Jänner
2024
72. Jahrgang
Aus dem Inhalt
Kreditbearbeitungsentgelt nachrangdarlehen decentralized Finance
Herausgegeben von der ÖsterreicHiscHen bankwissenscHaftlicHen gesellscHaft
Zeitschrift für das gesamte Bank- und Börsenwesen Bank Verlag
2024
72. Jahrgang
Aus dem Inhalt
Kreditbearbeitungsentgelt nachrangdarlehen decentralized Finance
Herausgegeben von der ÖsterreicHiscHen bankwissenscHaftlicHen gesellscHaft
Zeitschrift für das gesamte Bank- und Börsenwesen Bank Verlag
Die OeKB hat unter Einbeziehung österreichischer Kreditinstitute eine zentrale, strukturierte Online-Plattform entwickelt, die maximale Effizienz und minimale Bürokratie beim Austausch von ESG-Daten bietet. Ausführliche Informationen: www.oekb-esgdatahub.com
Das Fehlen eines einheitlichen Standards bei der ESGEvaluierung stellt eine große Herausforderung für die Finanzbranche dar. Die Entwicklung von eigenständigen Lösungen ist nicht nur mit hohen Entwicklungs-, Instandhaltungs- und Personalkosten verbunden. Bei einer geringeren Datenbasis ist zudem die Plausibilität der ESG-Evaluierungen eingeschränkt. Weiters besteht die Unsicherheit, ob die regulatorischen Anforderungen der Aufsicht bei einem Portfolioansatz im Risikmanagement erfüllt werden.
Etablierung eines österreichischen Standards
Mit dem OeKB > ESG Data Hub wurde basierend auf den wichtigsten geltenden Standards und Regularien eine zentrale, strukturierte Online-Plattform entwickelt, die maximale Effizienz und minimale Bürokratie bietet. Zentrales Feature ist ein allgemeiner ESG-Fragebogen, der gemeinsam mit heimischen Kreditinstituten erarbeitet wurde. Dieser koordinierte Zugang war ein häufig geäußerter Wunsch aus der Wirtschaft, da er den Aufwand bei Unternehmen deutlich reduziert: Sie können nach dem einmaligen Ausfüllen der Fragebögen entscheiden, welche Kreditinstitute auf ihre ESG-Daten zugreifen dürfen. Die Online-Plattform erhöht somit die Kundenzufriedenheit und ist für Unternehmen zudem kostenlos nutzbar.
Der OeKB > ESG Data Hub stellt strukturierte, standardisierte und harmonisierte Daten bereit und sorgt damit für eine bessere Daten-Plausibilisierung. Die Lösung greift auf die Erfahrungen der OeKB im Rahmen ihrer gesetzlichen Funktionen mit Schnittstellen ̶ wie z.B. dem automatisierten Datentransfer als Meldestelle gemäß Kapitalmarktgesetz oder in ihrer Officially Appointed Mechanism (OAM)-Funktion gemäß Börsengesetz ̶ zurück und ermöglicht somit eine optimale Integration in bestehende IT-Systeme.
Kontinuierliche & partizipative Weiterentwicklung
Um auf die fortlaufenden Veränderungen im Bereich ESG und der zugrundeliegenden Regulatorik reagieren zu können und damit eine Standardisierung und allgemeine Gültigkeit zu gewährleisten, kann der OeKB > ESG Data Hub modulhaft weiterentwickelt werden. Die OeKB stellt als Plattformbetreiberin die laufende Verbesserung des Services sicher und wird dabei weiterhin einen partizipativen Ansatz mit der Einbeziehung der teilnehmenden Kreditinstitute und der Unternehmen verfolgen.
Bank- und Börsenwesen Journal of Banking and financial research
begründet von em. o. Univ-Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Krasensky
Jänner 2024
Neues in Kürze
Dominik Damm
Börseblick – Schlusssprint?
Kreditbearbeitungsentgelt 2 – Die Saga von der Caixabank
Markus Kellner
Das qualifizierte Nachrangdarlehen in der Rsp des OGH – Besprechung von OGH 3 Ob 228/22h, 3 Ob 222/22a, 4 Ob 233/22a, 4 Ob 239/22h, 9 Ob 101/22a, 9 Ob 111/22x, 9 Ob 112/22v, 10 Ob 64/22t und 10 Ob 60/22d
Lukas Herndl
BerIchte und analysen
Decentralized Finance (DeFi) – Ein Literature Review aus Wirtschafts- und Rechtswissenschaftlicher Perspektive mit praktischen Implikationen
Josef Bergt
Was ist eigentlich … Emotional Leadership?
