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AUTOKINOS: Corona brachte ein neues Leben für längst vergangene Kinoträume

KINOSZENE

FUMMELN IN DER LOVE LANE

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Früher fuhr man ins Autokino zum Knutschen. Die Corona-Krise verhilft dem Kino unter freiem Himmel jetzt zu einem Comeback, auch in Österreich.

Österreich hat wieder ein Autokino. Und Marty McFly könnte mit seinem DeLorean vorbeischauen.

Universal

Wer derzeit mit seinem Schlitten ins Capitol Drive-In an der Hillcap Avenue in San Jose, Kalifornien, fährt, der bekommt dort wahlweise um halb neun oder um dreiviertel elf die zuckerlbunte Tanzromanze „Valley Girl“ zu sehen. Auf Großbildleinwand, bei der man immer fußfrei und erste Reihe sitzt: In den USA gibt es, anders als in Europa, noch eine nennenswerte Autokino-Tradition, immerhin haben dort landesweit noch 325 Drive-Ins geöffnet. Aber früher waren es mal 4000. „Valley Girl“ ist ein typischer Film fürs Autokino. Die musicalhafte Liebeskomödie ist ein Remake des gleichnamigen Films mit Nicholas Cage aus einer Zeit, in der Cage noch volles Haupthaar hatte. 1983 war das, und auch das Remake ist in den 80ern angesiedelt, zu merken an den grässlichen Dauerwellen, den weiten Pullis und den kitschigen Farbkompositionen. Der Film feiert dieses Jahrzehnt, und das Autokino gleich mit, denn das hatte damals seine vielleicht letzte Blüte - bis heute. „Valley Girl“ ist in den USA nur in Autokinos auf der Leinwand zu sehen, während man den Film zeitgleich auch als Stream veröffentlicht hat.

Die Corona-Krise ist da, und mit ihr und dem Lock-Down für die Kinos auf der halben Welt wächst das Bedürfnis, wieder auszugehen, unter Menschen zu kommen und das Gemeinschaftserlebnis Kino zu genießen. Das Autokino war bis Ende Mai die einzige mögliche Form, Filme gemeinsam mit anderen auf der großen Leinwand zu genießen. Weltweit werden die Kinos jedenfalls nicht vor Ende des Sommers wieder Normabetrieb fahren - und dann auch nur mit sehr eingeschränkter Sitzplatzzahl. Das Autokino offeriert hier die perfekte Übergangslösung: Im eigenen Auto zu sitzen und über die Stereoanlage des Autoradios den Filmton herein zu holen, das bedeutet Kinovergnügen ohne direkten Kontakt zu anderen Personen, außer man muss mal. Das Autokino erlebt ein Revival in der Corona-Zeit, die allerlei ausgestorben geglaubte Begriffe wieder modern gemacht hat. „Hamsterkäufe“ zum Beispiel. Oder auch den Terminus „Ausgangssperre“. Warum also sollte nicht auch das Autokino zu neuem Ruhm gelangen?

KUSCHELN Ab den 1930er Jahren öffneten die ersten Autokinos in den USA. Besonders beliebt waren Drive-Ins in den 1950er Jahren, damals waren die Autos jedenfalls geräumiger als heute und eine störende Mittelarmlehne gab es auch nicht, sodass man die Angebetete leichter liebevoll übers Knie legen konnte. Gerade die Hüftschwung-Zeit der Rock’n’Roll-Generation liebte diese Kuschelgelegenheit, die besten Plätze hierfür waren in der hintersten Reihe, die man auch „Love Lane“ nannte. Die Drive-Ins entwickelten sich schnell zu einem Aushängeschild für amerikanische Freizeitkultur, zu einem Markenzeichen des Turbokapitalismus, den die USA ab dem Ende des Zweiten Weltkriegs propagierten: Das Freiluftkino war eine coole und lässige Art, sich zu unterhalten, zugleich konnte man die Vorfahrt auf dem Parkplatz auch nutzen, um seine prestigeträchtigen Cadillacs, Dodges oder Ford Mustangs zu präsentieren und damit potenzielle neue Partnerinnen zu beeindrucken. Seht her, was ich alles besitzen kann!

