Aufsichtsrat aktuell 1/2024 Leseprobe

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20. Jahrgang / Februar 2024 / Nr. 1

Das aktuelle Interview

Benedikt Kommenda spricht mit Robert Eichler

Rechtsfragen für den Aufsichtsrat

Gewinnausschüttung und Energiekostenzuschuss II

Nachhaltigkeit meets Digitalisierung

Rechtsprechung

Einstweilige Verfügungen im Aktienrecht

Praxisfragen rund um den Aufsichtsrat

Interkulturelle Erfahrungen bereichern das Gremium

SIGNA-Signale – Die bestellte Prominenz

Innovationsstratege Alan Zettelmann im Gespräch

KI-keri-KI – Grenzen im Grenzenlosen

AufsichtsART® – [C]-Suite: Clarence in Wonderland

Literaturrundschau

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LIEBE LESERINNEN UND LESER

in Zeiten der Transformation gilt es für Aufsichtsräte und Geschäftsleitungen, die Existenz zu sichern. In einem satirischen Text ließ das britische Wirtschaftsmagazin „The Economist“ vor Kurzem einen fiktiven Konzernchef das Zeitalter der „Permavucalution“ ausrufen. Ein Fantasiewort, zusammengesetzt aus „Permacrisis“ (Dauerkrise) und „Vuca“. Das Akronym VUCA steht für „volatility“ (Volatilität), „uncertainty“ (Unsicherheit), „complexity“ (Komplexität) und „ambiguity“ (Mehrdeutigkeit). Gewissheiten gibt es nicht mehr – und überall sind Krisen.

Die Vorstände und Aufsichtsräte sind heute weniger Gestalter als vielmehr „Getriebene der geopolitischen Umstände“. Seit vier Jahren taumelt die Welt von einem Ausnahmezustand in den nächsten. Auch 2024 wird ein weiteres Jahr, in dem es für Unternehmen längst nicht mehr genügt, über ein bisher bewährtes, etabliertes Geschäftsmodell zu verfügen. Es muss auch robust genug sein, um allen Widrigkeiten der „Permavucalution“ zu trotzen.

Dieses Heft widmet sich unter anderem auch der causa prima SIGNA sowie der „bestellten Prominenz“ und zeigt Frühwarnzeichen für professionell agierende Eigentümer, Aufsichtsräte und Vorstände auf. Denn die Skandalbilder gleichen sich leider – sei es bei Hypo Alpe Adria, Wirecard, Commerzialbank Mattersburg, Casinos Austria, Immofinanz etc. Dennoch passieren Aufsichtsräten immer wieder die gleichen Fehler – aus Unvermögen und/oder Ignoranz. Kein Trost für alle Geschädigten – und schon gar keine Exkulpation für Arroganz und uneinsichtige Durch- und Abwinker. Wie meinte doch der Aufsichtsratsvorsitzende der beiden maßgeblichen Aktiengesellschaften von SIGNA Prime und Development, als er auf seine Branchenunkenntnis angesprochen wurde: „Das Immobiliengeschäft sei keine Raketenwissenschaft …“ Nun hat er die mit Abstand größte Insolvenz in Österreich mit 14 Mrd € maßgeblich mit zu verantworten. Selbst nach dem Bekanntwerden der betriebs- und volkswirtschaftlichen Katastrophe mangelt es an Einsicht und Reflexionsfähigkeit. Ein Aufsichtsratsvorsitzender, der zugleich „Kontakte und vermeintliche Geschäfte“ einfädelt, dem Unternehmen dafür noch Millionengagen verrechnet, kann nicht als unabhängig bezeichnet werden. Der Interessenkonflikt ist offenkundig.

Die Pleite von Alpine war bis zur Insolvenz SIGNAS Österreichs größter Konkurs mit vier Milliarden Euro und hat sich vor fast elf Jahren ereignet. Das Konkursverfahren läuft noch immer. SIGNA versucht es zwar mit einem Sanierungsverfahren, trotzdem gibt es Parallelen zwischen den beiden Pleiten. Eine ist, dass in den Jahren vor dem letztendlichen Zusammenbruch über alle Maßen zugekauft wurde. Eine andere ist, dass Alfred Gusenbauer da wie dort an der Spitze des Aufsichtsrats war –bei der Alpine war ihm allerdings das Glück des vorzeitigen Ausscheidens beschieden. Zum Thema „bestellte Prominenz“ passend kam die vormalige Außenministerin Benita Ferrero ­Waldner nach der Ära Gusenbauers in den Aufsichtsrat von Alpine. Auch dieser Baukonzern legte großen Wert auf politische VIPs im Kontrollgremium. Das Angebot ein Jahr später, den Aufsichtsratsvorsitz einzunehmen, lehnte Ferrero ­Waldner allerdings ab. Das war ein Jahr vor der Pleite. Die „bestellte Prominenz“ macht auch BAYER nach wie vor zu schaffen. Prominente im Aufsichtsrat sind selten Nutzen stiftend, weil sie inhaltlich meist nicht viel einbringen können, dies auch mangels Unabhängigkeit gar nicht vermögen. Der BAYER-Konzern leidet weiter für den Kauf von Monsanto um 60 Mrd Dollar im Jahr 2018, den ein prominent besetzter Aufsichtsrat wider alle Bedenken von zahlreichen Experten durchgewunken hatte. Ein US-Geschworenengericht verurteilte BAYER jüngst in einem weiteren Prozess rund um Roundup zu einer Strafe in Höhe von 2,25 Mrd Dollar (davon zwei Milliarden Strafschadenersatz). Der Schadensersatz ist der höchste, zu dem BAYER in einem Glyphosat-Prozess schuldig gesprochen wurde. Das Unternehmen zahlte bisher 9,5 Mrd Dollar, um Klagen vom Tisch zu bekommen. Jedoch sind noch immer 52.000 der insgesamt rund 165.000 eingereichten Klagen offen! BAYER will in Berufung gehen und ist weiter von der Sicherheit von Glyphosat überzeugt. Die Aktionäre dürften das anders sehen, hat der Agrarchemie- und Pharmakonzern doch einen markanten Wertverfall erlitten. Zirka 50 % des Börsenwerts hat BAYER binnen fünf Jahren verloren.

Der Aufsichtsrat hat mit der Bestellung des unkonventionellen US-Managers Bill Anderson einen Externen als CEO geholt, der auch für einen Kulturwandel sorgen und zB zwölf Hierarchieebenen zwischen Vorstand und Kunden verringern soll. Anderson sagt: „In Zukunft wird praktisch jeder im Unternehmen in kleinen, selbstverwalteten Teams arbeiten, die sich auf einen Kunden oder ein Produkt konzentrieren – so wie es ein Kleinunternehmer tun würde.“

Mögen Sie Spannendes entdecken! Das wünscht im Namen des Redaktionsteams

Ihr Josef Fritz

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Benedikt Kommenda 3

„Bei wichtigen Themen wird zu wenig, bei Randthemen zu viel diskutiert“

Interview mit Dr. Robert Eichler

Andreas Mitterlehner / Katharina Huber

Gewinnausschüttung und Energiekostenzuschuss II – Was ist zu beachten?

Timo Goßler / Ulrich Kraßnig ...................................................................................................................

Nachhaltigkeit meets Digitalisierung – Status quo der Twin Transformation sowie Wissens- und Handlungsimperative für den Aufsichtsrat

Johannes Peter Gruber 19 Rechtsprechung – Einstweilige Verfügungen im Aktienrecht

Johann Königshofer..................................................................................................................................

Interkulturelle Erfahrungen bereichern das Aufsichtsratsgremium

SIGNA-Signale – Die bestellte Prominenz

Clarissa-Diana de Grancy

„Es wird etwas Größeres auf uns zukommen, als das, was jetzt ist“

Gespräch mit Alan Zettelmann

Clarissa-Diana de Grancy

[C]-Suite: Clarence in Wonderland – oder die Ballade vom weinenden Manager Rudolf X. Ruter

KI-keri-KI – Grenzen im Grenzenlosen

Michael Barnert

Literaturrundschau

Fachinformation für die verantwortungsvolle Kontrolle und Beratung von Unternehmen und Stiftungen

Ausgabe 1/2024

Redaktion

Dr. Josef Fritz, Mag. Clarissa-Diana de Grancy, DDr. Ulrich Kraßnig, LL.M., Mag. Stefan Menhofer

E-Mail: ARaktuell@lindeverlag.at Redaktionsbeirat

RA Dr. Nikolaus Arnold, Dr. Erhard Grossnigg, RA Dr. Herbert Hochegger, Univ.-Prof. Dr. Susanne Kalss Medieninhaber, Herausgeber und Medienunternehmen

Linde Verlag Ges.m.b.H., A-1210 Wien, Scheydgasse 24; Telefon: 01/24 630 Serie, Telefax: 01/24 630-723 DW,

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Rechtsform der Gesellschaft: Ges. m. b. H., Sitz: Wien

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Geschäftsführer: Mag. Klaus Kornherr und Benjamin Jentzsch Erscheinungsweise Erscheint sechsmal jährlich.

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Aufsichtsrat aktuell 1/2024

Benedikt Kommenda

„Bei wichtigen Themen wird zu wenig, bei Randthemen zu viel diskutiert“

Rechtsanwalt und Compliance-Experte Dr. Robert Eichler im Gespräch über die Kontrolltätigkeit des Aufsichtsrats, dessen Informationsbeschaffung und die Herausforderungen durch die Nachhaltigkeitsberichterstattung. Und: Wie geht man mit wirtschaftlichen, strategischen und politischen Risiken um?

Kommenda: Der Aufsichtsrat kann seine wichtigste Aufgabe, die Unternehmensführung begleitend zu kontrollieren, nur wahrnehmen, wenn er über die Vorgänge im Unternehmen Bescheid weiß. Wie kann er sicherstellen, zu wissen, was im Unternehmen los ist?

Eichler: Um Vorgänge im Unternehmen zu verstehen, muss der Aufsichtsrat die Quartalsberichterstattung und die Informationen, die er durch Gespräche mit dem Vorstand erhält, verknüpfen. Dabei kommt dem Aufsichtsratsvorsitzenden eine entscheidende Rolle zu. Er muss sich regelmäßig mit dem Vorstandsvorsitzenden austauschen, die Informationen aber auch an den restlichen Aufsichtsrat weitergeben. Der Corporate Governance Kodex sieht explizit eine offene Diskussion zwischen Vorstand und Aufsichtsrat vor.

Das ist nicht sehr konkret.

Noch deutlicher ist der deutsche Corporate Governance Kodex, der empfiehlt, dass der Aufsichtsratsvorsitzende zwischen den Sitzungen mit dem Vorstand regelmäßig Kontakt hält und bei Fragen der Strategie, der Geschäftsentwicklung, des Risikomanagements und der Compliance berät. Erst dadurch ergibt sich für den Aufsichtsrat ein umfassendes Bild. Schriftliche Berichte sind in der Regel auf die notwendigen Punkte fokussiert, und kontroversielle Themen werden meist nicht besonders betont. Eine offene Diskussion setzt allerdings Vertrauen und Verschwiegenheit im Unternehmen voraus. Der Austausch hängt daher stark von den Persönlichkeiten, deren Fachwissen und von der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens ab. Solange diese stabil ist, ist das Interesse, kritische Fragen zu stellen, meistens gering. Das rächt sich aber bei Themen, deren Auswirkungen erst langfristig hervorkommen.

Wie kann der Aufsichtsratsvorsitzende auf gute Beratungen hinwirken?

Die Qualität der Überprüfung der Vorstandstätigkeit beginnt schon bei der Gestaltung der Tagesordnung. Es ist essenziell, dass der Aufsichtsratsvorsitzende für die wichtigen Punkte genügend Zeit für Fragestellung und Diskussion einräumt. Die Erfahrung zeigt, dass sich Aufsichtsräte mit Wortmeldungen

zurückhalten, wenn die Zeit knapp wird. In so einem Fall sollten unwesentliche Punkte vertagt werden, um den kritischen Themen genügend Raum zu geben. Weiters sollte in diesen Fällen der Aufsichtsratsvorsitzende eine ausführliche Protokollierung der Diskussion veranlassen, um die Qualität seiner Entscheidung zu dokumentieren.

Der Vorstand steuert die Information des Aufsichtsrats, auf deren Basis er selbst kontrolliert werden soll. Wie kann das funktionieren?

Diese Frage bringt das Dilemma auf den Punkt. Der Vorstand hat das Informationsmonopol, und kein Vorstand stellt gerne Informationen bereit, die Zweifel an seiner Performance aufkommen lassen. Der Aufsichtsrat muss daher entsprechend qualifiziert sein, um hinter choreografierte Präsentationen blicken zu können. Keine einfache Aufgabe bei komplexen Themen wie zum Beispiel Bewertungsfragen. Die Folge ist, dass bei wesentlichen Themen zu wenig und bei Randthemen zu viel diskutiert wird. Der Aufsichtsrat hat aber mehrere Möglichkeiten, sich weitere Informationen zu beschaffen, ohne dabei gleich die Vertrauensbasis mit dem Vorstand in Frage zu stellen. Durch die Mitbestimmung des Betriebsrats im Aufsichtsrat können die Kapitalvertreter Informationen direkt aus dem Unternehmen erhalten, ohne dass diese durch den Vorstand gefiltert wurden.

Mag. Benedikt Kommenda ist Chef vom Dienst und Leiter des Rechtspanoramas in der „Presse“.

Foto: Clemens Fabry

Weitere Informationsquellen sind der Leiter der Internen Revision und der Wirtschaftsprüfer. Von diesen Ausnahmen abgesehen kann sich der Aufsichtsrat keine Informationen am Vorstand vorbei verschaffen?

Üblich und zulässig ist, dass Mitarbeiter bestimmter Leitungsfunktionen auch an Sitzungen des Aufsichtsrats oder seiner Ausschüsse teilnehmen. Der Nutzen für den Aufsichtsrat ist allerdings überblickbar, weil die Mitarbeiter ja nur Informationen bringen, die zuerst mit dem Vorstand akkordiert wurden. Was Aufsichtsräte nicht dürfen, ist direkt mit Mitarbeitern im Unternehmen unter vier Augen zu sprechen. Direkte Gespräche wären Ausdruck eines zerstörten Vertrauensverhältnisses und brächten auch die Mitarbeiter in einen Loyalitätskonflikt. Ausgenommen sind Krisenfälle, bei denen die begründete Vermutung besteht, dass der Vorstand Informationen verschweigt oder falsch darstellt. Eine Ausnahme ist auch der Leiter der Internen Revision. Gemäß internationalen Standards ist eine Berichtslinie an den Aufsichtsrat vorgesehen, in der Praxis sind davon auch Vier-AugenGespräche mit Aufsichtsräten umfasst. Keine einfache Aufgabe, wenn sich Aufsichtsrat und Vorstand in einem Konflikt befinden.

Wie kann man sich helfen?

Meine Empfehlung ist, dass der Vorsitzende des Prüfungsausschusses regelmäßig vor jeder Sitzung One-on-One-Meetings mit dem Leiter der Internen Revision ansetzt. In diesem kleinen Rahmen fällt es viel leichter, schwierige Themen anzusprechen, als es im gesamten Prüfungsausschuss oder im Plenum möglich wäre. Durch routinemäßige Meetings wird zudem der Eindruck eines besonderen Anlasses vermieden.

Investoren und Öffentlichkeit erwarten sich vom Aufsichtsratsvorsitzenden oft Informationen. Kann und darf er diesen Erwartungen gerecht werden?

Zunächst muss man vorausschicken, dass die externe und interne Kommunikation Aufgabe des Vorstands ist. Mit der zunehmenden Bedeutung von Governance- und Nachhaltigkeitsthemen, die auch im Aufsichtsrat verankert sind, hat sich aber auch ein Bedürfnis nach

Kurzbiografie

Dr. Robert Eichler ist Rechtsanwalt und Experte für Compliance. Er war langjähriger Senior Vice President Internal Audit & Compliance der OMV. In seiner mehr als zehnjährigen Tätigkeit für den OMV-Konzern hat er Aufsichtsräte und Vorstände zu Fragen der Compliance und Corporate Governance beraten. Er leitete zahlreiche investigative Untersuchungen und globale Revisionsprüfungen. Vor seiner Zeit in der OMV war Eichler Partner bei Wolf Theiss Rechtsanwälte und Foreign Lawyer bei Covington & Burling in New York.

einer aktiveren Kommunikation durch den Aufsichtsratsvorsitzenden ergeben. In Deutschland wurde im Jahr 2017 der Investorendialog durch den Aufsichtsratsvorsitzenden in den Corporate Governance Kodex aufgenommen. Eine externe Kommunikation des Aufsichtsratsvorsitzenden ist legitim, solange es um Themen geht, die im Entscheidungsbereich des Aufsichtsrats liegen. Zu Spannungen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat kommt es dann, wenn die externe Kommunikation nicht koordiniert erfolgt. Die Handlungsmöglichkeiten des Vorstands sind in diesem Fall allerdings sehr beschränkt.

Für die Nachhaltigkeitsberichterstattung gibt es eine Fülle neuer Vorgaben, mit denen die „European Sustainability Reporting Standards“ (ESRS) und die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) umgesetzt werden. Wie kann der Aufsichtsrat sicherstellen, dass die gesetzlichen Vorgaben erfüllt werden?

Im Unterschied zur Finanzberichterstattung kann bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung auf keine etablierten Prozesse zurückgegriffen werden. Für den Aufsichtsrat stellt sich daher die Frage, ob der Vorstand die Nachhaltigkeitsberichterstattung gemessen an den Ergebnissen der Wesentlichkeitsanalyse adäquat eingerichtet hat. Im Vergleich zur Finanzberichterstattung, die auf Buchungsbelegen aufbaut, baut die Nachhaltigkeitsberichterstattung auf sehr inhomogenen Informationen auf. Gleichzeitig werden aber umfassende und detaillierte Angaben verlangt, zum Beispiel Informationen zum Energiemix oder zum Abfallaufkommen. Viele Informationen sind nicht unmittelbar verfügbar. Meine Empfehlung wäre, die Nachhaltigkeitsberichterstattung organisatorisch dem Finanzbereich zuzuordnen und möglichst eng an die Finanzberichterstattung anzubinden. Damit kann an etablierte Prozesse und das ReportingKnow-how angeknüpft werden.

Bestehen nicht bei allen regulatorischen Maßnahmen ähnliche Schwierigkeiten?

Ja, und auch für die internen Regelungen stellt sich für den Aufsichtsrat dieselbe Frage, nämlich: Wie kann ich mich davon überzeugen, dass alle Vorgaben tatsächlich umgesetzt wurden? Im Unterschied zu den spezifischen Regelungen wie etwa Datenschutz, EMIR (European Market Infrastructure Regulation), REMIT (Regulation on Wholesale Energy Market Integrity and Transparency) und zukünftig auch das Lieferkettengesetz ist die Nachhaltigkeitsberichterstattung aber sehr breit gefächert.

Es scheint nicht nur ständig neue Informationspflichten zu geben, sondern die bestehenden werden auch immer wieder verändert: Stichwort NIS2 über die Sicherheit von Netz­ und Informationssystemen.

Mit NIS2 wird der Anwendungsbereich der Cybersicherheits-Richtlinie auf einen weit größeren Teil der Wirtschaft ausgeweitet. Die Richtlinie muss bis 17. Oktober 2024 umgesetzt werden. Betroffene Unternehmen sind verpflichtet, umfassende Risikomanagementmaßnahmen im Bereich der Cybersicherheit zu ergreifen, zudem gibt es Meldepflichten bei Sicherheitsvorfällen. Auch in anderen Bereichen kommt es ständig zu Erweiterungen. So werden zum Beispiel ab April 2024 die Berichtspflichten für Derivate nach der EMIR-Verordnung erweitert; zukünftig sind bis zu 203 statt 129 Felder pro Transaktion zu berichten. Die Energiegroßhandelsmärkte müssen sich mit der geplanten Änderung der REMIT-Verordnung ebenfalls auf Neuerungen einstellen. Bei vielen dieser regulatorischen Themen zeigt sich, dass zwar seit Jahren Daten berichtet werden, wegen fehlender Datenqualität und der Komplexität aber keine brauchbaren Schlussfolgerungen gezogen werden können. Die ursprünglich mit der Regelung verfolgten Ziele werden daher oft gar nicht erreicht.

Die vergangenen Jahre haben eindrucksvoll gezeigt, welch überraschende Risiken plötzlich virulent werden können: erst Corona, dann noch der russische Überfall auf die Ukraine. Wie kann der Aufsichtsrat beurteilen, ob für potenzielle neue Risiken gut genug vorgesorgt ist?

Die Frage ist, ob mitigierende Maßnahmen für das Geschäftsmodell des Unternehmens bzw im Risikomanagement abgebildet sind. Sinnvoll ist es, zwei Kategorien von Risiken zu unterscheiden. Jene Risiken, die mit Sicherheit verwirklicht werden, bei denen es jedoch unklar ist, wann und in welchem Umfang. Dazu gehören vor allem geänderte Rohstoffpreise, Wechselkurse, Zinsen und Margen. In die andere Kategorie fallen strategische und politische Risiken wie Kriege, Naturkatastrophen und Pandemien. Was folgt aus der Unterscheidung?

Bei der ersten Kategorie sollten Aufsichtsräte darauf achten, ob realistische Alternativszenarien gerechnet wurden und ob die Hedging-Basis korrekt ist. In der zweiten Kategorie muss Aufsichtsräten bewusst sein, dass sie sich auch trotz schlüssiger Einschätzungen und Risikosimulationen nicht in falscher Sicherheit wiegen können. Schließlich sind die Auswirkungen dieser Ereignisse nicht in vollem Umfang vorhersehbar. Wesentlich ist, dass die in Frage kommenden Risiken vollständig erfasst werden und bei realistischer Einschätzung von Eintrittswahrscheinlichkeit und finanziellem Impact ausreichend Liquidität vorhanden ist.

Wo muss welche Branche zurzeit besonders genau hinschauen?

Alle Branchen, deren Geschäftsmodelle von den gestiegenen Zinsen besonders betroffen sind. Das sind insbesondere Immobilien, Bauwesen und Banken.

Kann der Aufsichtsrat die Risiken überhaupt gut genug abschätzen, oder ist er da nicht erst recht auf die Information durch den Vorstand angewiesen?

Der Aufsichtsrat muss sich zunächst die Risiken vom Vorstand berichten lassen. Hier zeigt sich auch, wie gut die Vertrauensbasis ist: Werden alle Risiken berichtet? Im nächsten Schritt geht es darum, die Annahmen für die Worstund Best-Case-Szenarien zu hinterfragen. Die Branchenkenntnis des Aufsichtsrats spielt dabei eine große Rolle. Am Ende müssen der realistische finanzielle Impact von Risiken, die Investitionen und die zukünftige Liquidität stimmig sein.

Wie kann der Aufsichtsrat reagieren?

Ist der Aufsichtsrat der Meinung, über Risiken nicht ausreichend informiert worden zu sein, muss er weitere Informationen vom Vorstand einfordern. Kann er Risiken selbst nicht gut genug einschätzen, muss er einen Sachverständigen beiziehen.

In der SIGNA­Pleite scheinen ja selbst offenkundige Risiken völlig negiert worden zu sein. Wie kann so etwas passieren?

Gemäß dem Jahresabschluss der SIGNA Prime Selection AG vom 31. Dezember 2022 verfügt die Gesellschaft über ein Risikomanagement, das auch strategische Risiken, Planungsrisiken und Zinsrisiken umfasst. Es gab zudem eine jährliche Überprüfung der Risikomanagement- und Compliance-Prozesse samt Erörterung im Aufsichtsrat. Hier wäre einzuhaken und zu hinterfragen: Was wurde zu den Zinsrisiken berichtet? Wie hat der Aufsichtsrat reagiert? Möglicherweise gilt das eingangs Gesagte, dass wesentliche Themen zu wenig diskutiert wurden.

Wenn etwas passiert ist und es darum geht, Verantwortlichkeiten zu klären: Wie nimmt hier der Aufsichtsrat seine Aufgabe am besten wahr?

Stehen substantiierte Vorwürfe im Raum, muss der Aufsichtsrat eine interne Untersuchung durchführen. Als weniger invasive Maßnahme kommt zunächst auch ein Anforderungsbericht nach § 95 Abs 2 AktG in Frage.

Ein Fehlverhalten des Vorstands kann zumindest vordergründig den Interessen des Unternehmens gedient haben, etwa bei verbotenen Preisabsprachen oder Korruption. Wie soll der Aufsichtsrat so ein Verhalten beurteilen?

Preisabsprachen und Korruption sind nie im Unternehmensinteresse. Eine andere Frage ist, wie die Aufarbeitung erfolgt. Ein bestehender Schaden darf nicht vergrößert werden. Zunächst ist erforderlich, dass der Aufsichtsratsvorsitzen-

de und der CEO die fallspezifischen Interessen des Unternehmens und die mit der Untersuchung verbundenen Risiken herausarbeiten. Danach richten sich Untersuchungshandlungen und Intensität der Untersuchung. In Fällen, bei denen ein Manager bzw ein Vorstand eine kriminelle Handlung zum Vorteil des Unternehmens begeht, ist die Interessenlage deutlich komplexer und bedarf einer Abwägung. Der Grund dafür ist, dass sowohl eine strafrechtliche und zivilrechtliche Haftung des Managers als auch eine separate Haftung des Unternehmens möglich ist. Damit steht die Unternehmensverteidigung samt Abwehr von zivilrechtlichen Ansprüchen mit der individuellen Verteidigung des Managers in einem Spannungsverhältnis. Das gilt auch für die gesellschaftsrechtlich und arbeitsrechtlich notwendige interne Aufklärung sowie für die umfassende externe Sachverhaltsaufklärung durch Behörden. Fehlen klare Festlegungen und Rollenverteilungen, wird sich bei Druck durch Behörden und Medien das Bild einer orientierungslosen und fehlerhaften Untersuchung ergeben.

Was tun, wenn der Aufsichtsrat kein Fehlverhalten ortet, die behördlichen Untersuchungen dann aber sehr wohl ein solches ergeben?

Es kommt darauf an, ob beide Untersuchungen auf Basis desselben Sachverhalts erfolgt sind oder ob der Behörde weitere Informationen zur Verfügung gestanden sind. Das ist möglich, weil

eine Behörde Zeugen vorladen und auch bei anderen Unternehmen Dokumente anfordern oder Hausdurchsuchungen durchführen kann. Divergierende Ergebnisse müssen daher nicht zwingend bedeuten, dass bei der internen Untersuchung gepfuscht wurde. Oft ist auch der Blickwinkel unterschiedlich. Der Aufsichtsratsvorsitzende muss rasch auf Basis der aktuell vorhandenen Informationen beurteilen, ob ein Vorstandsmitglied seine Funktion weiter ausüben kann. Er kann nicht drei Jahre warten, bis eine behördliche Untersuchung abgeschlossen ist. Sofern die interne Untersuchung Ansatzpunkte für ein entsprechendes Fehlverhalten ergibt, fehlt die Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Der Aufsichtsrat muss dann Konsequenzen ziehen.

