RWK 1/2024 Leseprobe

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1. Jahrgang / Jänner 2024 / Nr. 1

ESG & Nachhaltigkeit

Künftige Nachhaltigkeitsstandards für KMU

Nachhaltigkeitsreporting mit IT-Unterstützung

ESG-Praxisbeispiel

Klimarisiko- und Vulnerabilitätsanalyse

Blick nach Brüssel

Die Berichterstattung wird europäisch

Reporting & Accounting

Degressive Abschreibung im Unternehmensrecht

Wirtschaftsprüfung

Digitale Transformation – Start einer neuen Ära

Eingeschränktes Aussageverweigerungsrecht für Prüfer?

Kurzinformationen

Update zum Carbon Border Adjustment Mechanism

Praxisratgeber

für Finanzierer und Unternehmer

Steuern. Wirtschaft. Recht. Am Punkt.

Mit vielen Beispielen aus der Praxis

ZAHRADNIK | RICHTERSCHÖLLER (Hrsg.)

2023

320 Seiten, kart. 978-3-7073-4818-7

€ 66,–

digital erhältlich

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RWK – Reporting und Wirtschaft kompakt

Inhaltsverzeichnis

Klimarisiko- und Vulnerabilitätsanalyse gemäß EU-Taxonomie-Verordnung

Univ.-Prof. Dr. Ewald Aschauer, Susanna Gross, M.A., DI Georg Rogl, Univ.-Prof. Dr. Roman Rohatschek, Mag. DI Katharina Schönauer, Dr. Nadine Wiedermann-Ondrej

+43 1 24 630, Fax: DW 751

Redaktion: redaktion@lindeverlag.at Tel.

+43 1 24 630 Serie, Fax: DW 723 Adresse: 1210 Wien, Scheydgasse 24

RWK – Reporting & Wirtschaft kompakt

Editorial Liebe Leserinnen und Leser, die Berichterstattung der Unternehmen steht vor neuen Herausforderungen. Vor allem die Ausweitung der Nachhaltigkeitsberichterstattung auf alle großen Kapitalgesellschaften und deren Einbettung in den Lagebericht stellen Unternehmen, Beraterinnen und Berater, Prüferinnen und Prüfer vor völlig neue Aufgaben. Die europäische Regulatorik betrifft damit nicht nur kapitalmarktorientierte Unternehmen, sondern richtet sich auch an einen neuen Unternehmenskreis. Daneben wirken zahlreiche unionsrechtliche Maßnahmen auf Unternehmen ein, die Reportinganforderungen und Unternehmensprozesse wesentlich beeinflussen. Auch die Rechnungslegungsfragen des UGB, das vor neuen Geschäftsmodellen und Vertragsgestaltungen interpretiert und weiterentwickelt werden muss, unterliegen einem Wandel genauso wie Aspekte der Bewertung und Prüfung.

Dies haben wir zum Anlass genommen, gemeinsam mit dem Linde Verlag eine neue Fachzeitschrift zu entwickeln. Der Titel Reporting & Wirtschaft kompakt (RWK) spiegelt die Breite der Themen wider, die auf die Unternehmen einwirken. Folgende Themenblöcke erwarten Sie in der RWK:

• Nachhaltigkeitsreporting und -prüfung,

• Rechnungslegung,

• Bewertung und Bewertungsparameter,

• Abschlussprüfung,

• Digitalisierung,

• Entwicklungen aus Brüssel,

• wirtschaftlich relevante Entwicklungen und

• Querverbindungen zum Steuerrecht.

Die RWK erscheint monatlich mit einer Doppelnummer im Sommer (Juli/August) und ist selbstverständlich auch online in der verlagseigenen Datenbank Linde Digital verfügbar. Bereits im ersten Heft erhalten Sie einen Einblick in die thematische Breite der RWK:

• Ein Blick in die (un)mittelbare Zukunft auf Anforderungen der Nachhaltigkeitsberichterstattung für KMU findet sich ebenso wie ein praxisorientiertes Fallbeispiel zur Umsetzung einer Umweltanalyse im Zusammenhang mit der EU-Taxonomie. Relevant sind natürlich vor allem mögliche IT-Lösungen; was dabei zu beachten ist, wird anschaulich dargelegt. Der „Blick nach Brüssel“ bietet eine aktuelle Zusammenschau der für die Unternehmen relevanten Aktivitäten im Bereich der Nachhaltigkeitsberichterstattung auf europäischer Ebene, damit Sie sich zeitgerecht vorbereiten können.

• Ein weiterer Bereich im ersten Heft beschäftigt sich mit dem Thema Abschlussprüfung: Einerseits wird der Einsatz der Digitalisierung aufgezeigt, andererseits die Verschwiegenheitspflicht der Abschlussprüferinnen und Abschlussprüfer bei Strafverfahren aufgrund einer kürzlich veröffentlichten Entscheidung des OLG Wien diskutiert.

• Auf dem Gebiet der Rechnungslegung wird die Anwendung der degressiven Abschreibung im UGB thematisiert, weil die steuerliche Sonderbestimmung zur Durchbrechung der Maßgeblichkeit ausgelaufen ist.

„RWK: Reden wir Klartext!“. Ganz nach diesem Motto zeigt das erste Heft anschaulich, dass ein lösungsorientierter Zugang der kompakten Beiträge Sie – betroffene Unternehmen, Beraterinnen und Berater, Prüferinnen und Prüfer sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – bei Ihren Tätigkeiten unterstützen soll.

Wir freuen uns, liebe Leserinnen und Leser, auch auf Ihre Anregungen, Themenvorschläge und eingereichte Beiträge: Machen Sie mit bei der RWK, teilen Sie Ihre Erfahrungen als Autorinnen bzw Autoren mit uns! So können wir Ihnen eine optimale Hilfestellung und Orientierung bei den zahlreichen Herausforderungen geben.

Ewald Aschauer / Susanna Gross / Georg Rogl Roman Rohatschek / Katharina Schönauer / Nadine Wiedermann-Ondrej

Das RWK-Team auf einen Blick

Univ.-Prof. Dr. Ewald Aschauer ist Leiter der Abteilung für Unternehmensrecht und Revision am Institut für Accounting und Auditing der WU Wien.

Susanna Gross, M.A. ist Wirtschaftsprüferin und Senior Managerin im Bereich Climate Change & Sustainability Services bei EY Österreich.

DI Georg Rogl ist Director und Leiter der Climate Change and Sustainability Services bei EY Österreich.

Univ.-Prof. Dr. Roman Rohatschek ist Lehrstuhlinhaber am Institut für Unternehmensrechnung und Wirtschaftsprüfung der JKU Linz sowie stv. Leiter der OePR (Österreichische Prüfstelle für Rechnungslegung).

Mag. DI Katharina Schönauer ist Partnerin im Bereich Sustainability Services und Head of ESG bei der KMPG Austria GmbH.

Dr. Nadine Wiedermann-Ondrej leitet im BMF die Abteilung III/6, Versicherungsrecht, Abschlussprüferaufsichtsrecht und Bundeshaftungen.

LSME und VSME

Künftige EU-Nachhaltigkeitsstandards für (kapitalmarktorientierte) KMU

ESG & Nachhaltigkeit

Überblick und Aufbau

der neuen Standards

Während kapitalmarktorientierte kleine und mittlere Unternehmen (KMU) in den direkten Anwendungsbereich der Corporate Sustainability Reporting Directive1 (CSRD) fallen, sind nicht kapitalmarktorientierte KMU von dieser indirekt betroffen. Für beide Gruppen von Unternehmen wurden (stand-alone) Standards zur Konsultation veröffentlicht. Diese sind aus den ESRS (European Sustainability Reporting Standards) abgeleitet, sollen jedoch in einem angemessenen Verhältnis zu den Kapazitäten und Ressourcen von KMU stehen sowie dem Umfang und der Komplexität ihrer Tätigkeit entsprechen.2 Dieser Beitrag liefert einen Überblick über den aktuellen Stand und den geplanten Aufbau der Standards.

1.Aktueller Stand

Der erste Meilenstein in der Umsetzung der am 5. 1. 2023 in Kraft getretenen CSRD war mit der Veröffentlichung von Set 1 der ESRS3 (sektoragnostische Standards) am 31. 7. 2023 durch die Europäische Kommission erreicht. Folgen sollen neben sektorspezifischen Standards und Standards für Drittstaatenunternehmen vereinfachte Standards für kapitalmarktorientierte KMU, die sogenannten „ESRS for listed Small- and Medium-Sized Enterprises (SMEs)“ (LSME), sowie ein freiwillig anwendbarer Standard für nicht kapitalmarktorientierte KMU (die anders als kapitalmarktorientierte KMU nicht in den direkten Anwendungsbereich der CSRD fallen), die sogenannten „Voluntary ESRS for non-listed SMEs“ (VSME) (siehe Abb 1).

Sowohl für den LSME als auch den VSME liegt bereits ein exposure draft (ED) vor – dabei sollen diese als eigenständige (stand-alone) Standards konzipiert und nach dem sogenannten building block approach aufeinander aufgebaut sein. Am 29. 11. 2023 wurde der VSME ED vom EFRAG Sustainability Reporting Board (SRB) angenommen,4 der LSME ED am 15. 12. 2023.5

LSME ED und VSME ED unterliegen ab Jänner 2024 der öffentlichen Konsultation (inkl Feldversuch [field test]).6

*Mag. Dr. Claudia Schönhart, StB ist Assistant Managerin im Department of Professional Practice Accounting und ESGReporting bei der KPMG Austria GmbH. Zuvor war sie Universitätsassistentin am Institut für Unternehmensrechnung und Wirtschaftsprüfung an der Johannes Kepler Universität Linz.

**Mag. DI Katharina Schönauer ist Partnerin im Bereich Sustainability Services und Head of ESG bei der KPMG Austria GmbH.

1 Richtlinie (EU) 2022/2464 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. 12. 2022 zur Änderung der Verordnung (EU) 537/2014 und der Richtlinien 2004/109/EG, 2006/43/EG und 2013/34/EU hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen, ABl L 322 vom 16. 12. 2022, S15; im Folgenden: CSRD.

2 ErwGr 21 CSRD.

3 Delegierte Verordnung (EU) der Kommission zur Ergänzung der Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates durch Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung, C(2023) 5303.

4 EFRAG SRB Meeting vom 29. 11. 2023, https://www.efrag.org/Meetings/2311131059281397/EFRAG-SRB-Meeting-29November-2023 (Zugriff am 22. 12. 2023).

5 EFRAG SRB Meeting vom 15. 12. 2023, https://www.efrag.org/Meetings/2312140843335149/EFRAG-SRB-Meeting-15December-2023 (Zugriff am 22. 12. 2023).

6 EFRAG, Call for participation in field test of EFRAG Exposure Drafts on Sustainability Reporting Standards for SMEs (20. 12. 2023), https://www.efrag.org/News/Public-468/Call-for-participation-in-field-test-of-EFRAG-exposure-drafts-onsusta (Zugriff am 22. 12. 2023).

Themenübergreifende Standards

ESRS 1

Allgemeine Anforderungen

ESRS 2

Allgemeine Angaben

SektoragnostischeStandards

ESRS

Umwelt Soziales Governance

E1 Klimawandel

E2

Umweltverschmutzung

E3

Wasser-und Meeresressourcen

E4

Biologische Vielfaltund Ökosysteme

E5

Ressourcennutzungund Kreislaufwirtschaft

S1

Eigene Belegschaft

S2

Arbeitskräftein der Wertschöpfungskette

S3

Betroffene Gemeinschaften

S4

Verbraucher und Endnutzer

Abb 1: KMU-Standards in der ESRS-Architektur

2.LSME (ESRS) ED

G1

Unternehmenspolitik

Sektorspezifische Standards

Standards für (kapitalmarktorientierte) KMU

Standards für Drittstaatenunternehmen

Kapitalmarktorientierte KMU (mit Ausnahme von Kleinstunternehmen) fallen in den direkten Anwendungsbereich der CSRD, wonach diese grundsätzlich ab dem Geschäftsjahr 2026, bei Inanspruchnahme der Opt-out-Möglichkeit ab Geschäftsjahr 2028, der verpflichtenden Nachhaltigkeitsberichterstattung unterliegen.7 Dabei sieht Art19a Abs6 Bilanz-RL8 Erleichterungen vor, wonach deren Berichterstattung auf folgende Informationen beschränkt werden kann:

a.eine kurze Beschreibung von Geschäftsmodell und Strategie des Unternehmens;

b.eine Beschreibung der Unternehmenspolitik hinsichtlich Nachhaltigkeit;

c.die wichtigsten tatsächlichen oder potenziellen negativen Auswirkungen des Unternehmens in Bezug auf Nachhaltigkeitsaspekte sowie jegliche Maßnahmen zur Ermittlung, Überwachung, Verhinderung, Minderung oder Behebung solcher tatsächlichen oder potenziellen Auswirkungen;

d.die wichtigsten Risiken, denen das Unternehmen iZm Nachhaltigkeitsaspekten ausgesetzt ist, und die Handhabung dieser Risiken durch das Unternehmen;

e.Schlüsselindikatoren, die für die unter lita bis d genannten Offenlegungen erforderlich sind. Bericht zu erstatten ist nach eigenen Standards, zu deren Festlegung gemäß Art29c Abs1 BilanzRL bis zum 30. 6. 2024 delegierte Rechtsakte zu erlassen sind. Dabei sollen diese den Kapazitäten und Merkmalen von KMU sowie dem Umfang und der Komplexität ihrer Tätigkeiten angemessen sein und entsprechen. Der nun im Entwurf vorliegende LSME9 ist in seinem Aufbau an ESRS-Set 1 orientiert, aber vom Umfang der Parameter her reduziert bzw vereinfacht. So soll es insbesondere

7 Siehe Art19a Abs1 und 7 Bilanz-RL. Siehe auch für kleine und nicht komplexe Institute sowie firmeneigene Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen.

8 Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. 6. 2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates, ABl L 182 vom 29. 6. 2013, S19; im Folgenden: Bilanz-RL.

mehr freiwillige Angabeverpflichtungen geben. Laut dem ED ist der LSME in sechs Abschnitte gegliedert, davon in drei allgemeine übergreifende Abschnitte sowie in je einen Abschnitt für die Bereiche Umwelt, Soziales und Unternehmenspolitik (Governance). Abschnitt 1 („Allgemeine Anforderungen“) enthält angelehnt an ESRS1 die allgemeinen Anforderungen (ua zur Wesentlichkeitsanalyse). Abschnitt 2 („Allgemeine Angaben“) enthält in Anlehnung an ESRS2 Angabepflichten betreffend die Grundlagen der Erstellung, Governance, Strategie sowie das Management von Auswirkungen und Risiken (ua freiwillige Berichterstattung zu Chancen). Abschnitt 3 geht auf die Berichterstattung zu „Strategien, Maßnahmen und Ziele“ ein. Abschnitt 4 zu „Umwelt“ enthält die Themen des ESRS-Set 1, E1-E5 sowie zudem E6 zu erwarteten finanziellen Auswirkungen zu umweltbezogenen (im Unterschied zu klimabezogenen) Aspekten. Abschnitt 5 zu „Soziales“ beinhaltet elf Parameter zu ESRS S1 sowie adressiert auch die weiteren drei Sozial-ESRS (S2-S4). Abschnitt 6 zu „Unternehmenspolitik“ geht auf drei Parameter des ESRS G1 (Management der Beziehungen zu Lieferanten, Korruptions- und Bestechungsbekämpfung sowie politische Einflussnahme und Lobbytätigkeiten) ein. Siehe Abb 2 für eine Veranschaulichung.

LSME (ESRS) ED

Abschnitt1 Allgemeine Anforderungen

Abschnitt2 Allgemeine Angaben

Abschnitt3 Strategien, Maßnahmenund Ziele

Abschnitt4 Umwelt

Abschnitt5 Soziales

Abschnitt6 Governance

3.Cap-Funktion

Bedeutung kommt dem LSME zudem in Form der sogenannten Cap-Funktion (bzw LSME Cap oder value chain cap) zu, welche durch die CSRD in Art29b Abs4 Bilanz-RL verankert wurde. Darin heißt es: „In den Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung werden keine Angaben festgelegt, die Unternehmen verpflichten würden, Informationen von [KMU] in ihrer Wertschöpfungskette einzuholen, die über die Informationen hinausgehen, die gemäß den Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung für [KMU] gemäß Art29c anzugeben sind.“ Der Grund liegt darin, dass KMU von einer durch Informationsabfragen bedingten Überforderung bewahrt werden sollen. Dabei soll dem sogenannten „Trickle-down“-Effekt, dem Effekt, dass berichtspflichtige Unternehmen übermäßig viele Informationen von KMU, die Teil ihrer Wertschöpfungskette sind, verlangen, gegengesteuert werden. Geachtet wurde insgesamt darauf, dass den Erwartungen der KMU-Berichtersteller einerseits und den Nutzern von KMU-Informationen andererseits Rechnung

9 EFRAG SRB Meeting vom 13. 12. 2023, https://www.efrag.org/Meetings/2302241039480334/EFRAG-SRB-Meeting-13December-2023; EFRAG SRB Meeting vom 15. 12. 2023, https://www.efrag.org/Meetings/2312140843335149/EFRAGSRB-Meeting-15-December-2023 (Zugriff jeweils am 22. 12. 2023).

Abb 2: Aufbau des LSME
des LSME

getragen wird.10 Nichtsdestoweniger drängt sich angesichts der Tatsache, dass die Mehrheit der Unternehmen in der Wertschöpfungskette von Unternehmen, die ESRS-Set 1 unterliegen, keine kapitalmarktorientierten, sondern nicht kapitalmarktorientierte KMU sind, die Frage auf, ob denn nicht auch dem freiwilligen KMU-Standard (VSME) eine vergleichbare Cap-Funktion zukommen kann. Legistisch (in der CSRD) findet sich hierfür keine Deckung, rechtlich bindende Referenz ist der LSME.11 Darüber hinaus weist das EFRAG SRB darauf hin, dass beide Standards – LSME und VSME – nach einem sektorunabhängigen Ansatz entworfen wurden und daher zB sektorspezifische Anforderungen seitens einzelner Stakeholder nicht berücksichtigt wurden, aber potenziell an KMU herangetragen werden.12

4.VSME (ESRS) ED

Mittlerweile offensichtlich ist das Faktum, dass auch nicht kapitalmarktorientierte KMU von der CSRD betroffen sind – zwar nicht in direkter, aber in indirekter Ausprägung, sei es aufgrund der Zugehörigkeit zu einem berichtspflichtigen Konzern, als Teil der Wertschöpfungskette anderer berichtspflichtiger Unternehmen oder des Informationsbedarfs diverser Stakeholder (zB Kreditgeber) zu Nachhaltigkeitsaspekten.13

Die Entwicklung eines freiwilligen Standards für nicht kapitalmarktorientierte KMU, des VSME,14 ist von der CSRD selbst nicht vorgeschrieben, diese enthält aber an einigen Stellen Hinweise für nicht kapitalmarktorientierte KMU. Neben der oben in Art29b Abs4 Bilanz-RL genannten CapFunktion des LSME findet sich ein solcher Hinweis etwa auch in ErwGr 21 CSRD, in welchem vorgesehen ist, dass nicht kapitalmarktorientierte KMU ebenfalls die Möglichkeit haben sollten, den LSME freiwillig anzuwenden. Dementgegen wurde EFRAG von Seiten der Stakeholder aufgefordert, einen separaten Standard zu entwickeln, der an die Besonderheiten und Kapazitäten nicht kapitalmarktorientierter KMU ausgerichtet ist. Erklärte Zielsetzung des nun im Entwurf vorliegenden VSME ist es, den nicht in den direkten Anwendungsbereich der CSRD fallenden KMU entsprechend den Start in die „Nachhaltigkeit“, das Überwachen ihrer NachhaltigkeitsPerformance mit wenigen Indikatoren und den Ersatz der Vielzahl an Fragebögen von Kreditgebern, Investoren und Kunden zu ermöglichen. Auch wenn der VSME von der Europäischen Kommission nicht als delegierter Rechtsakt erlassen werden wird, wird davon ausgegangen, dass dieser bei Marktakzeptanz die teilweise unkoordinierten Informationsabfragen seitens jener, die Geschäftsbeziehungen zu KMU haben, de facto begrenzen wird.

Wichtiger Grundsatz in der Entwicklung des VSME ED war es, die allgemeine Kohärenz mit dem ESRS-Set 1 und dem LSME ED sicherzustellen (building block approach). Der VSME ED umfasst dabei drei Module, die ein KMU für die Erstellung seines Nachhaltigkeitsberichts verwenden kann:

1. Basic Module: Das Modul ist Zielansatz für Kleinstunternehmen und beinhaltet Mindestanforderungen für andere KMU. Es ist keine Wesentlichkeitsanalyse erforderlich, da grundsätzlich alle Angaben B 3 – B 11 zu berichten sind (sofern auf die besonderen Umstände des Unternehmens anwendbar). Es besteht aus den disclosures B 1 – B 2 und den basic metrics B 3 – B 11, davon environment: B 3 – B 7, social: B 8 – B 10, und business conduct: B 11.

