1/2021 S. 1–52, ART.-NR. 1–16 Februar 2021
LexisNexis, 1030 Wien, Marxergasse 25, ISSN 1996-8228
Herausgeber: Christian Bergauer, Dietmar Jahnel, Peter Mader, Elisabeth Staudegger
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BEITRÄGE:
JAHRESINHALTSVERZEICHNIS 2020 jusit.lexisnexis.at
» Kruesz: Die Regulierung des Einsatzes von Algorithmen in der DS-GVO, im E-DSA und E-DMA: Hält dreifach wirklich besser? » Haselbacher: Zur Qualität der elektronischen Übermittlung urheberrechtlich geschützter Werke in Gerichtsverfahren als öffentliche Wiedergabe – Besprechung der Entscheidung EuGH 28. 10. 2020, C-637/19 (BY [Preuve photographique]) » Schmitt: Neues zur Weitersendung von TV-Programmen und zu Online-Videorekordern » Heiml/Hofmann: Zur Befassungs- und Unterrichtungspflicht der Datenschutzbehörde
JUDIKATUR:
» EuGH: Zu den Voraussetzungen für Preismissbrauch durch Verwertungsgesellschaften » EuGH: Keine wirksame Einwilligung eines Telekommunikationskunden in Aufbewahrung seiner Ausweiskopie » EuGH: Keine Zuständigkeit für Datenschutzvorlagen ausschließlich juristische Personen betreffend » OGH: Zurverfügungstellung von Lichtbildern in Facebook-Gruppen
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Weil Vorsprung entscheidet.
Digital Law
„Digital Law“ bezeichnet die Summe aller Rechtsthemen, die sich im Zusammenhang mit der Digitalisierung ergeben. Das praxisnahe Werk gibt einen systemaঞschen Überblick über die Rechtsentwicklungen in den verschiedensten Anwendungsbereichen der Digitalisierung. Es liefert Antworten auf die zahlreichen Rechtsfragen, die durch die Digitalisierung aufgeworfen werden. Die Herausgeber: BINDER GRÖSSWANG Rechtsanwälte GmbH
Lösungsansätze für wesentliche neue Fragestellungen
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INHALTSVERZEICHNIS
14. Jahrgang, Februar 2021
IT-RECHT Corina Kruesz: Die Regulierung des Einsatzes von Algorithmen in der DS-GVO, im E-DSA und E-DMA: Hält dreifach wirklich besser? 1 Anna Haselbacher: Zur Qualität der elektronischen Übermittlung urheberrechtlich geschützter Werke in Gerichtsverfahren als öffentliche Wiedergabe – Besprechung der Entscheidung EuGH 28. 10. 2020, C-637/19 (BY [Preuve photographique]) Thomas Rainer Schmitt: Neues zur Weitersendung von TV-Programmen und zu Online-Videorekordern
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IT-RECHT JUDIKATUR »URHEBERRECHT/KARTELLRECHT EuGH: Zu den Voraussetzungen für Preismissbrauch durch Verwertungsgesellschaften
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»URHEBERRECHT/RECHTSINFORMATION EuGH: Übermittlung einer E-Mail mit Werk als Beweismittel an ein Gericht – keine öffentliche Wiedergabe
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»URHEBERRECHT OGH: Zurverfügungstellung von Lichtbildern in Facebook-Gruppen
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OGH: Kabelweiterleitung durch Weitersendung von Fernsehprogrammen über Live-Stream (OTT-Dienste) und Vervielfältigung durch Online-Videorekorder
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»PERSÖNLICHKEITSRECHT/STRAFRECHT OGH: Strafbarkeit der Bezeichnung „Gestapo-88“ für ein drahtloses lokales Netzwerk (WLAN)
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»E-COMMERCE OGH: Anspruch auf Auskunft nach § 18 Abs 4 ECG gegen Anbieter eines Webmail-Dienstes
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»E-COMMERCE/PERSÖNLICHKEITSRECHT OGH: Kreditschädigung durch Vorwurf des Whistleblowing
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»E-COMMERCE/STRAFRECHT OGH: Strafbarkeit der Bestellung von Falschgeld im Internet
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»BGH-REPORT BGH-Report: Marktmissbrauch bei Durchsetzung nachteiliger Nutzungsbedingungen durch Facebook
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DATENSCHUTZ & E-GOVERNMENT Sarah Heiml/Max Hofmann: Zur Befassungs- und Unterrichtungspflicht der Datenschutzbehörde
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DATENSCHUTZ & E-GOVERNMENT JUDIKATUR »DATENSCHUTZRECHT EuGH: Keine wirksame Einwilligung eines Telekommunikationskunden in Aufbewahrung seiner Ausweiskopie
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EuGH: Keine Zuständigkeit für Datenschutzvorlagen ausschließlich juristische Personen betreffend
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»DATENSCHUTZRECHT/E-COMMERCE OLG Wien: Formularmäßige Einwilligung in Fotoherstellung „zu Verwaltungszwecken“ intransparent
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Die jusIT-Jahresinhaltsverzeichnisse enthalten jeweils eine AuYistung aller Beiträge, der Entscheidungen (sorঞert sowohl nach Rechtsquellen als auch nach Geschä[szahlen), der Rezensionen sowie das Sঞchwortverzeichnis eines gesamten Jahrgangs. Wir bedanken uns für Ihre Treue und wünschen Ihnen im neuen Jahr viel Erfolg und Gesundheit! Ihr Team von LexisNexis Sie haben Fragen? Unser Kundenservice hil[ Ihnen gerne weiter: kundenservice@lexisnexis.at oder +43-1-534 52-0
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jusIT 1/2021 ART.-NR.: 1
IT-RECHT Corina Kruesz, LL.M. (WU) • Wirtschaftsuniversität Wien, Institut für Europarecht und Internationales Recht
Die Regulierung des Einsatzes von Algorithmen in der DS-GVO, im E-DSA und E-DMA: Hält dreifach wirklich besser? » jusIT 2021/1
Algorithmen, Transparenzpflichten, Datenschutz, digitale Dienste, Profiling, automatisierte Entscheidungen, AMS-Algorithmus, Uploadfilter
In der Informationsgesellschaft kommen zunehmend Algorithmen zum Einsatz. Jüngste Beispiele sind die Entscheidung über die Verteilung der COVID-19-Impfdosen in den USA, die Notenvergabe für die A-Levels, die aufgrund der COVID-19-Krise nicht stattfinden konnte, im Vereinigten Königreich sowie der AMS-Algorithmus zur Prognose von Jobchancen in Österreich. Algorithmen weisen jedoch ein hohes Diskriminierungspotenzial und weitere, insb grundrechtliche Probleme auf. Der Beitrag untersucht, wie Algorithmen im Datenschutzrecht sowie in den Entwürfen des Digital Services Act (im Folgenden: E-DSA) und des Digital Markets Act (im Folgenden: E-DMA) reguliert werden (sollen) und zeigt Probleme sowie Defizite auf.
VO (EU) 2016/679: Art 22, 13–15; Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über einen gemeinsamen Markt für digitale Dienste (Digital Services Act, KOM/2020/825 final): Art 12, 24, 27, 29; Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über faire und offene digitale Märkte (Digital Markets Act, KOM/2020/842 final): Art 13; UDBMRL (EU) 2019/790: Art 17
mathematisch-statistischen Verfahren getroffen:2 Hierzu verknüpfen und analysieren Algorithmen die Nutzerdaten, um neue Erkenntnisse zu gewinnen und zu nutzen.3 Machine LearningSysteme zeichnen sich dadurch aus, dass der Wissens- und Erfahrungsstand auch eigenständig erweitert wird („selbstlernende Algorithmen“).4 Der Algorithmus wird nicht mehr vollständig vom Programmierer determiniert, sondern entwickelt sich anhand von Trainingsdaten autonom weiter und definiert hierbei insb eigene Klassifizierungsgruppen und -regeln.5 Die errechneten Werte werden als Basis für automatisierte Entscheidungen herangezogen (sog „Algorithmic/Automated Decision Making Systems“, ADM-Systeme) und bilden dieserart ein effizientes Entscheidungsinstrument.6
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Algorithmen im Big Data-Zeitalter
Profiling, Scoring und automatisierte Entscheidungen spielen in datengetriebenen Geschäftsmodellen eine zentrale Rolle. Bezweckt wird zunächst die Erstellung von Wahrscheinlichkeitsprognosen für noch nicht bekannte Eigenschaften, zukünftiges Verhalten und künftige Entscheidungen der Nutzer sowie Muster und Korrelationen.1 Diese werden unter Anwendung von
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Richter, Big Data, in Jandt/Steidle (Hrsg), Datenschutz im Internet (2018) 309 (309, 311); Scholz in Simitis/Hornung/Spiecker gen. Döhmann (Hrsg), Datenschutzrecht. DSGVO mit BDSG Art 4 Nr 4 DS-GVO Rz 6 f (2019); Scholz in SHS Art 22 DS-GVO Rz 9 (2019); Martini, Blackbox Algorithmus (2019) 62; Lewandowsky et al, Technology and Democracy (2020) 30.
Scholz in SHS Art 4 Nr 4 Rz 9; Conrad, § 34 Recht des Datenschutzes, in Auer-Reinsdorff/Conrad (Hrsg), Handbuch IT- und Datenschutzrecht3 (2019) Rz 760; Martini in Paal/Pauly (Hrsg), DS-GVO BDSG3 Art 22 DS-GVO Rz 8 (2021); Haidinger in Knyrim (Hrsg), DatKomm Art 22 DSGVO Rz 21 (Stand 1. 10. 2018). Scholz in SHS Art 22 Rz 9. Klaas, Demokratieprinzip im Spannungsfeld mit künstlicher Intelligenz. Demokratische Entscheidungsfindung durch und mithilfe von selbstlernenden Algorithmen, MMR 2019, 84 (85); Purtova, The law of everything. Broad concept of personal data and future of EU data protection law, Law, Innovation and Technology 2018, 40 (53); Malgieri/Comandé, Why a Right to Legibility of Automated Decision-Making Exists in the General Data Protection Regulation, IDPL 2017, 243 (243); Scholz in SHS Art 22 Rz 10. Denk, Next Generation IT-Law. Fällt der Apfel weit vom Stamm?, online 21. 10. 2020. Boehme-Neßler, Das Ende der Demokratie? (2018) 73; Conrad in AuerReinsdorff/Conrad, IT- und Datenschutzrecht3 § 34 Rz 760; Haidinger in Knyrim Art 22 Rz 21; Chiba, Sind vollautomatisierte positive Entscheidungen unter Art 22 DSGVO zu subsumieren?, Dako 2020/47, 85 (86); Determann, Entscheidungsfindung auf Knopfdruck: Richtlinien für automatisierte Entscheidungen und Profiling (Teil I), Dako 2018/22, 31 (31).
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Vielfältige Gefährdungspotenziale
Automatisierte Entscheidungen haben mannigfaltige faktische Auswirkungen – zB im Hinblick auf zur Verfügung stehende Zahlungsmethoden, personalisierte Werbemaßnahmen (Microtargeting), die Gestaltung von Newsfeeds etc.7 Auf der Metaebene können sie zentrale Aspekte der autonomen Lebensführung und die Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe und hierdurch die durch Art 1 GRC garantierte Menschenwürde der Betroffenen tangieren.8 Da die Bewertungen auf statistisch ermittelten Zusammenhängen und Wahrscheinlichkeitsprognosen basieren, besteht zudem das Risiko eines „Generalisierungsunrechts“9, denn diese können sich als diskriminierend10 (iSv Art 21 GRC) und falsch erweisen.11 Problematisch ist zudem die Maskierung von Werturteilen, Stereotypen und autonomen Interessen des Programmierers, denn diese werden in Programmiersprache übersetzt und können nicht mehr rekonstruiert werden.12 Von den Betroffenen werden Algorithmen hingegen idR als ausschließlich logisch und objektiv handelnde Programme wahrgenommen.13 De facto stammen ihre Regeln und Wertungen jedoch von Menschen, weshalb sie nicht „neutral“ entscheiden.14 7
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Haidinger in Knyrim Art 22 Rz 3; Boehme-Neßler, Das Ende der Demokratie, 73; Richter in Jandt/Steidle, Datenschutz im Internet, 309 (311, 316); Hacker, Daten als Gegenleistung: Rechtsgeschäfte im Spannungsfeld von DS-GVO und allgemeinem Vertragsrecht, ZfPW 2019, 148 (156); Malgieri/Comandé, IDPL 2017, 243 (243); Scholz in SHS Art 22 Rz 9; Conrad in Auer-Reinsdorff/Conrad, IT- und Datenschutzrecht3 § 34 Rz 760; Glatzner, Profilbildung und algorithmenbasierte Entscheidungen. Regulierungsbedarf aus Verbrauchersicht, DuD 2020, 312 (314); Martini, Blackbox Algorithmus, 29; EDPB, Guidelines 8/2020 on the targeting of social media users. Version 1.0, Rz 10 <edpb.europa.eu/sites/ edpb/files/consultation/edpb_guidelines_202008_onthetargetingofsocialmediausers_en.pdf> (2. 9. 2020). Glatzner, DuD 2020, 312 (314); Determann, Dako 2018/22, 31 (31). Buchner in Kühling/Buchner (Hrsg), DS-GVO BDSG3 Art 4 Nr 4 DS-GVO Rz 8 (2020); Scholz in SHS Art 4 Nr 4 Rz 9; Scholz in SHS Art 22 Rz 10. Vgl näher Malgieri/Comandé, IDPL 2017, 243 (249); Härtel, Digitalisierung im Lichte des Verfassungsrechts – Algorithmen, Predictive Policing, autonomes Fahren, LKV 2019, 49 (56 f). Hladjk in Ehmann/Selmayr (Hrsg), DS-GVO2 Art 22 Rz 3 f (2018); Scholz in SHS Art 4 Nr 4 Rz 9; Scholz in SHS Art 22 Rz 10; Hackenberg, Big Data und Datenschutz, in Hoeren/Sieber/Holznagel (Hrsg), Multimedia-Recht (53. ErgLfg 2020) Teil 15.2 Rz 61; Glatzner, DuD 2020, 312 (314); Berka, Aktuelle Bedrohungen des Grundrechts auf Privatsphäre, ÖJZ 2018, 755 (759); Martini, Blackbox Algorithmus, 50. Martini, Blackbox Algorithmus, 28. Mayrhofer, Google, Facebook & Co: Die Macht der Algorithmen aus grundrechtlicher Perspektive, in Berka/Holoubek/Leitl-Staudinger (Hrsg), Meinungs- und Medienfreiheit in der digitalen Ära: Eine Neuvermessung der Kommunikationsfreiheit (2017) 77 (80); Dörr/Natt, Suchmaschinen und Meinungsvielfalt. Ein Beitrag zum Einfluss von Suchmaschinen auf die demokratische Willensbildung, ZUM 2014, 829 (836); Dix/Schaar, EAID: EUDatenschutz versus Medien- und Informationsfreiheit, ZD-Aktuell 2017, 04223 (04223). Ebenda; Milstein/Lippold, Suchmaschinenergebnisse im Lichte der Meinungsfreiheit der nationalen und europäischen Grund- und Menschenrechte, NVwZ 2013, 182 (187); Eifert, Rechenschaftspflichten für soziale Netzwerke und Suchmaschinen. Zur Veränderung des Umgangs von Recht und Politik mit dem Internet, NJW 2017, 1450 (1450); Martini, Blackbox Algorithmus, 48; Martini, Grundlinien eines Kontrollsystems für algorith-
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Erste Regulierungsansätze
Daher stehen Algorithmen zunehmend im Fokus der Regulierung. Mit der Verabschiedung der DS-GVO erfuhren ADM-Systeme erstmals eine rechtliche Einhegung. Doch auch die im Dezember 2020 veröffentlichten Entwürfe des Digital Services Acts (E-DSA) und Digital Markets Acts (E-DMA) nehmen den Einsatz von Algorithmen in den Blick.
3.1. DS-GVO 3.1.1. Verbot automatisierter Entscheidungen Art 22 Abs 1 DS-GVO normiert das Recht eines Betroffenen, „nicht einer ausschließlich auf einer automatisierten Verarbeitung – einschließlich Profiling – beruhenden Entscheidung unterworfen zu werden, die [ihm] gegenüber rechtliche Wirkung entfaltet oder [ihn] in ähnlicher Weise erheblich beeinträchtigt“. Individuen sollen nicht als Objekte einer unbesehenen, undurchschaubaren maschinellen Entscheidung behandelt werden.15 Art 22 DS-GVO ist daher in der Garantie der Menschenwürde des Art 1 GRC verwurzelt.16 Art 22 DS-GVO reglementiert lediglich die nachgeschaltete Anwendung des Ergebnisses eines Verarbeitungsvorgangs in Gestalt einer automatisierten Entscheidungsfindung.17 Profiling und Scoring per se – als zentrale Anwendungsfälle einer zeitlich vorausgehenden Datenverarbeitung – münden nicht zwangsläufig in eine automatisierte Entscheidung, vielmehr ist das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale der „ausschließlich auf einer automatisierten Verarbeitung beruhenden Entscheidung“ sowie der „rechtlichen Wirkung“ oder „einer in ähnlicher Weise erheblichen Beeinträchtigung“ gesondert zu prüfen.18 Die Frage, welche Schwelle menschlicher Intervention die Anwendbarkeit von Art 22 DS-GVO ausschließt, wird unterschiedlich beantwortet.19 Unstrittig ist: Eine „Richtigkeits- und Plausi-
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menbasierte Entscheidungsprozesse. Gutachten im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (1. 5. 2019) 7, 23; Lewandowsky et al, Technology and Democracy, 106. Haidinger in Knyrim Art 22 Rz 1; Chiba, Dako 2020/47, 85 (86); Martini, Blackbox Algorithmus, 170; von Lewinski in Wolff/Brink (Hrsg), BeckOK DatenschutzR Art 22 DS-GVO Rz 2 (Stand 1. 11. 2020); Hladjk in ES2 Art 22 Rz 4; Buchner in Kühling/Buchner (Hrsg), DS-GVO BDSG3 Art 22 DS-GVO Rz 1 (2020); Martini in PP3 Art 22 Rz 1; Scholz in SHS Art 22 Rz 3; Taeger in Taeger/Gabel (Hrsg), DSGVO BDSG3 Art 22 DSGVO Rz 8 (2019). Geminn, Menschenwürde und menschenähnliche Maschinen und Systeme, DÖV 2020, 172 (176). Scholz in SHS Art 22 Rz 4; Chiba, Dako 2020/47, 85 (86). Haidinger in Knyrim Art 22 Rz 4, 25; Zavadil, Der besondere Auskunftsanspruch über die involvierte Logik einer Datenverarbeitung, Dako 2020/33, 55 (56); Arning/Rothkegel in Taeger/Gabel (Hrsg), DSGVO BDSG3 Art 4 Nr 4 DSGVO Rz 108 (2019); von Lewinski in BeckOK DatenschutzR Art 22 Rz 3; Schulz in Gola (Hrsg), DS-GVO2 Art 22 Rz 3, 20 (2018); Buchner in KB3 Art 22 Rz 4, 21; Martini in PP3 Art 22 Rz 21; Scholz in SHS Art 22 Rz 5; Taeger in TG3 Art 22 Rz 10, 35; Glatzner, DuD 2020, 312 (312 f). AA offenbar Albrecht/ Jotzo, Das neue Datenschutzrecht der EU (2017) 79. Vgl zB Wachter/Mittelstadt/Floridi, Why a Right to Explanation of Automated Decision-Making Does Not Exist in the General Data Protection Regulation, IDPL 2017, 76 (92); Glatzner, DuD 2020, 312 (313). Während bspw der deutsche BGH jedweden humanen Einfluss bereits als tatbestandsausschließend qualifiziert, geht die Datenschutzbehörde des UK davon
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bilitätskontrolle“20 durch einen Menschen, der die maschinell generierte Entscheidung auch adaptieren kann, löst jedenfalls keine Pflichten nach Art 22 DS-GVO aus.21 Wo genau die kritische Schwelle zu verorten ist, wird allerdings kontrovers diskutiert. Malgieri/Comandé gehen davon aus, dass menschliche Intervention auf Ebene der Entscheidungsfindung unschädlich ist, solange deren Grundlage automatisiert erhoben wurde und die humane Einwirkung keinen Einfluss auf das Ergebnis hat, und verweisen diesbezüglich auf den Wortlaut „beruhend“ bzw „based“.22 Auch das Telos der Norm spricht für diese Auslegung: Art 22 DS-GVO untersagt Entscheidungen, die „ohne jegliches menschliches Eingreifen“ (ErwGr 71) getroffen werden, dh ohne dass eine natürliche Person auf den Inhalt der Entscheidung einwirkt.23 Die Entstehungsgeschichte streitet indes gegen eine solche Lesart: Der Parlamentsentwurf sah im Gegensatz zu jenem der Kommission die Wortfolge „based solely or predominantly on automated processing“ vor, von welcher bei Verabschiedung der endgültigen Fassung jedoch wieder Abstand genommen wurde.24 Da historischen Argumenten ein geringeres Gewicht zuzumessen ist, ist mE davon auszugehen, dass eine geringfügige, nicht entscheidungserhebliche menschliche Intervention die Anwendbarkeit von Art 22 DS-GVO nicht ausschließt. Angewendet auf ADM-Systeme bedeutet dies: Trifft der handelnde Mensch sog „Cut-off-Entscheidungen“, dh „übersetzt“ er lediglich den errechneten Wert ohne eigene Überlegungen, ist Art 22 DS-GVO einschlägig.25 Zeigt der Algorithmus nur einen (Score-)Wert oder Alternativen auf, wird die finale Entscheidung aber von einer natürlichen Person gefällt („unterstützende und vorbereitende Entscheidungen“26), handelt es sich um keine automatisierte Entscheidung.27 Entscheidend ist demnach, dass dem intervenierenden Menschen Fach- und Entscheidungskompetenzen sowie -spielräume zukommen und er von diesen – erforderlichenfalls – Gebrauch macht.28 Von der genauen Funktionsweise des Algorithmus, zB wie das ADM-System zu diesem Vorschlag gelangt ist, muss dieser jedoch nicht zwingend Kenntnis haben.29 Zudem muss es sich um eine regelmäßige Intervention
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aus, dass „irrelevant human intervention“ der Anwendbarkeit von Art 22 DS-GVO nicht entgegensteht. Malgieri/Comandé, IDPL 2017, 243 (248). von Lewinski in BeckOK DatenschutzR Art 22 DS-GVO Rz 23. Ebenda Rz 23, 25; Schulz in Gola2 Art 22 Rz 14. Kritisch, aber grds zustimmend Haidinger in Knyrim Art 22 Rz 23. Malgieri/Comandé, IDPL 2017, 243 (251). Zustimmend von Lewinski in BeckOK DatenschutzR Art 22 DS-GVO Rz 25. Martini in PP3 Art 22 Rz 17b; Scholz in SHS Art 22 Rz 26. Wachter/Mittelstadt/Floridi, IDPL 2017, 76 (92); Schulz in Gola2 Art 22 Rz 12. von Lewinski in BeckOK DatenschutzR Art 22 DS-GVO Rz 25; Martini in PP3 Art 22 Rz 17; Scholz in SHS Art 22 Rz 26. Martini in PP3 Art 22 Rz 20. Ebenda Rz 8, 20; Hladjk in ES2 Art 22 Rz 6; Schulz in Gola2 Art 22 Rz 1, 13; Buchner in KB3 Art 22 Rz 15; Scholz in SHS Art 22 Rz 28; Spindler/Horváth in Spindler/Schuster (Hrsg), Recht der elektronischen Medien4 Art 22 DS-GVO Rz 5 f (2019); Taeger in TG3 Art 22 Rz 35. Schulz in Gola2 Art 22 Rz 16; Martini in PP3 Art 22 Rz 18 f; Scholz in SHS Art 22 Rz 27; Helfrich in Sydow Art 22 Rz 43 f. Scholz in SHS Art 22 Rz 27.
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handeln – eine reine Stichprobenkontrolle oder Überprüfungen auf Andringen des Betroffenen reichen nicht aus.30 Dass diese Beurteilung im Einzelfall große Probleme bereiten kann, verdeutlichte jüngst das „Arbeitsmarktchancen Assistenz-System“ (im Folgenden: AMAS, „AMS-Algorithmus“), das auf Grundlage von vergangenheitsbezogenen Geschäftsdaten die Wiedereingliederungschancen (hoch/mittel/niedrig) von KundInnen prognostizieren und basierend auf dieser Einschätzung über die jeweilige Förderungsintensität und sohin die Ressourcenverteilung entscheiden sollte.31 Die DSB leitete im März 2020 ein amtswegiges Prüfverfahren ein. Das AMS argumentierte, dass die Letztentscheidung über die Förderungsmittel bei den jeweiligen beratenden Angestellten verbliebe und eine ungeprüfte Übernahme des Algorithmen-basierten Ergebnisses durch interne Richtlinien, Handlungsanleitungen32 und entsprechende Schulungen der Mitarbeiter verhindert werde. Die DSB legte einen strengen Maßstab an die notwendige menschliche Mitwirkung an und bemängelte die fehlende Außenwirkung der genannten Maßnahmen, den fehlenden Rechtsanspruch der Betroffenen auf eine nachprüfende Kontrolle, sowie dass das System „routinemäßige Übernahmen“ nicht lückenlos verhindern könne, weshalb Art 22 DS-GVO einschlägig sei.33 Zu einer konträren Bewertung gelangte hingegen – zu Recht – das BVwG im Dezember 2020:34 Die Leitlinien verpflichten die Mitarbeiter dazu, den Algorithmen-basierten Wert mit ihren KundInnen zu erörtern sowie die Letztentscheidung selbst zu treffen und legen entsprechende Dokumentationserfordernisse fest. § 4 Abs 3 AMSG35 normiere ausdrücklich, dass den Richtlinien verbindliche Wirkung zukommt, weshalb nicht von einer automatisierten Entscheidung iSv Art 22 DS-GVO auszugehen sei. Zudem sei die grundsätzliche Frage der Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung von jener der hinreichenden organisatorischen Maßnahmen zur Sicherstellung der Rechtmäßigkeit (sprich: der Verhinderung ungeprüfter Übernahmen im Einzelfall) zu differenzieren, wobei nur Erstere verfahrensgegenständlich sei. Wann von einer „rechtlichen Wirkung“ auszugehen ist, ist ebenfalls strittig. Weitgehender Konsens besteht dahin gehend, dass diese dann anzunehmen ist, wenn der rechtliche Status einer Person (zB Grundrechte36 und Grundfreiheiten,37 vertragliche Rechte) beeinträchtigt wird.38 Worin eine anderweitige „er-
30 Martini in PP3 Art 22 Rz 19c; Scholz in SHS Art 22 Rz 27. 31 Vgl näher, insb auch zum Diskriminierungspotenzial, Wagner/Lopez/Cech/ Grill/Sekwenz, Der AMS-Algorithmus, juridikum 2020, 191 (191). 32 ZB besteht eine Dokumentationspflicht, wenn der Kunde eine abweichende Einschätzung vertritt und werden konkrete, nicht vom AMAS berücksichtigte Kriterien angeführt, anhand derer der Berater/die Beraterin die Letztentscheidung zu treffen hat. 33 DSB 16. 8. 2020, DSB-D213.1020, 2020-0.513.605. 34 BVwG 18. 12. 2020, W256 2235360-1/5E. 35 Bundesgesetz über das Arbeitsmarktservice (Arbeitsmarktservicegesetz – AMSG), BGBl 313/1994 idF I 135/2020. 36 Ablehnend hinsichtlich der Relevanz grundrechtlicher Positionen von Lewinski in BeckOK DatenschutzR Art 22 DS-GVO Rz 28. 37 So auch Glatzner, DuD 2020, 312 (314). 38 Haidinger in Knyrim Art 22 Rz 26; Malgieri/Comandé, IDPL 2017, 243 (252); Wachter/Mittelstadt/Floridi, IDPL 2017, 76 (93); Schulz in Gola2 Art 22 Rz 22;
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hebliche Beeinträchtigung“ bestehen kann, ist ebenso umstritten. ErwGr 71 führt die „automatische Ablehnung eines OnlineKreditantrags“ und die automatisierte Absage in „Online-Einstellungsverfahren“ beispielhaft an. Martini zufolge ist darauf abzustellen, ob die Entscheidung „nachhaltig auf die wirtschaftliche oder persönliche Stellung des Entscheidungsbetroffenen einwirkt“39.40 Freilich sind auch Diskriminierungen darunter zu subsumieren.41 Die Beurteilung der Äquivalenz hat bezogen auf den konkreten Einzelfall nach objektiven Gesichtspunkten zu erfolgen.42 Zudem ist das Überschreiten einer gewissen Erheblichkeitsschwelle zu fordern.43 Als relevante Kriterien kann hierbei insb auf die Bedeutung des Dienstes, die Existenz von Alternativanbietern und die sozialen Folgen abgestellt werden.44 Das Verbot automatisierter Entscheidungen steht jedoch inter alia unter einem Einwilligungsvorbehalt (vgl Abs 2 lit c leg cit); zudem ist der Einsatz von ADM-Systemen zulässig, sofern die Automatisierung der Entscheidungsfindung für den Abschluss oder die Erfüllung eines Vertrags erforderlich ist (lit a leg cit). Gem Art 22 Abs 3 DS-GVO hat der Verantwortliche diesfalls „angemessene Maßnahmen“ zu treffen, „wozu mindestens das Recht auf Erwirkung des Eingreifens einer Person [...], auf Darlegung des eigenen Standpunkts und auf Anfechtung der Entscheidung gehört“. ErwGr 71 nennt zudem die „spezifische Unterrichtung der betroffenen Person“ und das Recht auf „Erläuterung der nach einer entsprechenden Bewertung getroffenen Entscheidung“. Zudem sind gem ErwGr 71 ua „geeignete mathematische oder statistische Verfahren für das Profiling [zu] verwenden, [...] mit denen verhindert wird, dass es gegenüber natürlichen Personen aufgrund von Rasse, ethnischer Herkunft, politischer Meinung, [...] zu diskriminierenden Wirkungen [...] kommt [...]“.
3.1.2. Transparenzpflichten Die Verantwortlichen haben auch weiter gehende Informationsund Auskunftspflichten zu wahren: Gem Art 13 Abs 2 lit f, Art 14 Abs 2 lit g und Art 15 Abs 1 lit h DS-GVO betreffen diese „das Bestehen einer automatisierten Entscheidungsfindung einschließlich
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Buchner in KB3 Art 22 Rz 24; Martini in PP3 Art 22 Rz 26; Scholz in SHS Art 22 Rz 32; Helfrich in Sydow (Hrsg), DS-GVO2 Art 22 Rz 48 (2018). Für konkrete Beispiele vgl zB Zavadil, Dako 2020/33, 55 (55) und Determann, Dako 2018/22, 31 (31). Martini, Blackbox Algorithmus, 172. So auch Schulz in Gola2 Art 22 Rz 24; Martini in PP3 Art 22 Rz 27; Scholz in SHS Art 22 Rz 35; Spindler/Horváth in Spindler/Schuster4 Art 22 Rz 8; Haidinger in Knyrim Art 22 Rz 26. Umstritten ist, ob lediglich nachteilige oder auch positive Auswirkungen erfasst sind. Statt vieler Chiba, Dako 2020/47, 85. Haidinger in Knyrim Art 22 Rz 26; Schulz in Gola2 Art 22 Rz 24; Scholz in SHS Art 22 Rz 35; Spindler/Horváth in Spindler/Schuster4 Art 22 Rz 8. Für weitere Beispiele vgl Zavadil, Dako 2020/33, 55 (56) und Determann, Dako 2018/22, 31 (31). von Lewinski in BeckOK DatenschutzR Art 22 DS-GVO Rz 38; Martini in PP3 Art 22 Rz 27; Scholz in SHS Art 22 Rz 35; Spindler/Horváth in Spindler/ Schuster4 Art 22 Rz 8; Helfrich in Sydow2 Art 22 Rz 52; Taeger in TG3 Art 22 Rz 44. Schulz in Gola2 Art 22 Rz 26; Scholz in SHS Art 22 Rz 35; Taeger in TG3 Art 22 Rz 44. von Lewinski in BeckOK DatenschutzR Art 22 DS-GVO Rz 39; Taeger in TG3 Art 22 Rz 44; Haidinger in Knyrim Art 22 Rz 26.
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Profiling [...] und [...] aussagekräftige Informationen über die involvierte Logik sowie die Tragweite und die angestrebten Auswirkungen einer derartigen Verarbeitung für die betroffene Person“. Diese sollen den Betroffenen in die Lage versetzen, die Verarbeitungsprozesse nachvollziehen und drohende rechtliche oder sonstige nachteilige Konsequenzen erkennen zu können, um ggf von seinen Betroffenenrechten Gebrauch machen zu können.45 Unstrittig ist: Es handelt sich um erweiterte Informationspflichten, denen mit bloßen Auskünften zu den verwendeten personenbezogenen Daten nicht Genüge getan wird.46 Der konkrete Umfang der bereitzustellenden Informationen in Bezug auf die inhärente „Logik“ – insb von ADM-Systemen – ist jedoch nicht abschließend geklärt.47 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die hoch komplexen Funktionsweisen der zum Einsatz kommenden Algorithmen durch einen durchschnittlichen Nutzer nicht nachvollzogen werden können; kommen selbstlernende Algorithmen zum Einsatz, können diese idR selbst von ihren Programmierern nicht (vollständig) rekonstruiert werden.48 Die „involvierte Logik“ – so der Grundtenor im Schrifttum – erfordert eine Offenlegung der „Methoden und Kriterien“.49 Martini50, Paal/Hennemann51 und Scholz52 gehen davon aus, dass aus der DS-GVO keine Offenbarungspflicht hinsichtlich des vollständigen Quellcodes abgeleitet werden kann, sondern lediglich der „Entscheidungsmechanismen“, „Grundannahmen“ bzw „Funktionsprinzipien“.53 Einige Literaten argumentieren zwar, dass eine Preisgabe des Programmcodes für den durchschnittlichen User ohnedies kaum nachvollziehbar wäre und daher keinen Mehrwert brächte.54 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass technisch versierte Nutzer und spezialisierte Stellen bedenkliche Aspekte aufbereiten und in die öffentliche Diskussion einbringen könnten. Nichtsdestotrotz wird in Abwägung mit den opponierenden Grundrechten und Grundfreiheiten der Verantwortlichen und unter Berücksichtigung des Umstands, dass Algorithmen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse dar-
45 Zavadil, Dako 2020/33, 55 (55); Knyrim in Ehmann/Selmayr (Hrsg), DSGVO2 Art 13 Rz 63 (2018); Bäcker in Kühling/Buchner (Hrsg), DS-GVO BDSG3 Art 13 DS-GVO Rz 52 (2020); Mester in Taeger/Gabel (Hrsg), DSGVO BDSG3 Art 13 Rz 27 (2019). Vgl auch Malgieri/Comandé, IDPL 2017, 243 (245). 46 Mester in TG3 Art 13 Rz 29. 47 Haidinger in Knyrim (Hrsg), DatKomm Art 15 DSGVO Rz 45 (Stand 1. 10. 2018); Casey/Farhangi/Vogt, Rethinking Explainable Machines: The GDPR’s "Right to Explanation” Debate and the Rise of Algorithmic Audits in Enterprise, BTLJ 2019, 143 (158); Franck in Gola (Hrsg), DS-GVO2 Art 13 Rz 26 (2018); Knyrim in ES2 Art 13 Rz 64; Schmidt-Wudy in Wolff/Brink (Hrsg), BeckOK DatenschutzR Art 15 Rz 78 DS-GVO (Stand 1. 11. 2020); Dix in Simitis/ Hornung/Spiecker gen. Döhmann (Hrsg), Datenschutzrecht. DSGVO mit BDSG Art 15 DSGVO Rz 25 (2019) mwN. 48 Malgieri/Comandé, IDPL 2017, 243 (243 f); Purtova, Law, Innovation and Technology 2018, 40 (53); Lewandowsky et al, Technology and Democracy, 20. 49 Statt vieler Bäcker in KB3 Art 13 Rz 54; Mester in TG3 Art 13 Rz 29. 50 Martini, Blackbox Algorithmus, 181. 51 Paal/Hennemann in Paal/Pauly (Hrsg), DS-GVO BDSG3 Art 13 DS-GVO Rz 31 (2021). 52 Scholz in SHS Art 22 Rz 54. 53 Vgl auch Determann, Dako 2018/22, 31 (32); Haidinger in Knyrim Art 15 Rz 45. 54 ZB Martini, Blackbox Algorithmus, 181.
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stellen, wohl davon auszugehen sein, dass keine vollständige Offenlegung erfolgen muss.55 Im Schrifttum wird zum Teil darauf verwiesen, dass eine solche Güterabwägung nicht in den jeweiligen Bestimmungen angelegt sei. Dem ist jedoch zu widersprechen: Zum einen verweisen die Begründungserwägungen sehr wohl auf ein Berücksichtigungsgebot – das Auskunftsrecht „sollte die Rechte und Freiheiten anderer Personen, etwa Geschäftsgeheimnisse [...], nicht beeinträchtigen“ (ErwGr 63). Zum anderen sind die Rechte und Freiheiten anderer Personen gem Art 23 Abs 1 lit i DS-GVO mit den Vorgaben der DS-GVO in Einklang zu bringen. Franck präzisiert unter Verweis auf Art 12 Abs 1 DS-GVO, dass die Information jedenfalls um „erklärende Bestandteile angereichert werden [muss], da der durchschnittliche Betroffene mit schematischen Entscheidungsbäumen oder gar Source Codes überfordert sein wird“.56 Auch Dix geht davon aus, dass nur mit einem Anspruch auf „Erläuterung“ der „durch neue Technologien [...] verschärften informationellen Asymmetrie entgegengewirkt werden“ kann.57 Die Kardinalfrage, ob die oben genannten Bestimmungen einen solchen Anspruch der Betroffenen auf erklärende Ausführungen verbürgen, wird kontrovers diskutiert.58 Eine Erläuterungspflicht kann eine weit höhere Nachvollziehbarkeit für die (durchschnittlichen) Betroffenen gewährleisten als die simple Offenlegung des Quellcodes.59 Hintergrund der Regelungen ist die Ermöglichung der Inanspruchnahme der Betroffenenrechte; in diesem Sinne spricht das Telos dafür, auch eine Erläuterungspflicht vorzusehen, weil andernfalls eine sinnvolle Inanspruchnahme der Rechte kaum möglich wäre.60 In systematischer Hinsicht ist zudem auf ErwGr 71 hinzuweisen, der den Nutzern im Falle automatisierter Entscheidungen iSv Art 22 DS-GVO ein „Recht auf Erläuterung der nach einer entsprechenden Bewertung getroffenen Entscheidung“ vermitteln möchte. Auch der offene Wortlaut der Bestimmungen (arg „aussagekräftig“, „involvierte Logik“, „Tragweite“) lässt eine weite Interpretation zu.61 Zudem wird in der englischen Fassung der Begriff „meaningful“ verwendet, der zweierlei Bedeutungen in sich vereint: Einerseits wird eine besondere Wichtigkeit dadurch ausgedrückt, andererseits kann der Terminus im Sinne von „Verständlichkeit“ bzw „Nachvollziehbarkeit“ ver-
55 So auch Bäcker in KB3 Art 13 Rz 54; Paal/Hennemann in PP3 Art 13 Rz 31b; Buchner in KB3 Art 22 Rz 35; Scholz in SHS Art 22 Rz 54; Casey/Farhangi/ Vogt, BTLJ 2019, 143 (179); Haidinger in Knyrim Art 15 Rz 45. Vgl auch Zavadil, Dako 2020/33, 55 (56). Franck in Gola2 Art 13 Rz 28 verweist hinsichtlich der gebotenen Rechtsgüterabwägung auf Art 5 Abs 1 lit a DS-GVO. AA Bäcker in KB3 Art 13 Rz 54, der für eine Lösung über Art 23 DS-GVO plädiert. Der Argumentationskette über Art 23 DS-GVO grds zustimmend Mester in TG3 Art 13 Rz 29. 56 Franck in Gola2 Art 13 Rz 26. 57 Dix in SHS Art 15 Rz 25. 58 Bejahend: zB Malgieri/Comandé, IDPL 2017, 243 (245). Offenbar auch Scholz in SHS Art 22 Rz 54. Verneinend: zB Wachter/Mittelstadt/Floridi, IDPL 2017, 76. 59 Malgieri/Comandé, IDPL 2017, 243 (245). 60 So auch Selbst und Powles in Casey/Farhangi/Vogt, BTLJ 2019, 143 (161 f). Vgl auch Zavadil, Dako 2020/33, 55 (56). 61 So auch Malgieri/Comandé, IDPL 2017, 243 (248).
standen werden.62 Insgesamt ist daher mE von einer Erläuterungspflicht auszugehen. Wie eine solche konkret auszusehen hat, bleibt jedoch unklar.63
3.2. Digital Services Act (E-DSA) Der E-DSA soll die E-Commerce-RL ablösen, wobei insb digitale Plattformen64 (Art 1 Abs 3 leg cit) in den Fokus des Regelwerks gerückt und ua Overblocking-Maßnahmen eingedämmt werden sollen. Für sehr große Plattformen (Reichweite von mehr als 10 % in der EU, vgl Art 25 Abs 1 E-DSA) werden spezifische Regelungen vorgesehen.65 Art 12 Abs 1 E-DSA normiert zunächst Transparenzpflichten in Bezug auf das (Algorithmen-basierte) Inhaltsmanagement der Betreiber digitaler Dienste. „Content moderation“ wird in Art 2 lit p E-DSA umschrieben als „activities undertaken by providers of intermediary services aimed at detecting, identifying and addressing illegal content or information incompatible with their terms and conditions, provided by recipients of the service [...]“. Konkret sollen Informationen „on any policies, procedures, measures and tools used for the purpose of content moderation, including algorithmic decision-making and human review“ zur Verfügung gestellt werden. Zudem ist der Nutzer gem Art 24 lit c E-DSA über die Kriterien („meaningful information about the main parameters used“), nach denen personalisierte Werbebanner eingeblendet werden, aufzuklären. Allerdings fehlen auch im E-DSA Präzisierungen im Hinblick auf den erforderlichen Detaillierungsgrad der Informationen (vgl zB ErwGr 52: „logic used“). Eine (erste) inhaltliche Vorgabe in Bezug auf die Kriterienkataloge der ADM-Systeme ist Art 12 Abs 2 E-DSA zu entnehmen: „Providers of intermediary services shall act in a diligent, objective and proportionate manner [...], with due regard to the rights and legitimate interests of all parties involved, including the applicable fundamental rights of the recipients of the service as enshrined in the Charter.“ Anzumerken ist jedoch die fehlende Klarstellung in Bezug auf den konkreten Grad der Bindungswirkung: Eine Bindung im gleichen Ausmaß wie für den Staat ist nicht anzunehmen, weil Anbieter digitaler Dienste zum einen selbst Grundrechtsträger sind und der Wortlaut ein anderes Ergebnis indiziert (arg „with due regard to“). Wie eine angemessene Berücksichtigung erfolgen muss, wird erst die Praxis weisen. 62 Malgieri/Comandé, IDPL 2017, 243 (257). 63 Zavadil, Dako 2020/33, 55 (56 f), schlägt bspw Ausführungen im Hinblick auf die herangezogenen „Parameter“ und die „Charakterisierung“ des Betroffenen anhand von diesen, das „Zustandekommen der Parameter“ und „Bewertungsergebnis“ sowie „weitere Profilkategorien, denen der Betroffene zugeordnet werden könnte“, vor. 64 Digitale Plattformen werden in Art 2 lit h E-DSA legal definiert als „a provider of a hosting service which, at the request of a recipient of the service, stores and disseminates to the public information […]“. Lit i leg cit ergänzt wie folgt: „‘[D]issemination to the public’ means making information available, at the request of the recipient of the service who provided the information, to a potentially unlimited number of third parties.“ Sohin unterstehen bspw soziale Netzwerke dem Anwendungsbereich des E-DSA. 65 Mikroplattformen werden demgegenüber von einigen Bestimmungen explizit ausgenommen (vgl Art 16 E-DSA).