Ewald Judt / Claudia Klausegger
rechtsprechung des Ogh
2969. Klauselentscheidung zu Bausparbedingungen: Kündigungsrecht; Kontoführungsentgelt; Zustimmungsfiktion.
OGH 17. 10. 2023, 4 Ob 74/22v 47
2970. Zur Einlösung der Pfandforderung aufgrund eines Veräußerungs- und Belastungsverbots.
OGH 30. 8. 2023, 7 Ob 91/23t 54
2971. Bankgeheimnis und Forderungseinlösung nach § 1422 ABGB.
OGH 21. 6. 2023, 3 Ob 80/23w
2972. Insolvenzanfechtung: Aus strafbaren Handlungen erlangte Gelder.
OGH 25. 9. 2023, 17 Ob 17/23h 55
2973. EKEG: Garantieerklärung eines Gesellschafters.
OGH 25. 9. 2023, 17 Ob 18/23f 57
2974. Zur Reichweite eines Vergleichs über Haftungen aus Bürgschaft.
OGH 28. 3. 2023, 10 Ob 32/22m 58
2975. Verein als Unternehmer iSd § 1 KSchG.
OGH 21. 2. 2023, 7 Ob 206/22b 59
2976. (Kein) Rechtsmissbrauch bei Rücktritt nach § 12 FAGG.
OGH 16. 2. 2023, 9 Ob 102/22y 61
2977. Fernabsatzgeschäft via E-Mail.
OGH 21. 3. 2023, 2 Ob 44/23v 64
2978. Aufrechnung als Oppositionsgrund.
OGH 6. 9. 2023, 3 Ob 148/23w 64
2979. Abtretung von Gewährleistungsansprüchen beim Finanzierungsleasing.
OGH 6. 9. 2023, 3 Ob 146/22z 65
entscheIdungen des eugh
136. Für die Beurteilung der Transparenz und möglichen Missbräuchlichkeit einer Klausel, die den variablen Zinssatz eines Hypothekardarlehensvertrages regelt und sich dazu auf einen durch ein amtlich veröffentlichtes Rundschreiben festgelegten Index bezieht, ist auch der Inhalt eines anderen amtlichen Rundschreibens von Bedeutung, das Informationen über die Anpassung dieses Index an den Marktzinssatz enthält. Entscheidend ist zudem, ob diese Informationen einem Durchschnittsverbraucher ausreichend zugänglich sind.
EuGH (Neunte Kammer) 13. 7. 2023, C-265/22, ZR/Banco Santander 66
137. Zur Aufrechterhaltung eines Vertrags, der eine missbräuchliche Klausel enthält, deren Aufhebung zur Nichtigkeit des Vertragsverhältnisses führen würde, steht es der Verbraucherin offen, auf den Schutz des Art 6 Klausel-RL zu verzichten. Eine Änderung der missbräuchlichen Klausel kann von der Verbraucherin in diesem Fall hingegen nicht beantragt werden. Denn zunächst muss das Gericht die (für die Verbraucherin besonders nachteiligen) Folgen der Gesamtnichtigkeit des Vertrages prüfen und, wenn es keine geeignete dispositive Bestimmung des nationalen Rechts gibt, alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um die Verbraucherin vor diesen Folgen zu schützen.
EuGH (Neunte Kammer) 12. 10. 2023, C-645/22, Luminor Bank 72
Decentralized Finance Unmasked –Behavioral Finance and Public Policy Insights on Financial Market Regulation Von Josef Bergt
Otto Lucius 76
39. WOrkshOp der aWg – call fOr papers 46
Impressum
In dieses Heft ist das Jahresregister 2023 in der Heftmitte (mit eigener Nummerierung) eingebunden. Bei Bedarf können diese Seiten durch Öffnung der Verklammerung komplett entnommen werden.
In diesem Heft inserieren: OeKB, U 2.