10 EFRAG, Value chain implications of the LSME and VSME ED (13. 12. 2023) Rz11ff, abrufbar unter https://www.efrag. org/Assets/Download?assetUrl=%2Fsites%2Fwebpublishing%2FMeeting%20Documents%2F2302241039480334%2 F05-07%20%E2%80%93%20LSME% 20ESRS%20Approach%20to%20V alue%20Chain%20Cap.pdf (Zugriff am 22.12. 2023).

11 EFRAG, Value chain implications of the LSME and VSME ED, Rz3.

12 EFRAG, Value chain implications of the LSME and VSME ED, Rz14.

13 Siehe zB Rohatschek/Schönhart, KMU und Nachhaltigkeitsberichterstattung – (un)mittelbar betroffen? SWK 7/2023, 385; Baumüller, Nachhaltigkeitsaspekte in der Rechnungslegung von KMU, VWT 2022, 58.

14 Siehe im Folgenden EFRAG SRB Meeting vom 29. 11. 2023, https://www.efrag.org/Meetings/2311131059281397/EFRAGSRB-Meeting-29-November-2023, insbesondere EFRAG, VSME ED – Cover Note (29. 11. 2023), https://www.efrag.org/As sets/Download?assetUrl=%2Fsites%2Fwebpublishing%2FMeeting%20Documents%2F2311131059281397%2F03-01% 20%E2%80%93%20VSME%20Cover%20note%20291123.pdf (Zugriff jeweils am 22. 12. 2023).

2. Narrative – Policies, Actions and Targets (PAT) Module: Das Modul definiert die narrativen disclosures N 1 – N 5 in Bezug auf „policies, actions and targets“ (PAT), die zusätzlich zu den Angaben B 1 – B 11 zu machen sind, sofern das Unternehmen über solche Angaben verfügt, und wird Unternehmen empfohlen, die PAT formalisiert und umgesetzt haben. Es verlangt eine Wesentlichkeitsanalyse.

3. Business Partners Module: Das Modul umfasst die Kennzahlen, die für Finanzmarktteilnehmer erforderlich sind, sowie weitere für Geschäftspartner relevante Kennzahlen. Es wird erwartet, dass das Unternehmen dieses Modul anwendet, wenn es Anfragen von Kreditgebern oder Unternehmen (für deren Nachhaltigkeitsprofil) erhält. Es legt die disclosures BP 1 – BP 11 fest, die zusätzlich zu den Angaben B 1 – B 11 zu melden sind. Eine Wesentlichkeitsanalyse ist erforderlich.

Dabei ist die Anwendung von Modul 1 (basic) Voraussetzung für die Anwendung von Modul 2 (narrative-PAT) und/oder Modul 3 (business partners). Insgesamt stehen KMU vier Optionen zur Auswahl:

• Option A: Modul 1;

• Option B: Modul 1 und Modul 2;

• Option C: Modul 1 und Modul 3; oder

• Option D: Modul 1, Modul 2 und Modul 3.

Sobald ein Modul ausgewählt wurde, ist es in seiner Gesamtheit zu erfüllen, dh, es sind daraus alle Informationen offenzulegen, die für die spezifischen Umstände des Unternehmens gelten, sowie hinsichtlich der Angaben BP 5, wenn diese für die Geschäftstätigkeit und Organisation des Unternehmens als relevant angesehen werden. Abb 3 liefert einen Überblick über die Module samt Angabeverpflichtungen.

Insgesamt wurde Wert darauf gelegt, eine vereinfachte Sprache (insbesondere im Basic Module) zu verwenden. Um den Link zu den ESRS beizubehalten, wurden Erklärungen aufgenommen, wie etwa im Appendix A des ED. Inwiefern Scope-3-GHG-Emissionen und EU-Taxonomie-Angaben als sehr komplexe Angaben für KMU Eingang finden, ist ein offener Punkt für die bevorstehende Konsultation.

Abb 3: Aufbau des VSME

Auf den Punkt gebracht

Sowohl der LSME als auch der VSME liegen von Seiten der EFRAG als exposure drafts vor und unterliegen ab Jänner 2024 der öffentlichen Konsultation. Der LSME soll in sechs Abschnitten einen vereinfachten Standard für kapitalmarktorientierte KMU bilden. Besondere Bedeutung kommt dem LSME dabei durch seine sogenannte Cap-Funktion zu, wonach berichtspflichtige Unternehmen von KMU nicht mehr Informationen abfragen dürfen, als im LSME vorgesehen ist. Anders als der LSME wird der VSME zwar keinen Rechtsstatus erlangen, soll aber für nicht kapitalmarktorientierte KMU einen nochmals simplifizierten Standard bieten, der sie ua für den externen Informationsbedarf rüsten soll. Vorgesehen ist ein dreigliedriger Modul-Ansatz, der nach Optionen gewählt werden kann. Ungeachtet des noch nicht finalen Status sei kapitalmarktorientierten KMU eine frühzeitige Auseinandersetzung mit dem LSME und nicht kapitalmarktorientierten KMU im Fall (weitreichender) indirekter Betroffenheit ein Inbetrachtziehen des VSME anzuraten. Abzuwarten bleibt, ob sich der Umfang der von den Standards geforderten Berichterstattung mit den Anforderungen der Stakeholder decken wird.

Blick nach Brüssel

Die Berichterstattung wird europäisch

Was auf Unternehmen zukommt – der ständige Blick nach Brüssel

Nadine Wiedermann-Ondrej*

Die zukünftige Nachhaltigkeitsberichterstattung gilt mit den verpflichtend anzuwendenden Berichtsstandards (European Sustainability Reporting Standards –ESRS), der verpflichtenden Prüfung und der Verantwortung der Geschäftsführung bzw des Prüfungsausschusses als einschneidende Veränderung in der Berichterstattung. Allerdings stellt sie nur einen Teil der Maßnahmen der EUKommission für die Umsetzung des Green Deals dar. Andere Rechtsakte stehen damit im Zusammenhang und bilden somit ein Gesamtregelwerk, das laufend angepasst und erweitert wird.

1.Grundlegendes

Der Schwerpunkt der Kommission ist der European Green Deal, dessen Ziel es ist, Europa bis 2050 klimaneutral zu machen. Das Konzept sieht zahlreiche Maßnahmen vor, um den Nettoausstoß an Treibhausgasen in verschiedenen Sektoren auf null zu senken. Als zentraler Bestandteil des Green Deals wird dabei die Nachhaltigkeitsberichterstattung gesehen, die die notwendigen Daten liefern soll, um beurteilen zu können, ob und in welchem Ausmaß große Unternehmen nachhaltig wirtschaften. Dieser Rechtsakt wird von zahlreichen anderen Maßnahmen begleitet, die gewährleisten sollen, dass die Informationen standardisiert, geprüft und leicht verfügbar sind. Dafür, dass diese Berichterstattung nicht nur einem Selbstzweck dient, sorgt das Sustainable Finance Framework, das als Teil des Green Deals dazu beitragen soll, private Investitionen in eine klimaneutrale Wirtschaft zu lenken. Finanzmarktteilnehmer müssen nach diesem Rechtsakt bereits jetzt bei ihrer Berichterstattung und dem Vertrieb ihrer Anlageprodukte darüber informieren, ob und in welchem Ausmaß diese als ökologisch bzw sozial nachhaltig angesehen werden

*Dr. Nadine Wiedermann-Ondrej leitet im BMF die Abteilung III/6, Versicherungsrecht, Abschlussprüferaufsichtsrecht und Bundeshaftungen.

können. Für diese zentrale Aufgabe benötigen Finanzmarktteilnehmer daher Zugang zu verlässlichen, relevanten und vergleichbaren Informationen zu ökologischen, sozialen und GovernanceAspekten, was genau durch die Nachhaltigkeitsberichterstattung gewährleistet sein soll. All diese Daten sollen zukünftig gemeinsam mit anderen finanziellen und aufsichtlichen Daten zentral bei ESMA (European Securities and Markets Authority) abrufbar sein, was zusätzlich den Zugang zu diesen Informationen erleichtern soll.

Aber nicht nur Finanzmarktteilnehmer werden zukünftig vermehrt die Nachhaltigkeitsberichte lesen. Unternehmen, die zukünftig der CSDDD (Corporate Sustainability Due Diligence Directive) unterliegen (sogenanntes Europäisches Lieferkettengesetz), werden für die Einhaltung ihrer Verpflichtungen auch auf die Daten der Nachhaltigkeitsberichterstattung zurückgreifen.

Kurz gesagt: Die CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) soll gemeinsam mit den ESRS die Datenbasis bilden, die in weiterer Folge durch ESAP (European Single Access Point) sämtlichen Stakeholdern zur Verfügung gestellt wird. Die Finanzmarkteilnehmer selbst können dann neben den Anforderungen der CSRD gemäß SFDR (Sustainable Finance Disclosure Regulation) bezüglich ihrer Investments sowohl auf Produkt- als auch auf Unternehmensebene berichten, und große Unternehmen können die Daten für ihre Sustainability Due Diligence nutzen.

2.EU-Taxonomie-Verordnung – neue Kriterien für Umweltziele

Die EU-Taxonomie-Verordnung1 stellt den wesentlichen Eckpfeiler der EU-Nachhaltigkeitsstrategie und des Green Deals dar. Dabei legt die EU-Taxonomie-Verordnung Kriterien fest, um bestimmen zu können, ob eine Wirtschaftstätigkeit als ökologisch nachhaltig (taxonomiekonform) angesehen werden kann. Laut Verordnung muss eine nachhaltige Wirtschaftstätigkeit einen wesentlichen Beitrag zu einem von sechs definierten Umweltzielen leisten, keines der verbleibenden Umweltziele wesentlich beeinträchtigen und eine Reihe von sozialen Mindestgarantien einhalten. Die delegierten Rechtsakte zur EU-Taxonomie-Verordnung dienen dabei als umfassendes Nachschlagewerk, mit dem Wirtschafts- und Finanzmarktakteure durch die konkret angeführten Grenzwerte und Kriterien europaweit einheitlich beurteilen können, ob die wirtschaftlichen Aktivitäten als ökologisch nachhaltig anzusehen sind.

Bereits im Jänner 2021 wurde seitens der Kommission für die ersten beiden Ziele – Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel – eine delegierte Verordnung2 erlassen. Dieser Rechtsakt wurde durch den Complementary Delegated Act3 angepasst, der Prüfkriterien für Wirtschaftstätigkeiten in den Sektoren Erdgas und Kernenergie umfasst, was durchaus kontrovers diskutiert wurde. Erst im Juli 2023 veröffentlichte die Kommission den Kriterienkatalog für die restlichen vier Umweltziele betreffend Wasserressourcen, Kreislaufwirtschaft, Umweltverschmutzung und Biodiversität.4

1 Verordnung (EU) 2020/852 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. 6. 2020 über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen und zur Änderung der Verordnung (EU) 2019/2088, ABl L 198 vom 22. 6. 2020, S 13.

2 Delegierte Verordnung (EU) 2021/2139 der Kommission vom 4. 6. 2021 zur Ergänzung der Verordnung (EU) 2020/852 des Europäischen Parlaments und des Rates durch Festlegung der technischen Bewertungskriterien, anhand deren bestimmt wird, unter welchen Bedingungen davon auszugehen ist, dass eine Wirtschaftstätigkeit einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz oder zur Anpassung an den Klimawandel leistet, und anhand deren bestimmt wird, ob diese Wirtschaftstätigkeit erhebliche Beeinträchtigungen eines der übrigen Umweltziele vermeidet, ABl L 442 vom 9. 12. 2021, S 1.

3 Delegierte Verordnung (EU) 2022/1214 der Kommission vom 9. 3. 2022 zur Änderung der Delegierten Verordnung (EU) 2021/2139 in Bezug auf Wirtschaftstätigkeiten in bestimmten Energiesektoren und der Delegierten Verordnung (EU) 2021/ 2178 in Bezug auf besondere Offenlegungspflichten für diese Wirtschaftstätigkeiten, ABl L 188 vom 15. 7. 2022, S1.

4 Delegierte Verordnung (EU) 2023/2486 der Kommission vom 27. 6. 2023 zur Ergänzung der Verordnung (EU) 2020/852 des Europäischen Parlaments und des Rates durch Festlegung der technischen Bewertungskriterien, anhand deren bestimmt wird, unter welchen Bedingungen davon auszugehen ist, dass eine Wirtschaftstätigkeit einen wesentlichen Beitrag zur nachhaltigen Nutzung und zum Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, zum Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, zur Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung oder zum Schutz und zur Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme leistet, und anhand deren bestimmt wird, ob diese Wirtschaftstätigkeit erhebliche Beeinträchtigungen eines der übrigen Umweltziele vermeidet, und zur Änderung der Delegierten Verordnung (EU) 2021/2178 der Kommission in Bezug auf besondere Offenlegungspflichten für diese Wirtschaftstätigkeiten, ABl L 2023/2486 vom 21. 11. 2023.

Gleichzeitig wurde der Katalog für die ersten zwei Klimaziele5 erweitert, sodass nun wesentlich mehr Wirtschaftstätigkeiten als „grün“ klassifiziert werden können. Im Ergebnis sollen damit die wesentlichen Wirtschaftssektoren und Wirtschaftstätigkeiten abgebildet sein.

Die EU-Taxonomie-Verordnung und die dazugehörigen delegierten Rechtsakte umfassen aber nicht nur den sogenannten Kriterienkatalog, sondern beinhalten auch eine Berichtspflicht großer Unternehmen über den Anteil ihrer ökologisch nachhaltigen Tätigkeiten (sogenannter Art-8-Bericht6). Dies betrifft sowohl den ökologisch nachhaltigen Anteil von Investitionen (Capital Expenditures – CapEx) als auch Betriebsausgaben (Operational Expenditures – OpEx) und Umsätze. Über die neuen grünen Wirtschaftstätigkeiten müssen nichtfinanzielle Unternehmungen ab dem Geschäftsjahr 2024 berichten, während für finanzielle Unternehmungen die Bestimmungen erst ab dem Geschäftsjahr 2025 in Kraft treten.

3.CSRD – Schwellenwerte angepasst

Eigentlich ist die CSRD7 eine Erweiterung der bis dahin bestehenden NFRD (Non-Financial Reporting Directive8), die große Versicherungen, Banken und kapitalmarktorientierte Unternehmen bereits seit dem Jahr 2017 zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet. Im Unterschied zur NFRD sieht die CSRD jedoch eine wesentliche Erweiterung des Anwendungsbereichs vor, sodass nun große, nicht kapitalmarktorientierte sowie kleine und mittlere kapitalmarktorientiere Unternehmen im Anwendungsbereich erfasst sind. Die Nachhaltigkeitsberichterstattung soll dabei anhand von als EU-Verordnung erlassenen einheitlichen Berichtsstandards (ESRS) erfolgen, wobei diese das Prinzip der doppelten Wesentlichkeit berücksichtigen müssen.

Die Veröffentlichung des Berichts muss in einem digitalen und maschinenlesbaren Format erfolgen und vom Abschlussprüfer oder – sofern das Mitgliedstaatenwahlrecht ausgeübt wird –von einem anderen Abschlussprüfer oder vom Independent Assurance Service Provider zunächst mit begrenzter und ab dem Jahr 2026 gegebenenfalls mit hinreichender Sicherheit geprüft werden.

Der Umfang und die Berichtstiefe haben zuletzt für intensive Diskussionen gesorgt, sodass es sich die Kommission nun zum Ziel gesetzt hat, die Belastung durch die Meldepflichten um 25% zu verringern. Mit dem Arbeitsprogramm der Kommission für das Jahr 2024 werden nun Rationalisierungsvorschläge vorgelegt, um den Verwaltungsaufwand vor allem für KMUs zu verringern.

Eine Maßnahme betrifft die Anhebung der Schwellenwerte der KMU-Definition in der Bilanzrichtlinie, sodass nun weniger Unternehmen die nur für große Unternehmen verpflichtend vorgesehene Nachhaltigkeitsberichterstattung durchführen müssen. Am 21. 12. 2023 erschien die Delegierte Richtlinie (EU) 2023/2775 zur Änderung der Bilanzrichtlinie (Richtlinie 2013/34/EU) im Amtsblatt der Europäischen Union, die für die Einstufung von Unternehmen als „kleinste“, „kleine“, „mittlere“ oder „große“ Unternehmen die heranzuziehenden Größenkritierien „Bilanz-

5 Delegierte Verordnung (EU) 2023/2485 der Kommission vom 27. 6. 2023 zur Änderung der Delegierten Verordnung (EU) 2021/2139 durch Festlegung zusätzlicher technischer Bewertungskriterien, anhand deren bestimmt wird, unter welchen Bedingungen davon auszugehen ist, dass bestimmte Wirtschaftstätigkeiten einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz oder zur Anpassung an den Klimawandel leisten, und anhand deren bestimmt wird, ob diese Tätigkeiten erhebliche Beeinträchtigungen eines der übrigen Umweltziele vermeiden, ABl 2023/2485 vom 21. 11. 2023.

6 Delegierte Verordnung (EU) 2021/2178 der Kommission vom 6. 7. 2021 zur Ergänzung der Verordnung (EU) 2020/852 des Europäischen Parlaments und des Rates durch Festlegung des Inhalts und der Darstellung der Informationen, die von Unternehmen, die unter Artikel 19a oder Artikel 29a der Richtlinie 2013/34/EU fallen, in Bezug auf ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten offenzulegen sind, und durch Festlegung der Methode, anhand deren die Einhaltung dieser Offenlegungspflicht zu gewährleisten ist, ABl L 443 vom 10. 12. 2021, S 9.

7 Richtlinie (EU) 2022/2464 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. 12. 2022 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 und der Richtlinien 2004/109/EG, 2006/43/EG und 2013/34/EU hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen, ABl L 322 vom 16. 12. 2022, S 15.

8 Richtlinie 2014/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. 10. 2014 zur Änderung der Richtlinie 2013/ 34/EU im Hinblick auf die Angabe nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen durch bestimmte große Unternehmen und Gruppen, ABl L 330 vom 15. 11. 2014, S 1.

summe“ und „Umsatz“ anpasst. Das Kriterium der „Anzahl der Beschäftigten“ bleibt unverändert. Die Delegierte Richtlinie ist von den EU-Mitgliedstaaten bis zum 24. 12. 2024 in nationales Recht umzusetzen. Sie ist für Geschäftsjahre, die am oder nach dem 1. 1. 2024 beginnen, anzuwenden. Die EU-Mitgliedstaaten dürfen den Unternehmen jedoch gestatten, diese Vorschriften auf Geschäftsjahre anzuwenden, die am oder nach dem 1. 1. 2023 beginnen.

4.ESRS – Verschiebung der sektorspezifischen Standards

Die Nachhaltigkeitsberichterstattung muss in Übereinstimmung mit den ESRS berichtet werden, die von der Kommission im Weg von delegierten Rechtsakten angenommen werden, wobei EFRAG der Kommission hierzu einen Vorschlag zu unterbreiten hat. In diesen ESRS sind der Inhalt und die Struktur der Darstellung der Nachhaltigkeitsinformationen festgelegt. Ein erstes Paket von ESRS wurde von der Kommission am 31. 7. 2023 vorgelegt und gilt mit Ablauf der Einspruchsfrist von Europäischem Rat und Parlament mit 21. 10. 2023 als angenommen. Am 22. 12. 2023 wurde der Delegierte Rechtsakt (EU) 2023/2772 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht.

Der delegierte Rechtsakt umfasst zwölf ESRS, die sich aus zwei übergreifenden Standards, die für alle Nachhaltigkeitsfragen gelten, und zehn thematischen Standards zusammensetzen, die ein breites Spektrum von Umwelt-, Sozial- und Governance-Fragen (ESG) abdecken. Sie basieren auf einer „doppelten Wesentlichkeitsperspektive“, dh, die Unternehmen sollen über ihre Auswirkungen auf die Umwelt und die Menschen sowie darüber berichten, wie ökologische und soziale Fragen zu finanziellen Chancen und Risiken führen.