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Art 27 bildet einen weiteren Kernpunkt des E-DSA: Sehr große Plattformen müssen angemessene Maßnahmen treffen, um systemische Risiken zu beschränken. Exemplarisch angeführt werden folgende Schritte: „(a) adapting content moderation or recommender systems, their decision-making processes, the features or functioning of their services, or their terms and conditions; (b) targeted measures aimed at limiting the display of advertisements in association with the service they provide; (c) reinforcing the internal processes or supervision of any of their activities in particular as regards detection of systemic risk; [...]“ Die potenzielle Schlagkraft dieser prima vista unscheinbaren Regelung darf keinesfalls unterschätzt werden: Mit Art 27 E-DSA können Anbieter dazu angehalten werden, die Funktionsweise ihrer zB Such- und Sortieralgorithmen in grundlegender Weise zu adaptieren, insb wird die bislang vorherrschende – problematische – Gleichbehandlung von meinungsbildungsrelevanten und kommerziellen Inhalten kaum mehr rechtfertigbar66 sein. Sehr große Plattformen haben gem Art 29 E-DSA nicht nur die Kriterien („main parameters“, ErwGr 62) ihrer Empfehlungssysteme zu offenbaren, sie müssen zudem Möglichkeiten zur Beeinflussung der Kataloge bekannt geben. Hierbei ist zumindest eine Variante anzubieten, die nicht auf Profiling iSv Art 4 Z 4 DS-GVO, sprich auf Personalisierung, basiert. Die praktische Wirksamkeit eines solchen Ansatzes ist ua aufgrund des confirmation bias allerdings beschränkt – selbst wenn das User Interface zwingend nutzerfreundlich zu gestalten ist (Abs 2 leg cit). Diesbezüglich bedarf es mE innovativer Ansätze zur Optimierung der Darstellung, die derzeit in Bezug auf das Datenschutzrecht diskutiert werden. Der E-DSA lässt die Regelungen der DS-GVO unberührt (Art 1 Abs 5 lit i E-DSA und ErwGr 10) und sieht lediglich zusätzliche Transparenzanforderungen vor, die es den Betroffenen ermöglichen sollen, von ihren Betroffenenrechten Gebrauch zu machen, und soll sich darüber hinaus auch insgesamt positiv auf das Datenschutzrecht auswirken.
3.3. Digital Markets Act (E-DSA) Der Anwendungsbereich ist gem Art 1 Abs 2 E-DMA auf digitale Plattformen, die spezifische Eigenschaften aufweisen („core platform services“), die von sog „gatekeepers“ betrieben werden, beschränkt und tritt neben das allgemeine Wettbewerbsrecht (Art 1 Abs 6 E-DMA). Zu Core Platform Services werden ua „online search engines“, „online social networking services“, „video-sharing platform services“ und „online intermediation services“ erklärt (Art 2 Abs 2 E-DMA). Ein Gatekeeper ist ein Betreiber von Core Platform Services (Art 2 Abs 1 E-DMA), auf den die weiteren, in Art 3 Abs 1 E-DMA definierten Voraussetzungen zutreffen: „(a) it has a significant impact on the internal market; (b) it operates a core platform service which serves as an important gateway
66 Vgl auch ErwGr 56: „The way they design their services is generally optimised to benefit their often advertising-driven business models and can cause societal concerns.“
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for business users to reach end users; and (c) it enjoys an entrenched and durable position in its operations [...]“.67 Der E-DMA soll – ebenso wie der E-DSA – das EU-Datenschutzrecht komplementieren und unterstützen. In Art 13 E-DMA werden Gatekeepern Informationspflichten auferlegt: „Within six months [...], a gatekeeper shall submit to the Commission an independently audited description of any techniques for profiling of consumers that the gatekeeper applies to or across its core platform services [...]. This description shall be updated at least annually.“
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Kritik
4.1. Potenzielle Verdreifachung von Transparenzpfl ichten Der E-DSA ähnelt in Bezug auf die Systematik und den Regelungszugang durchaus der DS-GVO. Dies ist grundsätzlich sinnvoll, weil die beiden Rechtsakte aufgrund des ins Auge gefassten Geschäftsmodells „Dienst gegen Daten“ eng ineinandergreifen müssen. Zum Teil ergeben sich auch sehr ähnliche Auslegungsprobleme, insb im Hinblick auf den Umfang von Transparenzpflichten. (Siehe Tabelle Seite 7 ). Da sich sehr große Plattformen sohin künftig mit einer Verdreifachung jeweils sanktionsbewehrter Transparenzpflichten in Bezug auf den Einsatz von mit Profiling verbundenen ADM-Systemen konfrontiert sehen könnten, sollten die Sanktionsverfahren aufeinander abgestimmt werden, sodass eine Beeinträchtigung des Ne-bis-in-idem-Grundsatzes ausgeschlossen wird. Insb in Bezug auf den E-DSA und die DS-GVO wären Überschneidungen des Lebenssachverhalts und des geschützten Rechtsguts durchaus denkbar. Zudem bedarf es – grundsätzlich gleichlaufender – Klarstellungen in Bezug auf den konkreten Gehalt und den Umfang der Informationspflichten. Diese sollten jedoch nicht in Sekundärrechtsakten erfolgen, sondern in Tertiärrechtsakten und Leitlinien, um rasch und flexibel Anpassungen vornehmen zu können.
4.2. Inhaltliche Regulierung ist erforderlich Bloße Informationsansprüche und Transparenzpflichten greifen mE in der Informationsgesellschaft zu kurz: Die Durchschnittsnutzer können die umfangreichen und komplexen Informationen und Erklärungen idR nicht korrekt bewerten und ihre weitreichenden Folgen nicht richtig abschätzen (Stichwort: „infor-
67 Diese Eigenschaften werden in Abs 2 leg cit anhand von Umsatz- und Nutzerzahlen festgemacht. Werden diese Werte überschritten, muss der Betreiber dies gem Abs 3 leg cit bei der Kommission notifizieren, welche den Betreiber ggf binnen 60 Tagen zum „Gatekeeper“ zu erklären hat. Doch auch ein Anbieter, der die quantitativen Vorgaben nicht erfüllt, kann aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls in einem Market Investigation-Verfahren der Kommission als Gatekeeper eingestuft werden (vgl Art 3 Abs 6 iVm Art 15 E-DMA sowie ErwGr 24).
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DS-GVO
E-DSA
E-DMA
Adressat
Verantwortliche: natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle, die allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet
Anbieter digitaler Dienste, insb digitale Plattformen spezifische Regelungen für sehr große Plattformen (Reichweite von über 45 Mio Nutzern)
Gatekeeper (Umsatzkriterium, 45 Mio Endnutzer, 10.000 business user oder Feststellung im Einzelfall), die Core Platform Services (zB Online Intermediation Services, Online Search Engines, Online Social Networking Services, Video-sharing Platform Services) anbieten
Rechtsgut
Schutz der informationellen Selbstbestimmung und Menschenwürde
Schutz vor Overblocking, Desinformation, Hate Speech
Stärkung des Wettbewerbs
Transparenzpflichten
automatisierte Entscheidungen, die rechtliche Wirkung entfalten oder einen Betroffenen in ähnlicher Weise erheblich beeinträchtigen; aufzuklären ist über die involvierte Logik, Tragweite und die angestrebten Auswirkungen
Richtlinien, Prozedere, Maßnahmen und Tools der Inhaltsmoderation Kriterien für personalisierte Werbeeinblendungen sehr große Plattformen: Kriterien für Empfehlungssysteme
von einer unabhängigen Stelle begutachtete Darstellung der Profiling-Maßnahmen; an die Kommission zu übermitteln
(Verwendung von nicht-diskriminierenden Verfahren, lediglich in Begründungserwägungen festgehalten)
Bindung an Grundrechte und Grundfreiheiten sehr große Plattformen: Analyse der Algorithmen anhand von „systemischen Risiken“ verpflichtend anzubietende, nicht auf Profiling beruhende Varianten von Empfehlungssystemen
Inhaltliche Vorgaben
mation overload“68).69 Dies gilt in besonderem Maße für die Offenlegung der komplexen Entscheidungslogik von ADM-Systemen: Die Algorithmen basieren zunehmend auf Machine Learning, wodurch nicht nur die Summe der Kriterien in einer Momentbetrachtung praktisch unüberschaubar geworden ist, auch die fortlaufende autonome Weiterentwicklung gestaltet bereits die Erfüllung von Transparenzverpflichtungen schwierig.70 Auf den Punkt gebracht: Selbst wenn die transparente Darstellung und Erörterung der Entscheidungslogik technisch umsetzbar ist, wird der Aufklärungswert für den durchschnittlichen Nutzer gering sein.71 Aus diesem Grund ist es einerseits elementar, die Erkenntnisse auf einer institutionalisierten Ebene zu analysieren und Konsequenzen daraus zu ziehen. Insofern ist die Einrichtung spezialisierter Stellen, wie zB der nationalen Digital Ser68 Martini, Blackbox Algorithmus, 188; Erbguth/Stepanova/Diehl, Datengewerkschaften. Eine Lösung für das Einwilligungsdilemma?, LR 2020, Rz 34. 69 Martini, Blackbox Algorithmus, 188; Malgieri/Comandé, IDPL 2017, 243 (243 f); Erbguth/Stepanova/Diehl, LR 2020, Rz 10, 35; Lewandowsky et al, Technology and Democracy, 104. 70 Drexl, Bedrohung der Meinungsvielfalt durch Algorithmen, ZUM 2017, 529 (537); Golla, In Würde vor Ampel und Algorithmus, DÖV 2019, 673 (679); Grandjean, Der Code als Gatekeeper: Vielfaltsicherung in Zeiten von Suchund Entscheidungsalgorithmen, Personalisierung und Fake-News, ZUM 2017, 565 (571); Malgieri/Comandé, IDPL 2017, 243 (243 f). 71 Golla, DÖV 2019, 673 (679); Paal, Vielfaltssicherung bei Intermediären. Fragen der Regulierung von sozialen Netzwerken, Suchmaschinen, InstantMessengern und Videoportalen, MMR 2018, 567 (570); Cornils, Die Perspektive der Wissenschaft: AVMD-Richtlinie, der 22. Rundfunkänderungsstaatsvertrag und der »Medienstaatsvertrag« – Angemessene Instrumente für die Regulierungsherausforderungen?, ZUM 2019, 89 (102); Paal/Hennemann, Meinungsvielfalt im Internet. Regulierungsoptionen in Ansehung von Algorithmen, Fake News und Social Bots, ZRP 2017, 76 (78).
vices Coordinators und des European Board of Digital Services, zu begrüßen. Andererseits sind die ersten Ansätze einer inhaltlichen Regulierung im E-DSA ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Zudem sollte die Medienkompetenz der Nutzer durch entsprechende Aufklärungs- und Bildungsmaßnahmen gestärkt werden.72
4.3. Art 17 UDBM-RL Gem Art 17 Abs 4 UDBM-RL73 haften Sharing-Plattformen wie YouTube für Urheberrechtsverletzungen, es sei denn, sie weisen nach, dass sie „[...] alle Anstrengungen unternommen [haben], um sicherzustellen, dass bestimmte Werke und sonstige Schutzgegenstände, zu denen die Rechteinhaber den Anbietern dieser Dienste einschlägige und notwendige Informationen bereitgestellt haben, nicht verfügbar sind“ (lit b) und „nach Erhalt eines hinreichend begründeten Hinweises von den Rechteinhabern unverzüglich gehandelt [haben], um den Zugang [...] zu sperren bzw. die entsprechenden Werke oder sonstigen Schutzgegenstände von seinen Internetseiten zu entfernen, und alle Anstrengungen unternommen hat, um gemäß Buchstabe b das künftige Hochladen dieser Werke oder sonstigen Schutzgegenstände zu verhindern“ (lit c). Ist Art 17 UDBM-RL einschlägig, scheidet eine Berufung auf das Haftungsprivileg der E-Commerce-RL (bzw ihres potenziellen Nach-
72 Drexl, ZUM 2017, 529 (543); Dörr/Natt, ZUM 2014, 829 (837). 73 Die Richtlinie ist von den Mitgliedstaaten bis 7. 6. 2021 umzusetzen.
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folgers: Art 5 E-DSA) aus.74 Aufgrund der massiven Kritik in der öffentlichen Diskussion wurde in Art 17 Abs 8 UDBM-RL beschwichtigend klargestellt, dass eine „allgemeine Überwachung“ durch die Plattformbetreiber unzulässig bleibt. Die Norm ist dennoch hoch umstritten, weil sie die Plattformen de facto zur Einführung von – aus grundrechtlicher Perspektive bedenklichen75 – automatisierten Filtersystemen (sog „Uploadfilter“) zwingen könnte, um einer Haftung zu entgehen.76 Die von Polen initiierte Nichtigkeitsklage gegen Art 17 Abs 4 UDBM-RL (Rs C-401/19) ua unter Berufung auf einen Verstoß gegen den Wesensgehalt von Art 11 GRC ist derzeit noch beim EuGH anhängig.77 Automatisierte Uploadfilter eröffnen unstrittig den Anwendungsbereich von Art 22 DS-GVO: Die Entscheidung, ob ein Beitrag gesperrt wird, wird vollständig automatisiert getroffen. Gem Art 17 Abs 9 UDBM-RL sind Beschwerden zwar „einer von Menschen durchgeführten Überprüfung zu unterziehen“, eine solche bloß nachprüfende Kontrolle auf Andringen des Betroffenen verhindert jedoch nicht die Anwendbarkeit von Art 22 DS-GVO.78 Eine Löschung kann insb grundrechtliche Positionen der Nutzer tangieren und auch eine äquivalente Betroffenheit ist jedenfalls denkbar. Uploadfilter unterliegen daher grundsätzlich dem Verbot des Art 22 DS-GVO. Fraglich ist, ob ihr Einsatz unter Berufung auf Art 22 Abs 2 lit b DS-GVO („Zulässigkeit aufgrund von Rechtsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten“) gerechtfertigt werden könnte. Problematisch ist jedoch die ausdrückliche Distanzierung von Filtertechnologien (insb im Hinblick auf die historische Interpretation der Norm und Art 17 Abs 8 UDMB-RL). Alternativ käme die Einholung einer Einwilligung der Betroffenen in Betracht, allerdings ist deren Wirksamkeit von der Erfüllung der Voraussetzungen des Art 7 DS-GVO abhängig, insb muss sie freiwillig und ohne Zwang
abgegeben werden. Die datenschutzrechtliche Zulässigkeit des Einsatzes von Uploadfiltern ist sohin zweifelhaft. Der E-DSA bezweckt demgegenüber zwar ua, die Verbreitung von Hate Speech und Desinformation zu unterbinden, enthält jedoch weder formal noch faktisch die Pflicht zum Einsatz von automatisierten Filtertechnologien. Vielmehr werden die Diensteanbieter zu voller Transparenz verpflichtet und haben die Grundrechte und Grundfreiheiten der Nutzer bei der Gestaltung ihrer Inhaltsmoderation hinreichend zu berücksichtigen. In Art 17 E-DSA wird zudem ein sog „internal complaint-handling system“ normiert, um gegen ungerechtfertigte Löschungen vorgehen zu können: Wird der Beitrag eines Nutzers gelöscht/unzugänglich gemacht, muss der User darüber umfassend informiert werden. Zudem ist ein effektives, elektronisches und kostenloses Beschwerdeverfahren zur Verfügung zu stellen, wobei die Entscheidung nicht automatisiert getroffen werden darf (Art 17 Abs 1 iVm Abs 5 E-DSA).
5.
Fazit
Völlig unstrittig ist, dass Algorithmen und insb ADM-Systeme eine rechtliche Einhegung erfahren müssen. Während die DS-GVO und das Digital Services Act Package die „Blackboxes“ öffnen möchten und primär Transparenzpflichten normieren, enthält lediglich der E-DSA auch Vorschläge einer inhaltlichen Steuerung. Diese sollten möglichst rasch verabschiedet und präzisiert werden. In die diametral entgegengesetzte Richtung steuert hingegen Art 17 Abs 4 UDBM-RL, der Diensteanbieter faktisch zu datenschutzrechtlich problematischen, automatisierten Entscheidungen zwingen könnte. In diesem Sinne bleibt das Urteil des EuGH zur Grundrechtskonformität der Norm abzuwarten.
74 Hochleitner, Sind die politischen Bedenken gegen Art 17 der neuen Urheberrechts-Richtlinie der EU begründet?, jusIT 2019/47, 135 (135); Haselbacher, Next Generation IT-Law, online 21. 10. 2020. 75 ZB im Hinblick auf die Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit, die wirtschaftlichen Grundrechte sowie die Freiheit der Kunst. 76 Hochleitner, jusIT 2019/47, 135 (136); Hecht, die Umsetzung des Art 17 DSM-RL in nationales Recht, MR 2020, 265 (269); Haselbacher, Next Generation IT-Law, online 21. 10. 2020. 77 Haselbacher, Next Generation IT-Law, online 21. 10. 2020. 78 Martini in PP3 Art 22 Rz 19c; Scholz in SHS Art 22 Rz 27.
Die Autorin: Corina Kruesz, LL.M. (WU), ist Universitätsassistentin am Institut für Europarecht und Internationales Recht der Wirtschaftsuniversität Wien. corina.kruesz@wu.ac.at lesen.lexisnexis.at/autor/Kruesz/Corina
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ART.-NR.: 2
Mag. Anna Haselbacher • Universität Graz
Zur Qualität der elektronischen Übermittlung urheberrechtlich geschützter Werke in Gerichtsverfahren als öffentliche Wiedergabe – Besprechung der Entscheidung EuGH 28. 10. 2020, C-637/19 (BY [Preuve photographique]) » jusIT 2021/2
öffentliche Wiedergabe, Beweismittel, Grundrechtsausgleich, Schranken, Justizielle Rechte, Kommunikationsfreiheit, Entscheidungsdokumentation
Im derzeit aktuellsten Urteil zur öffentlichen Wiedergabe gem Art 3 Abs 1 RL 2001/29/EG (im Folgenden InfoSoc-RL) stellt der EuGH fest, dass durch die Übermittlung eines geschützten Werks als Beweismittel per E-Mail im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens zwischen Privatpersonen an das Gericht keine öffentliche Wiedergabe nach Art 3 InfoSoc-RL vorliegt. Der folgende Beitrag erörtert auf Grundlage des Urteils urheberrechtliche und grundrechtliche Aspekte des Zugangs zu urheberrechtlich geschützten, verfahrensrelevanten Beweismitteln.
1.
Einleitung
In die umfangreiche EuGH-Judikatur zur öffentlichen Wiedergabe reiht sich die Rs BY (Preuve photographique)1 (zu Deutsch: fotografischer Beweis) laut Curia-Suche als 40. erledigte Rechtssache ein. Zu klären war, ob ein geschütztes Werk öffentlich wiedergegeben wird, wenn es als Beweismittel per E-Mail im Zuge eines gerichtlichen Verfahrens zwischen Privatpersonen an ein Gericht transferiert wird. Der EuGH verneinte die Vorlagefrage des schwedischen Gerichts. Rund um die Entscheidung thematisiert der Beitrag den EMail-Versand als Wiedergabehandlung, die (Un-)Bestimmtheit des Publikums (samt kurzem Exkurs) wie auch die Relevanz der einschlägigen urheberrechtlichen Ausnahme und des Grundrechtsausgleichs. Zu guter Letzt erörtert ein Ausblick die Relevanz des Urteils für Verwertungshandlungen nach Art 2 und 4 InfoSoc-RL.
RL 2001/29/EG: Art 2, 3 Abs 1, Art 4, 5 Abs 3 lit e, Art 9; GRC: Art 11, 17 Abs 2, Art 42, 47; UrhG: §§ 41, 41a
2.
Vorabentscheidungsersuchen
2.1. Ausgangsverfahren und Vorlagefragen Im Rahmen eines zivilgerichtlichen Verfahrens übermittelte die Beklagte (die natürliche Person CX) die Kopie einer Textseite mit einer darin enthaltenen Fotografie als Beweismittel per E-Mail an das Gericht.2 Die Klägerin (die natürliche Person BY) ist Rechteinhaberin der Website, von der die Textseite stammt. BY meinte, in ihrem Urheberrecht verletzt zu sein, und begehrte von CX Schadenersatz. Strittig war, ob durch die Übermittlung an das Gericht tatsächlich eine Urheberrechtsverletzung begangen wurde. Zur Klärung dieser Frage legte das schwedische Svea hovrätt (Berufungsgericht, Stockholm) dem EuGH vier Fragen vor, betreffend (1.) die einheitliche Bedeutung der „Öffentlichkeit“ in Art 3 Abs 1 und Art 4 Abs 1 InfoSoc-RL; (2.) ob, bei Bejahung dieser Frage, ein Gericht grundsätzlich als „Öffentlichkeit“ zu bewerten ist, oder, falls diese Frage verneint wird, ob (3.) ein Gericht bei Wiedergabe (3.a) oder Verbreitung (3.b) eines geschützten Werks als „Öffentlichkeit“ zu beurteilen ist, sowie (4.) ob nationale Vorschriften für die Beurteilung relevant sind, die es jedermann auf Antrag ermöglichen, Zugang zu bei Gericht eingereichten Dokumenten zu erhalten.3 Die zentrale Frage war also, ob die elektronische Übermittlung eines geschützten Werks als Beweismittel an ein Gericht innerhalb eines Gerichtsverfahrens zwischen Privatpersonen bzw dessen allfällige Weitergabe als öffentliche Wiedergabe zu werten ist.4
2.2. EuGH-Urteil Sämtliche Vorlagefragen beantwortet die Fünfte Kammer des Gerichtshofs zusammen. Zunächst hebt der Gerichtshof mit
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EuGH 28. 10. 2020, C-637/19 (BY [Preuve photographique]).
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EuGH 28. 10. 2020, C-637/19 Rz 19. EuGH 28. 10. 2020, C-637/19 Rz 18. Zusf EuGH 28. 10. 2020, C-637/19 Rz 21.
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jusIT 1/2021 IT-RECHT Verweis auf die stRsp5 die kumulativen Tatbestandsmerkmale „Handlung der Wiedergabe“ und „Öffentlichkeit“ hervor.6 Erstere definiert der EuGH (wie auch schon bisher) als „Handlung, mit der ein Nutzer in voller Kenntnis der Folgen seines Verhaltens Zugang zu geschützten Werken gewährt“.7 Ohne weitere Erläuterungen wertet die Fünfte Kammer die Tätigkeit des Ausgangsverfahrens als eine urheberrechtsrelevante Wiedergabehandlung.8 Detaillierter geht der Gerichtshof auf das zweite Tatbestandsmerkmal der „Öffentlichkeit“ ein. Neben der Voraussetzung, dass das Werk tatsächlich öffentlich wiedergegeben wird, muss der potenzielle Adressatenkreis unbestimmt sein und aus recht vielen Personen bestehen.9 Das Element der Unbestimmtheit ist so definiert, dass ein Werk in geeigneter Weise Personen „allgemein“ zugänglich gemacht wird, also ohne Einschränkung auf besondere Personen privater Gruppen.10 Explizit GA Hogan folgend,11 ist laut Ansicht des Gerichtshofs im Ausgangsverfahren das Gegenteil der Fall: Die Personengruppe sei klar definiert und geschlossen, wobei einzelne Personen als bestimmtes Fachpersonal bei Gericht Aufgaben des öffentlichen Interesses wahrnehmen.12 Somit ist eine öffentliche Wiedergabe nicht gegeben. Daran ändert auch eine nationale Bestimmung betreffend den Zugang zu öffentlichen Dokumenten nichts; denn tatsächlich gewährt demnach nicht die übermittelnde Person, sondern das Gericht Einzelnen auf Antrag Zugang zu öffentlichen Dokumenten. Derartige mitgliedstaatliche Vorschriften werden jedoch gem Art 9 InfoSoc-RL von der Richtlinie nicht berührt.13 Die weiteren Ausführungen der Fünften Kammer thematisieren die grundrechtliche Ebene. Mit Bezug auf die Rs Pelham ua14 sieht der Gerichtshof in seiner Auslegung einen ausbalancierten Grundrechtsausgleich verwirklicht, zwischen zum einen den Interessen der Rechteinhaber gem Art 17 Abs 2 GRC und zum anderen den Interessen und Grundrechten der NutzerInnen geschützter Werke und dem Allgemeininteresse.15 Denn Art 17 Abs 2 GRC gilt nicht schranken- und bedingungslos, sondern muss erst einer Grundrechtsabwägung standhalten. Betroffenes Grundrecht des konkreten Ausgangsverfahrens ist das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gem Art 47 GRC;16 dieses wäre „ernsthaft gefährdet“,17 könnte der Rechteinhaber allein aufgrund des
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EuGH 31. 5. 2016, C-117/15 (Reha Training) Rz 37; EuGH 19. 12. 2019, C-263/18 (Nederlands Uitgeversverbond und Groep Algemene Uitgevers) Rz 61. EuGH 28. 10. 2020, C-637/19 Rz 22. EuGH 28. 10. 2020, C-637/19 Rz 23, mit Verweis auf EuGH 14. 6. 2017, C-610/15 (Stichting Brein/Ziggo) Rz 26. EuGH 28. 10. 2020, C-637/19 Rz 24. EuGH 28. 10. 2020, C-637/19 Rz 25 f. EuGH 28. 10. 2020, C-637/19 Rz 27. SA vom 3. 9. 2020, C-637/19 Rz 42–44. EuGH 28. 10. 2020, C-637/19 Rz 28 f. EuGH 28. 10. 2020, C-637/19 Rz 30. EuGH 29. 7. 2019, C-476/17 (Pelham ua) Rz 32–34. EuGH 28. 10. 2020, C-637/19 Rz 31. EuGH 28. 10. 2020, C-637/19 Rz 32. So auch wörtlich SA vom 3. 9. 2020, C-637/18 Rz 45.
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Schutzes des geistigen Eigentums der elektronischen Übermittlung von Beweismitteln an ein Gericht widersprechen.18
2.3. Ergebnis Wird also ein geschütztes Werk innerhalb eines Verfahrens zwischen Privatpersonen als Beweismittel auf elektronischem Weg an ein Gericht übermittelt, ist der Tatbestand der öffentlichen Wiedergabe iSv Art 3 Abs 1 InfoSoc-RL nicht erfüllt.19
3.
Urheberrechtliche und grundrechtliche Aspekte des (elektronischen) Zugangs zu urheberrechtlich geschützten Beweismitteln
Die jüngste Vorabentscheidung des EuGH zur öffentlichen Wiedergabe gibt Anlass dazu, Aspekte iZm dem Zugang zu urheberrechtlich geschützten Beweismitteln näher zu betrachten. Dabei interessiert neben Art 3 Abs 1 InfoSoc-RL und den beiden dazugehörigen Tatbestandsmerkmalen der „Handlung der Wiedergabe“ und der „Öffentlichkeit“ insb auch die Ausnahme in Art 5 Abs 3 lit e InfoSoc-RL sowie der grundrechtliche Blickwinkel. Letzterer umfasst neben dem Eigentumsrecht (Art 17 Abs 2 GRC) sowohl das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht (Art 47 GRC) als auch die Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit (Art 11 GRC). Auch die Entscheidungsdokumentation in RIS bzw EUR-Lex (und damit das Recht auf Zugang zu Dokumenten nach Art 42 GRC) soll kurz behandelt werden.
3.1. Urheberrechtliche Aspekte 3.1.1. E-Mail-Versand als Wiedergabehandlung Die „Zugänglichmachung“ des geschützten Werks erfolgt in der Rs BY (Preuve photographique) durch die Übermittlung einer EMail. Dass dies eine Wiedergabehandlung darstellt, bejaht der EuGH ohne argumentative Ausführungen fast beiläufig. Grundsätzlich wurde die „Handlung der Wiedergabe“ in stRsp als eines von zwei kumulativen Tatbestandsmerkmalen einer öffentlichen Wiedergabe konkretisiert.20 Vor dem Hintergrund eines angestrebten hohen Schutzniveaus der Rechteinhaber ist der Begriffs stets weit auszulegen.21 Keine Rolle spielt das technische Mittel oder Verfahren, das für die Übertragung der geschützten Werke eingesetzt wird.22 In den vielen einschlägigen Vorabentscheidungen wurden so bereits etwa Hyperlinks ohne Zugangsbeschränkungen,23 Fernsehgeräte in einem Rehabilitationszentrum,24 das
18 EuGH 28. 10. 2020, C-637/19 Rz 33. 19 EuGH 28. 10. 2020, C-637/19 Rz 34, Tenor. 20 Erstmals explizit vom EuGH benannt in EuGH 13. 2. 2014, C-466/12 (Svensson ua) Rz 16. 21 ErwGr 4, 9 RL 2001/29/EG; EuGH 13. 2. 2014, C-466/12 Rz 17. 22 EuGH 4. 10. 2011, C-403/08 und C-429/08 (Football Association Premier League ua) Rz 193; EuGH 19. 11. 2015, C-325/14 (SBS Belgium) Rz 16; EuGH 31. 5. 2016, C-117/15 Rz 38. 23 EuGH 13. 2. 2014, C-466/12 Rz 20. 24 EuGH 31. 5. 2016, C-117/15 Rz 55 f.
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Betreiben einer Peer-to-Peer Online-Filesharing-Plattform25 oder auch der Verkauf von Multimediaplayern mit vorinstallierten AddOns26 als Wiedergabehandlung beurteilt. Man könnte nach den zuvor genannten Beispielen meinen, dass die Klarstellung, dass eine elektronische Übermittlung (hier: E-Mail-Versand) eine Wiedergabehandlung iSv Art 3 Abs 1 InfoSoc-RL ist, wenig überraschend ist. Doch auf österreichischer Ebene war die überwiegende Meinung bis dato durchaus gegenteilig. Die hM geht nämlich davon aus, dass die Übermittlung einer E-Mail nicht unter § 18a UrhG zu subsumieren sei.27 Begründet wird dies in der Literatur vor allem mit dem individuellen – nicht interaktiven – Abruf durch den Empfänger. Der OGH hat sich mit dem E-Mail-Versand als urheberrechtliche Verwertungshandlung iSv § 18a UrhG soweit ersichtlich nicht befasst. Nach dem aktuellen EuGH-Urteil ist nun erstmals und unionsweit final geklärt: Die Übermittlung einer E-Mail ist als Wiedergabehandlung gem Art 3 Abs 1 InfoSoc-RL zu beurteilen.28 Die hM zu § 18a UrhG ist damit überholt.
3.1.2. Zur (Un-)Bestimmtheit der „Gerichtsöffentlichkeit“ Auch die „Öffentlichkeit“ als zweites Tatbestandsmerkmal sowie die dazugehörigen Kriterien bedürfen vor dem Hintergrund der EuGH-Entscheidung einer genaueren Betrachtung. Zentral war hier die (Un-)Bestimmtheit des Publikums. Denn aufgrund der „Bestimmtheit“ des gerichtlichen Fachpersonals sah der Gerichtshof nicht „Personen allgemein“ iSv Art 3 Abs 1 InfoSoc-RL verwirklicht.29 Das Tatbestandselement der Öffentlichkeit ist grundsätzlich erfüllt, wenn (1.) die potenziellen Leistungsempfänger eine unbestimmte Zahl aufweisen und (2.) sich diese aus recht vielen Personen zusammensetzen.30 Zur „öffentliche[n] Sendung (öffentliche[n] Wiedergabe)“ enthält das Glossar der WIPO eine – wenn auch nicht rechtsverbindliche – Definition. Dabei interessiert im Hinblick auf die „Unbestimmtheit“ der Öffentlichkeit besonders
25 EuGH 14. 6. 2017, C-610/15 Rz 39. 26 EuGH 26. 4. 2017, C-527/15 (Stichting Brein/Wullems) Rz 38. 27 Vgl etwa Homar, der den mangelnden interaktiven Abruf als Hindernis sieht, den E-Mail-Versand eines Werks unter § 18a UrhG zu subsumieren, Homar, Unzulässigkeit der Weiterveräußerung von E-Books, MR 2020, 27 (33); ebenso Gaderer in Kucsko/Handig, urheber.recht2 § 18a UrhG Rz 28 (Stand 1. 4. 2017, rdb.at), der so argumentiert, dass eine E-Mail nach lediglich einmaliger Übermittlung ja dem individuellen Abruf durch den Adressierten unterliege; auch Jaksch-Ratajczak, Aktuelle Rechtsfragen der Internetnutzung (2010) 123. 28 EuGH 28. 10. 2020, C-637/19 Rz 23 f. 29 EuGH 28. 10. 2020, C-637/19 Rz 29. 30 So bereits im ersten Urteil zu Art 3 Abs 1 InfoSoc-RL: EuGH 7. 12. 2006, C-306/05 (SGAE) Rz 37 f; weiters auch EuGH 15. 3. 2012, C-135/10 (SCF) Rz 84 f; EuGH 15. 3. 2012, C-162/10 (Phonographic Performance [Ireland]) Rz 33 f; EuGH 7. 3. 2013, C-607/11 (ITV Broadcasting ua) Rz 32; EuGH 27. 2. 2014, C-351/12 (OSA) Rz 27; EuGH 13. 2. 2014, C-466/12 Rz 21; EuGH 19. 11. 2015, C-325/14 Rz 21; EuGH 31. 5. 2016, C-117/1 Rz 41; EuGH 8. 9. 2016, C-160/15 (GS Media) Rz 36; EuGH 26. 4. 2017, C-527/15 Rz 32; EuGH 14. 6. 2017, C-610/15 Rz 27; EuGH 16. 3. 2017, C-138/16 (AKM) Rz 24; EuGH 29. 11. 2017, C-265/16 (VCAST) Rz 45; EuGH 7. 8. 2018, C-161/17 (Renckhoff ) Rz 22; EuGH 19. 12. 2019, C-263/18 Rz 66–68; EuGH 28. 10. 2020, C-637/19 Rz 26.
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die Ausführung „Personen allgemein, also nicht auf besondere Personen beschränkt, die einer privaten Gruppe angehören“.31 Im betreffenden EuGH-Urteil erfolgt die Wiedergabe gegenüber einzelnen Personen des gerichtlichen Fachpersonals. Übereinstimmend mit GA Hogan fokussiert die Prüfung des Gerichtshofs für die „Öffentlichkeit“ auf das dazugehörige Element der „Unbestimmtheit“. Im Zuge der Argumentation32 verweist der Gerichtshof mehrmals (ganz im Sinne der ihm oft nachgesagten Case-Law-Manier) auf ältere Entscheidungen (insgesamt sieben Referenzen auf fünf Urteile).33 In diesem Kontext zitiert die Fünfte Kammer die Rs SCF (die sich erstmals auf das [oben zitierte] Glossar der WIPO bezieht) sowie die Rs Reha Training (welche wiederum die Rs SCF zitiert).34 Alle drei Urteile teilen damit denselben Kern, nämlich die Berufung auf das WIPO-Glossar. Dennoch fielen die Beurteilungen in der Folge unterschiedlich aus: Wertet der EuGH ZahnarztpatientInnen als bestimmtes (keine öffentliche Wiedergabe),35 sah er in PatientInnen eines Rehabilitationszentrums ein unbestimmtes Publikum.36 Auch wenn das Ergebnis widersprüchlich scheint, wird klar, dass jede der Entscheidungen auf dieselbe Grundlage verweist – schließlich geht es zentral um die Ableitung des Elements der „Unbestimmtheit“ eines Publikums aus dem WIPO-Glossar. Exkurs: Bereits am 2. 7. 2020 war auf nationaler Ebene auch der OGH37 mit der „öffentlichen Zugänglichmachung“ eines Lichtbilds gem § 18a UrhG befasst, und zwar in einer geschlossenen Facebook-Gruppe.38 Richtig interpretiert der OGH die vom EuGH entwickelten Kriterien für eine Öffentlichkeit, nämlich zum einen die „unbestimmte Zahl potentieller Adressaten“ und zum anderen eine „ziemlich große Zahl von Personen“.39 Für die Beurteilung der Öffentlichkeit einer Facebook-Gruppe verfasst der OGH sogar spezifische Aspekte, die zu berücksichtigen sind.40 Dabei zentral ist der Gruppenzweck im Sinne eines persönlichen Verbindungsmerkmals. Ob diese Auslegung des Elements der „Unbestimmtheit“ für den Fall einer „privaten“ Facebook-Gruppe so auch auf europäischer Ebene halten würde, ist offen. Die „private“ Gruppe, und somit nicht „Personen allgemein“, war im hier besprochenen EuGH-Urteil ein bestimmtes (hier: gerichtszugehöriges) Fachpersonal. Dazu verneinte das unionsrechtliche Höchstgericht nachvollziehbar das Element der „Unbestimmtheit“.41 Eine Urheberrechtsverletzung liegt also durch
31 EuGH 15. 3. 2012, C-135/10 Rz 85. 32 EuGH 28. 10. 2020, C-637/19 Rz 25–29. 33 EuGH 29. 11. 2017, C-265/16 Rz 45; EuGH 14. 6. 2017, C-610/15 Rz 40; EuGH 31. 5. 2016, C-117/15 Rz 41 f; EuGH 29. 11. 2015, C-325/14 (SBS Belgium) Rz 23 f; EuGH 15. 3. 2012, C-135/10 (SCF) Rz 84 f. 34 EuGH 15. 3. 2012, C-135/10 Rz 85; EuGH 31. 5. 2016, C-117/15 Rz 42; EuGH 28. 10. 2020, C-637/19 Rz 27. 35 EuGH 15. 3. 2012, C-135/10 Rz 95. 36 EuGH 31. 5. 2016, C-117/15 Rz 57. 37 OGH 2. 7. 2020, 4 Ob 89/20x (Facebook-Gruppen). 38 Dazu Maier, in diesem Heft jusIT 2021/6, 25. 39 OGH 2. 7. 2020, 4 Ob 89/20x Punkt 3.3. 40 (1.) Das im Vorhinein festgelegte gemeinsame Interesse bzw der Gruppenzweck, (2.) die Beitrittsvoraussetzungen und -modalitäten, (3.) die Zusammensetzung der Gruppe und (4.) die Zahl der Gruppenmitglieder, OGH 2. 7. 2020, 4 Ob 89/20x Punkt 3.5. 41 EuGH 28. 10. 2020, C-637/19 Rz 29.