https://doi.org/10.47782/oeba202401000101
Franz Rudorfer
1. Topthemen
Maßnahmenpaket der Österreichischen Kreditwirtschaft
Ausgelöst nicht zuletzt durch die politische und mediale Diskussion in den Sommermonaten dieses Jahres haben die österreichischen Banken unterstützende Maßnahmen definiert. Damit verbunden war und ist die Erwartungshaltung, dass Fortschritte bei der Anpassung der Vorfälligkeitsentschädigung an die deutsche Rechtslage und Fortschritte bei der KIM-V gelingen und auch die OeNB einen Beitrag leistet, die Kosten von Bargeld zu reduzieren. Diese unterstützenden Maßnahmen umfassen Folgendes:
◆ Verzicht auf Verzugs- und Mahnspesen
Die Ausfallsraten der Banken sind auf niedrigem Niveau. In einem Multikrisen-Umfeld könnten aber Menschen, die einen Kredit für die Finanzierung ihrer eigenen vier Wände zu bedienen haben, in Probleme kommen. Daher setzten Öster reichs Banken hier ein klares Zeichen und kommen den heimischen Kreditnehmern entgegen. Sollte es zu Problemen bei Wohnraumfinanzierungen für die eigene Nutzung kommen und Verzugszinsen und Mahnspesen anfallen, verzichten die österreichischen Banken darauf. Diese Maßnahme ist befristet bis 30.9.2024. Das stellt eine substanzielle Unterstützung für Kreditnehmer mit variabler Verzinsung dar. Damit verbunden ist der Appell, sich bei Problemen mit der Rückzahlung von Krediten sofort an die Bank zu wenden, um individuelle Lösungen zu finden.
◆ Noch mehr Transparenz bei Spareinlagen
Der Markt ist nach wie vor von der jahrelangen EZB-Politik des billigen Geldes und der verhaltenen Kreditnachfrage geprägt. Durch weiter verbesserte Transparenz soll der Zinsvergleich bei Spareinlagen weiter vereinfacht werden. Die österreichischen Banken erklärten sich daher bereit, die Konditionen für täglich fällige, 6, 12, 24 und 36 Monate gebundene Spareinlagen an eine von der OeNB betriebene Plattform zu melden,
die mit Anfang Dezember 2023 ihren Betrieb aufgenommen hat. Anders als bisherige Vergleichswebsites ermöglicht die OeNB-Lösung einen Gesamtmarktüberblick, weil alle Sektoren flächendeckend melden, bis auf Spezialbanken und Privatbanken, die diese standardisierten Sparkonditionen nicht anbieten bzw. nur für vermögende Privatkunden anbieten. Vergleiche mit anderen EU-Mitgliedstaaten zeigen zudem, dass die Banken in Österreich die EZB-Zinserhöhungen schnell weitergeben.
◆ Ausreichende Bargeldversorgung
Darüber hinaus wurde dafür Sorge getragen, dass die PSA Gemeinden Bankomaten zu Deckungskosten anbietet. Damit verbunden ist der Appell, dass auch die OeNB einen Beitrag im Zusammenhang mit den von ihr in Rechnung gestellten Kosten des Bargelds leistet, da diese einen wesentlichen Kostenfaktor bei Bankomaten ausmachen.
Im Rahmen dieses Gesamtpakets muss auch die KIM-V substanziell evaluiert werden. Darüber hinaus kritisieren die österreichischen Banken auch in diesem Zusammenhang die Deckelung der Vorfälligkeitsentschädigung bei Fixzinskrediten mit 1% der rückgezahlten Kreditsumme, u.a. weil dadurch die Banken einen wesentlichen Teil der Refinanzierungskosten bei vorzeitiger Kreditrückzahlung tragen müssen. Deutschland und viele andere EU-Mitgliedstaaten kennen diese Deckelung der Vorfälligkeitsentschädigung nicht. Hierzu laufen weiterhin intensive Bemühungen, eine Anpassung an die Situation in Deutschland zu erreichen, bzw. laufen Überlegungen, in transparenter Form den Kunden eine Alternative anzubieten.
Nachhaltige Immobilienkreditvergabe / FMAKIMV
Unverändert ist evident, dass sich die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen seit Mitte 2022 grundlegend geändert haben. Schon allein durch die Zinswende ist die Immobilienkreditvergabe nachhaltig zurückgegangen. Daten der OeNB belegen einen Rückgang der Wohnimmobilienfinanzierungen von deutlich über 60%. Zudem zeigen Daten
zur Preisentwicklung einen inflationsbereinigten Rückgang der Immobilienpreise. Ziel der KIM-V war es, einem weiteren Anstieg der Immobilienpreise und damit einhergehend überproportionalem Kreditwachstum entgegenzuwirken. Ein massiver Einbruch des Neukreditvolumens ist bereits nachweislich eingetreten. Vor allem sind gemäß § 23h Abs. 1 BWG Schritte, wie sie durch die Kreditnehmer-bezogenen Maßnahmen der KIM-V vorgeschrieben werden, nur zur Begrenzung systemischer Risiken aus der Wohnimmobilienfinanzierung zulässig. Die ursprünglich identifizierten Risikofaktoren – dynamisches Preisund Kreditwachstum – sind nicht mehr gegeben. Die Sinnhaftigkeit der KIM-V ist vor diesem Hintergrund generell zu hinterfragen.