Die ESRS im ersten Paket sind sektoragnostisch; sie gelten für alle Unternehmen, die in den Anwendungsbereich der CSRD fallen, unabhängig davon, in welchem Sektor oder welchen Sektoren das Unternehmen tätig ist. Die sektorspezifischen Standards sollten bis zum 30. 6. 2024 angenommen werden. Da jedoch bereits die sektoragnostischen Standards einen erheblichen Umsetzungsaufwand darstellen, hat die Kommission im Arbeitsprogramm für das Jahr 2024 angekündigt, die Frist für die Annahme der sektorspezifischen europäischen Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung zu verschieben, um den Beteiligten Zeit zu geben, sich auf die neuen Anforderungen einzustellen. Am 17. 10. 2023 wurde dazu eine Änderung der CSRD9 vorgeschlagen und gleichzeitig eine Konsultation vom 24. 10. 2023 bis zum 19. 12. 2023 gestartet. Die eingegangenen Rückmeldungen sollen in die legislative Debatte mit dem Europäischen Parlament und dem Rat über die vorgeschlagene Verzögerung einfließen.

Weiters wird erwartet, dass EFRAG im ersten Quartal 2024 einen Entwurf einer XBRL-Taxonomie (eXtensible Business Reporting Language) für die ESRS veröffentlichen wird, da die Nachhaltigkeitsberichterstattung zwingend in einem digitalen und maschinenlesbaren Format zu erfolgen hat. Ebenso werden die Entwürfe zu dem KMU-Standards – sowohl die verpflichtenden Standards für kapitalmarktorientierte KMUs (listed SME – LSME) als auch die freiwilligen Standards für nicht kapitalmarktorientierte KMUs (voluntary SME – VSME) – im ersten Quartal 2024 erwartet.

5.Anpassung der SFDR notwendig?

Die SFDR10 ist ein Regelwerk, das seit 2021 Finanzmarktteilnehmer dazu verpflichtet, detaillierte Informationen über Nachhaltigkeitsrisiken offenzulegen und darüber zu informieren, wie sie mit negativen ökologischen und sozialen Auswirkungen und Risiken ihrer Investitionen umgehen. In

9 Proposal for a Decision of the European Parliament and of the Council amending Directive 2013/34/EU as regards the time limits for the adoption of sustainability reporting standards for certain sectors and for certain third-country undertakings, COM(2023)596.

10 Verordnung (EU) 2019/2088 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. 11. 2019 über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor, ABl L 317 vom 9. 12. 2019, S 1.

der Praxis hat sich gezeigt, dass der derzeitige Aufbau der SFDR eine Reihe von Mängeln aufweist, darunter Komplexität, mangelnde Klarheit, Kostenineffizienz und Inkohärenz mit anderen Teilen des Unionsrahmens für nachhaltige Finanzen.

Die Kommission hat daher am 14. 9. 2023 ein Konsultationsverfahren zur Überarbeitung der SFDR gestartet. Die Konsultationen richten sich an zwei verschiedene Zielgruppen; im Rahmen der öffentlichen Konsultation werden verschiedene Interessengruppen mit allgemeinen Kenntnissen über die SFDR angesprochen, während sich die gezielte Konsultation konkret an die Anwender bzw Rechtsunterworfenen wendet. Der Schwerpunkt liegt auf der Rechtssicherheit, der Nutzbarkeit der Verordnung und darauf, ob sie gegen Greenwashing geeignet ist. Das Konsultationsverfahren zur Überarbeitung der SFDR lief bis zum 15. 12. 2023. Konkrete Vorschläge der Kommission für eine Überarbeitung der SFDR sind derzeit für das zweite Quartal 2024 geplant.

Am 4. 12. 2023 veröffentlichten die Europäischen Aufsichtsbehörden (ESAs) auch einen Abschlussbericht mit Vorschlägen zur Änderung der bereits bestehenden Delegierten Rechtsakte. Die ESAs schlagen vor, neue soziale Indikatoren hinzuzufügen und den Rahmen für die Offenlegung der wichtigsten negativen Auswirkungen von Investitionsentscheidungen auf die Umwelt und die Gesellschaft zu straffen. Zudem werden neue Produktangaben bezüglich der Ziele zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen vorgeschlagen.

6.Einigung zu CSDDD erzielt

Während die CSRD zu einer umfassenden Berichterstattung über Nachhaltigkeitsaspekte verpflichtet, wird die CSDDD ua große Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern und einem Gesamtumsatz von mindestens 150 Mio € dazu verpflichten, ihre Wertschöpfungsketten zu überprüfen und sicherzustellen, dass sie Menschenrechts- und Umweltstandards entlang ihrer globalen Wertschöpfungsketten einhalten. Damit soll garantiert werden, dass sowohl auf Ebene der vorgelagerten Geschäftspartner (up-stream) als auch auf Ebene der nachgelagerten Tätigkeiten (down-stream) die Ausbeutung von Arbeitskräften bzw Umweltzerstörung möglichst ausgeschlossen wird. Unternehmen, die unter den Anwendungsbereich fallen, müssen dazu einen Due-Diligence-Prozess etablieren, mit dem sie Verstöße identifizieren, vermeiden oder zumindest minimieren und beenden können. Nachdem die Wertschöpfungsketten von CSDDD-Unternehmen auch meist KMUs umfassen, werden auch Unternehmen, die nicht in den Anwendungsbereich der CSDDD fallen, die Anforderungen der CSDDD einhalten müssen.

Die Mitgliedstaaten haben dazu eine Behörde zu benennen, die für die Einhaltung der Richtlinie zuständig ist. Auf europäischer Ebene wird die Kommission ein europäisches Netz von Aufsichtsbehörden einrichten, damit ein koordiniertes Vorgehen sichergestellt ist. Die nationale Behörde soll laut CSDDD ua das Recht zu Anordnungen zur Einhaltung der Richtlinie und zur Verhängung wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender Sanktionen von bis zu fünf Prozent der Nettoumsatzerlöse haben, wobei der Name und die Sanktion zu veröffentlichen sind („name and shame“). Weiters wird eine zivilrechtliche Haftung eingeführt, die es Betroffenen (zB NGOs) ermöglicht, innerhalb von fünf Jahren Ansprüche geltend machen zu können.

Das Europäische Parlament und der Rat haben am 14. 12. 2023 eine politische Einigung im Trilog erzielt, womit die Verhandlungen als abgeschlossen gelten. In den kommen Wochen wird die CSDDD noch formell von Parlament und Rat verabschiedet werden.

7.ESAP – zentrales europäisches Register

Ein wesentliches Element bei der Bereitstellung von Daten ist der benutzerfreundliche, zentralisierte und digitale Zugang. Durch die unionsweite Informationsplattform (European Single Access Point – ESAP) sollen Stakeholder über Landes- und Sprachgrenzen hinweg verlässli-

che und vergleichbare Daten sowohl für Investitionsentscheidungen als auch für andere Zwecke erhalten. Damit wird es möglich sein, dass nicht nur professionelle Anleger, Kleinanleger und andere Unternehmen, sondern auch Sozial- und Umweltorganisationen sowie Wissenschafts- und Forschungsinstitutionen auf die Unternehmensinformation im Datenraum zugreifen können.

Das ESAP-Paket umfasst die Verordnung (EU) 2023/2859 zur Einrichtung der Datenbank bei ESMA sowie die Verordnung (EU) 2023/2869 und die Richtlinie (EU) 2023/2864 zur Änderung jener zahlreichen EU-Rechtsakte, in denen die meldepflichtigen Informationen verortet sind. Der Großteil dieser Rechtsakte betrifft die Meldepflichten auf Produkt- bzw Unternehmensebene von Finanzmarktunternehmen. Es sind allerdings auch Rechtsakte wie zB die BilanzRichtlinie, die Transparenz-Richtlinie und die Aktionärsrechte-Richtlinie umfasst, womit zukünftig ua der Jahresabschluss, der Lagebericht inklusive Nachhaltigkeitsberichterstattung und Art-8-Bericht, der Bestätigungsvermerk, der Bericht über Zahlungen an staatliche Stellen gemäß Bilanz-Richtlinie, die Mitwirkungspolitik, die Anlagestrategie, die Vergütungspolitik gemäß Aktionärsrechterichtlinie, das Abschlussprüfer-Register, die Veröffentlichung von Sanktionen gemäß Abschlussprüferrichtlinie bzw der Transparenzbericht gemäß Abschlussprüferverordnung umfasst sind. Für die Übermittlung der Daten haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass sich Unternehmen eine Rechtsträgererkennung ausstellen lassen (Legal Entity Identifier – LEI).

Obwohl bereits auf bestehenden Meldeverpflichtungen aufgebaut wird, ist zu erwarten, dass mit dem Neuaufsetzen von Prozessen und der Standardisierung bzw Digitalisierung von Meldungen mit einem Umsetzungsaufwand sowohl für die Unternehmen als auch für die Meldestellen (Officially Appointed Mechanism – OAM) zu rechnen ist.

Auf den Punkt gebracht

Mit der Nachhaltigkeitsberichterstattung wurde die Unternehmensberichterstattung nun auch für nicht kapitalmarktorienterte Unternehmen europäisiert. Damit sind die laufenden Änderungen aus Brüssel zu beobachten und zeitgerecht zu implementieren. Die Nachhaltigkeitsberichterstattung ist nicht nur ein weiteres Berichtsformat, sondern als zentraler Datenlieferant Grundstein für den Europäischen Green Deal. Mit der zentralen Verfügbarkeit dieser Daten durch ESAP wird sichergestellt, dass diese Daten für alle Stakeholder in der gesamten EU nutzund vergleichbar sind.

Impressum

Periodisches Medienwerk: RWK – Reporting & Wirtschaft kompakt. Grundlegende Richtung: Beiträge zu (Nachhaltigkeits-)Reporting, Rechnungslegung, (Wirtschafts-)Prüfung, Bewertung, Digitalisierung. Erscheint monatlich. Jahresabonnement 2024: Print EUR 315,–; Kombi (Print & Digital) EUR 350,– (jeweils inkl. MwSt., zzgl. Versandspesen). Auslandsversandspesen werden separat verrechnet. Unterbleibt die Abbestellung, so läuft das Abonnement automatisch zu den jeweils gültigen Konditionen auf ein Jahr weiter. Abbestellungen sind nur zum Ende eines Jahrganges möglich und müssen bis jeweils spätestens 30. November schriftlich erfolgen. Nachdruck – auch auszugsweise – ist nur mit ausdrücklicher Bewilligung des Verlages gestattet. Es wird darauf verwiesen, dass alle Angaben in dieser Fachzeitschrift trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr erfolgen und eine Haftung des Verlages oder der Autorinnen/Autoren ausgeschlossen ist. Für Publikationen in den Fachzeitschriften des Linde Verlags gelten die AGB für Autorinnen und Autoren (abrufbar unter https://www.lindeverlag.at/agb) sowie die Datenschutzerklärung (abrufbar unter https://www.lindeverlag.at/datenschutz).

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Datengetriebenes Nachhaltigkeitsreporting

Die Umsetzung eines datengetriebenen Nachhaltigkeitsreportings mit IT-Unterstützung

ESG

Wie Unternehmen die Herausforderungen meistern, um ein datengetriebenes Nachhaltigkeitsreporting umzusetzen

Maximilian Vallo*

Viele Unternehmen stehen aktuell vor der Herausforderung, die ReportingAnforderungen der CSRD umzusetzen. In diesem Artikel erfahren Sie, wie Sie mit datengetriebenem Reporting und moderner Technologie diesen Hürden begegnen und dabei regulatorische Anforderungen erfüllen können.

1.Überblick

Die Europäische Union hat sich im Rahmen des EU-Green-Deals ua zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu sein.1 Um dieses Ziel zu erreichen, sind insbesondere die Unternehmen gefordert, ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten zu verbessern und transparenter darüber zu berichten.

Der Aufbau eines soliden Nachhaltigkeitsreportings muss für die Unternehmen jedoch nicht bloß die Erfüllung der Berichtspflichten bedeuten, sondern kann bei richtiger Umsetzung vielmehr auch ein strategischer Vorteil sein, der die Wettbewerbsfähigkeit stärkt.

Auf der anderen Seite sehen sich viele Unternehmen allerdings auch einem immensen zeitlichen Druck gegenüberstellt, da die ersten CSRD-Berichte bereits Anfang 2025 für das vorangegangene Geschäftsjahr erstellt werden müssen. Ein Großteil der weiteren österreichischen Unternehmen muss ebenfalls bereits 2026 für das Geschäftsjahr 2025 berichten. Im Hinblick auf diesen zeitlichen Rahmen der Berichtspflichten liegt die Herausforderung daher darin, einen pragmatischen Ansatz zu finden, der einerseits eine hohe fachliche Qualität sicherstellt und den regulatorischen Anforderungen entspricht und andererseits zeitlich und organisatorisch einfach zu handhaben ist. Daher stellt sich die Frage, wie genau Unternehmen es schaffen können, einerseits den regulatorischen Anforderungen gerecht zu werden und andererseits auch den betriebswirtschaftlichen Mehrwert zu fokussieren.

Ein wichtiges Werkzeug dafür ist der richtige Einsatz von Technologie, um aus der Komplexität und Vielfalt der zu berichtenden Daten die richtigen Informationen zu generieren. Moderne Technologie und ein datengetriebenes Mindset können Unternehmen somit dabei unterstützen, ihre Nachhaltigkeitsziele effizienter und nachvollziehbarer zu erreichen. Daneben braucht es allerdings auch eine entsprechende Organisation, die bei der Umsetzung unterstützt. Denn eine erfolgreiche Umsetzung von nachhaltigen Prozessen ist nur dann möglich, wenn die ausgewählte Technologie sorgfältig in das bestehende Unternehmensumfeld eingeführt und genutzt wird. Hier kommt der IT-Abteilung zukünftig eine wesentliche Schlüsselrolle zu.

2.Nachhaltigkeitsreporting: Die Rolle der IT

Die IT spielt eine wesentliche Rolle bei der Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichts. Im Kontext komplexer Reporting-Anforderungen kann moderne Informationstechnologie dazu beitragen,

*Maximilian Vallo ist Senior Consultant und Sustainability Technology Lead bei EY Österreich in Wien.

1 Vgl Europäische Kommission, Der europäische Grüne Deal, https://commission.europa.eu/strategy-and-policy/priorities2019-2024/european-green-deal_de (Zugriff am 22.12.2023).

Prozesseffizienz zu steigern, die Datenqualität zu verbessern und die Transparenz des Berichts zu erhöhen. Entscheidend für die erfolgreiche Umsetzung ist dabei die Frage, wann und wie die IT-Abteilungen in die Umsetzungsprozesse eingebunden werden.

Beobachten lässt sich, dass die Einbeziehung der IT bereits in den frühen Phasen des Berichtsprozesses erfolgen sollte. Das frühe, integrierte Zusammenarbeiten des Projektteams ermöglicht eine transparente und effiziente Herangehensweise, da alle Beteiligten ein gemeinsames Verständnis der Ziele und Anforderungen des Nachhaltigkeitsberichts haben. Durch die Kombination von fachlicher Expertise und technologischem Know-how kann ein schneller und kostengünstiger Ende-zu-Ende-Prozess entwickelt werden.

In diesem Zusammenhang geht es nicht allein um das Hinzuziehen von IT-Systemen zur Prozessautomatisierung, sondern vielmehr um die tiefergreifende Betrachtung, wie eine starke IT-Struktur das Unternehmen bei seinem Weg zur Nachhaltigkeit unterstützen kann. Denn nachhaltige Transformation kann nur dort gelingen, wo die einzelnen Unternehmenseinheiten, Nachhaltigkeit und Technologie Hand in Hand gehen.

Einbindung der IT-Abteilung in das Projekt

1.

4.

5.

Abb 1: Beispielhafte Projektphasen und Einbindung der IT-Abteilung; Quelle: eigene Darstellung

In vielen Betrieben passiert dies bis dato jedoch zu spät, wodurch zB ineffiziente Prozesse digital weitergeführt werden. Eine Integration der IT von Anbeginn an kann im Gegensatz dazu Richtungswechsel und abrupte Kursänderungen in der späteren Umsetzungsphase eines Projekts minimieren und somit auch den Investitionsschutz gewährleisten. Darüber hinaus ist es wichtig anzuerkennen, dass die Einbindung der IT-Abteilungen kein einmaliges Ereignis darstellt. Vielmehr können die Unterstützungen der IT auch über die Erstellung des ersten Berichts und dem damit einhergehenden Abschluss des Projekts hinausgehen.

Die Rolle der IT muss sich damit nicht nur auf die Implementierung und den Betrieb von Technologien und Prozessen beschränken, sondern kann mit dem Wissen über neuere Technologien wie zB Machine Learning, LLMs (Large Language Models) und Intelligent Automation einen erheblichen Mehrwert schaffen. Diese integrale Betrachtung der IT ist in der kontemporären Diskussion um Nachhaltigkeit essenziell und wird zukünftig noch mehr an Bedeutung gewinnen.

3.Nachhaltigkeitsberichterstattung mit IT-Unterstützung

Die Berichte nach CSRD sehen vor, wesentliche Nachhaltigkeitsthemen zu priorisieren und die entsprechenden themenspezifischen Offenlegungsanforderungen zu beachten. Zusätzlich gilt es, Informationen zu internen Richtlinien, Zielen und Maßnahmenplänen für diese Themen zu berücksichtigen. Gemäß den regulatorischen Anforderungen besteht ein Nachhaltigkeitsbericht sowohl aus qualitativen als auch aus quantitativen Informationen. Die qualitativen Informationen geben einen umfassenden Einblick in die strategischen Maßnahmen und Ausrichtungen des Unternehmens in Bezug auf Nachhaltigkeit, während die quantitativen Daten messbare Indikatoren liefern, die den Fortschritt und die Auswirkungen dieser Maßnahmen aufzeigen. Die Kombination beider Formen sorgt für einen ganzheitlichen und transparenten Bericht, der den Stakeholdern sowohl ein konkretes als auch ein tiefgreifendes Verständnis der Nachhaltigkeitsperformance des Unternehmens vermittelt.

Wesentlichkeitsanalyse
2. KPIIden fika on
3. Datenerhebung
Datenverarbeitung
Berichtserstellung

Bei näherer Betrachtung der verschiedenen Berichtsthemen werden Unterschiede in Komplexität und Umfang der einzelnen Themen deutlich. ZB erfordern insbesondere die klimabezogenen Angaben, die unter ESRSE1 fallen, eine sehr detaillierte Berichterstattung und sollten daher von den Unternehmen entsprechend beachtet werden.

Sobald Unternehmen in der Umsetzung des Reportings sind, erscheint die Frage nach den entsprechenden Daten und Informationen, die zu berichten sind. Wichtige Aspekte dabei sind vor allem die Qualität und Verfügbarkeit der Nachhaltigkeitsdaten.

Doch trotz des technologischen Aspekts ist die Umsetzung von Nachhaltigkeitsreportings im ersten Schritt eine organisatorische und prozessorientierte Aufgabe. Die Etablierung klar definierter und dokumentierter Vorgehensweisen erleichtert dabei die Nachvollziehbarkeit für alle beteiligten Stakeholder und optimiert den Ablauf. Denn ungeachtet der Technologie sollte der erste Schritt in Richtung einer effektiven Nachhaltigkeitsberichterstattung darin bestehen, Prozesse inklusive der Datenflüsse und die Organisationsstrukturen zu verstehen, um entsprechende Soll-Prozesse zu definieren.

Abb 2: Vorgehensweise zur Nachhaltigkeitsberichterstattung; Quelle: eigene Darstellung

Die Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichts erfordert nämlich vor der technologischen Unterstützung zunächst ein gründliches Prozess- und Datenverständnis. Vor dem Einsatz von ITLösungen ist es daher ratsam, den gesamten Berichtsprozess zunächst zu durchdenken und zu erproben. Dies ermöglicht eine präzise Definition von Soll-Prozessen und erleichtert anschließend die Integration von Technologie zur Prozessautomatisierung.

Ein Unternehmen, das zB seine CO2-Emissionen reduzieren möchte, sollte zunächst quantifizieren, welche Emissionen wo und warum entstehen. Die Prozesse zur Erfassung dieser Daten können anschließend definiert, getestet und zur Bildung des Prozess-Zielbilds hinzugezogen werden. Erst wenn die Unternehmen exakt verstanden haben, welche Daten benötigt werden und wie diese erhoben und verarbeitet werden können, sollten ein entsprechendes ESG-Datenmanagement aufgebaut und eine passende IT-Lösung ausgewählt werden. Damit einhergehend sind zB auch die klare Festlegung der Verantwortlichkeiten innerhalb des Unternehmens und eine Definition von Rollen entscheidend, um qualitativ hochwertige Daten zum richtigen Zeitpunkt zu erhalten. Mit den so ermittelten Kennzahlen können Unternehmen regulatorisch konform in ihrem Nachhaltigkeitsbericht kommunizieren.

