5 minute read

Neue Bücher: Frauen im Film, Bildband zum Neuen Deutschen Film

Next Article
White Lines

White Lines

NEUE BÜCHER STARKE FILME, STARKE FRAUEN

Das Buch „Eine eigene Geschichte“ holt österreichische Filmemacherinnen vor den Vorhang.

Advertisement

Es ist viel geschrieben worden über die Arbeitsbedingungen von Frauen in der österreichischen Filmbranche, von der angestrebten Geschlechtergleichheit und einem „Equal Pay“, also einer Bezahlung, die für Männer wie Frauen gleich ist. Auch filmpolitisch ist der Diskurs zur Gleichstellung von Frauen zumindest im Gange, nicht zuletzt dank Initiativen wie dem Frauennetzwerk „FC Gloria“. Bis in die Filmförderinstitute spielt inzwischen hinein, ob es eine Quotenregelung betreffend der zu fördernden Projekte geben soll.

Am Ziel angekommen sind all diese Debatten noch längst nicht. Da kommt ein Buch, das die österreichischen Filmemacherinnen vor den Vorhang holt, gerade recht: Isabella Reicher hat mit „Eine eigene Geschichte - Frauen, Film, Österreich seit 1999“ (Verlag Sonderzahl) ein umfassendes Kompendium zur Filmarbeit von Frauen herausgegeben, in dem in Aufsätzen, Interviews und Essays über den großen Einfluss von Frauen auf den Erfolg des heimischen Films hingewiesen wird. Ja, man könnte geradezu sagen: Der Aufstieg des österreichischen Films seit Ende der 1990er Jahre ist - weiblich.

Schließlich hat die Erfolgsgeschichte im österreichischen Film 1999 mit einem Paukenschlag begonnen - und der war in zweifacher Hinsicht weiblich: Barbara Albert inszenierte mit „Nordrand“ eine einfühlsame Geschichte von zwei Wiener Frauen, die zwischen Träumen und sozialen Brennpunkten oszillierten. Der Film feierte am 2. September 1999 seine Weltpremiere im Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig - für die damals 28-jährige Albert ein Riesenerfolg. Am Ende gab es für Hauptdarstellerin Nina Proll dort den, Coppa Marcello Mastroianni, den Preis für die beste Newcomerin, und das legte den Grundstein zu ihrer Karriere. „Eine eigene Geschichte“ nimmt diese Initialzündung für das österreichische Filmschaffen als Ausgangspunkt, um aus einer heutigen Perspektive auf die vergangenen 20 Jahre Rückschau zu halten. Neben Texten von Journalisten schlüsseln auch Beiträge von namhaften heimischen Filmpublizisten, darunter Drehli Robnik, Bert Rebhandl, Alejandro Bachmann oder Birgit Flos inhaltliche und ästhetische Aspekte auf.

UNGLEICHGEWICHT Die frühen 2000er Jahre wiesen eine zunächst vielversprechende Zunahme von Frauen auf dem Regiesessel vor. Ganz bewusst fokussiert das Buch auf diese Profession, weil Filmregie trotz aller Fortschritte noch immer eine Männerdomäne ist. Daran konnten die viele Arbeiten junger Frauen nachhaltig nichts ändern. Doch Filme wie „Lovely Rita“ (2001) von Jessica Hausner, „Ternitz, Tennessee“ (2000) von Mirjam Unger, „Struggle“ (2003) von Ruth Mader, „Mein Stern“ (2001) von Valeska Grisebach, „Vollgas“ (2002) von Sabine Derflinger, „Mein Russland“ (2002) von Barbara Gräftner oder „Auswege“ (2003) von Nina Kusturica überzeugten nicht nur durch eine erzählerische Qualität, sondern wirken im Rückspiegel auch wie „aus einem Guss“ - nicht künstlerisch, sondern vom Anspruch her, endlich auch den Frauen den entsprechenden Zugang zum Regiefach freizumachen. Diesen jedoch nachhaltig zu verankern, ist nicht geglückt, trotz einer wirklichen Öffnung des Filmfestivals Diagonale unter Constantin Wulff und Christine Dollhofer in den frühen 2000ern, was Diskurs und Debatte über Filmpolitik und Gender-Parität angeht. Die Lorbeeren heimsten am Ende doch die Männer ein, vorwiegend solche, die lange Wege zurückgelegt hatten: Haneke, Seidl, auch Götz Spielmann.