Daher wurde an die OeNB unter anderem die Forderung herangetragen, ein neues Gutachten basierend auf den geänderten ökonomischen Umfeldbedingungen zu erstellen und dieses auch im Sinne einer transparenten Vorgehensweise zu veröffentlichen. Das bestehende ökonomische Gutachten der OeNB für die KIM-V basiert auf Daten aus 2021. Darüber hinaus wurde nachdrücklich verlangt, zumindest die unterschiedlichen Ausnahmekontingente auf ein Kontingent zusammenzufassen und damit eine gewisse bürokratische Vereinfachung vorzusehen. Entgegen anderslautender Signale der Aufsicht hat das FMSG am 11. Dezember die unveränderte Beibehaltung der KIM-V beschlossen, ohne die Vereinfachung der Ausnahmekontingente zu empfehlen, obwohl die unterschiedlichen Ausnahmekontingente die Steuerung und damit die Ausnutzung der Ausnahmekontingente im Sinne der Kunden erheblich erschweren. Die Schaffung eines einheitlichen Ausnahmekontingents in Höhe von 20% hätte das Ziel der leichteren Anwendung der Ausnahmekontingente erreicht, ohne die Zielsetzungen der Verordnung in Frage zu stellen.
Gesetzesvorschlag Zwangsumstellung variabelverzinste Wohnimmobilienkredite
Mitte Dezember war ein Gesetzesvorschlag zur Änderung des HIKrG mit dem Zweck, die Zwangsumstellung
variabel-verzinster Wohnimmobilienkredite vorzusehen, unterbreitet worden. Damit soll die Möglichkeit geschaffen werden, variable Hypothekarkredite bis 2016 rückwirkend per Gesetz auf Fixzinskredite umzustellen.
Eine solche Gesetzesänderung würde einen weitreichenden, auch verfassungsrechtlich bedenklichen Eingriff in die Privatautonomie von Kreditnehmern und Banken darstellen, der von der Bundessparte vehement abgelehnt wird. Das Signal für den Standort Österreich und die Rechtssicherheit wären fatal. Mit den Vorschlägen werden verfassungsrechtliche Grenzen klar überschritten. Trotz des anhaltenden Multikrisen-Umfeldes ist die Rate ausgefallener Kredite für die Finanzierung von Wohnraum nach wie vor auf einem historisch niedrigen Niveau. Dazu haben auch die freiwillig gesetzten Maßnahmen der österreichischen Banken, wie die Aussetzung von Verzugszinsen und Mahnspesen, beigetragen. Der grundsätzliche Rat an Kreditnehmer ist, bei anbahnenden Problemen mit einer Kreditrückzahlung sofort mit ihrer Bank Kontakt aufzunehmen. Das stellt sicher, dass für die Kunden maßgeschneiderte Lösungen gefunden werden, sollte es zu Problemen bei der Rückzahlung kommen. Man sieht das ganz klar an den Zahlen: Dort wo Kreditnehmer Hilfe benötigen, bekommen sie diese auch. Darüber hinaus würden jene Kredit nehmer benachteiligt – und das sind immerhin 50% – die von Beginn an einen Fixzins für ihre Wohnfinanzierung gewählt haben. Diese politische Vollkasko-Mentalität ist der falsche Weg.
Mit dem Gesetzesvorschlag würden aufsichtsrechtliche und gesetzliche Prinzipien der Kreditwürdigkeitsprüfung mittels Gesetz außer Kraft gesetzt und ein künstlicher und nicht annähernd Marktansätzen entsprechender Zinssatz von der Finanzmarktaufsicht (FMA) festgesetzt. Indem es die Steuerung der Refinanzierungsstruktur von Banken schwer bis unmöglich machen würde, würde diese Planwirtschaft-ähnliche Vorgangsweise zu deutlich höheren Liquiditätskosten führen und somit auch in teureren Krediten für Konsumenten münden. Der Vorschlag setzt somit die Verwirklichung des Traums vom Eigenheim für viele Österreicher unnötig aufs Spiel.
Die folgenden (verfassungs-)rechtlichen Bedenken müssen hier angeführt werden:
• Es kommt zu einem massiven und unverhältnismäßigen Eingriff in die Erwerbsfreiheit und Privatautonomie der Banken. Jede Bank hat eine
mittel- bis langfristig angelegte Refinanzierungsstruktur hinter ihren Finanzierungen stehen.
