeptabel, und wenn sie sie nur passiv duldet. Unzufriedenheit herrscht erst dann, wenn der Krieg nicht innerhalb von Wochen oder Monaten abgeschlossen werden kann – wobei die Kommandeure in Washington feststellen, dass sie den Frieden nicht ohne ein langwieriges und schwieriges Engagement der USTruppen gewinnen können, während die Rechtfertigungen für den Krieg der Öffentlichkeit immer verdächtiger vorkommen – mit anderen Worten: wenn der Stärkere nicht unbedingt im Recht war. Die tragische Invasion der Dominikanischen Republik hat einige chronische Elemente offenbart, wie dem amerikanischen Volk eine Reihe von Kriegen verkauft wurde, die man in ihrem Namen und mit ihren Steuergeldern führte. Wie die Pläne auch immer durchgeführt wurden – ob die Gründe für einen Krieg plötzlich durch die Medien verbreitet wurden oder allmählich in die Nachrichten einsickerten – die Politiker in Washington, ihre Helfer im Kongress und verschiedene Leute in den Medien, haben immer behauptet, dass eine militärische Aktion notwendig sei, um eine Katastrophe zu verhindern, zum Beispiel die Ermordung amerikanischer Bürger, der Sieg schrecklicher Tyrannen oder die Entwicklung von Massenvernichtungsmitteln durch die falschen Machthaber. Viele Journalisten scheinen die Regierung beim Wort zu nehmen, wenn die Rede von „Spionage“ ist. Skepsis und Kritik kommen, wenn überhaupt, erst viel später, wenn die Bomben bereits abgeworfen wurden und die Soldaten in die Schlacht gezogen sind, von denen manche niemals und viele mit Verletzungen an Körper und Seele in die Heimat zurückkommen. Was die Leute betrifft, die von der gewaltigen Militärmaschinerie der USA angegriffen werden, sterben diese in weit größerer Zahl. Dem Beginn eines Krieges mag eine heftige öffentliche Kontroverse vorausgehen, aber eines hat die jüngere Geschichte gezeigt: Gleichgültig was in der Verfassung steht – wenn der Präsident einen Krieg wünscht, dann bekommt er ihn auch. Das kann man kaum von wichtigen nationalen Gesetzen behaupten, die durch den Kongress verabschiedet werden müssen. (Eine umfassende Reform des Gesundheitssystems der USA ist viel unwahrscheinlicher als der nächste Krieg.) Was die Entscheidung zwischen Krieg 12
und Frieden betrifft, wird das Weiße Haus von den anderen Regierungsstellen viel weniger behindert. Wenn der Präsident der Vereinigten Staaten entschlossen ist, in den Krieg zu ziehen, werden eine Menge politischer und werbetechnischer Prozesse eingeleitet. Die Zustimmung zu dem Krieg nimmt die Form aktiver oder stillschweigender Unterwerfung an, zumindest so lange wie der Krieg andauert. Was später an die Oberfläche kommt – z.B. Hinweise auf falsche Darstellungen und Verzerrungen - könnte uns dann zu der Überzeugung bringen, dass wir in einer Gesellschaft leben, die so frei und demokratisch ist, dass die Wahrheit früher oder später ans Licht kommt. Aber vorerst kommt es zum Krieg – nachdem man uns Lügen erzählt hat, die wir zum großen Teil geglaubt haben, bevor die Massenmedien dann allmählich ein wenig klarer sahen. Die Informationen, die später bekannt werden, kommen nicht früh genug, um das Schreckliche zu verhindern. Und gleichgültig, wie genau wir den Nachrichten folgen – wir erfahren selten besonders viel über die menschlichen Folgen. Ein Vierteljahrhundert nachdem die Marines in Santo Domingo gelandet waren, kämpfte eine ganz andere Art von US-Truppen neunhundert Meilen südwestlich von der Dominikanischen Republik. Die neue Invasion war ein gewaltiger Erfolg.30 Und jede Menge sensationell aufgemachter Einzelheiten verstärkten den Eindruck, dass die Kräfte des Bösen zu Recht vernichtet worden waren. Einen Tag nach Weihnachten 1989 hieß es in einem Artikel in der New York Times: Das militärische Hauptquartier der Vereinigten Staaten, das General Manuel Antonio Noriega als einen verrückten, Kokain schnüffelnden Diktator schilderte, der zu Voodoogöttern betet, gab heute bekannt, dass der abgesetzte Führer rote Unterwäsche trug und sich mit Prostituierten vergnügte. Außerdem behauptete das unter der Führung von Maxwell Thurman stehende amerikanische Kommando in einem zweieinhalbseitigen Bericht an die Presse, dass, als die Invasion der USA letzte Woche stattfand, „Noriegas erste Reaktion nicht darin bestand, seine Frau anzurufen, sondern seine Geliebte und ihre Familie“. „Unseren Quellen zufolge“, hieß es weiter in dem Bericht, „hat er niemals versucht, seine Frau anzurufen.“31 13