4.Prüffestes und effizientes ESG-Datenmanagement

Ein ESG-Datenmanagement bildet die Basis für ein professionelles Nachhaltigkeitsreporting und betrachtet das Datenmanagement der nicht-finanziellen Daten ganzheitlich. Es umfasst verschiedene Bereiche, um den Umgang mit ESG-Daten auditierbar und effizient zu gestalten. Unter dem ESG-Datenmanagement sind folgende Dimensionen zu verstehen: Integration in die Unternehmensstrategie, Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsthemen, Reportingprozesse, Data Governance, IT- und Systemlandschaft sowie interne und externe Kommunikation zu Stakeholdern. All diese Aspekte sollten sorgfältig mitgedacht und umgesetzt werden, um ein erfolgreiches ESGDatenmanagement zu gewährleisten.

2. Organisa on
1. Prozesse/ Datenflüsse
3. Technologie

gkeitsDomain

ESG-Datenmanagement

Integra on in die UnternehmensStrategie Datenerhebungs-& Repor ng-Prozesse

Data-Governance & -Risikoprozesse

Abb 3: Darstellung der verschiedenen Dimensionen des ESG-Datenmanagements; Quelle: eigene Darstellung

Für die langfristige Verankerung der Nachhaltigkeitsziele in die Unternehmensstrategie wird es zukünftig wichtiger, dies auch als wesentlichen Bestandteil des ESG-Datenmanagements zu sehen. Wenn die Ziele beider Themen – die der Nachhaltigkeit und die der Digitalisierung – in dieselbe Richtung gehen, kann für die Unternehmen und die Gesellschaft Mehrwert geschaffen werden. Neben der Integration in die Unternehmensstrategie ist es wichtig, ein klares Verständnis von der Komplexität der Nachhaltigkeitsdaten zu erlangen und im Unternehmen entsprechendes Wissen aufzubauen, um die aufkommenden Fragestellungen beantworten zu können. In diesem Zuge ist es auch wichtig, die verschiedenen Nachhaltigkeitsthemen in den Unternehmensalltag zu integrieren, damit die unterschiedlichen Berichtsprozesse im Unternehmensgefüge standardisiert und zentral gesteuert werden können.

Um sicherzustellen, dass das Unternehmen seine gesetzten Ziele erreicht, sind unterschiedliche Schlüsselfaktoren entscheidend. Einer davon ist die Datenqualität. Nur mit genauem und präzisem Datenmaterial können effektive Analysen durchgeführt und darauf basierend adäquate Entscheidungen getroffen werden. Hier kommt die entscheidende Rolle der IT ins Spiel: Durch den Einsatz von Technologie und automatisierten Prozessen können Daten effizient gesammelt, überprüft und ausgewertet werden.

Die Data Governance stellt eine weitere Herausforderung dar. Hierbei geht es im Wesentlichen um die Sicherstellung der Datenqualität, die Einführung transparenter Prozesse sowie die Etablierung effektiver Kontrollmechanismen. Essenziell im ESG-Datenmanagement ist auch die Berücksichtigung der vorhandenen IT- und Systemlandschaft und eine Abstimmung der Datensysteme, um die Qualität und Verfügbarkeit der Datenquellen zu fördern. Zudem kann die klare Kommunikation von Nachhaltigkeitszielen nach innen an die Mitarbeitenden und nach außen an die Lieferanten und Kunden zur langfristigen Erfolgssicherung des Unternehmens beitragen. Insbesondere die Information von außen stellt die Unternehmen derzeit vor große Herausforderungen, da sich diese Daten nicht im eigenen Wirkungsbereich befinden. Allgemein lässt sich festhalten, dass die Erhebung von Daten, sowohl der eigenen als auch die von Dritten, aber nicht nur eine technologische Hürde darstellt.

5.Auswahl der geeigneten IT-Lösungen für das Nachhaltigkeitsreporting

Der Einsatz von modernen Technologien kann maßgeblich die Effizienz und Qualität des Nachhaltigkeitsreportings beeinflussen. Bei der Auswahl geeigneter Werkzeuge und Methoden steht jedoch jedes Unternehmen vor eigenen Herausforderungen und muss individuell prüfen und entscheiden, welche Technologie die richtige ist.

Technologien wie maschinelles Lernen oder Datenanalysewerkzeuge können dazu beitragen, den Prozess der Datenerhebung, -analyse und -kommunikation zu automatisieren und zu optimieren, indem sie zB routinemäßige Aufgaben automatisieren und somit Zeit und Ressourcen sparen. Allerdings sollten diese Technologien im Kontext der spezifischen Unternehmensanforderungen und -ziele betrachtet werden. Jedes Unternehmen hat grundsätzlich seine individuellen Ziele, wobei sich beobachten lässt, dass Nachhaltigkeit stets mit dem Generieren von Mehrwert gedacht wird.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die Auswahl der IT-Solutions nicht nur aus technischer, sondern auch aus strategischer Sicht zu betrachten. Eine ganzheitliche Betrachtung der ITLandschaft und eine gründliche Bewertung der vorhandenen und potenziellen Systeme im Hinblick auf ihre Fähigkeit zur Unterstützung der nachhaltigen Unternehmensziele ist unerlässlich. Diese strategisch geprägte Herangehensweise kann dazu beitragen, Synergien zu identifizieren, Prozess- und Datensilos zu vermeiden und die Investitionsrentabilität zu maximieren.

Die Implementierung einer IT-Lösung sollte daher immer im Kontext der allgemeinen Unternehmensstrategie und speziell der Nachhaltigkeitsstrategie stehen. Es gilt, auch die langfristigen Auswirkungen und das Potenzial zur Skalierung solcher Lösungen zu betrachten. Weitere wichtige Aspekte sind die sorgfältige Planung der Integration einer IT-Lösung in die bestehende ITInfrastruktur des Unternehmens und die Berücksichtigung der Anforderungen weiterer Einheiten und Stakeholder.

Um die richtige Technologie für das Nachhaltigkeitsreporting auszuwählen, sollte ein Unternehmen sich folgende Fragen stellen:

• Wie beurteilen wir den aktuellen Stand unserer Technologie?

• Welche Technologie kann unsere spezifischen Anforderungen und Ziele unterstützen?

• Wie könnten wir diese Technologie implementieren und nutzen, um unser Nachhaltigkeitsreporting zu entwickeln/zu verbessern und Mehrwert für unser Unternehmen zu generieren?

Zusammengefasst ist es entscheidend, dass Unternehmen ihre IT-Strategie und -Infrastruktur sorgfältig prüfen und strategisch anpassen, um mit den richtigen und passenden TechnologieTools ein effektives und effizientes Nachhaltigkeitsreporting zu erreichen.

Auf den Punkt gebracht

Unternehmen stehen vor verschiedenen Herausforderungen, um die gestiegenen regulatorischen Anforderungen an das Reporting von Nachhaltigkeitsfaktoren zu erfüllen. Damit verbunden ist eine große Chance, das Nachhaltigkeitsmanagement als strategischen Vorteil zu nutzen. Innovationen sind dabei der Schlüssel zur Bewältigung der Komplexität und Vielfalt der zu berichtenden Daten. Moderne Technologien, wie maschinelles Lernen und datengestützte Verfahren, können die Effizienz erhöhen und zu größerer Transparenz beitragen. Allerdings stehen vor der Integration solcher Technologien das Verständnis der Prozesse und die Erarbeitung definierter Vorgehensweisen im Vordergrund. Nur wenn die Unternehmen ihre individuellen Ziele und Anforderungen genau kennen, kann die Technologie ihren Zweck erfüllen und als Unterstützungsstruktur dienen. Eine effektive Nachhaltigkeitsberichterstattung erfordert die Einbindung der IT-Fachabteilung von Beginn an. Die Kombination der fachlichen Expertise mit der technologischen Kompetenz der IT kann dabei helfen, einen schnellen und kostengünstigen Berichtsprozess umzusetzen, der sowohl den regulatorischen Anforderungen als auch den Unternehmenszielen gerecht wird. Unternehmen sollten daher ihre IT-Strategie sorgfältig prüfen und strategisch ausrichten, um mit den richtigen Technologie-Tools ein effektives und effizientes Nachhaltigkeitsreporting zu erreichen. Eine ganzheitliche Betrachtung des Datenmanagements und die Berücksichtigung der Data Governance bilden dabei eine entscheidende Grundlage. Ein datengetriebenes Mindset und der richtige Einsatz von Technologie können somit erheblich zur Steigerung der Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen beitragen.

Nachhaltigkeitsmanagement

Die Klimarisiko- und Vulnerabilitätsanalyse gemäß EU-Taxonomie-Verordnung

ESG-Praxisbeispiel

Praxisbeispiel eines

Infrastrukturbetreibers

Melanie Kornfeld* / Matthias Themeßl**

Die Offenlegung von taxonomiekonformen Umsätzen, Investitionen und Betriebsausgaben erfordert von Nicht-Finanzunternehmen die Durchführung einer Klimarisiko- und Vulnerabilitätsanalyse. Die praktische Umsetzung stellt dabei die Berichterstattenden vor einige Herausforderungen. In diesem Beitrag wird dargelegt, ab wann eine Klimagefahr zu einem Klimarisiko wird, welche Normen und Leitfäden zur Durchführung von Klimarisikoanalysen herangezogen werden können und wie der Klimarisikoanalyseprozess bei einem Infrastrukturbetreiber praktisch umgesetzt wurde.

1.Grundlegendes

Jedes Jahr zerstören Extremwetterereignisse und Naturkatastrophen Lebensräume und Infrastrukturen, verursachen Todesfälle und führen zu volkswirtschaftlichen Schäden – direkt oder indirekt (zB durch die Beeinträchtigung von Lieferketten).1 In Österreich werden die jährlichen wetter- und klimabedingten Schäden auf zirka zwei Milliarden Euro geschätzt.2 Alle aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen, dass die globale Erwärmung weiter zunehmen wird, begleitet von einem Anstieg von Extremereignissen.3 Eine im Auftrag des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) erstellte Studie kam zum Schluss, dass um das Jahr 2050 mit Kosten von sechs bis zwölf Milliarden Euro jährlich zu rechnen ist, sollte man klimapolitisch nicht aktiv werden.4

Mit dem Pariser Klimaabkommen wurde beschlossen, die globale Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius, wenn möglich 1,5 °C, gegenüber dem vorindustriellen Niveau bis Ende des Jahrhunderts zu limitieren, um die globalen Risiken der Folgen des Klimawandels einzudämmen.5 Lange spielten solche Zahlen und vor allem der Umgang mit Klimarisiken eher in Forschung und politischer Administration eine Rolle. Nachhaltige Wirtschaftsmodelle bauten auf entsprechenden Risikoabschätzungen auf, die wenigsten betrachteten jedoch längere zukünftige Zeiträume (> 30 Jahre).

Mit dem Beschluss des Green Deals stellte die EU im Jahr 2019 die Weichen für mehr Nachhaltigkeit bei Investitionen. Ziel ist es, bis zum Jahr 2050 in der EU klimaneutral zu wirtschaften, wobei 2030 bereits eine Reduktion von 55 % erzielt werden soll.6 Die EU-Taxonomie-Verord-

*Melanie Kornfeld, M.A. ist Senior Spezialistin im Nachhaltigkeitsmanagement der ÖBB-Infrastruktur AG in Wien. **Mag. Dr. Matthias Themeßl ist Head of Customer and Project Coordination Service Center bei GeoSphere Austria in Wien.

1 Vgl World Meteorological Organization (WMO), Weather-related disasters increase over past 50 years, causing more damage but fewer deaths, World Meteorological Organization vom 31. 8. 2021, abrufbar unter https://wmo.int/media/ news/weather-related-disasters-increase-over-past-50-years-causing-more-damage-fewer-deaths (Zugriff hier und in der Folge am 30.11. 2023).

2 Vgl Steininger et al, Klimapolitik in Österreich: Innovationschance Coronakrise und die Kosten des Nicht-Handelns (2020) abrufbar unter https://www.klimafonds.gv.at/wp-content/uploads/sites/16/COIN_2020.pdf

3 Vgl The Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), Global Warming of 1.5°C – Special Report (2018) abrufbar unter https://www.ipcc.ch/sr15/; IPCC, AR6 Synthesis Report – Climate Change 2023 (2023) abrufbar unter https:// www.ipcc.ch/report/ar6/syr/

4 Vgl Steininger et al, Klimapolitik (2020).

5 Vgl IPCC, Global Warming of 1.5°C (2018).

6 Vgl Europäische Kommission, Der europäische Grüne Deal (14. 7. 2021) abrufbar unter https://commission.europa.eu/ strategy-and-policy/priorities-2019-2024/european-green-deal_de

nung7 spielt dabei eine Schlüsselrolle bei der Neuausrichtung der Kapitalströme hin zu nachhaltigen Investitionen. Damit Wirtschaftstätigkeiten iSd Art 3 EU-Taxonomie-VO als ökologisch nachhaltig, sprich taxonomiekonform klassifiziert werden können, müssen diese einen wesentlichen Beitrag zu einem der sechs Umweltziele8 leisten, dürfen dabei nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung der fünf weiteren Umweltziele führen („Do no significant harm“, DNSH-Prinzip) und müssen unter Einhaltung von festgelegten Mindestschutzvorschriften ausgeübt werden sowie den technischen Bewertungskriterien entsprechen.

Die Durchführung einer Klimarisiko- und Vulnerabilitätsanalyse liefert einerseits die erforderlichen Nachweise zur Erfüllung des technischen Bewertungskriteriums für einen wesentlichen Beitrag zur Anpassung an den Klimawandel und andererseits die Nachweise für die Erfüllung des DNSH-Kriteriums für die Anpassung an den Klimawandel, der anderen fünf Umweltziele. Nicht-Finanzunternehmen können nur dann ihre Umsatzerlöse, Investitionen und Betriebsausgaben einer Wirtschaftstätigkeit als ökologisch nachhaltig – taxonomiekonform – ausweisen, wenn ua eine robuste Klimarisiko- und Vulnerabilitätsanalyse durchgeführt wurde.

2.Von der Klimagefahr zum Klimarisiko

Im Alltagssprachgebrauch werden die Begriffe Gefahr und Risiko oft synonym verwendet. Wissenschaftlich und für die Durchführung einer taxonomiekonformen Risikoanalyse werden die zwei Begriffe jedoch getrennt betrachtet und nach den Vorgaben des IPCC 9 sowie der DIN EN ISO 14090:201910 und DIN EN ISO 14091:202111 definiert.

2.1.Definition von Klimagefahr und Klimarisiko

Klimagefahren sind potenzielle Schadensquellen (zB Wetterextreme wie Starkniederschläge), die durch ihr Auftreten oder durch Trends in ihrem Auftreten zu Schäden führen können. Klimagefahren führen jedoch nicht automatisch zu Klimarisiken. Physische Klimarisiken entstehen, wenn Systeme (Unternehmen, Produktionsstandorte etc) gegenüber Klimagefahren exponiert und vulnerabel (verwundbar) sind (s Abb 1). Exposition bedeutet, dass ein System von einer Klimagefahr (räumlich oder zeitlich) betroffen sein kann. Die Neigung eines Systems, nachteilig betroffen zu sein, wird als Vulnerabilität bezeichnet. Diese Verwundbarkeit kann durch Anpassungsmaßnahmen reduziert werden.12

Verwundbarkeit

Gefährdung

Exposi on Risiko

Abb 1: Der Risikopropeller. Darstellung des Zusammenspiels von Gefahr, Verwundbarkeit und Exposition, die das Risiko bestimmen13

7 Verordnung (EU) 2020/852 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. 6. 2020 über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen und zur Änderung der Verordnung (EU) 2019/2088, ABl L 198 vom 22.6. 2020, S13.

8 Umweltziele: Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, nachhaltige Nutzung sowie Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität sowie der Ökosysteme.

9 Vgl Pörtner et al, IPCC, 2022: Summary for Policymakers, in Pörtner et al, Climate Change 2022: Impacts, Adaptation and Vulnerability (2022) 3.

10 Vgl ISO 14090:2019 – Anpassung an die Folgen des Klimawandels: Grundsätze, Anforderungen und Leitlinien vom 15.1. 2020.

11 Vgl ISO 14091:2021 – Anpassung an den Klimawandel: Vulnerabilität, Auswirkungen und Risikobewertung vom 1. 7. 2021.

12 Vgl ISO 14091:2021 vom 1. 7. 2021; ISO 14090:2019 vom 15. 1. 2020; Pörtner et al in Pörtner et al, Climate Change 2022, 3.

13 Lavell et al, Climate Change: New Dimensions in Disaster Risk, Exposure, Vulnerability, and Resilience, in Field et al, Managing the Risks of Extreme Events and Disasters to Advance Climate Change Adaptation (2012) 22–64.

Das Konzept der Klimarisikobetrachtung wird anhand des Beispiels eines betrieblich bewirtschafteten Fichtenwaldes dargestellt. Dieser Fichtenwald wird als Produktionsstandort für die Papierindustrie betrieben. Physische Klimarisiken entstehen durch die Kombination aus folgenden drei Faktoren:

• dem Eintreten von Klimagefahren, auf die Fichtenwälder sensitiv reagieren (zB Trockenheit oder Stürme),

• der Exposition des Forstes, die darauf hinweist, ob sich der Forst in einer Region befindet, die von solchen Ereignissen betroffen sein könnte,

• der Vulnerabilität des Forstes, die die Verwundbarkeit gegenüber Klimagefahren darstellt.

Letztere beschreibt zB, dass ab einer gewissen Baumhöhe bzw einem gewissen Alter der Bäume Brüche durch Sturmereignisse wahrscheinlicher werden, oder dass im Fall eines Borkenkäferbefalls bei einer Fichtenmonokultur der Forst bereits geschwächt wäre und die Klimagefahren deutlich höhere Schäden verursachen könnten. Das Risiko kann durch Anpassungskapazitäten reduziert werden, also in diesem Beispiel durch eine professionelle Bewirtschaftung oder durch Aufforstungsmaßnahmen mit trockenresistenten Baumarten.

2.2.Klimagefahren in der EU-Taxonomie-VO

Die Anlage A im Anhang I der Delegierten Verordnung (EU) 2021/213914 enthält eine Klassifikation potenzieller physischer Klimagefahren. Die angeführten Klimagefahren sind nicht taxativ, sondern bilden die Basis, die für die Analyse herangezogen werden soll bzw kann. Die Liste kann vom Berichterstattenden entsprechend der potenziellen Gefahren erweitert oder konkretisiert werden. Bei physischen Klimagefahren wird zwischen akuten und chronischen Gefahren unterschieden. Akute Klimagefahren bezeichnen eher kurzzeitige Extremereignisse, während sich chronische Gefahren langsam aufbauen oder im Laufe der Zeit ändern. Für den Analyseprozess ist es jedoch irrelevant, ob akute oder chronische Klimagefahren bewertet werden. Des Weiteren erfolgt eine Kategorisierung der Klimagefahren in Temperatur, Wind, Wasser und Feststoffe.

3.Klimarisiko- und Vulnerabilitätsanalyse

Eine robuste Klimarisiko- und Vulnerabilitätsanalyse ist die Grundlage für das Risikomanagement von Klimarisiken. Nur wenn Unternehmen ihre Klimarisiken kennen, können entsprechende Anpassungsmaßnahmen abgeleitet und somit Klimaresilienz aufgebaut bzw diese gestärkt werden.

3.1.Klimarisiko- und Vulnerabilitätsanalyse gemäß EU-Taxonomie-VO

Gemäß der EU-Taxonomie-VO werden durch eine robuste Klimarisiko- und Vulnerabilitätsanalyse jene physischen Klimarisiken ermittelt, die für eine Wirtschaftstätigkeit wesentlich sind. Die EU-Taxonomie-VO enthält keine verpflichtende Methodik, anhand derer die Klimarisiko- und Vulnerabilitätsanalyse durchzuführen ist. Anlage A im Anhang I der Delegierten Verordnung (EU) 2021/2139 beschreibt lediglich Mindestanforderungen, die erfüllt werden müssen. Im ersten Schritt ist eine Beurteilung vorzunehmen, welche physischen Klimagefahren die Leistung der Wirtschaftstätigkeit während ihrer voraussichtlichen Lebensdauer beeinträchtigen können, um in weiterer Folge zu bewerten, ob diese potenziell wesentliche Klimarisiken darstellen. Anschließend sind mögliche Anpassungsmaßnahmen zu bewerten, die zu einer Reduktion der physi-

14 Delegierte Verordnung (EU) 2021/2139 der Kommission vom 4. 6. 2021 zur Ergänzung der Verordnung (EU) 2020/852 des Europäischen Parlaments und des Rates durch Festlegung der technischen Bewertungskriterien, anhand deren bestimmt wird, unter welchen Bedingungen davon auszugehen ist, dass eine Wirtschaftstätigkeit einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz oder zur Anpassung an den Klimawandel leistet, und anhand deren bestimmt wird, ob diese Wirtschaftstätigkeit erhebliche Beeinträchtigungen eines der übrigen Umweltziele vermeidet, ABl L 442 vom 9. 12. 2021, S 1.

schen Klimarisiken führen. Da die Methodik nicht vorgegeben ist, müssen andere Regelwerke zur Durchführung einer Klimarisiko- und Vulnerabilitätsanalyse herangezogen werden. Die EUTaxonomie-VO fordert lediglich, dass diese Methoden dem aktuellen Stand der Technik sowie besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen und international anerkannten Standards entsprechen.