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die elektronische Übermittlung (hier: E-Mail) einer Fotografie als Beweismittel an das Gericht nicht vor.
3.1.3. Ausnahme nach Art 5 Abs 3 lit e InfoSoc-RL gegenstandslos? Was bedeutet das in der Folge? Bereits vor der EuGH-Entscheidung war das elektronische Zurverfügungstellen urheberrechtlich geschützter Werke an ein Gericht rechtmäßig, legitimiert durch die Ausnahmen gem Art 5 Abs 3 lit e InfoSoc-RL bzw §§ 41, 41a UrhG.42 Im Urteil selbst spricht der EuGH die Ausnahmenebene gar nicht an – schließlich erfüllt die elektronische Übermittlung von urheberrechtlich geschützten Beweismitteln an ein Gericht den Tatbestand einer öffentlichen Wiedergabe nicht. Demzufolge ist eine Legitimationsgrundlage in Form der genannten Ausnahmen nicht notwendig. Fraglich ist, inwiefern Art 5 Abs 3 lit e InfoSoc-RL für eine öffentliche Wiedergabe Relevanz zukommt. Die unionsrechtliche Ausnahme in Art 5 Abs 3 lit e InfoSoc-RL umfasst „die Nutzung zu Zwecken der öffentlichen Sicherheit oder zur Sicherstellung des ordnungsgemäßen Ablaufs von Verwaltungsverfahren, parlamentarischen Verfahren oder Gerichtsverfahren oder der Berichterstattung darüber“. Fakultativ können Mitgliedstaaten diese Ausnahme für die Verwertungsrechte in Art 2 (Vervielfältigung) und Art 3 (öffentliche Wiedergabe) InfoSoc-RL vorsehen. Bei der mitgliedstaatlichen Umsetzung ist darüber hinaus der Drei-Stufen-Test in Art 5 Abs 5 InfoSoc-RL als weitere Begrenzung zu beachten.43 Im österreichischen UrhG ist die Ausnahme in § 41 UrhG gleich an erster Stelle der freien Werknutzungen umgesetzt. Denkbare Anwendungsfälle, die eine Urheberrechtsverletzung nach Art 3 Abs 1 InfoSoc-RL verwirklichen könnten und bei denen Art 5 Abs 3 lit e InfoSoc-RL als Legitimationsgrundlage infrage käme, wären (1.) die elektronische Übertragung eines öffentlichen Gerichtsverfahrens, einschließlich urheberrechtlich geschützter Beweismittel, (2.) die „Berichterstattung“ über Gerichtsverfahren in der Tagespresse sowie (3.) die Entscheidungsdokumentation in Datenbanksystemen wie zB RIS oder EUR-Lex. Unter Einbeziehung der grundrechtlichen Ebene werden die potenziellen Anwendungsfälle im Folgenden erörtert.
3.2. Grundrechtliche Aspekte
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Rechts- und Interessenausgleich zwischen den Betroffenen (Rechteinhaber und NutzerInnen) vorgesehen, insb im Hinblick auf tragende Grundsätze etwa des geistigen Eigentums oder auch des Gemeinwohls. Entsprechend betont der EuGH zu Art 17 Abs 2 GRC stets, dass der Schutz geistigen Eigentums nicht schranken- und bedingungslos sicherzustellen ist – es ist vielmehr ein Grundrechtsausgleich vorzunehmen.45 Obwohl im gegenständlichen EuGH-Urteil eine Urheberrechtsverletzung letztlich nicht erfüllt war, weist der Gerichtshof auf den Grundrechtsausgleich zwischen Art 17 Abs 2 GRC (Recht am geistigen Eigentum) und Art 47 GRC (Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht) hin. Durch das Ergebnis der Auslegung in der Rs BY (Preuve photographique) erfolge ein angemessener Interessenausgleich zwischen zum einen den Interessen der RechteinhaberInnen an deren Grundrechtsschutz gem Art 17 Abs 2 GRC (hier: der Urheber der Fotografie als Rechteinhaber) und zum anderen dem Interessens- und Grundrechtsschutz der NutzerInnen (hier: die private Person, die als Verfahrenspartei das fotografische Beweismittel an das Gericht übermittelte) sowie dem Allgemeininteresse.46 Sollte die Übermittlung eines fotografischen Beweismittels in einem gerichtlichen Verfahren an urheberrechtlichen Bedenken scheitern, wäre Art 47 GRC „ernsthaft gefährdet“.47 Letztlich würde somit auch die grundrechtliche Abwägung einer Beurteilung zugunsten der Rechteinhaber entgegenstehen. Prinzipiell ist diese Auslegung im Einklang mit der urheberrechtlichen Ausnahme nach Art 5 Abs 3 lit e InfoSoc-RL, welche nämlich insb den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf hinsichtlich der Nutzungen geschützter Werke innerhalb der Regelungen zur Beweisführung sicherstellen soll.48 Welcher Anwendungsbereich verbleibt aber noch für die Ausnahme, wenn in der elektronischen Übermittlung geschützter Werke als Beweismittel ohnehin keine Rechtsverletzung vorliegt? Da dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden darf, obsolete Regelungen zu normieren, sollen im Folgenden mögliche Anwendungsfälle für Art 3 Abs 1 iZm Art 5 Abs 3 lit e InfoSoc-RL aufgezeigt werden, welche die Relevanz der Ausnahme und deren grundrechtliche Perspektive thematisieren.
3.2.1. Elektronische Übertragung von Gerichtsverfahren
Neben den Ausnahmen in Art 5 InfoSoc-RL und §§ 41, 41a UrhG ist eine weitere Schranke zu beachten: die grundrechtliche, speziell die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC). Als Ausgangspunkt für die grundrechtliche Abwägung hebt der EuGH in seiner Judikatur zur öffentlichen Wiedergabe häufig ErwGr 3 und 31 InfoSoc-RL hervor;44 darin ist zwingend ein
Art 47 Abs 2 GRC stellt den Grundsatz auf, dass Gerichtsverfahren grundsätzlich „öffentlich“ sein müssen.49 Es wäre also denkbar (und in Zeiten von COVID-19 nicht abwegig), dass Gerichtsverhandlungen, einschließlich urheberrechtlich geschützter Beweismittel, online übertragen werden. Aufgrund der OnlineÜbertragung wäre auch das für die öffentliche Wiedergabe notwendige Distanzelement und potenziell der Tatbestand von Art 3
42 Vgl etwa OGH 20. 12. 2018, 6 Ob 131/18k (E-Mails und Chatprotokolle) Punkt 5.2., 5.3. 43 EuGH 29. 7. 2019, C-469/17 (Funke Medien NRW) Rz 52; Vgl Dreier, Grundrechte und die Schranken des Urheberrechts, GRUR 2019/10, 1003 (1005). 44 EuGH 28. 10. 2020, C-637/19 Rz 31 ; vgl auch EuGH 29. 9. 2019, C-516/17 (Spiegel Online) Rz 42; EuGH 29. 7. 2019, C-469/17 Rz 57; EuGH 7. 8. 2018, C-161/17 Rz 41; EuGH 8. 9. 2016, C-160/15 (GS Media) Rz 31.
45 EuGH 28. 10. 2020, C-637/19 Rz 32; EuGH 29. 9. 2019, C-516/17 Rz 56; EuGH 29. 7. 2019, C-469/17 Rz 72; EuGH 16. 2. 2012, C-360/10 (SABAM) Rz 41. 46 EuGH 28. 10. 2020, C-637/19 Rz 31. 47 EuGH 28. 10. 2020, C-637/19 Rz 33. 48 Leenen in Wandtke/Bullinger (Hrsg), Urheberrecht5 Art 5 Abs 3 lit e InfoSoc-RL Rn 126 (2019). 49 Jarass in Jarass (Hrsg), Charta der Grundrechte der EU4 Art 47 Rn 51 (2021).
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InfoSoc-RL erfüllt. Soweit so der ordnungsgemäße Ablauf des Gerichtsverfahrens gem Art 5 Abs 3 lit e InfoSoc-RL sichergestellt werden kann, würde die unionsrechtliche Ausnahme als Legitimationsgrundlage dienen. Ob das der Unionsgesetzgeber tatsächlich vor 20 Jahren mit dieser Ausnahme bezwecken wollte, ist allerdings wohl mehr als fraglich. Im Zuge der grundrechtlichen Abwägung mit Art 17 Abs 2 GRC wäre zu prüfen, ob es im konkreten Einzelfall wirklich notwendig ist, allfällige klagegegenständliche fotografische Beweismittel im Verfahren ohne Beschränkung (zB durch Verpixelung) darzustellen. Zumindest immer dann und soweit der urheberrechtliche Schutz der Fotografie nicht bestritten wird oder für das Verfahren nicht relevant ist, wäre das wohl unzutreffend. Würde das Werk bis zur Unkenntlichkeit bearbeitet werden, wären, unter Wahrung von Art 47 GRC, die Interessen hinter Art 17 Abs 2 GRC im höchstmöglichen Ausmaß berücksichtigt.
3.2.2. Berichterstattung Als zweiter möglicher Anwendungsfall ist an die Veröffentlichung eines Urteils mit urheberrechtlich geschützten Bildern im Zuge der Berichterstattung durch die Presse zu denken. Auch dafür kann Art 5 Abs 3 lit e InfoSoc-RL als Rechtfertigungsgrundlage herangezogen werden, stellt doch die Norm explizit auch auf die Berichterstattung über Gerichtsverfahren ab.
gleichzeitig grundrechtsschonenden Judikaturdokumentation nur das zur Zweckerreichung Notwendige veröffentlicht werden. Bisher wurde dieses Thema vor allem in datenschutzrechtlichen und persönlichkeitsrechtlichen Diskussionen behandelt.51 Thiele weist zu Recht auf den sog „Streisand-Effekt“ hin und fragt, ob sich dadurch „[...] der grundsätzlich nach § 85 UrhG zustehende Veröffentlichungsanspruch selbst kannibalisiert“. Berührt ist mE aber im selben Maße auch das Urheberrecht. Während nun § 15 Abs 2 und § 15a Abs 2 OGHG ausdrücklich Anonymisierung verlangen, ist die Verletzung von Urheberrechten im Zuge der Entscheidungsdokumentation nicht eigens erfasst. Die Gerichte müssen also im Rahmen des grundrechtlichen Interessenausgleichs zum einen überlegen, was sie veröffentlichen. Ist es zB notwendig, eine klagegegenständliche Fotografie mit dem Urteil als Abbildung zu veröffentlichen oder reicht eine Beschreibung derselben? Soweit die Qualität des geschützten Werks für die Urteilsfindung nicht relevant ist, müsste mE eine reine Beschreibung desselben ausreichen. Zum anderen wäre zu klären, wie ein – weil klagegegenständlich – im Urteil abgebildetes geschütztes Werk veröffentlicht wird. So könnte zB statt einer qualitativ hochwertigen Darstellung die Fotografie lediglich verpixelt wiedergegeben werden. Nur für die Beurteilung der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit müsste mE ein Werk im originalen Zustand dokumentiert werden. In allen anderen Fällen ist hingegen eine (grundrechtsschonende) eingeschränkte Abbildung des Beweisstückes vorzunehmen.
3.2.3. Judikaturdokumentation in RIS und EUR-Lex Schließlich ist in diesem Zusammenhang noch die Dokumentation von Entscheidungen in öffentlich zugänglichen Datenbanken zu thematisieren. Art 42 GRC normiert für UnionsbürgerInnen das Recht auf Zugang zu Dokumenten der Union.50 In Österreich sind die Entscheidungen der Höchstgerichte und weiterer Entscheidungsträger umfassend, nämlich seit den 1980er-Jahren, im RIS dokumentiert. Schon seit 2001 verpflichtet § 14 OGHG explizit zur Erfassung und Aufbereitung der Entscheidungen des OGH im Rahmen einer allgemein zugänglichen Datenbank. Unzweifelhaft stellt die Abbildung geschützter Werke im Rahmen der Judikaturdokumentation in öffentlich zugänglichen Datenbanken eine Urheberrechtsverletzung iSv Art 3 Abs 1 InfoSoc-RL dar. In weiterer Folge ist jedoch die Ausnahme nach Art 5 Abs 3 lit e InfoSoc-RL anwendbar, weil die Dokumentation gewiss „der Sicherstellung des ordnungsgemäßen Ablaufs“ des Verfahrens dient. Doch muss die Ausnahme nach ebenfalls stRsp des EUGH eng interpretiert werden. Dementsprechend darf in Berücksichtigung von Art 17 Abs 2 GRC im Sinne einer eng an die Ausnahme gebundenen und 50 Auch wenn Art 1 lit a VO (EG) 2001/1049 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission, ABl L 2001/145, 43, unter Berufung auf Art 255 EGV nur das Europäische Parlament, den Rat und die Kommission als Organe versteht, scheint mE die Judikaturdokumentation des EuGH von Art 42 GRC erfasst – zumindest insofern, als der Gerichtshof Verwaltungsaufgaben wahrnimmt; vgl dazu Jarass in Jarass (Hrsg), Charta der Grundrechte der EU4 Art 42 Rn 7 (2021); ebenso Magiera in Meyer/Hölscheidt (Hrsg), Charta der Grundrechte der Europäischen Union5 Art 42 Rn 8 (2019); vgl auch EuGH 18. 7. 2017, C-213/15 (Breyer) Rz 48.
3.3. Zusammenfassung Die drei diskutierten möglichen Anwendungsfälle – elektronisch übertragene Gerichtsverfahren, Berichterstattung über Verfahren und Entscheidungsdokumentation in öffentlich zugänglichen Datenbanken – sollen verdeutlichen, welche Relevanz Art 5 Abs 3 lit e iVm Art 3 Abs 1 InfoSoc-RL außerhalb der gegenständlichen Übermittlung geschützter Werke per E-Mail als Beweismittel zukommen könnte. Zu beachten ist hier immer die Grundrechtsabwägung, die dazu verpflichtet, die Verhältnismäßigkeit des Grundrechteingriffs nach einem strengen Maßstab zu prüfen.
4.
Ausblick
Im besprochenen Urteil stellt der EuGH gleich zu Beginn fest, dass die öffentliche Wiedergabe eines Werks per E-Mail klarerweise nicht die Verbreitung materieller Vervielfältigungsstücke umfasst; Art 4 Abs 1 InfoSoc-RL ist nicht anwendbar.52 Auch urteilt der EuGH im Ergebnis, dass die elektronische Vorlage eines fotografischen Beweismittels bei Gericht per E-Mail keine Urheberrechtsverletzung gem Art 3 InfoSoc-RL darstellt. Weiter gehend muss gefragt werden, ob dies auch für die Verwertungshandlungen der einhergehenden Vervielfältigung (Art 2 InfoSoc-RL) und, bei körperlicher Vorlage, Verbreitung (Art 4 InfoSoc-RL) gilt. Zu klären ist, ob jene 51 Zum sog „Streisand-Effekt“ instruktiv Thiele, OGH 17. 2. 2015, 4 Ob 187/14z, jusIT 2015/43, 106. 52 EuGH 28. 10. 2020, C-637/19 Rz 20.
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Verwertungshandlungen – und auch die jeweiligen Öffentlichkeitsbegriffe – unabhängig voneinander zu beurteilen sind. ME besteht zumindest für eine Vervielfältigung gem Art 2 InfoSoc-RL kein Grund, diese Verwertungshandlung anders zu behandeln als Art 3 InfoSoc-RL. Schließlich bezieht sich Art 5 Abs 3 lit e InfoSoc-RL doch genau auf diese beiden Verwertungshandlungen. Des Weiteren wird in Zukunft zu klären sein, welche Folgen die Beurteilung des Gerichtshofs hat, dass die Ausnahme in Art 5 Abs 3 lit e InfoSoc-RL hinsichtlich der elektronischen Vorlage eines fotografischen Beweismittels bei Gericht nunmehr gehaltlos scheint. Wie gezeigt, sind neben dem Ausgangsfall jedoch weitere Fälle denkbar, in denen die öffentliche Wiedergabe eines in einem gerichtlichen Verfahren als Beweismittel verwendeten Werkes erfolgen kann.
5.
Zusammenfassung
Die elektronische Übermittlung eines Beweismittels an ein Gericht im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens zwischen Privatpersonen ist keine Verbreitung eines Werkstücks iSv Art 4 InfoSoc-RL. Sie ist aber auch keine öffentliche Wiedergabe gem Art 3 Abs 1 InfoSoc-RL. Dafür spricht einerseits die Bestimmtheit
des (gerichtszugehörigen) Fachpersonals und andererseits die grundrechtliche Abwägung von Art 17 Abs 2 GRC mit Art 47 GRC. Der Ausnahme nach Art 5 Abs 3 lit e InfoSoc-RL, die der EuGH in der gegenständlichen Entscheidung nicht berücksichtigt (und in Anbetracht des Ergebnisses auch nicht berücksichtigen musste), ist damit jedoch keineswegs der Anwendungsbereich entzogen, lassen sich doch unschwer eine Reihe weiterer Fälle finden, in denen die Berufung auf die Legitimationsgrundlage notwendig ist.
Die Autorin: Mag. Anna Haselbacher ist Universitätsassistentin am Institut für Rechtswissenschaftliche Grundlagen (Fachbereich Recht und IT) der Karl-Franzens-Universität Graz. Darüber hinaus ist bzw war sie als Projektassistentin in den Bereichen Vertrauenswürdigkeit von IKT-Produkten und -Dienstleistungen, Cybersecurity in KMU sowie Vertrauen in (teil)autonome Fahrsysteme tätig. In ihrer Dissertation beschäftigt sie sich mit der öffentlichen Wiedergabe im Europäischen Urheberrecht.. anna.haselbacher@uni-graz.at lesen.lexisnexis.at/autor/Haselbacher/Anna
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ART.-NR.: 3
Mag. Dr. Thomas Rainer Schmitt • Wien
Neues zur Weitersendung von TV-Programmen und zu Online-Videorekordern » jusIT 2021/3
Kabelweiterleitung, OTT, Streaming, Verwertungsgesellschaftenpflicht, Zwangslizenz, Gutglaubenserwerb im Urheberrecht, SatCab-RL, Online-SatCab-RL
Mit einer rezenten Entscheidung vom September 20201 nahm sich der OGH erneut der sog „Kabelweitersendung“ (auch: „Kabelweiterleitung“) nach § 59a UrhG sowie den damit zusammenhängenden, weiteren Bestimmungen des UrhG an. Die Entscheidung enthält einige allgemeingültige, über den konkreten Anlass hinauswirkende Aussagen, die zur näheren Analyse und Beleuchtung einladen.2 Sie bietet aber auch neue Erkenntnisse zum Thema Online-Videorekorder. Nach der detaillierten Darstellung von Sachverhalt und Entscheidungsbegründung werden insb die Lizenzierungspraxis sowie dogmatische Grundlagen der Kabelweitersendung näher beleuchtet, dies auch unter Berücksichtigung der Online-SatCab-RL,3 deren Umsetzungsfrist sich dem Ende zuneigt.4
1.
Einleitung
Eingangs soll das der Kabelweitersendung derzeit zugrunde liegende Regelungssystem kurz umrissen werden, um den Einstieg in die Materie zu erleichtern: Das Senderecht des Urhebers ist zunächst in § 17 UrhG geregelt. Dieses wird freilich zumeist an den Rundfunkunternehmer (in unionsrechtlicher Terminologie und nachfolgend: „Sendeunternehmen“) weiterlizenziert. Neben diesem Recht des Urhebers besteht auch ein Leistungsschutzrecht des Sendeunternehmens, das die Ausstrahlung als technischen Vorgang unabhängig vom Inhalt schützt (auch „Signalschutz“ genannt).5 Neben der Erstsendung behandelt das Gesetz aber auch die Weitersendung, also die Zweitverwertung 1 2 3
4 5
OGH 22. 9. 2020, 4 Ob 149/20w (OTT-Dienste), EvBl-LS 2020/157, 999 (Brenn) = MR 2020, 307 (Korn) = MR 2020, 307 (Walter). Diese Darstellung gibt lediglich die persönlichen Ansichten des Autors wieder. Richtlinie (EU) 2019/789 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 mit Vorschriften für die Ausübung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten in Bezug auf bestimmte Online-Übertragungen von Sendeunternehmen und die Weiterverbreitung von Fernseh- und Hörfunkprogrammen und zur Änderung der Richtlinie 93/83/EWG des Rates, ABl L 2019/130, 91. Für einen Kurzüberblick zur Online-SatCab-RL vgl Staudegger, Die Realisierung des Digitalen Binnenmarkts – aktuelle Entwicklungen des IT-Rechts im Überblick, jusIT 2019/62, 173 (176 f). Die Online-SatCab-RL ist bis zum 7. Juni 2021 umzusetzen. Vgl Lusser/Krassnigg-Kulhavy in Kucsko/Handig (Hrsg), urheber.recht2 § 76a UrhG Rz 15 (Stand 1. 4. 2017, rdb.at).
UrhG: §§ 42a, 59a, 76a; RL (EU) 2019/789: Art 2 und 5; RL 93/83/EWG: Art 1 Abs 3
einer bestehenden Rundfunksendung. Hierfür gelten speziell die Vorschriften der §§ 59 ff UrhG, darunter die für die vorliegende Entscheidung so relevante Bestimmung zur Kabelweitersendung gem § 59a UrhG.6 Die Kabelweitersendung war bereits mehrfach Gegenstand von Entscheidungen des OGH. Der dort begründeten Linie bleibt der Gerichtshof auch treu, ergänzt seine Judikatur jedoch um einige Aspekte. Vorweg ist festzuhalten, dass der Entscheidung mE dem Grunde nach zuzustimmen ist, es im Detail jedoch einigen Raum für Diskussion und auch manche Kritik gibt.
2.
Sachverhalt
Die deutschen Sendergruppen rund um ProSieben und Sat.1 (nachfolgend die „Klägerinnen“) beantragten (durch alle Instanzen erfolgreich) eine einstweilige Verfügung gegen den Mobilfunkanbieter Hutchison (nachfolgend die „Beklagte“) auf Unterlassung des Betriebs gewisser Teile von „DREI TV“. Dabei handelt es sich um eine Software, mit der DREI-Kunden auch an PC oder Mobiltelefon fernsehen konnten. Um den Dienst nutzen zu können, war es erforderlich, dass sich der Kunde über eine verschlüsselte Verbindung mittels Benutzername und Passwort authentifiziert. Die Übertragung des Fernsehprogramms erfolgte vollständig, gleichzeitig und unverändert, allerdings in zwei Varianten: Entweder über das Netzwerk von DREI (diese Variante war allerdings nicht verfahrensgegenständlich, weil nicht vom Begehren der Klägerinnen umfasst) oder über sog „OTT-Dienste“. „OTT“ steht hierbei für „over-the-top“: Gemeint sind internetbasierte Streamingdienste, die erbracht werden, ohne dass der Anbieter des Dienstes Kontrolle über die Infrastruktur hat, die technisch benötigt wird, damit der Inhalt (hier: der Fernsehstream) vom Nutzer empfangen werden kann. Gleichzeitig hiermit wurde den DREI-Kunden auch die Möglichkeit gegeben, die Fernsehprogramme zeitversetzt zu konsumieren (Online-Videorekorder). Die dafür erforderliche Spei-
6
Dass eine Kabelweitersendung nach § 59a Abs 1 UrhG eine vorgelagerte Rundfunksendung erfordert, die zur Weitersendung übernommen wird, betont der OGH vorliegend kurz unter Rückgriff auf die stRsp; siehe Punkt 2.1. der Entscheidung.
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cherung der Programme erfolgte auf einem Server von DREI unabhängig davon, ob der Kunde die Aufnahmefunktion aktiviert hatte (Speicherschicht). Von dem Fernsehprogramm wurde auf diese Weise nur eine einzige Kopie gespeichert – und nicht etwa eine Kopie pro Kunde. Dieses sog „De-Duplizierungsverfahren“ wurde zur Minimierung des benötigten Speicherplatzes angewandt. Der Zugriff durch die Kunden erfolgte über deren konkrete Zugriffsberechtigung bzw individuellen Referenzzugriff (Aufnahmeschicht). Die Klägerinnen haben der Beklagten weder zur Weitersendung noch zum zeitversetzten Streaming der Fernsehsendungen ihre Zustimmung erteilt. Gewisse Rechte der Klägerinnen werden zwar in Deutschland durch die Verwertungsgesellschaft VG Media und in Österreich durch die VG Rundfunk wahrgenommen (Letzteres freilich „nur“ mittelbar über eine Repräsentationsvereinbarung zwischen VG Rundfunk und der deutschen VG Media), allerdings wurden gerade die in diesem Zusammenhang maßgeblichen Rechte explizit von der Rechtewahrnehmung ausgenommen. Die Klägerinnen stützen ihre Unterlassungsbegehren und ihren Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung (i) hinsichtlich der zustimmungslosen Weitersendung auf das (Leistungsschutz-)Recht zur Weitersendung ihrer Fernsehprogramme7 und (ii) hinsichtlich der zustimmungslosen Speicherung im Rahmen des Betriebs des Online-Videorekorders auf ihr Vervielfältigungsrecht.8 Die Beklagte verteidigte sich damit, dass (i) eine Geltendmachung der Ansprüche nur durch die Verwertungsgesellschaften, nicht aber durch die Klägerinnen erfolgen könne, weil die maßgeblichen Rechte bei gebotener Auslegung der entsprechenden Vereinbarungen sehr wohl an diese übertragen worden seien, und (ii) selbst bei Aktivlegitimation der Klägerinnen diese einem Kontrahierungszwang unterlägen und (iii) der Online-Videorekorder von der Privatkopieausnahme9 erfasst sei.
3.
ART.-NR.: 3
der Gerichtshof unter Rückgriff auf seine Rechtsprechung in der Entscheidungsreihe UMTS-Mobilfunknetz11 einige Punkte fest: Erstens liegt eine Kabelweitersendung dann vor, wenn ein Programm gleichzeitig, vollständig und unverändert weitergesendet wird (sog „Integralgrundsatz“). Zweitens ist die bloße Bearbeitung der Bildqualität (SD, HD) hierbei ohne Relevanz. Drittens ist bei der Auslegung des Begriffs „Kabelweiterleitung“ ein technologieneutraler Ansatz zu wählen, sodass auch „Weiterleitung mittels Mikrowelle oder UMTS“ als „Kabel“ in diesem Zusammenhang gilt. Zum technologieneutralen Ansatz bei der Auslegung von § 59a UrhG stellt der Gerichtshof weiters klar,12 dieser bedinge, dass das Kabelweitersenderecht auch solche Konstellationen umfasse, bei denen die Weitersendung nicht ausschließlich über Kommunikationsnetze erfolgt die der Weitersende-Unternehmer kontrolliert.13 Dies ändere sich auch unter Berücksichtigung der Online-SatCap-RL nicht, weil diese ebenfalls die Weitersendung über OTT-Dienste umfasse, soweit der Weitersende-Unternehmer einen sicheren Weiterverbreitungsdienst erbringt.14 Parallel zum Kabelweitersenderecht nach § 59a Abs 1 UrhG wurde auch in das Weitersenderecht (Leistungsschutzrecht) der Klägerinnen nach § 76a Abs 1 UrhG eingegriffen.15 Dazu hielt der OGH in Rückgriff auf seine vorherige Rechtsprechung – konkret seine durchaus nicht unumstrittene Entscheidung in der Rs Hotel Edelweiß II16 – ebenfalls einige Punkte fest: Erstens ist § 76a UrhG als Umsetzung von Art 8 Abs 3 der Vermiet- und Verleih-Richtlinie17 2006/115/EG ein Anwendungsfall der öffentlichen Wiedergabe, deren Tatbestandselemente vorliegend erfüllt sind. Zweitens geht § 76a leg cit jedoch über die Mindestvorgaben der Richtlinie hinaus und erfasst sowohl drahtlose als auch draht- und kabelgebundene Weiterleitungen. Drittens ist TV-Streaming über Internet eine Form der drahtgebundenen Weitersendung.
Entscheidungsbegründung
3.1. Bekräftigung bisheriger einschlägiger Rechtsprechung Gleich zu Beginn hält der OGH fest, dass ein Eingriff in das Recht der Kabelweitersendung nicht strittig war, es vorliegend also vielmehr um die Rechtfertigung dieses Eingriffs ging.10 Dennoch hält
7
§ 59a Abs 1 (als Lizenznehmer im unter 1. beschriebenen Sinne), § 76a Abs 1 UrhG. 8 § 15 UrhG § 76a Abs 5 UrhG. 9 § 42 Abs 4 UrhG. 10 Vgl Punkt 2.1. der Entscheidung.
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11 OGH 26. 8. 2008, 4 Ob 89/08d (UMTS-Mobilfunknetz I), ecolex 2009/90, 247 (Horak) (im Urteil – wohl versehentlich – unter der Nummer „4 Ob 89/08t“ geführt) = jusIT 2008/100, 213 (Thiele) = MR 2009, 34 (Walter) = ÖBl 2009/16, 89 (Büchele); OGH 24. 2. 2009, 4 Ob 6/09z (UMTS-Mobilfunknetz II), MR 2009, 140 (Walter); OGH 22. 11. 2011, 4 Ob 68/11w, (UMTS-Mobilfunknetz III), MR 2012,144 (Walter) = ÖBl 2012/36, 143 (Büchele). 12 Vgl Punkt 2.1. der Entscheidung. 13 Unter Ablehnung der gegenteiligen Ansicht von Lusser/Krassnigg-Kulhavy in Kucsko/Handig (Hrsg), urheber.recht2 § 59a UrhG Rz 51 (Stand 1. 4. 2017, rdb.at). 14 Vgl Art 2 Nr 2 lit b iVm Art 2 Nr 3 Online-SatCap-RL. 15 Vgl Punkt 2.2. der Entscheidung. 16 OGH 23. 8. 2018, 4 Ob 124/18s (Hotel Edelweiß II), ecolex 2019/69, 162 (Zemann) = MR 2018, 232 (Walter) = ÖBl 2019/25, 98 (Klamert/Lederer) = GRUR Int 2019, 299 (Sporn). 17 Richtlinie 2006/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums, ABl L 2006/376, 28.
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3.2. Kernpunkte der Entscheidung 3.2.1. Zur Aktivlegitimation der Klägerinnen
sprechung des BGH25 zurück26 und hält fest, dass diese auf das österreichische Urheberrecht übertragen werden kann.27
Zunächst führt der Gerichtshof aus, dass die Klägerinnen sehr wohl aktivlegitimiert sind, weil diese ihre Weitersenderechte nicht an eine Verwertungsgesellschaft übertragen haben.18 Auch die Repräsentationsvereinbarung zwischen VG Media und VG Rundfunk kann hieran nichts ändern, weil (i) die VG Media nicht mehr übertragen kann, als ihr von den Klägerinnen eingeräumt wurde (unter Berücksichtigung des Wortlauts insb der Wahrnehmungsverträge zwischen den Klägerinnen und der VG Media), und (ii) es keinen gutgläubigen Rechteerwerb im Urheberrecht gibt. Darüber hinaus wären die Klägerinnen auch bei erfolgter Rechteeinräumung weiterhin berechtigt gewesen, Verstöße gegen ihr Leistungsschutzrecht19 selbst zu verfolgen.20
3.2.4. Korrektur des Sicherungsbegehrens
3.2.2. Zum Kontrahierungszwang
Hinterfragt werden soll zunächst die Wortwahl des Gerichtshofs in Punkt 2.1. der Entscheidung, wo vom „Recht der Kabelweitersendung“ die Rede ist. Systematisch betrachtet handelt es sich nicht um ein eigenständiges Recht, sondern schlicht um einen Unterfall des Senderechts, nämlich jenen der gleichzeitigen, vollständigen und unveränderten Weitersendung eines Programms.29 Dies wird bereits daraus deutlich, dass die §§ 59a und 59b UrhG unter Abschnitt VII. („Beschränkungen der Verwertungsrechte“) verortet sind und auch insofern kein zusätzliches Recht normiert wird. Auch der Wortlaut von § 17 Abs 2 UrhG thematisiert bereits die öffentliche Wahrnehmbarmachung mithilfe von Leitungen, sodass argumentiert werden kann, dass die Kabelweitersendung keineswegs erst bzw nur in den nachfolgenden §§ 59a und 59b UrhG erwähnt wird. Die Zusatzregelungen in §§ 59a und 59b UrhG beschränken das Senderecht zwar nicht inhaltlich und sind insofern nicht mit einer freien Werknutzung zu vergleichen, normieren aber zusätzliche Möglichkeiten, an eine Lizenz zu gelangen. Es ist daher auch inhaltlich leicht missverständlich, wenn vom „Recht“ der Kabelweitersendung schlechthin gesprochen wird, weil §§ 59a und 59b UrhG aus Sicht des Rechteinhabers Belastungen normieren: (Derivative) Rechteinhaber, die Sendeunternehmen sind, können auf Erteilung einer Bewilligung zur Kabelweitersendung zu angemessenen Bedingungen geklagt werden (Zwangslizenz)30 oder müssen eine zusätzliche Verhandlung vor dem Schlich-
Die Beklagte stützte sich eventualiter darauf, dass die Klägerinnen einem Kontrahierungszwang nach § 59b Abs 2 UrhG unterlägen, wobei das Nutzungsrecht ex lege als erteilt gelte, wenn eine Sicherheitsleistung hinterlegt werde (dies ergebe sich aus einem Analogieschluss zu § 36 Abs 3 VerwGesG 2016). Auch diesen Argumenten erteilte der OGH eine rasche Absage:21 Erstens muss der Anspruch auf Erteilung einer Lizenz zu angemessenen Bedingungen geltend gemacht und durchgesetzt werden. Zweitens kann die ins Feld geführte Analogie schon deshalb nicht greifen, weil die Beklagte keine Lizenzgebühren hinterlegt hat, was ein Tatbestandsmerkmal von § 36 Abs 3 VerwGesG 2016 ist.
3.2.3. Zum Online-Videorekorder Der Gerichtshof fährt fort mit der Behandlung der Aufnahmefunktion: Die zum Betrieb des Online-Videorekorders vorgenommene Vervielfältigung22 der Fernsehsendungen erfolgt initiativ durch die Beklagte und unter ihrer Organisationshoheit, weshalb keine rein für den Nutzer vorgenommene (von diesem quasi „bestellte“) Privatkopie erstellt wird.23 Ob hier eine „Masterkopie“ oder eine sonstige „Kopiervorlage“ durch die Beklagte erstellt wird, war folglich nicht von Belang (angedeutet wird, dass nur im zweitgenannten Fall die Privatkopieausnahme anwendbar sein kann). Hinsichtlich des Online-Videorekorders hielt der OGH somit fest, dass sich die Beklagte nicht auf die Privatkopieausnahme berufen kann.24 Er greift hierfür explizit auf die Recht-
18 Vgl Punkt 3.1. der Entscheidung. 19 Und wohl – als Lizenznehmer – auch die Rechte betreffend die Kabelweitersendung, welche der OGH an dieser Stelle jedoch nicht nennt. 20 Vgl Punkt 3.2. der Entscheidung. 21 Vgl Punkt 4.1. der Entscheidung. 22 Nicht thematisiert wurde das eigentlich ebenfalls betroffene Recht der Zurverfügungstellung gem § 18a UrhG, siehe dazu im Text unter 4.5. 23 Vgl Punkte 5.2. und 5.5. der Entscheidung. 24 Unter Ablehnung der Ansicht von Zib, nPVR – Network Personal Video Recorder und Urheberrecht, MR 2015, 143 (143 ff ), und Bestätigung der Ansicht von Fischer, Der Network Personal Videorecorder und die Rechteinhaber, MR 2015, 198 (198 ff ).
Die Entscheidung schließt mit Ausführungen zur Korrektur des Sicherungsbegehrens. Allein hier folgt der OGH den Argumenten der Beklagten und führt aus, dieses sei dahin gehend anzupassen, dass die Anfertigung von Kopien durch die Beklagte, nicht durch die Nutzer, zu unterlassen ist, weil die Anfertigung (wie zuvor ausgeführt) ja gerade der Beklagten und nicht den Nutzern zuzurechnen ist.28
4.
Kritik
4.1. Ein eigenes „Recht“ der Kabelweitersendung?
25 BGH 5. 3. 2020, I ZR 32/19 (Internet-Radiorecorder), FD-ZVR 2020, 430012 (Elzer) = GRUR-Prax 2020, 375 (Cichon); BGH 22. 4. 2009, I ZR 216/06 (Internet-Videorecorder), CR 2009, 598 (Lüghausen) = GRUR 2009, 845 (Becker) = MMR 2009, 620 (Brisch/Laue) = NJW 2009, 3511 (Rössel). 26 Vgl Punkt 5.3. der Entscheidung. 27 Vgl Punkt 5.5. der Entscheidung. 28 Vgl Punkt 6.2. der Entscheidung. 29 So auch Korn, MR 2020, 307 (312), unter Berufung auf Walter, Österreichisches Urheberrecht I (2008) Rz 659. 30 Sofern sie die Verhandlungen nicht nach Treu und Glauben aufgenommen oder diese ohne triftigen Grund be- oder verhindert haben; vgl § 59b Abs 2 UrhG.
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jusIT 1/2021 IT-RECHT tungsausschuss31 in Kauf nehmen (sog „Vertragshilfe“).32 Alle anderen Rechteinhaber können solche Bewilligungen gar nicht selbst erteilen, sondern nur durch eine Verwertungsgesellschaft erteilen lassen. Die (umstrittene) Ansicht in Deutschland, wonach bei Internet-TV und -Radio eine neue, eigenständige Nutzungsform angenommen werden könne, ist auf Österreich jedenfalls nicht übertragbar, weil das öUrhG anders als das dUrhG die Verwertungsrechte taxativ aufzählt. Wie der OGH hingegen zutreffend betont, bleibt dem Rechteinhaber stets die Möglichkeit des Urhebers, Verletzungen seiner Rechte weiterhin selbst zu verfolgen, auch wenn er eine Verwertungsgesellschaft mit deren Wahrnehmung beauftragt hat.33 Dies ergibt sich hinsichtlich der Kabelweitersendung aus § 59a Abs 1 UrhG, hinsichtlich des Signalschutzes jedoch aus § 26 iVm § 76a Abs 5 UrhG.34 Hat die beauftragte Verwertungsgesellschaft die Rechte an einen Dritten lizenziert, wird eine solche gerichtliche Rechteverfolgung zwar nicht erfolgreich sein; dieser Befugnis kommt jedoch in Fällen wie dem vorliegenden Bedeutung zu, in denen keine Beauftragung der Verwertungsgesellschaft erfolgt bzw diese strittig ist. Auffallend ist im Übrigen, dass § 76a UrhG die Kabelweitersendung bzw §§ 59a und 59b UrhG nicht direkt erwähnt und auch an keiner Stelle auf diese Bestimmungen verweist. Dennoch ist mittlerweile geklärt, dass der Signalschutz jedenfalls die Kabelweitersendung umfasst,35 was bedeutet, dass auch die diesbezüglichen gesetzlichen Beschränkungen gelten. Andernfalls wäre der Signalschutzberechtigte unverhältnismäßig bessergestellt und würde der Regelungszweck der §§ 59a und 59b UrhG, den Rechteerwerb zu erleichtern, völlig durchkreuzt. Dies zumal der Signalschutz auch dann Bedeutung für das Sendeunternehmen haben kann, wenn ihm die Urheberrechte nach § 17 UrhG eingeräumt wurden, also zB dann, wenn Bestandfestigkeit und/oder Umfang dieses Lizenzvertrags zweifelhaft sind.