Die Pressemitteilung des Pentagons schloss mit den Sätzen „Die Geschichte dieses wahrhaften bösen Menschen enthüllt sich mit immer bizarreren Einzelheiten über seinen unglaublichen Lebensstil. Wir werden Sie über weitere Details auf dem Laufenden halten, sobald diese bekannt werden.“32 Fast nebenbei beschrieb die New York Times Noriega als „einen Mann, der lange Zeit für die Central Intelligence Agency gearbeitet hatte“. Tatsächlich arbeitete er für den amerikanischen Geheimdienst, als er 1984 die Wahlen zugunsten seines bevorzugten Präsidentschaftskandidaten Nicolas Ardito Barletta gefälscht hatte. US-Außenminister nahm an dessen Amtseinführung teil. Während seines Besuchs sprach sich Schultz lobend über die „Demokratisierung“ des Landes aus. Als Noriega einige Jahre später bei den USA in Ungnade fiel, verschwendete man nicht mehr viel Druckerschwärze über die einstige enge Freundschaft der US-Regierung mit diesem „wahrhaft bösen Menschen.“ (Das war ein Muster, das sich weniger als ein Jahr nach der Invasion in Panama wiederholen sollte, als Spitzenpolitiker und Journalisten der USA Überstunden machten, um die Bösartigkeit eines weiteren ehemaligen Verbündeten der USA, Saddam Hussein, zu beklagen, als irakische Truppen in Kuwait einmarschierten.) Als der panamesische Diktator die USA verärgerte, war er für sie nicht länger von Wert. Eines von Noriegas Vergehen bestand darin, dass er die Kriegsanstrengungen der USA in Nicaragua nicht länger unterstützte.33 Einer der Gründe für die Verurteilung Noriegas durch Washington war, dass Noriega in Drogengeschäfte verwickelt war. Aber diese Beweise waren in Washington bereits seit Jahren bekannt – schon als Reagan gute Beziehungen zu Noriega unterhielt. Wie Norman Bailey, der während der Regierungszeit Reagans Mitglied des Nationalen Sicherheitsausschusses war, vor einem Kongressausschuss aussagte, gab es Anfang der achtziger Jahre „nicht einen Beweis, sondern einen Berg von Beweisen für Noriegas Drogengeschäfte.34 Aber das war kein Problem – die gemeinsame Arbeit zwischen Noriega und Washington ging reibungslos weiter. Im Mai 1986 schrieb der Chef der amerikanischen Drogenbehörde John C. Lawn einen herzlichen Brief an den Diktator von Panama, in dem es hieß: „Ich möchte die Gelegenheit ergreifen, Ihnen noch einmal meinen tief empfundenen Dank für die wirksame Anti-Drogen-Politik auszudrücken, die Sie ausüben.”35 Im Sommer 1986 wurden der Presse neue negative Informationen über Noriega bekannt. Aber das Weiße Haus lobte ihn weiterhin, wie Associated Press berichtete: „Die Regierung Reagan teilte dem Kongress am Donnerstag mit, dass Pa14
nama in Bezug auf die Bekämpfung des Drogenhandels und der Geldwäsche sehr effektiv mit den USA zusammenarbeite. Sie wies veröffentlichte Berichte zurück, denen zufolge der Oberbefehlshaber der panamesischen Streitkräfte [Noriega] an solchen Aktivitäten beteiligt sei.”36 Es war kein Zufall, dass hohe Politiker in Washington Noriega immer noch als einen Verbündeten im Kampf gegen die Sandinisten ansah. Die Angeles Times zitierte Berichte aus Quellen im Kongress, dass, wie es die Zeitung ausdrückte, „Noriega Verbindungen zu den von den USA unterstützten Rebellen haben soll, die die sandinistische Regierung von Nicaragua bekämpfen.“37Noriega spielte mit Washington, aber er war auch sehr nützlich. Später jedoch, in den Jahren 1986 und 1987, wurde Noriega zunehmend zu einem unzuverlässigen Verbündeten.38 Seine Weigerung zur Zusammenarbeit und seine ständigen Störungen beim Krieg gegen die Contras führten schließlich dazu, dass er in Ungnade fiel. 39 „Noriega war ein Mittel zum Zweck,“ schrieb der Kolumnist Haynes Johnson einige Tage nach Beginn der Invasion. „In diesem Jahrzehnt bestand der Zweck darin, den Streitkräften der Contras in Nicaragua insgeheim Hilfe zukommen zu lassen. Jahrelang war Noriega für die CIA sehr nützlich gewesen. Während der Reagan-Ära baute er persönliche Beziehungen mit William J. Casey auf, dem verstorbenen Direktor der CIA. Was Casey von Noriega wollte – und auch erhielt – war seine Unterstützung bei den Waffenlieferungen an die Contras. Da er den Sicherheitsapparat von Panama kontrollierte, konnte Noriega Lieferpapiere für die „Endbenutzer“ in Panama ausstellen, die die Waffenlieferungen in dieses Land legitimierten. Sobald die Waffen dort eingetroffen waren, war Noriega in der Lage, sie legal an den Meistbietenden zu verkaufen, ohne dass irgendwelche lästigen Fragen gestellt wurden.”40 Johnsons Artikel erschien nicht in irgendeinem zweifelhaften Blatt, sondern in der Washington Post. Trotzdem fand er keine besondere Beachtung in den nationalen Medien. Und als sein Artikel erschien, war die Intervention bereits erfolgt und hatte für die Bevölkerung katastrophale Folgen. Der Invasion Panamas folgte einer Reihe von wirtschaftlichen und militärischen Maßnahmen, die eine starke Unterstützung durch die Medien erfuhren, nachdem Noriega in Ungnade gefallen war und von der CIA nicht länger bezahlt wurde. Bis zum Frühjahr 1988 hatten die Wirtschaftssanktionen der USA für die Armen in Panama katastrophale Folgen. Im Mai 1989 erklärten die Behörden der Regierung Noriega die Ergebnisse einer landesweiten Wahl, die er verloren hatte, für ungültig. In den Vereinigten Staaten zeigte das Fernsehen Berichte über Anhänger Noriegas, die auf den Straßen von Panama City oppositionelle Demonstranten zusammenschlugen. In einem typischen Bericht präsentierte die Journalistin Judd Rose – mit einigen süffisanten Bemerkungen über die „Demokratie 15
nach Panama-Art“ - einen Film, in dem ein Journalist nach Atem rang, nachdem er von einigen kriminellen Anhängern Noriegas angegriffen worden war. 41 (Zwei Monate zuvor, als das von den USA unterstützte Militär in El Salvador während der Wahlen drei Journalisten umgebracht hatte, waren ABC und die anderen Sender nicht so eifrig, die antidemokratische Gewalt zu recherchieren und zu verurteilen.) Präsident George H. W. Bush reagierte, indem er das Militär von Panama drängte, das Regime des Generals zu stürzen, und indem er zweitausend weitere Soldaten in die US-Zone von Panama schickte. Einer Meldung von United Press International vom 15. Mai zufolge sollte die Stationierung der Truppen dazu dienen, „Amerikaner zu schützen, die sich in der PanamaKanalzone aufhielten.“ In der Meldung hieß es weiter: „Die Regierung hat darauf hingewiesen, dass sie nicht an einer militärischen Intervention interessiert sei, sondern dass es lediglich um die Sicherheit von US-Bürgern ginge.“42 Ende des Sommers 1989 provozierte Panama bei hohen Politikern Vergleiche mit dem Dritten Reich. Politiker in Washington kritisierten, dass Noriega weiterhin im Amt blieb. Und sie wiesen darauf hin, dass er im vorangegangen Jahr durch Bundesrichter in Florida wegen Drogenhandels verurteilt worden war. „Das ist eine Aggression, ebenso wie Adolf Hitlers Einmarsch in Polen vor fünfzig Jahren eine Aggression war,“ sagte der stellvertretende Verteidigungsminister Lawrence Eagleburger bei einer Konferenz der Organisation der Amerikanischen Staaten. „Es ist eine Aggression gegen uns alle, und eines Tages werden wir etwas gegen sie unternehmen müssen.“43 Als die Regierung Noriega wegen Menschenrechtsverletzungen von der OAS verurteilt wurde, kritisierte diese Organisation auch die USA wegen ihrer jüngsten militärischen Übungen, die die politischen Spannungen in Panama verschärfen würden. Natürlich erwähnte Washington nur die Kritik, die gegen Noriega gerichtet war. Es gab zahlreiche Hinweise darauf, dass die militärischen Manöver der USA gerade erst begonnen hatten. Ein nicht genannter Mitarbeiter des Außenministeriums sagte der Presse: „Offensichtlich hat der multilaterale Ansatz bei Noriega nicht funktioniert, also überprüfen wir andere Optionen, um im Alleingang zu handeln. Im Augenblick würde ich keine Möglichkeit ausschließen.“44 Noriega war zwar kein Sonntagsknabe, aber im Vergleich zu den mörderischen Regimen, die in El Salvador und Guatemala herrschten und von den USA unterstützt wurden, war er doch relativ erträglich. Aber im Großen und Ganzen hielten sich die Nachrichtensender weitgehend an die Vorgaben von Bush und Quayle, die Noriega zunehmend als einen unerträglichen Schandfleck in der Region bezeichneten.