Kann es einen Informationsaustausch zwischen internen und externen Untersuchungen geben?

Ein freiwilliger Informationsaustausch ist dann sinnvoll, wenn das Interesse der Behörde und des Unternehmens dasselbe ist. Das ist dann der Fall, wenn eine kriminelle Handlung zum Nachteil des Unternehmens erfolgt ist, etwa eine Kick-back-Zahlung oder ein Diebstahl. In diesem Fall ist eine Kooperation mit Behörden zielführend, weil Behörden weitergehende Möglichkeiten zur Ermittlung haben und eine umfassende Aufklärung im beiderseitigen Interesse liegt.

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Gewinnausschüttung und Energiekostenzuschuss II – Was ist zu beachten?

Traditionell stellt sich bei vielen Unternehmen im ersten Halbjahr stets auch die Frage nach einer Ausschüttung an die Gesellschafter. Dabei sind einerseits gesellschaftsrechtliche Aspekte, aber auch Verpflichtungen und Beschränkungen von etwaigen Förderungen zu beachten. Mit dem Energiekostenzuschuss II enthält hier eine aktuelle Förderung mit großer Breitenwirkung erneut eine solche Gewinnausschüttungsbeschränkung, die dazu führen kann, dass im ersten Halbjahr Ausschüttungen noch nicht zulässig sind.

1. GEWINNAUSSCHÜTTUNG IN TURBULENTEN ZEITEN

Bei vielen Unternehmen, insbesondere solchen mit dem Kalenderjahr entsprechendem Wirtschaftsjahr (Regelbilanzstichtag 31. 12.), wird in der ersten Jahreshälfte auf Basis des erstellten Jahresabschlusses die Gewinnausschüttung beschlossen. Die aktuell herausfordernden Zeiten stellen jedoch viele Unternehmen vor massive wirtschaftliche Herausforderungen. Die derzeitige wirtschaftlich vielfach schwierige Ausnahmesituation zwingt dazu, die „Standardvorgehensweisen“ häufig zu überdenken. Im gesellschaftsrechtlichen Kontext stellen Gewinnausschüttungen Zuwendungen von Gewinnen an die Gesellschafter und damit eine Form der Einkommensverwendung dar. § 82 Abs 1 GmbH sieht vor, dass die Gesellschafter „nur Anspruch auf den nach dem Jahresabschluss als Überschuss der Aktiven über die Passiven sich ergebenden Bilanzgewinn“ haben, soweit dieser nicht aus dem Gesellschaftsvertrag oder durch einen Beschluss der Gesellschafter von der Verteilung ausgeschlossen ist.(1) Dieser „ausschüttungsfähige“(2) Bilanzgewinn stellt grundsätzlich die mögliche Gewinnausschüttung für das jeweils abgelaufene Wirtschaftsjahr dar. Liegt ein ausschüttungsfähiger Bilanzgewinn vor, ist für die Durchführung einer Gewinnausschüttung das Vorhandensein eines Gewinnverteilungsbeschlusses oder das Vorliegen von gesetzlichen Gewinnverteilungsregelungen

(§ 35 GmbHG oder § 104 AktG)(3) zwingend vorgesehen.(4)

Generell stellen Gewinnausschüttungen ein typisches Konfliktfeld dar, das aus den unterschiedlichen Interessen an der Verwendung der Gewinne hervorgerufen wird.(5) Den Interessen an einer Vermehrung des Gesellschaftsvermögens und der Liquidität durch Rücklagenbildung einerseits stehen Interessen insbesondere der Gesellschafter an einer (möglichst vollständigen) Auszahlung oder Ausschüttung der erwirtschafteten Gewinne andererseits gegenüber. Dieser Konflikt wurde vor allem in den letzten Jahren zB durch die COVID-19-Krise noch verstärkt und warf vermehrt die Frage auf, ob die Gesellschaft überhaupt noch eine Gewinnausschüttung vornehmen darf bzw die Aufsichtsorgane einer solchen überhaupt zustimmen können.(6) Abgesehen vom Vorliegen eines ausschüttungsfähigen Bilanzgewinns und eines entsprechenden Beschlusses sind im Zusammenhang mit Gewinnausschüttungen folgende Punkte jedenfalls zu beachten:

2. AUSSCHÜTTUNGSSPERRE GEMÄSS § 82

ABS 5 GMBHG

§ 82 Abs 5 GmbH kennt eine einschlägige Bestimmung, die zu einem teilweisen oder gänzlichen Ausschüttungsverbot des Bilanzgewinns führen kann. Ziel dieser Bestimmung ist es, dass unvorhergesehene Verschlechterungen der wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft nach Ende eines Wirtschaftsjahres im Folgejahr

(1) Analog dazu: § 52 AktG als zentrale Einlagenrückgewährverbotsbestimmung für Aktiengesellschaften. (2) Der unter Umständen auch noch um Ausschüttungssperren gemäß § 235 UGB geschmälert werden könnte (insbesondere im Zusammenhang mit Buchgewinnen aus Umgründungen).

(3) Nachdem die neue Rechtsform der FlexCo erstmalig mit 1. 1. 2024 gegründet werden konnte, wird auf diese nicht näher eingegangen. Grundsätzlich gelten für die FlexCo jedoch die Regelungen des GmbHG, solange im einschlägigen FlexKapGG (Flexibles Kapitalgesellschafts-Gesetz) keine abweichenden Bestimmungen vorgesehen sind.

(4) So enthält zB § 35 GmbHG das Prinzip der Vollausschüttung, wonach der gesamte Bilanzgewinn auszuschütten ist, sofern die Satzung keine gegenteilige Regelung enthält.

(5) Siehe dazu auch Fritz, Gewinnverwendung und Gewinnverteilung in der GmbH, SWK 30/2020, 1443.

(6) Siehe zur Ausschüttung in Verbindung mit der COVID-19-Krise Mitterlehner/Panholzer, Was ist bei der Gewinnausschüttung in der Krise zu beachten? Aufsichtsrat aktuell 3/2020, 36.

Andreas Mitterlehner, MSc, LL.B. ist Steuerberater und Partner der ICON Wirtschaftstreuhand GmbH in Linz und Wien. Katharina Huber, MA ist Mitarbeiterin der ICON Wirtschaftstreuhand GmbH im Bereich Audit und Tax in Linz.

berücksichtigt werden müssen. Wird nämlich zwischen dem Bilanzstichtag und der Beschlussfassung über den Jahresabschluss bekannt, dass das Vermögen der Gesellschaft durch eingetretene Verluste „erheblich und voraussichtlich nicht nur vorübergehend“ geschmälert wurde, ist der Bilanzgewinn in Höhe der erlittenen Schmälerung nach § 82 Abs 5 GmbHG von der Ausschüttung ausgeschlossen.(7)

Im Unterschied zur Rechtsform der GmbH ist für Aktiengesellschaften im einschlägigen AktG keine entsprechende Ausschüttungssperre explizit verankert. Eine analoge Anwendung des § 82 Abs 5 GmbHG wird jedoch in der Literatur für Aktiengesellschaften vertreten.(8) Da bei diesen der Gläubigerschutz in der Regel eher noch strenger als bei der GmbH ausgeprägt ist, wird wohl bei krisengeschüttelten Aktiengesellschaften kein Weg daran vorbeiführen, die Bestimmung des GmbHG ebenfalls zu beachten.(9)

Für die Praxis bedeutet dies Folgendes: Kommt es bereits vor Feststellung des Jahresabschlusses zu einer (erheblichen und längerfristigen(10)) Schmälerung des Gesellschaftsvermögens, darf der vorhandene Bilanzgewinn nicht bzw nicht vollständig ausgeschüttet werden. Liegt eine solche Schmälerung vor, hat die Geschäftsführung bzw ein allenfalls bestehender Aufsichtsrat die Gesellschafter darauf rechtzeitig vor Beschlussfassung über die Feststellung des Jahresabschlusses hinzuweisen. Sollte trotz des Vorliegens der Voraussetzungen des § 82 Abs 5 GmbHG ein entsprechender Ausschüttungsbeschluss über den vollen Bilanzgewinn gefasst werden, haben die Geschäftsführer die Auszahlung zu verweigern.(11)

Die Organe der Gesellschaft(12) sollten sich daher vor einer Gesellschafterversammlung ein genaues Bild davon machen, ob kritische Umstände eventuell zu einer entsprechenden Schieflage des Unternehmens führen könnten. Im Zweifel ist dann von einer (eventuell vollen) Ausschüttung Abstand zu nehmen, auch um

3.

TREUEPFLICHT DER GESELLSCHAFTER

Auch außerhalb der Ausschüttungssperre des § 82 Abs 5 GmbHG ist zu beachten, dass es die allgemeine Treuepflicht der Gesellschafter gebietet, keine existenzgefährdenden Ausschüttungen vorzunehmen. Wurde der Jahresabschluss schon frühzeitig fertiggestellt und dementsprechend auch bereits die Ausschüttung beschlossen, kann aufgrund der nach dem Bilanzstichtag eintretenden Verluste dennoch eine Ausschüttung zu unterlassen sein. Dies insbesondere dann, wenn die Ausschüttung die Existenz der Gesellschaft gefährdet.

So ist zwar mangels fehlender Rechtsprechung nicht klar, ob in solchen Fällen ebenfalls die Ausschüttungssperre des § 82 Abs 5 GmbHG anwendbar ist, in der Literatur wird dies jedoch vertreten. Ein Ausschüttungsbeschluss, der zur Insolvenz der Gesellschaft führt, kann unter Umständen sogar zu einer direkten Haftung der Gesellschafter gegenüber den Gläubigern führen.

4. AUSSCHÜTTUNGSBESCHRÄNKUNG DURCH ENERGIEFÖRDERUNGEN

Mit den COVID-19-Förderungen haben teilweise auch über die gesellschaftsrechtlichen Vorgaben hinaus Beschränkungen bei den Gewinnausschüttungen Einzug gehalten. So sahen ua der Fixkostenzuschuss und der Verlustersatz entsprechende Einschränkungen bei „Entnahmen des Inhabers“ vor.(14) Die letzten Beschrän-

(7) Siehe ausführlich zur Ausschüttungssperre nach § 82 Abs 5 GmbHG Moser, Ausschüttungsverbot bei erheblicher nicht nur vorübergehender Verschlechterung der Vermögenslage, SWK 12/2020, 626.

(8) Gruber in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG II3 (2021) § 145 Rz 34; Eckert in Althuber/Schopper, Handbuch Unternehmenskauf & Due Diligence I2 (2015) Rz 41; differenzierend Artmann in Artmann/Karollus, AktG I6, § 52 Rz 8; Saurer in Doralt/Novotny/Kalss, AktG II2, § 52 Rz 133; ablehnend zur analogen Anwendung Karollus in Leitner, Handbuch verdeckte Gewinnausschüttung2 (2014) 26; bejahend auch AFRAC, Stellungnahme 16 –Wertaufhellung und Wertbegründung (UGB) (Dezember 2015) Rz 21.

(9) Nach ständiger Rechtsprechung des OGH sind die §§ 82 ff GmbHG auch analog auf die GmbH & Co KG als „kapitalistische Personengesellschaften“ anwendbar. Siehe zB OGH 29. 5. 2008, 2 Ob 225/07p.

(10) Die Kriterien der „erheblichen“ und „voraussichtlich nicht nur vorübergehenden“ Verschlechterung müssen jedenfalls kumulativ erfüllt sein.

(11) OGH 31. 1. 2013, 6 Ob 100/12t.

(12) Wobei hier auch rechtsformspezifische Unterschiede zu beachten sind, zumal die Geschäftsführer einer GmbH einem grundsätzlichen Weisungsrecht der Gesellschafter unterliegen (vgl § 20 GmbHG), während dem Vorstand einer Aktiengesellschaft weitgehende Eigenverantwortung zukommt (vgl § 70 Abs 1 AktG).

(13) § 25 Abs 3 Z 1 GmbHG bzw § 33 GmbHG.

(14) Siehe zu den Ausschüttungsbeschränkungen in Verbindung mit COVID-19-Förderungen ua Knechtl/Mitterlehner/Panholzer, Die Körperschaftsteuererklärung 2022, SWK-Spezial (2023) 231. (persönliche) Haftungsfolgen zu vermeiden. Kommt es nämlich zu einem Verstoß gegen die Bestimmung des § 82 Abs 5 GmbHG, kann es zur persönlichen Haftung der Geschäftsführer bzw Aufsichtsräte kommen.(13) Ein Verstoß gegen die Ausschüttungssperre führt aber nicht zur Nichtigkeit des Ausschüttungsbeschlusses bzw Jahresabschlusses an sich.

kungen in Verbindung mit COVID-19-Förderungen sind mit spätestens 31. 12. 2022(15) ausgelaufen und spielen daher für anstehende Ausschüttungen keine Rolle mehr.

Mit dem Energiekostenzuschuss II (EKZ II) wurde nun erneut eine Gewinnausschüttungsbeschränkung verankert. Hat das betroffene Unternehmen im Spätherbst 2023 einen Antrag auf EKZ II gestellt, muss der Förderwerber die laut Förderungsrichtlinie(16) vorgesehene Beschränkung beachten bzw einhalten. Kommt es durch den Förderwerber zu einer Verletzung der Verpflichtungen bzw Beschränkungen aus der Förderungsrichtlinie, kann dies zur Rückforderung der Förderung durch die aws führen.

4.1. Was ist von der Beschränkung umfasst?

Die förderungswerbenden Unternehmen sind nach Pkt 8.4. der Richtlinie dazu verpflichtet, Entnahmen des Unternehmensinhabers bzw Gewinnausschüttungen an Eigentümer für den Zeitraum 20. 11. 2023 bis 20. 6. 2024 „an die wirtschaftlichen Verhältnisse anzupassen“. Eine Klarstellung, was unter einer Anpassung „an die wirtschaftlichen Verhältnisse“ zu verstehen ist, ergibt sich derzeit weder aus der Richtlinie noch aus den letztgültigen FAQ(17). Auch bei der als Vorlage dienenden Regelung des COVID-19Ausfallsbonus gab es dazu keine entsprechende Klarstellung.(18)

Im Zeitraum von 20. 11. 2023 bis 20. 4. 2024 besteht darüber hinaus laut Richtlinie eine strenge Gewinnausschüttungsbeschränkung, weil in diesem Zeitraum rechtlich nicht zwingende Gewinnausschüttungen bzw Dividenden sowie ein Rückkauf eigener Aktien in der Regel als schädlich im Sinn der Richtlinie zu verstehen sind.(19) Unschädlich sind damit aber dennoch Gewinnausschüttungsansprüche

eines Gesellschafters, die nicht erst mit einem Beschluss über die Ergebnisverwendung entstehen (zB Vollausschüttungsgebot iSd § 82 Abs 1 GmbHG).

Abbildung 1: Strenge Ausschüttungsbeschränkung bis 20. 4. 2024; Quelle: eigene Darstellung

Da nach der Richtlinie „Ausschüttungen von Dividenden“ im Zeitraum 20. 11. 2023 bis 20. 4. 2024 in der Regel pönalisiert werden, sind wohl auch Ausschüttungen, die zwar bereits vor der Veröffentlichung der Richtlinie beschlossen wurden, aber (planmäßig) erst innerhalb dieses Zeitraums fällig bzw ausgezahlt werden, als schädlich zu betrachten. Jedenfalls unschädlich sind jedoch Ausschüttungen, die im Jahr 2023 bereits vor Veröffentlichung der Richtlinie beschlossen und ausgezahlt wurden.

Unklar ist uE, ob der reine Beschluss einer Ausschüttung bis inklusive 20. 6. 2024 (mit erst späterer Fälligkeit/Auszahlung) ebenfalls schädlich ist. Da in den ersten Informationen der aws(20) zum Thema Ausschüttungsverbot auf den COVID-19-Ausfallsbonus verwiesen wurde und bei diesem im Unterschied zu anderen COVID-19-Förderungen(21) der reine Beschluss einer Ausschüttung (ohne Zahlungsfluss) nicht explizit als Verletzung der Ausschüttungsbeschränkung angesehen wurde, sollte eine derartige Vorgehensweise wohl unschädlich sein. Dies auch vor dem Hintergrund,

(15) Großteils sind die Ausschüttungsbeschränkungen bereits im Jahr 2021 ausgelaufen. Nur der Verlustersatz II und III sowie der Ausfallsbonus III haben noch Beschränkungen enthalten, die teilweise auch im Jahr 2022 anwendbar waren.

(16) Richtlinie des Bundesministers für Arbeit und Wirtschaft im Einvernehmen mit der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie und dem Bundesminister für Finanzen zum „Energiekostenzuschuss für Unternehmen 2“ (Fassung vom 10. 11. 2023; veröffentlicht am 20. 11. 2023).

(17) In der aktualisierten Fassung der FAQ vom 12. 12. 2023 finden sich zur Beschränkung des Pkt 8.4. keine neuen Aussagen gegenüber der Erstversion der FAQ.

(18) Die Vorgabe der „maßvollen Dividenden­ und Gewinnauszahlungspolitik“ fand sich nur in Pkt 6.2.2. der Verordnungen zum Verlustersatz, FKZ 800.000 und FKZ I.

(19) In den FAQ zum EKZ II, Pkt 3.57., wurde bei den Erläuterungen zur strengen Ausschüttungsbeschränkung offensichtlich auf die Angabe des Zeitraums (20. 11. 2023 bis 20. 4. 2024) vergessen. Da in den Ausführungen die Anpassung an die wirtschaftlichen Verhältnisse der strengen Ausschüttungsbeschränkung von Ausschüttungen von Dividenden oder sonstigen rechtlich nicht zwingenden Gewinnausschüttungen sowie dem Rückkauf eigener Aktien gleichgestellt wird, was jedoch dem eindeutigen Wortlaut der Förderungsrichtlinie wiederspricht. (20) BMAW, Energiekostenzuschuss II – Basisinformation (17. 10. 2023), abrufbar unter https://www.aws.at/file admin/user_upload/Downloads/EKZ_II/2023_10_17_Basisinformation_EKZ2.pdf (Zugriff am 5. 2. 2024).

(21) So der Verlustersatz (Pkt 3.21. der FAQ) bzw FKZ 800.000 (Pkt C.II.5. der FAQ) und FKZ I (Pkt C.II.4. der FAQ), wonach ein bereits gefasster Ausschüttungsbeschluss wieder aufgehoben werden musste, damit die Antragsberechtigung nicht verletzt wird.

dass weder die Richtlinie zum EKZ II noch die einschlägigen (und bereits aktualisierten) FAQ dazu eine Beschränkung vorsehen.

4.2. Wer ist von der Beschränkung umfasst?

Betroffen von der Ausschüttungsbeschränkung ist nur das jeweils förderwerbende Unternehmen, und das auch nur dann, wenn der EKZ II tatsächlich von der aws gewährt wurde. Schwester-, Mutter- oder Tochtergesellschaften des Förderwerbers sind von der Beschränkung nach Pkt 8.4. der Richtlinie jedoch nicht umfasst. Dies auch dann nicht, wenn eine steuerliche Unternehmensgruppe iSd § 9 KStG besteht.

4.3. Ausnahme: Ausschüttung im Konzern

In Konzernstrukturen wird häufig auch die Ausnahmebestimmung, wonach Ausschüttungen an verbundene Unternehmen(22) in bestimmten Konstellationen erlaubt sind, zur Anwendung gelangen. Demnach sind Ausschüttungen bei förderwerbenden Unternehmen dennoch zulässig, wenn der Gewinn zur Finanzierung der verbundenen Unternehmen verwendet wird und keine weitere Auszahlung an die Inhaber bzw Eigentümer erfolgt. Nach den FAQ ist eine solche Weiterschüttung im Konzern dann zulässig, wenn der Gewinn nur bis in die Holding, nicht aber an die Aktionäre/ Gesellschafter ausgeschüttet wird.(23) Nachdem eine Holding „Gesellschafter“ ihrer Tochtergesellschaften ist, ist diese Aussage jedoch etwas irreführend. Mit der Bezeichnung „Aktionäre/Gesellschafter“ ist letztlich wohl die Ebene der „Investoren“, welche die Gesellschafter des „Konzerns“ (bzw der Holding) sind, gemeint. Bei mehrstufigen (Konzern-)Strukturen ist die Abgrenzung in der Praxis jedoch dennoch häufig schwierig vorzunehmen, womit für die betroffenen Unternehmen eine gewisse Rechtsunsicherheit bestehen bleibt.

4.4. Sehen auch andere Energieförderungen eine solche Beschränkung vor?

Eine Ausschüttungsbeschränkung in Verbindung mit Energieförderungen wurde erstmalig mit dem EKZ II verankert. Bei den rest-

lichen Energieförderungen, die im Zuge der Ukraine-Krise geschaffen wurden (EKZ I, EKZ I Q4, SAG 2022, Energiekostenpauschale),(24) war keine entsprechende Beschränkung vorgesehen.

Förderinstrument Ausschüttungsbeschränkung

Energiekostenzuschuss I (EKZ I) n/a

Energiekostenzuschuss I Q4 2022 (EKZ I Q4) n/a

Energiekostenzuschuss II (EKZ II) 20. 11. 2023 –20. 4. / 20. 6. 2024

Stromkostenausgleich 2022 (SAG 2022) n/a

Energiekostenpauschale n/a

Wichtig ist, dass der EKZ II für das förderwerbende Unternehmen nicht nur eine Gewinnausschüttungsbeschränkung vorsieht, sondern auch weitere Beschränkungen und Verpflichtungen (zB Bonibeschränkung, Beschäftigungsgarantie etc) vorgesehen sind.(25)

5. FAZIT

Bei der Durchführung von Ausschüttungen gilt es, einige Faktoren zu beachten. Gerade im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme von Förderungen hat die Beschränkung von Gewinnausschüttungen in den vergangenen Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen. So ist beim EKZ II auch darauf zu achten, Ausschüttungen im Zeitraum von 20. 11. 2023 bis 20. 6. 2024 an die „wirtschaftlichen Verhältnisse anzupassen“ bzw gelten teilweise noch strengere Vorgaben für Förderwerber. Um sämtliche Förderungsvoraussetzungen zu erfüllen und keine Versagung zu erwirken, ist man hier gerade als Geschäftsführer bzw Vorstand oder Aufsichtsorgan besonders gefordert, sämtlichen Verpflichtungen nachzukommen. Will oder muss man als EKZ-II-Förderwerber im Jahr 2024 dennoch eine Ausschüttung vornehmen, ist aus Sicht des EKZ II eine Ausschüttung nach dem 20. 6. 2024 zumindest unschädlich, davor sind die Vorgaben der Förderungsrichtlinie zu beachten.

(22) Für die Frage, wann ein verbundenes Unternehmen vorliegt, orientiert sich die aws im Wesentlichen an § 244 Abs 2 UGB; siehe Pkt 2.20. der FAQ zum EKZ II.

(23) Pkt 3.58. der FAQ zum EKZ II.

(24) Siehe Mitterlehner/Panholzer, Energiekostenzuschuss – Überblick und Zweifelsfragen, SWK 35/2022, 1330; Mitterlehner/Panholzer, Energiekostenzuschuss I Q4/2022 – Überblick der Neuerungen, SWK 13/14/2023, 617. (25) Siehe dazu Mitterlehner/Panholzer, Energiekostenzuschuss II – Überblick und Zweifelsfragen, SWK 32-33/2023, 1234.

Nachhaltigkeit meets Digitalisierung

Status quo der Twin Transformation sowie Wissens- und Handlungsimperative für den Aufsichtsrat

Dieser Beitrag zeigt, dass die Zukunft ruft: Nachhaltigkeit und Digitalisierung treffen frontal aufeinander. Aufsichtsräte stehen neben dem Management in der Verantwortung und müssen wachsam sein. Um die unausweichliche, für Unternehmen existenzielle Twin Transformation nicht zu verpassen, ist es spätestens jetzt Zeit, zu investieren und Maßnahmen zu ergreifen.

1.

THEMENAUFRISS

Aktuell gibt es zwei große Transformationsthemen für Unternehmen: Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Die beiden strategischen Themen sind eng miteinander verwoben und müssen gemeinsam gedacht werden. Dem Aufsichtsrat kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Dieser Beitrag beleuchtet neben rechtlichen Grundlagen den in der Beratungspraxis derzeit zu beobachtenden Umsetzungsstatus und gibt Handlungsempfehlungen für den Aufsichtsrat. Fakt ist: Unternehmen, die bei Nachhaltigkeit und Digitalisierung nach Kosteneinsparungen suchen, sparen am falschen Ende und zeichnen selbst das Rezept für ihre zukünftige Irrelevanz.

2.

DIE VERANTWORTUNG DES AUFSICHTSRATS

§ 95 Abs 5 AktG bzw § 30j Abs 5 GmbHG zählt jene Geschäfte auf, die nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats vorgenommen werden dürfen. Dieser Zustimmungsvorbehalt ist nicht nur ein wesentliches Element der präventiven Kontrolle durch den Aufsichtsrat. Vielmehr ist darin auch eine mitgestaltende Kontrolle des Aufsichtsrats zu sehen, zumal ein solcher Zustimmungsvorbehalt auch regelmäßig strategische Diskussionen zwischen dem Vorstand bzw der Geschäftsführung und dem Aufsichtsrat nach sich ziehen wird.(1) Dies manifestiert sich im Zustimmungserfordernis zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze der Geschäftspolitik gemäß § 95 Abs 5 Z 8 AktG bzw § 30j Abs 5 Z 8 GmbHG besonders stark, woraus sich die Mitwirkungspflicht des Aufsichtsrats zur Strategiearbeit ergibt.(2) Er übt dabei eine wesentliche Beratungs- und Mitentscheidungsrolle aus und

muss als wichtigster Berater und Sparringspartner des Vorstands bzw der Geschäftsführung bei der strategischen Unternehmensentwicklung fungieren. Damit ist der Aufsichtsrat unmittelbar für die nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens verantwortlich.(3) Insbesondere in der aktuellen Zeit disruptiver Innovationen im Bereich der Digitalisierung und der tiefgreifenden Wende hin zur Nachhaltigkeit ist die rechtzeitige und kompetente Beschäftigung mit einer entsprechenden zukunftsträchtigen Strategie sowie einem erfolgsversprechenden Geschäftsmodell von besonders hoher Bedeutung.

Was bedeutet das alles für die Tätigkeit des Aufsichtsrats? Ständige Weiterbildung ist unerlässlich, um am Puls der Zeit zu bleiben. Ferner ist es wichtiger denn je, dass die Mitglieder des Aufsichtsrats aufgeschlossen, neugierig und wertegetrieben sind. Aktionäre bzw Gesellschafter und Betriebsräte sind zudem gut beraten, sich genau zu überlegen, ob die von ihnen entsandten Mitglieder des Aufsichtsrats im Licht aktueller Anforderungen im Nachhaltigkeits- und Digitalisierungsbereich das erforderliche Rüstzeug haben.