• Das Legalitätsprinzip wird ebenfalls in Frage gestellt. Auch für Banken gilt der Vertrauensschutz in bestehende gesetzliche Regelungen.
• Der Gleichheitsgrundsatz wird berührt.
Abzulehnen ist auch die konkrete Ausgestaltung des Vorschlags, wonach offenbar die Umstellung auf fixe Konditionen bis Ende der ursprünglichen Laufzeit – also bis zu 30 Jahren – erfolgen soll.
Krisenmanagement (BRRD/DGSD)
Die Bundessparte hat kritische Stellung nahmen an das BMF sowie an die EU-Ebene zu dem im April 2023 vorgelegten Gesetzespaket der EU-Kommission eingebracht und bringt sich auch weiterhin kritisch in die laufenden Verhandlungen in Rat und EU-Parlament ein.
Prioritäre Anliegen:
• Keine Abschaffung der Super Preference (Abschaffung des 1. Ranges gedeckter Einlagen bzw. Einlagensicherungseinrichtungen, dadurch geringere Rückflüsse für Einlagensicherung, Auswirkungen auf Finanzmarktstabilität, wenn die Einlagensicherungsfonds öfters wieder aufgefüllt werden müssen)
• Keine Bevorzugung der Abwicklung gegenüber der Insolvenz in der vorgeschlagenen Form i.V.m. der Erweiterung des Anwendungsbereichs des Public Interest Assessment. D.h. Ablehnung der Ausdehnung des Abwicklungsregimes in der vorliegenden Form auf kleinere und mittlere Banken.
• Keine Ausweitung der Verwendung von Einlagensicherungsmitteln im Rahmen einer Abwicklung (Wegfall der Höchstgrenze von 50% der Zielausstattung)
• Adäquate Behandlung von Institutssicherungssystemen (IPS)
Die im Legislativentwurf angeführte Zielsetzung der Förderung des Einlegerschutzes und des Erhalts des Vertrauens der Kunden wird unterstützt. Der seitens der EU-Kommission vorgeschlagene Weg ist jedoch nicht der richtige. Mit dem Vorschlag würde das
System der Bankenabwicklung und Einlagensicherung grundlegend geändert. Es käme zu einer teilweisen Einführung einer europäische Einlagensicherung „durch die Hintertür“, in dem die EUAbwicklungsbehörde SRB Zugriff auf die nationalen Einlagensicherungsfonds bekommen würde. Die Heranziehung der Einlagensicherungsfonds bei der Abwicklung setzt für die Abwicklungsbehörden falsche Anreize. Anstatt die von der Bankenindustrie gemeinschaftlich angesparten Mittel zu verwenden, sollte vielmehr in erster Linie das Instru ment des Bail-In bei allen Gläubigern konsequent angewendet werden. Und als weitere Geldquelle steht dann ohnedies der Abwicklungsfonds zur Verfügung.
Das in Österreich angewandte Insolvenzregime sowie die etablierten Sicherungseinrichtungen haben sich – wie auch die bisherigen Sicherungsfälle klar aufgezeigt haben – als funktionsfähig und vertrauenswürdig erwiesen und wesentlich zur Sicherung der Finanzstabilität beigetragen.
Aktueller Stand im EU-Parlament (ECON-Ausschuss):
Zu den einzelnen Legislativakten (BRRD, SRMR, DGSD) wurden die Berichtsentwürfe des ECON-Ausschusses des EP sowie die eingebrachten Änderungsanträge veröffentlicht.
Zur super preference der Forderungen der Einlagensicherung im Abwicklungsfall argumentiert der ECON-Berichterstatter Niedermayer sehr nachteilig: Der Berichterstatter argumentiert, die Änderung der Rangfolge der Gläubiger und die Abschaffung der Superpräferenz für Einlagensicherungssysteme verbessere nicht nur die Zugänglichkeit von Einlagensicherungssystemen und des einheitlichen Abwicklungsfonds (SRF) anstelle der Inanspruchnahme öffentlicher Unterstützung, sondern ebne auch den Weg für finanziell wirksamere Lösungen bei der Abwicklung von Finanzinstituten. Dies dürfte wiederum die Kosten für die Steuerzahler senken.
Die Bundessparte hat zahlreiche Abänderungsanträge bei MEPs eingebracht. Dem Vernehmen nach gibt es von Seiten einiger MEP deutliche Vorbehalte gegen die weitgehenden Vorschläge der Berichterstatter, sodass es zu einer Verzögerung der Beschlussfassung im EP kommen könnte.