16
Die allgemeine Haltung ermutigte das Weiße Haus, den panamesischen „Machthaber“ härter anzufassen, obwohl es auch einige Vorbehalte gab. Der Boston Globe schrieb in einem Leitartikel, dass die Regierung Bush die Lage noch schlimmer gemacht hätte, indem sie wiederholt Truppen in die Kanalzone geschickt hätte, die dann direkt mit der Armee Noriegas konfrontiert wurden. … Die Manöver wurden mit den Panamakanal-Verträgen gerechtfertigt. Aber wie gerechtfertigt sind „Geiselrettungs“-Übungen, bei denen eine plötzliche Stationierung von Truppen durchgeführt wird und Kampfhubschrauber in geringer Höhe über Regierungsgebäude hinweg fliegen?“ Der Leitartikel war fast prophetisch, als er warnte: „Bei diesem ganzen Säbelrasseln könnte noch jemand umkommen.“45 Aber wenn es um die US-Politik gegenüber Panama ging, konzentrierte sich die Kritik darauf, dass Bush nicht schnell und hart genug durchgriff. Ein fehlgeschlagener Putschversuch im Frühherbst des Jahres 1989 ließ in den US-Medien die Alarmglocken läuten. Im Capitol machten Abgeordnete beider Parteien abfällige, ja geradezu ätzende Bemerkungen über die schlappe Einstellung des Präsidenten. Ein Mitglied der republikanischen Partei und Abgeordneter des Repräsentantenhauses, Dan Burton, klagte, dass die „nachgiebige Haltung“ des Präsidenten gegenüber dem Kongress „den Eindruck vermittelt, dass Bush im außenpolitischen Bereich ein Weichei wäre.“46 Viele Demokraten schlossen sich dieser Haltung an. „Bei unserer Stärke und unseren Streitkräften und all unserem Glauben an die Demokratie, die wir verteidigen wollen, lassen wir es zu, dass in unserer unmittelbaren Umgebung diese Leute untergehen, ohne dass wir etwas dagegen unternehmen. Und das halte ich persönlich für falsch,“ sagte David Boren, der demokratische Vorsitzende des Geheimdienstausschusses des Senats.47 Viele konservative Zeitungen versuchten, den republikanischen Präsidenten im Sinne eines Artikels in der Washington Times zu beeinflussen, in dem das Blatt sich darüber beklagte, dass die USA es versäumt hätten, Noriega zu stürzen: „Als der Putsch vom Oktober gegen ihn fehlgeschlagen war, und die Geheimdienste der USA fünfzig plausible Gründe angaben, die Truppen der Rebellen nicht dabei zu unterstützen, den Tyrannen in den Kanal zu treiben, las er dem Präsident von den Lippen ab und musste feststellen, dass dieser ihm nichts zu sagen hatte.““48 Die Spannungen wurden intensiver, und die Befürworter einer militärischen Invasion durch die USA wurden bestätigt, als die panamesische Nationalver17
sammlung nach dem Vorbild des Films „Die Maus, die brüllte“ erklärte, dass sich Panama mit den Vereinigten Staaten „im Kriegszustand“ befinden würde. Aber wie der Autor John Quigley in „The Ruses of War“ bemerkte: „Da wir 12.000 Soldaten in Panama stationiert haben, wäre es geradezu wahnsinnig, wenn Panama irgendetwas anfangen würde.“ Warum also die Kriegsresolution? „Höchstwahrscheinlich“, schrieb Quigley, „bestand der Grund darin, die Bevölkerung hinter General Noriega zu bringen, indem man zeigte, dass die Vereinigten Staaten ihn durch militärische Präsenz und finanzielle Sanktionen zu Fall bringen wollten.