4.2. Die Ausnahme von der Verwertungsgesellschaftenpfl icht und ihre Folgen Sendeunternehmen wie die Klägerinnen sind hinsichtlich der Weitersenderechte an ihren eigenen Sendungen sehr flexibel. Sie können ihre Rechte durch eine Verwertungsgesellschaft geltend machen lassen, müssen dies aber nicht tun. Was wie eine Einzel-
31 Voraussetzung ist hier lediglich, dass ein Vertrag nicht zustande kommt; vgl § 59b Abs 1 UrhG. 32 Dieser ist ein Ad-hoc-Gremium, das jeweils von den Parteien zu bilden ist. § 59b Abs 1 verweist noch auf § 36 VerwGesG 2006, die derzeit geltende, relevante Bestimmung hierzu ist jedoch § 82 VerwGesG 2016. Siehe zum Schlichtungsausschuss im Text unter 4.2. und 4.6. 33 Vgl Punkt 3.2. der Entscheidung. 34 Der OGH nennt an der betreffenden Stelle – wohl versehentlich – nur § 59a Abs 1 UrhG; siehe auch bereits Walter, MR 2020, 307 (315). 35 Vgl OGH 23. 2. 2016, 4 Ob 249/15v (Preroll-Werbung), ecolex 2016/275, 605 (Zemann) = jusIT 2016/48, 104 (Staudegger) = MR 2016, 135 (Heidinger) = ÖBl 2016/34, 142 (Plasser); Lusser/Krassnigg-Kulhavy in Kucsko/Handig (Hrsg), urheber.recht2 § 76a UrhG Rz 17 f.
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ausnahme erscheinen mag, ist aufgrund der erfassten Sachverhalte eher die Regel und in der Praxis ein Hemmschuh für Nutzer wie Rechteinhaber gleichermaßen. Gerade Rechteinhaber wie die Klägerinnen, also große Sender, sind naturgemäß nicht gewillt, ihre Rechte durch Verwertungsgesellschaften wahrnehmen zu lassen, wenn sie doch durch individuelle Verhandlungen und unter eigener Regie mehr erreichen können. Dies geht erstens zulasten kleinerer Rechteinhaber, weil die Verhandlungsposition der Verwertungsgesellschaft gegenüber den Nutzern deutlich geschwächt wird. Zweitens werden auch die Nutzer – also zB Mobilfunkunternehmer wie die Beklagte – benachteiligt, weil diese eben kein Gesamt(rechte)paket von der Verwertungsgesellschaft erhalten können, obwohl sie aufgrund der Nachfrage wirtschaftlich darauf angewiesen sind (ein Verbraucher wird idR bei einem Angebot wie „DREI TV“ erwarten, dass dieses auch den Zugriff auf einen Sender wie ProSieben erlaubt). Diese Situation führt (in Kombination mit der Verwirrung über Umfang und Allokation der Rechte)36 überhaupt erst zu Rechtsstreitigkeiten wie der vorliegenden. An dieser Situation bzw der Unterscheidung in Sendeunternehmen und andere Rechteinhaber wird sich auch in Zukunft nichts ändern, weil die Online-SatCab-RL die „Ausnahme“ der Sendeunternehmen von der Verwertungsgesellschaftenpflicht fortschreibt.37 Dies wohlgemerkt, obwohl – im Sinne der Vereinfachung der Lizenzierung38 – nur eine einzelne Verwertungsgesellschaft pro Mitgliedstaat existieren soll, welche das Recht hat, die Weiterverbreitung im Sinne der Online-SatCab-RL zu erlauben oder zu verweigern.39 Der Widerspruch ist offenkundig und offenbart, dass man sehr wohl die Vorteile einer kollektiven Rechtewahrnehmung kennt, diese aber wohl aus politischen Gründen nicht komplett realisieren kann. Dabei kann durchaus ein berechtigtes Interesse an einem übergreifenden, möglichst umfassenden Rechteerwerb von Verwertungsgesellschaften (zu einem – sowohl für Nutzer, als auch für Rechteinhaber – angemessenen Entgelt) argumentiert werden. Derzeit ist die Nutzerseite auf Einzelverhandlungen mit einer Vielzahl von Marktteilnehmern angewiesen und strukturell bzw prozessual deutlich schlechter gestellt, als dies bei einer umfassenden Verwertungsgesellschaftenpflicht der Fall wäre. Die dadurch auflaufenden, höheren Transaktionskosten gehen letztlich zulasten der Verbraucher. Die beiden „Abhilfen“, die das Gesetz vorsieht, um in Einzelverhandlungen mit Sendeunternehmen zu einem Ergebnis zu gelangen, Vertragshilfe und Zwangslizenz nach § 59b UrhG, haben beide ihre Grenzen: Die Vertragshilfe ermöglicht nur den Gang zum Schlichtungsausschuss, der Einigungsvorschläge unterbreiten kann, aber 36 37 38 39
Siehe dazu im Text unter 4.4. Art 5 Abs 1 Online-SatCab-RL. Vgl ErwGr 17 Online-SatCab-RL. ErwGr 16 Online-SatCab-RL. Dies erinnert stark an den Monopolgrundsatz gem § 7 VerwGesG 2016, also gerade jenes Prinzip, das in Österreich hinsichtlich Verwertungsgesellschaften allgemein gilt und ansonsten EU-weit eher Skepsis hervorruft.
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nicht muss. Wird ein Einigungsvorschlag abgelehnt, ist auch kein Gang zum Urheberrechtssenat möglich, weil die Norm eben nicht auf das nach dem Schlichtungsverfahren sonst vorgesehene Satzungsverfahren40 verweist. Die Zwangslizenz muss erstens eingeklagt werden (was zusätzliche Kosten verursacht) und kann zweitens überhaupt nur eingeklagt werden, wenn das Sendeunternehmen (i) Verhandlungen nicht nach Treu und Glauben aufgenommen oder (ii) ohne triftigen Grund be- oder verhindert hat. Diese Voraussetzungen sind streng und ihr Vorliegen wird idR schwer zu beweisen sein, weil sich beide Seiten stets gesprächsbereit demonstrieren werden und insb das Beharren auf eine gewisse Vergütungshöhe schwerlich als Behinderung einer Verhandlung gesehen werden kann. Bei Verhandlungen mit Verwertungsgesellschaften stehen der Nutzerseite demgegenüber wesentlich weiter gehende Möglichkeiten zur Verfügung: IdR werden die meisten Nutzer bei solchen Verhandlung von der WKO, also einer gesamtvertragsfähigen41 Nutzerorganisation, vertreten, sodass die Möglichkeit besteht, nach Gesamtvertragsverhandlungen und Verhandlungen vor dem Schlichtungsausschuss eine bindende Tariffestlegung durch den Urheberrechtssenat zu erlangen.42 Zum anderen kann eine Bewilligung bei Uneinigkeit über die Vergütungshöhe einfacher erlangt werden, nämlich indem der nicht strittige Teil des Entgelts an die Verwertungsgesellschaft gezahlt und eine Sicherheit in der Höhe des strittigen Teils des Entgelts durch gerichtliche Hinterlegung oder Stellung einer Bankgarantie geleistet wird.43 Dass dieser – im Vergleich mit der Zwangslizenz auffallend vorteilhafte – Mechanismus nicht analog anwendbar ist, ergibt sich bereits daraus, dass keine planwidrige Lücke angenommen werden kann, weil der Gesetzgeber die Ungleichbehandlung von Sendeunternehmern und anderen Rechteinhabern gerade will. Dazu enthält das Urteil allerdings keine Ausführungen, es wird insofern die einfachere Begründung gewählt, dass es ohnehin an einer Sicherheitsleistung mangelte.44 Diese Möglichkeiten blieben der Beklagten vorliegend aber verwehrt, weil die Klägerinnen eben keiner Verwertungsgesellschaftenpflicht hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Rechte unterlagen und die maßgeblichen Rechte nicht von der Wahrnehmungsbefugnis der VG Rundfunk umfasst sind.45 Bei Einzelverhandlungen mit Sendeunternehmen haben Nutzer darüber hinaus auch nicht die Möglichkeit, eine Kontrolle der Angemessenheit von Tarifen bei der Aufsichtsbehörde für Ver-
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§§ 66 ff VerwGesG 2016. Vgl § 48 VerwGesG 2016. Vgl §§ 66 ff VerwGesG 2016. § 36 Abs 1 VerwGesG 2016. Siehe Punkt 4.1. der Entscheidung. Daraus lässt sich ableiten, dass eine Zahlung des strittigen Teils des Entgelts durch die Klägerin an die VG Rundfunk erfolgt ist. 45 Siehe dazu im Text unter 4.4.
IT-RECHT wertungsgesellschaften anzuregen.46 Diese Angemessenheit ist freilich stets in beide Richtungen zu prüfen, sodass auch ein höherer Tarif als ursprünglich verlautbart47 als angemessen angesehen werden kann.
4.3. Zur technologieneutralen Auslegung des § 59a UrhG Die Klarstellung des OGH, dass § 59a UrhG technologieneutral auszulegen ist, ist nicht neu und verwundert insofern nicht. Walter48 ortet hier zwar eine Auslegung contra legem, mE kann aber der Begriff „Leitung“ durchaus auch so ausgelegt werden, dass er digitale Äquivalente umfasst (so spricht man auch bei Anrufen auf ein Smartphone durchaus noch gelegentlich von einer „Leitung“). Eine terminologische Überarbeitung des UrhG in diesem Bereich, welche die technologieneutrale Zielrichtung der Norm wiedergibt, ist dennoch sinnvoll und wünschenswert. Die technologieneutrale Auslegung des OGH macht auch unter systematisch-teleologischen Gesichtspunkten Sinn, denn betrachtet man § 59a in Zusammenschau mit § 17 Abs 2 UrhG, so wird deutlich, dass das Gesetz Fälle erfassen sollte die zu einem ähnlichen Ergebnis wie Rundfunk führen, wie eben die Weitersendung mithilfe von Leitungen. Was die Weitersendung mithilfe von Leitungen damals war, ist gewissermaßen die Weitersendung via OTT-Dienste heute: Der Weitersende-Unternehmer bedient sich aktueller Technologie, um Reichweite und Verfügbarkeit eines Sendeangebots zu vergrößern. Dass der Weitersende-Unternehmer hierbei wirtschaftlich motivierte Modifikationen (etwa hinsichtlich der Bildqualität [SD/HD]) vornimmt oder auch auf nicht von ihm kontrollierte, reine Durchleiter (eben den Internetzugangsdienst) zurückgreift, ändert daran dem Grunde nach nichts. Den diesbezüglichen Ausführungen des OGH ist daher zuzustimmen.49 Die zusätzliche, durch nicht vom Weitersende-Unternehmer kontrollierte, reine Durchleiter vermittelte Reichweite ist jedoch im Rahmen des Beteiligungsgrundsatzes bzw des Lizenzentgelts zu berücksichtigen.50 Nicht recht nachvollziehbar ist allerdings, warum der OGH das Streamen von Fernsehprogrammen über Internet zwangsläufig als Form der drahtgebundenen Weitersendung beurteilt wissen will.51 Dies kann nur dann zutreffen, wenn der Endnutzer einen Internetzugang verwendet, der ihm drahtgebunden be46 § 69 Abs 1 iVm § 36 Abs 1 VerwGesG 2016. Diese ist wohlgemerkt nicht auf die Prüfung offenkundiger Verstöße beschränkt, vgl dBVerwG 17. 6. 2020, 8 C 7.19 (VG Media), GRUR-Prax 2020, 517 (Wiencke), zur vergleichbaren dt Rechtslage; vgl weiterführend Kreile, Evidenzkontrolle und mehr? – Die Grenzen der Rechtsaufsicht bei Verwertungsgesellschaften – Anmerkung zu BVerwG, Urteil vom 17. 6. 2020 – BVerwG 8 C 7.19 (ZUM 2020, 978), ZUM 2020, 982; Conrad, Vorhang zu und alle Fragen offen?, ZUM 2020, 919. 47 Ob und inwiefern (bzw mit welchem zeitlichen Abstand) eine Prüfung von aufrechten Gesamtvertrags-, Schlichtungs- oder Satzungstarifen durch die Aufsichtsbehörde erfolgen kann, ist unklar und soll an dieser Stelle nicht näher beleuchtet werden. 48 Walter, MR 2020, 307 (314). 49 Vgl Punkt 2.1. der Entscheidung. 50 Siehe dazu auch im Text unter 4.6. 51 Vgl Punkt 2.2. der Entscheidung.
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reitgestellt wird. Verwendet er aber etwa die „DREI TV“-App über sein Smartphone, kann kaum von einer drahtgebundenen Weitersendung gesprochen werden, es sei denn, der Nutzer verwendet ein WLAN.
4.4. Unsicherheit des Rechteerwerbs trotz technologieneutraler Auslegung Für Sendeunternehmer gilt die in § 59 Abs 2 UrhG vorgesehene Außenseiterwirkung nicht.52 Anders als bei anderen Rechteinhabern werden die Rechte von Sendeunternehmern daher nicht unabhängig davon von der Verwertungsgesellschaft wahrgenommen, ob sie diese damit beauftragt haben oder nicht. Nutzer wie die Klägerin müssen also stets genau prüfen, von welcher Stelle (VG Rundfunk, Sendeunternehmen) sie welche Rechte für welche Nutzungsform und welchen Nutzungszeitraum beziehen müssen. Die vorliegende Entscheidung illustriert und belegt, dass damit einige Rechtsunsicherheit einhergehen kann. Zu beachten ist, dass eine Hauptaussage des Urteils, nämlich, dass die Werkvermittlung über OTT-Dienste aufgrund technologieneutraler Auslegung ebenfalls § 59a UrhG unterliegt, auf ein Vorbringen der Beklagten zurückgeht.53 Sie hat sich hierdurch wohl erhofft, dass ein Gericht zum Schluss kommt, dass die für die Werkvermittlung mittels OTT-Diensten benötigten Rechte nicht getrennt behandelt werden können, sondern bei einer Lizenzierung von Rechten nach § 59a UrhG durch die Verwertungsgesellschaft jedenfalls mitlizenziert werden, wenn im Rahmen der Lizenzvereinbarung nicht näher unterschieden wird. Zumindest hinsichtlich der Repräsentationsvereinbarung zwischen VG Media und VG Rundfunk hat der OGH jedoch implizit festgehalten, dass eine getrennte Lizenzierung möglich und vorliegend auch so erfolgt ist, sodass diesbezüglich für die Nutzerseite durch die technologieneutrale Auslegung von § 59a UrhG nichts gewonnen war. Eine Kernaussage des Urteils ist, dass dazu nicht auf die Lizenzvereinbarung mit der Verwertungsgesellschaft, sondern auf die zugrunde liegende Rechteeinräumung abzustellen ist.54 Ob und inwiefern die Verwertungsgesellschaft die für eine Werkvermittlung über OTT-Dienste erforderlichen Rechte lizenzieren kann, ist also anhand der konkret abgeschlossenen Wahrnehmungsverträge bzw – für viele deutsche Sender – anhand der Repräsentationsvereinbarung zwischen VG Media und VG Rundfunk zu bestimmen. Dass die Repräsentationsvereinbarung diese Rechte nicht abdeckt, geht aus dem Urteil klar hervor. Es könnte noch hinterfragt werden, ob die Wahrnehmungsverträge der VG Rundfunk ebenso auszulegen sind. Dies ist zwar bereits angesichts des Zwecküber-
52 Vgl § 59 Abs 3 UrhG. 53 Vgl Punkt 2. der Entscheidung. 54 Aufgrund des Ausschlusses des Gutglaubenserwerbs und des Grundsatzes „nemo plus iuris transferre potest quam ipse habet“; vgl Punkt 3.1. der Entscheidung.
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tragungsgrundsatzes55 zweifelhaft, aber auch nicht ausgeschlossen, zumal wohl pro Zeitabschnitt verschiedene Fassungen/ Versionen zu berücksichtigen sein werden. Hinzu kommt, dass Wahrnehmungsverträge mit Walter56 nicht zwingend eng auszulegen sind, weil sich Nutzer hinsichtlich des Umfangs der Rechteeinräumung auch an den darin enthaltenen Angaben orientieren und ein Wahrnehmungsvertrag wesensmäßig dazu dient, einer Verwertungsgesellschaft den massenweisen Abschluss von Verträgen zu ermöglichen. Hierbei ist zu beachten, dass mittlerweile eine neue Fassung der Wahrnehmungsverträge auf der Website der VG Rundfunk abrufbar ist, die hinsichtlich der Weitersendung über OTT-Dienste weiter differenziert und diesbezüglich ein Opt-in vorsieht.57 Welche Rechte wirklich eingeräumt wurden, lässt sich demnach nur aus dem konkreten Vertrag, nicht aber aus dem online abrufbaren Muster bestimmen. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass die Repräsentationsvereinbarung zwischen VG Media und VG Rundfunk gar nicht öffentlich abrufbar ist und Außenstehende den Umfang der Rechteübertragung folglich nicht prüfen können. Außerdem unterliegen die dadurch von der VG Media in der VG Rundfunk repräsentierten Sendeunternehmen anderen Bedingungen als jene Sendeunternehmen, die dem Wahrnehmungsvertrag unterliegen. Es ist fraglich, ob dies im Hinblick auf das dem VerwGesG 2016 innewohnende Transparenzgebot zulässig ist. Der OGH musste diese Frage vorliegend freilich nicht klären, hätte diesen Umstand jedoch bei der Auslegung gegebenenfalls stärker berücksichtigen können. Welche Rechte ein Nutzer von der VG Rundfunk erwerben kann (bzw welche nicht), wird zumindest für gewisse Sender und in einem ersten Schritt anhand der Informationen auf der Website der VG Rundfunk ermittelt werden. Hierzu bedarf es einer Zusammenschau der Tarifverlautbarungen im Bereich der Kabelweitersendung58 und der Rundfunkprogrammübersicht.59 Die von der VG Rundfunk derzeit zur Kabelweitersendung verlautbarten autonomen Tarife gelten seit dem 1. 10. 2020. Schon auf den ersten Blick fällt auf, dass die VG Rundfunk die Weitersendung über OTT-Dienste von anderen Fällen der Kabelweitersendung unterscheidet, und zwar sowohl hinsichtlich (i) der Vergütung als auch (ii) des Rechteumfangs. Solche für die Weitersendung über OTT-Dienste erforderlichen Rechte können folglich nicht für all jene Sender von der VG Rundfunk erworben 55 Dem Zweckübertragungsgrundsatz (auch: Zweckübertragungstheorie) zufolge werden im Zweifel, also bei unklarer Lizenzvereinbarung, nur jene Rechte erworben, welche für den praktischen Zweck der vertraglich vereinbarten Werknutzung erforderlich sind; vgl etwa OGH 30. 3. 2016, 6 Ob 14/16a (Manipuliertes Facebook-Foto) Punkt 5.1., jusIT 2016/49, 105 (Thiele) = ÖBl 2016/48, 198 (Guggenbichler). Der Grundsatz gilt demnach nicht, wenn eine ergänzende Vertragsauslegung dazu führt, dass die Rechte umfassend übertragen wurden; vgl OGH 11. 3. 2008 4 Ob 248/07k (ORF ON) Punkt 3.2., ecolex 2008/316, 840 (Horak) = jusIT 2008/60, 134 (Thiele) = MR 2008, 157 (Walter). 56 Walter, VerwGesG ’16 (2017) 206. 57 Die neue und die alte Fassung der Wahrnehmungsverträge sind unter <vgrundfunk.at/wahrnehmungsvertrag/> (14. 1. 2020) abrufbar. 58 Abrufbar unter <vg-rundfunk.at/kabelweitersendung/> (14. 1. 2020). 59 Abrufbar unter <vg-rundfunk.at/rundfunkprogramme/> (14. 1. 2020).
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werden wie andere Kabelweitersenderechte. Dies verdeutlicht das zuvor Gesagte: Nutzer müssen im Detail ganz genau unterscheiden, hinsichtlich welcher Sender und welcher Nutzungsformen sie sich an die VG Rundfunk bzw an die Sendeunternehmen wenden. Zu ergänzen ist, dass seitens der VG Rundfunk für gewisse Nutzer seit 1. 1. 2020 eine spezielle Übergangslösung60 vorgesehen ist. Der in dieser Übergangslösung angegebene Tarif soll jenen Tarifen nachfolgen, die bis zum 31. 12. 2019 auf Basis eines zwischen VG Rundfunk und WKO abgeschlossenen Rahmenvertrags aus dem Jahr 199861 gegolten haben. Die Übergangslösung gilt ausweislich der Website der VG Rundfunk „bis zum Ende des derzeit laufenden Schlichtungs- bzw. Satzungsverfahrens“. Auch auf den Rahmenvertrag 1998 bzw die dazugehörigen Zusatzvereinbarungen werden sich Nutzer für den Erwerb der für die Weitersendung über OTT-Dienste erforderlichen Rechte im Übrigen nicht umfassend berufen können. Ungeachtet dessen Auslegung (welche unter Berücksichtigung der jeweiligen Zusatzvereinbarung pro Zeitabschnitt variieren kann) würde nämlich auch hier gelten, dass über den Rahmenvertrag nur jene Rechte eingeräumt werden konnten, über welche die VG Rundfunk zum Vertragsabschlusszeitpunkt verfügte. Es bedürfte daher wiederum einer entsprechenden Auslegung der Repräsentationsvereinbarung bzw der Wahrnehmungsverträge in der jeweils (insb im Hinblick auf § 27 Abs 2 VerwGesG 2016) maßgeblichen Fassung. Die – etwas apodiktisch und kurz gehaltene – Aussage des OGH, es gebe keinen gutgläubigen Rechteerwerb im Urheberrecht,62 ist vor dem zuvor geschilderten Hintergrund (teilweise nicht einsehbare Verträge, schwer verständliche Sachzusammenhänge, verschiedenartige, aber sehr ähnliche Nutzungsformen) zumindest in ihrer Allgemeinheit zu hinterfragen. Dies gilt umso mehr, als der Urheber selbst weiterhin stets Verletzungen seiner Rechte ungeachtet einer Rechteeinräumung bzw -übertragung verfolgen kann, selbst wenn er diese einer Verwertungsgesellschaft eingeräumt haben sollte. Es sollte daher überlegt werden, ob nicht zumindest ein gewisser Vertrauensschutz beim Rechteerwerb von Verwertungsgesellschaften eingeräumt werden sollte.63 Dies freilich nur, sofern entsprechende gutglaubensbegründende Umstände vorliegen und diese Umstände nicht bereits im Rahmen der Vertragsauslegung (siehe soeben) berücksichtigt wurden.
60 Abrufbar unter <http://www.vg-rundfunk.at/wp-content/uploads/2021/ 01/%C3%9Cbergangsl%C3%B6sung.pdf> (14. 1. 2020). 61 Auch dieser ist noch unter <vg-rundfunk.at/kabelweitersendung/> (14. 1. 2020) abrufbar, ebenso die dazugehörigen Zusatzvereinbarungen unter dem Stichwort „Indexierung“. 62 Vgl Punkt 3.1. der Entscheidung. 63 Zum Thema Gutglaubenserwerb im Urheberrecht vgl auch Schmitt, Gewährleistung bei Verträgen über digitale Inhalte (2018) 91 ff; Handig, Guter Glaube – schlechte Chancen, wbl 2010, 209 (209 ff ).
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4.5. Online-Videorekorder und Bestellung von Privatkopien Stark zu erwarten war auch die Lösung des OGH hinsichtlich des Online-Videorekorders. Dass dieser keine freie Werknutzung im Rahmen der Privatkopieausnahme darstellt, ist bereits insofern nicht überraschend, als seine Funktionsweise (Speicherung des gesamten Sendeangebots für den Fall, dass ein Nutzer auf irgendeinen der gespeicherten Inhalte später zurückgreifen möchte) eher an eine Streaming-Plattform erinnert als an einen Rekorder. Dies mit der Konsequenz, dass wohl zusätzlich in Zurverfügungstellungsrechte eingegriffen wurde,64 was der OGH vorliegend jedoch nicht thematisiert hat. Der Gerichtshof behandelt stattdessen neben der Vervielfältigung und der Privatkopieausnahme auch die Anfertigung von Privatkopien durch Dritte auf Bestellung des Nutzers. Die Entscheidung ist insofern auch zusätzliche Rechtsquelle für die Auslegung des dafür maßgeblichen § 42a UrhG, auch wenn dieser im Entscheidungstext selbst nicht genannt wird. Dass der Gerichtshof in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung des BGH zurückgreift, überzeugt sowohl inhaltlich als auch – insb aufgrund der gemeinsamen unionsrechtlichen Grundlage65 – methodisch. Da eine Anfertigung auf Bestellung – bis auf gewisse Ausnahmefälle66 – nur unentgeltlich erfolgen darf, werden sich Anbieter wie die Beklagte nicht auf § 42a Abs 1 UrhG berufen können, sofern die Aufnahmefunktion Teil eines Gesamtpakets für Kunden bildet; und zwar auch dann nicht, wenn keine gesonderte Bepreisung der Aufnahmefunktion stattfindet (andernfalls wäre Umgehungskonstruktionen Tür und Tor geöffnet). Darüber hinaus müsste die Aufnahme auch individuell und nach Anfrage und Anweisung des Nutzers durchgeführt werden (und daher gerade nicht mittels De-Duplizierungsverfahren wie vorliegend), um die vom OGH zu Recht aufgestellten, zusätzlichen Kriterien – nämlich keine Organisationshoheit und keine Initiative desjenigen, der die Kopie anfertigt – zu erfüllen. Dass die Beklagte einen solchen, recht offenkundigen Urheberrechtsverstoß begangen hat, mag zunächst verwundern. Funktionen zur Aufnahme bzw zeitversetzten Wiedergabe von Inhalten werden allerdings zunehmend gebräuchlicher und somit vom Kunden erwartet. Die vielfältigen Probleme (Von wem ist welches Recht für welchen Preis zu lizenzieren?) zuerst auszufechten, ist wirtschaftlich wohl schlicht unrentabel. Es entsteht somit eine sowohl für Nutzer als auch Rechteinhaber unbefriedigende Situation. Das drängendste Problem liegt daher auch hier in der Frage nach der Allokation der gewonnenen wirtschaftlichen Vorteile bzw in der Frage, auf welche Weise die Rechteinhaber am besten an der wirtschaftlichen Verwertung ihrer Werke beteiligt werden können. Eine umfassende kollektive Rechte64 § 18a UrhG. So bereits Walter, MR 2020, 307 (317). 65 Vgl Art 5 Abs 2 lit b InfoSoc-RL 2001/29/EG sowie EuGH 29. 11. 2017, C-265/16 (VCAST) Rz 65, ecolex 2018/77, 164 (Albrecht) = GPR 2019, 66 (Forgó) = MR-Int 2017, 113 (Fischer) = ÖBl-LS 2018/10, 27 (Handig) = ÖJZ 2018/12, 94 (Brenn). 66 Vgl § 42a Abs 1 Satz 2 Z 1–3, § 42a Abs 2 UrhG.
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wahrnehmung könnte daher auch hier einen Ausweg bieten, weil sie bei entsprechender, verfahrenstechnischer Ausgestaltung rascher und unkomplizierter funktioniert. Die Beteiligung der Rechteinhaber an der Monetarisierung ihrer Werke im Rahmen „neuer“ Nutzungsformen bzw Formen der Vervielfältigung von Werken wird im Übrigen auch den EuGH in anderem Zusammenhang beschäftigen. Das OLG Wien hat diesem nämlich jüngst die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob Vervielfältigungen unter Nutzung von Clouddiensten vergütungspflichtig sind.67 Hier wird seitens der Austro Mechana gegen den deutschen Cloud-Anbieter „HiDrive“ argumentiert, auch das Bereithalten von Speicherplatz68 sei ein gewerbsmäßiges „in Verkehr kommen“69 von Speichermedien und unterliege daher der Speichermedienvergütung. Ob diese Auslegung – welche wohl auf der durchaus überzeugenden Überlegung fußt, dass eine Cloud wie ein USB-Stick verwendet werden kann, aber insb hohe Hürden hinsichtlich des Wortlauts des § 42b Abs 1 UrhG überwinden muss – den EuGH überzeugt, darf mit Spannung erwartet werden. Im österreichischen Schrifttum wird diese Frage uneinheitlich beantwortet.70
4.6. Überlegungen de lege ferenda Im neuen, die Online-SatCab-RL umfassenden Rechtsrahmen wird zu unterscheiden sein zwischen einer Kabelweiterverbreitung iSv Art 1 Abs 3 SatCab-RL 93/83/EWG71 (der die Weitersendung über klassische Kabel- und Mikrowellensysteme umfasst),72 einer Weiterverbreitung online iSv Art 2 Abs 2 lit a Online-SatCab-RL (der die Weitersendung über Satellit, digitale terrestrische Netze, mobile oder geschlossene internetprotokollgestützte Netze und ähnliche Netze regelt),73 und einer OTT-Weiterverbreitung iSv Art 2 Abs 2 lit b Online-SatCab-RL über einen Internetzugangsdienst in geordneter Umgebung (der die Weitersendung über das offene Internet, also OTTDienste, umfasst). Allen zuvor aufgezählten Nutzungsformen ist freilich gemein, dass überhaupt eine Erstsendung durch das Sendeunternehmen vorliegen muss, wobei diese nach der Online-SatCab-RL nicht rein online erfolgen darf.74 Auf nationaler Ebene kann hier durch die Schaffung von Übersicht ein deutlicher Mehrwert generiert 67 Vgl OLG Wien 7. 9. 2020, 33 R 50/20w; anhängig zu C-433/20 (Austro Mechana). 68 Es geht also gerade nicht um den Kauf der für das Bereithalten erforderlichen Serverfestplatte, welcher idR nicht in Österreich stattfinden wird und daher auch nicht der Speichermedienvergütung unterliegt. 69 Vgl § 42b Abs 1 UrhG. 70 Vgl im Überblick Riesenhuber, Speichermedienvergütung für Cloud-Speicher, MR 2020, 204 (204 ff ). 71 Richtlinie 93/83/EWG des Rates vom 27. September 1993 zur Koordinierung bestimmter urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung, ABl L 1993/248, 15. 72 Vgl ErwGr 6 Online-SatCab-RL zur Abgrenzung. 73 Vgl ErwGr 14 Online-SatCab-RL. 74 Siehe auch schon oben im Text unter 1.
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werden. Dass die „klassische“ Kabelweiterverbreitung weiterhin nach der „alten“ SatCab-RL zu beurteilen ist, ergibt sich im Übrigen aus Art 2 Abs 2 Satz 1 Online-SatCab-RL.75 Wie der vorliegende Rechtsstreit und ein Blick auf die Tarife der VG Rundfunk76 verdeutlichen, wird zumindest jetzt bereits wirtschaftlich stark zwischen den verschiedenen Nutzungsformen einer Sendung unterschieden. Dies ist auch verständlich, weil gerade mit dem Angebot, jederzeit von überall aus fernsehen zu können, ein deutlicher Mehrwert geschaffen wird. Dass die Rechteinhaber an den dadurch gewonnenen Vorteilen (sprich: Einnahmen) partizipieren wollen, erscheint berechtigt und im Hinblick auf den Beteiligungsgrundsatz geboten. De lege ferenda könnte überlegt werden, ein einheitliches, neues Recht der Weitersendung zu schaffen, das wiederum nach Fällen zwischen den konkreten Nutzungsformen unterscheidet, um die verschiedenen unionsrechtlichen Grundlagen und die Lizenzierungspraxis abzubilden. Die Umsetzung der Online-SatCab-RL könnte und sollte im Übrigen auch dazu genutzt werden, das derzeitige Normenkonstrukt zum Senderecht strukturell zu überdenken und insb um Verweisungen77 zu ergänzen. Die verwendete Terminologie sollte im Hinblick auf die geänderte Technologie und das Unionsrecht angepasst und etwa der „Rundfunkunternehmer“ durch das „Sendeunternehmen“ ersetzt werden. Auch das Instrument der Vertragshilfe bzw das Institut des Schlichtungsausschusses78 wäre zu überdenken: Der Schlichtungsausschuss wird ganz überwiegend nur angerufen, um weiter zum Urheberrechtssenat fortzuschreiten und eine bindende Satzung erhalten zu können. Es sollte daher überlegt werden, den Zwischenschritt zum Schlichtungsausschuss zu entfernen oder diesen anders zu gestalten. Zudem sollte es auch in Fällen wie dem vorliegenden (also bei Verhandlungen mit Sendeunternehmen, deren Rechte nicht durch eine Verwertungsgesellschaft wahrgenommen werden) ermöglicht werden, eine bindende Lösung ähnlich einer Satzung im Sinne einer „echten“ Vertragshilfe zu erlangen; auch hier vorzugsweise ohne den Zwischenschritt zum Schlichtungsausschuss.
5.
Zusammenfassung und Ausblick
Zusammengefasst hält der OGH unter Rückgriff auf seine bisherige Rechtsprechung fest, dass die Bestimmungen zur Kabelweitersendung nach § 59a UrhG technologieneutral auszulegen sind und auch Streams über Internet erfassen. Dass die Bildqualität hierbei vom Weitersende-Unternehmer bearbeitet wird, schadet nicht und berührt insb nicht den Integralgrundsatz, wonach eine gleichzeitige, vollständige und unveränderte Weitersendung des 75 Arg: „ausgenommen die Kabelweiterverbreitung im Sinne der Richtlinie 93/83/EWG“. 76 Zu diesen siehe unter 4.4. 77 Dies betrifft insb § 76a UrhG, der um einen Verweis auf § 59b, der in früheren Fassungen der Norm enthalten war, zu ergänzen wäre; siehe bereits unter 4.1. 78 Siehe zum Schlichtungsausschuss auch oben unter 4.1. und 4.2.
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lig unklar, was eigentlich eine „geordnete Umgebung“ iSv Art 2 Abs 3 Online-SatCab-RL im Detail ausmacht,79 die für die Weiterverbreitung über OTT-Dienste aber erst den Anwendungsbereich der RL eröffnet.80
79 Anhaltspunkte liefert ErwGr 14 Online-SatCab-RL. 80 Vgl hierzu etwa Hofmann, Die Online-SatCab-Richtlinie – Muss das sein oder kann das weg?, ZUM 2019, 551 [554 f], der für ein weites Verständnis eintritt.
Der Autor: Dr. Thomas Rainer Schmitt ist stellvertretender Leiter der österreichischen Aufsichtsbehörde für Verwertungsgesellschaften und unterrichtet an der Universität Wien, der FH Wien und der FH Technikum. Zuvor war er als (geprüfter) Rechtsanwaltsanwärter und Universitätsassistent tätig, jeweils mit Schwerpunkten im IP- und IT-Recht.
Publikationen des Autors: Gemeinsam mit Lukas Feiler, MSchG - Markenschutzgesetz in Leitsätzen (2020); Gewährleistung bei Verträgen über digitale Inhalte (2018); „Wolkenbildung“ – Cloud Computing und Vertragsgestaltung, ipCompetence 2017 H 18, 14. schmitttho@gmail.com lesen.lexisnexis.at/autor/Schmitt/Thomas Rainer
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Programms erforderlich ist, damit die Nutzung nach § 59a UrhG zu beurteilen ist. Hinsichtlich Online-Videorekordern hält der Gerichtshof fest, dass Privatkopien zwar auch durch Dritte angefertigt werden können, dies jedoch voraussetzt, dass (i) der Anfertigende nicht die Organisationshoheit über das Aufnahmegeschehen hat und (ii) die Speicherung initiativ durch den Nutzer, nicht den Anfertigenden, erfolgt. Die Entscheidung macht deutlich, dass wirtschaftlich ein großes Bedürfnis seitens der Nutzer für die einfache Lizenzierung der benötigten Rechte besteht, dies jedoch durch die stark eingeschränkte Verwertungsgesellschaftenpflicht jetzt und unter der Online-SatCab-RL unterlaufen wird. Anzumerken ist weiters, dass die zusätzlichen Einnahmen, die durch Nutzungen wie die verfahrensgegenständlichen erzielt werden, zu einer angemessenen Beteiligung der Rechteinhaber führen sollten. Es erscheint einigermaßen unwahrscheinlich, dass das Hauptverfahren hinsichtlich der bereits erörterten Rechtsfragen zu anderen Ergebnissen führen wird als das nun abgeschlossene Provisorialverfahren. Hierzu sind die bisher durch die Entscheidung offengelegten Umstände zu klar, die Rechtsfragen zu eindeutig zu lösen. Die Entscheidung kann aber durchaus zum Anlass genommen werden, die künftige, gerade von der Online-SatCab-RL geprägte Rechtslage näher zu diskutieren. Diese, bzw ihre Umsetzung ins österreichische Recht, wird mit Sicherheit noch weitere Detailfragen aufwerfen. Hierzu werden weitere Analysen, weitere Entscheidungen und vielleicht auch das eine oder andere Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH folgen. So ist etwa völ-
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EuGH: Zu den Voraussetzungen für Preismissbrauch durch Verwertungsgesellschaften » jusIT 2021/4
AEUV: Art 102, 267 RL 2014/26/EU: Art 16 VerwGesG 2016: §§ 1 ff EuGH 25. 11. 2020, C-372/19 (SABAM)
1. Eine Verwertungsgesellschaft mit faktischem Monopol in einem Mitgliedstaat missbraucht ihre marktbeherrschende Stellung entgegen Art 102 AEUV dann, wenn sie für die Nutzung ihres Repertoires überhöhte Gebühren fordert, die nicht in einem vernünftigen Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Wert ihrer Leistung stehen. 2. Die zuständigen nationalen Gerichte haben mit verschiedenen, unionsrechtlich gebilligten Methoden jeweils fallkonkret zu klären, ob eine missbräuchliche Preisüberhöhung vorliegt. 3. Im konkreten Fall der Tarifgestaltung einer belgischen Verwertungsgesellschaft für die Musiknutzung bei Musikfestivals besteht kein grundsätzlich Art 102 AEUV widersprechender Preismissbrauch.
Anmerkung des Bearbeiters: In dem aus Belgien stammenden Ausgangsfall klagte die belgische Verwertungsgesellschaft für Musikrechte (SABAM) zwei Musikfestivalveranstalter (Weareone.World und Wecandance) auf Bezahlung der offenen Vergütungsansprüche nach dem Tarif 211 von SABAM. Dieser enthielt zwei verschiedene Tarifskalen, deren Anwendung SABAM frei wählen konnte. Für die konkret abgerechneten Musikrechte der Festivals legte die Klägerin nicht ihren „Mindesttarif“ (nach beschallter Fläche bzw Anzahl der Sitzplätze) zugrunde, sondern ihren „Grundtarif“. Dieser wurde im Wesentlichen anhand des Budgets für die auftretenden Künstler berechnet und umfasste insgesamt acht verschiedene Einkommenssegmente, auf die ein degressiver Gebührensatz anzuwenden war. Die Beklagten verweigerten die Zahlung und wandten eine Kartellrechtswidrigkeit der (undurchschaubaren) Preisgestaltung der als Monopolistin agierenden Klägerin ein. Das Handelsgericht Antwerpen unterbrach sein Verfahren und fragte zusammengefasst an, ob die von SABAM angewandte Tarifierung mit jusit.lexisnexis.at
Art 102 AEUV sowie mit Art 16 RL 2014/26/EU (Verwertungsgesellschaften-RL) vereinbar wäre. Der EuGH hatte sich daher insb damit zu befassen, wie exakt eine Tarifierung sein muss, die von einer Organisation mit beherrschender Stellung erstellt wird, damit bei dieser Organisation nicht davon ausgegangen werden kann, sie nützte infolge einer unangemessenen Tarifierung eine solche beherrschende Stellung entgegen Art 102 AEUV missbräuchlich aus. Die Fünfte Kammer legte zunächst beispielhaft dar, mit welchen verschiedenen Methoden das dafür zuständige nationale Gericht die Frage klären kann, ob eine missbräuchliche Preisüberhöhung vorliegt (Rz 29 ff des Urteils). Im Licht dieser Erwägungen gelangte der Gerichtshof nach eingehender Prüfung zum Ergebnis, dass bestimmte Grundsätze der Tarifgestaltung für die Musiknutzung bei Musikfestivals (wie sie von der belgischen Verwertungsgesellschaft SABAM angewendet wurden) lediglich Anhaltspunkte für einen Preismissbrauch geben können (Rz 34 ff des Urteils). Die Fünfte Kammer hat im Ergebnis fallkonkret entschieden, dass keine missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung iSv Art 102 AEUV vorliegt, wenn für die Tarifskala folgende Kriterien erfüllt sind: Stellt der Tarif auf die Bruttoeinnahmen durch den Verkauf von Eintrittskarten ab, ohne dass davon die gesamten Ausgaben für die Veranstaltung des Festivals abgezogen werden können – also die Ausgaben, die keinen Zusammenhang zu den aufgeführten Musikwerken aufweisen – dürfen die Gebühren, die die Verwertungsgesellschaft unter Anwendung dieser Tarifskala tatsächlich verlangt, unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls nicht überhöht sein; bei der diesbezüglichen Prüfung hat das nationale Gericht insb Art und Umfang der Nutzung der Werke zu berücksichtigen sowie den wirtschaftlichen Wert, der durch diese Nutzung generiert wird, und den wirtschaftlichen Wert der Leistungen, die die Verwertungsgesellschaft erbracht hat. Liegt dem Tarif ein abgestuftes Pauschalsystem zugrunde, um den zum Repertoire dieser Verwertungsgesellschaft gehörenden Anteil der aufgeführten Musikwerke zu bestimmen, darf es keine andere Methode geben, die es erlaubt, die Nutzung dieser Werke präziser zu bestimmen und quantitativ genauer zu erfassen, und mit der dasselbe legitime Ziel erreicht werden kann, nämlich der Schutz der Interessen von Urhebern, Komponisten und Musikverlegern, ohne dass dies zugleich zu einer unverhältnismäßigen Zunahme der Kosten für die Verwaltung der Vertragsbestände und die Überwachung der Nutzung der urheberrechtlich geschützten Musikwerke führt; dies ist vom nationalen Gericht vor dem Hintergrund des konkreten Falles und unter Berücksichtigung sämtlicher maßgeblichen Umstände zu prüfen, wozu auch die Verfügbarkeit und Verlässlichkeit der vorgelegten Daten sowie vorhandene technische Mittel zählen.