Aktueller Stand im Rat:
Auch wenn der spanische Ratsvorsitz sehr ambitioniert vorgeht (geplant war eine allgemeine Ausrichtung des
Rates bis Jahresende), zeichnet sich ab, dass längere Diskussionen in der Ratsarbeitsgruppe folgen werden. Kernstück der Verhandlungen ist die Frage der Gläubigerhierarchie und wer – wenn eine mittelgroße Bank zu wenig MREL vorhält – für das fehlende Delta aufkommt (8% der Verbindlichkeiten müssen einem Bail-In unterzogen werden bevor auf Mittel aus dem Abwicklungsfonds SRF gegriffen werden darf, und bei mittelgroßen Banken ist der 8% Wert aufgrund der Bilanzstruktur – viele Retail-Kunden – oft nicht erreichbar). Es besteht auf politischer Ebene Übereinstimmung, dass für dieses Delta jedenfalls die Banken industrie aufkommen wird müssen.
Trilogeinigung beim Vorschlag zu Beteiligungsketten (sog. Daisy ChainVorschlag):
Am 6.12.2023 gab es eine Trilogeinigung zwischen Rat, Parlament und Kommission über den Vorschlag zu Beteiligungsketten (Daisy Chains). Mit dem Legislativakt werden ausgewählte Bestimmungen im Zusammenhang mit der Behandlung von internen MREL in Bankenabwicklungsgruppen geschaffen und damit die BRRD und SRMR geändert. Der Daisy-Chains-Legislativakt zielt darauf ab, den Abwicklungsbehörden die Befugnis zu geben, interne MREL unter bestimmten Bedingungen auf konsolidierter Basis festzulegen. Gestattet die Abwicklungsbehörde einer Bankengruppe die Anwendung einer solchen konsolidierten Behandlung, sind die zwischengeschalteten Tochterunternehmen nicht verpflichtet, ihre individuellen Bestände an internen MREL abzuziehen, wodurch die von der Kommission festgestellten nachteiligen Auswirkungen vermieden werden.
Basel IV
◆ Status
Bei den Trilogverhandlungen zwischen Rat, EU-Parlament und Kommission ist es im Juni bekanntlich zu einer politischen Einigung gekommen. Bis vor kurzem liefen noch sog. technische Trilogverhandlungen, die jedoch Ende November abgeschlossen wurden. Mit einer Veröffentlichung der finalen Basel-IV-Texte im EU-Amtsblatt ist im 1 HJ 2024 zu rechnen, nachdem die Texte noch in alle Amtssprachen der EU übersetzt werden müssen. Bei der Eigenkapitalunterlegung für gemeinnützige Wohnbauträger konnte in den technischen Trilogverhandlungen noch ein wichtiger Fortschritt erreicht werden, wonach in der Errichtungsphase das RWA doch nicht mit 150%, sondern nur
mit 100% angesetzt werden muss. Die EBA wurde beauftragt, dazu Leitlinien zu verfassen, in denen festgelegt wird, unter welchen Bedingungen das 100% RWA gerechtfertigt ist (z.B. ausreichende Vorverwertungsquote, ausreichend Eigenkapital im Projekt, wobei hier auch der Wert des Baulandes angesetzt werden darf etc.).
Die Implementierung von Basel IV wird eine umfangreiche Überarbeitung der EBA-Standards und Guidelines mit sich bringen. Insg. gibt es in den Basel-V-Texten 130 EBA-Mandate. Die EBA hat am 14. Dezember auch ihre Basel-IV-Road-Map veröffentlicht, die einen Überblick gibt, in welcher Reihenfolge die Level-2-Texte (Standards und Leitlinien) ausgearbeitet werden. Eine hohe Priorität genießt in diesem Zusammenhang der technische Durchführungsstandard zum Meldewesen (ITS on Reporting). Darüber hinaus arbeitet die EBA derzeit am Säule-III-Data-Hub zur Offenlegung, wodurch kleinere und mittlere Banken entlastet werden sollen. Ein Diskussionspapier wurde hier vor kurzem veröffentlicht.
Die neuen Regelungen (insb. die CRR) werden bereits mit 1.1.2025 in Kraft treten, wobei u.a. bei Beteiligungen und beim Output-Floor für IRB-Banken Übergangsfristen vorgesehen sind.