“ Durch die Resolution wurden Noriega die Titel „Regierungschef“ und „großer Führer der nationalen Freiheit“ verliehen – eine Tatsache, die Quigley als bedeutend ansah: „Die Verkündung des Kriegszustands war eine Grundlage dafür, General Noriega diese neuen Titel zu verleihen. Die Regierung Bush verfolgte die panamesische Politik so genau, dass sie wusste, dass dies der Sinn der Resolution vom 15. Dezember war. Sie wusste, dass es sich bei dieser Resolution nicht um eine formelle Kriegserklärung handelte, aber sie ergriff die Chance, den Ausdruck „Kriegszustand“ aus dem Zusammenhang zu reißen, um einen Vorwand für die Invasion zu haben.“49 Vorhersehbare Vorfälle lieferten Stellen wie der Washington Times sehr schnell das nötige Futter: In einem Leitartikel teilte sie ihren Lesern am 19. Dezember mit, dass „Prätorianer, die vom Pöbel aufgestachelt worden waren, auf unbewaffnete Offiziere der US-Armee gefeuert, einen von ihnen getötet [eigentlich war es ein Marine] und einen weiteren schwer verletzt hatten. Zur selben Zeit ergriffen Angehörige der PDF [Panamesische Verteidigungstruppen] einen Marineoffizier der USA und seine Frau und schlugen sie brutal zusammen. Dem Offizier wurde wiederholt in die Leistengegend getreten und er wurde zusammengeschlagen. Seine Frau wurde gegen eine Mauer gedrückt. Sie musste mit den Armen über dem Kopf so lange stehen, bis sie zusammenbrach. Außerdem wurde ihr sexuelle Gewalt angedroht.““50 Die Invasion Panamas begann vor dem Morgengrauen des 20. Dezember. Etwa 24.000 US-Soldaten waren an der Aktion beteiligt. Dank eines Verteilungssystems Washingtons für die Medien bekamen die Fernsehstationen nicht die Schießereien geliefert, die sie gern gehabt hätten, aber das hinderte sie nicht daran, ihr Publikum unter ständiges Dauerfeuer zu nehmen. „Es gibt eine Menge Gründe, warum Panama ein Problem für die Vereinigten Staaten ist,“ erzählte Peter Jennings von ABC den Zuschauern am Abend, einen halben Tag nach Beginn der Invasion.
18
Es war ein Zentrum für den Drogenhandel, ein Zentrum für die Geldwäsche, eine Durchgangsstation für die Versorgung antiamerikanischer Guerillatruppen in anderen Ländern mit Waffen, und gemäß einer vom Nationalen Sicherheitsrat durchgeführten Studie auch ein wichtiges Zentrum für den illegalen Transfer von Technologie an die Sowjetunion. Und all das mit der Genehmigung und häufig auch direkten Beteiligung eines Mannes, auf den heute Abend ein Kopfgeld in Millionenhöhe ausgesetzt ist: Manuel Noriega.“51 Um nicht alle Vorwände des Präsidenten auf einmal zu präsentieren, zählte das Weiße Haus vier Gründe für die Invasion auf. Die Befürworter des Krieges konnten dann ihre Auswahl treffen. Auch wenn einige Gründe nicht sehr überzeugten, taten es doch andere. In den Nachrichten konnten die Kriegsziele nach Bedarf sauber dargelegt werden – in den Worten einer Zeitung: „um das Leben von Amerikanern in Panama zu retten, um die Demokratie im Land wieder herzustellen, um die Panamakanal-Verträge zu erhalten und um Noriega festzunehmen.““52 Allgemein neigten die Medien dazu, alle Berichte ungeprüft durchgehen zu lassen. Es gab kaum Beweise dafür, dass das Leben von Amerikanern in Gefahr war (jedenfalls nicht vor der Invasion). Die angeführten Fälle schienen spontan gewesen zu sein. Sie waren nicht von panamesischen Behörden im Voraus geplant worden. Was den „demokratischen Prozess“ betraf, so war dieser in Panama bereits viele Jahre lang unterdrückt worden. Und während dieser Zeit arbeiteten die USA sehr gut mit Noriega zusammen. Und es gab absolut keinen Hinweis auf eine Gefährdung der Kanalverträge. Tatsächlich hatte erst die Invasion der USA dafür gesorgt, dass der Panamakanal in den 75 Jahren seiner Geschichte zum ersten Mal geschlossen werden musste. „Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass Noriega und seine Streitkräfte die Absicht hatten, die Kanalanlagen anzugreifen“, schrieb die Madrider Zeitung El Pais.53 “Selbst nachdem die Invasion begann“, bemerkte John Quigley, „zeigten unsere Truppen keinerlei Interesse, ob man den Kanal eventuell sabotiert hatte. Sie trafen keinerlei Anstalten um den Kanal zu schützen, und die PDF tat nicht das Geringste, um ihm Schaden zuzufügen.