3.2.Normen und Leitfäden zur Durchführung von Klimarisikoanalysen

Die internationale Norm DIN EN ISO 14091:2021 kann als Leitfaden für die Durchführung von Klimarisikoanalysen herangezogen werden. Darin werden die erforderlichen Prozessschritte in der Vorplanung sowie die Bewertungsmöglichkeiten der Auswirkungen und Chancen beschrieben. Des Weiteren enthält die DIN EN ISO 14091:2021 Informationen darüber, wie eine Klimarisikoanalyse umzusetzen ist, wie das Monitoring und die Evaluierung von Klimarisiken erfolgen kann und wie Anpassungsmaßnahmen geplant werden können. Eine Beschreibung, wie die Berichterstattung zur Bewertung der Risiken des Klimawandels und die Kommunikation der Ergebnisse der Bewertung der Risiken des Klimawandels erfolgen kann, ist ebenfalls enthalten.

Das deutsche Umweltbundesamt hat gemeinsam mit der adelphi consult Gmbh eine Empfehlung für die Durchführung einer robusten Klimarisiko- und Vulnerabilitätsanalyse nach den Vorgaben der EU-Taxonomie-VO entwickelt. Der Leitfaden orientiert sich am sechsten Sachstandsbericht des IPCC, der DIN EN ISO 14091:2021 sowie an weiteren Leitlinien, die gemeinsam die besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse für Klimarisiko- und Vulnerabilitätsanalysen darstellen. Der Leitfaden verknüpft die Anforderungen aus der EU-Taxonomie-VO mit der Vorgehensweise gemäß DIN EN ISO 14091:2021.15 Abb 2 gibt einen Überblick über die Prozessphasen einer Klimarisikoanalyse.

1. Vorbereitungsphase

1.1. Bestimmung der voraussichtlichen Lebensdauer der Wirtschaftstätigkeit und Identifizierung von Untersuchungsobjekten

1.2. Identifikation potenziell relevanter Klimagefahren

2. Umsetzungsphase

2.1. Durchführung der Klimarisikoanalyse

2.2. Identifizierung und Bewertung von Anpassungslösungen

Abb 2: Prozessphasen einer Klimarisikoanalyse in Anlehnung an das deutsche Umweltbundesamt und ISO 14091:2021; Quelle: eigene Darstellung

Des Weiteren hat die Finanzmarktaufsicht (FMA) im Jahr 2020 einen Leitfaden zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken veröffentlicht.16 Die aktuellsten Erkenntnisse zum Thema bietet das „Climate Risk Sourcebook“, das im Auftrag des deutschen Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung von einem Team internationaler Forscher entwickelt und im Oktober 2023 veröffentlicht wurde.17

15 Vgl Umweltbundesamt, Durchführung einer robusten Klimarisiko- und Vulnerabilitätsanalyse nach EU Taxonomie (2022) abrufbar unter https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/479/publikationen/factsheet_durchfuehrung_ einer_robusten_klimarisiko-_und_vulnerabilitaetsanalyse_nach_eu_taxonomie.pdf

16 Vgl FMA, FMA-Leitfaden zum Umgang mit Umweltrisiken (2020) abrufbar unter https://www.fma.gv.at/querschnittsthemen/ sustainable-finance/.

17 Vgl Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Climate Risk Sourcebook (2023) abrufbar unter https://pure.iiasa.ac.at/id/eprint/19122/1/giz_2023_Climate_Risk_Sourcebook.pdf

4.Praxisbeispiel eines Infrastrukturbetreibers

Im nachfolgenden Beispiel wird erläutert, wie die Klimarisiko- und Vulnerabilitätsanalyse bei einem Infrastrukturbetreiber praktisch umgesetzt wurde. Die Analyse wurde in Anlehnung an die DIN EN ISO 14091:2021 und den Leitfaden des deutschen Umweltbundesamts konzipiert und durchgeführt.

4.1.Vorbereitungsphase

4.1.1.Konzept

In der konzeptionellen Vorbereitungsphase wurden die Anforderungen aus der Anlage A im Anhang I der Delegierten Verordnung (EU) 2021/2139 erhoben, damit die Klimarisiko- und Vulnerabilitätsanalyse in einem angemessenen Verhältnis zu Umfang und Lebensdauer der Wirtschaftstätigkeit steht. In einem weiteren Schritt wurde festgelegt, welche Kompetenzen im Projektteam erforderlich sind. Im Fall des Infrastrukturbetreibers erfolgte die Projektleitung durch die Nachhaltigkeitsabteilung. Als Projektteammitglieder wurden Experten aus den unterschiedlichen Abteilungen nominiert, die aufgrund ihrer Erfahrung und Fachexpertise am besten beurteilen konnten, ob sich bestimmte potenzielle Klimagefahren zu wesentlichen Klimarisiken entwickeln könnten. Des Weiteren wurden das Risikomanagement sowie das Controlling und Rechnungswesen in den gesamten Prozess miteinbezogen. Durch diese abteilungsübergreifende Abstimmung wurde gewährleistet, dass die Risikobeurteilung im Einklang mit unternehmensinternen Vorgaben und Prozessen durchgeführt wurde und wird sowie etwaige wesentliche Klimarisiken gegebenenfalls auch im Jahresabschluss Berücksichtigung finden.

Gemäß den Anforderungen der Anlage A im Anhang I der Delegierten Verordnung (EU) 2021/ 2139 sind für Wirtschaftstätigkeiten mit einer Lebensdauer von über zehn Jahren die höchstauflösenden, dem neuesten Stand der Technik entsprechenden Klimaprojektionen für die bestehende Reihe von Zukunftsszenarien zu verwenden. Um diese Anforderung zu erfüllen, wurde GeoSphere Austria (ehemals ZAMG) als externer Partner gewählt, um einerseits die bestmöglichen österreichischen Klimaszenariendaten (ÖKS15)18 für die Analyse zu verwenden und andererseits durch die Begleitung der Klimaexperten die Datenlage bestmöglich und robust einschätzen zu können. Aufgrund der vorhandenen Expertise im Unternehmen und der technischen Möglichkeiten, Klimaszenarien im unternehmensinternen Geoinformationssystem (GIS) auszuwerten, verzichtete man auf die Verwendung eines externen Klimarisikobewertungstools. Somit wurde die Möglichkeit geschaffen, standortbezogen die Entwicklung bestimmter Klimagefahren für diverse Klimaszenarien zu analysieren. Für die Risikobewertung der Klimagefahren wurde ein Microsoft-Excel-Template verwendet.

Bei der Konzeption der Klimarisiko- und Vulnerabilitätsanalyse wurden im letzten Schritt die Bewertungsparameter festgelegt. Auf Basis der ÖKS15-Daten wurden für die nächsten zehn Jahre (2021 bis 2030) die Klimadaten von 1991 bis 2020 evaluiert, für die Periode 2021 bis 2050 wurde die Bandbreite des Klimaszenarios RCP 8.5 betrachtet. Die Bewertung der negativen Auswirkung erfolgte qualitativ auf Basis einer standardisierten Bewertungsskala. Als Bewertungsdimensionen wurden die Auswirkungen auf den Betrieb der Infrastruktur und auf die Personensicherheit herangezogen. Aufgrund diverser Unsicherheiten (zB unzureichende Datenbasis) wurde im ersten Schritt auf eine quantitative Beurteilung verzichtet, die Klimarisiko- und Vulnerabilitätsanalyse wird jedoch weiterentwickelt, um in Zukunft auch eine quantitative Bewertung von Klimarisiken vornehmen zu können.

18 Vgl Chimani et al, ÖKS15 – Klimaszenarien für Österreich. Projektendbericht (2016).

4.1.2.Voraussichtliche Lebensdauer der Wirtschaftstätigkeit und Identifizierung von Untersuchungsobjekten

Gemäß Anlage A im Anhang I der Delegierten Verordnung (EU) 2021/2139 ist die voraussichtliche Lebensdauer einer Wirtschaftstätigkeit zu bestimmen. Bei einer Lebensdauer von über zehn Jahren ist die Bewertung der Klimarisiken auf Basis der höchstauflösenden und dem neuesten Stand der Technik entsprechenden Klimaprojektionen durchzuführen. Bei Wirtschaftstätigkeiten mit einer Lebensdauer von unter zehn Jahren ist die Bewertung durch Klimaprojektionen auf der kleinsten geeigneten Skala durchzuführen.

Für die Bestimmung der voraussichtlichen Lebensdauer wurde der Grundsatz der Unternehmensfortführung herangezogen.19 Aus diesem Grund wurde grundsätzlich von einer Lebensdauer von über zehn Jahren ausgegangen. Bei der Identifikation der Untersuchungsobjekte wurde darauf geachtet, dass die Untergliederung auf Basis der Exponierung und Vulnerabilität verhältnismäßig ist, um daraus wesentliche Klimarisiken ableiten zu können.

4.1.3.Identifikation potenziell relevanter Klimagefahren

Nicht jede Klimagefahr wird automatisch ein Klimarisiko. Wie bereits unter Pkt 2. beschrieben, wird eine Klimagefahr zu einem Klimarisiko, wenn zusätzlich zur Klimagefahr eine Exponierung und Vulnerabilität eines Untersuchungsobjekts vorliegt. Im ersten Analyseschritt wurden jene Klimagefahren gemäß Anlage A im Anhang I der Delegierten Verordnung (EU) 2021/2139 ausgeschlossen, die aufgrund der geografischen Lage (fehlende Exposition) der ausgeübten Wirtschaftstätigkeit nicht zutreffen. Im zweiten Analyseschritt wurde beurteilt, ob eine Klimagefahr zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Leistung der Wirtschaftstätigkeit führen kann. In diesem Zusammenhang sind nicht nur einzelne Klimagefahren, sondern bereits Wirkungsketten mehrerer Klimagefahren mitzubetrachten. Abb 3 dient der Visualisierung von Wirkungsketten am Beispiel von Hitze und Starkregen.

Hitze

Beeinträchtigung der Wälder

Starkregen

Fichtensterben

Stärkerer Borkenkäferbefall

Boden nimmt weniger Wasser auf

Gefahr für Murenabgänge steigt

Gefahr für Erdrutsch steigt

Vulnerabilität des Untersuchungsobjektes steigt

Abb 3: Wirkungskette – Auswirkung von Hitze und Starkregen auf die Vulnerabilität des Untersuchungsobjekts; Quelle: eigene Darstellung

19 Siehe § 201 Abs 2 Z 2 UGB; IAS 1.

4.2.Umsetzungsphase

4.2.1.Durchführung der Klimarisikoanalyse

Nachdem die relevanten Untersuchungsobjekte und potenziell wesentlichen Klimagefahren identifiziert wurden, erfolgte die Klimarisikoanalyse. Das Projektteam führte anhand der definierten Bewertungsparameter die Beurteilung der Klimagefahren in einem gemeinsamen Workshop durch. Auf Basis einer Bandbreite des Klimaszenarios RCP 8.5 wurde von den Experten beurteilt, wie stark die negative Auswirkung auf den Betrieb und die Personensicherheit sein kann und wie hoch die Eintrittswahrscheinlichkeit dieser negativen Auswirkung ist. Die Beurteilung der negativen Auswirkung wurde unter dem Gesichtspunkt der Exposition und Vulnerabilität der Untersuchungsobjekte vorgenommen. Auf Basis der Klimaszenarien (visualisiert durch die Karten im GIS) wurde beurteilt, wie sich zB Hitzewellen/Hitzestress allein, aber auch iZm anderen Klimagefahren, zB Starkregen, auf den Betrieb (Ausfälle) der Infrastruktur und die Personensicherheit (Unfälle, Personenschäden) auswirkt. Die potenziellen Klimarisiken ergeben sich aus der Eintrittswahrscheinlichkeit multipliziert mit der negativen Auswirkung.

Die potenziellen Klimarisiken wurden anschließend anhand einer dreistufigen Risikomatrix geclustert. Je nach Clustereinteilung sind Monitoring- bzw Anpassungsmaßnahmen erforderlich:

Risikogruppe Monitoring

1: Kein KlimarisikoNicht erforderlichNicht erforderlich

2: Potenzielles KlimarisikoErforderlich; regelmäßige Evaluierung der Risikobeurteilung Nicht erforderlich

3: Wesentliche Klimarisiko ErforderlichErforderlich

4.2.2.Identifizierung und Bewertung von Anpassungslösungen

Für wesentliche Klimarisiken erfolgte in einem nächsten Schritt die Identifizierung und Bewertung von Anpassungslösungen. Unternehmensinterne Experten bewerteten bereits vorhandene Anpassungsmaßnahmen und erhoben, ob zukünftig noch weitere erforderlich sind. Diese Anpassungsmaßnahmen beinhalten nicht nur geplante Investitionen, sondern vor allem unternehmensinterne Prozesse zur Reduktion der Risiken, und können sowohl vor als auch während sowie nach einem Extremereignis zutragen kommen. Eine Erkenntnis aus den Fachgesprächen war, dass oftmals bereits geringfügige Prozessänderungen großes Potenzial zur Reduktion des Klimarisikos haben können.

4.3.Praxistipps

• Wie bei allen Analysen ist die Qualität des Ergebnisses der Klimarisiko- und Vulnerabilitätsanalyse stark von den Inputfaktoren abhängig. Aus diesem Grund wird empfohlen, ausreichend Zeit für die Vorbereitungsphase einzuplanen und auf das vorhandene interne Knowhow aus den Fachabteilungen zurückzugreifen.

• Sollen die Ergebnisse der Klimarisikoanalyse für weitere interne Prozesse verwendet werden (Anpassung Risikomanagement und/oder interne Prozesse etc), wird empfohlen, nicht nur standardisierte Klimarisikobewertungstools zu verwenden, sondern sich abteilungsübergreifend mit den Klimagefahren und deren potenziellen Auswirkungen auseinanderzusetzen.

• Wurden wesentliche Klimarisiken identifiziert, sind Anpassungsmaßnahmen durchzuführen. Diese beinhalten nicht ausschließlich Investitionen. Die Analyse und Anpassung interner Prozesse sind ebenso essenziell.

• Eine Begleitung zur Analyse von Klimadaten durch Experten ist immer empfehlenswert, da die Aussagekraft regional, saisonal und abhängig von den Parametern stark schwankt. Das Projekt STARC Impact gibt zB Auskunft über die Aussagekraft der österreichischen Referenzklimaszenarien ÖKS15

• Im Fall von Klimaszenarien gibt es nicht die eine vorhersagbare Zukunft, daher sollten die Analysen stets Bandbreiten untersuchen. Das deutsche Umweltbundesamt, die GeoSphere Austria und das Climate Change Centre Austria (CCCA) empfehlen, sich bei Analysen bis zur Mitte des Jahrhunderts auf das RCP 8.5 zu fokussieren und dort das zehnte und neunzigste Perzentil der verschiedenen Modellläufe als optimistischen und pessimistischen Fall zu betrachten.

Mit ausführlichen Informationen zur Grundlage von Klimadaten und Qualitätsmerkmalen wird sich ein weiterer Beitrag Artikel befassen, der in einem der folgenden Hefte der RWK erscheinen wird.

Auf den Punkt gebracht

Eine Klimagefahr wird nur dann zu einem Klimarisiko, wenn ein System (Unternehmen, Produktionsstandort etc) gegenüber dieser Klimagefahr exponiert und vulnerabel ist. Eine robuste Klimarisiko- und Vulnerabilitätsanalyse ist ein Instrument, um Klimarisiken zu identifizieren. Sie ist erforderlich, wenn Berichterstattende taxonomiekonforme Wirtschaftstätigkeiten offenlegen möchten. Da die Methodik zur Durchführung einer Klimarisikoanalyse in der EU-Taxonomie-VO nicht vorgegeben ist, müssen sich die Berichterstattenden anderer Normen und Leitfäden bedienen, wie zB der DIN EN ISO 14091:2021. Die Einbeziehung möglichst vieler Experten im Unternehmen wird empfohlen, um einerseits ein vollständiges Bild zu erhalten und andererseits die Risikoanalyse als Tool für eine Unternehmenskultur des Austausches und Miteinanders zu nutzen.

Bevor die Klimarisiko- und Vulnerabilitätsanalyse durchgeführt werden kann, ist in der Vorbereitungsphase die Lebensdauer der Wirtschaftstätigkeit zu bestimmen, zudem sind die Untersuchungsobjekte und die potenziell relevanten Klimagefahren zu identifizieren. Anschließend wird bewertet, ob die potenziell relevanten Klimagefahren aufgrund der Exposition und Vulnerabilität eines Untersuchungsobjekts Klimarisiken darstellen. Eine robuste Klimarisiko- und Vulnerabilitätsanalyse basiert auf dem aktuellen Stand der Klimaforschung und unternehmensinternem Wissen zu vorhandenen Prozessen. Sie unterstützt Unternehmen, erforderliche Anpassungsmaßnahmen abzuleiten. Das Ergebnis liefert nicht nur einen Bericht, sondern essenzielle Informationen für das Risikomanagement und ein systemisch widerstandfähigeres Unternehmen.

Veranstaltungstipp: Praxistagung Update Bilanzierung

Das zweitägige Praxis-Update zur Bilanzierung widmet sich anhand von Fallbeispielen den typischen Zweifelsfragen und Problemstellungen, die sich bei der Bilanzierung nach dem UGB ergeben können, sowie aktuellen Entwicklungen im Bilanzrecht. Neben den Initiativen des Gesetzgebers und den neuen Verlautbarungen der österreichischen Standardsetter (AFRAC, KSW) wird dabei auch auf die bilanziellen Herausforderungen eingegangen, die sich aufgrund des gegenwärtigen wirtschaftlichen Umfelds ergeben.

Datum: 6./7. 3. 2024

Ort: MAXX by Steigenberger Vienna, 1050 Wien, Margaretengürtel 142

Informationen: https://www.lindeverlag.at/seminar/update-bilanzierung-3284?page_id=598

Degressive Abschreibung

Die degressive Abschreibung im Unternehmensrecht

Reporting & Accounting

Gleichklang mit dem Steuerrecht möglich?

Roman Rohatschek*

Im Steuerrecht wurde die Möglichkeit der degressiven Abschreibung vorgesehen. Um den Unternehmen dies unabhängig vom Unternehmensrecht zu ermöglichen, wurde das Maßgeblichkeitsprinzip befristet für die Inanspruchnahme der degressiven Abschreibung ausgesetzt. Diese Befristung ist nunmehr ausgelaufen, weshalb eine Inanspruchnahme nur noch möglich ist, wenn diese Abschreibungsmethode auch im unternehmensrechtlichen Jahresabschluss gewählt wird. Damit rückt die degressive Abschreibung auch im Unternehmensrecht in den Fokus von Diskussionen. Dieser Beitrag zeigt auf, ob bzw wann diese Abschreibungsmethode zur Anwendung gelangen kann und ob ein Gleichklang mit dem Steuerrecht möglich bzw sinnvoll ist.

1.Anstoß der Diskussion (§ 7 Abs 1a EStG)

§ 7 Abs 1 EStG schreibt die gleichmäßige Verteilung der Anschaffungs- und Herstellungskosten auf die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer (lineare Absetzung für Abnutzung [AfA]) vor. Nach Abs 1a leg cit kann die AfA auch in fallenden Jahresbeträgen nach einem unveränderlichen Prozentsatz von höchstens 30 % erfolgen (degressive AfA). Der jeweilige Jahresbetrag der AfA ergibt sich, indem dieser Prozentsatz auf den jeweiligen Buchwert (Restbuchwert) angewendet wird. Die im Gesetz beschriebene Vorgehensweise entspricht damit der geometrisch degressiven Abschreibung.

Von der degressiven AfA werden in § 7 Abs 1a Z 1 EStG Ausnahmen festgehalten, in Z 2 leg cit erlaubt der Gesetzgeber, dass am Beginn jedes Wirtschaftsjahres auf die lineare AfA umgestellt werden kann. „In diesem Fall bemisst sich die lineare Absetzung für Abnutzung vom Zeitpunkt des Übergangs an nach dem dann noch vorhandenen Restbuchwert und der Restnutzungsdauer des einzelnen Wirtschaftsguts. Der Übergang von der linearen Absetzung für Abnutzung zur degressiven Absetzung für Abnutzung ist nicht zulässig.“.1 Die Anwendung der Halbjahresregel bleibt von der gewählten Abschreibungsmethode unberührt.