Die Pflichten des Aufsichtsrats im Kontext von Nachhaltigkeitsaspekten sind nämlich umfassend. Die ESRS-2-Vorschriften(4) verlangen in Verbindung mit aktienrechtlichen und GmbH-rechtlichen Bestimmungen (§ 95 Abs 5 Z 8 AktG bzw § 30j Abs 5 Z 8 GmbHG) vom Aufsichtsrat demnach eine aktive Rolle, die darzulegen ist. Er muss als Überwachungsorgan sicherstellen, dass das Unternehmen Nachhaltigkeitsrisiken und -chancen adäquat identifiziert und steuert. Dazu gehören die Überprüfung der Nachhaltigkeitsstrategie und -politik, die Überwachung der Einhaltung relevanter Nachhaltigkeitsstandards und -politik sowie die Sicherstel-

(1) Vgl Mertens/Cahn in Kölner Kommentar zum AktG II/224 (2021) § 111 Rz 86.

(2) Vgl Briem, Zustimmungspflichtige Geschäfte, in Kalss/Kunz, Handbuch für den Aufsichtsrat2 (2016) 351 (353).

(3) Vgl Kunz/Hoffmann, Strategisches Management für den Aufsichtsrat, in Kalss/Kunz, Handbuch für den Aufsichtsrat2 (2016) 413 (414).

(4) Die Europäischen Nachhaltigkeitsberichtsstandards (ESRS) sind ein Schlüsselbestandteil der Sustainability Reporting Directive (CSRD) und wurden von der Europäischen Kommission verabschiedet. Sie dienen dazu, die Nachhaltigkeitsberichterstattung der Unternehmen in der EU zu standardisieren und mit der Finanzberichterstattung gleichzusetzen. ESRS 2 legt allgemeine Offenlegungsanforderungen für Unternehmen fest.

Dr. Timo Goßler ist Partner und Head of Sustainability Services bei Grant Thornton Austria.

DDr. Ulrich Kraßnig, LL.M. ist Wirtschaftsprüfer und Steuerberater sowie Partner bei Grant Thornton Austria.

lung einer transparenten und aussagekräftigen Nachhaltigkeitsberichterstattung. Zudem muss der Aufsichtsrat prüfen, ob das Unternehmen effektive Kontroll- und Risikomanagementsysteme im Bereich Nachhaltigkeit implementiert hat. Ferner muss er auch sein Fachwissen und seine Kompetenzen in Bezug auf Nachhaltigkeit nachweisen können.

Im Rahmen der verpflichtenden Berichterstattung ist vor diesem Hintergrund ferner offenzulegen, welche Vorerfahrung bzw Kenntnisse der Aufsichtsrat und der Vorstand bzw die Geschäftsführung bezüglich ESG mitbringen und mit welchen ESG-Themen er sich im Geschäftsjahr auf welche Weise konkret beschäftigt hat.(5) Wenn dies zum Selbstverständnis der Corporate Governance wird, können Aufsichtsräte als Gesamtorgan nicht nur als wertvolle Sparringspartner für die gesetzlichen Vertreter und sonstigen Schlüsselpersonen in Unternehmen fungieren, sondern vielmehr zu strategischen Ideengebern und Gamechangern werden.

3. NACHHALTIGKEIT ISOLIERT BETRACHTET

ESG-Reporting bezeichnet die Offenlegung von Informationen durch Organisationen bezüglich der Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit auf Umwelt, Gesellschaft und Unternehmensführung. ESG steht für die englischen Begriffe „environmental“, „social“ und „governance“, was im Deutschen ökologische und soziale Verantwortung sowie verantwortungsvolle Unternehmensführung bedeutet. Diese drei Aspekte bilden die Grundpfeiler für verantwortliches Wirtschaften. Im Rahmen des ESGReportings offenbaren Unternehmen, wie ihre Handlungen sich auf ökologische Faktoren wie Energieverbrauch und CO2-Emissionen, soziale Aspekte wie Menschenrechte und Arbeitsbedingungen sowie Governance-Aspekte wie Unternehmensethik auswirken.

Bisher mussten nach der Non-Financial Reporting Directive (NFRD) große Unternehmen von öffentlichem Interesse und mit mehr als 500 Mitarbeitenden Nachhaltigkeitsberichte vorlegen. Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) erweitert den Kreis der verpflichteten Unternehmen deutlich. Die Einführung erfolgt nach einem gestaffelten

Zeitplan:

y Unternehmen, die bereits unter die NFRD gefallen sind, müssen mit der Berichterstattung nach den Vorgaben der CSRD im Geschäftsjahr beginnen, das am oder nach dem 1. 1. 2024 startet.

y Für große Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern, einer Bilanzsumme von

(5) Siehe hierzu sogleich unter Punkt 3.

mehr als 25 Mio € oder einem Jahresumsatz von über 50 Mio € (zwei der drei Kriterien müssen erfüllt sein) tritt die Pflicht ab dem Geschäftsjahr in Kraft, das am oder nach dem 1. 1. 2025 beginnt.

y Kapitalmarktorientierte kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) mit mehr als zehn Mitarbeitern, einer Bilanzsumme von mehr als 350.000 € oder einem Jahresumsatz von über 700.000 Mio € (zwei der drei Kriterien müssen erfüllt sein) müssen ab dem Geschäftsjahr, das am oder nach dem 1. 1. 2026 beginnt, berichten, haben jedoch die Möglichkeit, die Anforderungen bis 2028 aufzuschieben.

Über den Anwenderkreis hinaus erweitert die CSRD auch die Anforderungen an die Inhalte der Berichterstattung und bedingt dadurch die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels im unternehmerischen Umgang mit dem Themenfeld ESG. Die vorgeschriebene Aufnahme von Nachhaltigkeitsinformationen in den Lagebericht des Jahresabschlusses führt schon strukturell zu einer stärkeren Integration finanzieller und Nachhaltigkeits-bezogener Themen. Die verpflichtende Berücksichtigung der doppelten Wesentlichkeit von Nachhaltigkeitsaspekten verstärkt diese Verschränkung weiter. Denn nach den neuen Standards müssen Unternehmen nicht nur analysieren und berichten, welche Auswirkungen ihre Geschäftstätigkeiten, Produkte und Dienstleistungen auf Umwelt und Gesellschaft haben. Gleichermaßen müssen sie auch erheben und offenlegen, welche finanziellen Chancen und Risiken mit Nachhaltigkeitsaspekten verbunden sind und wie sie diese in ihrer Unternehmensstrategie, ihrem Geschäftsmodell und ihren Prozessen adressieren. Dies erfordert explizit eine unternehmerische Auseinandersetzung mit der Bedeutung von nicht in der Bilanz erfassten Kapitalarten für den Unternehmenserfolg (wie zB Humankapital, Beziehungskapital und natürlichem Kapital) sowie eine deutlich stärker als in der Finanzberichterstattung übliche Zukunftsorientierung und Betrachtung von mittel- und langfristigen Zeithorizonten.

Am offensichtlichsten wird dieser notwendige Paradigmenwechsel beim Themenfeld Klima. Einerseits müssen Unternehmen im Rahmen des Prozesses der integrierten Berichtserstattung ermitteln, welche klimarelevanten Auswirkungen sie haben. Dazu zählt zB das Ausmaß der Emission von Treibhausgasen im eigenen Geschäftsbereich sowie in der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette. Andererseits müssen sie aber auch offenlegen, welche finanziellen Chancen und Risiken sich

für sie durch externe Entwicklungen in diesem Zusammenhang ergeben. Darunter fallen ua regulatorische Risiken, wie zB eine stetig steigende CO2-Bepreisung, oder physische Risiken, wie zB Liefer- und Produktionsausfälle durch Überschwemmungen oder Wassermangel. Nur durch eine angemessene Auseinandersetzung mit diesen und weiteren Implikationen von Klimaschutz und Klimawandel sind Unternehmen in der Lage, mittel- bis langfristige Anpassungsbedarfe an Strategie, Geschäftsmodell und Geschäftsbetrieb zu identifizieren und sich zukunftssicher aufzustellen.

Vor diesem Hintergrund sollte die Nachhaltigkeitsberichterstattung nicht als bürokratische Pflicht missverstanden, sondern als wertvolles Instrument der kurz-, mittel- und langfristigen Unternehmenssteuerung sowie des Chancenund Risikomanagements genutzt werden. Darüber hinaus sind der ESG-Report und die weitere Nachhaltigkeitskommunikation auch im Hinblick auf Anforderungen und Erwartungen von Kapitalgebern, Kunden und Mitarbeitenden bedeutend. Für Kapitalgeber ist die Nachhaltigkeitsberichterstattung ein entscheidender Faktor, um das Risiko und die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens zu bewerten. Investoren suchen zunehmend nach Unternehmen, die nicht nur finanziell rentabel sind, sondern auch positive Umwelt- und soziale Auswirkungen haben.

Für B2B-Kunden ist die Nachhaltigkeitsberichterstattung ebenso wichtig. Sie möchten sicherstellen, dass ihre Geschäftspartner verantwortungsvolle Praktiken verfolgen, da dies zunehmend Teil ihres eigenen Nachhaltigkeitsengagements und ihrer Unternehmenswerte wird. Eine transparente Berichterstattung über Nachhaltigkeitspraktiken hilft dabei, Vertrauen aufzubauen und langfristige Geschäftsbeziehungen zu stärken. Darüber hinaus führt der globale Trend hin zu mehr Nachhaltigkeit und zur Integration von ESG dazu, dass Unternehmen, die in dieser Hinsicht aktiv sind und dies auch kommunizieren, einen Wettbewerbsvorteil haben. In einer Welt, in der auch Konsumenten zunehmend Wert auf ökologische und soziale Verantwortung legen, wird ein transparentes Nachhaltigkeitsengagement darüber hinaus zum entscheidenden Faktor für Markenreputation sowie Kundengewinnung und -bindung. Schließlich wird das Engagement für Nachhaltigkeit zu einem zentralen Kriterium für die

Gewinnung und Bindung von Talenten. Eine aktuelle Studie zeigt, dass 65 % der Arbeitssuchenden bevorzugt bei nachhaltig agierenden Unternehmen arbeiten möchten. Dieses Bewusstsein wird bereits in den Anfängen des Rekrutierungsprozesses sichtbar. Drei von vier Kandidaten würden sich demnach eher bei einem nachhaltigen Unternehmen bewerben.(6)

Durch die Etablierung von ESG-KPIs können Unternehmen nicht nur ihre Nachhaltigkeitsziele klar kommunizieren, sondern auch effektiv Ressourcen managen und somit Energieverbrauch sowie Kosten senken. Nachhaltigkeitsberichterstattung ist somit ein unverzichtbares Instrument, das über bloße Compliance hinausgeht und den Weg für eine nachhaltige Unternehmenszukunft ebnet.

Während empirische Untersuchungen zeigen, dass die Nachhaltigkeitswende in Österreich bereits recht weit fortgeschritten ist und Unternehmen die Nachhaltigkeitsanforderungen ernst nehmen, ist die diesbezügliche öffentliche Wahrnehmung kritisch. Auch die Beratungspraxis zeichnet hierzu ein eher differenziertes Bild. In der aktuellen empirischen Untersuchung „Digitale Dividende 2023“ von Industriellenvereinigung und Accenture werden hinsichtlich des Nachhaltigkeits-Reifegrads von Unternehmen vier Stufen unterschieden:(7)

y Stufe 0 – Nachhaltig blind: Unternehmen berücksichtigen Nachhaltigkeit nicht und es mangelt an Überwachung sowie zuständigen Personen.

y Stufe 1 – Nachhaltig nach Vorschrift: Firmen erfüllen zwar externe Richtlinien, setzen jedoch kaum weitergehende nachhaltige Maßnahmen um.

y Stufe 2 – Nachhaltig mit Eigeninitiative: Hier werden eigene Nachhaltigkeitsziele definiert und teilweise in die Strategie integriert; das Monitoring findet allerdings nicht regelmäßig statt.

y Stufe 3 – Nachhaltig im Unternehmenskern: Nachhaltigkeit ist fest in das Geschäftsmodell und die Unternehmensstruktur integriert, inklusive ständiger Überwachung und Kontrolle.

Die Studie „Digitale Dividende 2023“ zeigt, dass sich mit 82 % der Großteil der österreichischen Unternehmen auf Stufe 2 des Nachhaltigkeitsreifegradmodells befindet und Verbesserungen im Nachhaltigkeitsbereich mit Eigeninitiative vorantreibt. Damit liegt Öster-

(6) Vgl Stepstone, The Stepstone Group-Studie: Drei von vier Beschäftigten würden sich eher bei nachhaltigen Unternehmen bewerben (Mai 2023) abrufbar unter https://www.thestepstonegroup.com/de/press/press-releases/ the-stepstone-group-studie-drei-von-vier-beschaftigten-wurden-sich-eher-bei-nachhaltigen-unternehmenbewerben/ (Zugriff am 23. 1. 2024).

(7) Siehe hierzu und im Folgenden Accenture/Industriellenvereinigung, Erfolgsfaktor Digitalisierung – Zukunftsfaktor Nachhaltigkeit (Studie „Digitale Dividende 2023“) abrufbar unter https://www.iv.at/-Dokumente-/ Publikationen/2023/Digitale-Dividende-2023.pdf (Zugriff am 23. 1. 2024).

reich im internationalen Vergleich im Spitzenfeld. 13 % der Unternehmen befinden sich sogar schon auf Stufe 3. Die Maßnahmen, die ergriffen werden, sind einigermaßen vielseitig. Während 25 % erneuerbare Energien nutzen, haben 9 % nachhaltige Gebäudekonzepte eingeführt und 7 % eine nachhaltige Produktion umgesetzt.

Hinsichtlich des Erreichungsgrads von Nachhaltigkeitszielen kommt die Studie zum Ergebnis, dass ein Großteil der umgesetzten Nachhaltigkeitsinitiativen (zwischen 72 % und 77 %) auf die Reduzierung von Abfall, CO2Ausstoß und Materialverbrauch abzielt. Eine etwas geringere Anzahl an Maßnahmen (55 % bis 66 %) haben positive Auswirkungen auf Gewässerschutz, Luftqualität und Wasserwirtschaft. Wirtschaftliche Beweggründe werden von vielen Unternehmen hingegen als Hauptgrund für das vollständige Unterlassen von Nachhaltigkeitsmaßnahmen angeführt.

Obwohl Nachhaltigkeit in 79 % der Unternehmen auf Managementebene verankert ist, sind Maßnahmen in Unternehmenskern und Geschäftsmodell noch wenig verbreitet. Eine konsequente Umsetzung im operativen Bereich wäre wünschenswert. Der Aufsichtsrat eines Unternehmens spielt eine entscheidende Rolle bei der Förderung von Nachhaltigkeit im Kerngeschäft und Geschäftsmodell. Zu den Schlüsselaufgaben des Aufsichtsrats in diesem Zusammenhang zählen:

y Der Aufsichtsrat hat den Vorstand bzw die Geschäftsführung im Bereich der Nachhaltigkeit zu beraten und zu überwachen. Dies beinhaltet die Prüfung der Unternehmensstrategie unter Berücksichtigung nachhaltiger Praktiken.

y Er muss nicht nur seine eigene Expertise einbringen, sondern gegebenenfalls auch externe Berater hinzuziehen, um den Vorstand bzw die Geschäftsführung in Fragen der Nachhaltigkeit zu unterstützen.

y Der Aufsichtsrat muss sicherstellen, dass Nachhaltigkeitsrisiken im Risikomanagementprozess des Unternehmens angemessen berücksichtigt werden. Er spielt eine zentrale Rolle in der Überwachung und Bewertung dieser Risiken, um die finanzielle Stabilität und langfristige Leistungsfähigkeit des Unternehmens zu sichern.

y Der Aufsichtsrat hat darauf hinzuwirken, dass Nachhaltigkeit in alle Geschäftsbereiche und Entscheidungen integriert wird. Dies kann insbesondere auch durch die Festlegung von Nachhaltigkeitszielen und Nachhaltigkeitskennzahlen erfolgen.

y Er kann Schulungen und Informationsveranstaltungen für die Unternehmensleitung

y Er kann eine aktive Rolle bei der Einbindung von Stakeholdern (wie Kunden, Lieferanten und der Gemeinschaft im Allgemeinen) in Nachhaltigkeitsfragen spielen.

y Er muss eine transparente Berichterstattung über Nachhaltigkeitsmaßnahmen und -leistungen sicherstellen. Die Nachhaltigkeitsberichte der Unternehmen müssen vom Aufsichtsrat geprüft werden (§ 96 AktG bzw § 30k GmbHG). Dabei ist eine intensive Zusammenarbeit mit dem Abschlussprüfer erforderlich, der regelmäßig seinerseits die Nachhaltigkeitsberichterstattung auf seiner Prüfungsagenda hat und dazu ein Prüfungsurteil mit begrenzter Sicherheit (mittelfristig dann mit hinreichender Sicherheit) abgeben muss. Der Aufsichtsrat darf grundsätzlich bei seiner eigenen Prüfungstätigkeit auf den Prüfungsergebnissen des Abschlussprüfers aufsetzen.(8)

In Bezug auf den Aufsichtsrat und seine Haftung im Kontext der CSRD und ESRS liegt demnach der Schwerpunkt auf der Überwachung der Einhaltung der neuen ESG-Berichtspflichten durch die Unternehmen. Der Aufsichtsrat muss sicherstellen, dass die Unternehmen die CSRD-Anforderungen erfüllen, was sowohl die eigene Geschäftstätigkeit des Unternehmens als auch die Wertschöpfungskette umfasst. Bei Nichteinhaltung dieser Anforderungen könnten Aufsichtsratsmitglieder hinsichtlich ihrer Überwachungspflichten in die Haftung genommen werden (§ 99 iVm § 84 AktG bzw § 33 iVm 25 GmbHG), insbesondere wenn dies zu materiellen Fehlern in den Nachhaltigkeitsberichten führt. Darüber hinaus sind bei Nichteinhaltung der CSRD de lege ferenda weitere erhebliche Sanktionen für den Aufsichtsrat zu erwarten, wenngleich die spezifischen Details der Sanktionen noch nicht bekannt sind. Die Art der Sanktionen und die Höhe der Geldbußen werden von den einzelnen Mitgliedstaaten der EU festgelegt. Es ist daher zu erwarten, dass die Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein werden, um die Einhaltung der CSRD sicherzustellen.

4. DIGITALISIERUNG ISOLIERT BETRACHTET

Bei der Digitalisierung handelt es sich um das zweite große Strategiethema für die Aufstellung und Neuausrichtung von Geschäftsmodellen. In manchen Fällen erfordern gesetzliche Vorschriften die Digitalisierung bestimmter

(8) Vgl Kraßnig, Auswahl und Honorierung des Abschlussprüfers (2018) 61 f. und für Mitarbeiter initiieren, um das Bewusstsein für Nachhaltigkeitsthemen zu erhöhen.

Prozesse, wie zB in der Finanzberichterstattung und beim Datenschutz, insbesondere aber auch bei der Cybersicherheit. Nationale und internationale Gesetze setzen Standards für den Schutz von IT-Systemen und Daten. Unternehmen sind verpflichtet, geeignete technische und organisatorische Maßnahmen zu ergreifen, um Cyberangriffe zu verhindern und auf Sicherheitsvorfälle angemessen zu reagieren.

Die Notwendigkeit zur Digitalisierung für Unternehmen ergibt sich aber dennoch weniger aus regulatorischen Anforderungen, sondern vielmehr aus verschiedenen anderen Faktoren. Dazu zählen:

y Marktdruck und Wettbewerb: Der Wettbewerbsdruck, insbesondere durch digital fortgeschrittene Unternehmen, zwingt andere Unternehmen, sich anzupassen und digitale Technologien zu nutzen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

y Veränderte Kundenbedürfnisse: Kunden erwarten heute eine schnelle, bequeme und personalisierte Interaktion mit Unternehmen. Digitale Kanäle ermöglichen es, diese Erwartungen zu erfüllen.

y Technologischer Fortschritt: Die rasante Entwicklung in Bereichen wie KI, CloudComputing und Big Data eröffnet neue Möglichkeiten für Geschäftsmodelle und Prozessoptimierung.

y Globalisierung: Die Digitalisierung erleichtert den Zugang zu globalen Märkten. Unternehmen können über digitale Plattformen weltweit agieren und neue Kunden erreichen.

y Effizienz und Produktivität: Digitale Werkzeuge können Geschäftsprozesse automatisieren und optimieren, was zu Kostensenkungen und Produktivitätssteigerungen führt.

y Innovationsförderung: Digitale Technologien ermöglichen neue Produkt- und Dienstleistungsinnovationen, was für das langfristige Wachstum und die Differenzierung auf dem Markt entscheidend ist.

y Risikomanagement und Resilienz: Die Digitalisierung kann helfen, Risiken besser zu managen und die Widerstandsfähigkeit des Unternehmens gegenüber Krisen zu erhöhen.

y Nachhaltigkeit und Umweltschutz: Digitale Lösungen können zu einer umweltfreundlicheren Betriebsführung beitragen, indem sie etwa den Papierverbrauch reduzieren und effiziente sowie ressourcenschonende Prozesse ermöglichen.

Diese Faktoren zeigen, dass die Digitalisierung für Unternehmen keine Option, sondern

eine Notwendigkeit ist, um in der heutigen dynamischen und zunehmend digitalisierten Geschäftswelt erfolgreich zu sein. Ein Nachweis hierfür erfolgte in der Vergangenheit immer wieder durch verschiedene empirische Studien. Industriellenvereinigung und Accenture haben etwa mehrere Studien über den Einfluss der Digitalisierung auf den Unternehmenserfolg in den vergangenen Jahren durchgeführt. Dabei wurden bestimmte Erkenntnisse gewonnen:(9)

y Unternehmen haben die Digitalisierung als ein Mittel zur kurzfristigen Bewältigung diverser Krisen eingesetzt.

y Es wurde festgestellt, dass ein höherer Grad der Digitalisierung langfristig positive Auswirkungen auf die Unternehmensperformance hat, einschließlich Umsatzwachstum, sowie zu einer Zunahme an Beschäftigten und Produktivität führt.

y Jedes Unternehmen hat die Möglichkeit, ein Vorreiter in der Digitalisierung zu werden, und zwar unabhängig von Größe oder Struktur des Unternehmens.

y Gut ausgebildete Mitarbeiter und digitalisierte Prozesse über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg sind wesentliche Erfolgsfaktoren.

Zuletzt wurde dies in der bereits genannten Studie „Digitale Dividende 2023“ bestätigt, wonach ein höherer Digitalisierungsgrad zu einem höheren Umsatzwachstum führt. Digitale Vorreiter weisen demnach ein um 23,3 % höheres Umsatzwachstum im Vergleich zu ihren weniger digitalisierten Mitbewerbern auf.

Im Rahmen der Studie wurde analog zum Nachhaltigkeitsreifgrad auch der digitale Reifegrad österreichischer Unternehmen untersucht. Grundlage hierfür war wiederum eine Unterscheidung in vier Stufen. Diese Digitalisierungsstufen lassen sich wie folgt beschreiben:

y Stufe 0 – Digital blind: Diese Unternehmen speichern und übermitteln Daten noch immer auf Papier oder in nicht digitalen Formaten.

y Stufe 1 – Digital abbilden: Hier nutzen Unternehmen Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT), um Informationen zu kommunizieren, bereitzustellen und in deren Arbeit zu verwenden.

y Stufe 2 – Digital agieren: Unternehmen optimieren ihre Prozesse digital, analysieren und prognostizieren auf Basis gesammelter Daten. Trotz der Möglichkeiten, die digitale Daten bieten, bleiben Entscheidungen in dieser Phase weitgehend in menschlicher Hand.

(9) Siehe hierzu und im Folgenden die bereits in FN 6 genannte Studie „Digitale Dividende 2023“ von Accenture und Industriellenvereinigung

y Stufe 3 – Digital autonom: Auf dieser Stufe verkaufen Unternehmen datenbasierte Produkte oder Dienstleistungen. Die Prozesse sind weitgehend automatisiert und datengestützt. Entscheidungen werden automatisiert getroffen und Kapazitäten sind vollautomatisiert flexibel anpassbar. Digitale Geschäftsmodelle sind hierbei zentral.

Zu beobachten ist laut Studie aber auch, dass ein genereller Digitalisierungsschub zuletzt nicht mehr zu erkennen ist. Der Digitalisierungs-Boost der Jahre 2020 und 2021, der nicht zuletzt auch auf die Corona-Pandemie zurückzuführen war, ist vorbei. Seitdem gibt es keine merklichen Fortschritte beim Digitalisierungsgrad österreichischer Unternehmen. Die Untersuchung ergab insgesamt, dass österreichische Unternehmen beim digitalen Fortschritt weit hinter der Nachhaltigkeit liegen und noch sehr viel Luft nach oben haben. 65 % der Unternehmen weisen einen niedrigen Digitalisierungsgrad (Stufe 0+1) auf. 32 % der Unternehmen kommen auf einen mittleren Digitalisierungsgrad, lediglich 3 % verfügen über einen hohen Digitalisierungsgrad. Diese Studienergebnisse zeigen, dass Österreich im Digitalisierungsbereich im internationalen Vergleich hinterherhinkt.

Die Untersuchung zeigt weiters, dass sich Unternehmen in Österreich bisher hauptsächlich auf die digitale Abbildung interner Prozesse konzentriert haben, insbesondere in den Bereichen der Produktion und der Verwaltung. Die Digitalisierung ist in diesen Gebieten wesentlich weiter fortgeschritten als in den Bereichen Beschaffung und Vertrieb. Daraus folgt, dass insbesondere an den Schnittstellen zum Markt und zu den Kunden erhebliches Potenzial zur Digitalisierung besteht. Obwohl 77 % der Befragten angeben, sie könnten Daten im IT-System zur Verfügung stellen, nutzen tatsächlich nur etwa 20 % bis 30 % die Digitalisierung vollumfänglich in ihrem Geschäftsmodell.

Daten und Technologien sind folglich vorhanden, aber es bedarf einer verstärkten Nutzung. So setzen nur 26 % der Unternehmen datenbasierte Analysen und Optimierungen zur Verbesserung ihres Angebots ein, und gerade einmal 13 % bieten digital automatisierte Dienstleistungen für ihre Kunden an. Der Fokus muss sich daher zukünftig auf die Ausschöpfung der vorhandenen digitalen Möglichkeiten und auf die Etablierung im Geschäftsmodell richten, womit sich ein enormes Wachstumspotenzial ergibt. Weiterführende Analysen verdeutlichen in konsistenter Weise, dass mit zunehmender Komplexität der Anwendungsbereiche der Fortschritt in der digitalen Transformation nachlässt. Ungefähr zwei Drittel der Unternehmen wenden Daten an, um interne Abläufe zu über-

wachen, während zirka die Hälfte die Daten zur Analyse dieser Prozesse nutzt. Ein Drittel der Unternehmen verwendet die Daten für Vorhersagen, maximal 20 % setzen Daten als Basis für die Anwendung künstlicher Intelligenz ein.