Die Kernanliegen der österreichischen Kreditwirtschaft zu KMU-Finanzierungen und Beteiligungen sind nicht zuletzt durch Bemühungen der Bundessparte in der Trilogeinigung weitgehend abgesichert. Beteiligungen, die seit sechs Jahren gehalten werden, können auch weiterhin mit 100% RWA gewichtet werden, wenn signifikante Kontrolle über die Beteiligung besteht. Auch sind Ausnahmeregelungen für Beteiligungen in einem IPS vorgesehen. Darüber hinaus konnten wir uns erfolgreich dafür einsetzen, dass die negativen Auswirkungen des Output-Floors zumindest während einer Übergangsphase bis Ende 2032 deutlich verringert werden. Bis zu diesem Zeitpunkt können Banken, die zur Berechnung ihrer Kapitalanforderungen interne Verfahren verwenden, bei der Berechnung des Output-Floors Forderungen an ungeratete Unternehmen, Wohnungsbaukredite sowie Verbriefungspositionen mit deutlich geringeren Risikogewichten anrechnen.
Bei den Fit-&-Proper-Bestimmungen wird vor der Ernennung eines Geschäftsleiters vorgesehen, dass die betreffende Bank die zuständige Aufsichtsbehörde 30 Tage vor Ernennung von der beabsichtigten Geschäftsleiterbestellung informieren muss, um der Aufsichtsbe -
hörde eine rechtzeitige Fit-&-ProperBeurteilung zu ermöglichen. Ex-postBeurteilungen sollen aber bei kleineren Instituten nach wie vor möglich sein. Darüber hinaus soll (durch Art. 4 DORA) eine Verpflichtung für Mitglieder von Leitungsorganen kommen, sich in Bezug auf IT/ICT-Risiken regelmäßig fortzubilden.
FMA – AuFsichts- und P rüFschwer Punkte 2024
Die FMA hat Anfang Dezember ihre Aufsichts- und Prüfschwerpunkte für 2024 veröffentlicht. Laut FMA stehe die österreichische Finanzwirtschaft vor sehr großen Herausforderungen. Die abrupte Zinswende, das signifikante Inflationsrisiko sowie die weltweit düsteren Konjunkturaussichten erhöhen den Druck auf die finanzielle Leistungsund Schuldendienstfähigkeit vieler Haushalte und Unternehmen. Angesichts der schwierigen Lage in der Realwirtschaft und auf den Finanzmärkten fordert der FMA-Vorstand die beaufsichtigten Unternehmen auf, ein pro-aktives Risikomanagement zu betreiben, entsprechende Vorsorgen zu bilden und in der Ausschüttungspolitik besonnen zu agieren und so die Kapitalbasis und Risikotragfähigkeit weiter zu stärken. Überdies müsse das Kostenmanagement durch die konsequente Nutzung der Chancen, die die Digitalisierung bietet, weiter verbessert werden.
Insbesondere die schwierige Lage im Immobiliensektor werde die österreichische Real- und Finanzwirtschaft noch einige Zeit fordern. Zudem drohe angesichts der angespannten Lage in Nahost eine weitere Verschärfung der geopolitischen Spannungen, die weitere exogene Schocks im Weltwirtschaftssystem auslösen könne. Überlagert werden diese mittelfristigen real- und finanzwirtschaftlichen Herausforderungen durch längerfristig wirkende geopolitische, technologische, ökologische und gesellschaftliche Trends:
• der Weg in eine geopolitische Neuordnung, verschärft durch die anhaltende Krise des Multilateralismus, die eine Neuausrichtung der globalen Wirtschaftsbeziehungen erfordert;
• der digitale Wandel, der weitreichende Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft mit sich bringt;
• der Kampf gegen die Erder wärmung, der eine globale Neuausrichtung der Wirtschaft erfordert, aber nur schleppend vorankommt;
• das sich verändernde Verbraucherverhalten, das die etablierten Schutzmechanismen zunehmend ins Leere
laufen lässt und neue Lösungsansätze verlangt;
• die steigenden Anforderungen an ethisches und regelkonformes Verhalten aller Finanzmarktteilnehmer, die einen Fokus auf Sauberkeit auf dem Finanzplatz erfordern.
Die folgenden Aufsichts- und Prüfschwerpunkte 2024 wurden von der FMA veröffentlicht:
• Resilienz und Stabilität: Die Krisenfestigkeit der beaufsichtigten Finanzdienstleister zu stärken sowie die Stabilität des Finanzmarktes Österreich als Ganzes zu wahren.
• Digitaler Wandel: Die Chancen der Digitalisierung zu nutzen und gleichzeitig die damit verknüpften Risiken konsequent zu adressieren.
• Neue Geschäftsmodelle: Innovative Geschäftsmodelle möglichst früh aufsichtlich zu prüfen, um so die Innovationskraft des österreichischen Finanzmarktes zu fördern, für faire Wettbewerbsbedingungen Sorge zu tragen und einen angemessenen Verbraucherschutz sicherzustellen.