Die degressive AfA kann nach § 124b Z 356 EStG für alle Wirtschaftsgüter angewendet werden, die nach dem 30. 6. 2020 angeschaffte oder hergestellte Wirtschaftsgüter werden. Für jene, die vor 1. 1. 2023 angeschafft oder hergestellt wurden, kann die degressive Abschreibungsmethode unabhängig von der im unternehmensrechtlichen Jahresabschluss gewählten Abschreibungsmethode vorgenommen werden. Das heißt, dass für diese Wirtschaftsgüter das Maßgeblichkeitsprinzip „ausgesetzt“ wurde. Für alle Anschaffungen und Herstellungen ab 1. 1. 2023 kann entsprechend der Maßgeblichkeit der unternehmensrechtlichen Bilanzierung für das Steuerrecht die degressive AfA nach § 7 Abs 1a EStG nur in Anspruch genommen werden, wenn dies auch im unternehmensrechtlichen Jahresabschluss gewählt wird.

*Univ.-Prof. Dr. Roman Rohatschek ist Vorstand des Instituts für Unternehmensrechnung und Wirtschaftsprüfung der JKU Linz sowie stv Leiter der Österreichischen Prüfstelle für Rechnungslegung (OePR).

1 § 7 Abs 1a Z 2 Satz 2 und 3 EStG.

2.Abschreibungsmethoden im UGB

2.1.Rechtlicher Rahmen

Im UGB findet sich die entsprechende Regelung in § 204 Abs 1 UGB. Demnach sind die Anschaffungs-/Herstellungskosten auf die Geschäftsjahre zu verteilen, in denen der Vermögensgegenstand voraussichtlich wirtschaftlich genutzt wird. Da es sich um eine planmäßige Abschreibung handelt, ergibt sich das Erfordernis der Erstellung eines Abschreibungsplans, wenn die Nutzung zeitlich begrenzt ist. Eine Vorgabe einer bestimmen Abschreibungsmethode findet sich nicht, dh im Abschreibungsplan ist neben der Abschreibungsbasis und der Nutzungsdauer auch die Abschreibungsmethode festzuhalten.

Bei der Wahl der Abschreibungsmethode muss den betriebswirtschaftlichen Gegebenheiten Rechnung getragen werden; eine willkürfreie Verteilung wird vorausgesetzt.2 Grundsätzlich sind folgende Abschreibungsmethoden anerkannt:

• zeitabhängige Abschreibungsmethoden:

–lineare Abschreibung, –degressive Abschreibung (geometrisch bzw arithmetisch), –progressive Abschreibung (geometrisch bzw arithmetisch);

• leistungsabhängige Abschreibungsmethode.

Die gewählte Methode liegt im Ermessen des Managements und wird durch die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung und das Willkürverbot beschränkt. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch die Kombination von Abschreibungsmethoden möglich. Diese Kombination muss allerdings bereits im ursprünglichen Abschreibungsplan festgehalten werden.3 Der dann vorzunehmende Methodenwechsel unterliegt nicht der Bewertungsstetigkeit, weil er bereits am Beginn der Nutzung im Plan festgehalten wird.

2.2.Degressive Abschreibung – Ermittlung

Bei der degressiven Abschreibung kann zwischen der arithmetischen und der geometrisch degressiven Abschreibung unterschieden werden. Bei der arithmetisch degressiven Abschreibung wird der Degressionsbetrag aus nachfolgender Formel bestimmt:

Abschreibungswert =Degressionsbetrag Summe der Nutzungsjahre

Der Degressionsbetrag wird sodann mit der Nutzungsdauer absteigend multipliziert, sodass sich am Ende der Nutzungsdauer ein Buchwert von null ergibt. Bei einer fünfjährigen Nutzungsdauer und Anschaffungskosten von 1.000 ergibt sich folgender Abschreibungsverlauf:

1.000/(5 + 4 + 3 + 2 + 1) = 66,67 (Degressionsbetrag)

Periode Basis Abschreibung Buchwert am Ende der Periode 11.000333,33666,67 2666,67266,67400 3400200200 4200133,3366,67 566,6766,67–

2 Vgl Christian/Hohensinner in Zib/Dellinger, UGB, § 204 Rz 48.

3 Vgl etwa Hofbauer/Rohatschek in Jabornegg/Artmann, UGB2 (2017) § 204 Rz 17; Konezny in Torrgler, UGB3 (2019) § 204 Rz 18.

Die geometrisch degressive Abschreibung wird unter Anwendung eines am Beginn der Nutzung zu bestimmenden Prozentsatzes ermittelt: Anschaffungskosten (Buchwert) x % Satz = Abschreibungsbetrag

Eine pauschale Annahme eines bestimmten Prozentsatzes (p) ist nicht möglich, dieser ergibt sich aus der folgenden Formel:

Wie aus der Formel ersichtlich, wird der Prozentsatz wesentlich durch die Nutzungsdauer und die Höhe des Restwerts am Ende der Nutzungsdauer beeinflusst. Die Wirkung des Restwerts auf den Prozentsatz ist aus dem folgenden Beispielfall ersichtlich:

Beispiel – Einfluss Restwert

Ein Unternehmen erwirbt eine Sachanlage um 100.000, die Nutzungsdauer wird mit vier Jahren festgelegt. Der Restwert wird mit a. 23.000, b. 10.000 bzw c. 1.000 geschätzt. Bei Anwendung der unterschiedlichen Restwertschätzung ergibt sich aus obiger Formel der jeweilige Prozentsatz von:

a.30,74 %, b.43,77 %, c.68,38 %.

Ersichtlich wird, dass bei einer kurzen Nutzungsdauer der im Steuerrecht vorgesehene maximal zulässige Prozentsatz von 30 % nur erreicht werden kann, wenn von einem entsprechend hohen Restwert ausgegangen werden kann.

Die Wirkungsweise der Nutzungsdauer ist aus Abb 1 ersichtlich, in der ein Abschreibungsprozentsatz von 30 % unterstellt wird. Daraus ist erkennbar, dass bei einem unterstellten Abschreibungsprozentsatz von 30 % ein wohl unwesentlicher Restwert im Verhältnis zu den Anschaffungskosten erst ab einer Nutzungsdauer von zehn Jahren vorliegt.

RESTWERT BEI 30 % ABSCHREIBUNGSSATZ

Restwert in % der AKO

456789101112131415

Nutzungsdauer

Abb 1: Auswirkung der Nutzungsdauer auf den Restwert; Quelle: eigene Darstellung

Aus Abb 1 wird auch ersichtlich, dass bei Anwendung der geometrisch degressiven Abschreibung der Buchwert am Ende der Nutzungsdauer nicht null werden kann. Dies kann nur durch Kombination mit einer anderen Abschreibungsmethode (zB linearen Abschreibung) erzielt werden, die bereits am Beginn der Nutzung im Abschreibungsplan festzuhalten ist.

3.Degressive Abschreibung – Grenzen

Wie bereits ausgeführt, ist die Abschreibungsmethode grundsätzlich durch das Management zu bestimmen, wobei die betriebswirtschaftlichen Gegebenheiten zu beachten sind. Die gewählte Abschreibungsmethode hat dem Wertverzehr des Vermögensgegenstades nach Möglichkeit am besten abzubilden. Sie darf auch dem Nutzungsverlauf nicht entgegenstehen, dh, dass das Willkürverbot beachtet werden muss.

Der Anwendung der degressiven Abschreibung ist insbesondere dann der Vorzug zu geben, wenn Abnutzung, Leistungsfähigkeit bzw Wertverzehr in den ersten Jahren und/oder Reparaturanfällig und Reparaturaufwendungen in späteren Jahren wesentlich höher sind.

Eine weitere Einschränkung ergibt sich durch die Bewertungsstetigkeit. So ist die Abschreibungsmethode für art- und funktionsgleiche Vermögensgegenstände einheitlich zu wählen.4 Eine Festlegung der degressiven Abschreibung allein aufgrund steuerlicher Begünstigung ist abzulehnen.5 Ferner ist die einmal gewählte Abschreibungsmethode grundsätzlich beizubehalten. Ein aufgrund der Abschreibungsmethode zu hoch ausgewiesener Buchwert ist durch die außerplanmäßige Abschreibung zu korrigieren. Demgegenüber darf ein zu niedriger Buchwert nicht zu einer Zuschreibung führen.

Ein Wechsel der Abschreibungsmethode kann bei einem Vermögensgegenstand nur dann vorgenommen werden, wenn die bisherige Methode unvertretbar war und damit bei einem Methodenwechsel nicht dem Willkürverbot widersprochen wird.6 So wird eine Korrektur des Abschreibungsplans vorzunehmen sein, wenn die gewählte Abschreibungsbasis dem tatsächlichen Entwertungsverlauf nicht mehr gerecht wird.7

Fraglich ist, wie die Bewertungsstetigkeit bei der Anwendung der Abschreibungsmethode auf neu zugegangene Vermögenswerte anzuwenden ist. Nach hL ist auch von einer zeitlichen Anwendung der Bewertungsstetigkeit auszugehen.8 Allerdings muss kritisch festgehalten werden, dass eine grundsätzliche Anwendung der linearen Abschreibung im UGB mE abzulehnen ist. Dies hat wohl nur durch das Bestreben eines Gleichklangs zwischen unternehmensrechtlicher und steuerrechtlicher Ergebnisermittlung (vor Einführung der degressiven AfA) Eingang in die Bilanzierung gefunden.

Jedenfalls gerechtfertigt ist eine Abkehr von der bisher bei anderen Vermögensgegenständen angewendeten Abschreibungsmethode, wenn sich der Wertverzehr aufgrund von zB technologischen Entwicklungen verändert hat; die sachliche Komponente ist demnach bei der Würdigung zu berücksichtigen.9 Ebenso kommt mE die Bewertungsstetigkeit für die Wahl der Abschreibungsmethode bei Anschaffung von Vermögensgegenständen, die nur im mehrjährigen Abstand erfolgen, nur eingeschränkt zur Anwendung. Denn die interperiodische Stetigkeit setzt eine gewisse Regelmäßigkeit des Anfalls eines Geschäftsvorfalls voraus.10 Ferner spricht für eine Änderung der Abschreibungsmethode, wenn etwa bei Anwendung der linearen Abschreibung bei Vermögensgegenständen immer wieder außerplanmäßige Abschreibungen zur Korrektur des Buchwerts vorgenommen werden mussten.

Trotz dieser Beschränkungen kann ein Gleichklang zwischen UGB und Steuerrecht (und den darin enthaltenen Ausnahmen von der degressiven Abschreibung) mE hergestellt, aber nicht automatisch unterstellt werden, da das EStG aus steuerpolitischen Überlegungen bewusst Ausnahmeregelungen geschaffen hat, die mit betriebswirtschaftlich und damit unternehmensrechtlichen Überlegungen nicht zwangsläufig in Einklang gebracht werden können. Sollte sich aufgrund der Restwertschätzung im UGB ein anderer Prozentsatz ergeben als im EStG erlaubt, besteht eine Abweichung zwischen unternehmensrechtlicher und steuerrechtlicher Gewinnermittlung.

4 Vgl Urnik/Urtz/Rohn/Steinhauser in Straube/Ratka/Rauter, UGB II/RLG3 (2021) § 201 Rz 20/1.

5 Vgl auch Loser/Urnik/Urtz in Straube/Ratka/Rauter, UGB II/RLG3 (2021) § 204 Rz 11/1.

6 Vgl Hast, Grundsätze ordnungsmäßiger Bilanzierung für Anlagegegenstände2 (1935) 226.

7 Vgl Nordmeyer/Glöbel in Beck-HdR, B212 Rz 133 f.

8 Siehe dazu ausführlich Urnik/Urtz/Rohn/Steinhauser in Straube/Ratka/Rauter, UGB II/RLG3 (2021), § 201 Rz 19 ff mwN.

9 Vgl Hofbauer/Schiemer-Haberl/Rohatschek in Bertl/Mandl, Handbuch zum Rechnungslegungsgesetz (2017) § 201 UGB Rz 7.

10 Vgl Hofbauer/Schiemer-Haberl/Rohatschek in Bertl/Mandl, HB Rechnungslegungsgesetz, § 201 UGB Rz 7.

4.Wirkungsweise der degressiven Abschreibung und Steuervorteil

Wie bereits gezeigt, ist der Prozentsatz maßgebend abhängig von der Höhe des geschätzten Restwerts und der Nutzungsdauer des Vermögensgegenstandes. Ein unwesentlicher Restwert liegt bei einem – wie im Steuerrecht vorgesehenen – 30%igen Abschreibungssatz ab einer Nutzungsdauer von zehn Jahren vor.

Betrachtet man den Steuervorteil aus der Anwendung der degressiven Abschreibung, so kann dieser in Form des Barwerts der Steuerzahlungen betrachtet werden. In Tab 1 wird der Barwert (Zinssatz sechs Prozent) der Steuersparnisse (Körperschaftsteuersatz 23 %) aus der degressiven Abschreibung jenem aus der linearen Abschreibung gegenübergestellt. Daraus wir ersichtlich, dass nennenswerte Barwertvorteile erst bei einer Nutzungsdauer von zehn Jahren festgestellt werden können.

Tab 1: Steuervorteil degressive vs

Wird unterstellt, dass der Abschreibungsplan die steuerliche Möglichkeit zum Umstieg auf die lineare Abschreibung beinhaltet, stellt sich die Frage, wann dieser Umstieg erfolgen soll. Bei der Anwendung des Abschreibungssatzes von 30 % ergibt sich ein Vorteil (höhere Abschreibungsbeträge) aus dem Umstieg auf die lineare Abschreibung immer nur in den letzten drei Jahren (dies ergibt sich durch entsprechende Anpassung der Formel). Berücksichtigt man diesen Umstieg in der Vergleichsrechnung des Steuervorteils zur „rein“ degressiven Abschreibung (Tab 2), so zeigt sich, dass kein beachtenswerter Barwertvorteil erkennbar ist.

Darüber hinaus ist neben dem Steuervorteil auch die Wirkungsweise der degressiven Abschreibung im Jahresabschluss zu bedenken. Durch die erhöhten Abschreibungsbeträge in den ersten Jahren der Nutzung ergibt sich nicht nur eine verringerte Steuerzahlung, sondern wird dadurch auch das ausschüttungsfähige Ergebnis stärker verkürzt. Zudem können aufgrund der geringeren Ergebnisse die Kennzahlen des Unternehmens bei Großinvestitionen merklich verschlechtert sein. Hier sollte insbesondere auf die in Kreditverträgen festgehaltenen Vereinbarungen (Financial Covenants) bedacht genommen werden.

Auf den Punkt gebracht

Die im Steuerrecht vorgesehene geometrisch degressive Abschreibung ist im UGB eine anerkannte Abschreibungsmethode. Allerdings ist ein pauschaler 30%iger Abschreibungssatz bei kurzer Nutzungsdauer kritisch zu sehen, weil dabei von einem erheblichen Restwert am Ende der Nutzungsdauer ausgegangen wird. Dem kann nur durch einen bereits im Abschreibungsplan festgehaltenen Umstieg auf die lineare Abschreibung entgegengetreten werden. Ein derartiger Umstieg ist bei Anwendung des 30%-Satzes nur in den letzten drei Jahren vorteilhaft. Die Wahl der degressiven Abschreibung muss dem Wertverzehr des Vermögensgegenstandes widerspiegeln und darf nicht gegen das Willkürverbot verstoßen. Eingeschränkt wird ein Umstieg auf die degressive Abschreibung auch durch das Stetigkeitsprinzip, weil die gewählte Methode auf art- und funktionsgleiche Vermö-

lineare Abschreibung
Tab 2: Steuervorteil degressive vs lineare Abschreibung

gensgegenstände gleichermaßen anzuwenden ist. Ein Gleichklang mit der AfA-Bestimmung im EStG ist möglich und bei längeren Nutzungsdauern sinnvoll. Allerdings darf dies aufgrund der aus steuerpolitischen Gründen enthaltenen Ausnahmen im EStG nicht automatisch vorausgesetzt werden.

Aus Sicht des Steuerbarwertvorteils ist eine Anwendung der degressiven Abschreibung lediglich bei Nutzungsdauern ab zehn Jahren feststellbar. Ein Umstieg auf die lineare Abschreibung führt im Vergleich zur „reinen“ degressiven Abschreibung zu keinen nennenswerten Effekten. Bei der Anwendung der degressiven Abschreibung sind allerdings auch die Auswirkungen auf zB Ausschüttungsbeträge und/oder Kennzahlen, wie sie oft in Kreditverträgen vereinbart werden, zu beachten.

Update zum CBAM

Ausgangslage: Das CO2-Grenzausgleichssystem (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) ist seit 1. 10. 2023 in Kraft. Beim Import bestimmter Produkte (zB Aluminium, Eisen und Stahl, Zement) ergeben sich im Rahmen einer „Übergangsphase“ Meldeverpflichtungen. Der erste Bericht ist für das vierte Quartal 2023 zu erstellen und bis zum 31. 1. 2024 über das CBAM-Übergangsregister einzureichen. Ab 2026 entstehen im Rahmen der „Bepreisungsphase“ tatsächliche Zahlungsverpflichtungen.

• CBAM-Überblick: https://www.bmf.gv.at/themen/klimapolitik/carbon-markets/Carbon-BorderAdjustment-Mechanism-(CBAM)-.html

Standardwerte: Importeure haben bestimmte Angaben, zB zu direkten und indirekten Emissionen, zu machen. Anstelle einer Berechnung der tatsächlichen Emissionen anhand der in der CBAM-VO bzw CBAM-DVO vorgesehenen Methodik kann die Berichterstattung bis 31. 7. 2024 vereinfacht anhand der Verwendung von Standardwerten erfolgen. Diese wurden von der EU-Kommission am 22. 12. 2023 veröffentlicht. Sie werden gesondert für jede CBAM-pflichtige Warenkategorie sowie auf Basis der jeweiligen Zolltarifnummer der Ware veröffentlicht (in Tonnen CO2-Emissionen pro Tonne Ware). Sie stellen einen weltweiten Durchschnitt dar, gewichtet nach Produktionsvolumen, und gelten unabhängig vom Ursprungsland. Achtung: Für die Erstellung des CBAM-Berichts selbst werden zusätzliche Informationen benötigt (zB Angaben zu den Drittlandsproduktionsstätten).

• Standardwerte im Volltext: https://taxation-customs.ec.europa.eu/system/files/2023-12/ Default%20values%20transitional%20period.pdf

Das CBAM-Vollzugsgesetz, BGBl I 2023/196, ist in Kraft seit 2. 1. 2024. Das Amt für den nationalen Emissionszertifikatehandel im Zollamt Österreich ist als für CBAM zuständige Behörde normiert; auf das Verfahren ist die Bundesabgabenordnung sinngemäß anzuwenden. Sanktionszahlungen zwischen 10 und 50 Euro je Tonne nicht gemeldeter Emissionen (laut Standardwerten) können verhängt werden, wenn die betreffende Person

• nicht die erforderlichen Schritte unternommen hat, um ihrer Verpflichtung zur Abgabe eines CBAM-Berichts nachzukommen, oder

• einen unrichtigen oder unvollständigen CBAM-Bericht abgegeben und trotz Einleitung eines Berichtigungsverfahrens durch die Behörde nicht die erforderlichen Schritte zur Berichtigung unternommen hat.

Höhere Strafen bis zu 100 Euro je Tonne sind möglich, wenn mehr als zweimal in Folge unvollständige oder unrichtige CBAM-Berichte abgegeben werden oder die Dauer der Nichtmeldung mehr als sechs Monate beträgt. Es findet sich keine explizite Regelung, ob bzw unter welchen Voraussetzungen in derartigen Fällen von einer Verhängung einer Strafe (teilweise) abgesehen werden kann.

Thomas Bieber / Peter Pichler

Digital Audit

Digitale Transformation in der Wirtschaftsprüfung

Wirtschaftsprüfung

Einblicke

in den

Markus Isack*

Start einer neuen digitalen Ära

Sind die Wirtschaftsprüfung und die Unternehmensrechnung automatisierbar?