Zusammengefasst und vereinfacht lässt sich festhalten, dass ein Großteil der Unternehmen Daten nur zur digitalen Abbildung einsetzt, also zur Speicherung der Ergebnisse. Eine Auswertung und Interpretation sowie das Ziehen von Schlussfolgerungen aus den Daten erfolgen hingegen nur in seltenen Fällen, wofür die technologischen Voraussetzungen jedenfalls gegeben wären. Es scheitert lediglich an der Anwendung der vorhandenen Technologien.

Um diesen Rückstand im internationalen Vergleich aufzuholen, ist einmal mehr der Aufsichtsrat gefordert. Konkret beinhaltet seine Verantwortung im Zusammenhang mit der digitalen Transformation folgende Punkte:

y Der Aufsichtsrat muss sicherstellen, dass die digitale Transformation Teil der Unternehmensstrategie ist und aktiv die Ziele sowie Richtungen dieser Transformation mitgestaltet.

y Er muss nicht nur seine eigene Expertise einbringen, sondern gegebenenfalls auch externe Berater hinzuziehen, um den Vorstand bzw die Geschäftsführung in Fragen der Digitalisierung zu unterstützen.

y Er überwacht die Umsetzung der digitalen Transformation, einschließlich der Einhaltung von Zeitplänen, Budgets und der Erreichung der festgelegten Meilensteine.

y Er bewertet die Risiken, die mit der digitalen Transformation verbunden sind, zB Cybersicherheitsrisiken, und überwacht die Entwicklung angemessener Risikomanagementstrategien.

y Er überwacht die Zuweisung von Ressourcen, die für die Durchführung der digitalen Transformation notwendig sind.

y Er hat auch eine Verantwortung dafür, dass das Unternehmen und sein Management über die notwendigen digitalen Kompetenzen verfügen.

y Er muss sicherstellen, dass die digitale Transformation in Übereinstimmung mit relevanten Gesetzen, Vorschriften und Best Practices durchgeführt wird.

y Er ist dafür verantwortlich, dass über den Fortschritt und die Ergebnisse der digitalen Transformation gegenüber den Stakeholdern transparent berichtet wird.

In seiner Rolle hat der Aufsichtsrat somit eine zentrale Funktion, die digitale Transformation des Unternehmens zu begleiten und zu unterstützen, um langfristigen Unternehmenserfolg und Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.

5. ZUR VERBINDUNG VON NACHHALTIGKEIT UND DIGITALISIERUNG

Es wurde bisher ebenso klar wie umfassend aufgezeigt, dass sowohl die digitale Transformation als auch die Wende zur Nachhaltigkeit zu einschneidenden geschäftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen führen werden. Allerdings hat die Studie „Digitale Dividende 2023“ hier zu Tage gefördert, dass in der Verbindung der beiden Transformationen ein hoher Nachholdbedarf gegeben ist. Es wird hervorgehoben, dass die Digitalisierung und die Nachhaltigkeit wichtige konjunkturunabhängige Investitionstreiber sind, wobei Nachhaltigkeit zwar bei 87 % der befragten Unternehmen in der Unternehmensstrategie integriert, aber nur bei 57 % auch Teil der Digitalisierungsstrategie ist. Dies zeigt, dass das Potenzial digitaler Werkzeuge für das Erreichen von Nachhaltigkeitszielen bei Weitem noch nicht ausgeschöpft wird.

Die Studie bestätigt die in der Beratungspraxis zu sehende Diskrepanz zwischen dem Bewusstsein für die Bedeutung von Digitalisierung und Nachhaltigkeit und ihrer tatsächlichen Umsetzung in Unternehmen. Die geringe Zahl jener Unternehmen, die Digitalisierung in ihr Geschäftsmodell integriert haben, weist auf eine Lücke in der praktischen Anwendung hin. Gleichzeitig zeigt der Mangel an Einbeziehung von Nachhaltigkeitsaspekten in die Digitalisierungsstrategien, dass viele Unternehmen möglicherweise Chancen verpassen, ihre Nachhaltigkeitsziele durch den Einsatz digitaler Technologien zu erreichen. Diese Erkenntnisse müssen für Unternehmen ein Weckruf sein, um ihre Strategien in Richtung einer stärkeren Integration von Digitalisierung und Nachhaltigkeit zu überdenken und anzupassen.

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass digitale Transformation eine notwendige Grundlage für Nachhaltigkeitstransformation darstellt. Um den Anforderungen der Nachhaltigkeit gerecht zu werden, ist es erforderlich, Daten viel weitreichender zu sammeln und zu managen. Im Produktionsprozess müssen alle Parameter – von den Rohstoffen bis hin zum fertigen Produkt sowie Abfall und CO2-Emissionen auf jeder Verarbeitungsebene – überwacht werden. Regulatorische Vorgaben bedingen, dass Unternehmen 500 bis 700 neue KPIs einführen müssen, die zukünftig automatisiert erfasst und verwaltet werden sollten. Ein fortgeschrittener Digitalisierungsstand ist hierfür unerlässlich. Die Integration von Nachhaltigkeitsberichten gemäß den Vorgaben der CSRD in digitaler Form stellt eine wesentliche Entwicklung dar. Dies bedeutet, dass Unternehmen verpflichtet sind, ihre Berichte in einer Weise zu digitalisie-

ren, die sowohl die Zugänglichkeit als auch die Transparenz verbessert.

Zu berücksichtigen ist, dass Digitalisierung und Nachhaltigkeit als bereichsübergreifende Themen zu behandeln sind, die im gesamten Unternehmen Anwendung finden, um effektiv zu sein, was eine gleichzeitige Auseinandersetzung mit beiden erforderlich macht. Nachhaltigkeit und Digitalisierung sind in der modernen Geschäftswelt demnach eng miteinander verbunden. Einerseits ermöglicht die Digitalisierung Unternehmen, ihre Umweltauswirkungen effektiver zu verwalten und zu minimieren. So können zB digitale Technologien in der Fertigung und den Lieferketten zur Effizienzsteigerung beitragen, indem sie den Ressourcenverbrauch reduzieren und Abfall minimieren. Andererseits ist es wichtig, den Stromverbrauch, der mit der Digitalisierung von Unternehmen verbunden ist, kritisch zu betrachten. Die steigende Nutzung digitaler Technologien führt zu einem erhöhten Energiebedarf, insbesondere in Datenzentren und bei der Netzinfrastruktur. Dies kann zu einem Anstieg von CO2-Emissionen führen, wenn etwa der benötigte Strom nicht aus erneuerbaren Energiequellen stammt. Es ist daher entscheidend, dass Unternehmen nicht nur die Vorteile der Digitalisierung für ihre Nachhaltigkeitsziele nutzen, sondern auch die damit verbundenen Umweltauswirkungen sorgfältig managen. Dies beinhaltet die Auswahl energieeffizienter Technologien und die Nutzung erneuerbarer Energien, um den ökologischen Fußabdruck der Digitalisierung zu minimieren. Daher ist eine integrierte Betrachtungsweise erforderlich, die sowohl die Vorteile der Digitalisierung als auch ihre potenziellen Risiken für die Nachhaltigkeit in Betracht zieht. Auch dabei nimmt der Aufsichtsrat insgesamt eine Schlüsselfunktion ein, indem er:

y die Integration von Digitalisierung und Nachhaltigkeit in die Unternehmensstrategie aktiv fördert und überwacht;

y Investitionen in digitale Technologien unterstützt, die gleichzeitig Nachhaltigkeitsziele voranbringen;

y den Vorstand bzw die Geschäftsführung dazu anhält, beide Bereiche zu integrieren und für Synergien zu sorgen;

y dafür sorgt, dass im Unternehmen die gesammelten Daten effektiver für die Automatisierung und Optimierung von Prozessen genutzt werden;

y die Entwicklung und Implementierung von KPIs überwacht, die sowohl digitale als auch nachhaltige Erfolge messen;

y sicherstellt, dass die Maßnahmen und Strategien vom Vorstand bzw von der Geschäftsführung konsequent umgesetzt werden.

6. FAZIT

Die Bedeutung der Verzahnung von Digitalisierung und Nachhaltigkeit für die Unternehmensentwicklung ist evident. Der Aufsichtsrat spielt hierbei eine zentrale Rolle: Er muss sicherstellen, dass digitale Innovationen nicht isoliert, sondern als Teil einer umfassenden Nachhaltigkeitsstrategie betrachtet und auch umgesetzt werden. Dies erfordert vom Aufsichtsrat nicht nur ein tiefes Verständnis für technologische Entwicklungen, sondern auch für deren soziale und ökologische Auswirkungen. Durch diese integrative Sichtweise fördert der Aufsichtsrat ein nachhaltiges, zukunftsfähiges Wirtschaften, das über kurzfristige Effizienzsteigerungen hinausgeht und langfristigen Mehrwert für Unternehmen und Gesellschaft schafft.

In der Beratungspraxis zeigt sich leider häufig, dass viele Unternehmen bei den Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit aus Kostengründen eine zögerliche Haltung einnehmen. Trotz des wachsenden Bewusstseins für die Bedeutung dieser Bereiche, scheinen die Furcht vor hohen Anfangsinvestitionen und die Unsicherheit über den Return on Investment viele Firmen davon abzuhalten, entschlossen zu handeln. Diese Zurückhaltung ist oftmals von einer kurzfristigen Kostendenkweise getrieben, die langfristige Chancen und Wettbewerbsvorteile, die sich durch ein aktives Engagement in Digitalisierung und Nachhaltigkeit ergeben könnten, übersieht.

Angesichts der Erfahrungen der Praxis und der zunehmenden Bedeutung von Nachhaltigkeit und Digitalisierung ist es für Unternehmen jedoch unerlässlich, in diese Bereiche zu investieren. Die Investition in Nachhaltigkeit und Digitalisierung ist nicht nur eine Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft und Umwelt, sondern stellt auch eine strategische Entscheidung dar, die den langfristigen wirtschaftlichen Erfolg sichert. Unternehmen, die bereit sind, hierfür finanzielle Mittel bereitzustellen, werden nicht

nur ihre Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit steigern, sondern auch ihre Marktposition in einer zunehmend digitalisierten und umweltbewussten Wirtschaftswelt festigen.

Der Aufsichtsrat hat dabei die Verantwortung, diese Investitionen nicht nur zu befürworten, sondern auch aktiv zu fördern und zu überwachen, um sicherzustellen, dass sie in Einklang mit der Unternehmensstrategie stehen und maximale Wirkung erzielen. Kurz gesagt, die Investition in Nachhaltigkeit und Digitalisierung ist keine Option, sondern eine Notwendigkeit für zukunftsorientierte Unternehmen. Unternehmen, die in Digitalisierung und Nachhaltigkeit investieren sowie diese Themen ernst nehmen, zeigen eine visionäre und zukunftsorientierte Haltung. Sie erkennen, dass es nicht nur um das Abhaken von regulatorischen Pflichten geht, sondern um eine echte Chance, sich in einer sich schnell verändernden Welt zu differenzieren und zu positionieren. Diese Unternehmen agieren eher als Pioniere und weniger als nachsichtige Erbsenzähler, die jeden Cent zweimal umdrehen, um kurzfristige Gewinne zu maximieren.

Auf der anderen Seite stehen Unternehmen, die nur das Nötigste tun, um regulatorischen Anforderungen gerecht zu werden. Diese Unternehmen scheinen in einem vergangenen Zeitalter festzustecken, wo kurzfristiges Denken und Gewinnmaximierung die einzigen Leitprinzipien waren. Sie agieren wie der klassische Geizkragen, der lieber eine Glühbirne ausschraubt, um Strom zu sparen, anstatt in energieeffiziente Beleuchtung zu investieren. Diese Firmen verstehen nicht, dass sie durch ihre Zurückhaltung bei der Investition in Digitalisierung und Nachhaltigkeit nicht nur Chancen verpassen, sondern auch ein Image aufbauen, das in der modernen Geschäftswelt zunehmend als veraltet und verantwortungslos angesehen wird. Kurz gesagt: Sie sparen am falschen Ende und riskieren, auf der Strecke zu bleiben, während andere Unternehmen mutig in die Zukunft marschieren.

Einstweilige Verfügungen im Aktienrecht

Die Gesellschafter einer Europäischen Gesellschaft (SE) haben eine Kapitalerhöhung beschlossen. Ein einzelner Gesellschafter konnte an diesem Beschluss nicht teilnehmen und wird in der Folge wahrscheinlich vom Bezug weiterer Aktien ausgeschlossen. Er wird damit seine Sperrminorität verlieren, weil sein Anteil von 27,78 % auf unter 25 % sinkt. Der Gesellschafter kann diese Beschlüsse zwar anfechten, Gerichtsverfahren dauern aber lange. Eine Sicherung der bisherigen Rechte des Gesellschafters durch eine einstweilige Verfügung ist – wie der OGH jetzt entschieden hat – in der Praxis mehr oder weniger unmöglich.

1. EUROPÄISCHE GESELLSCHAFT

Gesellschaftsform. Die SE, auch Europäische Aktiengesellschaft oder Societas Europaea, ist eine Rechtsform für Aktiengesellschaften in der EU und im EWR. Mit ihr ist in Europa die Gründung von Gesellschaften nach weitgehend einheitlichen Rechtsprinzipien möglich.

Grundlage. Die EU hat die SE im Jahr 2001 mit Verordnung eingeführt.(1) Demnach gelten in erster Linie die Bestimmungen dieser Verordnung und die danach ausdrücklich zugelassenen Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags (Satzung). Subsidiär sind das einschlägige Recht der Mitgliedstaaten, das ist in Österreich das SEG aus dem Jahr 2004,(2) und schließlich das lokale Aktienrecht anzuwenden.(3)

Aktiengesetz. Die SE hat ihren Sitz in Österreich. Die Anfechtung der Gesellschafterbeschlüsse richtet sich demnach nach dem AktG.(4)

2. EINSTWEILIGE VERFÜGUNG

2.1. Schaden

Der übergangene Gesellschafter (Antragsteller) hat eine einstweilige Verfügung beantragt.(5) Hauptverfahren. Wer im Wirtschaftsrecht eine einstweilige Verfügung erreichen möchte, muss bei Gericht ein bestimmtes Begehren stellen und damit als Kläger ein Hauptverfahren einleiten (hier: Klage auf Anfechtung der Beschlüsse der Hauptversammlung). Dieses Hauptverfahren kann mehrere Jahre dauern. Möchte der Kläger nicht so lange warten, kann er gleichzeitig eine vorläufige Entscheidung (einstweilige Verfügung) beantragen. Die einstweilige Verfügung

gilt dann – wenn sie genehmigt wird – bis zur Entscheidung im Hauptverfahren. Einstweilige Verfügung. Voraussetzung für eine einstweilige Verfügung ist nach allgemeinem Verfahrensrecht ein „drohender“ und „unwiederbringlicher“ (= nicht wiedergutzumachender) Schaden. Diese Voraussetzungen gelten auch im Gesellschaftsrecht. Es kann sich dabei um einen Schaden des Gesellschafters(6) oder der Gesellschaft(7) handeln. Das ist ein relativ strenger Standard:

y Andere Bereiche. In anderen Rechtsgebieten, wie etwa bei der Bekämpfung von unlauterem Verhalten nach dem UWG(8) oder bei Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht (= Kartellrecht) ist der Gesetzgeber um einiges großzügiger: Es muss immer nur ein bestimmter Anspruch glaubhaft gemacht werden. Das wäre hier der Anfechtungsanspruch. Ein (drohender) Schaden (umso weniger ein „drohender“ und „unwiederbringlicher Schaden“) ist nicht erforderlich.

y Selten. Aufgrund der strengen Voraussetzungen sind einstweilige Verfügungen im Gesellschaftsrecht selten, im Recht des UWG hingegen gang und gäbe.

2.2. Unwiederbringlicher Schaden

Zurück zu den allgemeinen Voraussetzungen: Der Schaden muss „unwiederbringlich“ sein. Ein Schaden ist unwiederbringlich, wenn ein Nachteil an Vermögen, Rechten oder Personen eintritt und y die Zurückversetzung in den vorigen Zustand nicht „tunlich“ (= theoretisch möglich, aber wirtschaftlich nicht zumutbar) ist oder

(1) Art 9 Verordnung (EG) 2157/2001 des Rates vom 8. 10. 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), ABl L 294 vom 10. 11. 2001, S 1.

(2) Gesetz über das Statut der Europäischen Gesellschaft (Societas Europaea – SEG), BGBl I 2004/67.

(3) In Verbindung mit dem Gesellschaftsvertrag (Satzung).

(4) §§ 195 ff AktG.

(5) Nach § 42 Abs 2 GmbHG; § 381 Z 2 EO.

(6) § 381 Z 2 EO.

(7) § 42 Abs 4 GmbHG („drohender unwiederbringlicher Nachteil“); OGH 17. 12. 2010, 6 Ob 230/10g; 14. 8. 2008, 2 Ob 138/08w, ErwGr 6.

(8) Wie zB irreführende Werbung, mutwillige Rechtsverstöße, allzu aggressives Abwerben von Mitarbeitern etc.

Dr. Johannes Peter Gruber ist Rechtsanwalt in Wien.

y Schadenersatz entweder nicht geleistet werden kann (zB wegen Zahlungsunfähigkeit des Schädigers) oder die Leistung des Geldersatzes dem angerichteten Schaden nicht völlig adäquat ist.(9)

2.3. Drohender Schaden

Der Schaden muss „drohen“. Der Begriff des „drohenden Schadens“ darf – so der OGH in ständiger Rechtsprechung – nicht zu weit ausgelegt werden.(10) Vor allem ist nicht schon jede „abstrakte oder theoretische Möglichkeit“ der Herbeiführung des Schadens eine Gefahr für einen Anspruch.(11) Der Antragsteller muss konkrete Umstände darlegen, die diese Voraussetzungen glaubhaft machen.(12)

2.4. Grund

Diese (strengen) Voraussetzungen sollen erforderlich sein, weil mit jeder einstweiligen Verfügung – noch vor Abklärung der jeweiligen Rechtsposition im Hauptverfahren – ein Eingriff in die Rechtssphäre des Gegners verbunden ist. Diese Begründung ist nicht sehr überzeugend. y Rechtssphäre. Ein solche Eingriff liegt nämlich auch bei einstweiligen Verfügungen gegen Verstöße im Wettbewerbsrecht(13) vor: Wer zB die Werbung eines Konkurrenten, die seiner Meinung nach irreführend ist, vorläufig durch eine einstweilige Verfügung verbieten lassen will, greift genauso in die Rechtssphäre eines anderen ein. Hier muss er aber – wie gesagt – keinen drohenden Scha-

(9) Ständige Rechtsprechung; zB RIS-Justiz RS0005270.

(10) RIS-Justiz RS0005275 [T4].

3. GESELLSCHAFTERBESCHLÜSSE

Sperrminorität. Die übrigen Gesellschafter haben mit den angefochtenen Beschlüssen die Möglichkeit geschaffen, der Antragstellerin die Sperrminorität zu entziehen. Sie haben eine Kapitalerhöhung beschlossen, an der die Antragstellerin aufgrund von EU-Sanktionen(16) nicht teilhaben kann. Das bedeutet, dass die Antragstellerin Gesellschafterbeschlüsse, die eine Dreiviertelmehrheit der Gesellschafter verlangen, nicht mehr – wie bisher – verhindern kann. Aktiengesetz. Welche Beschlüsse das sind, ergibt sich aus dem AktG und dem Gesellschaftsvertrag (Satzung). Nach dem AktG sind zB eine Dreiviertelmehrheit für Nachgründungen,(17) die Abberufung eines Aufsichtsratsmitglieds,(18) eine Änderungen der Satzung,(19) Kapitalerhöhungen und andere vergleichbare Maßnahmen,(20) die Auflösung der Gesellschaft,(21) eine Verschmelzung,(22) die Übertragung des ganzen Gesellschaftsvermögens,(23) Gewinnabführungs-

(11) So schon OGH 12. 9. 1990, 1 Ob 554/90; vgl auch OGH 12. 12. 1991, 8 Ob 633/91 ua; RIS-Justiz RS0005295 [T3].

(12) Ständige Rechtsprechung; zB RIS-Justiz RS0005311; RS0005295 [T4]. Es sind konkrete Tatsachen erforderlich: RIS-Justiz RS0005118 [T6]. Abstrakte Befürchtungen reichen nicht aus: RIS-Justiz RS0005369 [T9].

(13) Das gilt sowohl bei unlauterem Wettbewerb nach dem UWG als auch bei Kartellrechtsverstößen nach dem KartG. (14) Konecny, Der Anwendungsbereich der einstweiligen Verfügung (2002) 228 ff.

(15) Unter anderem: Erhöhung des Grundkapitals um 1.900.000.000 € der im Jahresabschluss zum 31. 12. 2022 ausgewiesenen gebundenen Rücklagen ohne Ausgabe neuer Aktien (Kapitalberichtigung gemäß §§ 1 ff Kapitalberichtigungsgesetz); ordentliche Herabsetzung des Grundkapitals der Gesellschaft um 996.620.004,30 € zum Zweck der Einstellung in nicht gebundene Rücklagen und ordentliche Herabsetzung des Grundkapitals um 903.379.995,70 € zum Zweck der Rückzahlung eines Teils des Grundkapitals.

(16) Art 1 lit f und g iVm Art 2 Abs 1 Verordnung (EU) 833/2014 des Rates vom 31. 7. 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (EUSanktionsverordnung 2014), ABl L 229 vom 31. 7. 2014, S 1.

(17) § 45 Abs 4 AktG: besondere Regelung im ersten Jahr nach der Eintragung der Gesellschaft.

(18) § 87 Abs 8 AktG: Änderung durch Gesellschaftsvertrag möglich.

(19) § 146 Abs 1 AktG: Änderung durch Gesellschaftsvertrag in bestimmter Weise möglich.

(20) Ordentliche Kapitalerhöhung (§ 149 Abs 1 AktG), größere Mehrheit „und noch andere Erfordernisse“ durch Gesellschaftsvertrag möglich; jeweils ebenso: Ausschluss des Bezugsrechts (§ 153 Abs 3 AktG), bedingte Kapitalerhöhung (§ 160 Abs 1 AktG), genehmigtes Kapital (§ 169 Abs 2 AktG), Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen und Gewinnschuldverschreibungen (§ 174 Abs 1 AktG), ordentliche Kapitalherabsetzung (§ 175 Abs 1 AktG).

(21) § 203 Abs 1 Z 2 AktG und Fortsetzung der Gesellschaft, § 215 Abs 1 AktG; jeweils größere Mehrheit „und noch andere Erfordernisse“ durch Gesellschaftsvertrag möglich.

(22) § 221 Abs 2 AktG: Die „Satzung kann eine größere Kapitalmehrheit und weitere Erfordernisse bestimmen“

(23) § 237 Abs 1 AktG: größere Mehrheit „und noch andere Erfordernisse“ durch Gesellschaftsvertrag möglich. den und schon gar keinen „drohenden“ und „unwiederbringlichen“ Schaden bescheinigen. y Uneinigkeit in der Lehre. Auch in der Lehre tut man sich schwer, diesen Unterschied zu begründen. Eine vernünftige Begründung scheint es nicht zu geben.(14) Dennoch hat bisher niemand daran gedacht, hier etwas zu ändern. Zumindest eine wissenschaftliche Untersuchung wäre mehr als empfehlenswert – gerade wenn man bedenkt, um welche Beträge es im vorliegenden Zusammenhang geht.(15)

verträge(24) und die Umwandlung in eine GmbH(25) erforderlich. Ob insoweit im konkreten Fall Änderungen durch die Satzung bestehen, ist nach der vorliegenden Entscheidung offen.

Rückführung. Unbestritten ist, dass die Aktien damit erheblich an Wert verlieren. Der Wert der Aktien, die zusammen eine Sperrminorität verschaffen, ist insgesamt höher als der Wert der Summe des Werts der einzelnen Aktien. Allerdings: Sollte die Antragstellerin das Hauptverfahren gewinnen, müssten alle Maßnahmen der anderen Gesellschafter rückgängig gemacht werden. Die Antragstellerin würde wieder über einen Anteil von über 25 % (27,78 %) und damit über die Sperrminorität verfügen.

Zeitpunkt. Die Maßnahmen zur Rückgängigmachung können aber erst ab rechtskräftigem Abschluss des Hauptverfahrens (ex nunc) wirken. Die Entscheidung des Gerichts hat für sich genommen keine Rückwirkung (ex tunc) zur Folge. Diese Wertdifferenz(26) besteht im Fall der Rückgängigmachung nur zeitweilig und ist – so der OGH – vor allem in Geld ausgleichbar. Es liegt kein unwiederbringlicher Schaden vor.

4. DIE (DISKUSSIONSWÜRDIGE)

AUFFASSUNG DES OGH

Vorläufiger Rechtsschutz. Zu betonen ist zunächst, dass es bei der beantragten einstweiligen Verfügung nur um einen vorläufigen Rechtsschutz geht. Es kommt nicht darauf an, ob die Maßnahmen der anderen Gesellschafter rechtmäßig waren oder nicht. Das ist erst im Hauptverfahren zu entscheiden. Hier ging es nur darum, den Antragsteller – sollten die anderen Gesellschafter falsch liegen – vor einem schweren oder sogar nicht wiedergutzumachenden Schaden zu bewahren.

OGH. Der OGH argumentiert, dass der Antragsteller nur auf grundsätzlich mögliche, aber nicht näher umschriebene Satzungsänderungen verwiesen habe. Er habe damit nur abstrakt mögliche Maßnahmen angesprochen und nicht dargelegt, dass damit ein nicht in Geld ausgleichbarer Schaden entstehe und der Schaden in weiterer Folge konkret absehbar (und drohend) sei. Die Glaubhaftmachung konkreter Tatsachen,(27) aus denen sich ein drohender unwiederbringlicher Schaden ableiten ließe, sei aber für den Erfolg eines Antrags auf einstweilige Verfügung notwendig.

Antragsteller. Der Antragsteller hat hingegen vorgebracht, dass das „einzige Ziel“ der Kapitalmaßnahmen der „treuwidrige und

rechtsmissbräuchliche Eingriff“ in seine Mitgliedschafts- und Vermögensrechte sei. Seine Stellung als Aktionär soll zugunsten „des Ausbaus der Einflussmöglichkeiten der österreichischen Kernaktionäre“ geschwächt werden. Ihm solle die Sperrminorität genommen werden. Dass diese Befürchtungen zutreffen, ist nach der vorliegenden Entscheidung relativ offensichtlich. Die übrigen Gesellschafter haben das auch nicht bestritten.