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Die faktenbasierten Abwägungen im Detail dazu überlässt der EuGH den belgischen Gerichten. Es bleibt daher Sache des nationalen Gerichts, die etwaige Überhöhtheit solcher Gebühren vor dem Hintergrund des konkreten Falles, mit dem es befasst ist, und unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu ermitteln (stRsp EuGH 9. 4. 1987, C-402/85 [Basset] Rz 19, MR 1987, 150 [Walter]). Ausblick: Die Auswirkungen der Entscheidung auf die Lizenzierungspraxis der Verwertungsgesellschaften sollte nicht unterschätzt werden. Zunächst lässt sich aus dem vorliegenden Urteil die prinzipielle Vereinbarkeit der Wettbewerbskontrolle nach Art 102 AEUV mit der (zumindest oligopolartigen) Struktur der europäischen Verwertungsgesellschaften als gefestigte Rsp entnehmen (vgl im Ansatz bereits EuGH 27. 2. 2014, C-351/12 [OSA], jusIT 2014/45, 89 [Staudegger] = MR-Int 2014, 35 [Walter]; deutlich EuGH 14. 9. 2017, C-177/16 [AKKA/LAA] Rz 35, ecolex 2017/491, 1185 [Balthasar-Wach] = MR-Int 2017, 105 [Walter]). Dies stellt die Rechtsberatung durchaus vor Herausforderungen. Zusammenfassend hat der EuGH entschieden, dass grundsätzlich keine Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung iSv Art 102 AEUV durch Annahme einer Tarifstruktur besteht, die eine nationale Urheberrechtsverwertungsgesellschaft für die Musiknutzung bei Musikfestivals anwendet.
richt, Stockholm) in der Rs BY (Preuve photographique) war, ob die elektronische Übermittlung eines geschützten Werks als Beweismittel (nämlich die Kopie einer Textseite mit einer darin enthaltenen Fotografie) an ein Gericht im Rahmen eines zivilgerichtlichen Verfahrens zwischen Privatpersonen als urheberrechtsrelevante öffentliche Wiedergabe zu beurteilen ist. Der Gerichtshof hat das mit Urteil vom 28. 10. 2020 verneint, da er im gerichtlichen Fachpersonal keine unbestimmte Öffentlichkeit verwirklicht sieht. Das Ergebnis wird letztlich auch durch die Grundrechtsabwägung zwischen Art 17 Abs 2 GRC (Recht am geistigen Eigentum) und Art 47 GRC (Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf) bekräftigt. Was gänzlich fehlt, ist die Bezugnahme auf Art 5 Abs 3 lit e RL 2001/29/EG und ein Hinweis darauf, welche Relevanz dieser Ausnahme nach dem Urteil zukommt. Diesen und weitere Aspekte thematisiert der Besprechungsaufsatz in diesem Heft, jusIT 2021/2, 9. Bearbeiterin: Anna Haselbacher
URHEBERRECHT
Bearbeiter: Clemens Thiele
OGH: Zurverfügungstellung von Lichtbildern in Facebook-Gruppen URHEBERRECHT/RECHTSINFORMATION » jusIT 2021/6
EuGH: Übermittlung einer E-Mail mit Werk als Beweismittel an ein Gericht – keine öffentliche Wiedergabe » jusIT 2021/5
RL 2001/29/EG: Art 3 Abs 1 EuGH 28. 10. 2020, C-637/19 (BY [Preuve photographique])
Art 3 Abs 1 RL 2001/29/EG ist dahin auszulegen, dass der in dieser Bestimmung enthaltene Begriff „öffentliche Wiedergabe“ nicht die auf elektronischem Weg an ein Gericht erfolgende Übermittlung eines geschützten Werks als Beweismittel im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens zwischen Privatpersonen abdeckt (EuGH C-637/19, Tenor).
Anmerkung der Bearbeiterin: In der aktuell jüngsten Entscheidung des EuGH zur öffentlichen Wiedergabe gem Art 3 Abs 1 RL 2001/29/EG zu C-637/18 geht es um einen preuve photographique (zu Deutsch: fotografischer Beweis). Die Frage des schwedischen Svea hovrätt (Berufungsge-
RL 2001/29/EG: Art 3 Abs 1 UrhG: §§ 15, 18a, 42 Abs 4 OGH 2. 7. 2020, 4 Ob 89/20x (Lichtbild/Facebook-Gruppe)
1. Die Haftung für Urheberrechtsverletzungen auf einer Website betrifft einerseits den unmittelbaren Störer, der die Website inhaltlich gestaltet und deren Abrufbarkeit besorgt oder veranlasst (Medieninhaber), andererseits den Gehilfen, der die Rechtsverletzung des unmittelbaren Täters durch sein Verhalten gefördert oder überhaupt erst ermöglicht hat. 2. Durch das Hochladen eines Lichtbildes in eine FacebookGruppe wird dieses dadurch anderen Facebook-Nutzern zugänglich gemacht, wobei darin ein Eingriff in das Zurverfügungstellungsrecht gem § 18a UrhG liegen kann. 3. Tatbestandsmerkmal für einen Urheberrechtseingriff nach § 18a UrhG ist das öffentliche Zugänglichmachen; die Zugänglichmachung eines Vervielfältigungsstücks an die Öffentlichkeit schließt eine Vervielfältigung zum privaten Gebrauch nach § 42 Abs 5 UrhG aus. 4. Ein öffentliches Zugänglichmachen kann nur dann verneint werden, wenn sich das Zugänglichmachen entjusit.lexisnexis.at
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weder auf besondere Personen beschränkt, die durch eine persönliche Beziehung miteinander verbunden sind und daher einer privaten Gruppe angehören, oder wenn die im Einzelfall zu bestimmende Mindestschwelle nach der Größe der Gruppe (Anzahl der Mitglieder) nicht überschritten ist. 5. Von einer privaten Facebook-Gruppe kann nur dann ausgegangen werden, wenn (1.) ein persönliches Verbindungsmerkmal zwischen den Gruppenmitgliedern im Sinn eines besonderen Interesses oder eines besonderen Zwecks von vornherein vorgegeben ist und (2.) – nur bei Vorliegen dieses Merkmals – die Aufnahme in die Gruppe durch einen Gruppenadministrator erfolgt und (3.) die Teilnahme nur solange möglich ist, solange das verbindende Merkmal besteht.
Anmerkung des Bearbeiters: Dass die Veröffentlichung respektive die Bereitstellung von urheberrechtlich geschützten Werken auf Internetseiten vermehrt Gegenstand gerichtlicher Verfahren ist, zeigt nicht nur die Anzahl der auf unionsrechtlicher Ebene entschiedenen sowie beim EuGH anhängigen Rechtssachen zur Auslegung von Art 3 Abs 1 RL 2001/29/EG (Recht der Öffentlichen Wiedergabe – siehe dazu auch den Beitrag in diesem Heft Haselbacher jusIT 2021/2, 9.), sondern auch die der einschlägigen Rechtsstreitigkeiten vor den nationalen Gerichten der Mitgliedstaaten, die den EuGH häufig im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens um unionsweit verbindliche Auslegung von Art 3 leg cit in unterschiedlichen Sachverhaltskonstellationen ersuchen. In der vorliegenden OGHEntscheidung zu 4 Ob 89/20x, die die Veröffentlichung eines Lichtbilds auf einer Internetseite bzw in einer geschlossenen Facebook-Gruppe betrifft, erachtet der Vierte Senat die unionsrechtliche Lage allerdings dennoch als geklärt und entscheidet – entgegen der Auffassungen der Vorinstanzen (HG Wien 30. 9. 2019, 30 Cg 23/19p; OLG Wien 27. 2. 2020,5 R 155/19d) und ohne den EuGH vorab mit der Auslegung zu betrauen – beschlussmäßig. Klägerin des Verfahrens ist eine politische Partei in Österreich, die die Verwertungsrechte am gegenständlichen Lichtbild innehat, das seit Februar 2018 auf einer Website abrufbar ist, wobei vom Erstgericht als Tatsacheninstanz weder die Medieninhaberschaft der inkriminierten Website noch die Person, die die inhaltliche Gestaltung der Website vornimmt, bzw die Tatsache, wie das Lichtbild auf die Website gelangte, festgestellt werden konnte. Der Beklagte wird in den Metadaten des Lichtbilds auf der Website als Hersteller („Autor“) bezeichnet; von ihm wurde das inkriminierte Lichtbild in einer geschlossenen FacebookGruppe „hochgeladen“, wobei die Inhalte in solchen Gruppen nach den Feststellungen „nicht öffentlich abgerufen oder eingesehen werden“ können. Allerdings war für das Erstgericht nicht feststellbar, wie viele Mitglieder die vom Beklagten frequentierten Facebook-Gruppen umfassen. Wie der Vierte Senat eingangs der rechtlichen Beurteilung feststellt, betrifft der Sachverhalt zwei unterschiedliche Tatjusit.lexisnexis.at
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handlungen, die er einerseits in der „Veröffentlichung des Lichtbilds auf der inkriminierten Website“ (Punkt 2.), andererseits in der „Veröffentlichung des gegenständlichen Lichtbilds in einer Facebook-Gruppe“ (Punkt 3.) verortet. Was die erste Tathandlung, die Veröffentlichung auf der Website, betrifft, beziehen sich die Ausführungen des Gerichtshofs auf die formalen Voraussetzungen des Anscheinsbeweises, die jedoch im konkreten Fall – wie bereits das Berufungsgericht festgestellt hat – mangels formelhafter Verknüpfung eines typischen Geschehensablaufs in der Angabe des Beklagten in den Metadaten einerseits und der Eigenschaft als Medieninhaber andererseits nicht gegeben sind (Punkt 2.2.). In diesem Zusammenhang bekräftigt der Vierte Senat allgemein seine Rsp zur Haftung für Urheberrechtsverletzungen desjenigen unmittelbaren Störers, „der die Website inhaltlich gestaltet und deren Abrufbarkeit besorgt oder veranlasst“ (also zur Medieninhaberschaft; RS0120521), sowie zur Haftung des Gehilfen, „der die Rechtsverletzung des unmittelbaren Täters durch sein Verhalten gefördert oder überhaupt erst ermöglicht hat“ (Punkt 2.1.). Zur zweiten Tathandlung, dem Veröffentlichen des Lichtbildes in einer Facebook-Gruppe, stellt der Vierte Senat fest, dass durch das Hochladen in zumindest eine Gruppe, das Lichtbild „anderen Facebook-Nutzern zugänglich gemacht“ wurde. Ein Eingriff in das Verwertungsrecht nach § 18a UrhG liegt unter Verweis auf 4 Ob 226/19t, 4 Ob 121/17y und RS0121495 dann vor, wenn „unbefugt Lichtbilder in einen Internetauftritt zum interaktiven Abruf eingliedert [werden] [...], wenn die Lichtbilder dadurch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden“. Bevor der Gerichtshof die Kriterien zu § 18a UrhG erörtert, verneint er vorweg die vom Beklagten vorgebrachte und vom Berufungsgericht als gegeben erachtete Anwendbarkeit der Privatkopierausnahme nach § 42 Abs 4 UrhG, da die Zugänglichmachung eines Vervielfältigungsstücks an die Öffentlichkeit eine Vervielfältigung zum privaten Gebrauch nach § 42 Abs 5 UrhG explizit ausschließt (Punkt 3.2.). Der Vierte Senat hebt zunächst (Punkt 3.3.) die beiden Tatbestandsmerkmale des „öffentlichen Zugänglichmachens“, nämlich jenes der „Handlung des Zugänglichmachens“ und jenes der „Öffentlichkeit“ hervor (und zitiert in diesem Zusammenhang EuGH C-610/15 [Stichting Brein] Rz 24), wobei Ersteres beim Vorgang des Einstellens auf eine (andere) Website und den dadurch ermöglichten Zugang von Besuchern dieser Website zum betreffenden Lichtbild auf dieser Website gegeben ist (unter Verweis auf EuGH C-161/17 [Renckhoff ] Rz 21) und Letzteres eine „unbestimmte Zahl potentieller Adressaten“ sowie eine „ziemlich große Zahl von Personen“ erfordert (diesmal mit Hinweis auf EuGH C-161/17 [Renckhoff ] Rz 22 und C-466/12 [Svensson] Rz 21). Im konkreten Fall ist für den OGH ein öffentliches Zugänglichmachen dann ausgeschlossen, „wenn sich das Zugänglichmachen entweder auf besondere Personen beschränkt, die durch eine persönliche Beziehung miteinander verbunden sind und daher einer privaten Gruppe angehören, oder wenn die im Einzelfall zu bestimmende Mindestschwelle nach der Größe der Gruppe (Anzahl der Mitglieder) nicht überschritten ist“ (Punkt 3.4.). Ausschlaggebend ist nach Ansicht des Vierten Senats (1.) ein persön-
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liches Verbindungsmerkmal zwischen den Gruppenmitgliedern, (2.) – nur bei Vorliegen dieses Merkmals – die Aufnahme in die Gruppe durch einen Gruppenadministrator sowie (3.) die zeitliche Beschränkung hinsichtlich des Bestands des verbindenden Merkmals (Punkt 3.5.). Die Entscheidung des OLG Wien, wonach die Einstellung eines geschützten Lichtbildes in eine geschlossene Facebook-Gruppe keine öffentliche Wiedergabe darstelle, war daher aufzuheben; die Negativfeststellung des HG Wien, dass nicht feststellbar sei, wie viele Personen in den vom Beklagten frequentierten Gruppen Mitglieder seien, wurde als beachtlicher Verfahrensmangel gewertet (Punkt 3.6.). Insgesamt wurde die angefochtene Entscheidung wegen primärer und sekundärer Verfahrensmängel aufgehoben und dem Erstgericht aufgetragen, im fortgesetzten Verfahren die Tatsachengrundlage zu den erfolgreich angefochtenen Themen abzuklären. Ausblick: Die Entscheidung hat weitreichende Konsequenzen für die Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken in (geschlossenen) Social-Media-Netzwerken und für „öffentliche“ Nutzungshandlungen allgemein. Dass der OGH die beiden Sachverhaltskonstellationen (Veröffentlichung auf Website und Veröffentlichung in Facebook-Gruppe) getrennt voneinander beurteilt, ist sachgerecht und nachvollziehbar. Die Klägerin konnte den Anscheinsbeweis hinsichtlich der Medieninhaberschaft des Beklagten nicht darlegen, die Tathandlung des Veröffentlichens auf der Website seitens des Beklagten war daher nicht bewiesen, die Ansicht des OLG Wien insofern nicht zu beanstanden. Durch die Angabe von Metadaten zu auf Websites bereitgestellten Lichtbildern (auch wenn darin eine Hersteller- bzw Urheberbezeichnung vorhanden ist) kann aus verfahrensrechtlicher Sicht nicht direkt auf die Medieninhaberschaft, also die Voraussetzung für die Haftung für Urheberrechtsverletzungen, geschlossen werden. Fraglich bleibt in diesem Zusammenhang, ob, für den Fall dass der Beklagte die Website tatsächlich selbst inhaltlich gestaltet oder deren Abrufbarkeit veranlasst, ihm dann auch die Eigenschaft eines haftungsprivilegierten Diensteanbieters als HostProvider zukommen kann oder sich diese beiden Eigenschaften der Medieninhaberschaft bzw des Diensteanbieterprivilegs nach ECG ausschließen (siehe dazu eingehend Staudegger, Haftungsprivilegierung des Hostproviders oder Medieninhaberschaft – tertium non datur, ALJ 1/2015, 42–66; dies, Medieninhaber als Hostprovider?, jusIT 2015/34). Der OGH musste dazu nicht Stellung beziehen, die Klärung der Frage bleibt jedoch ein dringendes Desiderat. Hinsichtlich des zweiten Sachverhaltskomplexes, der Veröffentlichung in einer Facebook-Gruppe, subsumiert der Vierte Senat diese Nutzungshandlung unter § 18a UrhG, wendet dabei sowohl die aus unionsrechtlicher als auch aus nationaler Rsp zum Recht der öffentlichen Wiedergabe bzw zum Zurverfügungstellungsrecht erarbeiteten Kriterien an und erweitert diese schließlich (die Beisätze zu RS0121495 wurden um T4 und T5 ergänzt). Das „öffentliche Zurverfügungstellungsrecht“ nach § 18a UrhG ist unionsrechtlich determiniert durch Art 3 Abs 1 RL 2001/29/EG. In zahlreichen Entscheidungen hat der EuGH in stRsp judiziert, dass dieses vollharmonisierte Verwertungsrecht aus den zwei
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Tatbestandsmerkmalen – der Wiedergabehandlung sowie der Öffentlichkeit – besteht. Der OGH stellt in Punkt 3.1. fest, dass nach dem Sachverhalt der Beklagte das gegenständliche Lichtbild(werk) in zumindest eine Facebook-Gruppe hochgeladen und dadurch anderen Facebook-Nutzern zugänglich gemacht hat. Für die Auslegung nach § 18a UrhG spielt es keine Rolle, ob es sich bei dem streitgegenständlichen Lichtbild um ein bloß leistungsschutzrechtlich oder auch urheberrechtlich geschütztes Bild handelt. Für beide Schutzgegenstände ist § 18a UrhG einschlägig. Die Formulierung, dass durch das Hochladen in die Facebook-Gruppe die Zugänglichmachung erfolgt, ist jedoch differenziert zu betrachten. Das Hochladen eines Schutzgegenstandes an sich muss nicht zwangsläufig auch dessen Zugänglichmachung bedeuten. Der Realakt des Hochladens ist grds eine Vervielfältigungshandlung mit dem Ergebnis der Herstellung einer Kopie auf dem Zielserver. Das Hochladen kann jedoch die Zugänglichmachung implizieren, sodass beide Verwertungshandlungen zusammenfallen können. Etwas unklar ist in diesem Zusammenhang die vom Vierten Senat gewählte Formulierung des „öffentlichen Zugänglichmachens“ iZm der Auslegung von § 18a UrhG ausgefallen (Punkt 3.1. ff ), betrifft diese Terminologie doch das unionsrechtliche Zugänglichmachungsrecht nach Art 3 Abs 1 RL 2001/29/ EG. Der nationale österreichische Gesetzgeber hat sich im Zuge der Umsetzung bewusst für die Terminologie „Zurverfügungstellungsrecht“ entschieden, da der Begriff „Zugänglichmachen“ vor der UrhR-Nov 2003, mit der § 18a UrhG eingeführt wurde, bereits vorhanden war. Zudem wird auch in der zitierten Rsp im vorliegenden Judikat (4 Ob 226/19t; 4 Ob 121/17y; vgl auch RS0121495; siehe Punkt 3.1.) hinsichtlich § 18a UrhG die nationale Terminologie verwendet. Die in § 18a UrhG normierte Tathandlung bezieht sich auf das Zurverfügungstellen. Die darüber hinaus darin normierte Zugänglichkeit ist als die potenzielle Abrufmöglichkeit seitens der Nutzer als Mitglieder der Öffentlichkeit zu verstehen. § 42 Abs 5 UrhG etwa spricht auch vom „Zugänglichmachen“, wobei sich gerade diese Norm außerhalb der unionsrechtlichen Determinierung des Art 3 RL 2001/29/EG befindet, die vom EuGH entwickelten Kriterien also grds nicht für diese Ausnahmeregelung gelten; die vom Senat gewählte Formulierung ließe eine solche Annahme jedoch zu. Die korrekte Verwendung der Terminologie „Zurverfügungstellen“ hinsichtlich des Verwertungsrechtes sollte mE beibehalten werden. Zum Kriterium der „Öffentlichkeit“ stellt der OGH in Punkt 3.4. fest, dass die beiden Voraussetzungen der „Beschränkung auf besondere Personen“ oder der „Nicht-Überschreitung einer Mindestschwelle“ alternativ die Öffentlichkeit ausschließen können. E contrario ist das im Einklang mit der Unionsrechtsprechung, wonach die „Unbestimmtheit“ und die „ziemlich große Zahl von Personen“ kumulativ vorliegen müssen. Umso mehr verwundert jedoch die darauffolgende Subsumtion des Vierten Senats in Punkt 3.5., in der zusammenfassend nur dann von einer privaten Facebook-Gruppe gesprochen werden kann, wenn (mit Verweis auf RS0077202) „ein persönliches Verbindungsmerkmal zwischen den Gruppenmitgliedern im Sinn eines besonderen Interesses oder jusit.lexisnexis.at
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eines besonderen Zwecks von vornherein vorgegeben ist, nur bei Vorliegen dieses Merkmals die Aufnahme in die Gruppe durch einen Gruppenadministrator erfolgt und die Teilnahme nur solange möglich ist, solange das verbindende Merkmal besteht“, und (unter Verweis auf RS0077576) außerdem „eine – nach dem Gruppenzweck zu beurteilende – bestimmte Höchstzahl an Gruppenmitgliedern nicht überschritten werden“ darf. Das widerspricht den zuvor genannten unionsrechtlich determinierten Vorgaben. Beide Kriterien der „Öffentlichkeit“ – „Unbestimmtheit“ sowie „recht viele Personen“ – müssen kumulativ vorliegen, um als „öffentlich“ zu gelten (Maier, Urheberrechtliche Öffentlichkeit und elektronische Lernplattformen, jusIT 2014/57, 121 [126]). Darüber hinaus ist fraglich, warum der Vierte Senat hinsichtlich des Kriteriums der Unbestimmtheit im Sinne von „für Personen allgemein“, also „nicht auf besondere Personen beschränkt“, die einer privaten Gruppe angehören, zwangsläufig auf „persönliche Beziehungen“ abstellt. Der EuGH nennt zwar in vielen seiner Entscheidungen zum Recht der öffentlichen Wiedergabe iZm dem Kriterium der „Unbestimmtheit“ den Indikator „Personen allgemein“ (chronologisch aufgelistet: EuGH 7. 12. 2006, C-306/05 [SGAE] Rz 37 f; EuGH 15. 3. 2012, C-135/10 [SCF] Rz 84 f; EuGH 15. 3. 2012, C-162/10 [Phonographic Performance (Ireland)] Rz 33 f; EuGH 7. 3. 2013, C-607/11 [ITV Broadcasting ua] Rz 32; EuGH 27. 2. 2014, C-351/12 [OSA] Rz 27; EuGH 13. 2. 2014, C-466/12 [Svensson ua] Rz 21; EuGH 19. 11. 2015, C-325/14 [SBS Belgium] Rz 21; EuGH 31. 5. 2016, C-117/15 [Reha Training] Rz 41; EuGH 8. 9. 2016, C-160/15 [GS Media] Rz 36; EuGH 26. 4. 2017, C-527/15 [Stichting Brein/Wullems] Rz 32; EuGH 14. 6. 2017, C-610/15 [Stichting Brein/Ziggo] Rz 27; EuGH 16. 3. 2017, C-138/16 [AKM] Rz 24; EuGH 29. 11. 2017, C-265/16 [VCAST] Rz 45; EuGH 7. 8. 2018, C-161/17 [Renckhoff ] Rz 22; EuGH 19. 12. 2019, C-263/18 [Nederlands Uitgeversverbond und Groep Algemene Uitgevers] Rz 66–68; EuGH 28. 10. 2020, C-637/19 [BY (Preuve photographique)] Rz 26), allerdings findet sich kein Hinweis auf das Erfordernis „freundschaftlicher Beziehungen“ in Bezug auf die „privaten Gruppen“ in der EuGH-Rsp. Zu Recht stellt der OGH hingegen die Nichtanwendbarkeit des § 42 Abs 4 UrhG in Bezug auf die Nutzungshandlung gem § 18a UrhG fest. Die Privatkopierausnahme privilegiert lediglich Vervielfältigungshandlungen (allenfalls sind einzelne „Weitergaben“ davon umfasst). Sollten die Vorinstanzen im Zuge der weiteren Beweiserhebungen zum Ergebnis gelangen, dass es sich bei der Bereitstellung des Lichtbildes in den gegenständlichen Facebook-Gruppen um keine Zurverfügungstellung an die „Öffentlichkeit“ iSd § 18a UrhG handelt, wäre noch der Eingriff in § 15 UrhG zu prüfen. Diesfalls könnte jedoch die Privilegierung nach § 42 Abs 4 UrhG einschlägig sein. Zusammenfassung: Der OGH stellt in seinem Beschluss fest, dass für Urheberrechtsverletzungen auf einer Internetseite derjenige haftet, der die Website inhaltlich gestaltet und deren Abrufbarkeit besorgt oder veranlasst und damit Medieninhaber ist, wobei eine Haftung nicht nur des unmittelbaren Störers infrage kommt, sondern auch jene des Gehilfen, der die Rechtsverletzung des unmittelbaren Täters durch sein Verhalten gefördert oder überhaupt erst ermöglicht hat. In Bezug auf das Bereitjusit.lexisnexis.at
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stellen von Lichtbildern in einer Facebook-Gruppe ist diese Nutzungshandlung nach Ansicht des OGH im hier gegenständlichen Beschluss nur dann nicht von § 18a UrhG umfasst, wenn sich das Zurverfügungstellen auf besondere Personen beschränkt, die durch eine persönliche Beziehung miteinander verbunden sind und daher einer privaten Gruppe angehören, oder wenn die im Einzelfall zu bestimmende Mindestschwelle nach der Größe der Gruppe (Anzahl der Mitglieder) nicht überschritten ist. Bearbeiter: Philipp Maier
OGH: Kabelweiterleitung durch Weitersendung von Fernsehprogrammen über Live-Stream (OTT-Dienste) und Vervielfältigung durch OnlineVideorekorder » jusIT 2021/7
UrhG: §§ 42a, 59a, 76a RL (EU) 2019/789: Art 2, 5 RL 93/83/EWG: Art 1 Abs 3 OGH 22. 9. 2020, 4 Ob 149/20w (OTT-Dienste)
1. § 59a UrhG ist technologieneutral auszulegen, sodass auch die Weitersendung einer Rundfunksendung über OTT-Dienste (over-the-top, „offenes Internet“) eine Kabelweiterleitung ist. 2. Das Kabelweitersenderecht ist nicht auf Verfahren beschränkt, bei denen die Weitersendung in einem vom Weitersende-Unternehmer durchgängig kontrollierten Kommunikationsnetz erfolgt. 3. Die bloße Bearbeitung der Bildqualität (SD, HD) hat keine Auswirkungen auf die gleichzeitige, vollständige und unveränderte Weitersendung des Programms (Integralgrundsatz). 4. Das Weitersenderecht gem § 76a Abs 1 UrhG (auch: Signalschutz) ist ein Anwendungsfall der öffentlichen Wiedergabe und erfasst über Art 8 Abs 3 Vermiet- und Verleih-RL 2006/115/EG hinaus sowohl drahtlose als auch draht- und kabelgebundene Weitersendungen. 5. Hat der Rundfunkunternehmer einer Verwertungsgesellschaft eine Wahrnehmungsbefugnis eingeräumt, so wird ihm dadurch nicht die Möglichkeit genommen, Verstöße gegen seine diesbezüglichen Rechte selbst zu verfolgen. 6. Einen gutgläubigen Erwerb von Rechten gibt es im Urheberrecht nicht, insb können von einer Verwertungsgesellschaft nicht mehr Rechte eingeräumt werden, als dieser selbst vom Rechteinhaber eingeräumt wurden.
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7. Eine Zwangslizenz gem § 59b Abs 2 UrhG muss geltend gemacht und durchgesetzt werden und gilt nicht ex lege als erteilt. 8. Natürliche Personen können auch eine Vervielfältigungsdienstleistung durch einen Dritten in Anspruch nehmen, solange dieser nicht die Organisationshoheit über das Aufnahmegeschehen besitzt und die Speicherung nicht auf Initiative des Dritten erfolgt. 9. Wird bei einem Online-Videorekorder bloß eine Kopie der Sendung erstellt und einer Mehrzahl von NutzerInnen Zugriff darauf gewährt („De-Duplizierung“), ist die Vervielfältigung dem Betreiber zuzurechnen und unterfällt nicht der Privatkopieausnahme. 10. Das Gericht kann dem Spruch eine klare und deutliche, auch vom Begehren abweichende Fassung geben, sofern diese in den Behauptungen des Klägers ihre eindeutige Grundlage findet und sich im Wesentlichen mit seinem Begehren deckt.
PERSÖNLICHKEITSRECHT/STRAFRECHT
OGH: Strafbarkeit der Bezeichnung „Gestapo-88“ für ein drahtloses lokales Netzwerk (WLAN) » jusIT 2021/8
VerbotsG: § 3g StPO: § 314 Abs 1, § 345 Abs 1 Z 6, § 498 Abs 3 OGH 6. 11. 2020, 15 Os 110/20w (Gestapo-88)
Die provokative Bezeichnung des eigenen WLAN mit Begriffen wie zB „Gestapo-88“, „Schutzstaffel-88“ und „Schutzstaffel-1“ erfüllt den Straftatbestand der Wiederbetätigung nach § 3g VerbotsG in objektiver und subjektiver Hinsicht.
Anmerkung des Bearbeiters:
Anmerkung des Bearbeiters:
Die Entscheidung betrifft eine einstweilige Verfügung, welche von ProSieben und Sat.1 gegen Hutchison Drei wegen der unerlaubten Weitersendung und Vervielfältigung im Rahmen der „DREI TV“-Software und des dazugehörigen Online-Videorekorders beantragt wurde. Der OGH trägt nahezu vollumfänglich den Argumenten der Fernsehsender Rechnung und kommt zum Schluss, dass der auf Abweisung des Sicherungsbegehrens gerichtete Revisionsrekurs von Hutchison Drei nicht berechtigt ist. Der Gerichtshof hält dabei insb an seiner Rsp fest, dass § 59a UrhG technologieneutral auszulegen ist und auch jene Rechte umfasst, die zur Weitersendung über „over-the-top“/ OTT-Dienste erforderlich sind (internetbasierte Streamingdienste, die erbracht werden, ohne dass der Anbieter des Dienstes auch [komplette] Kontrolle über die dafür technisch erforderliche Infrastruktur hat). Trotz der Technologieneutralität und des damit einhergehenden, weiten Anwendungsbereichs der Norm, kann über die davon erfassten Rechte, insb hinsichtlich der „klassischen“, kabelgebundenen Weitersendung und der Weitersendung über OTT-Dienste, getrennt verfügt werden. Zu Online-Videorekordern stellte der OGH insb klar, dass diese zu einer unzulässigen Vervielfältigung führen, wenn nur eine einzige Kopie zu Aufnahmezwecken hergestellt wird. Eine Berufung auf die freie Werknutzung nach § 42a UrhG ist hingegen nur möglich, wenn die Organisationshoheit über das Aufnahmegeschehen beim Nutzer (und nicht beim Anbieter des Online-Videorekorders) liegt und dieser auch tatsächlich die Initiative zur Herstellung der Aufnahme setzt. Die Entscheidung wird in diesem Heft, jusIT 2021/3, 15 ausführlich besprochen.
Der Angeklagte benannte über einen Zeitraum von ca 20 Monaten hindurch den WLAN-Router (technisch präziser den SSID [= Service Set Identifier]) für sein damit eingerichtetes drahtloses lokales Netzwerk, das er für den Internetzugang, Streaming ua nutzte, mit so klingenden Geräteadressen wie „Gestapo-88“, „Schutzstaffel-88“ und „Schutzstaffel-1“. Er tat dies auch, um seine türkischen Nachbarn zu provozieren. Außerdem verschickte er via WhatsApp-Messenger den Nationalsozialismus verherrlichende Bilder und Videos. Das zuständige Geschworenengericht verurteilte den Angeklagten nach § 3g VerbotsG zu 18 Monaten Haft, davon drei Monate unbedingt. Dieser erhob Nichtigkeitsbeschwerde mit der Begründung, dass er aufgrund einer manisch-depressiven Erkrankung im Tatzeitraum aus psychischen Gründen seine Wohnung nicht verlassen konnte und die Bezeichnung satirisch gemeint wäre. Er hätte ja auch das Foto des Hitler-Weins gepostet und einen (satirischen) Filmausschnitt aus dem Fernsehen (RTL 2) verschickt. Der OGH verwarf die Nichtigkeitsbeschwerde und hielt fest, dass auch die vom Betreiber (frei wählbare) Bezeichnung eines Telekommunikationsgerätes eine „Betätigung im nationalsozialistischen Sinn“ gem § 3g VerbotsG darstellen kann. Denn darunter fällt – generalklauselartig zu §§ 3a–3f VerbotsG – jedes Verhalten, das geeignet ist, (zumindest) eine der spezifischen Zielsetzungen der NSDAP im Inland zu neuem Leben zu erwecken oder zu propagieren und solcherart zu aktualisieren (Lässig in Höpfel/Ratz [Hrsg], WK2 VerbotsG § 3g Rz 4 mwN). Dazu reicht nach der Rsp bereits die propagandistische Verwendung typisch nationalsozialistischer Parolen, Schlagworte oder Symbole, wie bspw die Aussprüche „Heil Hitler“ sowie „Sieg Heil“, der Hitlergruß und das Hakenkreuz aus (zuletzt OGH 4. 7. 2017, 14 Os 55/17w [„88“ auf öffentlich getragenen Kleidungsstücken]). Dass „Gestapo“ die Abkürzung für die „Geheime Staatspolizei“ und „88“ im Jargon als achter Buchstabe des Alphabets ein Akronym
Bearbeiter: Thomas Rainer Schmitt
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für „H.H.“ = „Heil Hitler“ sind, liegt auf der Hand. Die „Schutzstaffel“ bezeichnet die gefürchtete „SS“ im Dritten Reich. Die Verbindung dieser verpönten Schlagworte (verba non grata) mit einem modernen Funknetzwerk, dh einem Synonym für einen kabellosen Internetzugriff und „kommunikativen Hotspot“, indiziert gerade die subjektive Tatseite dieses Äußerungsdelikts. Im Zusammenhalt mit den im Strafverfahren hervorgekommenen Begleitumständen ist die Verurteilung völlig zu Recht erfolgt. Eine durchaus vergleichbare „Wiederbetätigung“ kann auch durch die Verwendung von Internet-Domains entstehen, die sich aus nationalsozialistischen Begriffen zusammensetzen (vgl auch Punkt 7 der Registrierungsrichtlinien für österreichische Domains, abrufbar unter <nic.at/media/files/pdf/RegRL-2018_ DE.pdf> [15. 1. 2021]). Ausblick: Bemerkenswert ist, dass der OGH den erstinstanzlichen Freispruch zum Faktum des Postings eines Etiketts des – in Italien frei im Handel erhältlichen – sog „Führer-Weins“ („nostalgische Hitler und Mussolini Rotweine“) bestätigte. Auch hielt der 15. Senat die Versendung des Fernsehausschnitts aus einer „Hitlerkomödie“ zutreffend für nicht tatbestandsmäßig nach dem VerbotsG. Zusammenfassend hat der OGH entschieden, dass die provokative Bezeichnung des eigenen WLAN mit ua „Gestapo-88“, „Schutzstaffel-88“ und „Schutzstaffel-1“ als nationalsozialistische Wiederbetätigung gegen § 3g VerbotsG verstößt. Bearbeiter: Clemens Thiele
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OGH: Anspruch auf Auskunft nach § 18 Abs 4 ECG gegen Anbieter eines Webmail-Dienstes » jusIT 2021/9
ECG: §§ 13, 16, 18 Abs 4 TKG (2003): § 93 OGH 20. 5. 2020, 6 Ob 226/19g
1. Der Anbieter eines Webmail-Dienstes unterliegt dem in § 18 Abs 4 ECG normierten Auskunftsanspruch. 2. Der Auskunftsanspruch setzt voraus, dass die Rechtsverfolgung nach einer groben Prüfung der geltend gemachten Verletzungen eine gewisse Aussicht auf Erfolg hat.