Aktuellen Studien und Risikoeinschätzungen folgend, gehört die Branche – so wie auch die Rechtsberatung1 – durch die Einführung von Sprachmodellen wie ChatGPT und anderen KI-Systemen zu den Top Ten der am meisten betroffenen Bereichen.2 Daher ist es nicht überraschend, dass das Thema Technologie von internationalen Regulatoren als einer der wichtigsten strategischen Treiber in der Wirtschaftsprüfung angesehen wird, der die Entwicklung von Standards und künftigen Aktivitäten maßgeblich beeinflussen wird. Zugleich zeigt sich, dass die Branche selbst die Kosten der Einführung, ihre eigene Mentalität (Abneigung gegen Veränderungen) sowie die nötigen Fertigkeiten und Schulungen als die drei größten Eintrittsbarrieren zum Einsatz von Technologie in der Prüfung sehen.3 Die Überwindung dieser Barrieren ist durch gezielte Bildungsmaßnahmen,4 intensivierte Kooperationen zwischen Wirtschaftsprüfungskanzleien und durch das Aufzeigen von Einsatzbeispielen möglich.5 Dieser Beitrag bringt konkrete Einsatzbeispiele, stellt einschlägige digitale Plattformen vor und zeigt zukünftige Potenziale auf, die auch von mittelständischen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften genutzt werden können.6

1.Digitale Innovationen für die Wirtschaftsprüfung

Die digitale Innovation in der Wirtschaftsprüfung findet nicht nur bei den Prüfungsmethoden statt, sondern ist gesamthaft zu betrachten.7 Abb 1 stellt dies vereinfacht und prozessorientiert dar. Im digitalen Zeitalter der Wirtschaftsprüfung werden signifikante Fortschritte erzielt. Dies zeigt sich im verbesserten Datenaustausch, in der effizienteren Kommunikation mit Mandanten und in den Prüfungsmethoden. Automatisierte Prüfungsschritte8 und Datenanalysen sowie die Beschleunigung der Aufbereitung von Prüfungsunterlagen führen zu effektiveren Prüfungsergebnissen und Dokumentationen.

An der Verbindung zwischen Mandant und Wirtschaftsprüfer werden stetig jene digitalen Plattformen weiterentwickelt, die die Kommunikation verbessern sollen. Es wird aber auch daran gearbeitet, dass Daten so aufbereitet werden, dass diese für digitale Prüfungsmethoden zugänglicher werden (Stichwort: API-Lösungen, standardisierte Datenübermittlungsformate9).

*Dr. Markus Isack ist Post-Doc an der Abteilung für Unternehmensrechnung und Revision der WU Wien und Projektkoordinator im Board Service Center.

1 Felten/Raj/Seamans, How will Language Modelers like ChatGPT Affect Occupations and Industries? (Stand 6. 3. 2023) abrufbar unter https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=4375268 (Zugriff hier und in der Folge am 18. 12. 2023).

2 Vgl Gierbl/Schreyer/Borth/Leibfried, Deep Learning für die Wirtschaftsprüfung, IRZ 2021, 349 (349 ff).

3 IAASB, Disruptive Technologies Roundtable Summary (Stand 16. 3. 2022) abrufbar unter https://www.iaasb.org/publi cations/disruptive-technologies-roundtable-summary

4 Vgl Klauser/Teitler-Feinberg, Die Wirtschaftsprüfung auf der Überholspur, IRZ 2022, 300 (300 ff).

5 IAASB, Disruptive Technologies Roundtable Summary (Stand 16. 3. 2022) abrufbar unter https://www.iaasb.org/publi cations/disruptive-technologies-roundtable-summary.

6 Bedarf dafür wurde etwa von Marten/Föhr/McIntosh, KI-basierte Datenanalysen und risikoorientierter Prüfungsansatz, WPg (2022), 898 (898 ff) aufgezeigt.

7 Vgl Marten/Graschitz, Digitalisierung in der Wirtschaftsprüfung – Herausforderungen und Chancen, in Institut Österreichischer Wirtschaftsprüfer/Kerschbaumer, Wirtschaftsprüfer-Jahrbuch 2020 (2020) 3 (4 ff); Marten/Hofstetter/Reichelt/ Schleehuber, Wirtschaftsprüfung und Künstliche Intelligenz, WPg (2020), 1331 (1331 ff).

8 Vgl IAASB, IAASB Digital Technology Market Scan: Robotic Process Automation (Stand 12. 1. 2023) abrufbar unter iaasb.org/news-events/2023-01/iaasb-digital-technology-market-scan-robotic-process-automation

9 Vgl IAASB, IAASB Digital Technology Market Scan: API Access (Stand 20. 1. 2023) abrufbar unter iaasb.org/newsevents/2022-01/iaasb-digital-technology-market-scan-api-access.

automa sche Prüfschri e (etwa Robot Process Automa on) Digital Audit

Kommunika on und Datenaustausch mit Mandanten

(u.a. Big4 Lösungen, Caseware Cloud)

Datenanalysen

(u.a. KPMG „App-Store“, EY Helix, PwC Halo, Caseware IDEA, Mindebridge.AI)

manuelle Prüfung (ua. unterstützt durch Notes Auditor, Sustain.AI Audi ng Co-Pilot und andere GPTs)

Abb 1: Digital Audit aus prozessorientierter Sicht; Quelle: eigene Darstellung

Prüfungsergebnis und Dokumenta on

Die digitalen Innovationen, die den Prüfungsmethoden zuzuordnen sind, umfassen etwa die Überprüfung von Unternehmensinformationen in digitaler Form, indem zB die Korrelation zwischen verschiedenen Arten von Transaktionen untersucht wird, den Vergleich von Unternehmensinformationen mit Informationen von Dritten, die Durchführung digitaler analytischer Verfahren mit den Saldenlisten oder Transaktionen des Unternehmens sowie die eigenständige Neuberechnung von Unternehmensinformationen. Die technologiegestützten Analysen können (in Zukunft) in fast allen Prüfbereichen – einschließlich jener, die aufgrund von Fehlern oder Betrug erhebliche Risiken einer wesentlichen Falschdarstellung in den Finanzberichten bergen – eingesetzt werden.10 In Abb 2 sind aktuelle Technologietrends den verschiedenen Bereichen der Wirtschaftsprüfung zugeordnet.

Zugriff auf Informa onen & Daten

• Einsatz von Sprach-und Computer Vision Modellen für die Digitalisierung von Dokumenten KI für die Gewinnung von Einsichten aus unstrukturierten Daten

• API-Zugang zu externen Datenquellen für erweiterte Analysen Pla ormen zur Datenstandardisierung, um den Datenzugang zu ermöglichen

• IoT-Netzwerke für die Überwachung von Vermögenswerten und Datengenerierung Neue Bildgebungstools (etwa Laserscans für Digital Twins) zur Erfassung von physischen Daten vor Ort Blockchain für die Digitalisierung von Finanztransak onsregistern

Überprüfung von Informa onen

• "Roboter"gesteuerte Prozessautoma sierung zur Ausführung repe ver Aufgaben KI-gesteuerte Analy k zur Bewertung von Daten, Fehler-und Betrugserkennung

• KI-gestützte fortgeschri ene Analy k für Risikoerkennung und die Gestaltung von Key Risk Indicators (KRIs)

Schutz von Informa onen

• Virtuelle Datenräume zum Teilen sensibler Dateien Datenanonymisierung zur Filterung sensibler Informa onen

• Homomorphe Verschlüsselung zur Analyse verschlüsselter Daten

Bewertung interner Kontrollen

• OCR und KI-Sprachmodelle für intelligente Dokumenten-und Sprachanalyse KI zur Erkennung externer Bedrohungen und Risiken

• Simula onen zum Testen von Kontrollmechanismen und -poli ken Process Mining und Computer Vision zur Überwachung der Einhaltung von Kontrollen

• KI und verhaltensbasierte Analy k zur Überwachung des Verhaltens von Mitarbeitern und der Kommunika on

Abb 2: Digitale Innovationen für die Wirtschaftsprüfung; Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an IAASB, Technology Disruption in Audit and Assurance (Stand Jänner 2021)

10 Public Company Accounting Oversight Board, Proposed Amendments Related to Aspects of Designing and Performing Audit Procedures that Involve Technology-Assisted Analysis of Information in Electronic Form (Stand 26. 6. 2023) abrufbar unter https://assets.pcaobus.org/pcaob-dev/docs/default-source/rulemaking/docket-052/pcaob-release-no.-2023004-technology-assisted-analysis.pdf?sfvrsn=b801ffd0_4

Diese Technologietrends wurden im Jahr 2020 vom International Auditing and Assurance Standards Board (IAASB) evaluiert, um deren Potenzial für die Wirtschaftsprüfung zu bestimmen und den jeweiligen Reifegrad zu beurteilen. So wird kurzfristig ein signifikantes Potenzial in der Nutzung von API-Schnittstellen zu externen Datenquellen gesehen, während in der Automatisierung repetitiver Arbeitsschritte sowie in natürlicher Sprachverarbeitung (NLP) und Computer Vision für die Digitalisierung von Dokumenten mittelfristig (zwei bis sieben Jahre) ein besonderes Momentum für die Wirtschaftsprüfung erkannt wird. Langfristig (in über sieben Jahren) deutet sich an, dass KI-gesteuerte Analytik für die Risikoerkennung sowie Plattformen zur Datenstandardisierung für die Wirtschaftsprüfung von Bedeutung sein werden (siehe Abb 3).11

Abb 3: Potenzial digitaler Innovationen für die Wirtschaftsprüfung; Quelle: IAASB, Technology Disruption (Stand Jänner 2021)

Zwar sind die Technologietrends aus dem Jahr 2020 grundsätzlich noch aktuell. Es zeigt sich aber, dass die Innovationsgeschwindigkeit deutlich schneller geworden ist. So war im Jahr 2020 zB noch nicht absehbar, dass disruptive Sprachmodelle wie ChatGPT bereits 2022 öffentlich verfügbar sein würden. In der Folge wird ein Einblick in drei signifikante bzw mit besonderem Momentum verbundene Technologietrends und bereits heute bestehende Tools gegeben.

2.Next Generation Technology

2.1.Die Plattform Mindbridge.AI

Die Plattform Mindbridge.AI (www.mindbridge.ai) basiert auf dem Prinzip des KI-Co-Piloting im Bereich der Wirtschaftsprüfung und nutzt KI-Technologie, um finanzielle Transaktionen anhand von Risiko-Scores zu bewerten. Das Ziel von Mindbridge.AI ist es dabei nicht, Wirtschaftsprüfer zu ersetzen, sondern die arbeit sintensiven Datenanalyseaufgaben zu übernehmen. Dies ermöglicht es den Prüfern, in den Daten ihrer Mandanten wesentliche Erkenntnisse rascher und effektiver zu entdecken.

MindBridge.AI analysiert dafür Daten der Buchhaltung mithilfe von über 70 Kontrollpunkten, um das Risikoniveau jeder einzelnen Transaktion in einem Unternehmen zu bestimmen. Eine besondere Eigenschaft der Plattform ist dabei, wie die Erkennung bestehender Muster in den Daten erfolgt. Dafür werden einerseits regel- und statistikbasierte Kontrollpunkte (etwa auf Basis von

11 IAASB, Technology Disruption in Audit and Assurance (Stand Jänner 2021) abrufbar unter https://www.ifac.org/_flysystem/ azure-private/meetings/files/20210126-IAASB-Agenda-Item-1-A-Disruptive-Technologies-Research-Summary_0.pdf

von Wirtschaftsprüfern definierten risikobehafteten Buchungen12), andererseits aber auch KI-Logiken (zB Außreißeranalyse13 oder Erkennung seltener Buchungsvorgänge14) überprüft, um ein tieferes Verständnis für die Buchungen im Unternehmen auf einer detaillierten Ebene zu ermöglichen. MindBridge.AI liefert damit ein vergleichsweise rasches Verständnis über Risik- und mögliche Prüffelder im Unternehmen.

Die über 70 Kontrollpunkte von MindBridge.AI tragen dazu bei, ein für die jeweiligen Unternehmensdaten relevantes Dashboard zu erstellen, um bekannte und unbekannte Risiken zu identifizieren. Die Plattform gibt einen Gesamtüberblick über Transaktionen und Risikofelder (Abb 4), kann aber bis auf Buchungsebene auch einzelne Risikofelder (Abb 5) darstellen. Die vom Wirtschaftsprüfer und von Mindbridge.AI identifizierten Risikofelder können abschließend für einen Prüfungsplan und für die Dokumentation exportiert werden.

Abb 4: Dashboard auf Mindbrige.AI

Abb 5: Risikodashboard auf Einzeltransaktionsebene auf MindBridge.AI

12 Etwa wird eine Ausbuchung von immateriellen Vermögenswerten, die gegen ein Konto „Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern“ gebucht wurde, als hochriskant eingestuft, da es sich um ein subjektiv bewertetes Vermögen handelt, das übertragen wurde. Eine wenig riskante Buchung wäre etwa eine Reduzierung der kurzfristigen Verbindlichkeiten gegen das Bankkonto.

13 Ausreißer werden durch Analyse von Buchungsbeträgen der Quell- und Zielkonten sowie durch Kontenkreuzverwendungen, Häufigkeit ähnlicher Buchungen und Nähe zum Monatsende ermittelt. MindBridge.AI bewertet Anomalien durch Fragen nach der gegenseitigen Beziehung und Nähe von Buchungsvorgängen, um so ungewöhnliche Beziehungen aufzudecken. Anders gesagt stellt sich das System die Fragen: „Welche Buchungsvorgänge sind die nächsten Nachbarn zu Buchungsvorgang A? Würden sich die Nachbarn von Buchungsvorgang A ebenfalls als Nachbarn von Buchungsvorgang A betrachten?“

14 Enthält das Hauptbuch zB 1.000.000 Buchungen und das Konto „Reisekosten“ sowie das „Bargeldkonto“ kommen nur einmal gemeinsam in den Buchungen vor, würde dieser einzelne Buchungsvorgang zwischen den Konten als anomal angesehen werden.

2.2.Sprachmodelle

Bereits heute existieren Plattformen, die in der Wirtschaftsprüfung für die Prüfung unstrukturierter Daten (zB Lage- und Nachhaltigkeitsberichte) genutzt werden. So bietet etwa der Notes Auditor von Deep Neuron Lab (www.dnl.ai) Wirtschaftsprüfern die Möglichkeit, auf Basis von Checklisten15 direkt den Anhang zu überprüfen. Dabei wird – ähnlich wie bei MindBridge.AI –einerseits auf regelbasierte Checks gesetzt und andererseits Machine Learning eingesetzt. Um eine geeignete Prüfungssicherheit zu erlangen, wird bei Machine-Learning-Ansätzen, bei denen keine abschließende regelbasierte Prüfung des Ergebnisses erfolgen kann, ein Human-in-theLoop- bzw Co-Piloting-Ansatz gewählt. Der menschliche Prüfer muss das Ergebnis also noch einmal validieren. Das reduziert den Aufwand in der Prüfung erheblich, weil somit in Zukunft die Prüfungsaufgaben vermehrt von „Prüfungsteam prüft eigenständig und erzeugt Daten“ zu „Prüfungsteam überprüft und bearbeitet KI-Ergebnisse“ übergehen.16

Eine weitere Plattform ist Sustain.AI, die vom Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme für Wirtschaftsprüfer entwickelt wurde. Mithilfe eines Sprachmodells und durch Bilderkennung kann die Plattform einzelnen Textpassagen in einem Nachhaltigkeitsbericht die entsprechenden Anforderungen an einen solchen (aktuell implementiert ist der GRIStandard) zuordnen und dergestalt eine schnelle und strukturierte Analyse ermöglichen. Dabei ist die Plattform selbstlernend und lernt durch das Feedback des Wirtschaftsprüfers laufend weiter, um die Textkategorisierung auf die jeweiligen Standards noch genauer zu ermöglichen. Für Informations- und Demonstrationszwecke kann die Plattform kostenlos auf der Kompetenzplattform KI.NRW getestet werden (short.wu.ac.at/sustain-ai).

2.3.ChatGPT Auditing Co-Pilot

ChatGPT findet in der Unternehmenswelt zunehmend Beachtung17 und ist mit keiner anderen digitalen Innovation vergleichbar. Diese künstliche Intelligenz hat für ihre Fähigkeit, kohärente und kontextbezogene Outputs wiederzugeben, weltweite Anerkennung erlangt. Gleichzeitig bestehen jedoch Herausforderungen in Bezug auf Sicherheits- und Datenschutzrisiken, Voreingenommenheit und Genauigkeitsprobleme, die im Hinblick auf die Wirtschaftsprüfung von besonderer Bedeutung sind. Dessen ungeachtet ist diese Art von Technologie als eine der aktuell revolutionärsten anzusehen und unterstützt Prüfungsteams bei der Bewältigung komplexer Aufgaben.18

ChatGPT kann in der Wirtschaftsprüfung zB in folgenden Anwendungsfeldern genutzt werden:

• Entwürfe für Schriftverkehr zwischen Mandant und Prüfungsteam;

• Identifizierung von Anomalien in Daten;

• Unterstützung und Schulung von Wirtschaftsprüfern;

• Berichtsautomatisierung;

• Prüfung unstrukturierter Textdaten (zB Verträge oder Lageberichte).

ChatGPT ermöglicht dabei eine konsistente Darstellung und Analyse von Prüfungshandlungen, etwa weil standardisierte Abläufe, die kontextspezifische Informationen automatisch berücksichti-

15 Aktuell auf Basis der IDW-Checklisten zum Einzel- und Konzernabschluss, wobei auch Individualisierungen möglich sind.

16 Deep Neuron Lab, Künstliche Intelligenz in der Wirtschaftsprüfung, Webinar vom 28. 9. 2023.

17 Vgl Hacker, Wird ChatGPT das Rechnungswesen revolutionieren? IRZ 2023, 117 (117 ff); Leitner-Hanetseder/Losbichler/ Altendorfer, Generative KI im Controlling – Wie können Large Language Modelle das Controlling verändern? CFO aktuell 2023, 168 (168 ff).

18 Fotoh/Mugwira, The Use of ChatGPT in External Audits: Implications and Future Research (Stand 19. 3. 2023) abrufbar unter https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=4453835

gen, mittels Prompt Engineerings19 definiert werden können. Diese Funktionen sparen Zeit und können das Risiko menschlicher Fehler potenziell reduzieren. Zudem kann ChatGPT bei der Bewertung von Risiken unterstützen, indem die Technologie zB Prüfungshandlungen zu spezifischen Prüfungsthemen gemeinsam mit dem Wirtschaftsprüfer erarbeitet und so auch in der Schulung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern genutzt werden kann.20

Trotz der genannten Vorteile müssen bei der Implementierung von ChatGPT und anderen Sprachmodellen einige Herausforderungen berücksichtigt werden. Eine wesentliche Herausforderung ist die Notwendigkeit menschlicher Aufsicht. So zeigt eine aktuelle Studie der Abteilung für Unternehmensrechnung und Revision der WU Wien, dass ChatGPT in der Version GPT-4 in spezifischen Einsatzbereichen bereits ein Urteilsvermögen besitzt, das mit dem eines menschlichen Prüfers vergleichbar ist.21 Allgemein ist es für Wirtschaftsprüfer jedoch unerlässlich, die von ChatGPT generierten Daten zu bewerten und zu interpretieren. Da ChatGPT Kontexte und Nuancen (noch) nicht gesamthaft begreifen kann, kann die Technologie das Urteilsvermögen und die Erfahrung menschlicher Prüfer nicht ersetzen. Sprachmodelle wie ChatGPT können aber fachspezifisches Wissen und Verständnis für die Rahmenbedingungen des zu prüfenden Unternehmens mitbringen oder durch den Prüfer erhalten. Dabei stellt insbesondere die menschliche Aufsicht sicher, dass schlussendlich die Prüfer für ihre Entscheidungen und die Qualität ihrer Arbeit verantwortlich sind und diese professionelle Standards einhalten.

In Bezug auf den aktuellen Stand kann ein Co-Piloting-Ansatz, ähnlich jenem von Microsoft 365 Copilot, helfen. Dabei agieren der Prüfer und das Sprachmodell nicht nur als Benutzer und Plattform, sondern sie navigieren gemeinsam durch die Prüfung. Sprachmodelle werden vom Prüfer zB mit kontextrelevanten Inhalten erweitert bzw verfeinert (zB mit IFRS-, ESRS-, IAS-, IDW- oder KFS-Checklisten) und können so bessere Outputs liefern.22 Die Interaktion zwischen dem Prüfer und dem Sprachmodell ist dabei ein kontinuierlicher und iterativer Dialog. Der Verlauf des Dialogs ermöglicht es dem Prüfer, die Ausrichtung des Prüfungsprozesses zu steuern. Dadurch zeigt sich, dass der Weg zu einem autonomen Entscheidungssystem immer mehr vorgezeichnet werden kann.23

Ein solches individualisiertes Wirtschaftsprüfungs-Co-Piloting-GPT-System in ChatGPT wurde zu Informations- und Demonstrationszwecken durch das Board Service Center und die Abteilung für Unternehmensrechnung und Revision der WU Wien entwickelt und kann von Abonnenten von ChatGPT Plus.24 kostenlos genutzt werden (short.wu.ac.at/auditing-copilot). Der Auditing CoPilot wurde auf Basis aktueller wissenschaftlicher Studien zu ChatGPT und Prompt Engineering entwickelt, kann zusätzlich auf die aktuellen ISA-Standards zurückgreifen und so ua Hilfestellung bei der Prüfungsplanung, der Erstellung von Prüfungsdokumentationen oder beim Feedback zu durchgeführten Prüfungshandlungen leisten.25

19 Prompt Engineering beschreibt Strategien und Taktiken, um bessere Ergebnisse von Sprachmodellen wie ChatGPT zu erzielen.