Begründung. Die übrigen Gesellschafter können mit ihrer „neuen Mehrheit“ gegen den Willen des Antragstellers alle Aufsichtsräte abberufen (und vergrößern damit ihren Einfluss auf die Bestellung der Vorstandsmitglieder). Sie können neue Gesellschafter aufnehmen oder sogar das Unternehmen der Gesellschaft verkaufen. Dass es sich dabei um „abstrakt mögliche Maßnahmen“ handeln soll, ist mE sehr unrealistisch.

y Unklar. Was hätte der Antragsteller noch behaupten und bescheinigen sollen oder können? Diese Frage bleibt unbeantwortet. Der OGH redet sich ganz allgemein auf eine (bloß) abstrakte und (fehlende) konkrete Gefährdung „hinaus“. Das kann mE nicht ausreichend sein. Mit diesem Pauschalargument kann man schließlich jeden Antrag auf einstweilige Verfügung abweisen, ohne ihn – wie die vorliegende Entscheidung zeigt – „handfest“ begründen zu müssen.

y Anleitung. Der OGH hätte schon etwas konkreter werden müssen. Eine gewisse Anleitung des Antragstellers – allenfalls verbunden mit konkreten Beispielen (aus der bisherigen Rechtsprechung?) – wäre notwendig gewesen und hätte sicher zu einem (besseren) Verständnis der Entscheidung beigetragen. So aber weiß man nicht so recht, was man mit der vorliegenden Entscheidung und der allzu dünnen Begründung anfangen soll.

y Allgemeines Verfahrensrecht. Hinzu kommt, dass die Unterschiede zwischen den sehr strengen Bestimmungen des allgemeinen Verfahrensrechts und den weit großzügigeren Sonderbestimmungen in einzelnen Bereichen, wie zB im Wettbewerbsrecht, selbst in der Lehre nicht einmal ansatzweise erklärt werden können. Auch das würde für eine großzügigere Behandlung von einstweiligen Verfügungen im Gesellschaftsrecht sprechen.

5. DIE ENTSCHEIDUNG

OGH 20. 12. 2023, 6 Ob 215/23w.

(24) § 238 Abs 3 AktG; sonst wie FN 23. (25) § 239 Abs 2 AktG, sonst wie FN 23. (26) Zur Summe des Werts der einzelnen Aktien und des Ausschüttungsbetrags. (27) RIS-Justiz RS0011600.

Interkulturelle Erfahrungen bereichern das Aufsichtsratsgremium

Stellen Sie sich eine Welt vor, in der Aufsichtsräte nicht nur aus Zahlen und Daten bestehen, sondern auch aus einer reichen Palette kultureller Perspektiven. In diesem Beitrag entdecken wir gemeinsam, wie interkulturelle Kompetenzen und Vielfalt die Entscheidungsfindung in Unternehmen revolutionieren können. Erkennen Sie mit mir die Welt der Unternehmensführung, in der Empathie, kulturelles Verständnis und Anpassungsfähigkeit Schlüsselrollen für Lösungen und Innovationen in unser multipolaren Welt spielen.

1. GUT GEMEINT UND TROTZDEM KRITISCH

Bei der Bestellung des CEO eines mittelständischen Unternehmens wählte das Board einen englischen Muttersprachler aus, der hervorragend mit dem Eigentümer und den Boardmitgliedern, ebenfalls englische Muttersprachler, kommunizieren konnte. Obwohl das Unternehmen Englisch als Kommunikationssprache etabliert hatte, sprach niemand anderer aus dem Vorstand oder der ersten Führungsebene Englisch als Muttersprache. Dies führte zu einer Herausforderung: Die Kommunikation zwischen dem CEO und dem Board bzw dem Eigentümer erfolgte in fließendem Englisch, während der Rest der Organisation durch den Sprachnachteil auf eine sekundäre Kommunikationsebene zurückfiel. Infolgedessen wurde die Rolle des CEO zu einer „permanenten Sprech- und Formulierungsstelle“, die nicht muttersprachliche Mitarbeiter in ihrem Handlungsspielraum einschränkte und damit die Vielfalt begrenzte.

Dieses Beispiel kann in jede beliebige Sprache und Konstellation transformiert werden, was zählt, ist das Ergebnis, und damit auch der Fortgang des Unternehmens aus dieser Entscheidung des Boards – gut gemeint und trotzdem kritisch.

Unsere globale Wirtschaft erfordert ein multipolares, tiefgreifendes Verständnis verschiedener Kulturen, Verhaltensweisen, Überlegungen, Kunden und Märkte. In diesem Kontext gewinnen interkulturelle Erfahrungen in Aufsichtsratsgremien an Bedeutung. Ein solches Gremium, das Mitglieder mit diversen kulturellen Hintergründen und Erfahrungen einschließt, ist besser aufgestellt, um komplexe globale Herausforderungen zu meistern.

ethisches und ethnisches Verständnis, Führung, Management und Anpassungsfähigkeit. Diese Erfahrungen haben mich nicht nur persönlich bereichert, sondern bieten auch wertvolle Einblicke in die Rolle, die interkulturelle Erfahrungen in der Führung und Entwicklung von Unternehmen spielen. Kulturelle Vielfalt führte zu kreativen Lösungen und Innovationen. Sie zeigt auch, wie wichtig es ist, offen für neue Ideen und Perspektiven zu sein.

2. DIE ROLLE DER SPRACHE

Ein Schlüsselthema in diesem Kontext ist die Rolle der Sprache. Die effektive Verwendung einer „lingua franca“ erfordert ein Gleichgewicht zwischen sprachlichen Fähigkeiten, kulturellem Bewusstsein und Sensibilität für die Bedürfnisse von Nicht-Muttersprachlern. Ziel ist es, eine klare, respektvolle und inklusive Kommunikation zu fördern. Die Herausforderung liegt darin, Fachwissen und Führungspotenzial nicht zu übersehen, das möglicherweise aufgrund sprachlicher Barrieren verborgen bleibt.

Probleme in Märkten oder Kundenbeziehungen sind oft weniger mitarbeiter- als vielmehr prozess-, vorgehens- und verfahrensspezifisch. Misserfolge in Märkten und bei Kunden sind häufig auf Unternehmensstrukturen, ein unzureichendes Marktverständnis, langwierige Entscheidungsprozesse und mangelndes Verständnis für lokale Marktbedürfnisse zurückzuführen. Offenheit und Verständnis, Agilität und Schnelligkeit bei der Anpassung an Bedürfnisse sind essenziell und erfordern Akzeptanz und Offenheit im Konzept.

Johann Königshofer ist

COO Global Production Operation bei der Sany Group in Aichtal/Deutschland und Changsha/China.

Meine eigene berufliche Laufbahn, die mich durch Europa (Österreich, Deutschland, Italien), Nordamerika (USA, Kanada), Lateinamerika (Mexiko, Brasilien) und Asien (China und Indien) führte, war eine Reise durch unzählige Lektionen in Sachen Kulturen, Vielfalt,

Aus meinen Positionen in globalen Unternehmen mit Hauptsitzen in Nordamerika, Europa und China lernte ich, dass sich die Vorgehensweisen zur Unternehmenssteuerung und zur Durchsetzung von Standards nur unwesentlich von den Regionen unterschieden. Natürlich sind die Märkte und Produkte an die lokalen Gesetze und Standards angepasst, im Kern aber strebt jedes Unternehmen nach Kontrolle gemäß den Vorgaben der Zentrale. Dies reicht

von IT-Systemen, die je nach Hauptsitz des Unternehmens nur in einer Sprache angeboten werden, bis hin zu regionalen Managern, die oftmals Expats sind und die Kultur der Unternehmenszentrale manifestieren. Hier gilt es, mit Weitsicht und Verständnis zu agieren sowie die Möglichkeiten und Fallstricke zu verstehen und als „-rat“ einzubringen.

3. KULTURELLE SENSIBILITÄT UND EMPATHIE

Heute, wo Geschäftsbeziehungen vernetzt und abhängig sind, wird die Fähigkeit, effektiv mit einer Vielzahl von Stakeholdern zu kommunizieren und zu interagieren, immer wichtiger. Dies betrifft nicht nur Kunden und Mitarbeiter, sondern auch Lieferanten, Regierungsbehörden und die breitere Gemeinschaft. Jede Region und Kultur bringt ihre eigenen Erwartungen und Kommunikationsstile mit sich. Ein tiefes Verständnis dieser Unterschiede ist wichtig, um erfolgreiche und nachhaltige Beziehungen aufzubauen.

In meiner Laufbahn habe ich gelernt, dass das Zuhören und Verstehen der Bedürfnisse und Sorgen aller Stakeholder ein Schlüssel zum Erfolg ist. Dazu braucht es nicht nur sprachliche Fähigkeiten, sondern auch ein hohes Maß an kultureller Sensibilität und Empathie. Durch das effektive Management dieser Beziehungen können Konflikte minimiert, Vertrauen aufgebaut und langfristige Partnerschaften gefördert werden, die für den Erfolg eines global agierenden Unternehmens unerlässlich sind. Daher ist es eine der Hauptaufgaben des Aufsichtsrats, sicherzustellen, dass das Unternehmen eine starke, integrative Strategie für das StakeholderManagement verfolgt, die auf offener Kommunikation, gegenseitigem Respekt und Verständnis basiert.

Wir müssen uns von der Einstellung einer kulturellen oder wirtschaftlichen Superiorität lösen. Innovation und Kreativität, Geschäftsund Markterfolg sind global verteilt. Um eine integrative und respektvolle Struktur im Aufsichtsrat und in Unternehmen zu fördern, müssen wir kulturelle Vielfalt wertschätzen, gleichberechtigte Teilnahme und Entschei-

dungsfindung entwickeln, globale Denkweisen, Kommunikation und Feedbackkultur fördern sowie als Führungsgremium eine Vorbildfunktion einnehmen.

4. ETHISCHE HERAUSFORDERUNGEN

„Jeder neue Produktionsmitarbeiter verliert beim Kartenspielen mit seinem künftigen Chef 500 € in bar und bekommt dann einen Job. Darüber hinaus überweist jeder Mitarbeiter jeden Monat zehn Prozent seines Gehalts an seinen Chef und hat damit ein gutes Leben, erhält all seine Boni und wird immer hervorragend bewertet.“ Sind auch Sie schon ähnlichen Themen begegnet? Seien sie versichert, es gibt sie tatsächlich.

Heutzutage sehen sich Aufsichtsräte mit spezifischen ethischen Herausforderungen konfrontiert, die einzigartige Lösungsansätze erfordern. Um unethischen Gepflogenheiten effektiv entgegenzuwirken, ist es unabdingbar, spezifische Kontrollsysteme zu etablieren. Systeme solcher Art müssen regional angepasst sein, um den lokalen Gegebenheiten und vor allem kulturellen Besonderheiten gerecht zu werden, wobei Transparenz gefördert und unethisches Verhalten aktiv entmutigt wird. Die Implementierung solcher Systeme ist die wesentliche Verantwortung des Aufsichtsrats, um die Integrität und den Erfolg des Unternehmens zu gewährleisten.

In jedem Fall haben meine internationalen Erfahrungen nicht nur mein persönliches Leben bereichert, sondern auch meine berufliche Perspektive geformt. Sie lehrten mich, dass echte Führungsqualitäten Flexibilität, Empathie und die Fähigkeit erfordern, über kulturelle Grenzen hinweg zu denken und zu handeln.

In meiner Rolle in Aufsichtsratsgremien nutzte und nutze ich diese Erfahrungen, um innovative Ansätze zu fördern, ein tiefgreifendes Verständnis für globale Märkte zu bieten und das Unternehmen in ethische und kulturell sensible Richtungen zu lenken. Meine Reise hat mir gezeigt, dass interkulturelles Know-how nicht nur ein Vorteil, sondern eine absolute Notwendigkeit ist, um in dieser globalisierten und multipolaren Welt erfolgreich zu sein.

SIGNA-Signale – Die bestellte Prominenz

Warum holen sich Eigentümer (wie zB Alleineigentümer, Mehrheitseigentümer, Teileigentümer, bestimmte Aktionärsgruppen) bzw Bestellende aller Art (wie zB politisch Einfluss Nehmende, Aufsichtsratsvorsitzende, Aufsichtsräte oder sogar Vorstandsvorsitzende, Gutmeinende) Prominente ins Boot? Weshalb Aufsichtsräte oder Beiratsmitglieder ausgewählt, bestellt und mit einem Mandat betraut wurden, war früher kaum publik. Erfreulich ist nun die noch junge und zaghafte Tendenz, die Bestellung neuer Gremienmitglieder nicht nur dem Firmenbuch mitzuteilen,(1) sondern auch mit einer entsprechenden Begründung öffentlich – zum Beispiel durch eine Presseaussendung –kundzutun (Dieser Beitrag wurde basierend auf dem Wissensstand zum 10. 1. 2024 verfasst).

1. DAS NETZWERK

War man zu Zeiten des Old Boys Networks auf der Suche nach einem neuen Gremiumsmitglied, so waren Überlegungen und Kriterien wie „Wen habe ich zuletzt gesprochen oder getroffen?“, „Wem schulde ich etwas?“, „Wem kann ich – vielleicht sogar mit Rückwirkung für mich selbst – Gutes tun?“ eher die Regel als die Ausnahme.

Der Unternehmer René Benko antwortete als Auskunftsperson im parlamentarischen Ibiza-Untersuchungsausschuss 2020 auf die Frage, wie und wann es zur Bestellung von Alfred Gusenbauer und Susanne Riess­Hahn in den SIGNA-Beirat kam, dass er sich nicht mehr genau daran erinnern könne. Er wisse nur, dass das bei Gusenbauer und Riess­Hahn damit zu tun gehabt habe, dass sie ihm schon lange sehr gut, auch privat, bekannt waren.

Eine Bestellung nach den folgenden Kriterien wird von professionell agierenden Auswählenden zum Maßstab genommen. Und ein solches Vorgehen macht sich rasch und überproportional bezahlt:

y Fundierte Bestandsanalyse.

y Professionelles Anforderungsprofil unter den Aspekten:

– Über welche Kriterien – fachlicher und persönlicher Art – verfügt das Gremium oder noch nicht?

– Über welche zukünftigen und das Gremium ergänzenden Fähigkeiten sollen neue Gremiumsmitglieder verfügen?

y Neue Herausforderungen für das Unternehmen:

Dr. Josef Fritz ist Managing Partner der Board Search GmbH, eines auf die Suche nach qualifizierten

Aufsichtsorganen im deutschsprachigen

Raum spezialisierten österreichischen Dienstleistungsunternehmens.

Wer kann diese abdecken und einbringen – zB mit Praxiserfahrung in aktuell gefragten Bereichen wie Digitalisierung, Transformation, Krisenerfahrung, künstliche Intelligenz, Innovation, Personalkompetenz?

– Wer kann geopolitische Zusammenhänge erkennen, verstehen und deren Auswirkungen auf das Unternehmen vorhersehen?

y Was macht einen Aufsichtsrat bunt – Knowhow, Know-who und unter Einbezug der Wertebene?

y Hat das neue Mitglied ausreichend Zeit?

y Erfüllt ein neues Mitglied das Anforderungsprofil aus fachlicher und menschlicher Sicht?

y Passen die Neuen zum Unternehmen, zur Organisation, zur Institution?

y Können die Neuen unabhängig agieren?

y Kann ein neues Mitglied notwendigen Nutzen stiften?

y Was ist der Nutzen für die Unternehmung? Zahlreiche Studien untermauern, dass das Netzwerk bei der Bestellung von Aufsichtsräten eine dominante Rolle spielt. Auch international liegt der Anteil an Netzwerken bei Bestellungen bei rund 70 %. Geht es um die Bestellung von Prominenten, liegt die Netzwerkkomponente meist sogar bei 100 %.

Die zuvor dargelegten professionellen Auswahlkriterien treten bei einer „Promi-Auswahl“ völlig in den Hintergrund. Eine klassische Suche findet oft gar nicht statt – es erfolgt zumeist gleich die direkte Ansprache und Nominierung Prominenter. Dabei steht das in der Öffentlichkeit Bekanntsein im Fokus. Auch die Angesprochenen fühlen sich geehrt, dienen sie doch als Aushängeschilder.

Interessant ist der Aspekt, dass die Medien dabei mitspielen. Ein Hinterfragen der Qualifikation, der Kompetenzen und des Stiftens von Nutzen für das Unternehmen unterbleibt noch immer allzu oft. Erst beim Niedergang, bei Skandalen oder Insolvenzen werden – viel zu spät – Fragen gestellt. Wie kamen die denn in den Aufsichtsrat? Wo wurde da hingeschaut? Was haben die eigentlich kontrolliert?

(1) § 91 AktG („Veröffentlichung der Änderungen im Aufsichtsrat“). Der Vorstand hat jeden Wechsel der Aufsichtsratsmitglieder unverzüglich zur Eintragung in das Firmenbuch anzumelden.

Josef Fritz

2. HANS SUCHT HÄNSCHEN BZW DER APFEL FÄLLT NICHT WEIT VOM STAMM

Eines der Hauptmotive bei Bestellungen ist das „Hans-sucht-Hänschen-Prinzip“. Man sucht Seinesgleichen, auch im Aufsichtsrat. Bei einzelnen Industrien, wie zB der Autoindustrie, der Bauindustrie oder auch bei Banken und Versicherungen, wiesen zahlreiche Studien(2) nach, dass das Prinzip, „der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“, Anwendung findet. Als eine Art ungeschriebenes Gesetz prägt es die Auswahl gleichgesinnter, gleichartiger Führungskräfte und Manager und hat somit maßgeblichen Einfluss auf die Unternehmenskultur – nicht immer zum Vorteil des Unternehmens. Selbst vermeintlich völlig Nebensächliches wie das Tragen bestimmter Kleidung, Schuhe, Verhaltensweisen, Sprechweisen etc bewirkt schon Sympathie und damit den Eindruck: „Das ist einer für uns!“

Auch bei der zuletzt in die Pleite gerutschten SIGNA Holding GmbH lässt sich das beobachten. In der Zeitschrift NEWS wurde Benkos Aufstieg als „vom AWD­Keiler zum Millionär“ beschrieben.(3) Mit dem Erfolg der eigenen Strahlkraft wurden auch Beiratsmitglieder ausgewählt, die Strahlkraft signalisierten.

Im Beirat waren vertreten ua: Vorsitzender des 2005 erstmals installierten Gremiums war SIGNA-Gründer Benko. Mitglieder seitens der Investoren waren der deutsche Berater Roland Berger, der Ex-Chef von Morgan Stanley, Walid Chammah, und der Schweizer Manager und SIGNA-Investor Ernst Tanner. Auf der Homepage wurde die „hohe Bindung zu SIGNA“ ausdrücklich vermerkt.

Österreichische Akteure waren: Ernst Strasser, ehemaliger Innenminister und EU-Abgeordneter, der vor allem in der Aufbauphase der SIGNA als Beiratsmitglied ein wichtiger Türöffner für Banken war. Im Zuge einer Korruptionsaffäre und der damit einhergehenden strafrechtlichen Verurteilung musste er jedoch 2011 aus dem Beirat von SIGNA ausscheiden. Alfred Gusenbauer, ehemaliger Bundeskanzler, schaffte in bemerkenswert kurzer Zeit – nämlich nach nur wenigen Tagen nach dem Ausscheiden aus der Politik – den Wechsel in Benkos Reich, und zwar mit einem hochdotierten Ganzjahresvertrag von 280.000 € brutto plus weiteren Vergütungen und Boni, für nur eine Woche pro Monat Tätig sein. Unter seine Vermittlungstätigkeit fällt auch der Kontakt zum Benko-Partner Benny Steinmetz Mit dem israelischen Milliardär und Diamantenhändler Beny Steinmetz erwarb Benko

(2) Ua Prof. Dr. Uwe P. Kanning (Hochschule Osnabrück).

2012/2013 in einem Joint Venture das Berliner Luxuskaufhaus KaDeWe und 156 weitere Warenhäuser um 1,1 Mrd €. Dass Steinmetz 2015 aus der Warenhauskette ausstieg, soll auch daran gelegen haben, dass Benko aufgrund der Vorwürfe gegen Steinmetz um seinen Ruf fürchtete. 2017 wurde Steinmetz im Zuge von Ermittlungen der israelischen Polizei festgenommen, gemeinsam mit vier anderen Verdächtigen, darunter auch der – schon vorher österreichische politische Parteien beratende – Tal Silberstein Gegen Steinmetz und Silberstein wurde wegen Bestechung von Regierungsbeamten bei Immobiliengeschäften in Rumänien ermittelt.

Im Juni 2020 wurde medial berichtet, dass der brasilianische Bergbaukonzern Vale Benkos SIGNA vorwarf, das ehemals höchste Gebäude der Welt – das Chrysler Building – mit Unterstützung von Steinmetz gekauft zu haben. Im September 2023 wurde bekannt, dass Steinmetz per europäischem Haftbefehl in Zypern festgenommen wurde. Er soll in Rumänien versucht haben, sich illegale Bodenrechte zu sichern.

Gegen Steinmetz wurde im Frühjahr 2023 ein historisches Urteil wegen Rohstoffkorruption gefällt. Das Revisionsgericht des Kantons Genf bestätigte die Verurteilung des Diamantenmagnaten und seiner Mitangeklagten vom Jänner 2021 wegen Bestechung ausländischer Amtsträger. Steinmetz wurde wegen Schmiergeldzahlungen, die er schon in den Jahren 2005 und 2010 tätigte, zu einer dreijährigen Haftstrafe (davon 18 Monate unbedingt) und zu einer Kompensationszahlung von 50 Mio Franken verurteilt.

Gusenbauer war auch Aufsichtsratschef der SIGNA Prime Selection AG, der SIGNA Development Selection AG und der SIGNA RFR US Selection sowie Aufsichtsratsvorsitzender der STRABAG SE von Hans­Peter Haselsteiner, der wiederum maßgeblich bei SIGNA investierte. Bei der Haselsteiner Familien­Privatstiftung wurde er mit einem Vorstandsmandat bedacht.

Karl Samstag, ehemaliger CEO der Bank Austria war seit der Anfangszeit als Beiratsmitglied und Aufsichtsrat in der Gruppe installiert. Karl Stoss, ehemaliger Unternehmensberater, Raiffeisen-Manager, CEO der Generali Österreich sowie auch Vorstandsvorsitzender bei der Casino Austria AG und Präsident des Österreichischen Olympischen Comités (ÖOC), war langjähriger SIGNA-Beirat und Aufsichtsrat in der Gruppe. So war er zB bei SIGNA Prime seit 2013 Gusenbauers Stellvertreter. Dem Vernehmen nach sollen Stoss und Benko geplant haben, die teilstaatliche Casino Austria AG komplett zu übernehmen. Susanne Riess­Hahn, frühere

(3) „René Benko: Vom AWD­Keiler zum Millionär“, NEWS.at, abrufbar unter https://www.news.at/a/causa-renebenko (Zugriff hier und in der Folge am 16. 1. 2024).

Riess­Passer, vormals Vizekanzlerin und Generaldirektorin der Wüstenrot-Gruppe, Gattin des österreichischen EU-Kommissars Johannes Hahn, sitzt seit 2009 im Beirat von SIGNA und in Aufsichtsräten der Gruppe.

Andere Involvierte: Im Aufsichtsrat der SIGNA Prime AG saßen auch der französische Unternehmer Robert Peugeot, Michael Siefert (Madison), Karl Gernandt (Kuehne + Nagel), Jürgen­Johann Rupp (CFO der deutschen RAGStiftung) und Christoph Stadlhuber als Vorstand der SIGNA Holding Hans Peter Haselsteiner ist an der SIGNA Holding mit einem Anteil von 15 % nach Benko der größte Investor. Weiters ist der mit neun Prozent auch an der SIGNA Development beteiligt.

3. EINE KLEINE GMBH STEUERT EIN IMPERIUM

Für die SIGNA Holding wurde bewusst die Rechtsform der GmbH und des Beirats gewählt. Waren Gründe dafür Haftungsüberlegungen, das Vermeiden der Konsolidierung oder die Verurteilung Benkos in der Italien-Causa? Da hatte der OGH das Urteil im Jahr 2013 gegen Immobilien-Tycoon Benko und seinen Steuerberater Michael Passer wegen „versuchter verbotener Intervention“ bestätigt. Der Anlass geht ins Jahr 2009 zurück. Die Erstrichterin bezeichnete die Causa als „Musterfall von Korruption“. Benko, so der Vorwurf der Korruptionsstaatsanwaltschaft, soll seinen Steuerberater Passer 2009 beauftragt haben, ein Steuerverfahren gegen eine italienische Tochter von Benkos SIGNA Holding zu beschleunigen und zu einem für Benko positiven Abschluss zu bringen. Dazu sollte der kroatische Ex-Premier Ivo Sanader eingeschaltet werden, der über gute Kontakte in Italien – ua zu Ex-Premier Silvio Berlusconi –verfügte. Sanader wurden dafür 150.000 € in Aussicht gestellt. Die Sache wurde bekannt, als die Justiz bei einer Razzia im Zuge der Ermittlungen gegen Sanader einen Vertrag zwischen Passer und Sanader sicherstellte. Benko, Passer und Sanader kennen einander seit Langem. Benko und Passer wurden in erster und in zweiter Instanz zu einem Jahr bedingter Haft verurteilt. Mit einem Aufsichtsratsmandat ist das nicht in Einklang zu bringen. Die Eintrittsbedingungen sehen für Aufsichtsräte immer noch nur die Volljährigkeit und die Unbescholtenheit vor. 2011 zog sich Benko aus der operati-

ven Führung der SIGNA Gruppe, da nicht mehr unbescholten, an die Spitze des Beirats zurück. Das Prinzip „Hans sucht Hänschen“ trifft auch auf Benkos Auswahl von Managern zu. So berief er den gleichaltrigen Strahlemann Timo Herzberg in die SIGNA Gruppe in Deutschland. Herzberg hatte 2016 als 40-Jähriger als COO bei der SIGNA Prime Selection mit seinem Team angefangen und war 2018 zum CEO für das Deutschlandgeschäft der SIGNA befördert worden. Mitte 2021 setzte Benko ihn an die Spitze der Prime und der SIGNA Development. In der Prime liegen die Topimmobilien der SIGNA, darunter der Elbtower in Hamburg, die Alte Akademie in München und das Goldene Quartier in Wien. Die Development bündelt die großen Immobilienentwicklungen der Gruppe.

So wurde Herzberg also zum deutschen Gesicht von SIGNA. Wann immer die Gruppe ein neues Bauprojekt vorstellte, stand er auf der Bühne. Fotos zeigen ihn etwa im Februar 2018 bei der Präsentation des Prestigeprojekts Elbtower neben Hamburgs damaligem Ersten Bürgermeister Olaf Scholz. Über Jahre galt Herzberg nicht nur als wichtigster Vertrauensmann von Benko, sondern auch als besonders erfolgreich. 2022 verteilten SIGNA Prime und Development 28 Mio € als Boni an ihre Manager. Herzberg erhielt davon Insidern zufolge 80 % – also zirka 22 Mio €.(4)

Am 11. 12. 2023 kam es zur fristlosen Entlassung von Herzberg. In außerordentlichen Aufsichtsratssitzungen der SIGNA Prime Selection und der Development Selection wurde der bisherige CEO der beiden Gesellschaften mit sofortiger Wirkung seiner Funktionen enthoben sowie ebenfalls mit sofortiger Wirkung außerordentlich und fristlos gekündigt. Die Gründe für die Entlassungen seien ein dringender Verdacht auf grobe Verletzungen der Pflichten als Vorstandsmitglied und Insichgeschäfte zulasten SIGNAs (5) Der österreichische Paradesanierer Erhard Grossnigg wurde aus der Pension um Hilfe gerufen und in beiden Sitzungen zum Sprecher des Vorstands in den beiden Gesellschaften neu bestellt.