Anmerkung der Bearbeiterin: Die Beklagte bietet ihren Kunden die Herstellung und Nutzung einer Internetverbindung an und stellt E-Mail-Adressen, Aliasjusit.lexisnexis.at
Adressen, E-Mail-Spam- und Virenschutz auf den Servern bereit. Technisch funktioniert die Verwendung des Webmail-Dienstes der Beklagten so, dass nach Absenden einer E-Mail eine verschlüsselte Verbindung zum Mail-Server aufgebaut und die E-Mail innerhalb von 30-sekündigen Intervallen dem End-MailServer zugestellt wird. Ist eine von der Beklagten zur Verfügung gestellte E-Mail-Adresse Empfänger einer E-Mail, wird diese auf dem E-Mail-Server der Beklagten bis zum Abruf durch den Kunden gespeichert. Die Klägerin verfasste eine Kolumne für eine Tageszeitung. Nach deren Veröffentlichung erhielten mehrere in- und ausländische Medien von einer bei der Beklagten registrierten E-Mail-Adresse eine E-Mail mit dem Betreff „Hochgradig gestört: ***-Lebensschützerin [Klägerin]“, welche mehrere Äußerungen enthielt, die von der Klägerin als ehrenrührig und kreditschädigend betrachtet werden. Der Name, mit dem die E-Mail unterzeichnet ist, stimmt mit dem in der E-Mail-Adresse enthaltenen Namen nicht überein. Im öffentlich zugänglichen Melderegister scheinen der in der E-Mail-Adresse enthaltene Name und jener, mit dem die Nachricht unterzeichnet wurde, mit aktuellem Hauptwohnsitz an derselben Adresse auf. Die Klägerin forderte die Beklagte schriftlich auf, den Namen sowie die Postanschrift des bei der Beklagten registrierten Inhabers der E-Mail-Adresse, mit welcher die beanstandete Nachricht versendet wurde, bekannt zu geben, was die Beklagte ablehnte. In der Klage wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass die Beklagte als Host-Provider iSv § 16 ECG anzusehen und daher nach § 18 Abs 4 ECG zur Auskunft verpflichtet sei. Für die Rechtsverfolgung wegen der in den E-Mails enthaltenen Äußerungen, die § 1330 ABGB verletzen, sei die begehrte Auskunft erforderlich. Die Beklagte vertrat hingegen die Ansicht, sie betreibe keinen Dienst der Informationsgesellschaft iSd § 3 Z 1 ECG und sei nicht Host-, sondern Access-Provider iSv § 13 ECG. Die bloße Bereitstellung von Webmail-Diensten führe nicht zu einem Auskunftsanspruch nach § 18 Abs 4 ECG, dessen Voraussetzungen ohnehin nicht erfüllt seien, da die Auskunft keine wesentliche Voraussetzung für die Rechtsverfolgung durch die Klägerin sei. Das Erstgericht gab dem Begehren der Klägerin, der Beklagten die Bekanntgabe von Vor- und Zunamen sowie der Anschrift des Inhabers der bei der Beklagten registrierten E-Mail-Adresse aufzutragen, mit der Begründung statt, dass die Beklagte nach § 18 Abs 4 ECG auskunftspflichtiger Host-Provider iSd § 16 ECG sei. Das Berufungsgericht sah die Beklagte als Access-Provider nach § 13 ECG an und gab ihrer Berufung Folge. Der OGH hatte sich in der Folge mit den Fragen auseinanderzusetzen, ob die Beklagte mit ihrem Webmail-Dienst einen Dienst der Informationsgesellschaft iSd ECG bereitstellt, ob sie der Auskunftspflicht nach § 18 Abs 4 ECG unterliegt und ob die Voraussetzungen für einen solchen Anspruch erfüllt sind. Zuerst führt der Senat kurz aus, dass keine Zweifel daran bestehen, dass der Anbieter eines Webmail-Dienstes einen Dienst der Informationsgesellschaft iSd § 3 Z 1 ECG bereitstelle und daher Diensteanbieter iSd § 3 Z 2 ECG sei. Den Kern der Entscheidung stellt die Auseinandersetzung mit der Frage nach der Anwendbarkeit der Auskunftspflicht nach
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§ 18 Abs 4 ECG auf Anbieter von Webmail-Diensten dar. Der OGH stellt klar, dass sich diese Verpflichtung, im Gegensatz zu den im ECG zu findenden Regelungen über die Verantwortlichkeit von Online-Anbietern, nicht aus dem Unionsrecht ergibt. Weiters führt das Höchstgericht aus, dass die Frage, ob es sich bei einem Anbieter eines Webmail-Dienstes um einen Host-Provider oder um einen Access-Provider handle, davon abhänge, ob die Speicherung von Informationen für die Qualifikation als Host-Provider ausreiche oder darüber hinaus die Eröffnung des Zugangs zu den gespeicherten Informationen für Dritte erforderlich sei. In der Folge wird ein Blick auf Meinungen aus der österreichischen sowie der deutschen Literatur zu dieser Frage und einige höchstgerichtliche Entscheidungen zur Einordnung von verschiedenen Diensteanbietern als Host-Provider geworfen. Die von den Parteien und den Vorinstanzen als entscheidungswesentlich erachtete Frage nach der Einordnung der Beklagten als Host- oder als Access-Provider wird vom OGH allerdings nicht beantwortet. Vielmehr führt er aus, dass die in § 18 Abs 4 ECG geregelte Herausgabepflicht von Nutzerdaten auf die Beklagte in jedem Fall – also unabhängig davon, ob sie als Host- oder als Access-Provider anzusehen sei – Anwendung finde. Gehe man davon aus, dass die Beklagte Access-Provider iSd § 13 ECG sei, sei § 18 Abs 4 ECG analog anzuwenden. Die Interessenlage hinsichtlich des Diensteanbieters, der nur den Zugang zu einem Kommunikationsnetzwerk eröffne (Access-Provider), entspreche zwar nicht jener bei Host-Providern, allerdings erweise sich das ECG als lückenhaft, wenn der Anbieter eines Webmail-Dienstes als Access-Provider angesehen werde und damit den Haftungsbeschränkungen des § 13 ECG unterliege. Die Lücke des Gesetzes liegt nach dem OGH darin, dass die Bereitstellung eines Webmail-Dienstes das Ziel hat, Dritten die vom Nutzer eingegebenen Inhalte zugänglich zu machen. Dabei könne es zu Rechtsverletzungen und – wenn man einen Auskunftsanspruch verneinen würde – zu einem Rechtsschutzdefizit des Verletzten kommen. Zuletzt führt das Höchstgericht aus, dass die Klägerin ausreichend glaubhaft machen konnte, dass es für die beabsichtigte Rechtsverfolgung wesentliche Voraussetzung ist, die begehrte Auskunft zu erhalten. Dass Personen mit bestimmten Namen existieren, lasse noch nicht verlässlich auf deren Verfügungsberechtigung hinsichtlich des konkreten Webmail-Zuganges schließen. Ausblick: Die vorliegende Entscheidung klärt die Frage, ob Anbieter von Webmail-Diensten der Herausgabepflicht von Nutzerdaten nach § 18 Abs 4 ECG unterliegen. Die für das Höchstgericht unzweifelhafte Beurteilung, dass der Anbieter eines Webmail-Dienstes einen Dienst der Informationsgesellschaft iSd § 3 Z 1 ECG bereitstellt, lässt sich bereits aus ErwGr 18 der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr ableiten. Gem § 18 Abs 4 ECG müssen „die in § 16 genannten Diensteanbieter“ (Host-Provider) Namen und Adresse eines Nutzers ihres Dienstes, mit dem sie Vereinbarungen über die Speicherung von Informationen abgeschlossen haben, unter gewissen Voraussetzungen an Dritte herausgeben. Aus dem Wortlaut ergibt sich eindeutig, dass vom unmittelbaren Anwendungsbe-
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reich nur Host-Provider erfasst sind. § 13 Abs 1 ECG, der die Voraussetzungen für die Haftungsbefreiung von Access-Providern normiert, definiert diese als Diensteanbieter, die von einem Nutzer eingegebene Informationen in einem Kommunikationsnetz übermitteln oder den Zugang zu einem Kommunikationsnetz vermitteln. Die von den Parteien des Verfahrens und den Vorinstanzen aufgeworfene Frage nach der Einordnung von Anbietern von Webmail-Diensten als Host-Provider iSd § 16 ECG oder als Access-Provider iSd § 13 ECG klärt diese Entscheidung mangels Relevanz für das konkrete Verfahren nicht. Das Höchstgericht kommt hingegen zu dem Ergebnis, dass die Auskunftspflicht des § 18 Abs 4 ECG auf Anbieter von WebmailDiensten jedenfalls Anwendung finden muss. Es stellt klar, dass das ECG insoweit lückenhaft ist, als die in § 18 Abs 4 ECG geregelte Pflicht auf Diensteanbieter, die Dritten Informationen eines Nutzers zugänglich machen, aber als Access-Provider anzusehen sind und § 13 ECG unterliegen, nicht zur Anwendung kommt. Mit einer ähnlichen Begründung bejahte der OGH die analoge Anwendung des Auskunftsanspruches bereits für Telekommunikationsunternehmen, über deren öffentliches Kommunikationsnetz Mehrwertdienste angeboten werden (OGH 16. 3. 2002; 4 Ob 7/04i; RIS-Justiz RS0118691). Diesem Ergebnis ist zuzustimmen. Zweck der Bereitstellung eines Webmail-Dienstes ist es, vom Nutzer stammende Informationen einem Dritten zugänglich zu machen. Dabei kann es zu Rechtsverletzungen durch den Nutzer, wie etwa zur Übermittlung von nach § 1330 ABGB zu beanstandenden Informationen, kommen. Der Anbieter des Webmail-Dienstes kann von diesen Informationen aufgrund des Kommunikationsgeheimnisses des § 93 TKG keine Kenntnis haben und für diese daher auch nicht haften. Würde man einen Auskunftsanspruch nach § 18 Abs 4 ECG gegen den Anbieter des Webmail-Dienstes verneinen, hätte die von einer Rechtsverletzung betroffene Person keine Möglichkeit, gegen die Verletzung vorzugehen, wenn es an den für die Einordnung des Diensteanbieters als Host-Provider nach § 16 ECG erforderlichen Voraussetzungen fehlt. Es ist offensichtlich, dass die Bestimmung des § 18 Abs 4 ECG auf den Schutz betroffener Personen in bestimmten Situationen abzielt und diesen Schutz nicht von der Einordnung definitorischer Grenzfälle (wie etwa hinsichtlich der Speicherdauer von Informationen), sondern vom Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses, das Folge der Besonderheiten des elektronischen Verkehrs ist, in einer Situation, die der in § 18 Abs 4 ECG genannten entspricht, abhängig machen will. Aus diesem Grund ist vom Vorliegen einer Lücke innerhalb des ECG auszugehen und sind die analoge Anwendung der Bestimmung und damit die flexible Handhabung durch den OGH im Sinne des Rechtsschutzes zu begrüßen. Ungeachtet dessen wird der OGH zukünftig nicht umhinkommen, sich mit der Frage, ob der Anbieter eines Webmail-Dienstes als Host- oder als Access-Provider anzusehen ist, auseinanderzusetzen. Spätestens sobald ein solcher Diensteanbieter wegen durch ihn übermittelter Informationen in Anspruch genommen wird, wird diese Frage erneut aufgeworfen und vor das Höchstgericht getragen werden. jusit.lexisnexis.at
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Mit der positiven Beantwortung der Frage nach der Wesentlichkeit der begehrten Auskunft für die Rechtsverfolgung durch die Klägerin führt der OGH seine bisherige Rsp fort (RIS-Justiz RS0129335). Zu beachten gilt in Zukunft, dass § 18 ECG durch BGBl I 148/2020 durch einen neuen Abs 4a erweitert wurde, der mit 1. 1. 2021 in Kraft trat und normiert, dass ein Auskunftsanspruch nach § 18 Abs 4 ECG nunmehr im Verfahren außer Streitsachen geltend zu machen ist. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Anbieter eines Webmail-Dienstes der Informationspflicht nach § 18 Abs 4 ECG unterliegt und daher dazu verpflichtet ist, Dritten auf Verlangen Namen und Adresse eines Nutzers zu übermitteln, wenn jene ein überwiegendes rechtliches Interesse an der Feststellung der Identität des Nutzers und eines rechtswidrigen Sachverhalts sowie die Erforderlichkeit der Kenntnis dieser Informationen für die Rechtsverfolgung glaubhaft machen. Diese Pflicht besteht unabhängig davon, ob Anbieter vom Webmail-Diensten als Host-Provider iSd § 16 ECG oder als Access-Provider iSd § 13 ECG anzusehen sind, da die Bestimmung des § 18 Abs 4 ECG in jedem Fall – zumindest analog – anzuwenden ist. Bearbeiterin: Janine De Monte
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OGH: Kreditschädigung durch Vorwurf des Whistleblowing » jusIT 2021/10
ABGB: §§ 16, 1330 OGH 20. 5. 2020, 6 Ob 74/20f (Whistleblowing)
1. Ob eine Identifikation des Verbreiters einer inkriminierten Äußerung mit der veröffentlichten Meinung des Zitierten stattgefunden hat, richtet sich nach dem Verständnis des unbefangenen Durchschnittslesers. Für die persönliche Betroffenheit des Äußerungsempfängers ist eine Namensnennung nicht erforderlich. 2. Der eigentliche Bedeutungsgehalt des „anonymen Anzeigens“ oder „Whistleblowing“ liegt darin, dass ein ehemaliges oder noch aktives Mitglied bzw ArbeitnehmerInnen von Missständen in der Organisation erfahren und diese Informationen anschließend publik machen. 3. Der wahrheitswidrige (oder bloß unbewiesene) Vorwurf an die Adresse eines ehemaligen Vorstands, er hätte eine anonyme Strafanzeige (oder „Sachverhaltsdarstellung“) gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber aus Enttäuschung über seine Abberufung veranlasst, stellt eine kreditschädigende Äußerung dar. Denn eine Gefährdung, die mittelbar wirtschaftliche Nachteile jusit.lexisnexis.at
zur Folge haben kann, reicht für die Verwirklichung des Tatbestandes nach § 1330 Abs 2 ABGB aus. 4. Das Recht auf freie Meinungsäußerung in einem politischen Live-Interview kann eine Herabsetzung durch unwahre Tatsachenbehauptungen nicht rechtfertigen.
Anmerkung des Bearbeiters: Den Hintergrund des vorliegenden Rechtsstreits bildete die sog „Casag-Affäre“: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ermittelte rund um die (Neu-)Besetzung des Vorstands der Casinos Austria AG (kurz: „Casag“) im Mai 2019. Im Fokus stand dabei die Bestellung des FPÖ-Bezirksrats Peter Sidlo zum Finanzvorstand des Unternehmens. Am 13. 8. 2019 wurden mehrere Hausdurchsuchungen durchgeführt, in deren Zuge Dokumente, Daten und elektronische Speichermedien – darunter auch das Smartphone des früheren FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache – beschlagnahmt wurden. Dadurch wurden die Ermittlungen öffentlich bekannt und letztlich auch zum aktuellen Thema in den ORF Sommergesprächen, die mit dem späteren Beklagten am 19. 8. 2019 geführt wurden. Darin äußerte sich der ehemalige Verkehrsminister und damals wie heute Bundesparteiobmann der Freiheitlichen, Norbert Hofer, gegenüber dem Interviewer wie folgt: „Was mich dabei gestört hat, ist die Grundlage für diese Hausdurchsuchungen: Es war eine anonyme Anzeige. Jetzt haben wir gehört offenbar von einem Manager – SPÖnahe – der offenbar enttäuscht war, dass er den Job, den er gerne weiter hätte ausführen wollen, nicht mehr ausführen konnte.“ (abrufbar unter <youtube.com/watch?v=u3U-5KsMueQ>, ab Minute 4, 10‘ [15. 1. 2021]) Der spätere Kläger, KR Prof. Mag. D*** H****, selbst Vorstandsmitglied der Casag bis zur Übergabe im Mai 2019, erachtete sich durch diese Aussage angesprochen und beantragte im Sicherungswege die Unterlassung der Äußerung vom Beklagten gestützt auf § 1330 ABGB. Denn damit würde ihm als ehemaligem Casino Austria AG-Vorstand vorgeworfen, die anonyme Strafanzeige erstattet zu haben. Tatsächlich hatte er dies aber weder selbst getan noch irgendwie veranlasst. Der Kläger wäre daher einem falschen Verdacht ausgesetzt und ihm würden unredliche Motive unterstellt. Trotz der Unwahrheit hätte die Zeitung „Österreich“ in ihrer Print- und Onlineausgabe unter „Berufung auf namentlich nicht genannte Insider“ kolportiert, dass der Kläger als „Whistleblower“ die anonyme Anzeige zu verantworten hätte. Der Beklagte wendete ein, der inkriminierten Äußerung fehlte jeder konkrete Bezug zum Kläger; es handelte sich um ein zulässiges Werturteil in der politischen Debatte einer Live-Sendung. Der Vorwurf eines persönlich unehrenhaften Verhaltens wäre daraus jedenfalls nicht abzuleiten. Das Erstgericht erließ die einstweilige Verfügung; das OLG Wien bestätigte. Aufgrund des außerordentlichen Rechtsmittels des Beklagten hatte sich der OGH insb mit Fragen der Betroffenheit, aber auch mit dem Bedeutungsgehalt der (unrichtigen) Behauptung, jemand beginge Whistleblowing, zu befassen.
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Der 6. Senat wies den Revisionsrekurs zurück. Die persönliche Betroffenheit des Klägers ergab sich aus dem Gesamtzusammenhang der Berichterstattung über die Casag-Affäre, mit der ein unbefangener Durchschnittsleser vertraut wäre. Entscheidend war, dass nach dem Verständnis eines maßgeblichen Teils des von der Äußerung angesprochenen Publikums, wobei dieser Teil keineswegs mehr als 50 % ausmachen muss, davon auszugehen wäre, dass das Verfassen der anonymen Anzeige auch negativ verstanden wurde. Der eigentliche Bedeutungsgehalt des anonymen Anzeigens oder modern „Whistleblowing“ lag darin, dass ein ehemaliges oder noch aktives Mitglied bzw Arbeitnehmer von Missständen in seiner Organisation erfährt und diese Informationen anschließend publik macht. Der vorliegende Beschluss bildet den (vorläufigen) Endpunkt eines Sicherungsverfahrens, das erst im zweiten Rechtsgang entschieden wurde. Hervorzuheben ist die Deutlichkeit, mit welcher der OGH darauf hinweist, dass auch bloße Verdächtigungen nach stRsp (deutlich OGH 26. 4. 2018, 6 Ob 50/18y [Verdacht auf Parteienfinanzierung]) unter § 1330 Abs 2 ABGB fallen und diese Bestimmung auch gegen „verklausulierte“ oder bloß geschickte Formulierungen wirkungsvoll bleiben muss. Dafür stellt in der Praxis die individuelle Betroffenheit des potenziell Geschädigten das wesentliche Kriterium dar. Nennt der Äußernde – wie im Anlassfall – den Veranlasser der anonymen Anzeige bzw des Whistleblowing nicht namentlich, haftet er trotzdem dann, wenn er ihn nicht nennen muss, weil ohnehin für den Durchschnittsmedienkonsumenten klar ist, wer gemeint ist. Maßgeblich, aber auch ausreichend ist nur, wie das Publikum – zumindest aber ein nicht unbeträchtlicher Teil davon, der keineswegs mehr als 50 % ausmachen muss – die Äußerung auffasst und mit wem es den darin enthaltenen Vorwurf in Verbindung bringt. Die Äußerung, gegen den ehemaligen Arbeitgeber bzw die Organisation oder das Unternehmen eine anonyme Anzeige bei den zuständigen Behörden eingebracht zu haben, rückt den Betroffenen in der Tat in den Bereich des Whistleblowing oder des „Denunzierens“. Damit ist (immer noch) eine gewisse negative Konnotation verbunden. Wer Fehler in den eigenen Reihen aufzeigt, wird als „Nestbeschmutzer“ oder gar „Verräter“ gebrandmarkt und riskiert mitunter alles: Job, Reputation, im schlimmsten Fall sogar Familie und Freundeskreis (so Geiblinger, Whistleblower zeigen Zivilcourage! Reden ist Silber – ist Schweigen Gold?, CFOaktuell 2015, 118 mH zum Verständnis). Ausblick: Am 23. 12. 2020 wurde das Hass-im-Netz-Bekämpfungs-Gesetz (HiNBG, BGBl I 148/2020) kundgemacht. Es enthält in Art 9 Z 29 auch eine Änderung der Geltendmachung von Einziehungsansprüchen nach § 33a MedienG bei bestimmten Medieninhaltsdelikten. Die Regelung ist mit 1. 1. 2021 in Kraft getreten. Damit besteht nunmehr auch für Arbeit- oder Dienstgeber die Befugnis, eine medienrechtliche Einziehung (bzw bei Websites die Löschung) zu beantragen, wenn die inkriminierte Äußerung einen Mitarbeiter betrifft, aber eine derartige Intensität erreicht, die – vereinfacht – auch den Dienstgeber erheblich schädigen könnte. Der Arbeitgeber bedarf zur Antragstellung keiner Zustimmung des Dienstnehmers; eine Verpflichtung zur Gel-
tendmachung besteht aber nicht. Ferner wird ein Gleichklang der Aktivlegitimation zum Zivilrecht hergestellt, indem der Anwendungsbereich auf ehrenamtlich Tätige (etwa für Vereine oder NGO) sowie auf Organe einer Körperschaft (AG, GmbH) ausgeweitet wird (vgl zu § 1330 Abs 2 ABGB stRsp OGH 9. 1. 1990, 4 Ob 9/90 [Arbeitsunfall]). Zusammenfassend hat der OGH entschieden, dass der Vorwurf gegenüber einem Vorstandsmitglied, eine anonyme Anzeige gegen seine ehemalige Arbeitgeberin wegen betrieblicher Malversationen erstattet zu haben, also eine Art Whistleblowing begangen zu haben, durchaus Unterlassungs- und Schadenersatzansprüche wegen Kreditschädigung nach § 1330 Abs 2 ABGB auslösen kann. Bearbeiter: Clemens Thiele
E-COMMERCE/STRAFRECHT
OGH: Strafbarkeit der Bestellung von Falschgeld im Internet » jusIT 2021/11
StGB: §§ 12, 15, 34 Abs 1 Z 13 zweiter Fall, § 232 Abs 1 und Abs 2 StPO: §§ 23, 260 Abs 1 Z 1, § 281 StPO OGH 21. 7. 2020, 14 Os 56/20x (Blüten im Internet)
1. Die Bestellung von Falschgeld im Internet stellt grundsätzlich eine sozial auffällige Handlung dar, durch die das von § 232 Abs 2 StGB geschützte Rechtsgut der strafbaren Falschgeldverteilung, nämlich der Gewährträger Geld, unmittelbar gefährdet wird. 2. Die Online-Bestellung von „Blüten“ ist dann als ausführungsnahe Handlung zur Übernahme des Falschgelds zu beurteilen, wenn – nach der Vorstellung des Täters – durch die Bestellung ein Geschehensablauf in Gang gesetzt werden soll, in den der Täter nicht mehr eingreifen kann (oder muss) und der ex ante betrachtet bei normalem Verlauf ohne weitere Zwischenschritte zur Gewahrsamserlangung am gefälschten Zahlungsmittel führen soll. 3. Ob das Falschgeld zum Zeitpunkt der Bestellung (tatsächlich oder nach der Erwartung des Täters) bereits existiert, ist für die versuchte Übernahme nach §§ 15, 232 Abs 2 StGB nicht entscheidend.
Anmerkung des Bearbeiters: Der später wegen der Verbrechen der Falschgeldverteilung nach § 232 Abs 2 StGB und einer weiteren strafbaren Handjusit.lexisnexis.at
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lung angeklagte Jugendliche aus dem Burgenland hatte sich insgesamt zwölf Stück nachgemachte 50-Euro-Banknoten verschafft, indem er seinen (volljährigen) Freund zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt im Oktober 2018 zur Bestellung der Banknotenfälschungen im sog „Darknet“ bestimmte und dieser dann die Bestellung am 22. 10. 2018 in Wien tatsächlich vornahm. Beim „Darknet“ handelt es sich um einen versteckten Teil des Internet („Invisible Net“), dh, es ist unsichtbar für alle, die einen Standard-Browser wie zB Firefox, Google-Chrome, Apple-Safari oder Microsoft-Edge verwenden. Um Seiten im Darknet aufzurufen, benötigt der Nutzer einen ebenfalls frei downloadbaren Zusatz zum Browser (Plug-In), also eine besondere Software, die den Zugang zum sog „Tor-Netzwerk“ bietet, in dem das Darknet abläuft (instruktiv Handig, Darknet – Dunkle Winkel des Internets, ecolex 2014, 1073). Entgegen allgemeiner Annahmen sind ca 37,5 % des Darknet legal. Der zu berichtende Fall spielte aber in den verbleibenden 62,5 % der dunklen Seite des Netzes. Der jugendliche Täter konnte ausgeforscht werden, denn die georderten Falschgeldsendungen wurden bei Kontrollen im Postverteilerzentrum in Wien sichergestellt. Das Jugendschöffengericht verurteilte den Angeklagten wegen vollendeter Falschgeldübernahme vom Fälschungsbeteiligten oder Mittelsmann nach § 232 Abs 2 StGB. Gegen seine Verurteilung erhob die Generalprokuratur Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes. Ihrer Ansicht nach mangelte es an einer auf den Fälscher (oder seine Komplizen) zurückgehenden ununterbrochenen einvernehmlichen Erwerbskette. Vollendung der Tat wäre erst dann anzunehmen, wenn der Falschgeldvertreiber an zumindest einem Falsifikat Allein- oder Mitgewahrsam erlangt hat, sofern sein Vorsatz sämtliche Tatbildmerkmale umfasst und auf die anschließende Verteilung gerichtet ist (Schroll in Ratz/Höpfel [Hrsg], WK2 StGB § 232 Rz 17 ff, 28; Oshidari in Triffterer/Hinterhofer/Rosbaud [Hrsg], SbgK § 232 Rz 50 ff [76]). Der OGH hatte sich daher letztlich mit der Abgrenzung von Versuch und Vollendung iZm § 232 StGB bei der Bestellung von Blüten im Darknet zu befassen. Der 14. Strafsenat gab der Beschwerde Folge, hob das Urteil auf und trug dem LG Eisenstadt eine neuerliche Verhandlung und Entscheidung auf. Die strafbare Geldfälschung in der Variante nach § 232 Abs 2 StGB wird nach Ansicht des OGH durch die Übernahme, also die Erlangung eigener Verfügungsgewalt oder (zumindest) eigenen (Mit-)Gewahrsams über Falschgeld, ausgeführt. Das Schöffengericht hat Feststellungen zur inneren Tatseite des Jugendlichen über die Automatik des Tatablaufs von der Bestellung von Falschgeld im Internet bis zu dessen (verhinderter) Auslieferung der Blüten an den Angeklagten vermissen lassen. Dem vorliegenden Urteil ist in Begründung und Ergebnis vollinhaltlich beizupflichten. Der OGH stärkt damit das differenzierte Gewährschaftsträgerprinzip, das nunmehr als von §§ 232 ff StGB geschütztes allgemeines Rechtsgut anerkannt ist, im Gegensatz zum überkommenen allgemeinen Vertrauen auf die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Zahlungs- oder Wertpapierverkehrs (vgl früh bereits Thiele, Der strafrechtliche Wertjusit.lexisnexis.at
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papierbegriff – Betrachtungen de lege lata und de lege ferenda, ÖJZ 1998, 212 mwH). Ausblick: Bemerkenswert ist, dass der 14. Strafsenat – dankenswerterweise – eine weitere, von der Generalprokuratur gar nicht aufgegriffene Rechtsfehlerhaftigkeit offengelegt hat. Im weiteren Verfahren wird das erstinstanzliche Gericht den Milderungsgrund von § 34 Abs 1 Z 13 zweiter Fall StGB infolge Annahme vollendeter statt versuchter Bestimmung (stRsp seit OGH 3. 5. 2007 12 Os 119/06a, vS, JBl 2008, 401 [Burgstaller]) zu berücksichtigen haben. Dies führt zu einer erheblichen Reduktion der in Anwendung des JGG auszumessenden Sanktion zugunsten des Angeklagten (vgl OGH 29. 6. 2004, 11 Os 59/04). Zusammenfassend hat der OGH entschieden, dass Bestellung von Falschgeld im Internet als Geldfälschung nach § 232 Abs 2 StGB strafbar ist, die nach § 15 StGB als Versuch gilt, wenn die georderten Falsifikate bei Kontrollen im Postverteilerzentrum aus dem Verkehr gezogen werden. Bearbeiter: Clemens Thiele
BGH-REPORT
BGH-Report: Marktmissbrauch bei Durchsetzung nachteiliger Nutzungsbedingungen durch Facebook » jusIT 2021/12
BGH 23. 6. 2020, KVR 69/19
1. Die Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung setzt bei einem Konditionenmissbrauch nach § 19 Abs 1 GWB nicht stets einen Kausalzusammenhang zwischen der Marktbeherrschung und dem missbilligten Verhalten (Verhaltenskausalität) voraus. Ein kausaler Zusammenhang zwischen der Marktbeherrschung und dem Marktergebnis (Ergebniskausalität) kann genügen, wenn aufgrund der besonderen Marktbedingungen das Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens zu Marktergebnissen führt, die bei funktionierendem Wettbewerb nicht zu erwarten wären, und zudem das beanstandete Verhalten nicht nur eine Ausbeutung darstellt, sondern gleichzeitig auch geeignet ist, den Wettbewerb zu behindern. 2. Ein solcher kausaler Zusammenhang zwischen Marktbeherrschung und Marktergebnis kann bei zweiseitigen Plattformmärkten insb dann gegeben sein, wenn die Ausbeutung auf der einen Marktseite durch den Intermediär zugleich geeignet ist, den Wettbewerb auf dem beherrschten Markt sowie auf der anderen Marktseite zu beeinträchtigen.
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3. Bedingt sich der marktbeherrschende Betreiber eines sozialen Netzwerks in den Nutzungsbedingungen aus, dem Nutzer ein „personalisiertes Erlebnis“ bereitzustellen, für dessen Inhalt personenbezogene Daten des Nutzers verwendet werden, die durch die Erfassung des Aufrufs von Internetseiten außerhalb des sozialen Netzwerks gewonnen werden, kann hierin die missbräuchliche Ausnutzung seiner marktbeherrschenden Stellung liegen. (Leitsätze des BGH)
Anmerkung der Bearbeiter: Die verschiedenen Aktivitäten von Facebook, oftmals als „Datenkrake“ bezeichnet, sind regelmäßig Gegenstand rechtlicher Diskussionen und gerichtlicher Entscheidungen in Deutschland (Schröder/Schwanebeck, Big Data – In den Fängen der Datenkraken2 [2019]). Facebook wird insb vorgeworfen, die Daten der Nutzer umfassend auszuwerten und zu Werbezwecken zu verwenden. In den von Facebook verwendeten Nutzungsbedingungen ist dabei auch die Verarbeitung und Verwendung von Nutzerdaten vorgesehen, die unabhängig von der Nutzung der Facebook-Plattform anfallen. Facebook bezieht sich dabei auf die Nutzung weiterer eigener Dienste wie Instagram oder WhatsApp und die übergreifende Auswertung von Daten, etwa über Custom Audience oder bei der Nutzung des Buttons „Gefällt mir“. Selbst wenn sich Facebook nach außen oftmals als neutrale Kommunikationsplattform präsentiert, erfolgt die Finanzierung maßgeblich durch die Schaltung von möglichst attraktiver Werbung. Je mehr Daten Facebook hierzu zur Verfügung stehen, desto besser wird die Qualität der Werbung und desto mehr Profit kann das Unternehmen hieraus ziehen. In diesem Kontext ist auch der Beschluss des BGH zu sehen, der im Ergebnis eine Entscheidung des Bundeskartellamtes (BKartA) bestätigt, wonach zumindest vorläufig die Verwendung von Nutzungsbedingungen über die Zusammenführung der Daten aus verschiedenen Diensten untersagt wurde. Sachverhalt: Facebook bietet privaten NutzerInnen im Rahmen der Nutzung des sozialen Netzwerkes eine Reihe von Funktionen an, über die sich Inhalte veröffentlichen lassen und mittels derer mit anderen Personen kommuniziert werden kann. Der Dienst steht den NutzerInnen kostenfrei zur Verfügung; maßgeblich finanziert wird das soziale Netzwerk durch Online-Werbung. Zum einen vermarktet Facebook die Werbung auf den eigenen Seiten, zum anderen können Unternehmen anhand verschiedener Programmierschnittstellen, die von Facebook bereitgestellt werden, auch eigene Internetseiten oder Anwendungen mit Facebook-Seiten verknüpfen. Die Verknüpfung erfolgt insb durch die Buttons „Gefällt mir“ und „Teilen“ sowie bei Nutzung der Optionen, Kommentare abzugeben und sich direkt aus einer Webseite von Dritten bei Facebook einzuloggen. Über von Facebook angebotene Mess- und Analysetools kann der Erfolg der Werbung eines Unternehmens genau gemessen und analysiert werden. Dabei wird nicht nur das Verhalten der privaten NutzerInnen auf der Facebook-Plattform an sich erfasst, sondern über entsprechende Schnittstellen, wie bspw Face-
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book Pixel, auch der Aufruf von Drittseiten, ohne dass der Nutzer hierfür Facebook-Inhalte aktiv nutzen muss. Über die analytischen und statistischen Funktionen von „Facebook Analytics“ erhalten Unternehmen dann aggregierte Daten darüber, wie FacebookNutzerInnen über verschiedene Geräte, Plattformen und Internetseiten hinweg mit den jeweils angebotenen Diensten interagieren. Die Einrichtung des Facebook-Kontos setzt zwingend voraus, dass der Nutzer den Nutzungsbedingungen von Facebook zustimmt. Diese sehen ua vor, dass Facebook jedem Nutzer ein sog „personalisiertes Erlebnis“ bereitstellt, für das die personenbezogenen Daten des Nutzers verwendet werden, die Facebook zur Verfügung stehen. Hierbei sind auch die Daten gemeint, die sich aus der Nutzung anderer konzerneigener Dienste sowie aus sonstigen Internetaktivitäten der NutzerInnen außerhalb der Plattform ergeben. Die Nutzungsbedingungen nehmen hierbei lediglich auf eine Datenrichtlinie Bezug, in der ua erläutert wird, dass die vom Nutzer bereitgestellten Informationen und Geräteinformationen für alle benutzten „Facebook-Produkte“ einschließlich der über „Facebook Business Tools“ übersandten Informationen der „Facebook-Partner“ erfasst und miteinander verbunden werden. Die Datenrichtlinie verweist wiederum auf eine FacebookCookie-Richtlinie, die die Mitteilung enthält, dass Facebook seitenbezogene Cookies auf dem Nutzergerät platziert und so Informationen erhalten kann, die dort gespeichert werden, wenn der Nutzer Facebook-Seiten oder Internetseiten von anderen Unternehmen, die Facebook Business Tools nutzen, aufruft. Verfahrensgang: Das BKartA hat nach drei Jahren Ermittlung Facebook im Februar 2019 untersagt, die in den Nutzungsbedingungen angelegte umfangreiche Verwendung von Nutzerdaten ohne hinreichende Einwilligung der privaten Nutzer zu verarbeiten (BKartA 6. 2. 2019, B6-22/16). Das BKartA stellte zunächst fest, dass Facebook auf dem nationalen Markt für private soziale Netzwerke marktbeherrschende Stellung besitze und somit der kartellrechtlichen Missbrauchskontrolle gem § 19 GWB unterliegt, wonach die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung durch ein oder mehrere Unternehmen verboten ist. An dieses Verbot sind zahlreiche Sanktionen geknüpft, die das BKartA verhängen kann, wie etwa Bußgelder oder eine Untersagung des Geschäftsbetriebs. Das BKartA sah hier in der Verwendung der Nutzungsbedingungen einschließlich der in Bezug genommenen Richtlinien einen Verstoß gegen das Missbrauchsverbot. Bei der Bewertung bezog das BKartA eine datenschutzrechtliche Bewertung ein und stellte auf dieser Basis fest, dass der Verstoß gegen die Datenschutzbestimmungen ein Ausfluss von Marktmacht sei und damit einen kartellrechtswidrigen Ausbeutungsmissbrauch darstelle. Mittels der Verbotsverfügung vom 6. 2. 2019 wurde Facebook über das Verbot der Verwendung der Nutzungsbedingungen hinaus auch die entsprechende Nutzung der Daten untersagt sowie Maßnahmen zur Abstellung des Verstoßes festgelegt. Gegen den Beschluss legte Facebook Beschwerde ein, über die das zuständige Oberlandesgericht Düsseldorf in der Hauptsache noch nicht entschieden hat. Auf Antrag von Facebook hatte das Beschwerdegericht jedoch gem § 65 Abs 1 Satz 3 iVm Satz 1 Nr 3 GWB die aufschiebende Wirkung der Beschwerde angeordjusit.lexisnexis.at
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net (Beschluss vom 26. 8. 2019, VI-Kart 1/19 [V]). So erreichte Facebook, dass der Beschluss des BKartA vorerst nicht vollziehbar ist und der Verfügung erst dann nachzukommen ist, wenn eine Entscheidung in der Hauptsache getroffen wurde, was noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Das Beschwerdegericht begründete seine Entscheidung mit Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Verbotsverfügung. Es vertrat die Ansicht, dass eine strenge Kausalität notwendig sei, um von außerkartellrechtlichen Rechtsverstößen auf einen kartellrechtswidrigen Ausbeutungsmissbrauch schließen zu können. Eine solche strenge Kausalität zwischen einem Datenschutzverstoß und der damit einhergehenden Ausbeutung sei hier nicht feststellbar. Zur Begründung wurde vor allem darauf abgestellt, dass die Nutzer sich freiwillig bei Facebook registrieren. Die Einwilligung in die Datenverarbeitung der Nutzer sei das Ergebnis einer selbstbestimmten Abwägung und erfolge weder mangels Alternativen auf dem Markt noch aufgrund einer Zwangssituation, die auf Facebooks Marktmacht zurückzuführen sei. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts beruht eine etwaige Unkenntnis über den Inhalt der Nutzungsbedingungen vielmehr bei lebensnaher Würdigung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf Gleichgültigkeit oder Bequemlichkeit der Nutzer. Das Oberlandesgericht führt weiter aus, für die Annahme eines Ausbeutungsmissbrauchs nach § 19 Abs 2 Nr 2 GWB fehlten Feststellungen des BKartA, dass die Nutzungsbedingungen von denjenigen abwichen, die sich beim wirksamen Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben würden. Darüber hinaus könne mangels Feststellungen zum Marktwert der durch die Nutzungsbedingungen gewonnenen Mehrdaten eine Ausbeutung auch nicht unter dem Aspekt einer übermäßigen Preisgabe von Daten bejaht werden. Der Kartellsenat des BGH hat dagegen auf die Rechtsbeschwerde des BKartA hin die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben und den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde abgelehnt (BGH 23. 6. 2020, KVR 69/19). Das Höchstgericht setzt sich dabei mit den wesentlichen datenschutzrechtlichen Fragen im kartellrechtlichen Kontext auseinander. Der BGH führt dazu aus, dass weder ernsthafte Zweifel an der marktbeherrschenden Stellung von Facebook auf dem deutschen Markt für soziale Netzwerke bestehen noch daran, dass Facebook eben diese Stellung mit den vom Kartellamt untersagten Nutzungsbedingungen missbräuchlich ausnutzt. Dabei geht der BGH von vornherein darauf ein, dass die vom Kartellamt in den Vordergrund gerückte Frage, ob die Verarbeitung und Nutzung von personenbezogenen Daten der Facebook-Nutzer, die aus deren Nutzung des Internets außerhalb von facebook.com und unabhängig von einem Facebook-Login entstehen, mit den Vorschriften der DSGVO in Einklang steht, nicht maßgeblich ist. Nach Ansicht des Kartellsenats ist vielmehr entscheidend, dass die Nutzungsbedingungen missbräuchlich sind, wenn sie den privaten Facebook-Nutzern keine Wahlmöglichkeit lassen. Nach Auffassung des BGH muss den Nutzern die Wahl ermöglicht werden, ob sie das Netzwerk mit einer intensiveren Personalisierung des Nutzungserlebnisses verwenden wollen, die mit einem potenziell unbeschränkten Zugriff auch auf Aktivitäten außerhalb des Portals durch Facebook verjusit.lexisnexis.at
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bunden ist, oder ob sie sich nur mit einer Personalisierung einverstanden erklären wollen, die auf den Daten beruht, die sie auf dem Portal selbst preisgeben. Der BGH unterstützt in seinem Beschluss die Auffassung des BKartA in der Hinsicht, dass aus der fehlenden Wahlmöglichkeit der Facebook-Nutzer nicht nur die persönliche Autonomie und die Wahrung des auch durch die DSGVO geschützten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung verletzt werden. Vor dem Hintergrund der hohen Wechselhürden und Bindungseffekte, die für Nutzer des Netzwerks bestehen („Lock-in-Effekte“), stellt sie vielmehr auch eine kartellrechtlich relevante Ausbeutung der Nutzer dar, weil der Wettbewerb wegen der marktbeherrschenden Stellung von Facebook seine Kontrollfunktion nicht mehr wirksam ausüben kann. Der hohe Bindungseffekt führt letztlich dazu, dass die Nutzer eher bereit sind, mit der Nutzung des sozialen Netzwerks verbundene Nachteile – insb auch solche, die für den Werbemarkt vorteilhaft sind – in Kauf zu nehmen. Das BKartA stellte in seinen Untersuchungen fest, dass erhebliche Teile der privaten Nutzer sich einen geringeren Umfang der Preisgabe persönlicher Daten wünschen. Bei funktionierendem Wettbewerb auf dem Markt sozialer Netzwerke wäre ein entsprechendes Angebot zu erwarten. Hierauf könnten Nutzer ausweichen, für die der Umfang der Datenpreisgabe ein wesentliches Entscheidungskriterium wäre. Der BGH greift die Auffassung des Beschwerdegerichts hinsichtlich der angeblich freiwilligen und autonomen Entscheidung der Nutzer dahin gehend an, dass auf diese Weise ein Missbrauch nicht verneint werden könne. Dies folge daraus, dass das Interesse derjenigen Nutzer, die auf die Benutzung des sozialen Netzwerks nicht verzichten wollen und dennoch eine Beschränkung der Datenverarbeitung auf das erforderliche Maß wünschen, unberücksichtigt bliebe. Vielmehr wird ihnen nämlich ein Leistungsinhalt aufgedrängt, den sie möglicherweise nicht wünschen und für den sie jedenfalls nicht den Zugriff von Facebook auf personenbezogene Daten in Kauf nehmen möchten, die sie Facebook nicht zur Verfügung gestellt haben. Nach Auffassung des BGH kann auch nicht von einer vollkommen entgeltfreien Nutzung des Dienstes gesprochen werden. Eben weil die Werbung vorzugsweise auf die Nutzer zugeschnitten ist, ermöglichen erst sie diese „Quersubventionierung“ durch ihre personenbezogenen Daten, die Facebook auf der anderen Marktseite monetarisieren kann. Weiter ist zu berücksichtigen, dass sich die Nutzbarkeit der Daten und ihr Wert mit ihrer Kombination und der Verknüpfung zu Mustern noch steigern lässt. Der BGH stellt klar, dass die Erwägungen des Beschwerdegerichts dahin gehend, dass Nutzer nicht gehindert seien, ihre Daten beliebig oft beliebig vielen Unternehmen zur Verfügung zu stellen, den wirtschaftlichen Kern der Datenpreisgabe durch die Nutzer verfehle. Im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung für die Annahme der Ausnutzung der eigenen marktbeherrschenden Stellung verweist der BGH auf die datenschutzrechtlichen Vorgaben, indem er auf die fehlende Wahlmöglichkeit und die damit verbundene fehlende persönliche Autonomie sowie auf die Wahrung des verfassungsrechtlich garantierten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung eingeht. Dieses erfordere nämlich gerade iZm der
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erheblichen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedeutung der Kommunikation im Internet – angesichts des Umfangs und der Tiefe der anfallenden Daten – in besonderem Maße einen Schutz der Nutzer vor Ausbeutung. An dieser Stelle geht der BGH weiter darauf ein, dass das informationelle Selbstbestimmungsrecht jedenfalls dem Einzelnen die Möglichkeit gewährleiste, in differenzierter Weise darauf Einfluss zu nehmen, in welchem Kontext und auf welche Weise die eigenen Daten anderen zugänglich gemacht und von ihnen genutzt werden. Diese grundrechtliche Gewährleistung sei vorliegend auch bei der Auslegung von § 19 GWB heranzuziehen. Im konkreten Fall sei die Schutzwirkung auch nicht in einem geringeren Maß zu beurteilen, da dem privaten Unternehmen aufgrund seiner dominanten Position und der Tatsache, dass es die Bereitstellung der Rahmenbedingungen öffentlicher Kommunikation schon selbst übernimmt, eine Grundrechtsbindung, vergleichbar zu der des Staates, im Ergebnis nahe- oder gar gleichkommt. Insoweit können laut BGH auch hier strenge Anforderungen an die Anknüpfung an Zweck und Zweckbindung – insb in Wechselwirkung mit Einwilligungserfordernissen – geeignete und möglicherweise verfassungsrechtlich gebotene Mittel zum Schutz der informationellen Selbstbestimmung sein. Dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung stehe die DSGVO auch nicht entgegen, da die deutschen Gerichte gem Art 1 Abs 3 und Art 20 Abs 3 GG immer auch die Grundrechte des Grundgesetzes zur Anwendung zu bringen haben, soweit das Unionsrecht den Mitgliedstaaten Gestaltungsspielräume belässt. Facebook hat zutreffend darauf hingewiesen, dass durch die datenschutzrechtlichen Vorgaben nicht ein bestimmter Vertragsinhalt vorgegeben wird. Über die Frage, ob ein Leistungsinhalt, aus dem sich die Erforderlichkeit der Erfassung und Verarbeitung bestimmter Daten ergeben kann, wirksam vereinbart werden kann, entscheiden deshalb nicht die datenschutzrechtlichen Vorgaben. Der BGH stellt aber klar, dass die datenschutzrechtlichen Wertungen, ebenso wie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, bei einer gebotenen Interessenabwägung an Bedeutung gewinnen. Hierbei verweist der BGH ua darauf, dass die Einwilligung nach Art 6 Abs 1 lit a DSGVO unter Berücksichtigung von Art 7 Abs 4 DSGVO und ErwGr 43 Satz 2 HS 2 DSGVO nicht als „freiwillig“ erteilt angesehen werden kann, wenn die Erfüllung eines Vertrages von der Einwilligung abhängig ist, obwohl diese Einwilligung für die Erfüllung nicht erforderlich ist. Im Rahmen der Interessenabwägung stellt der Kartellsenat fest, dass der durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleistete Schutz ebenso wie die Bindung der Datenverarbeitung an die Erforderlichkeit zur Vertragserfüllung erheblich beeinträchtigt seien, „wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen die Bedeutung des Zugangs zu seinem sozialen Netzwerk uneingeschränkt dazu ausnutzen könnte, durch die Definition seines Leistungsangebots den Umfang der zulässigen Datenverarbeitung unter Hintanstellung der Nutzerinteressen allein an seinem Interesse an der Vermarktung eines durch die Internetnutzung innerhalb und außerhalb von Facebook generierten Bestandes personenbezogener Daten seiner Nutzer auszurichten und über das für die Benutzung des sozialen Netzwerks erforderliche Maß auszuweiten“. Weiter führt der BGH aus, dass an der Überle-
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gung, den Betroffenen vor einer willkürlichen Ausweitung der Leistung zu schützen, auch datenschutzrechtliche Überlegungen anknüpfen, die vertragscharakteristische Leistung möglichst eng zu fassen und auf den eigentlichen Kern der vom Betroffenen gewollten Leistung zu reduzieren. Facebook hat nach der Entscheidung des BGH am 30. 11. 2020 beim Beschwerdegericht erneut einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gestellt. Das Beschwerdegericht ordnete mit einem sog „Hängebeschluss“ vom selben Tag die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegen die Missbrauchsverfügung des BKartA vorläufig bis zu seiner Entscheidung über den zweiten Eilantrag an. Damit wurde die Verpflichtung von Facebook einstweilen ausgesetzt, die Anordnungen des BKartA umzusetzen. Die Rechtsbeschwerde gegen diese Entscheidung ließ das Beschwerdegericht nicht zu. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des BKartA hin ließ allerdings der Kartellsenat des BGH die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss zu, sodass der BGH erneut in der Angelegenheit entscheiden muss, wenn auch wieder (nur) bezogen auf den vorläufigen Rechtsschutz. Ausblick: Die Feststellung, dass Facebook seine Marktmacht ausnutzt, um auf diese Weise sehr weitgehende Rechte zur Datenverarbeitung gegenüber den NutzerInnen durchzusetzen, ist unabhängig vom weiteren Verfahrensgang ein deutliches Zeichen. Es ist nicht zu erwarten, dass der BGH von dieser Einschätzung in einem etwaigen Hauptsacheverfahren abrücken wird, da dafür die Bewertung zu klar erfolgt ist (vgl auch Tribess, GWR 2020, 422). Die Entscheidung deckt sich dabei auch mit dem wesentlichen Ziel der DSGVO, große international agierende Konzerne stärker in die Verantwortung zu nehmen. Die Argumentation des BGH dürfte sich auf andere Anbieter von digitalen Angeboten übertragen lassen, die in ihren Bereichen eine vergleichbare Stellung wie Facebook haben und oftmals in ähnlicher Weise versuchen, die Nutzung ihrer Angebote von umfassenden Zustimmungen zur Datennutzung abhängig zu machen (kritisch insoweit Thiede, EuZW 2020, 989, 990). Selbst wenn es sich bei der BGH-Entscheidung „nur“ um einen Beschluss im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes handelt, der „lediglich“ die Wertungen des Datenschutzrechts im Rahmen der Interessenabwägung heranzieht, geht der BGH umfassend und ausführlich auf die Vorgaben der DSGVO ein, die für das kartellrechtliche Verfahren von Relevanz sind. So arbeitet der Gerichtshof heraus, inwiefern die NutzerInnen der Plattform in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung aufgrund der mangelnden Wahlmöglichkeit betroffen sind. Der BGH stellt mit überraschender Klarheit fest, dass Facebook durch die Verwendung seiner bisherigen Nutzungsbedingungen, die den NutzerInnen nach der „Ganzoder-gar-nicht-Mentalität“ vorgelegt werden, diese missbräuchlich ausbeutet. Eben die fehlende „echte“ Wahlmöglichkeit stellt aufgrund der sog „Lock-in-Effekte“, dh der hohen Wechselhürden für die Netzwerknutzer, und der mangelnden Konkurrenz eine kartellrechtlich relevante Ausbeutung der NutzerInnen dar, die sich auch nicht anhand der DSGVO rechtfertigen lässt. Besonders interessant sind die Ausführungen des BGH zu der Frage, ob eine Einwilligung zur Nutzung eines Dienstes als freiwillig anzusehen jusit.lexisnexis.at
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ist, wenn als Gegenleistung zwar kein Geld verlangt wird, man als Nutzer aber nicht umhinkommt, Daten in einem mehr oder weniger großen Umfang preiszugeben. Zusammenfassung: Facebook missbraucht seine marktbeherrschende Stellung durch die Verwendung seiner Nutzungsbedingungen, wenn es von seinen NutzerInnen eine sehr umfassende Freigabe der eigenen Daten zur Nutzung durch Facebook als verpflichtende Voraussetzung für die Registrierung und Nut-
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zung seine eigenen Dienste verlangt. Es kommt dabei nicht darauf an, ob die vorgesehene Gestaltung datenschutzrechtlich zulässig ist. Im Rahmen der kartellrechtlichen Bewertung ist es für die Unzulässigkeit ausreichend, dass die NutzerInnen deshalb die Nutzungsbedingungen akzeptieren, weil es keine alternativen Angebote neben Facebook gibt. Bearbeiter: Sebastian Meyer/Félix Paul
DATENSCHUTZ & E-GOVERNMENT Mag. Sarah Heiml/Dr. Max Hofmann • Universität Linz, Institut für Verwaltungsrecht und Verwaltungslehre
Zur Befassungs- und Unterrichtungspflicht der Datenschutzbehörde » jusIT 2021/13
Datenschutz, Datenschutzbehörde, Datenschutzverletzung, Beschwerdeverfahren, Unterrichtungspflicht, Befassungspflicht, Säumnisbeschwerde, Verhaltensbeschwerde
Die Datenschutzbehörde muss den Beschwerdeführer über den „Fortgang und das Ergebnis der Untersuchung“ unterrichten. Diese Pflicht bildet ein unionsrechtliches Spezifikum und besteht selbstständig neben der Pflicht zur Entscheidung. Der Beitrag widmet sich diesen in Art 57 Abs 1 lit f DSGVO bezeichneten Aufgaben der Datenschutzbehörde im Beschwerdeverfahren und dem Rechtsschutz im Fall ihrer Untätigkeit.
1.
Einleitung
Mit der EU-Datenschutz-Grundverordnung1 wurde das Datenschutzrecht grundlegend novelliert und unionsweit vereinheitlicht. Wer einen Verstoß gegen die rechtmäßige Verarbeitung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten behauptet, hat nach Art 77 Abs 1 DSGVO das Recht zur Beschwerde.2 Diese ist
VO (EU) 2016/679: Art 57 Abs 1 lit f, Art 77 Abs 2, Art 78 Abs 2; DSG: § 24; B-VG: Art 130 Abs 1 Z 3, Art 130 Abs 2 Z 1; VwGVG: § 53
vor der zuständigen Aufsichtsbehörde zu erheben, die jeder Mitgliedstaat vorzusehen hat.3 In Österreich ist hiefür die Datenschutzbehörde (im Folgenden: DSB) eingerichtet.4 Für das Beschwerdeverfahren bezeichnet Art 57 Abs 1 lit f DSGVO spezifische Aufgaben, welche von der DSB wahrzunehmen sind. Explizit verpflichtet dieser die DSB dazu, (1.) sich mit der eingebrachten Beschwerde zu befassen, (2.) den Gegenstand der Beschwerde in angemessenem Umfang zu untersuchen und (3.) den Beschwerdeführer innerhalb einer angemessenen Frist über den Fortgang und das Ergebnis der Untersuchung zu unterrichten. Die Beschwerde nach Art 77 DSGVO ist damit zu einem Instrument des subjektiven Rechtsschutzes ausgebaut worden.5 Denn im Gegensatz zur alten Rechtslage ist die DSB nunmehr von Unionsrechts wegen verpflichtet, die Sache zu prüfen und zu entschei-
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VO (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung), ABl L 2016/119, 1 (im Folgenden: DSGVO). Die Beschwerde nach Art 77 DSGVO ist nunmehr als einheitliches Rechtsmittel vor der DSB ausgestaltet; vgl zur alten Rechtslage näher Jahnel, Datenschutzrecht – Update (2016) 147 ff.
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Art 51 Abs 1 DSGVO; laut ErwGr 141 DSGVO hat die betroffene Person ihre Beschwerde „bei einer einzigen Aufsichtsbehörde insbesondere in dem Mitgliedstaat ihres gewöhnlichen Aufenthalts“ zu erheben. Vgl näher Heiml/Mayrhofer, Die österreichische Datenschutzbehörde als DSGVO-Aufsichtsbehörde, in Baumgartner (Hrsg), Jahrbuch Öffentliches Recht 2019 (2019) 165; vgl auch Souhrada-Kirchmayer, Das DatenschutzAnpassungsgesetz 2018 und die DSG-Novellen 2018, in Baumgartner (Hrsg), Jahrbuch Öffentliches Recht 2018 (2018) 55 (71 f). So auch Nemitz in Ehmann/Selmayr (Hrsg), Kommentar zur DS-GVO2 Art 77 DSGVO Rz 12 (2018).
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den.6 Dies ist soweit unstrittig. Allerdings folgert die hA7 die Entscheidungspflicht der DSB aus deren Pflicht, über „das Ergebnis der Untersuchung zu unterrichten“ (Unterrichtungspflicht), anstatt diese aus der Pflicht, sich mit der Beschwerde zu befassen (Befassungspflicht), abzuleiten. Die hA lässt damit eine klare Abgrenzung beider Pflichten voneinander vermissen und interpretiert über deren jeweiligen Normgehalt hinweg. Dieser Beitrag widmet sich sohin einer differenzierenden Betrachtung des im Beschwerdeverfahren vor der DSB bestehenden Aufgabenregimes. In der Folge gilt der Blick den damit im Zusammenhang stehenden Fragen datenschutzbehördlicher Untätigkeit.
2.
Befassungspflicht
Art 57 Abs 1 lit f erster Fall DSGVO legt fest, dass die DSB „sich mit der eingebrachten Beschwerde zu befassen“ hat.8 Die Bestimmung normiert weiters, dass die DSB „den Gegenstand der Beschwerde in angemessenem Umfang untersuchen“ muss. Sinnvollerweise kann Art 57 Abs 1 lit f zweiter Fall DSGVO nur als Präzisierung der Aufgabe, sich mit der Beschwerde zu befassen, verstanden werden.9 Die Befassung beinhaltet Tatsachenfeststellungen ebenso wie rechtliche Beurteilungen. Die DSB nimmt diese Aufgabe gegenstandsbezogen wahr: Das Ausmaß der Untersuchung hängt vom behaupteten Verstoß ab (arg: „angemessen“). In diesem Sinne hält auch ErwGr 141 DSGVO fest, dass auf den Einzelfall abzustellen ist.10 Die anzuwendenden Mittel richten sich nach der Eignung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit.11 Die in Art 57 Abs 1 lit f DSGVO bezeichnete Aufgabe, sich mit der Beschwerde zu befassen, stellt eine Pflicht dar. Dies ergibt sich aus Art 78 Abs 2 DSGVO, der einen entsprechenden Rechts-
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Die Vorgängerbestimmung des Art 28 Abs 3 DS-RL sah lediglich Befugnisse vor: Untersuchungsbefugnisse, wirksame Einwirkungsbefugnisse, ein Klagerecht und eine Anzeigebefugnis. 7 Vgl etwa Sydow in Sydow (Hrsg), Kommentar zur Europäischen Datenschutzgrundverordnung2 Art 77 DSGVO Rz 32 ff (2018); Körffer in Paal/ Pauly (Hrsg), DS-GVO/BDSG-Kommentar2 Art 77 DSGVO Rz 5 ff (2018); Bergt in Kühling/Buchner (Hrsg), DS-GVO/BDSG-Kommentar2 Art 77 DSGVO Rz 22 (2018); Schumacher in Rücker/Kugler (Hrsg), New European General Data Protection Regulation (2018) Rz 818; Becker in Plath (Hrsg), DSVGO/ BDSG-Kommentar3 Art 77 DSGVO Rz 11 (2018); ebenso Wlk-Rosenstingl in Knyrim (Hrsg), DatKomm Art 57 DSGVO Rz 14 (Stand 1. 10. 2018, rdb.at); Skorjanc/Berisha, Rechtsdurchsetzung durch die betroffenen Personen, in Forgó (Hrsg), Grundriss Datenschutzrecht (2019) Rz 41; so zu verstehen auch Pötters/Werkmeister in Gola (Hrsg), Datenschutz-Grundverordnung2 Art 78 DSGVO Rz 19 (2018); Nguyen in Gola (Hrsg), Datenschutz-Grundverordnung2 Art 57 DSGVO Rz 9 (2018); von Lewinski in Eßer/Kramer/von Lewinski (Hrsg), DSGVO/BDSG-Kommentar6 Art 77 DSGVO Rz 14 (2018); sowie Mantz/Marosi, Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung, in Specht/ Mantz (Hrsg), Handbuch Europäisches und deutsches Datenschutzrecht (2019) Rz 202 und 239. 8 Dies setzt freilich voraus, dass die DSB für die Beschwerde sachlich und örtlich zuständig ist, andernfalls hat sie mit Bescheid zurückzuweisen. 9 Zu den Untersuchungsbefugnissen der DSB siehe Art 58 Abs 1 DSGVO. 10 „Die auf eine Beschwerde folgende Untersuchung sollte vorbehaltlich gerichtlicher Überprüfung so weit gehen, wie dies im Einzelfall angemessen ist.“ 11 Vgl auch Becker in Plath3 Art 77 DSGVO Rz 8; auf den Aspekt „grundsätzlicher datenschutzrechtlicher Bedeutung“ abstellend, Nguyen in Gola2 Art 57 DSGVO Rz 9.
behelf gewährt, wenn die DSB „sich nicht mit der Beschwerde befasst“. Naturgemäß beinhaltet die Pflicht zur Befassung auch eine Pflicht der DSB zum Tätigwerden.12 Allerdings ist der Pflicht zur Befassung nicht zwangsläufig eine Pflicht zur Entscheidung inhärent. Teleologisch ist eine solche jedoch konsequenterweise abzuleiten: Dem Verordnungsgeber lässt sich kaum zusinnen, dass er mit der Befassungspflicht nicht auch eine rechtserhebliche Erledigung des Beschwerdeverfahrens normiert wissen wollte. Dies entspricht auch der grundrechtskonformen Interpretation anhand Art 47 GRC, wodurch der DSB eine Entscheidungspflicht auferlegt ist.13 In diesem Sinne umfasst die Pflicht zur Befassung mit einer Beschwerde jede behördliche Tätigkeit, die zum Zwecke ihrer rechtserheblichen Entscheidung in der Sache erforderlich ist.
3.
Unterrichtungspflicht
3.1. Abgrenzung Nach Art 57 Abs 1 lit f dritter Fall DSGVO muss die DSB „den Beschwerdeführer innerhalb einer angemessenen Frist über den Fortgang und das Ergebnis der Untersuchung unterrichten“. Die damit bezeichnete Unterrichtungspflicht ist eine selbstständige Verfahrenspflicht und als solche von der Befassungspflicht abzugrenzen.14 Dies ergibt sich aus Art 78 Abs 2 DSGVO: Demnach besteht ein wirksamer gerichtlicher Rechtsbehelf, wenn die DSB „sich nicht mit einer Beschwerde befasst oder die betroffene Person nicht innerhalb von drei Monaten über den Stand oder das Ergebnis der gemäß Artikel 77 erhobenen Beschwerde in Kenntnis gesetzt hat“.15 Die Bestimmung richtet sich somit gegen die Untätigkeit der DSB im Beschwerdeverfahren und bietet hierfür zwei verschiedene Anknüpfungspunkte: zum einen die (behauptete) Verletzung der Befassungspflicht, zum anderen die (behauptete) Verletzung der Unterrichtungspflicht. Wie die grammatikalische Beschaffenheit der Bestimmung zeigt, sind Nichtbefassung und Nichtunterrichtung jeweils gesondert anfechtbar: Ein Rechtsbehelf besteht, wenn die DSB „sich nicht mit einer Beschwerde befasst oder die betroffene Person nicht innerhalb von drei Monaten über den Stand oder das Ergebnis“ in Kenntnis gesetzt hat.16 Die explizite Dreimonatsfrist bezieht sich nur auf die Unterrichtung und erlaubt diesem Wortlaut zufolge nicht, in Bezug auf die Befassungspflicht gelesen zu werden.17 12 Zum fehlenden „Entschließungsermessen“ der Behörde auch Nemitz in Ehmann/Selmayr2 Art 77 DSGVO Rz 12. 13 So auch Eser/Kubiciel in Meyer/Hölscheidt (Hrsg), Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Kommentar5 Art 47 GRC Rz 11 (2019); zum autonomen Gerichtsbegriff vgl näher Kröll in Holoubek/Lienbacher (Hrsg), GRC-Kommentar2 Art 47 GRC Rz 50 (2019). 14 Nach nicht zu folgender aA soll die Unterrichtungspflicht hingegen als unselbstständiger Teil der Befassungspflicht konstruiert sein, vgl etwa Selmayr in Ehmann/Selmayr (Hrsg), Kommentar zur DS-GVO2 Art 57 DSGVO Rz 8 (2018). 15 Hervorhebung durch die Autoren. 16 Hervorhebung durch die Autoren. 17 Dem entspricht auch die englische Fassung: „does not handle a complaint or does not inform the data subject within three months on the progress
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Aus ErwGr 143 DSGVO könnte ein Widerspruch zu der Feststellung der gesonderten Anfechtbarkeit nach Art 78 Abs 2 DSGVO herausgelesen werden. Demnach umfasst das Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf „nicht rechtlich nicht bindende Maßnahmen der Aufsichtsbehörde wie von ihr abgegebene Stellungnahmen oder Empfehlungen“. Jedoch ist dem nicht verbindlichen Erwägungsgrund kein Vorzug gegenüber der unzweifelhaften Anordnung des Normtexts zu geben.18
3.2. Regelungsgehalt In der Unterrichtungspflicht der DSB ist uE keinerlei Pflicht zur Entscheidung angelegt.19 Dies lässt sich bei systematischer Betrachtung feststellen: Anders als im Fall der Nichtunterrichtung sieht die DSGVO keinen Rechtsschutz gegen die rechtzeitig erfolgte Unterrichtung vor. Hieraus erschließt sich, dass die Unterrichtungspflicht nach Art 57 Abs 1 lit f DSGVO bloß in einer Benachrichtigung über den Fortgang bzw das Ergebnis der Untersuchung besteht. Daraus folgt auch, dass die Anordnung des Art 77 Abs 2 DSGVO, wonach die Unterrichtung die „Möglichkeit eines gerichtlichen Rechtsbehelfs nach Artikel 78“ einschließt, keine Pflicht zur Rechtsmittelbelehrung darstellt. Vielmehr soll der Beschwerdeführer über die – je nach nationalstaatlicher Regelung – mögliche Ausübung weiterer Rechte gegen die (behauptete) Datenschutzverletzung unterrichtet werden. Dies betrifft insb das Recht, unabhängig vom datenschutzbehördlichen Verfahren ein zuständiges Gericht anzurufen. Hätte der Verordnungsgeber hingegen eine Unterrichtung im Sinne der Bekanntgabe einer Entscheidung gewollt, wäre von ihm ein entsprechender Rechtsschutz vorzusehen gewesen. Folglich entfaltet der Akt der Unterrichtung keine normative Wirkung, sondern bildet lediglich einen verfahrensleitenden Verwaltungsakt.20 Die hA21 hingegen identifiziert die Unterrichtungspflicht mit einer (relativen) Entscheidungspflicht. Sie vertritt den Standpunkt, dass „Beschwerden von einfacher bis durchschnittlicher Komplexität regelmäßig jedenfalls innerhalb von drei Monaten bearbeitet werden können und deshalb innerhalb dieses Zeitraums auch abschließend zu bearbeiten sind“. Eine längere (als drei Monate dauernde)
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or outcome of the complaint“ sowie die französische Fassung: „ne traite pas une réclamation ou n’informe pas la personne concernée, dans un délai de trois mois, de l’état d’avancement ou de l’issue de la réclamation“. Zur Nichtverbindlichkeit von Erwägungsgründen siehe EuGH 19. 11. 1998, C-162/97 (Nilsson ua), ECLI:EU:C:1998:554, Rz 54. So auch Souhrada-Kirchmayer, Gerichtlicher Rechtsschutz gegen eine Aufsichtsbehörde, in Knyrim (Hrsg), Datenschutz-Grundverordnung (2016) 327 (333 ff ); Diregger, Handbuch Datenschutzrecht (2018) 823; Nemitz in Ehmann/Selmayr2 Art 77 DSGVO Rz 13; Boehm in Kühling/Buchner (Hrsg), DS-GVO/BDSG-Kommentar2 Art 57 DSGVO Rz 12 (2018); Schweiger in Knyrim (Hrsg), DatKomm Art 77 DSGVO Rz 29 (Stand 1. 12. 2018, rdb.at). Hingegen – zumindest für die österreichische Verwaltungsrechtsdogmatik unzutreffend – „kein Verwaltungsakt“ ist die Unterrichtung für Pötters/ Werkmeister in Gola (Hrsg), Datenschutz-Grundverordnung2 Art 77 DSGVO Rz 20 (2018). Vgl FN 7.
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Bearbeitungsfrist bedürfe allerdings eines Sachgrundes.22 Zu konzedieren ist, dass ErwGr 141 (dritter und vierter Satz) DSGVO dahin gehend missverständlich formuliert ist. Jedoch zeigt die angestellte systematische Betrachtung, dass ein solcher Schluss nicht gezogen werden kann. Dem entspricht auch der Blick auf den Wortlaut („über [...] das Ergebnis [...] unterrichten“): Wenn der Unionsgesetzgeber eine rechtserhebliche Entscheidung vor Augen hat, pflegt er auch von einer „Entscheidung“ zu sprechen.23 Das „Ergebnis“ meint daher lediglich einen Sachstandsbericht über die abgeschlossenen Tatsachenermittlungen; der „Fortgang“ demgegenüber einen Sachstandsbericht über nicht abgeschlossene Tatsachenermittlungen.
3.3. Umfang Nach Art 57 Abs 1 lit f letzter Halbsatz DSGVO muss die DSB insb unterrichten, „wenn eine weitere Untersuchung oder Koordinierung mit einer anderen Aufsichtsbehörde notwendig ist“. In der Literatur24 wird hieraus gefolgert, dass die DSB über alle wesentlichen Schritte unterrichten müsse. Im Lichte des Effizienzgebots wird die DSB zumindest nicht über unwesentliche Schritte unterrichten müssen. In der Praxis erfolgte eine Unterrichtung etwa des Inhalts, dass die Beschwerde der mitbeteiligten Partei zur Stellungnahme weitergeleitet worden sei und diese in der Folge eine solche übermittelt habe.25 Keinesfalls sind an die Unterrichtungspflicht überzogene Anforderungen zu stellen.26 Letztlich wird die DSB die Frage, welcher Verfahrensschritt unterrichtungspflichtig ist, für den Einzelfall zu beurteilen haben. Dies betrifft auch die Beurteilung, was eine „weitere“ Untersuchung ist. Darunter wird eine Untersuchung zu verstehen sein, die über das übliche Maß hinausgeht. Eine absolute Unterrichtungspflicht lässt sich indes nur bei notwendiger Koordinierung mit einer anderen Aufsichtsbehörde konstatieren. Dass auch andere Verfahrensschritte als Gegenstand der Unterrichtung infrage kommen, ergibt sich aus der bloß demonstrativen Aufzählung des Art 57 Abs 1 lit f letzter Halbsatz DSGVO. Die DSB muss nicht erst nach drei Monaten, sondern gegebenenfalls schon früher unterrichten. Denn die Vorschrift des Art 57 Abs 1 lit f DSGVO normiert die Unterrichtung in einer „angemessenen Frist“. Je nachdem kann die DSB damit auch mehrmals zur Unterrichtung verpflichtet sein.27 Dies relativiert jedoch Art 78 Abs 2 DSGVO: Rechtsschutz besteht erst, wenn „nicht innerhalb von drei Monaten“ unterrichtet worden ist. Der Verordnungsgeber hat hierdurch die äußerste Grenze der Angemessenheit gezogen. Innerhalb dieser Grenze obliegt es der DSB, wann sie unterrichtet, weil die (behauptete) Nichtunterrichtung vor Ablauf der Dreimonatsfrist nicht aufgegriffen werden kann. 22 So etwa Sydow in Sydow2 Art 77 DSGVO Rz 35. 23 Vgl etwa ErwGr 115 DSGVO: „Urteile von Gerichten und Entscheidungen von Verwaltungsbehörden“; ebenso in englischer Fassung „decisions“ statt „outcome“ sowie in französischer Fassung „décisions“ statt „l’issue“. 24 So etwa Becker in Plath3 Art 78 DSGVO Rz 10; Bergt in Kühling/Buchner2 Art 77 DSGVO Rz 22; im Anschluss daran auch Schweiger in Knyrim Art 77 DSGVO Rz 30. 25 Vgl BVwG 9. 12. 2019, W214 2223693. 26 Vgl Becker in Plath3 Art 78 DSGVO Rz 10. 27 So auch Schweiger in Knyrim Art 77 DSGVO Rz 30.
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Allerdings steht die DSB unter der Aufsicht ihres Datenschutzbeauftragten, den sie gem Art 37 Abs 1 lit a DSGVO „auf jeden Fall“ zu benennen hat. Dieser ist eine unabhängige Kontrollinstanz mit der Kernaufgabe, die Einhaltung der DSGVO zu überwachen.28 Der Betroffene (vor der DSB konkret: der Beschwerdeführer) hat nach Art 38 Abs 4 DSGVO das Recht, sich von ihm über seine Rechte und deren Wahrnehmung beraten zu lassen.29 Zu diesem Behufe sind nach Art 37 Abs 7 DSGVO sowie § 57 Abs 4 DSG die Kontaktdaten des Datenschutzbeauftragten zu veröffentlichen. Gegenüber dem Verantwortlichen kann der Datenschutzbeauftragte lediglich Empfehlungen aussprechen. Allerdings besteht bei beharrlichen Verstößen gegen datenschutzrechtliche Vorschriften eine Meldepflicht an die DSB.30 Ein Teil der Literatur beschränkt die Meldepflicht auf besonders schwere Verstöße wie Straftaten,31 doch lässt sich eine solche Beschränkung nicht begründen. Aufgrund der gegenständlichen Identität von DSB und Verantwortlichem wird sich der Datenschutzbeauftragte konkret an die in der DSB einzurichtende Stelle zu wenden haben. Die Unterrichtung nach drei Monaten wird regelmäßig in der Mitteilung bestehen, dass bis dato keine Befassung stattgefunden habe. Dies tut der Unterrichtungspflicht Genüge.32 Denn weder besteht ein Rechtsbehelf gegen die (behauptete) Nichtbefassung der DSB vor Ablauf der Entscheidungsfrist noch gegen den Inhalt der Unterrichtung. In der Literatur33 wird vertreten, dass die letzte Information jeweils erneut eine Dreimonatsfrist auslöse. Tatsächlich besteht dafür kein Anhaltspunkt. Wenn die DSB über jeden wesentlichen Verfahrensschritt unterrichten muss, reduziert sich die Bedeutung der Unterrichtungsfrist auf jene Fälle, in denen es binnen drei Monaten zu keiner Unterrichtung gekommen ist. So soll jeder Betroffene bis zur rechtserheblichen Entscheidung zumindest einmal über den Fortgang (bzw „Stand“) des Verfahrens unterrichtet werden. Dem Rechtsbehelf wegen Nichtunterrichtung kann in diesem Sinne auch eine Warnfunktion attestiert werden: Die Aufsichtsbehörde soll nicht erst zur – wenngleich dann zumeist nur formellen – Auseinandersetzung mit der Beschwerde gezwungen werden, wenn sie bereits mit ihrer Entscheidung säumig geworden ist.
4.
Pflichten der DSB im nationalen Recht
Die Bestimmungen der DSGVO sind in den Mitgliedstaaten grundsätzlich unmittelbar anwendbar.34 Ihre Rechtswirksamkeit bedarf daher weder einer Umsetzung ins nationale Recht noch eines
28 Vgl König in Knyrim [Hrsg], DatKomm Art 39 DSGVO Rz 12 [Stand 1. 12. 2018, rdb.at]. 29 Vgl näher Heberlein in Ehmann/Selmayr [Hrsg], Kommentar zur Datenschutz-Grundverordnung2 Art 38 DSGVO Rz 18 (2018). 30 Vgl näher Paal in Paal/Pauly [Hrsg], DS-GVO/BDSG-Kommentar2 Art 39 DSGVO Rz 8 (2018). 31 Vgl etwa Bergt in Kühling/Buchner [Hrsg], DS-GVO/BDSG-Kommentar2 Art 39 DSGVO Rz 19 (2018). 32 So auch Nguyen in Gola2 Art 57 DSGVO Rz 9. 33 Vgl Schweiger in Knyrim Art 77 DSGVO Rz 30; Däubler/Wedde/Weichert/ Sommer, EU-DSGVO/BDSG-Kommentar Art 78 DSGVO Rz 6 (2018). 34 Art 288 Abs 2 AEUV.
DATENSCHUTZ & E-GOVERNMENT konkreten Vollzugsbefehls.35 Vor diesem Hintergrund scheint die Regelung des § 24 DSG in einem Spannungsverhältnis zu unionsrechtlichen Vorgaben zu stehen.36 Dessen Abs 7 normiert inhaltsgleich die Pflicht der DSB, den Beschwerdeführer „innerhalb von drei Monaten ab Einbringung der Beschwerde über den Stand und das Ergebnis der Ermittlung“ zu unterrichten. Mitgliedstaaten dürfen eigene Rechtsvorschriften nur dort parallel zu einer Verordnung erlassen, wo diese durch „Öffnungsklauseln“ explizit dazu ermächtigt oder ihre Auslegung ergibt, dass Freiräume zur nationalen Regelung überlassen sind.37 Im Übrigen sind inhaltsgleiche Regelungen der Mitgliedstaaten parallel zur Verordnung auch dann zulässig, wenn die komplexe Verschränkung von nationalem und unionalem Recht eine solche erforderlich macht.38 Eine parallele Regelung des nationalen Rechts hat also dem Verständnis von der Verordnung und somit ihrer Wirksamkeit zu dienen. In diesem Sinne hält ErwGr 8 DSGVO fest, dass Mitgliedstaaten Teile dieser Verordnung in ihr nationales Recht nur dann aufnehmen dürfen, wenn „in dieser Verordnung Präzisierungen oder Einschränkungen ihrer Vorschriften durch das nationale Recht vorgesehen sind“, soweit dies „erforderlich ist, um die Kohärenz zu wahren und die nationalen Rechtsvorschriften für die Personen, für die sie gelten, verständlicher zu machen“. Unzulässig ist es dabei, die Tragweite der Verordnung zu ändern39 oder ihre Bedeutung zu relativieren.40 Im Bereich des Beschwerdeverfahrens enthält die DSGVO keine Öffnungsklauseln. Für die Befassungspflicht lässt sich eine Ermächtigung zur mitgliedstaatlichen Regelung jedoch implizit feststellen: Art 57 Abs 1 lit f DSGVO normiert keine konkrete Frist, innerhalb derer sich die DSB zu befassen hat. Da der Rechtsbehelf gegen die Nichtbefassung eine solche voraussetzt, hat der Verordnungsgeber hier offenkundig Raum für eine dahin gehende mitgliedstaatliche Regelung gelassen. Der österreichische Gesetzgeber erfüllt das Wirksamkeitserfordernis mit § 24 Abs 10 DSG, indem er die generelle Fristenregel des § 73 AVG heranzieht. Demnach hat die DSB über Beschwerden ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlagen zu entscheiden.
35 Nettesheim in Grabitz/Hilf (Hrsg), Das Recht der Europäischen Union Art 249 EGV Rz 121 (20. Lfg, 2002) mwN. 36 Bundesgesetz zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten (Datenschutzgesetz – DSG), BGBl I 165/1999 idF I 14/2019; zum unionsrechtlichen Rahmen für mitgliedstaatliche Regelungen vgl näher Roth, Vorrang der Verwarnung bei erstmaligen Datenschutzverstößen: Der neue § 11 DSG im Konflikt mit dem Unionsrecht, ZTR 2018, 82. 37 EuGH 6. 5. 1982, C-146/81, C-192/81, C-193/81 (BayWa/Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung), ECLI:EU:C:1982:146, Rz 20; vgl näher auch Souhrada-Kirchmayer in Baumgartner, Jahrbuch, 58 mwN. 38 EuGH 28. 3. 1985, C-272/83 (Kommission/Italien), ECLI:EU:C:1985:147, Rz 26 f. 39 EuGH 28. 2. 1970, C-40/69 (Hauptzollamt Hamburg Oberelbe/Bollmann), ECLI:EU:C:1970:12, Rz 4. 40 EuGH 15. 11. 2012, C-539 und C-555/10 (Al-Aqsa/Rat und Pays-Bas/AlAqsa), ECLI:EU:C:2012:711, Rz 86 ff mwN; ebenso unzulässig ist der Erlass verbindlicher Auslegungsregeln, vgl EuGH 18. 6. 1970, C-74/69, (Hauptzollamt Bremen-Freihafen/Krohn), ECLI:EU:C:1970:58, Rz 10; EuGH 31. 1. 1978, C-94/77 (Fratelli Zerbone Snc/Amministrazione delle finanze dello Stato), ECLI:EU:C:1978:17, Rz 22/27.
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Im Unterschied dazu ist für die Unterrichtung bereits auf Verordnungsebene eine konkrete Frist festgelegt (vgl Art 78 Abs 2 DSGVO: „innerhalb von drei Monaten“). Aus dem Zusammenhalt jener Normen, welche die Unterrichtungspflicht regeln, ergibt sich eine hinreichend konkrete Vorschrift. Ihre unmittelbare Anwendbarkeit erfordert also keine Durchführung ins nationale Recht. Dennoch hat der österreichische Gesetzgeber mit § 24 Abs 7 DSG eine inhaltsgleiche Norm erlassen. Dieser zufolge wird der Beschwerdeführer von der DSB „innerhalb von drei Monaten ab Einbringung der Beschwerde über den Stand und das Ergebnis der Ermittlung unterrichtet“. § 24 Abs 7 DSG deckt sich also mit Art 57 Abs 1 lit f DSGVO; die Dreimonatsfrist für die Unterrichtung entspricht der Anordnung des Art 78 Abs 2 DSGVO. Der österreichische Gesetzgeber rechtfertigt diese „Durchführung ins nationale Recht“ mit dem Erfordernis „zum besseren Verständnis“.41 Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch der Begriff der „Ermittlung“ in Abweichung zur „Untersuchung“ als (bloß) sprachliche Präzisierung.42 Angesichts der komplexen Verschränkung lassen die gebotene Rechtssicherheit und Praktikabilität diese Maßnahme zumindest zweckmäßig erscheinen. § 24 Abs 8 DSG normiert, dass jede betroffene Person das BVwG befassen kann, wenn die DSB sich nicht mit der Beschwerde befasst oder die betroffene Person nicht innerhalb von drei Monaten über den Stand oder das Ergebnis der erhobenen Beschwerde in Kenntnis gesetzt hat. Diese Bestimmung deckt sich mit der Anordnung des Art 78 Abs 2 DSGVO. § 24 Abs 8 DSG legt damit den Rechtsschutz gegenüber § 24 Abs 7 DSG fest, indem er – in Bezug auf die Unterrichtungs- und Entscheidungspflicht – die Beschwerdelegitimation des Betroffenen normiert und die Zuständigkeit des BVwG ausweist (arg: „Die betroffene Person kann das Bundesverwaltungsgericht befassen [...]). Letzteres ist iZm der Nichtunterrichtung insofern relevant, als sich die Zuständigkeit des BVwG dabei nicht schon ex constitutione ergibt.
5.
Säumnisschutz
5.1. Beschwerde wegen Nichtbefassung Gem Art 57 Abs 1 lit f DSGVO obliegt der DSB die Pflicht zur Befassung. Wie gezeigt, zählen zur Befassungspflicht naturgemäß die Pflicht zum Tätigwerden sowie die Pflicht zur (angemessenen) Untersuchung. Teleologisch erweist sich auch die Entscheidungspflicht als Teil der Befassungspflicht. So kann die DSB ihre Pflicht zur Befassung letztlich erst mit der Entscheidung in der Sache erfüllen. Selbst wenn die DSB gar nicht tätig wird, steht der Rechtsbehelf gem Art 78 Abs 2 DSGVO erst bei Verletzung der Entscheidungspflicht offen. Andere zur Befassungspflicht zählende Aufgaben der DSB können also nicht gesondert bekämpft werden.43 41 Vgl AB 1761 BlgNR XXV. GP, 15. 42 So auch Suda in Jelinek/Schmidl/Spanberger (Hrsg), Kommentar zum DSG § 24 DSG Rz 18 (2018). 43 In dieser Hinsicht missverständlich ist ErwGr 141 DSGVO, wonach ein Rechtsbehelf besteht, wenn „die Aufsichtsbehörde auf eine Beschwerde hin nicht tätig wird“.