“ Quigley kam zu dem Schluss: „Von den vielen Gründen, die Bush für die Invasion Panamas angegeben hatte, hielt nicht ein einziger der Nachprüfung stand.“54 Im Capitol war die Zustimmung für die Invasion überwältigend. Beide Parteien vergaßen ihre Differenzen und standen fest hinter ihrem Oberbefehlshaber. „Wir hatten keine andere Wahl,“ sagte der demokratische Kongressabgeordnete Bill 19
Richardson aus New Mexico. „Noriega war wie ein Krebsgeschwür. Er machte uns lächerlich. Er trieb seine Spielchen mit uns. Er bedrohte das Leben von Amerikanern. Ja, ich glaube, dass die Aktion gerechtfertigt war.”55 In seiner Rolle als Führer der Mehrheit im Senat lieferte George Mitchell die üblichen Sprüche: „Ich unterstütze die Entscheidung des Präsidenten. Sie wurde durch die irrationalen Aktionen von General Noriega notwendig.“56 Und es gab die üblichen vagen Hinweise auf geheime Informationen, die nur den eingeweihten Politikern zur Verfügung standen. Nicholas Mavroules, ein Demokrat, der im Ausschuss für die Streitkräfte arbeitete, sagte nach einer Pressekonferenz im Weißen Haus: „Ich bin davon überzeugt, dass Geheimdienstberichte darauf hinwiesen, dass Noriega etwas vorhatte. Der Präsident musste handeln, um unsere Bürger zu schützen.“57 In den Medien wurden Stimmen wie die von Ron Dellums, Mitglied des Repräsentantenhauses, kaum beachtet. Dieser lieferte einige Argumente, die von ihnen vollkommen ignoriert worden waren: „Manuel Noriega ist eine direkte Schöpfung – und Folge – unserer militaristischen Aktionen in dieser Gegend. Für die CIA war er fast 20 Jahre lang sehr wertvoll. Er war eines der Mittel, die von der Regierung Reagan eingesetzt wurden, um dabei zu helfen, andere Nationen zu destabilisieren – und das obwohl man wusste, dass er ein Krimineller war, der im internationalen Drogenhandel eine zentrale Rolle spielte.“”58 Ähnlich drückte es Don Edwards, Mitglied des Repräsentantenhauses, aus. Er bezeichnete die Invasion als eine „Kanonenbootpolitik, mit der unsere rücksichtslose, seit 100 Jahren andauernde Misshandlung kleiner zentralamerikanischer Nationen fortgesetzt wird.“59 Aber solche oppositionellen Argumente wurden von der Partei des Präsidenten als leeres Stroh abgetan. Einer der beiden Vorsitzenden des Nationalen Republikanischen Kongressausschusses, Edward Rollins, schickte Pressemitteilungen an die Medien in den Heimatbezirken von drei Kongressabgeordneten, die sich gegen den Krieg ausgesprochen hatten. Der „erste Impuls“ der abweichlerischen Mitglieder des Repräsentantenhauses, behauptete Rollins, „besteht darin, Präsident Bush die ganze Schuld zuzuschieben und mit General Noriega zu sympathisieren.“ In der Mitteilung an die Medien in Oregon stand: „Während amerikanische Soldaten auf den Stränden und in den Straßen von Panama kämpfen und sterben, sitzt Peter DeFazio in seinem gemütlichen Wohnzimmer in Eugene, Oregon, und kritisiert sie. Die apologetische Haltung des Kongressabgeordneten DeFazio ist einfach unentschuldbar.““60 Das war die reinste Demagogie. Sie 20