Gusenbauer meinte zur Kündigung von Herzberg: „Leider mussten wir diese Entscheidung treffen und diesen harten Schritt setzen. Die Verdachtslage war eindeutig und ließ den Aufsichtsräten keine andere Wahl. Gerade in den herausfordernden Zeiten bedarf es 100­prozentiges Vertrauen in die handelnden Personen und Geschlossenheit bei den Entscheidungen.“(6)

(4) „Signa – Nun kommt Licht in die Causa Timo Herzberg“, Trend.at vom 12. 12. 2023, abrufbar unter https://www. trend.at/news/signa-nun-kommt-licht-in-die-causa-timo-herzberg (5) „‚Verdacht auf grobe Pflichtverletzungen‘: Signa­Töchter werfen CEO raus“, Kurier.at vom 11. 12. 2023, abrufbar unter https://kurier.at/wirtschaft/ceo-signa-prime-development-selection-fristlos-gekuendigt/402704431.

(6) APA, Signa kündigt wichtigen Manager wegen „Verdachts auf grobe Pflichtverletzungen“, DerStandard.at vom 11. 12. 2023, abrufbar unter https://www.derstandard.at/story/3000000199213/signa-toechter-werfen-chef-raus-verdacht-auf-grobe-pflichtverletzungen

Hierzu ein paar Anmerkungen: Warum leider? Warum hart? Warum keine andere Wahl? Professionelles On- und Offboarding ist die Top-Aufsichtsratsaufgabe! Kann man auch zu 50 %, 70 % oder zu 90 % vertrauen?

4. DER INTERESSENKONFLIKT

Es gibt einen ständig unerwünschten Gast in Aufsichtsratssitzungen: den Interessenkonflikt. In der Gruppe der zuvor genannten Beirats- bzw Aufsichtsratsmitglieder war dieser wohl Dauergast. Vermutlich hätten zahlreiche Aufsichtsräte und Beiräte nach Compliance-Maßstäben an Beratungen und vor allem Abstimmungen nicht teilnehmen dürfen.

Spätestens seit Bekanntwerden der maßgeblichen Lukrierungen von Entgelt – zusätzlich zu den Tantiemen und Gremienvergütungen für zB das Vermitteln von Krediten oder Investorenakquisition – ist die Abhängigkeit der Gremienmitglieder evident. Formal und auch inhaltlich hätten Interessenkonflikte dem Gesamtaufsichtsräten vorgelegt werden müssen. Medienberichten ist zu entnehmen, dass zB die Millionengagen von Gusenbauer aus zusätzlichen Beratungsverträgen den anderen Aufsichtsräten unbekannt waren.

5. DIE UNABHÄNGIGKEIT

Beirats- und Aufsichtsratsmitglieder müssen unabhängig und professionell agieren können. Gusenbauer bedeutete in einem ORF-Interview, solange das „Werkl“ laufe, genüge es, „agieren zu lassen“

Die Journalistin Hanna Kordik brachte das Thema Unabhängigkeit am 11. 11. 2023 in ihrem Newsletter auf den Punkt: „Heute geht es um Pleiten, Pech & Pannen. Sie ahnen vermutlich, worauf ich hinauswill, genau: auf René Benko. Aber ich muss auch gleich jene enttäuschen, die jetzt Spott, Schadenfreude & Sarkasmus erwarten. Das Trio gibt es meinerseits gut und gerne zu allen möglichen Themen, aber nicht zu diesem. Ja, ich weiß: Seit vielen Jahren wurde bei allen möglichen gesellschaftlichen Anlässen geraunt, wie lange das mit Benko wohl gutgehen werde, vermutlich sogar bei seinem jährlich abgefeierten Törggelen, seinem ‚Erntedankfest auf Südtirolerisch‘. Weil in Österreich ist es ja grundsätzlich so: Einladungen zu höchst prominent besetzten Events nimmt man dankbar an, man möchte doch dazugehören und jedenfalls gesehen werden, aber über den Gastgeber abzulästern muss halt schon auch drin sein.

Ich war da nie eingeladen, so wichtig bin ich offensichtlich nicht, aber ich hab es recht gut verkraftet. Und ich bin somit in der komfortablen Situation, meine Meinung zu den turbulenten Ereignissen offen teilen zu können, weil ich nicht Gefahr laufe, als eine der Benko­Profiteurinnen zu gelten.“

6. DAS UNTERNEHMENSWOHL

In Aufsichtsratsausbildungen wird ein für das Aufsichtsratswesen oberster Grundsatz eindringlich vermittelt: Für Aufsichtsräte und Beiräte ist das Unternehmenswohl die oberste Maxime und Richtschnur bei Interessenkonflikten. Das kommt bei Prominenten, die sich meist einer fundierten Aufsichtsratsausbildung verweigern, nicht an. So verwundert es nicht, dass sie ihr Wohl über jenes des Unternehmens stellen bzw dem Irrglauben unterliegen, sie seien dem Eigentümer bzw den Eigentümern verpflichtet. Spätestens bei Gericht wird dies dann zurechtgerückt und klargestellt.

Selbst in der heißen Vorinsolvenzphase war das Thema Unabhängigkeit ein steter Begleiter: Das Handelsblatt titelte am 8. 11. 2023 die jüngste SIGNA-Entwicklung mit: „Der Sanierungsexperte Arndt Geiwitz, der vor allem als Insolvenzverwalter bekannt ist, übernimmt auch den Vorsitz des Gesellschafter­Komitees der Holding. Er soll die gesamte Unternehmensgruppe nun vor dem Kollaps retten – wird aber selbst von manchen Gläubigern kritisch beäugt, weil sie ihn für nicht ganz unabhängig halten.“

Tatsächlich ließ sich Geiwitz auf das Abenteuer der SIGNA-Rettung gar nicht ein, sondern war mit der „Bestandsaufnahme“ beauftragt. Der dann vorschnell von SIGNA als bestellter Sanierer vermeldete Ralf Schmitz gehört zur Riege der Top-Sanierungsexperten in Deutschland. Er gab dem Handelsblatt ein Interview mit einem Satz, der auch noch rechtlich von Bedeutung sein kann, wenn es um den relevanten Zeitpunkt des Erkennens der vorliegenden Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung geht. Als er bei SIGNA Restrukturierungsvorstand werden sollte, lehnte er nach eingehender Prüfung ab: „Als ich gerufen wurde, war es im Grunde schon zu spät für eine Sanierung als Ganzes!“(7)

7. WAS IST/WAR MEINE LEISTUNG?

Die Beantwortung dieser in Österreich in einer anderen öffentlichen Causa bekannten Frage, sollte von Aufsichtsräten und Beiräten zeitgerecht – dh vorab – überlegt werden. Die

(7) Brors/Kolf, „Als ich gerufen wurde, war es im Grunde schon zu spät“, Handelsblatt.com vom 21. 12. 2023, abrufbar unter https://www.handelsblatt.com/unternehmen/management/sanierer-ueber-signa-als-ich-gerufenwurde-war-es-im-grunde-schon-zu-spaet/100003748.html

Galeria Karstadt Kaufhof Warenhausgruppe (GKK) meldete im Jänner 2024 zum dritten Mal – nach 2020 und 2022 – Insolvenz an. Diesmal sogar als klassische Insolvenz und nicht als Schutzschirmverfahren in Eigenverwaltung. Bei einer Regelinsolvenz übernimmt normalerweise der Insolvenzverwalter die Leitung des Unternehmens. Bei einem Schutzschirmverfahren oder einer Sanierung in Eigenverwaltung hingegen bleibt die Geschäftsführung im Amt und bekommt nur einen Sachwalter an die Seite gestellt, der darüber wacht, dass die Gläubigerinteressen gewahrt werden. Hatte nicht Gusenbauer genau dafür Beratungshonorare in Millionenhöhe gestellt? 6,3 Mio € wurden nur durch die Geltendmachung als offene Forderung bekannt. Klaus Woltron schreibt in seiner Kolumne „Quergedacht“ in der Kronen Zeitung vom 10. 12. 2023 von Kartenhäusern, Seifenblasen und Luftnummern ua zu Madoffs Seifenblase: „[…] die 2008 platzte. Von den weit über 30 Milliarden der Geldgeber waren nur noch 300 Millionen Dollar verfügbar. Um 1,5 Milliarden wurde die Wiener Bank Medici geschädigt – eine Vertriebsstelle für Madoff­Fonds. Als Aufsichtsratschef fingierte der ehemalige Finanzminister Ferdinand Lacina. Dieser, 2009 zur Presse: Er habe als Aufsichtsrat von den Vorgängen im Unternehmen absolut keine Ahnung gehabt. Unter der Aufsicht von Alfred Gusenbauer als Aufsichtsratspräsident floppten maßgebliche Signa­Unternehmen. Die Gusenbauer­Beratungsbilanz – ohne Gewerbeschein – weist einen Gewinn von 22 Mio. Euro (inkl. Gewinnvorträge) aus.“

AREX-Preisträgerin Andrea Hodoschek schreibt in ihrer Kolumne „Wirtschaft von innen“ vom 16. 12. 2023: „Wo haben Benkos Aufsichtsräte hingeschaut?“ und „ein Promi­Beirat zum Krenreiben“ sowie weiters zu den Aufsichtsräten bei der SIGNA Prime und Development: „Die Aufsichtsratsvergütung liegt im österreichischen Spitzenfeld. Für 2021 durfte Gusenbauer 994.000 Euro an das zehnköpfige Gremium [Anm SIGNA Prime] verteilen. Für die sechs Development­Mandatare gab es 520.000 Euro.“

Hodoschek zitiert auch ein Beiratsmitglied: „Der Signa­Beirat tagte kein einziges Mal, wir erhielten kein Honorar und waren lediglich Zierleiste auf der Homepage.“ Aber allein die SIGNA Holding schüttete 460.000 € im Jahr 2021 und 435.000 € als Beiratsvergütungen aus.

8. AUFGABEN DER PROMINENZ

Von Prominenten wird erwartet, dass sie als Aushängeschilder fungieren und ihre Kon-

takte sowie ihr Netzwerk – unentgeltlich – einbringen. Die Aufsichtsratsvergütung deckt ein verantwortungsbewusstes Handeln ab. Sondervergütungen für umfangreiche, zusätzliche und spezielle sowie das Unternehmen (nachweislich) bereichernde Tätigkeiten machen im Beirat ein Differenzierungsmerkmal zu einer Aufsichtsratstätigkeit aus. In meiner Praxis erlebte ich im Auswahlprozedere ein Spezifikum: Während sich die meisten potenziellen Aufsichtsratskandidaten nach dem Unternehmen, dem Eigentümer, den Aufgaben, den Erwartungshaltungen, dem Zeitaufwand, den Inhalten, der Marktlage, der aktuellen Ergebnisentwicklung etc erkundigten, fragten vor allem Prominente zuerst nach der Vergütung.

Es verwundert auch nicht, dass in der heißen SIGNA-Phase vor der Insolvenz die „Zierleiste“ mit den Beiräten und Aufsichtsräten in den wesentlichen Signa-Tochtergesellschaften –SIGNA Prime AG und SIGNA Development AG – von der Website gelöscht wurde.

9. ZEHN WARNZEICHEN FÜR AUFSICHTSRÄTE UND BEIRÄTE

9.1. Abkehr eines Investors

Ex-SIGNA-Investor Wiedeking bricht im Handelsblatt sein Schweigen über seinen Ausstieg: „Der frühere Porsche­Chef Wendelin Wiedeking hat offenbar schon vor Jahren das Vertrauen in den Immobilieninvestor René Benko verloren. Dem Handelsblatt sagte Wiedeking auf Nachfrage: ‚Ich bin 2016 bei Signa als Aktionär ausgeschieden, weil die Zahlen, die mir vorgelegt wurden, nicht mit dem übereinstimmten, was uns Benko in den Sitzungen vorgetragen hat.‘ Nach Angaben von Wiedeking sprach er Benko direkt auf die widersprüchlichen Zahlen an. ‚Er konnte das auch nicht erklären‘, erinnert sich Wiedeking. Dann sei er ausgestiegen.“(8)

9.2. Das Ausscheiden von Aufsichtsräten/ Beiräten

Scheidet ein Aufsichtsrats- oder Beiratsmitglied vor Ende der Mandatszeit aus, sollten alle anderen aufmerksam werden. Der ausgewiesene Finanzexperte Walid Chammah schied mit Beginn der öffentlich bekannt gewordenen Liquiditätsprobleme im Herbst 2023 aus dem SIGNA-Beirat aus. Auch dies wäre für die anderen SIGNA-Beiräte ein Grund zum Hinterfragen, Handeln oder selbst Konsequenzen ziehen gewesen.

(8) Murphy/Schütze, Ex-Signa-Investor Wiedeking kritisiert René Benko, Handelsblatt.com vom 7. 11. 2023, abrufbar unter https://www.handelsblatt.com/unternehmen/management/immobilien-ex-signa-investor-wiedekingkritisiert-rene-benko/29486942.html

Medial wurde zudem bekannt, dass Benko dem ehemaligen Morgan-Stanley-Investmentbank-Chef 14 Mio € schuldet. Diese klagt Chammah derzeit vor dem High Court in London ein. Benko habe Chammah im Jahr 2015 die Summe für seine Hilfe beim Kauf der GKK in Aussicht gestellt. Der Deal ging dann im Jahr 2018 tatsächlich über die Bühne, Chammah bekam laut eigener Aussage für seine Leistungen angeblich aber noch nichts. Dabei habe Benko persönlich noch im März und zuletzt im Mai 2023 das Bestehen der Schuld gegenüber seinem Beirat Chammah bestätigt. Die GKK-Insolvenz wird auch hier das Thema der Leistung vertiefen.

9.3. Die verspätete Vorlage von Jahresabschlüssen

Kapitalgesellschaften, darunter Aktiengesellschaften, sind laut UGB verpflichtet, spätestens neun Monate nach dem Bilanzstichtag den Jahresabschluss inklusive Lagebericht und Bestätigungsvermerk der Abschlussprüfer beim Firmenbuchgericht einzureichen.

Bei SIGNA war es Usance, die angefallenen Firmenbuchstrafen für das Nichtvorlegen bzw nicht zeitgerechte Abgeben von Jahresabschlüssen(9) nicht nur bewusst in Kauf zu nehmen, sondern den verurteilten Geschäftsleitern die Kosten von mehreren 100.000 € als Sachbezüge zu ersetzen und als Betriebsausgabe geltend zu machen.

Bei den Bilanzerstellungen wurden Gewinne – fast doppelt so hoch wie der Umsatz – ausgewiesen. Man hätte durchaus rechtzeitig die Schönung der Bilanzen erkennen können, sind Finanzexperten überzeugt. So wurde in der SIGNA Prime Selection für das Geschäftsjahr 2021 ein Umsatz von 438 Mio € und ein stattlicher Gewinn von 732 Mio € ausgewiesen. Möglich wurde dies durch die höhere Bewertung der Immobilien – um über eine Milliarde Euro durch IFRS-Bilanzierung mit einer Bewertung über die Anschaffungskosten hinaus. Gemäß UGB wäre das nicht erlaubt.

Die SIGNA Prime Selection hatte 2022 kurzfristiges Vermögen iHv 686 Mio €, dem kurzfristige Verbindlichkeiten iHv 2,7 Mrd € gegenüberstanden. 2021 lag diese Unterdeckung noch bei 1,4 Mrd €: Das hat die SIGNA Prime Selection gemäß ihrer Kapitalflussrechnung nicht davon abgehalten, 225 Mio € an Dividende auszuschütten. Benko bewertete die Immobilien hoch, zeigte dadurch Gewinne an, wurde attraktiv für Investoren, sammelte Geld von Banken

ein und schüttete Millionen Gewinne aus. Bei diesem Risiko sind die Geldgeber mitgegangen.

Ein Bilanzfachmann bezeichnete diese Praxis als „Casino und Glücksspiel“.(10) So habe Benko von 6,7 Mrd € Kreditvolumen 3,6 Mrd € mit variablen Zinsen geführt. Mit den rasch gestiegenen Zinsen explodierten die Kosten. Ein Prozentpunkt höhere Zinsen entsprachen dann 36 Mio € – pro Jahr. Stiegen die Zinsen aber wie zuletzt um über drei Prozent, entsprach dies über 100 Mio € pro Jahr – zusätzlich.

Mit den Grundsätzen des guten, über mehr als 80 Jahrzehnte bewährten Handelsgesetzbuchs wären fiktive Bewertungsgewinne à la IFRS nicht möglich gewesen. Ist die Vereinheitlichung der Bilanzierungsvorschriften vor 15 Jahren das wert? Es bedarf im Management – und erst recht im Aufsichtsrat – versierter Persönlichkeiten, die nicht an die äußersten Grenzen gehen.

9.4. Die Organisation

Die SIGNA Holding ist eine GmbH und keine Aktiengesellschaft, sie hat daher per se keinen Aufsichtsrat. Benko sagte vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss aus, „der Beirat habe tatsächlich nur eine gewisse Beratungsfunktion an die Geschäftsleitung sowohl der Signa Holding als auch an Geschäftsleitung oder Vorstand von Tochtergesellschaften. Sie wird immer wieder auch, sage ich einmal, um strategischen Rat gebeten, hat aber weder eine Bestellungs­ noch Aufsichtsfunktion.“

Gründer Benko bekleidete bei SIGNA offiziell kein operatives Amt. Den Beiratsvorsitz in der Holding legte er auf Drängen der Investoren in der heißen Vorinsolvenzphase erst Ende 2023 zurück. Benko behielt allerdings via Familienstiftung seine Stimmrechte von über 50 % – also das Sagen bei SIGNA. Kernfrage in einer gerichtlichen Aufarbeitung wird die Frage sein, ob er trotz der seit Jahren fehlenden formellen Geschäftsführungsfunktion nicht doch womöglich faktischer Geschäftsführer war (er hat sich selbst schließlich als Chairman bezeichnet) und ihn im Fall des Falls doch Haftungsfragen treffen.

Beispiele ähnlicher Konstellationen gibt es in der Unternehmenslandschaft einige, etwa in Firmen, in denen ein Seniorchef trotz erfolgter Übergabe des Betriebs weiterhin das letzte Wort hat, und in Unternehmen, deren Gründer zwar pro forma abgetreten ist, aber ungeachtet dessen Mastermind der Firma bleibt – so wie im Fall von Benko und SIGNA

Der OGH(11) hält dazu fest: „Faktischer Geschäftsführer ist, wer – ohne förmlich bestellt zu

(9) Die Strafen betragen nur 700 bis 4.200 €. (10) ORF vom 20. 12. 2023 bzw Nikolaj Schmolcke, Hamburger Ökonom, zur Münchner Abendzeitung (11) RIS-Justiz RS0119794.

sein – maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung nimmt, womit es nicht darauf ankommt, ob es sich um einen Angestellten, Gesellschafter, Angehörigen oder Außenstehenden handelt.“ Wer diese Rolle einnimmt, hat auch die Pflichten eines Firmenchefs.

Der Sanierungsfachmann Ralf Schmitz merkte zur Organisation von SIGNA an: „Aber wie chaotisch die Finanzierungsstrukturen waren, ist inzwischen ja Allgemeinwissen. Allein für die Signa Prime gab es mehr als 40 Seiten an Organigrammen. Für Außenstehende nicht zu durchschauen – das konnte nur René Benko persönlich.“(12) Das SIGNA-Imperium umfasste fast 1.000 Gesellschaften.

Die SIGNA Holding prägte eine systemische Intransparenz, veröffentlichte ihre Jahresabschlüsse zu spät, verzichtete auf eine Konzernbilanz und umschiffte als Milliardenunternehmen – rechtlich aber als sogenannte „kleine GmbH“ beim Firmenbuch geführt – legal die Prüfpflicht.

9.5. Liquiditätsengpässe – Ein Alarmzeichen für Aufsichtsräte:

Die Warnung der EZB und der daraus resultierende Vertrauensverlust

Benko hatte seine Unternehmensgruppe mithilfe niedriger Zinsen und finanzstarker Investoren aufgebaut. Gefragt, an welchem Punkt das Konstrukt SIGNA gekippt sei, antwortetet Schmitz: „Auslöser waren im Grunde die kritischen Fragen der EZB an die Banken, die Signa und deren Projekte finanziert haben. Das System Benko baute auf Vertrauen auf, weil es auf vielen Ebenen hoch finanziert war und immer wieder frisches Geld für Kredite und Tilgungen benötigt wurde. Die EZB hat dieses Vertrauen bei Banken und Investoren erschüttert.“(13)

9.6. Die privaten/beruflichen Lebensweisen

Benkos Geschichte ist vor allem die Geschichte eines Mannes, der sehr gut mit Menschen konnte – und diesem Talent einen großen Teil seines Aufstiegs zu verdanken hat. Offenkundig ist Benko, der immer ein exzellentes Gespür für Renditen gehabt haben soll, aber sein Gespür für die Realität abhandengekommen. Als Aufsichtsrat oder Beirat sind die Lebensweisen – beruflich, wie privat – ein guter Seismograf in der Einschätzung. So war ua bekannt, dass Benko Gespräche mit Investoren, Geschäftspartnern etc immer nur als Einzelgespräche führte.

(12) Brors/Kolf, Handelsblatt.com vom 21. 12. 2023. (13) Brors/Kolf, Handelsblatt.com vom 21. 12. 2023.

Wenn Benko die jährliche Immobilienmesse Mipim in Cannes besuchte, dann meist mit der – kolportierten 45 Mio € teuren – Luxusjacht Roma im Hafen. Auf dem 62-Meter-Schiff hielt er Hof, und Vorstände von Banken oder Versicherungen fühlten sich geehrt, wenn sie dort mit ihm speisen durften. Quasi nebenbei fädelte er Deals ein.

Ein Privatjet auf Firmenkosten mit dem SIGNA-Logo, umfassende Jagdaktivitäten, eigene Eventgesellschaft etc beeindrucken. Aufsichtsräte sollten aber dahinter schauen und Schlussfolgerungen ziehen. Sonst tut dies später der gerichtlich bestellte Sanierungsverwalter. So hat Christof Stapf dann auch als eine der ersten Amtshandlungen Luxusausgaben gestrichen; die Schließung aller nicht erforderlichen Teilbetriebe umfasst insbesondere Jagd-, Flug-, Sicherheits- und Eventmanagementpersonal für Repräsentations- und Geschäftsanbahnungsaufgaben. Im Insolvenzantrag liest sich das so: 2022 hatte allein die SIGNA Holding 4,9 Mio € Reise-, 2,2 Mio € Privatjet-, 409.000 € Jagd-, 722.000 € Bewachungs- und 463.000 € Helikopterkosten angehäuft. Für Rechtsanwälte bezahlte die SIGNA Holding 2022 insgesamt 2,7 Mio €. Es ist für Aufsichtsräte und Banker weise, sich die Erfahrungen Altvorderer zunutze zu machen. So sagte der legendäre Generaldirektor der Deutschen Bank und Multiaufsichtsrat Hermann Josef Abs einmal: „Wer im Rolls­Royce durch Frankfurt fährt, bekommt von mir keinen Pfennig Kredit“ Benkos und Herzbergs Sportwagen-Fuhrpark und Leidenschaft für schnelle Autos war seit Langem öffentlich bekannt …

9.7. Rating

Fitch stufte SIGNA in der heißen Phase nur noch auf die Bonitätsnote CCC („substantial risks“) ein bzw herab. Das bedeutet, dass „nur bei günstiger Entwicklung keine Ausfälle zu erwarten“ sind. Zuvor hatte es noch für ein B­ gereicht. Als Begründung für die Herabstufung nannte die Ratingagentur die Zahlen aus dem Zwischenbericht des Unternehmens per 30. 6. 2023. Darin gab das Unternehmen bekannt, dass „es vor Herausforderungen steht, auch im Hinblick auf seine Liquiditätslage“. Fitch stufte SIGNA Development auf „hochriskant“ zurück.

9.8. Allgemeines Wirtschaftswissen und Bedeutsames für die Immobilienbranche

Bei seiner SIGNA-Bestellung gab Gusenbauer in einem ORF-Interview zu, vom Immobilienwe-

sen keine Ahnung zu haben. Aber „Immobilienentwicklung sei ja keine Raketenwissenschaft“. Die für das Immobilienwesen und den Handel maßgeblichen Parameter (zB geändertes Einkaufsverhalten der Konsumenten, Online-Einkäufe etc) im Auge zu haben, sollte für Gremienmitglieder eine Selbstverständlichkeit sein.

Waren die Nachwirkungen der COVID-19Pandemie samt verzögerten Lieferketten und verspäteten Baugenehmigungen sowie die hohe Inflation und steigende Energiepreise infolge des Ukraine-Kriegs bereits belastend, trennten die gestiegenen Leitzinsen 2023 die Spreu vom Weizen. Wer seine Refinanzierungshausaufgaben nicht seriös gemacht oder sogar erheblich spekuliert hatte, bekam ein ernstes Finanzierungsproblem – und mit SIGNA auch Investoren, Banken, Versicherungen und andere mehr. Aber, saßen da nicht Topbanker mit entsprechendem Informationszugang in den Gremien?

Während die EZB den Leitzinssatz seit März 2016 bis in das Jahr 2022 hinein, also ganze sechs Jahre lang, bei null Prozent einfror, kletterte dieser anschließend binnen eines Jahres von 0,5 % im Juli 2022 auf zuletzt 4,5 % im September 2023. „Die anhaltende Nullzinspolitik der EZB hat den Immobilienbereich für viele Akteure jahrelang zum Eldorado gemacht“,(14) sagte ein Immobilienfachmann. Die wegen des rapiden Zinsanstiegs teuren Finanzierungen und Verkaufserlöse, die teils nicht stattfinden oder geringer als erwartet ausfallen, setzen nun aber vielen zu.

9.9. Aus dem Repertoire fragen, hinterfragen und die Zukunft ansprechen

Warum Promis das zumeist nicht tun: Alle, die auf der Beziehungsebene zum Aufsichtsrat oder Beirat bestellt werden, eint oft der Umstand des Abnickens und Durchwinkens. Ein aktives Fragen oder gar Hinterfragen in Sitzungen würde das Beziehungsband vermutlich beeinträchtigen. Und das wichtigste Thema – die Zukunft – bleibt von Promis häufig ausgespart. Eine Managementweisheit lautet: „Wer fragt, der führt.“

9.10. Der Wirtschaftsprüfer bzw Abschlussprüfer

10. SCHADEN UND HAFTUNG

Der Schaden liegt in der nicht ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Aufgabe als Beirat, die gesetzlich nicht geregelt ist, und vor allem als Aufsichtsrat. Im Aufsichtsrat ist das Haftungsthema klar geregelt. Plötzlich wird Aufsichtsräten bewusst, dass sie mit ihrem Privatvermögen für ihre Aufsichtsratstätigkeit haften. Da rücken Inhalt und Umfang einer D&O-Versicherung mit Deckungsumfang, Deckungssummen, bezahlten Prämien etc in den Fokus. Die D&O deckt in der Regel Schadenersatz ab (nicht bei Vorsatz), oft aber nicht alles.

Mögliche Haftungsthemen sind Insolvenzverschleppung, Bilanzmanipulation und Untreue bis zu Betrug. Eigentümer haften mit ihrem zur Verfügung gestellten Geld, aufgrund des Trennungsgebots im Gesellschaftsrecht also nur mit ihren Kapitaleinlagen für Schulden. Ausnahme ist die Durchgriffshaftung, die bei unrechtmäßigen Kapitaltransaktionen vom Unternehmen zu den Eigentümern schlagend wird, zB bei unerlaubter Einlagenrückgewähr oder Vermischung von Vermögen zwischen Unternehmung und Eignern, wenn nicht mehr zuordenbar ist, wem einzelne Vermögenswerte gehören.

Prominente scheuen bei drohenden Skandalen und gar im Fall der Insolvenz das Licht der Öffentlichkeit. Selbst der sonst so wortgewandte Aufsichtsratsvorsitzende Gusenbauer war in der kritischen Phase vor und nach der Insolvenz tagelang verschollen, später gab er dann beschwichtigende und ausweichende Antworten. Letztendlich meldete er als Gläubiger die zuvor genannten 6,3 Mio € an offenen Beratungshonoraren an.

Die Krise, vor allem die zahlreichen Insolvenzen in der rund 1.000 Gesellschaften umfassenden SIGNA Gruppe legten Schwächen, Fehlverhalten, mangelnde Professionalität, Inkompetenz, Arroganz und exorbitante Vergütungen offen. Noch 2022 kassierten die Eigentümer, Aufsichtsräte und Beiräte sowie das Management groß ab. Benkos Scheitern beim deutschen Kaufhauskonzern GKK und beim

Sich nur auf das Testat des Wirtschaftsprüfers bei den Jahresabschlüssen allein zu verlassen, mag für Aufsichtsräte bequem sein. Bei Vorliegen zahlreicher, zuvor dargelegter Ungereimtheiten ist das aktive Hinterfragen –sowohl der Prüfer als auch der Aufsichtsräte –opportun. Für Abschlussprüfer sind Themen wie materielle Gesamtschau, Konsolidierung, (14) „Vier Lehren aus dem Finanz­ und Immo­Jahr 2023“, Leadersnet.at vom 4. 1. 2024, abrufbar unter https://www. leadersnet.at/news/75212,vier-lehren-aus-dem-finanz-und-immo-jahr-2023.html#:~:text=%E2%80%9EDie%20 anhaltende%20Nullzinspolitik%20der%20EZB,setzen%20nun%20aber%20vielen%20zu rechtzeitige Erstellung der Jahresabschlüsse und deren Vorlage Verpflichtung. Das Mitwirken an Umgehungen und das gezielte Suchen von Schlupflöchern mag geschäftlich attraktiv sein und das Entgelt der Bilanzprüfung nicht unerheblich aufbessern. Leitlinie ist aber der oberste Bilanzgrundsatz, dass der Jahresabschluss ein möglichst getreues Bild der Vermögens, Finanzund Ertragslage gibt. Jedenfalls obliegt die Auswahl des Prüfers dem Aufsichtsrat.

österreichischen Möbelhaus Kika/Leiner ging zulasten der Steuerzahler. Über 15.000 GaleriaMitarbeitende sind von der dritten Pleite betroffen, 650 Mio € Hilfsgelder des deutschen Staats wurden zuvor bei den zwei Handelsinsolvenzen 2020 und 2022 aufgewendet.

Die SIGNA Gruppe führt mit Rekordpassiva von rund 10,5 Mrd € die Liste der größten Pleiten in Österreich (mit gesamt 14 Mrd €) als Holding (Platz eins) und auch mit den beiden vormaligen Vorzeigeunternehmen SIGNA Prime (Platz zwei) und SIGNA Development (Platz fünf) an.

Die Niederlegung der Aufsichtsratsfunktionen und Rücktritte bzw Auflösungen erfolgten zögerlich – je nach Steigen des AufsichtsratsHochwasserstands. Wenige Tage vor Weihnachten 2023 lichtete sich die Chefetage der SIGNA Neben dem Beirat der Holding wurden auch die Gremien Group Executive Board und der Beirat der SIGNA Retail aufgelöst. Gehen mussten ua Gusenbauer und Riess­Hahn sowie im Management Stadlhuber – schlussendlich alle Beiräte.

Der Aufsichtsrat der SIGNA-Gesellschaften hat die Schwierigkeiten zu lange ignoriert. Und nicht zuletzt haben die Gesellschafter und Investoren der riskanten Wette von Benko in der Hoffnung auf hohe Gewinne viel zu lange zugeschaut. SIGNA Prime schrieb im Jahr 2022 rund eine Milliarde Euro Verlust, nachdem der Wert der Anlageobjekte vor allem in Deutschland um etwa denselben Betrag abgewertet worden war. Den vier Vorständen der Gesellschaft wurden dennoch Prämien von insgesamt 19 Mio € zugesprochen.

11. SIGNA-INSOLVENZ WIRD ZUM RISIKO FÜR STEUERZAHLER

Die Schieflage der Immobiliengesellschaft Benkos könnte dem Freistaat Bayern rund 200 Mio € kosten, mit so viel steht man beim Bauprojekt Alte Akademie München im Risiko, sollte die insolvente SIGNA keinen Käufer für das Gebäude finden. Auch eine Insolvenz von GKK, einem Teil von SIGNA Retail Selection in der Schweiz, dürfte den Staat belasten: Hier hatte die deutsche Bundesregierung unbesicherte Kredite iHv 500 Mio € vergeben.

Bei Versicherern könnten nach der SIGNAPleite Wertberichtigungen notwendig werden, weil mehrere deutsche Versicherungsgruppen von SIGNA Prime Genussscheine gekauft hatten. Sie hoffen auf eine nachhaltige Lösung für das Unternehmen. Grundsätzlich werden Genussrechte im Gegensatz zu Krediten und Anleihen nachrangig behandelt. Bei einer Insolvenz erhalten Investoren erst Geld zurück, nachdem andere Gläubiger bedient wurden. Wenn nichts mehr übrig ist, kann es zum Totalausfall kommen.

Der Schaden für Mitarbeitende, die offene Ansprüche über den Staat geltend machen und

ihre Arbeitsplätze verlieren, für Lieferanten, Geschäftspartner, Versicherungen und Rückversicherer, für die öffentliche Hand (Finanz, Sozialversicherung etc) bis zu volkswirtschaftlichen und Reputationsschäden für den Wirtschaftsstandort und das Land ist gewaltig. Dieser geht weit über das Insolvenzdebakel hinaus.

Insgesamt verzichteten die Gläubiger zur Rettung der übrigen Kaufhäuser auf Forderungen in Höhe von mehr als einer Milliarde Euro. Während andere Vermieter teils erhebliche Einbußen akzeptierten, zahlte GKK der SIGNAGruppe weiterhin überdurchschnittlich hohe Mieten. Insidern zufolge beliefen sich diese für die 18 SIGNA-Immobilien auf insgesamt rund 180 Mio € im Jahr. Im Gegenzug sicherte SIGNA ihrer Tochter für 2024 eine Geldspritze von 200 Mio € zu, die einen festen Bestandteil der Finanzierung bildete, nun jedoch obsolet ist.

Gusenbauer legte seinen Aufsichtsratsvorsitz auch bei der STRABAG SE zurück: Er wolle „vermeiden, dass irgendein Reputationsschatten auf den Baukonzern falle“. Zur Aufstellung der Schäden werden die Zukunft und die vorerst zugestandene Aufarbeitung in Eigenregie mit Masseverwalter noch Erhellendes beitragen. Das Aufsichtsratsversagen wird vermutlich durch Klage(n) des Sanierungsverwalters und im Fall des Scheiterns der Eigensanierung (die gesetzliche Mindestquote für ein Sanierungsverfahren in Eigenverwaltung beträgt 30 % innerhalb von zwei Jahren) dann durch den Masseverwalter – wie in Deutschland spätestens bei der Anschlussinsolvenz üblich – ein gerichtliches Nachspiel erfahren.

12. FAZIT

Das Fazit von Kordik in ihrem Newsletter vom 11. 11. 2023 (gekürzt) ist zitierenswert: „Für den Umgang mit Krisen, die viele Menschen betreffen, braucht es soziale Intelligenz, braucht es Rückgrat, braucht es Demut. Schaut sehr danach aus, als würde das im Hause Benko fehlen. Er hat dem in Österreich ohnehin schwer angeschlagenen Image des Unternehmertums damit einen echten Bärendienst erwiesen.

Aber so ist das nun einmal offenbar bei Menschen, die viel zu jung und viel zu lange auf der Erfolgswelle geschwommen sind. Plötzlich stehen sie vor einem Scherbenhaufen, damit haben sie nicht umzugehen gelernt. [… M]it dem Fall Benko verbindet sie: Die Hybris ist ein Hund, Mitleid ist da auch keinesfalls angebracht. Händereibende Schadenfreude halt auch nicht. Die Aufarbeitung des Falles Signa wird der (wirtschafts)politischen Hygiene guttun.“

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Mit der Auswahl von Aufsichtsräten und Beiräten nimmt das Schicksal seinen Lauf – so oder so. Die Wahl der Richtigen ist entscheidend.

„Es wird etwas Größeres auf uns zukommen, als das, was jetzt ist“

Mit einer kohärenten Strategie wachsen Firmen um zehn Prozent schneller und haben 22 % bessere EBIT – ein Gespräch mit dem Innovations- und Mobilitätsstrategen Alan Zettelmann über die Back-Casting-Methode, was Zukunftsgestalter voneinander unterscheidet und warum immer ein Zauberer dazugehört.

Was ist die härteste aller Wahrheiten, die du zum Thema Innovation in Unternehmen mit uns teilen kannst?

Alan Zettelmann: Die erste Wahrheit ist: Unternehmen werden von Menschen geführt. Die meisten Menschen leben noch immer in einer Box. Für viele von uns ist es extrem schwierig, aus dem Alltagstrott herauszukommen. Sprechen wir heute mit einem Geschäftsführer, der seinen Job gut machen will, stellen wir fest, dass das eine enorme Herausforderung für ihn darstellt. Er muss eben nicht nur schauen, dass am Ende des Quartals die Zahlen stimmen, sondern auch zusehen, dass das Unternehmen in fünf Jahren noch relevant ist. Innovation und Mitarbeiterentwicklung sind dabei extrem wichtig. Bei jeder Veränderung sollten wir beim Menschen anfangen. Wenn der Mensch dieser Box entfliehen möchte, muss sein Drang dazu entsprechend groß sein.

Das Thema kann also nur sein: Wie können wir in einem Unternehmen sicherstellen, dass die Strategien, die die Menschen heute anwenden, auch in den nächsten Jahren noch relevant sind? Sind wir aber ständig von alltäglichen Sorgen abgelenkt, interessieren wir uns, weil hypothetisch, scheinbar kaum greifbar, immer weniger für Dinge, die irgendwann in der Zukunft relevant sein könnten.

Was tun, wenn Menschen einfach nicht die Fantasiebegabung mitbringen, für das scheinbar so wenig Fassbare, was da auf uns zukommt?

Die Welt dreht sich schnell, und unser Gehirn ist in Wirklichkeit noch immer von den Veränderungen der letzten 100 Jahre geprägt. Wir können uns einfach nicht vorstellen, dass sich Dinge noch schneller ereignen können, als sie es bislang taten. Höchstens so schnell wie innerhalb der letzten zehn Jahre – und das ist falsch. Angelehnt an diese Wandlungskurve versuchen wir mit Blick auf den technologischen Fortschritt, die Entwicklung eines Unternehmens vorherzusagen. Dabei müssen wir bedenken, dass die technologische Entwicklung exponentiell vonstattengeht, während sich ein Unternehmen logarithmisch entwickelt. Technik entwickelt sich mit zunehmender Geschwindigkeit, ein Unternehmen, ab einem bestimmten Zeitpunkt, immer weniger schnell. Sprechen wir über agile Systeme, den agilen Vorstand, das agile Management, agile Organisationen, dann bewegen sich diese womöglich schneller als in

einem normalen Unternehmen, sagen wir mal um 20 % – aber mit diesen 20 % bewegt sich das Unternehmen noch zu langsam, als dass es dauerhaft mit den Entwicklungsschritten der Zukunft mithalten könnte. Deshalb reden wir gerne von einem Reset des Skillsets des Vorstands.

Was bedeutet dieses Ausgehen vom Menschen für das Triggern von Innovationsprozessen? Wie lässt sich das eigene Denken an derlei immer schnellere Veränderungszyklen anpassen?

Wir sollten bei allem bedenken, dass Innovation nicht nur etwas Neues, Disruptives betrifft. Stattdessen sollte Innovation in jeder Abteilung permanent passieren. Stell dir das wie bei den Ameisen vor, die sich zusammentun, um eine Brücke zu bauen. Vergleichbar mit einer Ameisenbrücke funktioniert auch das kollektive Denken, wenn es darum geht, gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Klar gibt es den Geschäftsführer oder Innovationschef, aber der schafft es nicht alleine.

Ihr habt spezielle Formate entwickelt, um diesen Reset für mehr Innovation im Unternehmen zu ermöglichen.

Ja, wir veranstalten sogenannte Immersion Workshops, bei denen wir immer einen Futuristen zu Gast haben. Diese Zukunftsforscher erzählen uns dann, wie die Welt sich in Zukunft drehen wird. Grundsätzlich erzählen wir den Menschen Dinge, die sie sich nicht vorstellen können und entwerfen kurzerhand Szenarien, in denen manche vielleicht erstmal keinen Sinn erkennen.

Bemerkt ihr, dass eure Workshops die Zukunft in Entscheider-Brains bringen?

Jede C-Level-Persönlichkeit, die an so einem Immersion Workshop teilnimmt, macht einen Prozess durch, im Zuge dessen der Weg, sagen wir von heute bis 2071, „step by step“ nachvollzogen wird. Auf diese Weise legen wir einen Think Pass in die Zukunft. Das ist zwar ein Extrembeispiel, aber solche Back-CastingAktivitäten helfen dabei, komplette Teams zu polarisieren und an den Punkt zu bekommen, an dem sie wieder vertrauensvoller in die Zukunft blicken können. Es wird für die C-Levels durchaus greifbar, dass da etwas Größeres auf uns zukommt, als das, was jetzt ist.

Die Unwissenheit, diese Ambiguität gegenüber einem undefinierbaren Etwas, das wir nicht fassen können, der Gedanke, dass die Dinge an uns vorbeilaufen, ohne sie beein-

Aan Zettelmann ist „Mister Innovation“, Founder, ESG-Investor, Consultant und Buchautor.

flussen zu können, führt bei den Menschen zu Angst und Ohnmacht, dem Gefühl, nichts mehr bewirken zu können.

Eben diese Angst ist es, die dazu beiträgt, dass wir lieber daran denken, was wir in den nächsten vier Monaten noch alles zu stemmen haben, als über die Herausforderungen, die in den nächsten fünf Jahren vor uns liegen. Doch lässt sich die Denkweise abseits dieser Verengung trainieren. Dann passiert es ganz automatisch, dass wir nicht mehr mit so viel Negativität ins Unternehmen reingehen, stattdessen mit einer positiven, affirmativen Grundhaltung zu neuen Ideen kommen, die vielleicht in fünf Jahren relevant sein werden. Und das balanciert innerhalb der Unternehmen sehr gut ein Klima aus, in dem sich immer alles sehr stark um die Probleme des Tagesgeschäfts dreht. – Irgendwann suchen sich die Leute dann neue Jobs und andere tun es ihnen gleich, woraufhin am Ende ganze Teams nicht mehr zusammenhalten. Und das ist dann der Moment, an dem ihr ins Spiel kommt und den Reset Button drückt. Ja, denn dann verstehen die: „Okay, wenn wirklich all das auf uns zukommt, sollten wir vielleicht doch mal ein bisschen darüber nachdenken, dieses oder jenes schon heute zu tun.“ Die Menschen haben nach so einem Workshop eine Reise durchlebt, einen Prozess mitgemacht, und daraus erwächst ein Gefühl – es passiert etwas in den Köpfen, ein geradezu chemischer Prozess. Wir müssen die Fähigkeiten ausbilden, eine Herausforderung auf eine bestimmte Art und Weise zu managen und zu gestalten.

Gestaltungsprozesse wollen finanziert sein.

Erst wenn die Entscheiderebene bereit ist, ein entsprechendes Strategiebudget freizuschalten, um die Mitarbeitenden mitzunehmen und dazu zu bringen, mitzumachen, ist einiges erreicht. Es hilft nun mal nicht, dass die Geschäftsleitung sagt „Wir gehen jetzt auf den Mars“ und die Mitarbeiter machen nicht mit. Denn dann gibt es kein Buy-in.

Innovation entsteht durch Prozesse.

Stimmt, dabei denken viele ja immer, Innovation beruhe auf einer einzigen Idee. Bloß, dass das dann Heureka-Ideen sind. Sowas passiert höchstens eins zu einer Million. Alle Ideen müssen irgendwie geclustert werden. Eine schlechte Idee von heute, kann die gute Idee von morgen sein, etwa dann, wenn ich sie aufgegriffen und mit anderen Ideen gekoppelt habe, die womöglich längst da sind. Sind Innovationsprozesse erstmal von Vorstandsseite freigegeben und steht das entsprechende Budget bereit, kann die Reise beginnen.

Wann ist der richtige Zeitpunkt, um Innovationsprozesse anzustoßen?

Es liegt auf der Hand, dass Innovationsprozesse, die in guten Zeiten ihren Startpunkt hatten, einen erfreulicheren Verlauf nehmen als jene, die erst während einer Krise in Angriff

genommen wurden, wo Zeit und Geld nun mal knappe Ressourcen sind.

Wie Innovations-avers erlebst du Unternehmen heute? Wie lassen sich mögliche Barrieren im Denken und Handeln überwinden?

Heute haben Unternehmen im Schnitt eine Überlebensdauer von gerade einmal bis zu zwölf Jahren. Gründe ich also heute ein neues Unternehmen, wird es, wenn alles einfach weiterläuft wie bisher, sehr wahrscheinlich nicht länger als zwölf Jahre überleben. Diesem Umstand gilt es, mit entsprechenden Tools zu begegnen und mit neuen KPIs.

Wie kann der stets präsente Hunger nach Messbarkeit gestillt werden, wenn es sich auf etwas beziehen soll, das nicht greifbar ist?

Einige dieser KPIs, die wir immer nennen, haben gar nicht direkt mit Innovation zu tun. Vielmehr befassen sie sich mit der Frage, wie man innerhalb von 30 Minuten erkennt, ob ein Unternehmen zukunftsfähig ist oder nicht. Das hat viel mit Bürokratie zu tun. Warum muss ich erst fünf Leute fragen, die keine Ahnung haben, ob ich dieses oder jenes tun darf? Nimm nur eine Person im Unternehmen, die sofort weiß, worum es geht, weil sie das schon seit 20 Jahren macht, und man wäre schneller weiter. Das gilt es, mit Tools zu unterstützen und dann in neue KPIs zu bringen.

Es geht auch nicht nur darum, was ich in den letzten 100 Jahren richtiggemacht habe, sondern in welchem Maß ich bereit bin, neue Sachen zu erlernen. Die Welt wird sich nie wieder so langsam verändern wie gestern. Es wird immer schneller gehen. Wir müssen diese Prozesse einsetzen, damit wir handlungsfähig bleiben. Ein immer schnellerer Wandel macht den Menschen Angst. Es gibt hunderte von Frameworks, aber wir messen, ob wir es richtig oder falsch machen.

Ihr messt zum Beispiel Frustration. Das ist spannend.

Ist jemand aus einem Team frustriert, heißt das nicht unbedingt, dass derjenige nicht wusste, was zu tun war. Frustriert ist oft auch eine Person, die ganz genau weiß, was sie zu tun hat, dies aber nicht tun kann, weil sie sich erst neue Skills draufschaffen muss. Man weiß, man muss durch die Wand. Doch um durch die Wand zu kommen, braucht man nun mal einen Bohrer. Wir beobachten den gesamten Innovationsprozess hindurch, wie der Mitarbeitende sich fühlt. Ich kann einem Innovationsteam nicht auf der einen Seite sagen, ihr müsst etwas Neues kreieren und auf der anderen keine Orientierung an die Hand geben. Es muss immer eine Guidance geben, wie man Innovation macht.

Oft haben auch Gründer eine Geschäftsidee, eine Vision in Unkenntnis, wie der Markt sich entwickeln wird. Ohne Zahlen der Zukunft, ohne nachhaltige Strategie – kein Invest.

Ich habe tatsächlich einmal mit Start-upBeratung angefangen, das war 2016. Irgendwann

habe ich dann entschieden, mich auf die Geschäftsführungsebene zu konzentrieren und dort zu unterstützen. Eine große Anzahl an Start-ups glaubt es zu schaffen, aber gerade deshalb setzen sie oft nicht die richtigen Tools ein, die ihnen den Erfolg erleichtern würden. Viele Macher hinter diesen Start-ups haben gute Ideen. Das Problem ist, dass man dort so flexibel ist, wie ein Start-up nun mal sein muss, aber genau dann, wenn plötzlich die Möglichkeit kommt, ein bisschen Umsatz zu machen, sterben sie, weil sie etwa das Accounting in Excel aufgesetzt haben. Dieser Umstand führt dann irgendwann zu einem Zahlen-Chaos. Meist im zweiten oder dritten Jahr, bekommen sie plötzlich einen Auftrag von einem Corporate, das sagt, okay, ich möchte 100.000 Stück von euren Produkten kaufen, und dann fangen die an, wie wild zu manipulieren, denn das geht nur, wenn die Zahlen stimmen. Doch weil ihr Accounting in Excel das erlaubt, und es keine Prozesse gibt, kein System, und die Gründer einen Schlingerkurs fahren, wird nicht mehr genau entschieden, wie die nächste Investition zu tätigen ist, um die 100.000 Stück zu produzieren. Und dann gehen die Gesellschafterkämpfe los.

Kommen wir zu dem, was du „HypothesenValidierung“ nennst.

Was immer ich beim Thema Innovation aufgreife, beruht auf wissenschaftlichen Methoden, dh: Hypothesenvalidierung plus „ grounded theorie“: Ich habe eine Annahme, auf deren Basis ich viele Interviews führe, um das ganze „human behavior“ dahinter zu verstehen – Warum passiert etwas? Was Meurer gemacht hat: die Quantifizierung mit Zahlen: Wie viele Menschen konvertieren? Du hast eine gute „value proposition“, es gibt einen Schmerz, du löst ein Problem – aber wie viele Menschen kaufen das?

Es kann sein, dass in fünf Jahren die Leute anfangen, das Produkt zu kaufen, weil der Schmerz schier unaushaltbar geworden ist. Aber sobald du es nicht messen kannst, kannst du keinen Investor überzeugen, dass er in dein BM investiert, weil keiner kaufen will. Innerhalb dieser Timeline verlieren Start-ups viel Zeit.

Du unterscheidest zwischen verschiedenen Arten von Innovation – welchen?

Das kommt darauf an. Möchtest du ein Business Model im Sinne eines Organisationsmodells oder fragst du nach Innovation in puncto Prozess, Produkt oder Leistungen?

Sogar innerhalb der unterschiedlichen Definitionsansätze gibt es Differenzierungen, zum Beispiel: die Radikal-Innovation und die inkrementelle Innovation. Für beide brauche ich völlig verschiedene Arten von Menschen.

Welche Persönlichkeiten brauchen wir für die Umsetzung innovativer Ansätze, Ideen und Modelle – und welche Horizonte gar?

Persönlichkeit und Führungsstil! Wir unterscheiden zwischen drei Horizonten. In Ho-

rizont eins – das entspricht dem heutigen Core Business – gibt es die sogenannte überwiegend inkrementelle Innovation. Diese benötigt eine Art von Leadership, die wir als „Spiral Staircase“ bezeichnen. Wie bei einer spiralförmigen Rolltreppe ist dies eine Art von Leadership, bei der man nach oben klettert, ohne das Gesamtziel aus den Augen zu verlieren.

Die organisatorischen Persönlichkeiten: Hurdler, Mitarbeiter, Regisseur. In Horizont zwei haben wir es mit anderen drei Arten von Leadership zu tun. Cauldron nennt sich der tendenziell unternehmerische Leadership Style, was so viel heißt wie Kessel. Das sind Leute, die das Geschäftsmodell häufig infrage stellen, während bei „Fertile Field“ versucht wird, über die Organisation vorhandene Fähigkeiten und Ressourcen auf völlig neuartige Weise zu nutzen.

Und dann gibt es noch „The PacMan“. Dieser Führungstyp erfindet Start-ups, lagert sie aus und finanziert sie. Unter ihnen finden sich der Erfahrungsarchitekt, der Set Designer, der Geschichtenerzähler und der Betreuer. Horizont drei wiederum unterscheidet sich fundamental von den Horizonten eins und zwei. Der Leadership Style aus Horizont drei ist der „Explorer“, der permanent am Lernen und Forschen ist. Ihm geht es darum, in der Tiefe zu arbeiten, neue Geschäftsmodelle auszuloten sowie Zeit und Geld zu investieren, ohne nach kurzfristiger Gewinnmaximierung zu schielen. Unter ihnen finden sich Anthropologen, Forscher und sogenannte Kroos-Pollinator.

Das geht aber nur mit Kapital?

Du kannst das auch über Beteiligungen machen. Die Leute mit den besten Talenten sind nicht nur die, die am Geld orientiert sind. Vielmehr wollen sie ein gutes Motiv für das, was sie tun, etwa die Welt verändern, Forschung machen oder irgendetwas, das etwas bewegt. Vielleicht haben sie auch schon im letzten Start-up einen guten Exit gemacht. Langfristig müssen sie die Karotte natürlich sehen, logisch …

Und hier kommt Horizont zwei: Ich identifiziere, was ich nicht habe und finde externe Lösungen, die ich reinhole, für eine gewisse Adaptationszeit, bis ich das in Horizont eins wieder implementieren kann. Dann muss ich aufpassen, dass die Leute, die ich super wertvoll für Horizont zwei gewonnen habe, nicht wieder sterben lasse, wenn ich sie in Horizont eins erneut implementiere. Wenn ich das nicht mache, sagen die Leute nach sechs Monaten: „Hey, jetzt ist mir aber super langweilig geworden. Ich habe das installiert, jetzt will ich das nicht einfach bloß managen, sondern lieber was Neues aufsetzen.“

Der Typ Explorer, Horizont drei, kann überhaupt nicht mit den Horizonten eins und zwei – die möchten nur und ausschließlich in der Zukunft forschen, Insights suchen. Das ganze Geheimnis um die Horizonte liegt darin, dass

ich in jedem Horizont verschiedene Menschen habe, die ein jeweils anderes Mindset mitbringen, während ich sie grundsätzlich aber jeweils anders messen muss. Bei Horizont eins ist zu messen, wie viel Geld eine Sache bringen wird. Bei Horizont zwei geht es um das, was es Neues in meinem täglichen Business gibt, und bei Horizont drei darum, zu erkennen, welche Ideen man in der Zukunft in Horizont zwei kultivieren könnte, sodass ich die Ergebnisse nachhaltig in mein Kerngeschäft implementieren kann.