Starke Frauen machen heute noch immer starkes Kino: Sabine Derflinger widmet sich etwa nach ihrer Doku über „Die Dohnal“ demnächst einer (un)umstrittenen Frauenikone: Alice Schwarzer. Marie Kreutzer arbeitet an ihrem „Sissi“-Film „Corsage“. Ruth Mader geht in „Serviam“ ins katholische Mädcheninternat. Claudia Müller lässt Elfriede Jelinek über sich selbst sprechen. Ein Buch wie „Eine eigene Geschichte“ gerade zum jetzigen Zeitpunkt ist wie ein Wegweiser: Es zeigt, wie ungebrochen wuchtig das Potenzial der österreichischen Filmemacherinnen allen Widerständen trotzt. MATTHIAS GREULING

NEUE BÜCHER Der (Bild-)Band „Vor der Klappe ist Chaos“ versteht sich als Hommage an den Neuen Deutschen Film.

„JEDER GING SEINEN EIGENEN WEG“

Im Bildband „Vor der Klappe ist Chaos“ (Zweitausendeins, 178 Seiten, EUR 51,30) werden die Protagonisten des Neuen Deutschen Films vorgestellt, darunter auch Kameramann Michael Ballhaus (unten) und Schauspieler Mario Adorf (rechts unten) Bücher über Epochen, über „legendäre“ Zeiten, sie bergen immer die Gefahr der Verklärung, und eine Hommage ist darob nicht selten ein gefährliches Unterfangen für die Glaubwürdigkeit eines Autors. Nicht so im Fall des bei Zweitausendeins erschienen, großformatigen (Bild-)Bands „Vor der Klappe ist Chaos“ des Basler Fotografen und Filmschaffenden Beat Presser. Der hat seine Karriere entlang des so genannten neuen deutschen Films entwickelt, als er ab Ende der 1960er Jahre bei Dreharbeiten nicht nur die Setfotografie hinter den Kulissen besorgte, sondern auch die Standfotos aus den Filmen für den Kinoaushang anfertigte. Entstanden sind dabei herausragende Fotografien, die Einblick geben in jenen Kosmos, der das deutsche Filmschaffen nachhaltig verändert hat, so wie die Nouvelle Vage einst das Kino revolutionierte. „Der alte Film ist tot. Wir glauben an den neuen“. Das Oberhauser Manifest schrieb 1962 nieder, wie man sich von „Papas Kino“ verabschieden wollte; der Nachkriegsmief und die Allseits-Happy-Façon sollte raus aus den Kinosälen, denn diese Art der Vergangenheitsbewältigung (oder eigentlich: -verdrängung) war den Köpfen des neuen deutschen Films zutiefst zuwider. Man wollte anders erzählen, nüchterner, differenzierter, auch: spröder und wahrhaftiger. „Nach dem Kurzfilm ‚Les mistons‘ von Francois Truffaut, den ich 1959 in Paris

Papas Kino zu Grabe tragen, das war das Ziel des „Neuen Deutschen Films“

sah, war mir sofort klar: Das müssen wir in Deutschland auch so machen“, erinnert sich Volker Schlöndorff in dem Band. Das Motto war: Weg von den Heimat-Filmen, Melodramen und Krimis des „Schnulzenkartells“. „Im Rückblick erscheint dieser neue deutsche Film wie ein grandioser Aufbruch“, so Schlöndorff. Ein Aufbruch, der große Namen mit sich brachte, eine Reihe von Künstlern, die als Individualisten auffielen und ein Profil schärften, dennoch aber Teil dieser „Gruppe“ waren, von der es keine endgültige Definition geben kann, schon allein wegen der Freiheit der Kunst, die man hier allerorts beschwörte. Alexander Kluge, Edgar Reitz und Reinhard Hauff gehörten zu frühen Vertretern, ebenso Schlöndorff, später Wim Wenders und Rainer Werner Fassbinder. Der große Werner Herzog natürlich auch, vor allem im Gespann mit dem Enfant terrible des deutschen Films, dem rastlosen Klaus Kinski.

55 PORTRÄTS Diese und weitere Protagonisten dieser Ära erfahren hier Beachtung: 55 von ihnen porträtiert Presser in Bildern, die sie in ihrer (heutigen) Lebensumgebung zeigen. Die Texte stammen von den Porträtierten selbst, darunter Mario Adorf, Michael Ballhaus, Bruno Ganz, Jürgen Jürges, Klaus Lemke, Eva Mattes, Elfie Mikesch, Hanna Schygulla, Rosa von Praunheim, Ulrike Ottinger oder Margarethe von Trotta. Viel Anekdotisches lässt die Epoche Revue passieren, ohne sie zu verklären. Ein kollektives Erinnern daran, das Voraussetzung für jede Verklärung ist, fehlt, denn: Anders als bei der Nouvelle Vage gingen die vorgestellten Filmschaffenden allesamt ihren eigenen Weg. „Jeder hat es anders gemacht“, so Schlöndorff. Ein Umstand, der den neuen deutschen Film erst zu dem macht, was er ist: Vielgestaltig. ARNO VEUER

This article is from: