300 JAHRE UNABHÄNGIGE TAGESZEITUNG
GEGRÜNDET 1713
F Ü R D I E S A A R P FA L Z VO N 1 7 1 3 B I S 2 01 3
MONTAG, 4. FEBRUAR 2013
W W W. P FA E L Z I S C H E R - M E R KU R . D E
Gegen Highspeed-Politik und Highspeed-Journalismus Europaparlaments-Präsident Schulz wirbt für mehr Langfristigkeit den, der nur aus Liebe zur Politik Politiker geworden sei. Natürlich gehe es auch um Macht, genauer gesagt die eier Präsident des Europäischen gene Überzeugung, gute Argumente zu Parlamentes hatte es am Sams- haben, Menschen auch davon überzeutag eilig, nach Zweibrücken zu gen zu können und Mehrheiten zu bekommen – wollte er doch rechtzeitig kommen. Auch das sei gut so: „Die Polibeim Neujahrsempfang „300 Jahre tiker, die behaupten, dass sie keine Pfälzischer Merkur“ sein. Dort ange- Macht wollen, sollten nicht in die Polikommen, freute sich der Festredner, im tik gehen!“ Aber, schob Schulz sofort Schloss die Mainzer Ministerpräsiden- nach: „Macht braucht Kontrolle.“ Nämtin Malu Dreyer und Justizminister Jo- lich durch Journalisten. Diese hätten chen Hartloff zu sehen. Auch aus finan- damit wiederum auch Macht. Und wer ziellen Gründen, wie Schulz zu Beginn eine „so verantwortungsvolle Aufgabe“ seiner Rede unter dem Gelächter der als Kontrolleur der drei Staatsgewalten gut 350 geladenen Gäste aus Politik, habe, der müsse auch kritische Fragen Wirtschaft, Vereinen und anderen Re- an sich selbst stellen, mahnte Schulz. präsentanten des öffentlichen Lebens Etwa, ob man zu tendenziös berichtet. verriet: „Sollte ich ein Knöllchen be- Oder zu vereinfachend berichte und alkommen wegen nicht eingehaltener les auf einen Nenner bringe, wie er das Geschwindigkeit, leite ich es an die leider gerade in der Europapolitik manchmal erlebe „Vereinfachungen Landesregierung weiter.“ Über die Einladung zu diesem Fest- sind notwendig, sie dürfen aber nicht simplifizierend sein, wenn akt habe er sich „mehr geman sich Qualitäts-Ansprüfreut als über ganz viele anchen stellt. Und in einer imdere, die ich als Präsident mer komplizierter werdentäglich bekomme“, erklärte den Welt kann man nicht alSchulz. Und zwar deshalb, les nur vereinfachen.“ Oder, weil der Pfälzische Merkur spielte Schulz auf die aktudie zweitälteste bis heute erellen Diskussionen das Verscheinende Zeitung hältnis zwischen Politikern Deutschlands sei: „Diese und Journalisten an: „Wie Zeitung ist ein bedeutendes will ich als Journalist InforStück der Identität der deut„Macht mationen bekommen, schen Demokratie. Sie ist wenn ich statt Nähe Distanz durch alle Höhen und Tiefen braucht suche?“ der Geschichte der Pfalz, des Kontrolle.“ Die Journalisten stünden Bundeslandes und unseres heute aber auch vor „enordeutschen Volkes kontinuMartin Schulz, men Herausforderungen“, ierlich präsent gewesen, unPräsident des sagte Schulz. Dem wachter ganz unterschiedlichen Europäischen senden Aktualitätsdruck, politischen, ökonomischen Parlaments „der Beschleunigung kann und kulturellen Bedingungen. Diese Zeitung ist ein Stück Identi- sich kein Medienhaus entziehen“, zutätsbildung, ohne die keine Nation le- mal wirtschaftlicher Druck hinzukomben kann, ohne die keine Demokratie me. „Es zwingt Sie zu Highspeed-Jourbestehen kann.“ Der Pfälzische Merkur nalismus, wenn eine Agenturmeldung sei „ein Stück Historie unseres Lan- von sechs Uhr morgens am Abend schon Makulatur ist“, sagte Schulz: des“. Dann widmete sich der Europaparla- „Das ist keine Kritik, sondern eine Festments-Präsident dem Verhältnis von stellung.“ Er werbe dafür, „innezuhalMedien und Politikern. Schulz: „Jour- ten“ und eine „Entschleunigungskulnalismus und Politik sind zwei Seiten tur“ zu diskutieren, damit nicht nur der gleichen Medaille: Es ist die Me- kurzfristige, sondern auch langfristig daille des öffentlichen Lebens.“ Letzte- Themen die medialen und politischen res definierte der 57-jährige Sozialde- Debatten bestimmen. „Anspruchsvolle mokrat: „Wo endet das Private und be- Bürger wollen qualitativ und seriös reginnt das Öffentliche? Die Wohnung ist giert werden. Diesem Anspruch kann uns heilig; wir bestimmen, wen wir dort die Politik nicht mehr richtig nachkomreinlassen und welche Meinung darin men in Zeiten von Highspeed-Politik herrscht (da kommt es ein bisschen auf und Highspeed-Medien.“ Doch durch einen Blick in die euroden Ehepartner an, ich weiß, und manchmal auch die Kinder). Aber mit päische Geschichte schöpft der EuroHoffnung: dem Schritt vor die Tür sind wir im öf- paparlaments-Präsident fentlichen Raum. Dort hat jeder Zu- Der deutsche Bundeskanzler Konrad gang, dort bestimmt nicht der Einzelne, Adenauer und der französische Außenwas geschieht, man ist der demokrati- minister Robert Schuman (die als schen Willensbildung unterworfen. Gründerväter der späteren EuropäiDiese zu gewährleisten, ist die Aufgabe schen Union gelten) hätten für ihre Vider Medien, nicht der Politik!“ Denn sionen zunächst keine Unterstützung die Politiker könnten zwar „Vorschläge in ihren Parlamenten gehabt, seien einbringen, im Parlament durchsetzen teils sogar beschimpft worden – hätten und gegebenenfalls zu erzwingen ver- in vielen Zeitungen aber „publizistisuchen, aber ob Vorschläge gut und ver- sche Unterstützung gegen dies Mainnünftig sind, die Debatte darüber, und stream-Debatten auf der Straße und im ob die Politik die Vielfalt der Meinun- Parlament“ gefunden. Das Beispiel diegen reflektiert“, dies zu vermitteln sei ser Journalisten und dieser beiden Politiker zeige: „Man kann sehr wohl der Aufgabe der Medien. Zeitungen beeinflussten „in enormer Kurzfristigkeit die Langfristigkeit entArt und Weise die Politik“, sagte der gegensetzen.“ Zum Schluss seiner Rede Präsident. Und das sei auch gut so, denn erinnerte Schulz daran, dass „in ande„vor allem die Printmedien sind der Re- ren Ländern Journalisten gefoltert und sonanzboden, den die Politik braucht, getötet werden, sie für die Aufklärung das muss sich auch die Politik immer ihr Leben einsetzen“. wieder klarmachen“. Politiker müssten zwar „die Medien nicht lieben, aber sie respektieren als Grundpfeiler der Demokratie – ohne die Freiheit der MePRODUKTION DIESER SEITE: dien gibt es keine Demokratie“. R O B BY LO R E N Z , E R I C KO L L I N G Stichwort Liebe: Er kenne niemanLUTZ FRÖHLICH Von Merkur-Redakteur Lutz Fröhlich
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Europaparlaments-Präsident Martin Schulz bei seinem Festvortrag im Schloss. Unten der Dank an die Redner: Merkur-Chefredakteur Michael Klein mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer; Dr. Joachim Meinhold (Vorsitzender der Geschäftsführung der Saarbrücker Zeitung Verlag und Druckerei GmbH) und Schulz. FOTOS: JÖRG JACOBI/MARCO WILLE
Neujahrsempfang des Pfälzischen Merkur Inspirierende Rede von Europaparlaments-Präsident Martin Schulz über Verhältnis von Politik und Medien – Ministerpräsidentin Malu Dreyer beim 300. Geburtstag unserer Zeitung: Medien unverzichtbar für qualifizierte Meinungsbildung der Bürger