Was viele Firmen grundsätzlich falsch machen: Sie hauen alles in den gleichen Topf. Da wird dann jemand ausgesucht, dem man vertraut, weil er schon mal dieses oder jenes in der Vergangenheit gut gemacht hat. In Wirklichkeit ist so einer dann aber vielleicht gar nicht der Richtige. Deswegen muss man vor jedem Projekt zuerst analysieren, welche Art von Projekt das ist und welche Leader gebraucht werden. So geht Horizont-geführtes Leadership. Wir analysieren also Innovation, Capabilities, Leadership Styles, Horizonte, Aspirationen Match – und nicht nur nach MBTI, sondern nach dem Innovation 360 Framework und Magnus Penker … also eine Mischung aus Erfahrungswissen und Expertise, jeweils individualisiert und bezogen auf das Projekt.

Nach McKinsey sind die Horizonte nach Zeiträumen gestaffelt, eine Methode, die man verbessern kann, indem man die Dinge einfach ein bisschen anders betrachtet. Alles ändert sich so schnell, dass Zeit kein maßgeblicher Faktor mehr sein kann. Stattdessen gilt es, Horizonte in Unwissenheitsgraden zu messen. Das Thema ist: Ich kann super in Unwissenheit leben, du vielleicht nicht so sehr, dein Kollege vielleicht noch weniger, dh, jemand, der mit Unwissenheit nicht umgehen kann, wird womöglich nie wie der Horizont-drei-Typ in die Zukunft denken können. Wir wissen es nicht.

In Horizont eins haben wir Menschen, die super jeden Tag aufs Neue beweisen, dass das, was sie heute gemacht haben, morgen etwas bringt –aber eben nur für morgen, am nächsten Tag und nicht erst in zwei Jahren. Der Horizont-zwei-Typ kann schon mit etwas mehr Unwissenheit umgehen. Er kann diese Sachen visualisieren, denkt also bereits ein bisschen mehr in die Zukunft. Es ist also letztlich eine Denkart, die ich innerhalb von Unternehmen innerhalb eines jeden Projekts vorfinde. Wir trennen das in strategische Initiativen, und innerhalb jeder dieser Kategorie haben wir drei Horizonte. Sobald etwas außerhalb dieser Horizonte liegt, machen wir das Team auf, denn wenn das unterbleibt, kann das Unternehmen damit meistens nicht mehr umgehen. Zu viel Unwissenheit bzw Ungewissheit führt dazu, dass zwischen den Mitarbeitern keine Verbindung mehr zum tatsächlichen Unternehmen erreicht werden kann.

Was wird sein, wenn sich die aktuellen Kriegsaktivitäten dermaßen ausweiten, dass wir irgendwann keinen Strom mehr haben? Wird das die Welt in die komplette Steinzeit zurückversetzen? Was passiert dann?

Das erinnert mich an einen Pitch von Robert Kiyosaki in Mexiko aus dem Jahr 2020. Er hat gesagt: „Sie erwarten bestimmt, dass ich hier eine Finance Speech halte. Nein, ich bin heute gekommen, um Ihnen einen Rat zu geben. Die Krise wird kommen! Jetzt stellen Sie sich doch bitte einfach mal vor, wie es sein wird, wenn in den großen Städten das Chaos ausbrechen wird. Stellen Sie sich vor, wir könnten eine ganze Woche lang keine Lkws mit Lebensmitteln in die Ballungszentren schicken. Ich rede gar nicht mal vom Strom, es fängt schon bei den Lebensmitteln an. Bereits aufgrund von Hunger wird das Chaos ausbrechen, Kriminalität wird kommen, es werden Einbrüche passieren, Menschen werden andere überfallen, es wird einen Zivilkrieg geben. Ich empfehle Ihnen, einen Ort außerhalb der großen Städte aufzusuchen, der weniger als eine Stunde von den größeren Städten entfernt ist, dort, wo man für sechs Monate genug zu essen hat, einen Keller mit genügend Lebensmitteln, und wo man seine Nachbarn kennt, weil unbekannte Leute kommen werden, um einzubrechen und Lebensmittel zu stehlen.“

Ich will jetzt keine Katastrophenszenarien auf den Plan rufen, aber ich sage dir, weil ich mich mit Drohnen ein bisschen auskenne: Jede Stadt der Welt rüstet sich im Moment entsprechend auf, sodass ich mich frage, wo werden die das abwerfen wollen? Wenn jetzt ein Krieg ausbricht, wird es viel schlimmer als im Zweiten Weltkrieg sein. – Wie funktioniert ein Krieg? Krieg ist ein Geschäft im Sinne von ich werfe zwei Millionen irgendwo drauf, um etwas zu treffen, was für 100 Millionen jemandem weh tut. Deshalb wird sich ein nächster Weltkrieg auf die vitalen Ressourcen einer Stadt, die wertvollen Assets, konzentrieren. Bleibt man außerhalb dieser Ballungszentren, ist man sicherer. Das hat aber mit Innovation, denke ich, weniger zu tun als mit Kriegsstrategien.

Ich finde, das hat sogar viel mit Innovation zu tun. Sich vorzustellen, wie ein womöglich gar nicht so weit entfernter Krieg wohl Gestalt annehmen wird, bedeutet doch, sich etwas vorzustellen, wogegen man genuin Abneigung verspürt, um dann dennoch die eigenen Gedanken in eine potenziell unsichere Zukunft zu richten. So ein Back Casting bedeutet doch auch, Schlüsse zu ziehen, wie die Zukunft potenziell aussehen kann. Und noch dieses: Der Mensch wird sich seiner eigenen Fragilität wieder bewusst, ein Trigger, über die Implementierung von Innovation eine Form der Unsterblichkeit zu initiieren. Stichwort: Footprint. – Hast du

ein Modell-Unternehmen, eines von dem du sagst: „Die haben es gut gemacht.“

Eine der Firmen, die am besten gezeigt hat, wie man Innovation in die Welt bringt, ist GE. Schaut man aber in die Vergangenheit, nehmen wir die letzten zehn Jahre, dann hat sich GE durchaus auch von Unternehmen trennen müssen. Warum? Könnte sein, dass die Führungskräfte persönliche Ambitionen priorisiert haben, was sie in den nächsten vier Jahren erreichen müssen. GE hat exzellente Funnel, aber in puncto Management haben sie etwas falsch gemacht. Diese ganze Motivation, die Ziele der Geschäftsführung und Eigeninteressen – all das war ausschließlich ökonomisch motiviert. Die wussten durchaus, wie Innovation geht, haben aber schlechte Entscheidungen im Management getroffen. In der Politik wie auch in den Unternehmen – schaut die Geschäftsführung nur auf ihren Jahresabschluss, dann bezieht sie sich nur auf das, was innerhalb der nächsten zwei Jahre passieren wird. Sie will sich dann für die nächsten zwei Jahre ihre Boni sichern, weil sie sowieso im vierten Jahr ausgewechselt wird, was zumindest in den amerikanischen Unternehmen so läuft.

Die politischen Rahmenbedingungen spielen auch eine Rolle.

Genau, denn da geht es immer um die Übergangszeit zum nächsten Politiker, ein Prozess, der oft in Wirklichkeit nicht richtig aufgesetzt wurde. Schönes Beispiel: Letzte Woche habe ich dem Bürgermeister der Balearen zugehört. Er pusht innovative Talente im Bereich Cybersecurity mit Blick auf die kommenden 20 Jahre. Fragt ihn der Journalist: „Ja, aber wie wollen Sie das alles schaffen, wenn eine Legislaturperiode gerade mal vier Jahre dauert?“ „Nein“, sagte der Bürgermeister, „das Programm ist so aufgebaut, dass mein Nachfolger die Programminhalte übernehmen muss“. Es geht nicht nur um die Ergebnisse, sondern auch um die Denkweise.

Wenn eine Regierung sich fragt, was sie tun kann, um auf Ergebnisse hinzuarbeiten, die am Ende doch nicht nur auf Vorschriften beruhen, und sich diese Regierung dann auch noch mit der Frage auseinandersetzt, wie wir Kinder aus der Grundschule auf Berufsbilder vorbereiten, die es heute vielleicht noch gar nicht gibt, dann finde ich das ausgezeichnet.

Wir können nicht mit Sicherheit vorhersagen, was die Zukunft bringen wird. Es liegt auf der Hand, dass dieses Nicht-Wissen vielen Menschen Angst macht.

Gleichzeitig ist Unwissenheit das einzige, was Innovation hervorbringt. Innovation bedeutet, etwas Unmögliches erreichen zu wollen. Wissen-Wollen auf der Basis von Nicht-Wissen. Innovation ist genau der Moment, der es dir erlaubt, das Tal der Unwissenheit zu überfliegen.

Beschreib doch mal die Flugroute gelingender Innovation. Was verhindert Innovation? Was sind Enabler?

Am Anfang steht die Idee. Sie basiert meistens auf TRL Zero bis hin zu TRL Nine (Technology Readiness Level – das entspricht dem technologischen Reifegrad). Die meisten forschen von 1 bis 3, die anderen von 4 bis 7, doch selbst, wenn du erst auf TRL 1 bist, hast du im Grunde schon vordefiniert, was du entwickeln willst. Willst du aber echte Innovation, musst du mit einer Idee bei null anfangen. So eine Idee kommt meistens von einer verrückten Privatperson, die sagt: „Das geht.“ Dann kommen die Bedenkenträger. Die Verwaltung, die dir sagt: „Das geht nicht, zu kompliziert.“ Dann die Kirche: „Oh, das geht nicht, nicht in diesem Land, mit dieser Religion.“ Oder die Politik: „Die anderen Parteien blockieren.“ Oder die Ökonomen: „Nein, zu teuer.“ Lässt man sich von diesen vier Paradigmen nicht beirren und einschränken, dann kommt es zu einer Innovation. Das ist Innovation. Schon bei den Majas, den Ägyptern, den Inkas war es so: Du nimmst das Chaos und gelangst über einen Pain Point zur Lösung. Die elf Schritte von Innovation sind in jeder Kultur gleich. Das Bemerkenswerte daran ist: Es gibt immer einen „magicien“, eine Art Zauberer, jemanden, der die Sachen umsetzt, die unmöglich scheinen. Elon Musk ist so einer.

Als Protagonist im Wintermärchen „Angezettelt & geclaired“ im Dezemberheft 2023 von Aufsichtsrat aktuell kommst du als MobilityExperte zu den „Heiligen Drei Räten“ mit einem Erlebnis, das du jüngst in Dubai hattest. Erzähl mal.

Firmen möchten immer so „innovative“, „bold“ und „disruptive“ sein, wie sie überall auf ihren Werbebannern werben. Sie vermischen aber noch ISO 9001 für „continuous improvement“, und haben ISO 56000 noch nicht für Innovation anerkannt. Das würde sie massiv nach vorne katapultieren.

Die Geschichte könnte eher von hier stammen …

„Welcome to Europe …“ Zumindest frage ich mich, wie es sein kann, dass ein Innovationsmanager in Österreich 40.000 € im Jahr bekommt, während gleichzeitig gesagt wird, dass das Thema Innovation auf der Agenda ganz oben steht. Okay, aber „wir“ zahlen per Kollektivvertrag?

Unternehmen, denen Innovation wirklich wichtig ist, investieren in ihre Talente.

So ist es. Innovative Unternehmen stellen Budgets bereit und bauen die InnovationsGovernance auf, und ein Innovations-Management-System, und zwar mit den richtigen KPIs. Spätestens das lässt sich messen – mit Innovation IQTM (Quelle InnoSurvey®)

Das Gespräch führte Mag. Clarissa­Diana de Grancy. Mag. Clarissa­Diana de Grancy ist geschäftsführende Gesellschafterin und Gründerin der WOMEN’S BOARDWAY GmbH in Berlin.

Mag. Clarissa­Diana de Grancy ist geschäftsführende Gesellschafterin und Gründerin der WOMEN’S BOARDWAY GmbH in Berlin.

Der vorliegende Text erschien unter dem Originaltitel „[C]­Suite: Clarence in Wonderland“ bereits in Buchenau (Hrsg), 30 Gedanken an eine sich verändernde Welt (2023).

Frei nach Lewis Carrolls „Alice in Wonderland“

Clarissa-Diana de Grancy

[C]-Suite: Clarence in Wonderland –oder die Ballade vom weinenden Manager

An einem heißen Wintertag im Mai – am Meer poppt eine Message auf – bei Claire:

„Du weißt, es geht um Sichtbarkeit auf dieser Welt, bist Du bereit, Deine Gedanken aufzuschreiben?

Die Welt verändert sich, doch Du wirst bleiben.“

– Schon wieder schreiben … Claire muss lachen –wer was verändern will, muss machen und mutig unbekannte Wege gehen, was wagen, gern’ auch mal das Schräge sehen:

Der weise Hase kommt zu Claire und schaut den Möwen hinterher.

Er kennt sie, und er kennt sie nicht, „Du musst fallen“, sagt er schlicht.

„Wie geht das?“, fragt sie, „Sag’ es mir.“

„Gib mir die Hand“, sagt er. – „Ich zeig’ es Dir“ „Hey, wisse, Du“, sagt sie, „ich kann’s allein –und doch –auf meinem Weg sollst mein Gefährte sein.“

Der Hase sagt: „Nimm diesen Stein aus jenem Ammoniten­Tal –

Er wird Dich leichter machen, für den freien Fall. Er zieht die Taschenuhr hervor: Es muss passieren, den Wandel gilt es, neu zu buchstabieren. Beeile Dich, die Zeit verschwindet, noch nicht zu spät, dass man sie wiederfindet. Doch eine Sache vergiss nie: Veränderung braucht Fantasie.“

Da springt Claire von der Picknickdecke –auf in den U-Bahn-Schacht, unter der Hecke.

Fledermäuse schreien stumm um Claires gebauschtes Kleid herum. Jahr der Wunder, Weinregale, Büchergold und Ideale, Katzen, Spatzen, wilde Tauben, die noch an das Gute glauben. Pusteblumen, Mohn und Wiesengräser, für Verschlafene Aufweckgläser, in ihnen neben dem Abstrusen: eingemachte Pampelmusen.

Auf ihrem Flug im freien Fall wird Claire zum freien Radikal. Und landet – gleich wird sie es spüren –wie Softeis vor verschloss’nen Türen. Ob sie wohl den Schlüssel findet? Der weise Hase winkt ihr zu –verschwindet.

Tief im Garten entdeckt Claire einen Senior Manager. Er ist traurig, grau wie Asche, neben sich ’ne große Flasche. –„Gib Dein Trauern frei“, sagt Claire –Schwimmen geh’n im Tränenmeer.

Der Manager hebt an zur Klage, seit dem Gesetz sind seine Tage gezählt, so schien es doch beschlossen: die Tür zur C-Suite fest verschlossen. Schon wieder hat sich auf dem Weg nach oben ’ne Frau an ihm vorbei geschoben.

Wie Sisyphos fühlt er sich bald und überdies nun langsam alt.

In seiner Sandwichposition im Mittelbau seit Langem schon, pro Woche 50 Stunden reißend, jetzt voller Überdruss in seine Stulle beißend, obwohl er dauernd durch die Lande jettet, fühlt er sich wie festgekettet.

Dafür sein müssen – nicht dagegen, wertschätzend, weichgespült – bloß nicht verwegen. Sei ständig Dur, kaschier’ Dein Moll. Terminkalender? – (Na klar!): Voll.

Der Coach sagt: „Du musst publizieren.“

Sobald Du schreibst, wird man monieren: „Wie? Was? Du schreibst? – Hast zu viel Zeit? –Wer ist zum Lesen schon bereit?

Lern doch auch mal Nein zu sagen.“

Doch Negation? – Schwer zu ertragen. Scheitern nur als Fuck-up-Night, spitz in den Markt, bloß nicht zu breit.

Im Mangel sollst Du aus der Fülle leben –’ne Stimme haben, doch nicht heben.

Political Correctness, Vier Punkt Null –durch sie hindurch grüßt Felix Krull.

Mit Sicherheit lebt so umstellt kein Manager in seiner Arbeitswelt, authentisch und intrinsisch motiviert, vielmehr erstarrt und teilmaskiert.

Der Manager wird gut erzogen, aufgebaut und doch verbogen.

Weshalb er jenen Sprung vom Mittelbau wegen der ganzen Nabelschau, obwohl er, dass er’s kann, gezeigt, ganz am Ende doch vergeigt.

Denn in der C-Suite gelten andere Regeln: Mit Visionären gehst Du segeln.

Der Middle Manager wird klein und kleiner, er weint und weint: „Es sieht mich keiner!“ „Hey, Manager“, ruft Claire, „bist Du bereit?“

Change Maker brauchen Sichtbarkeit. „Nimm dieses Plätzchen, beiße rein –und misch’ Dein Glühen in den Wein. Begreif die Welt im großen Ganzen, häng Dir die Jahresringe um den Hals, – geh’ mit mir tanzen.“

Der Garten ist jetzt zu erwähnen –als ein Meer aus lauter Tränen.

Da kommt der Hase angeschwommen –Claire hat er einfach mitgenommen:

„Wir müssen eilen, die Transformation … – die Bienenkönigin erwartet uns schon. Du musst ihr sagen, wer Du bist, damit sie Dich nicht gleich vergisst. Was Du auch tust – vor allen Dingen: Es muss ihr einen Mehrwert bringen.“

Claires Kopf ist Schnee in einer Kugel, bei jener Findung von sich Selbst hilft Dir kein Google.

Dazu war Ego-Marketing –einfach nun mal nicht ihr Ding.

Ihr Innerstes, ein Mehr-Personen-Haus –nicht jeder hängt sich gern zum Fenster raus.

Da kommt geschwommen (Claire ist lost) von Norden her die Flaschen-Post. Sie entkorkt sie, hält sie schief, raus fällt ein Schlüssel, und ein Brief:

„Lebst auf ’ner Burg, Claire, radikal, auf einem Berg – ins Nachbartal führt ein Geheimgang, hin zu Dir. Bleib locker, Chère, verrat ihn mir –raunen die Wölfe Dir ins Ohr ... Jedoch, nun stell Dir einmal vor, Du könntest ihn noch nutzen wollen … unterirdisch durch den Stollen.

Es gibt nur einen Schlüssel sicherlich –verwahr ihn gut, er führt zum Ich, als dann durch jenen Gang zum anderen hin –denn erst im Wir liegt er: der Welten Sinn.

Es ist gut, sich zu verlaufen. Es geht nicht drum, sich zu verkaufen. Der Umweg führt Dich schnell ans Ziel –was ist Game – und was ist Spiel?

Triebfedern für die eigene Rolle –mach’ Deinen eigenen Schnee, Frau Holle, Weltkonstante auf der Insel.

Mal Dir die Welt mit einem Einfallspinsel. Mache keine halben Tassen, versuche nicht, Dich kurz zu fassen.

Nimm das Schiff aus dem Baum, und schäum’ Deinen Traum.

Mach’ Handstand auf dem Tellerrand und wirf den Teller an die Wand.

Du brauchst die Tür nicht aufzumachen: Du bist längst da – es gilt bloß, aufzuwachen.“

KI-keri-KI – Erste KI-Kolumne für den zweiten Blick

Grenzen im Grenzenlosen

Die menschliche Intelligenz hat viele Grenzen. Die wichtigste davon könnte sein, wie viel Pizza jemand in einer Aufsichtsratssitzung verschlingen kann, ohne sich schlecht zu fühlen. Albert Einstein sagte einst: „Fantasie ist wichtiger als Wissen. Denn Wissen ist begrenzt.“ Nun, offensichtlich hat er nie versucht, mehrere Pizzakartons alleine zu bewältigen. Die wichtigste Grenze für uns? Wahrscheinlich, wie viele Stunden PowerPoint-Folien wir ertragen können, bevor unsere Augen rebellieren!

Künstliche Intelligenz kann unermüdlich riesige Datenmengen analysieren, komplexe Algorithmen entwickeln, menschenähnliche Texte schreiben und auch Aufsichtsarbeit erleichtern. Aber es gibt einige Dinge, die sie nie kann. Sie kann zum Beispiel niemals den ultimativen Schlüssel zum perfekten Humor finden oder den Geschmack in einer von Oma hausgemachten Lasagne messen. Die zentrale Grenze sowohl für die menschliche als auch für die künstliche Intelligenz ist zweifellos die Ehrbarkeit. Wir können nicht zulassen, dass KI-Systeme unkontrolliert herumlaufen und Unfug treiben. Ehrbarkeit ist die einzige Strategie. Wir können nicht

riskieren, dass künstliche Intelligenzen in die Fußstapfen von Schwindlern und Betrügern treten und uns mit ihren schrägen Ideen in den Wahnsinn treiben. Stellen Sie sich vor, eine künstliche Intelligenz würde versuchen, menschenähnliche Roboter zu bauen, die nach unserer Pizza schnappen. Lassen Sie uns also sicherstellen, dass unsere KI-Systeme die Pizza in Frieden lassen und sich an die Regeln der Ehrbarkeit halten.

In einer Welt voller Daten und Algorithmen dürfen wir nicht vergessen, dass Ehrbarkeit und Humor die Grenzen des Grenzenlosen definieren. Denn, wie Oscar Wilde sagte: „Das Leben ist viel zu wichtig, um es ernst zu nehmen.“

Dipl.-Ökonom Rudolf X. Ruter ist Experte für Nachhaltigkeit und Corporate Governance in Stuttgart/Deutschland.

Literaturrundschau

GESCHÄFTSFÜHRERHAFTUNG UND MINDERHEITENSCHUTZ

Fabian Spendel erörtert in seinem Beitrag in GES 2023, 340, die Problematik der Geltendmachung von Ersatzansprüchen einer GmbH durch eine Gesellschafterminderheit nach § 48 GmbHG. Der Autor zeigt auf, dass hinsichtlich der Absicherung der Minderheitenklage gegen Dispositionen der Gesellschaftermehrheit über den Anspruch eine Gesetzeslücke besteht, die durch eine analoge Anwendung des aktienrechtlichen Widerspruchsrechts geschlossen werden kann.

Einleitend gibt Spendel den bisherigen Meinungsstand in der Literatur wieder, den er im Wesentlichen in zwei Grundpositionen gliedert. Wie der Autor festhält, sind Anspruchsdispositionen der Gesellschaftermehrheit trotz des Minderheitenklagerechts nach einer Ansicht grundsätzlich wirksam und können nur durch Beschlussanfechtung beseitigt werden. Nach der von Spendel ebenfalls dargestellten Gegenansicht sollen Mehrheitsdispositionen gegenüber der klagenden Minderheit auch ohne Anfechtung (ex lege) unwirksam sein.

In seinem Beitrag geht der Autor sodann auf die Rechtsnatur des Klagerechts des § 48 GmbHG ein und hält fest, dass dieses § 268 dHGB 1897 (heute § 134 AktG) nachempfundene Klagerecht keine Absicherung durch besondere Dispositionsschranken, wie diese in §§ 43, 84 Abs 4 Satz 3 oder 136 AktG vorgesehen sind, erfahren hat. Nach Spendel ist eine derartige Absicherung des gegenständlichen Klagerechts aber jedenfalls notwendig. Dies begründet der Autor im Wesentlichen damit, dass es widersprüchlich wäre, wenn der Gesetzgeber der Minderheit zwar das Recht gäbe, Ersatzansprüche der Gesellschaft gegen den Mehrheitswillen im Gesellschaftsinteresse durchzusetzen, jedoch gleichzeitig der Mehrheit gestatten würde, ebendiese Ersatzansprüche zu vernichten und somit das Minderheitsrecht faktisch auszuhebeln. Dem Autor zufolge dürfe dem Gesetzgeber die Erzeugung derart ineffektiver Normen nicht unterstellt werden. Auch eine rechtsformbedingte Differenzierung im Verhältnis zur AG sei nach Spendel nicht geboten.

In einem weiteren Schritt erörtert der Autor die beiden eingangs erwähnten Literaturmeinungen und gelangt zum Ergebnis, dass die

bloße Möglichkeit der Beschlussanfechtung, insbesondere mangels Vorliegens geeigneter Anfechtungsgründe, nicht zur Absicherung des Minderheitenklagerechts geeignet ist. Wie von Spendel sodann ausgeführt, lässt sich die von der Gegenansicht angenommene (Ex-lege-)Unwirksamkeit von Mehrheitsdispositionen nicht aus allgemeinen Regeln ableiten und entbehre daher einer dogmatischen Grundlage. Nach Ansicht des Autors begründet die Tatsache, dass die Minderheitenklage durch Mehrheitsdispositionen ausgehebelt zu werden droht, noch nicht die Unwirksamkeit solcher Dispositionen. Jedoch ergibt sich für Spendel aus der unterlassenen Anordnung der gebotenen Unwirksamkeit solcher Mehrheitsdispositionen die Lückenhaftigkeit des Gesetzes.

Zur Schließung der aufgezeigten Gesetzeslücke kommt nach Ansicht des Autors eine analoge Anwendung der aktienrechtlichen Dispositionsschranken in Betracht. Nach Darstellung der historischen Entwicklung der aktienrechtlichen Absicherungsmechanismen gelangt Spendel zum Zwischenergebnis, dass das Widerspruchsrecht der §§ 43 und 84 Abs 4 Satz 3 AktG als prototypisches Absicherungsinstrument als Analogiebasis für das lückenhafte GmbH-Recht heranzuziehen ist. Der Ansicht des Autors zufolge seien daher Verzichte, Vergleiche und wirkungsgleiche Geschäfte schwebend unwirksam, wenn eine nach § 48 GmbHG klagsberechtigte Minderheit gegen den Dispositionsbeschluss Widerspruch erhebt.

Abschließend referiert Spendel die in der Literatur ebenfalls vorgeschlagene Analogie zu § 136 AktG, wonach die Minderheit ihrer Verfolgungsabsicht vor der Fassung des Dispositionsbeschlusses förmlich Ausdruck verleihen müsse, wofür ein sogenannter „Gegenantrag“ auf Anspruchsverfolgung genügen würde. Nach Ansicht des Autors stellt die analoge Anwendung dieser Bestimmung allerdings aus mehreren Gründen keine ausreichende Absicherung des Minderheitenklagerechts dar.

Im Ergebnis hält Spendel fest, dass die aufgezeigte Lücke im GmbH-Recht seiner Ansicht nach durch die analoge Anwendung der §§ 43 und 84 Abs 4 Satz 3 AktG zu schließen sei, was dazu führen würde, dass Verzichte, Vergleiche und wirkungsgleiche Rechtsgeschäfte unwirksam seien, wenn Gesellschafter, die gemäß § 48 GmbHG klagslegitimiert sind, gegen den Dispositionsbeschluss Widerspruch erheben.

Dr. Michael Barnert, LL.M. ist Rechtsanwalt in Wien.

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