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In der österreichischen Rechtsordnung ist die Beschwerde wegen Nichtbefassung mit § 24 Abs 8 DSG durchgeführt. In Abbildung des Art 78 Abs 2 DSGVO hat diese Bestimmung zwei voneinander abzugrenzende Anknüpfungspunkte für den Rechtsschutz: Jede betroffene Person kann das BVwG befassen, wenn die DSB (1.) sich nicht mit der Beschwerde befasst oder (2.) die betroffene Person nicht innerhalb von drei Monaten über den Stand oder das Ergebnis der Beschwerde in Kenntnis gesetzt hat.44 IZm dem ersten Fall verweist § 24 Abs 10 DSG auf die allgemeine Entscheidungsfrist nach § 73 AVG.45 Diese beträgt sechs Monate.46 Die Frist beginnt mit dem Einlangen des Antrags auf Sachentscheidung bei der DSB zu laufen. Entscheidet die DSB nicht fristgerecht, kann der Beschwerdeführer47 Säumnisbeschwerde nach Art 130 Abs 1 Z 3 B-VG erheben.48 Diese ist unmittelbar bei der säumigen DSB einzubringen.49 Die DSB kann innerhalb von drei Monaten den Bescheid nachholen.50 Wird der Bescheid nachgeholt oder ist er noch vor Einleitung des Säumnisverfahrens erlassen worden, ist dieses einzustellen. Verstreicht die (Nach-)Frist abermals ungenützt, hat die DSB als belangte Behörde die Säumnisbeschwerde dem zuständigen Gericht vorzulegen.51 Die Entscheidungszuständigkeit geht ex lege auf das BVwG über,52 welches in Senatsbesetzung zu entscheiden hat.53
5.2. Beschwerde wegen Nichtunterrichtung Die Verletzung der Unterrichtungspflicht ist eine Säumnis spezieller Art.54 Als Auskunft in Vollziehung der Gesetze ist die Unterrichtung ein Akt der schlichten Hoheitsverwaltung.55 Sie bildet folglich keinen Gegenstand der Säumnisbeschwerde nach Art 130 Abs 1 Z 3 B-VG.56 Denn diese setzt eine nicht fristgerechte Bescheiderlassung voraus und erfasst nicht auch sonstiges hoheitliches Ver44 Ohne nähere Differenzierung Pollirer/Weiss/Knyrim/Haidinger, DSG-Sonderausgabe4 § 24 DSG Rz 16 (Stand 1. 4. 2019, rdb.at). 45 Hingegen steht der Verweis des § 24 Abs 10 DSG nicht iZm der Unterrichtungspflicht nach § 24 Abs 7 DSG; unzutreffend daher Bresich/Dopplinger/ Dörnhöfer/Kunnert/Riedl, DSG-Kommentar § 24 DSG Rz 7 (2018). 46 So auch Souhrada-Kirchmayer in Knyrim, Praxishandbuch, 333. 47 Im Unterschied zu Art 78 Abs 1 DSGVO kommen die Rechtsbehelfe wegen Untätigkeit (Art 78 Abs 2 DSGVO) ausschließlich dem Betroffenen zu. 48 So auch Souhrada-Kirchmayer, Rechtsschutz bei der Datenschutzbehörde und beim Verwaltungsgericht, in Nunner-Krautgasser/Garber/Klauser (Hrsg), Rechtsdurchsetzung im Datenschutz nach der DSGVO und dem DSG 2018 (2019) 15 (25). 49 § 9 Abs 2 Z 3 VwGVG. 50 § 16 Abs 1 VwGVG. 51 § 16 Abs 2 VwGVG. 52 Vgl Hauer, Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts (2019) Rz 340 mwN. 53 § 24 Abs 8 iVm § 27 DSG. 54 So auch Souhrada-Kirchmayer in Knyrim, Praxishandbuch, 333; SouhradaKirchmayer in Knyrim Art 78 DSGVO Rz 18, sowie Souhrada-Kirchmayer in Nunner-Krautgasser/Garber/Klauser, Rechtsdurchsetzung, 25. 55 Vgl auch B. Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht5 (2017) Rz 699 ff. 56 Vgl mwN auch Hauer, Der Beschwerdegegenstand im Verfahren vor den Landesverwaltungsgerichten, dem Bundesverwaltungsgericht und dem VwGH, in Fischer/Pabel/N. Raschauer (Hrsg), Handbuch Verwaltungsgerichtsbarkeit (2019) Rz 26; aA Schweiger in Knyrim Art 77 DSGVO Rz 32; ohne nähere Differenzierung Pollirer/Weiss/Knyrim/Haidinger4 § 24 DSG Rz 16.
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halten.57 Eine dahin gehende Beschwerde gründet vielmehr auf Art 130 Abs 2 Z 1 B-VG. Dieser ermächtigt den einfachen Gesetzgeber, eine Beschwerde gegen rechtswidriges Verhalten eines Verwaltungsorgans in Vollziehung der Gesetze einzurichten, wenn sonst kein klassischer Beschwerdetypus des Art 130 Abs 1 B-VG nutzbar gemacht werden kann. Gegenstand einer solchen „Verhaltensbeschwerde“58 kann nicht nur rechtswidriges (positives) Tun, sondern auch rechtswidriges Unterlassen eines gebotenen (nicht bescheidmäßigen) Hoheitsakts sein.59 Auf dieser Grundlage bietet § 24 Abs 8 DSG eine spezielle Beschwerdelegitimation bei Nichtunterrichtung. Vorderhand scheint auch Art 130 Abs 2 Z 4 B-VG als verfassungsrechtliche Grundlage möglich. Dagegen spricht aber, dass dieser Beschwerdetyp erst mit BGBl I 14/2019 – sohin zeitlich erst nach dem Beschwerderecht gem § 24 Abs 8 DSG – geschaffen wurde. Das Beschwerderecht besteht, ohne dass – wie etwa nach § 4 AuskunftspflichtG – zuvor ein antragsgemäß zu erteilender Feststellungsbescheid zu erlassen wäre.60 Der Materiengesetzgeber weist zudem die Zuständigkeit des BVwG aus,61 hat es aber unterlassen, flankierende Verfahrensvorschriften (explizit) vorzusehen.62 Nach der Generalklausel des § 53 VwGVG sind, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf Verfahren über Verhaltensbeschwerden die Bestimmungen über die Maßnahmenbeschwerde sinngemäß anzuwenden. Mit diesem Rückgriff ist die Beschwerde wegen Nichtunterrichtung unmittelbar beim BVwG einzubringen (vgl § 12 und § 20 iVm § 53 VwGVG).63 Die Entscheidungsbefugnis des BVwG richtet sich nach § 28 Abs 6 iVm § 53 VwGVG: Demnach hat das BVwG, sofern die Beschwerde nicht zurück- oder abzuweisen ist, die Nichtunterrichtung als rechtswidrig zu erklären. Die Kostenersatzregelung folgt aus § 35 iVm § 53 VwGVG. § 53 VwGVG regelt das Verfahren der Verhaltensbeschwerde jedoch nicht abschließend. Eine Ausnahme von seinem Verfah57 VwGH 28. 11. 2006, 2006/06/0115. 58 Vgl Holoubek, Die Verhaltensbeschwerde – Das Verfahren über Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit sonstigen Verhaltens einer Verwaltungsbehörde, in Holoubek/Lang (Hrsg), Das Verfahren vor dem BVwG und dem BFG (2014) 113 ff; näher auch Hauer in Pabel/Fischer/N. Raschauer, Verwaltungsgerichtsbarkeit, 384 mwN; Hauer, Gerichtsbarkeit Rz 349. 59 VwGH 28. 3. 2017, Ra 2017/01/0059; so bereits B. Raschauer, „Schlicht-hoheitliches Verwaltungshandeln“, in FS Stolzlechner (2013) 547 (552); Faber, Verwaltungsgerichtsbarkeit Art 130 B-VG Rz 30 (2013); Holoubek in Holoubek/Lang, Verfahren, 120 ff; Adler/Fister, Die Verhaltensbeschwerde – Zum Beschwerdetypus des Art 130 Abs 2 Z 1 B-VG, ecolex 2014, 763 (763); Hauer, Gerichtsbarkeit Rz 349; Fuchs in Fister/Fuchs/Sachs (Hrsg), Verwaltungsgerichtsverfahren2 § 53 VwGVG (Stand 1. 10. 2018, rdb.at). 60 AA Souhrada-Kirchmayer in Knyrim, Art 78 DSGVO Rz 18; vgl zu dieser „Umwegskonstruktion“ näher Holoubek in Holoubek/Lang, Verfahren, 120. 61 Vgl § 24 Abs 8 DSG: „Jede betroffene Person kann das Bundesverwaltungsgericht befassen, wenn die Datenschutzbehörde […] nicht innerhalb von drei Monaten über den Stand oder das Ergebnis der erhobenen Beschwerde in Kenntnis gesetzt hat.“ sowie § 27 Abs 1 DSG: „Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet durch Senat über Beschwerden […] wegen Verletzung der Unterrichtungspflicht gemäß § 24 Abs. 7 […]“. 62 So bereits die Stellungnahme des BVwG-Präsidiums zum Entwurf des Datenschutz-Anpassungsgesetzes 2018, worin auf das Fehlen einer Verfahrensvorschrift hingewiesen wird (49/SN-322/ME); ebenso Suda in Jelinek/Schmidl/Spanberger § 24 DSG Rz 18. 63 Vgl auch ErläutRV 1255 BlgNR XXV. GP, 4.
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rensregime besteht zunächst dort, wo das VwGVG selbst Sonderbestimmungen für das Verfahren nach Art 130 Abs 2 Z 1 B-VG vorsieht. So legt § 7 Abs 4 letzter Satz VwGVG abweichend von den Vorschriften über die Maßnahmenbeschwerde fest, dass die Frist zur Erhebung einer Verhaltensbeschwerde vier Wochen beträgt. § 53 VwGVG ist überdies nicht schlechthin, sondern nur „sinngemäß“ anzuwenden. Die verwiesenen Regelungen gelten also nur insoweit, als sie dem Sinn und Zweck des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens entsprechen.64 Dies verlangt, die nach § 53 VwGVG verwiesenen Regelungen immer in Zusammenhalt mit den betreffenden Vorschriften des Materiengesetzgebers zu lesen. § 53 VwGVG muss vor allem dort unangewendet bleiben, wo seine Regelung nicht sachadäquat ist. Die Anlehnung der Vorschriften über die Verhaltensbeschwerde an jene der Maßnahmenbeschwerde bringt dies vor allem dann mit sich, wenn eine hoheitliche Untätigkeit den Beschwerdegegenstand bildet: Wie sich zeigt, steht der Rechtsschutz vor Nichtunterrichtung den Vorschriften zur Maßnahmenbeschwerde teilweise systematisch entgegen.65 Diese Inkonsistenz wird insb anhand der Regelung zum Beginn des Fristenlaufs sichtbar. Nach § 7 Abs 4 Z 3 iVm § 53 VwGVG beginnt die Frist zur Beschwerdeerhebung mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Betroffene Kenntnis von der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erlangt hat, wenn er aber durch diese behindert war, von seinem Beschwerderecht Gebrauch zu machen, mit dem Wegfall dieser Behinderung. Wie auf der Hand liegt, ist eine starre Anwendung dieser Regel auf den Fall der Nichtunterrichtung unmöglich. Mit Blick auf § 24 Abs 8 DSG kann jedoch auf eine (implizite) Regel geschlossen werden: Demnach kann jeder Betroffene das BVwG befassen (hier im Sinne von: anrufen), wenn die DSB nicht innerhalb von drei Monaten über den Stand oder das Ergebnis der erhobenen Beschwerde in Kenntnis gesetzt hat. Die Dreimonatsfrist bildet die äußere Grenze der Angemessenheit. Die Angemessenheit einer vorzeitigen Unterrichtung liegt im Beurteilungsspielraum der DSB für den Einzelfall. Zuvor kann eine Nichtunterrichtung daher nicht durch Beschwerde aufgegriffen werden.66 Daraus lässt sich folgern, dass die Beschwerde wegen Nichtunterrichtung erhoben werden kann, sobald die dreimonatige Unterrichtungsfrist überschritten ist. Es zeigt sich, dass für das Verfahren der Verhaltensbeschwerde mit sinngemäßer Anwendung der in § 53 VwGVG verwiesenen Vorschriften das Auslangen gefunden werden kann. Ein analoger Rückgriff auf die Vorschriften zur Säumnisbeschwerde, wie er in der Literatur67 erwogen wird, ist daher nicht angezeigt. Gegen einen solchen Analogieschluss ließe sich außerdem ein64 Vgl auch VwSlg 13.498 A/1991; VwGH 12. 11. 1991, 91/07/0115; in Bezug auf § 38 VwGVG ebenso Fister in Lewisch/Fister/Weilguni (Hrsg), VStGKommentar2 § 38 VwGVG Rz 3 (Stand 1. 5. 2017, rdb.at); Fister in Fister/ Fuchs/Sachs (Hrsg), Verwaltungsgerichtsverfahren2 § 38 VwGVG Rz 8 (Stand 1. 10. 2018, rdb.at). 65 So auch Adler/Fister, ecolex 2014, 764, sowie Fuchs in Fister/Fuchs/Sachs2 § 53 VwGVG Rz 5. 66 Vgl näher unter 3.3. 67 Für diesen Analogieschluss ist etwa Souhrada-Kirchmayer in Knyrim Art 78 DSGVO Rz 18.
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6.
Zusammenfassung und Schluss
Die DSB ist im Beschwerdeverfahren sowohl zur Befassung mit der Beschwerde als auch zur Unterrichtung darüber verpflichtet. Diese Pflichten bestehen nebeneinander. Die Befassungspflicht betrifft wesentlich die Pflicht der DSB, die Sache angemessen zu untersuchen und rechtserheblich zu entscheiden. Die Unterrichtungspflicht bedeutet demgegenüber eine bloße Benachrichtigung über den Verfahrensgang vor Abschluss des Beschwerdeverfahrens. Die Erfüllung beider Pflichten ist im Säumnisfall jeweils gesondert erzwingbar. Ein (behaupteter) Verstoß gegen die Befassungspflicht eröffnet das Recht zur Säumnisbeschwerde nach Art 130 Abs 1 Z 3 B-VG. Bei einem (behaupteten) Verstoß gegen die Unterrichtungspflicht steht dieses Rechtsmittel nicht zur Verfügung. Denn die Nichtunterrichtung bildet eine Säumnis eigener Art, wogegen mit Blick auf das typengebundene Rechtsschutzsystem nur die Verhaltensbeschwerde nach Art 130 Abs 2 Z 1 B-VG offensteht. Dieses Beschwerdetyps hat sich der Materiengesetzgeber mit § 24 Abs 8 DSG bedient. Für die Beschwerde wegen Nichtunterrichtung bestehen keine besonderen Verfahrensvorschriften. Ihr Verfahren orientiert sich infolgedessen an der Generalklausel des § 53 VwGVG, wonach die Bestimmungen zur Maßnahmenbeschwerde sinngemäß anzuwenden sind. Die Anwendbarkeit des § 53 VwGVG ist je68 Vgl hiezu auch Fuchs in Fister/Fuchs/Sachs2 § 53 VwGVG Rz 4; Wessely in N. Raschauer/Wessely (Hrsg), VwGVG-Kommentar § 53 VwGVG Rz 6 (Stand 31. 3. 2018, rdb.at).
doch nur insoweit gegeben, als Sinn und Zweck des betreffenden Verfahrensgegenstands nicht entgegenstehen. Unstimmigkeiten ergeben sich vorwiegend mit Blick auf den Fristenbeginn. Die Regelungen über das Verfahren legen die Annahme eines Fristenbeginns mit Ablauf von drei Monaten nahe. Zwar kann der subjektive Rechtsschutz vor Nichtunterrichtung auf diese Weise grundsätzlich gewährleistet werden, doch scheint dessen Determinierung mangelhaft: Es ist de lege lata zu bezweifeln, dass diese der gebotenen Effizienz des mittelbaren Unionsrechtsvollzugs entspricht. Da schon die grundlegende Einordnung dieses Beschwerdetyps Fragen aufwirft, bestehen umso mehr Unklarheiten über die Detailregelungen. Vor diesem Hintergrund ist der Gesetzgeber aufgerufen, Klarstellungen vorzunehmen.
Die Autorin: Mag. Sarah Heiml ist Universitätsassistentin am Institut für Verwaltungsrecht und Verwaltungslehre (derzeit karenziert), Johannes Kepler Universität Linz.
Publikationen der Autorin: Wearables und Datenschutz, ZTR 2017, 147-159; Datenschutzrecht, in: Felten/Kofler/Mayrhofer/Perner/Tumpel (Hrsg), Digitale Transformation im Wirtschafts- & Steuerrecht (2019), 163-205; gemeinsam mit Michael Mayrhofer: Die österreichische Datenschutzbehörde als DSGVO-Aufsichtsbehörde, in: Baumgartner (Hrsg), Jahrbuch Öffentliches Recht (2019), 165-186. sarah.heiml@jku.at lesen.lexisnexis.at/autor/Heiml/Sarah
Der Autor: Dr. Max Hofmann ist Universitätsassistent am Institut für Verwaltungsrecht und Verwaltungslehre, Johannes Kepler Universität Linz. . max.hofmann@jku.at lesen.lexisnexis.at/autor/Hofmann/Max
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wenden, dass eine echte Lücke im Hinblick auf § 17 VwGVG und die subsidiäre Anwendbarkeit des AVG nicht angenommen werden kann. Denn der Anwendungsbereich des § 17 VwGVG, welcher sich nach seinem Wortlaut auf Beschwerden nach Art 130 Abs 1 B-VG beschränkt, erstreckt sich iVm § 53 VwGVG auch auf die Fälle des Art 130 Abs 2 Z 1 B-VG.68
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EuGH: Keine wirksame Einwilligung eines Telekommunikationskunden in Aufbewahrung seiner Ausweiskopie » jusIT 2021/14
RL 95/46/EG: Art 2 lit h, Art 7 lit a VO (EU) 2016/679: Art 4 Z 11, Art 6 Abs 1 lit a EuGH 11. 11. 2020, C-61/19 (Orange Romania)
1. Eine wirksame Einwilligung iSv Art 4 Z 11 DSGVO bedarf einer aktiven und unmissverständlichen („ohne jeden Zweifel“) Willenshandlung seitens des Betroffenen. 2. Erfolgt die Einwilligung durch eine schriftliche Erklärung, die noch andere Sachverhalte betrifft (hier: Abschluss eines Mobilfunkvertrages), muss das Ersuchen um Zustimmung in einer solchen Form erfolgen, dass es von den anderen Sachverhalten klar zu unterscheiden ist. 3. Der Umstand, dass diese Kunden die Verträge mit dem angekreuzten Kästchen unterzeichnet haben, reicht für sich genommen nicht aus, um eine wirksame Einwilligung nachzuweisen, sofern keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese Klausel tatsächlich gelesen und verstanden worden ist; dies insb dann, wenn die Verkaufsbediensteten des Unternehmens das betreffende Kästchen bereits angekreuzt hatten, bevor die Kunden unterschrieben. 4. An eine wirksame Einwilligung ist nach Art 7 Abs 4 DSGVO ein strenger Maßstab anzulegen. Demnach hat eine Einwilligung freiwillig zu erfolgen und darf nicht an die Erfüllung eines Vertrages gekoppelt sein, obwohl die Einwilligung zur Erfüllung dieses Vertrags nicht erforderlich ist. Unfreiwillig ist eine Einwilligung dann, wenn bei Nichtabgabe der Einwilligung ein Nachteil (hier: aus Sicht des durchschnittlichen Mobilfunkkunden) zu erwarten ist. 5. Freiwilligkeit setzt darüber hinaus voraus, dass im Fall der Nichteinwilligung in die Datenverarbeitung (hier: Sammlung und Aufbewahrung der Kopien von Ausweisdokumenten) dem Betroffenen eine zumutbare Alternative zur Verfügung steht.
Anmerkung des Bearbeiters: In dem aus Rumänien stammenden Ausgangsfall hatte der Telekommunikationsdiensteanbieter Orange Romania anlässlich des Vertragsschlusses von Kunden auch die Einwilligung zum Spei-
chern von Ausweiskopien eingeholt. Die mit Identifikationsnummer versehenen Dokumente enthielten persönliche Daten. Die Rumänische Datenschutzbehörde (ANSPDCP) verhängte dafür ein Bußgeld, da Orange im Zeitraum vom 1. 3. bis zum 26. 3. 2018 Verträge über Mobiltelekommunikationsdienste geschlossen hatte, die die Klausel enthielten, dass die Kunden informiert wurden und in die Sammlung und Aufbewahrung einer Kopie ihres Ausweisdokuments mit Identifikationsfunktion einwilligten. Das diese Klausel betreffende Kästchen wurde vom für die Verarbeitung Verantwortlichen vor Unterzeichnung des Vertrags angekreuzt. Das Mobilfunkunternehmen klagte auf Aufhebung der Geldbuße. Das zuständige Landesgericht Bukarest unterbrach sein Verfahren und wollte vom EuGH zusammengefasst wissen, unter welchen Voraussetzungen die Einwilligung von Kunden in die Verarbeitung personenbezogener Daten als gültig angesehen werden kann. Der EuGH hatte sich fallkonkret mit der Auslegung von Art 4 Z 11 und Art 6 Abs 1 lit a DSGVO iZm einem Vertrag über die Erbringung von Telekommunikationsdiensten zu befassen, der eine Klausel enthält, dass die betroffene Person über die Sammlung und die Aufbewahrung einer Kopie ihres Ausweisdokuments mit Identifikationsfunktion informiert wurde und darin eingewilligt hat. Fraglich war insb, ob die vorab angekreuzte Bestätigung als Nachweis dafür geeignet sein kann, dass diese Person ihre Einwilligung in die Sammlung und Aufbewahrung dieser Dokumente im Sinne dieser Bestimmungen gültig erteilt hat. Die Zweite Kammer hielt dazu fest, dass ein Vertrag über die Erbringung von Telekommunikationsdiensten, der die Klausel enthält, dass die betroffene Person über die Sammlung und die Aufbewahrung einer Kopie ihres Ausweisdokuments mit Identifikationsfunktion informiert worden sei und darin eingewilligt habe, nicht als Nachweis dafür geeignet ist, dass diese Person ihre Einwilligung in die Sammlung und Aufbewahrung dieser Dokumente gültig erteilt hat, wenn das Kästchen, das sich auf diese Klausel bezieht, von dem für die Verarbeitung der Daten Verantwortlichen vor Unterzeichnung dieses Vertrags angekreuzt wurde, die Vertragsbestimmungen dieses Vertrags die betroffene Person über die Möglichkeit, den Vertrag abzuschließen, auch wenn sie sich weigere, in die Verarbeitung ihrer Daten einzuwilligen, irreführen können oder die freie Entscheidung, sich dieser Sammlung und Aufbewahrung zu widersetzen, von dem Verantwortlichen ungebührlich beeinträchtigt wird, indem er verlangt, dass die betroffene Person zur Verweigerung ihrer Einwilligung ein zusätzliches Formular unterzeichnet, in dem diese Weigerung zum Ausdruck kommt. Der EuGH klärt mit dem vorliegenden Urteil die so wichtige Praxisfrage nach der datenschutzkonformen Einwilligung iZm Mobilfunkvertragsabschlüssen. Zwar können die meisten Datenverarbeitungsvorgänge auch ohne explizite Einwilligung erfolgen, da die konkrete Verarbeitungstätigkeit nach Art 6 Abs 1 lit b jusit.lexisnexis.at
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ART.-NR.: 15
DSGVO zB auch zur Vertragsdurchführung zulässig ist. In Fällen, in denen andere Rechtsgrundlagen nicht greifen, zB die Verarbeitung über den notwendigen Vertragserfüllungszweck hinausreicht, bedarf es aber der Einwilligung iSv Art 4 Z 11 DSGVO. Die vom EuGH genannten Anforderungen sind streng, überraschen aber nicht (vgl bereits EuGH 1. 10. 2019, C-673/17 [Planet49] Rz 52 ff, ECLI:EU:C:2019:801, MR-Int 2019, 124 [Treitl] = VbR 2019/146, 227 [Feiler/Tercero] = ZIIR 2019, 440 (Thiele); dazu instruktiv Dürager, Der EuGH zur Zulässigkeit des Setzens von Cookies – eine endlose Geschichte ..., jusIT 2019/89, 241). Denn die DSGVO enthält eine hohe Schwelle für eine Einwilligung und die dafür erforderliche Freiwilligkeit (nun explizit EuGH 11. 11. 2020, C-61/19 [Orange România/ANSPDCP] Rz 50, ECLI:EU:C:2020:901). Bemerkenswert macht den vorliegenden Fall allerdings auch – und außerhalb der typischen Koppelungssituation des Art 7 Abs 4 DSGVO (vgl dazu etwa DSB 16. 4. 2019, DSB-D213.679/0003DSB/2018 [Fotoanlage auf Sommerrodelbahn], Dako 2020/35, 60 [Knoll] = jusIT 2019/94, 251 [Jahnel] = ZIIR 2020, 61 [Thiele]) – die Verknüpfung mit dem Vertragsabschluss zu Beweiszwecken. Zu beachten ist aus grundrechtlicher Sicht zudem die (Un-)Verhältnismäßigkeit. So hat die Spruchpraxis etwa festgehalten, dass das Grundrecht auf Geheimhaltung gem § 1 DSG dadurch verletzt wird, dass eine Bank eine Lichtbildausweiskopie anfertigt, um dem Betroffenen Geld im Gegenwert von € 100 wechseln zu wollen (DSB 28. 5. 2020, DSB-D124.720/2020-0.280.699 [Lichtbildausweiskopie], nrk; vgl demgegenüber zur Zulässigkeit DSB 26. 6. 2020, 2020-0.349.984 [Einschreibbrief], jusIT 2020/88, 237 [Thiele]). Ausblick: Ein vorab bereits angekreuztes Feld genügt für eine datenschutzrechtlich wirksame Einwilligung nicht. Es fehlt an einer aktiven Handlung, durch die der für die Freiwilligkeit erforderliche Wille dokumentiert wird. Das angekreuzte Feld reicht auch zum Nachweis einer Einwilligung nicht aus. Das bedeutet für die Rechtspraxis einen erhöhten Informations- und Dokumentationsaufwand. Zusammenfassend hat der EuGH entschieden, dass ein Telekommunikationsunternehmen (hier: Mobilfunkanbieter), das Kopien der Ausweisdokumente seiner Kunden aufbewahrt, in der Lage sein muss, die Rechtmäßigkeit dieser Datenverarbeitung nach Art 6 DSGVO nachzuweisen. Im konkreten Fall bedarf es dazu wirksamer Einwilligungserklärungen der Kunden.
EuGH: Keine Zuständigkeit für Datenschutzvorlagen ausschließlich juristische Personen betreffend
Bearbeiter: Clemens Thiele
In dem aus Deutschland stammenden Ausgangsverfahren hatte letztlich das BVerwG den EuGH um Klärung ersucht, ob ein Finanzamt dem Insolvenzverwalter nach der DSGVO die Auskunft zur Vorbereitung von Anfechtungsansprüchen gegen das Amt verweigern kann. Denn § 2a Abs 5 Nr 2 der deutschen Abgabenordnung (dAO) verweist für alle Steuerpflichtigen grundsätzlich auf die DSGVO. Das Finanzamt hatte die Auskunft unter Berufung auf § 32c Abs 1 Nr 2 dAO abgelehnt, der das Auskunftsrecht nach Art 15 DSGVO bei Beeinträchtigung zivilrechtlicher Ansprüche des Rechtsträgers der Finanzbehörde beschränkt. Der EuGH erklärte sich nun für unzuständig und folgte damit der Ansicht des GA Hogan (SA 3. 9. 2020, C-620/19 Rz 86 ff,
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» jusIT 2021/15
GRC: Art 8 VO (EU) 2016/679: Art 1, 15, 23 Abs 1 lit e und j Abgabenordnung (Deutschland): § 2a Abs 5 Nr 2, § 32c Abs 1 Nr 2 EuGH 10. 12. 2020, C-620/19 (J&S Service)
1. Betreffen Vorlagefragen eines nationalen Gerichts (hier: Deutsches BVwG) ausschließlich die Auslegung von Art 23 Abs 1 DSGVO in einem Fall, in dem diese Bestimmung auf juristische Personen für anwendbar erklärt wurde, um einen Rahmen für die Informationspflichten der Behörden nach dem Informationsfreiheitsgesetz zu schaffen, ist der EuGH für die Beantwortung nicht zuständig. 2. Es gibt keinen Grund für die Schlussfolgerung, dass Art 23 Abs 1 lit j DSGVO die Einführung von Beschränkungen nur zulässt, soweit die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche von Privatpersonen betrieben wird. 3. Die Formulierung „Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche“ in Art 23 Abs 1 lit j DSGVO umfasst auch die Verteidigung gegen zivilrechtliche Ansprüche und ist nicht auf Fälle begrenzt, in denen der Anspruch bereits geltend gemacht wurde. 4. Eine nationale Vorschrift wie § 32c Abs 1 Nr 2 dAO, die das Recht auf Zugang zu bei den Finanzbehörden vorhandenen Informationen einschränkt, wenn diese Informationen anschließend zur Geltendmachung von Insolvenzanfechtungsansprüchen gegen diese Behörden verwendet werden können, kann – mangels sachlicher Anwendbarkeit der DSGVO – nicht als mit Art 23 Abs 1 lit e DSGVO unvereinbar angesehen werden.
Anmerkung des Bearbeiters:
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ART.-NR.: 16
ECLI:EU:C:2020:649). Denn in dem Ausgangsverfahren vor den Steuerbehörden ging es nicht um die Auslegung einer ohnehin nicht unmittelbar anwendbaren Unionsvorschrift, sondern um „ein Konzept des innerstaatlichen Rechts, das im Unionsrecht kein Äquivalent hat“ (Rz 47 des Urteils). Die DSGVO regle nämlich mit dem – auf Art 8 GRC basierenden – Schutz personenbezogener Daten natürlicher Personen etwas völlig anderes als § 32c Abs 1 Nr 2 dAO, der ausdrücklich auch für juristische Personen gilt. Insoweit ist der Begriff „Informationen, die sich auf Körperschaften beziehen“, streng von dem unionsrechtlich definierten Begriff der personenbezogenen Daten natürlicher Personen zu unterscheiden (Rz 46 des Urteils). Bemerkenswert am vorliegenden Urteil ist vor allem die deutliche Abgrenzung des sachlichen Anwendungsbereichs der DSGVO durch die von Art 8 GRC vorgegebene Beschränkung auf den Schutz natürlicher Personen. Demgemäß ist die deutsche Finanzvorschrift auch nicht am Maßstab des Art 23 DSGVO zu messen (instruktiv Ehrke-Rabel/Gunacker-Slawitsch, Anpassung der BAO an die DSGVO als Persilschein zur finanzbehördlichen Datenverarbeitung? § 48d BAO auf dem Prüfstand der DSGVO, taxlex 2019, 90; überholt Ebner, Die Löschung nach der DSGVO und das Firmenbuch, ecolex 2018, 43). Ausblick: Im Ergebnis bedeutet der Richterspruch aus Luxemburg für den Anlassfall, dass der Insolvenzverwalter keinen auf Art 15 Abs 1 DSGVO gestützten Anspruch gegen das Finanzamt auf Auskunft über das Steuerkonto des Insolvenzschuldners geltend machen kann. Ein Anspruch nach Art 15 DSGVO kann nur der von der Datenverarbeitung nach Art 4 DSGVO unmittelbar betroffenen Person zustehen und geht nicht nach § 80 dInsO auf den Insolvenzverwalter über (so bereits in einem ähnlichen Fall BVerwG 16. 9. 2020, 6 C 10.19, ECLI:DE:BVerwG:2 020:160920U6C10.19.0). Ganz ähnlich hat der VwGH bereits zur Rechtslage nach § 26 DSG 2000 geurteilt: Das Grundrecht auf Datenschutz ist ein höchstpersönliches Recht, das mit dem Tod des Betroffenen untergeht und nicht auf den Rechtsnachfolger übergeht. Es gehört damit nicht zu den Vermögensbestandteilen der Verlassenschaft oder der Insolvenzmasse (VwGH 23. 11. 2016, Ra 2016/04/0044 [K-Unternehmensprofil], jusIT 2017/14, 39 [Thiele] = ZIIR 2017, 31 [Thiele]; dazu Hübelbauer, Datenschutzrechtlicher Auskunftsanspruch als Werkzeug der insolvenzrechtlichen Anfechtung?, ZIK 2018/266). Das Auskunftsrecht nach § 1 Abs 3 DSG kam – und kommt – daher ebenfalls ausschließlich dem Betroffenen zu seinen Lebzeiten zu. Zusammenfassend hat der EuGH sich für unzuständig erklärt, den allfälligen Anwendungsvorrang von Art 23 DSGVO auszulegen, wenn die zu prüfende nationale Steuerverfahrensvorschrift für natürliche und juristische Personen, deren Recht auf Datenschutz durch die DSGVO nicht definiert wurde, in gleicher Weise gilt. Bearbeiter: Clemens Thiele
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OLG Wien: Formularmäßige Einwilligung in Fotoherstellung „zu Verwaltungszwecken“ intransparent » jusIT 2021/16
VO (EU) 2016/679: Art 2 Z 2, Art 4 Z 11, Art 5 Abs 1 lit b und Abs 2; ABGB: §§ 863, 879 DSG: §§ 12, 13 KSchG: § 6 Abs 1 Z 11 und Abs 3, § 28 OLG Wien 26. 8. 2020, 1 R 27/20b (Zu Verwaltungszwecken)
1. Die in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) abgeforderte Zustimmung, dass im Rahmen einer Clubmitgliedschaft beim ersten Besuch ein Foto gemacht und „zu Verwaltungszwecken“ elektronisch verarbeitet werden darf, widerspricht dem Transparenzgebot des § 6 Abs 3 KSchG. 2. Eine Klausel, die eine Einwilligungserklärung zur Weitergabe von personenbezogenen (Bild-)Daten an unbestimmte Empfänger enthält, ist jedenfalls intransparent iSv § 6 Abs 3 KSchG und verletzt den Zweckbindungsgrundsatz nach Art 5 Abs 1 lit b DSGVO. 3. Die betroffene Person (hier: das Clubmitglied) ist nach Art 7 Abs 3 Satz 3 DSGVO von ihrem Widerrufsrecht in Kenntnis zu setzen. Bezieht sich die in den AGB enthaltene Widerrufsbelehrung ganz allgemein auf die Möglichkeit eines Widerrufs der abgegebenen Erklärungen bei Begründung der Clubmitgliedschaft per Online-Formular gegenüber dem Verantwortlichen, betrifft dies nicht die konkrete Einwilligung zur Bildverarbeitung und gilt daher als nicht beigesetzt.
Anmerkung des Bearbeiters: Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) beanstandete in einem Verbandsprozess gegen die MediClass Gesundheitsclub GmbH neben formularmäßigen Haftungsbegrenzungen insb eine Klausel über die datenschutzrechtliche Einwilligung zur Ermittlung von Bilddaten. Die Beklagte bot mittels eines Abo-Modells Zugang zu unterschiedlichen Privatärzten in Wien. Sie erbrachte dazu administrative Dienstleistungen für PatientInnen, wie die Vereinbarung von Terminen, und stellte den Ärzten die Räumlichkeiten zur Ausübung ihrer Tätigkeit zu Verfügung. In den AGB war ua folgende Klausel enthalten: „Das Mitglied stimmt daher zu, dass im Rahmen des ersten Besuchs ein Foto gemacht und zu Verwaltungszwecken elektronisch verarbeitet wird.“ Das Erstgericht folgte der Argumentation des VKI, die Klausel verstoße gegen das Transparenzgebot des § 6 Abs 3 KSchG, da der jusit.lexisnexis.at
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jusIT 1/2021 DATENSCHUTZ & E-GOVERNMENT JUDIKATUR
ART.-NR.: 16
Zweck der Datenverarbeitung in Anbetracht des Tätigkeitsbereichs der beklagten Partei sowie der Mitgliedschaft insgesamt zu unbestimmt wäre. Aufgrund der Berufung des Gesundheitsclubs hatte sich das OLG Wien insb mit der Auslegung des Begriffes „zu Verwaltungszwecken“ zu befassen. Das Berufungsgericht bestätigte die Intransparenz und damit die Unzulässigkeit der Einwilligungsklausel. Das OLG Wien führte in seiner Begründung aus, das in der Klausel bedingte Recht, das Foto zu Verwaltungszwecken zu „verarbeiten“, umfasse iSv Art 4 Z 2 DSGVO auch die (beliebige) Weitergabe des Fotos an Dritte. Die möglichen Empfänger blieben dabei völlig unbestimmt. Eine Klausel, die eine Zustimmungserklärung zur Weitergabe an unbestimmte Empfänger enthält, ist jedenfalls intransparent iSv § 6 Abs 3 KSchG. Eine Einwilligung „zu Verwaltungszwecken“ scheitert darüber hinaus auch daran, dass der genannte Verarbeitungszweck nicht hinreichend iSv Art 5 Abs 1 lit b DSGVO bestimmt ist. Abschließend hielt das Gericht die fehlende Hinzufügung der tatsächlichen Widerrufsmöglichkeit für intransparent gem § 6 Abs 3 KSchG (zum datenschutzrechtlichen Erfordernis des Widerrufs siehe Art 7 Abs 3 DSGVO). Der mangelnde Widerrufshinweis vermittle dem Verbraucher ein unklares Bild seiner vertraglichen Position und könne dazu führen, dass er in Unkenntnis seiner Rechte an ihrer Ausübung gehindert wird, zumal eine Kenntnis der Widerrufsmöglichkeit nicht vorausgesetzt werden kann. Die vorliegende Entscheidung reiht sich nahtlos in ähnliche „Klauselurteile“ der österreichischen Gerichte ein (zuletzt OGH 21. 12. 2017, 4 Ob 228/17h [Online-Versandhandel]; OGH 14. 12. 2017, 2 Ob 155/16g [Klausel Amazon], jusIT 2018/21, 54 [Thiele und Mader] = MR 2018, 283 [Walter] = ÖBl 2018/76, 249 [Handig] = VbR 2018/7, 24 [Leupold/Gelbmann]; dazu Berisha/Zopf, Das Verhältnis zwischen urheberrechtlichen Lizenzverträgen und Datenschutzrecht, ipCompetence 2018 H 20, 14) und ist in Ergebnis und Begründung völlig zutreffend. Eine Einwilligung in die Daten-
verarbeitung „zu Verwaltungszwecken“ wird weder den Anforderungen nach § 6 KSchG noch jenen von Art 4 Z 11 DSGVO gerecht, da sie den konkreten Grund (Dokumentation, Identifizierung, Vertragsabwicklung, Kommunikation mit den behandelnden Ärzten, Schutz vor Missbrauch usw) letztlich offenlässt. Die Klausel gibt der Beklagten bei weiter (kundenfeindlichster) Auslegung letztlich eine umfassende Verwendungsmöglichkeit für die Bilddaten, die dem Verbraucher allein aufgrund der Lektüre der AGB nicht bewusst sein wird. Insoweit ist auch an die Koppelungsgrenze des Art 7 Abs 4 DSGVO zu denken (vgl Thiele/Wagner in Thiele/Wagner, Praxiskommentar zum Datenschutzgesetz [2020] § 12 Rz 63 mwH). Ausblick: Das vorliegende Urteil ist rechtskräftig. Die Beklagte hatte schon in erster Instanz einen Teilvergleich abgeschlossen, der bereits neun beanstandete Klauseln umfasste. Neben der Einwilligungsklausel untersagten beide Instanzen die AGB-mäßige Haftungsbeschränkung mit dem Wortlaut: „soweit gesetzlich zulässig – auf das Ausmaß der geleisteten Zahlungen einer Jahresmitgliedschaft“. Bereits durch die Verwendung der Formulierung „soweit gesetzlich zulässig“ wird den Mitgliedern nämlich das Risiko aufgebürdet, ihre Rechte selbst zu erkennen. Es handelt sich dabei um eine in der Praxis häufig verwendete salvatorische Haftungsklausel, die jedenfalls bei einem Verbrauchergeschäft gesetzwidrig ist. Zusammenfassend hat das OLG Wien in einem Verbandsprozess entschieden, dass die formularmäßige Einwilligung in die Verarbeitung von personenbezogenen Bilddaten „zu Verwaltungszwecken“ nicht nur die Herstellung von Fotos für den Verantwortlichen selbst, sondern auch die Weitergabe an unbestimmte Empfänger bedeutet. Damit verstößt diese Erklärung jedenfalls gegen das Transparenzgebot des § 6 Abs 3 KSchG sowie den Zweckbindungsgrundsatz nach Art 5 Abs 1 lit b DSGVO.
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