Ja, die Welt war einmal voller Klischees, aber sind wir ehrlich: Ist sie das nicht auch heute? Gerade der Mythos, den Hollywood über die Jahrzehnte aufgebaut hat, verhandelt solche Klischees, ja, sie sind sogar sein Motor. Hollywood war immer besonders gut darin, den eigenen Mythos in seine Filme zu integrieren - und hat darin auch unzählige Male das Autokino als Teil seiner DNA verewigt. In „Grease“ (1978) bekommt John Travolta von Olivia Newton-John eine Abfuhr, als er versucht, ihr im Autokino zu nahe zu kommen. Eine Szene mit Kultstatus bei den Fans. In Jan de Bonts „Twister“ (1996) wütet der F3-Tornado über einem Autokino just in dem Moment mit voller Härte, in dem Jack Nicholson auf der Leinwand in „Shining“ mit seiner Axt drauflos hackt. In Francis Ford Coppolas „The Outsiders“ schmuggeln sich die Protagonisten unter einen Zaun aufs Autokinogelände. In „Targets“ (1968), dem Debüt von Peter Bogdanovich, spielt Boris Karloff einen alternden Schauspieler, der Monster-Filme gedreht hat (sic!) und in einem Autokino einen Sniper erledigt, der aufs Publikum schießt.

Eine der schönsten Autokino-Momente im Film ist die Szene in „Zurück in die Zukunft III“ (1990), in der Marty McFly (Michael J. Fox) mit dem DeLorean auf dem Gelände eines Autokinos auf die Leinwand zurast, auf der unterhalb ein Gemälde von frontal auf ihn zureitenden Indianern zu sehen ist. Kurz vor der Wand verschwindet der DeLorean in die Vergangenheit - und landet in der selben Szenerie wie jener auf dem Bild - nur reiten diesmal echte Indianer auf ihn zu.

Das Autokino ist fixer Bestandteil der Kinokultur, zumindest in den USA. In Europa sieht es ein bisschen anders aus. Zwar gab es auch hier ab den 50er und 60er Jahren Autokinos, jedoch in der Anzahl nie so viele wie in den USA, wo die Distanzen von Natur aus größer sind und Autokinos daher eine logische Folge.

Immerhin gab es etwa in WestDeutschland Mitte der 70er Jahre 40 bespielte Freiluft-Leinwände, die mit dem Multiplex-Boom bis auf wenige Ausnahmen verschwanden. Doch seit Ausbruch der Corona-Krise steht das Autokino vor einem unverhofften Comeback. Mehr als 40 Radiofrequenzen für die Tonübertragung wurden in Deutschland seit März beantragt - weil findige Betreiber an neuen Popup-Kinos am Stadtrand oder an der Reaktivierung alter Spielstätten arbeiten. Dort, wo noch gespielt wird, ist der Erfolg groß, wie der „Tagesspiegel“ berichtete: So wurden in Autokinos in Essen und Düsseldorf die Filme „Lindenberg!“ und (passenderweise) „Der Junge muss an die frische Luft“ vor ausverkauftem „Haus“ gezeigt, mit bis zu 1000 Besuchern pro Vorstellung. In Dänemark will man Geisterspiele in Fußballstadien via Leinwand auf die Parkplätze vor den Stadien übertragen, also eine sportliche Version des Autokinos realisieren. Im litauischen Vilnius wurde der stillgelegte Flughafen zum Autokino umfunktioniert - man zeigte den südkoreanischen Oscar-Triumphator „Parasite“. Es existieren längst weitere Ideen für die Autokinos: Beispielsweise werden die Areale bald auch für Konzerte nutzbar sein, das Publikum muss dann halt im Autositz mitschunkeln, denn Aussteigen bleibt verboten.

ÖSTERREICH MIT NEUSTART Auch in Österreich steht ein Neubeginn an: Das einzige Autokino des Landes in GroßEnzersdorf bei Wien schloss 2015 endgültig seine Pforten. Inzwischen haben neue Betreiber aber einen Neustart gewagt, der wegen Behördenauflagen jedoch mehrmals verschoben werden musste. Mitte Mai sperrte das Kino wieder auf - passend, mit „Grease“. Und auch in St. Pölten und Linz gibt neue Popup-Autokinos, die auch andere Veranstaltungen beherbergen kann, Konzerte zum Beispiel.

Ob das Autokino nun einen neuen Boom erfahren wird? Das Andauern des Hypes auch nach der Coroina-Krise darf getrost bezweifelt werden, denn: Der Drang des Publikums, endlich wieder „raus“ zu kommen und ein gemeinsames kulturelles Leben zu erfahren, äußert sich nun eben in jenen Nischen, die trotz der Krise noch möglich geblieben sind. Für die Zeit danach dürfte der bequeme Kinosessel dann doch die Nase vorn haben. Es sei denn, die jungen Leute gehen zum Knutschen wieder öfter ins Autokino und überlegen sich, wie man die Mittelarmlehne in Papas BMW nivellieren könnte.

MATTHIAS GREULING

INFOS: WWW.AUTOKINO.AT

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