20 Gu/Schreyer/Moffitt/Vasarhelyi, Artificial Intelligence Co-Piloted Auditing (Stand 10. 5. 2023) abrufbar unter papers.ssrn.com/ sol3/papers.cfm?abstract_id=4444763.

21 Isack, Replicating Reason: The Advent of Human-like Audit Judgment by Generative AI, Working Paper 2023, 1 (1 ff).

22 Hillebrand et al, Improving Zero-Shot Text Matching for Financial Auditing with Large Language Models (Stand 11. 8. 2023) abrufbar unter arxiv.org/abs/2308.06111.

23 Gu/Schreyer/Moffitt/Vasarhelyi, Artificial Intelligence Co-Piloted Auditing (Stand 10. 5. 2023)

24 Dies ist das kostenpflichte Abo-Modell von OpenAI für ChatGPT, wodurch auch der Zugang zum signifikant leistungsstärkeren GPT-4-Sprachmodell und zu individuellen GPTs freigeschalten wird (https://openai.com/chatgpt).

25 Die Antworten des Auditing Co-Pilots dienen nur zu Informations- und Demonstrationszwecken und können fehlerhaft sein. Aus diesem Grund ersetzen sie das fachliche Urteil nicht und stellen nur Vorschläge dar. Die Qualität der Antworten ist wesentlich von den gestellten Fragen abhängig, die auch mittels Prompt Engineerings verbessert werden können (short.wu.ac.at/prompt-engineering-guide).

Auf den Punkt gebracht

Die digitale Transformation in der Wirtschaftsprüfung markiert einen durch eine zunehmende Integration von KI-Technologien wie ChatGPT sowie anderen digitalen Tools und Plattformen charakterisierten Wendepunkt. Diese Entwicklung signalisiert einen Paradigmenwechsel von traditionellen manuellen Prüfungsansätzen hin zu einem technologiegestützten effizienten Prüfungsprozess. Plattformen wie Mindbridge.AI, Notes Auditor und Sustain.AI veranschaulichen diese Entwicklung eindrucksvoll, indem sie zeigen, wie KI-gestützte Analysen und Sprachmodelle in der Risikobewertung und Prüfung unstrukturierter Daten genutzt werden können. Die Rolle künstlicher Intelligenz in der Wirtschaftsprüfung beschränkt sich dabei nicht nur auf die Automatisierung von Routineaufgaben, sondern umfasst auch die Unterstützung komplexer Analyseprozesse, was zu einer Effizienz- und Qualitätssteigerung führt. Gleichzeitig ist auch die Bedeutung menschlicher Expertise selbst in einer zunehmend von künstlicher Intelligenz dominierten Umgebung in der Wirtschaftsprüfung zu betonen. Der aufgezeigte Co-Piloting-Ansatz zeigt, dass die Integration künstlicher Intelligenz in den Prüfungsprozess nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung menschlicher Fähigkeiten zu verstehen ist. Die menschliche Urteilsfähigkeit bleibt unerlässlich, insbesondere bei der Bewertung und Interpretation KI-generierter Daten. Zukünftige Entwicklungen werden wahrscheinlich darauf abzielen, KI-Technologien weiter zu verbessern und diese noch stärker in den Prüfungsprozess zu integrieren, während gleichzeitig die Notwendigkeit besteht, die Herausforderungen hinsichtlich Zuverlässigkeit und Genauigkeit, Datenschutz- und Sicherheitsbedenken sowie (unbekannter) Voreingenommenheit zu bewältigen. Dafür ist es unerlässlich, die rasche technologische Entwicklung einer regelmäßigen Überprüfung zu unterziehen und mit einem laufenden Schulungsangebot für Wirtschaftsprüfer zu unterstützen. Die rasante Entwicklung im Bereich der digitalen Innovation deutet darauf hin, dass in der Wirtschaftsprüfung in Zukunft künstliche Intelligenz und menschliche Expertise noch stärker zusammenarbeiten werden (müssen), um die Integrität und Qualität der Prüfungsergebnisse zu gewährleisten und weiter zu verbessern.

Zeugnisverweigerung

Eingeschränktes Aussageverweigerungsrecht für Wirtschaftsprüfer?

Wirtschaftsprüfung Anmerkungen zu einer Entscheidung des OLG Wien

Severin Glaser*

Dieser Beitrag beleuchtet den Beschluss des OLG vom 29.7.2021, 21 Bs 406/20i,1 dem zufolge das Aussageverweigerungsrecht nach §157 Abs1 Z2 StPO im Hinblick auf Wirtschaftsprüfer eingeschränkt sein soll.

1.Überblick

§157 Abs1 StPO zählt Personengruppen auf, die – zumeist vor dem Hintergrund grundrechtlich geschützter Positionen, insbesondere dem Selbstbelastungsverbot (nemo tenetur se ipsum accusare als Teilaspekt des Rechts auf ein faires Verfahren nach

*Univ.-Prof. Dr. Severin Glaser ist Professor für Finanz- und Wirtschaftsstrafrecht am Institut für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie der Universität Innsbruck.

1 OLG Wien 29.7.2021, 21 Bs 406/20i, 21 Bs 407/20m, 21 Bs 408/20m, 21 Bs 409/20f, 21 Bs 410/20b.

Art6 EMRK und Art47 GRC sowie als Ausfluss des Art90 B-VG) – zur Verweigerung der Aussage als Zeuge berechtigt sind. §157 Abs1 Z2 StPO nennt hierbei „Verteidiger, Rechtsanwälte, Patentanwälte, Verfahrensanwälte in Untersuchungsausschüssen des Nationalrats, Notare und Wirtschaftstreuhänder über das, was ihnen in dieser Eigenschaft bekannt geworden ist“. Dieses Aussageverweigerungsrecht darf nach §§144 Abs2, 157 Abs2 StPO auch nicht umgangen werden, insbesondere nicht durch Sicherstellung oder Beschlagnahme von Unterlagen oder Datenträgern mit entsprechenden Informationen oder durch Vernehmung von Hilfskräften etc. Der Wortlaut der Bestimmung scheint – auch in Bezug auf Wirtschaftstreuhänder – eindeutig: Alle Informationen, die Wirtschaftstreuhändern in dieser Eigenschaft bekannt werden, unterliegen dem Recht zur Verweigerung einer Zeugenaussage. Dennoch hat das OLG Wien in Bezug auf Wirtschaftsprüfer eine anderslautende Entscheidung getroffen.

2.Ausgangsrechtsstreit und Argumentation der betroffenen Parteien

Dem Beschluss des OLG liegt ein Ermittlungsverfahren der WKStA zugrunde, in welchem den Beschuldigten ua schwerer Betrug und Untreue iZm gemeinnützigen Wohnbauvereinigungen vorgeworfen wurde. Die wirtschaftlichen Verhältnisse und die Ordnungsmäßigkeit dieser gemeinnützigen Wohnbauvereinigungen waren nach §§5, 28 und29 WGG auch im für den Tatverdacht relevanten Zeitraum durch einen Revisionsverband geprüft worden. Die WKStA forderte den Revisionsverband auf, sämtliche bezughabende Unterlagen herauszugeben, was dieser unter Hinweis auf das Aussageverweigerungsrecht nach §157 Abs1 Z2 StPO ablehnte, und zwar nicht nur schriftlich, sondern auch persönlich durch den eingesetzten Wirtschaftsprüfer anlässlich seiner Vernehmung. Die daraufhin beantragte Durchsuchung der Räumlichkeiten des Revisionsverbands wurde vom LG bewilligt und in der Folge durchgeführt. Der Revisionsverband wandte sich daraufhin mit einer Beschwerde gegen den Beschluss des LG sowie mit Einsprüchen wegen Rechtsverletzung gegen die Anordnung und Durchführung der bewilligten Maßnahmen.

Darin brachte der Revisionsverband im hier interessierenden Zusammenhang zunächst vor, dass der Revisionsverband ebenso wie Revisoren einer Verschwiegenheitspflicht nach §10 Abs1 GenRevG unterläge und deshalb ein Recht zur Aussageverweigerung nach §157 Abs1 Z2 StPO hätte. Als Revisoren kämen ua Wirtschaftsprüfer, Steuerberater sowie Wirtschaftsprüfungs- oder Steuerberatungsgesellschaften in Betracht, für die sich das Entschlagungsrecht bereits aus dem Wortlaut des §157 Abs1 Z2 StPO ergebe; darüber hinaus komme aber auch anderen Revisoren ein solches Recht zu, weil sie wie Wirtschaftstreuhänder als Abschlussprüfer tätig würden. Zudem bestehe zwischen dem Revisionsverband und seinen Mitgliedern ein besonders schützenswürdiges Vertrauensverhältnis, da der Revisionsverband auch als Vertreter in Abgabenverfahren auftreten könne. Auch dieses Vertrauensverhältnis sei durch §157 Abs1 Z2 StPO geschützt. Die Sicherstellungen und Beschlagnahmen sowie die Vernehmung der Hilfskräfte des Revisionsverbands würden deshalb gegen das Umgehungsverbot des Aussageverweigerungsrechts verstoßen.

3.Ausführungen des OLG Wien

Das OLG Wien gab den Beschwerden und Einsprüchen nicht Folge. Nachvollziehbar ist dabei zunächst das Argument, dass ein Aussageverweigerungsrecht nur natürlichen Personen zukommen könne, weil nur natürliche Personen als Zeugen vernommen werden könnten. Deshalb könnte ein Revisionsverband als juristische Person das Aussageverweigerungsrecht nicht für sich geltend machen. Ebenso wenig könnte der Revisionsverband, der die Vertretung der konkret mit der Prüfung befassten Revisoren nicht einmal behaupte, das höchstpersönliche Aussageverweigerungsrecht für diese Revisoren geltend machen. In diesem Sinne könnte auch schon aus formalen Gründen ein Verstoß gegen das Umgehungsverbot des Aussageverweigerungsrechts durch den Revisionsverband nicht geltend gemacht werden.

Über dieses formale Argument hinaus setzt sich das OLG Wien aber auch mit der Reichweite des durch §157 Abs1 Z2 StPO erfassten Personenkreises auseinander. Das OLG widerspricht dabei – ebenfalls nachvollziehbar – den Beschwerdeausführungen im Hinblick auf die Relevanz berufsrechtlicher Verschwiegenheitspflichten, wie sie nicht nur in §10 Abs1 GenRevG enthalten sind, sondern etwa auch im WTBG (das OLG nimmt insoweit mehrfach auf den schon lange ersetzten §91 WTBG alt statt auf §80 WTBG 2017 Bezug): Auf diese stelle §157 Abs1 Z2 StPO nicht ab. Das Aussageverweigerungsrecht richte sich alleine nach der StPO, die berufsrechtlichen Verschwiegenheitspflichten ordneten sich den jeweils verfahrensspezifischen Interessen unter, indem sie auf das Verfahrensrecht zurückverwiesen; andernfalls müsste sämtlichen Berufsgruppen, denen eine Verschwiegenheitsverpflichtung auferlegt ist, das Aussageverweigerungsrecht zukommen, auch wenn sie in §157 Abs1 Z2 StPO nicht erwähnt wären. Revisoren und Revisionsverbände seien als solche in §157 Abs1 Z2 StPO nicht genannt und deshalb nicht entschlagungsberechtigt.

Schließlich geht das OLG Wien aber noch weiter und führt aus, dass auch Wirtschaftstreuhändern das Aussageverweigerungsrecht des §157 Abs1 Z2 StPO nicht immer zukomme. Zwar wären vom Begriff des Wirtschaftstreuhänders sowohl Steuerberater als auch Wirtschaftsprüfer erfasst, doch wohne §157 Abs1 Z2 StPO auch eine thematische Begrenzung inne, die in der Formulierung „in dieser Eigenschaft“ zum Ausdruck komme. Da das Zeugnisverweigerungsrecht den Sinn habe, das verfassungsrechtlich geschützte Selbstbelastungsverbot, das Recht auf Verteidigung und die Vertrauenssphäre zwischen Vertreter und Vertretenem zu schützen, nicht aber Beweise im Strafverfahren generell zu immunisieren, beziehe sich diese Formulierung zum einen allein auf Informationen, die der Mandant seinem „Verteidiger etc“ gebe, auf Mitteilungen Dritter, die dem Verteidiger in seiner beruflichen Funktion anvertraut würden, und auf Informationen, die der Verteidiger in dieser Eigenschaft erlangte. Zum anderen sei eine berufliche Tätigkeit vorausgesetzt, die den Schutz mitgeteilter Informationen durch das Aussageverweigerungsrecht erfordere, was ausschließlich bei Tätigkeiten der Rechtsberatung, Rechtsvertretung und Verteidigung der Fall sei: Nur insoweit sei nämlich zu befürchten, dass der Beschuldigte durch die Befassung des Parteienvertreters ein Beweismittel gegen sich selbst schafft. Wirtschaftsprüfer, die seit 2018 nicht mehr zur Vertretung und Unterstützung vor den Abgaben- und Finanzstrafbehörden befugt sind, komme nur dort das Aussageverweigerungsrecht nach §157 Abs1 Z2 StPO zu, wo sie rechtsberatend und rechtsvertretend tätig seien und aufgrund dieser Tätigkeit in den Besitz von Unterlagen oder Informationen gelangten. Bei einer Prüfung, die wie jene der gemeinnützigen Bauvereinigungen nach dem GenRevG ausschließlich aufgrund einer gesetzlichen Vorschrift (und nicht etwa aufgrund eines Auftrags) und unabhängig sowie weisungsfrei durchzuführen sei, sei insoweit überhaupt kein Raum für ein Zeugnisverweigerungsrecht vorstellbar. All diese Ausführungen zum Aussageverweigerungsrecht seien auch auf die Umgehungsverbote zu übertragen: Es bestehe kein grundsätzliches Verbot der Durchsuchung von Räumlichkeiten eines Berufsgeheimnisträgers. Vielmehr müsse auch insoweit stets auf den Zweck des Aussageverweigerungsrechts abgestellt werden, nämlich davor zu schützen, durch die Beauftragung eines Verteidigers, Wirtschaftsprüfers etc ein Beweismittel gegen sich selbst zu schaffen.

4.Eigene Stellungnahme

Die Auslegung des §157 Abs1 Z2 StPO durch das OLG Wien, derzufolge – nicht nur bei Wirtschaftsprüfern, sondern auch bei den anderen in der Bestimmung genannten Berufsgruppen –das Aussageverweigerungsrecht thematisch auf Informationen beschränkt sei, die durch die Tätigkeiten der Rechtsberatung, Rechtsvertretung und Verteidigung erlangt wurden, wird zwar teilweise auch in der Literatur geteilt,2 widerspricht mE aber dem Wortlaut der Bestimmung.

2 Kirchbacher/Keglevic in Fuchs/Ratz, WK StPO, §157 Rz16.

Die Wendung „in dieser Eigenschaft“ bezieht sich dem Satzbau des §157 Abs1 Z2 StPO zufolge auf die Eigenschaft als Verteidiger, Rechtsanwalt, Patentanwalt, Verfahrensanwalt im Untersuchungsausschuss, Notar oder Wirtschaftstreuhänder, nimmt also Bezug auf die Normen, die die jeweilige Eigenschaft definieren. Für Wirtschaftstreuhänder ergibt sich das aus dem WTBG 2017 und umfasst – da der Begriff des Wirtschaftstreuhänders sowohl Steuerberater als auch Wirtschaftsprüfer einschließt (§1 WTBG) – mE folglich alle nach §2 WTBG (für Steuerberater) und §3 WTBG (für Wirtschaftsprüfer) vorgesehenen Tätigkeiten; dabei geht es nicht nur um Rechtsberatung, Rechtsvertretung oder Verteidigung, sondern um vieles mehr, ua auch Prüfungstätigkeiten (§3 Abs1 WTBG). Das Aussageverweigerungsrecht müsste in Bezug auf alle diese Tätigkeiten bestehen.3

Die Wendung „in dieser Eigenschaft“ schließt mE also vielmehr (nur) jene Informationen vom Aussageverweigerungsrecht aus, die in anderer Eigenschaft erlangt wurden als jenen, die §157 Abs1 Z2 StPO in seinem ersten Satzteil aufzählt.4 Informationen, die einem Wirtschaftstreuhänder in einer privaten Eigenschaft oder gegebenenfalls einer anderen beruflichen Tätigkeit (zB als Universitätsprofessor oder Politiker) bekannt werden, berechtigen also nicht zur Aussageverweigerung. Der OGH hat mit seiner Rechtsprechung, die Rechtsanwälten bei einer Tätigkeit als Masseverwalter (Insolvenzverwalter) oder Sachwalter (Erwachsenenvertreter) das Aussageverweigerungsrecht nicht zubilligt,5 diese Auffassung nicht widerlegt, da diese Tätigkeiten keineswegs der Rechtsanwaltschaft vorbehalten (§8 RAO) oder an die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs gebunden sind,6 mithin durchaus auch einer anderen beruflichen Tätigkeit entsprechen, und auch vom OGH in den betreffenden Judikaten als solche angesehen werden.

Auf den Punkt gebracht

In seinem Beschluss vom 29.7.2021, 21 Bs 406/20i, hat das OLG Wien §157 Abs1 Z2 StPO so ausgelegt, dass er die aufgezählten Personengruppen nur in Bezug auf solche Informationen zur Aussageverweigerung berechtigen würde, die durch die Tätigkeiten der Rechtsberatung, Rechtsvertretung und Verteidigung erlangt wurden. Diese im Grunde für alle in §157 Abs1 Z2 StPO genannten Personengruppen relevante Einschränkung ist insbesondere für Wirtschaftsprüfer von Relevanz, da mit den Prüfungstätigkeiten ein besonders wichtiger Bestandteil ihrer beruflichen Tätigkeiten nicht zur Zeugnisverweigerung berechtigen würde. Die im Beschluss des OLG Wien zum Ausdruck kommende Auslegung des §157 Abs1 Z2 StPO wird durch den Gesetzeswortlaut mE nicht gestützt, und es wäre von Interesse, zu sehen, wie sich der OGH zu dieser Frage stellen würde, wenn er mit dieser Problematik (gegebenenfalls auch im Rahmen einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes) konfrontiert würde. In seinem jüngst ergangenen Beschluss vom 13.12.2023, 19Bs 311/23h,7 schwächt das OLG Wien seinen Standpunkt auch selbst wieder ab, indem es darauf hinweist, dass Abschlussprüfer im Rahmen einer Jahresabschlussprüfung auch rechtsberatend tätig werden, weshalb ihnen insoweit auch das Zeugnisverweigerungsrecht nicht unter bloßem Hinweis auf die Prüfungstätigkeit versagt werden könne (was auch für Prüfungsgesellschaften gelte). Dennoch sollte man sich vorerst als Wirtschaftsprüfer des Umstands bewusst sein, dass das Aussageverweigerungsrecht nach §157 Abs1 Z2 StPO gerade in Bezug auf Prüfungstätigkeiten in der Praxis der Strafverfolgungsbehörden derzeit in Frage gestellt werden könnte.

3 Zerbes, Anwaltsverschwiegenheit: überkommenes Privileg oder rechtstaatliches Erfordernis, AnwBl2013, 565.

4 Dietrich/Höcher in Birklbauer/Haumer/Nimmervoll/Wess, StPO – Linzer Kommentar zur Strafprozessordnung (2020) §157 Rz7; Venier in Bertel/Venier, StPOI2 (2022) §157 Rz9.

5 OGH 9. 7. 2013, 14 Os 104/12v; 5. 3. 2013, 14 Os 10/13x.

6 Vgl §80 Abs2 IO: „Zum Insolvenzverwalter ist eine unbescholtene, verlässliche und geschäftskundige Person zu bestellen, die Kenntnisse im Insolvenzwesen hat.“ Vgl auch §264 ABGB zum gewählten Erwachsenenvertreter („eine oder mehrere ihr nahe stehende Personen als Erwachsenenvertreter“) sowie §268 Abs1 ABGB zum gesetzlichen Erwachsenenvertreter („von einem oder mehreren nächsten Angehörigen“).

7 OLG Wien 13. 12. 2023, 19 Bs 311/23h, 19 Bs 312/23f.

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Zweitzitat: Rohatschek, Bilanzierung3, 1.

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