• Kollektiver Verbraucherschutz: Den Schutz der Verbraucher in einem sich rasant verändernden Umfeld –Stichworte: digitaler Wandel, verändertes Konsumentenverhalten, demografische Entwicklung, Zinswende – weiterzuentwickeln.
• Nachhaltigkeit: Den Finanzmarkt und all seine Teilnehmer beim Umbau zu einem nachhaltigen Wirtschaftsmodell regulatorisch und aufsichtlich zu unterstützen.
• Sauberer Finanzplatz Österreich: Die Sauberkeit und Reputation des Finanzplatzes Österreich auf allen Ebenen zu sichern.
Mit welchen konkreten Instrumenten, Projekten und Initiativen diese Themenfelder adressiert werden, ist in der aktuellen FMA-Publikation „Fakten, Trends und Strategien 2024“ im Detail dargestellt. Ebenso ist dort die „Mittelfristige Risikoanalyse 2024–2028“ der FMA zu finden. Diese Publikation ist auf der Website der FMA unter dem Link https://www.fma.gv.at/publikationen/fakten-trends-strategien/ abrufbar.
EBAReport Banken RisikoAssessment 2023
Die EBA hat Mitte Dezember ihr jährliches Risikoassessment des EUBankensektors veröffentlicht. Der Bankensektor bleibt trotz der durch die Zinsänderung bedingten Risiken widerstandsfähig. Der Bericht wird begleitet von der Veröffentlichung der EU-weiten
Transparenzstudie 2023, die detaillierte Informationen für 123 Banken aus 26 Ländern der EU/EWR enthält.
• Der EU-Bankensektor hat sich nach den Bankenturbulenzen im März als widerstandsfähig erwiesen.
• Die Kapitalausstattung ist nach wie vor hoch und die durchschnittliche CET1-Quote (Common Equity Tier 1) hat mit 16% ihren höchsten Stand erreicht. Die zugrunde liegende Rentabilität hat die Ausschüttungen der Banken gestützt.
• Das hohe Zinsniveau hat bisher eine Ausweitung der Zinsmargen begünstigt, doch könnte der Wendepunkt erreicht sein.
• Die Qualität der Aktiva ist nach wie vor robust, doch das gedämpfte Wirtschaftswachstum und das hohe Zinsniveau bergen Risiken.
• Die Liquidität ist nach wie vor hoch, hat sich aber von ihrem pandemischen Höchststand aus zu normalisieren begonnen.
• Die Finanzierungskosten auf dem Markt sind im Einklang mit den Zinssätzen gestiegen, während die Einlagenzinsen vergleichsweise niedrig geblieben sind, aber in Zukunft steigen könnten.
EUStrategie für Kleinanleger
In Rat und EU-Parlament laufen Diskussionen zur Positionierung zu den Legislativvorschlägen der EU-Kommission zur Kleinanlegerstrategie (MiFID, IDD, PRIIPs). Der Rat plant noch eine allgemeine Ausrichtung zu dem Dossier in der laufenden Legislaturperiode zu er reichen, ebenso das Europäische Parlament. Trilogverhandlungen werden aktuell erst für 2. Halbjahr 2024 erwartet. Von Seiten der Bundessparte wird insbesondere nachdrücklich auf die Wichtigkeit des Erhalts des Provisionsberatungsmodells (Wahlfreiheit für Kunden) hingewiesen.
EUGreenBondStandard im EUAmtsblatt veröffentlicht
Die Verordnung zur Einführung eines EU-Green-Bond-Standards (EUGBS, Verordnung (EU) 2023/2631) ist Ende November im Amtsblatt der EU veröffentlicht worden und tritt am 20.12.2023 in Kraft. Anwendbar ist sie
nach einer zwölfmonatigen Übergangsfrist erst ab dem 21.12.2024. Mit der Veröffentlichung ist das Gesetzgebungsverfahren formell abgeschlossen. Einige wichtige Anforderungen müssen aber noch auf Level 2 konkretisiert werden.
SFDR – ESAs veröffentlichen finalen Bericht zur Änderung der RTS zur Delegierten VO zur Ergänzung der SFDR
Die europäischen Aufsichtsbehörden EBA, ESMA und EIOPA (ESA) haben Anfang Dezember ihren finalen Bericht zur Änderung der Regulatory Technical Standards (RTS) zur Delegierten Verordnung zur Ergänzung der Verordnung über die Offenlegung nachhaltiger Finanzierungen (SFDR) veröffentlicht.
Die ESA schlagen neue Produktangaben bezüglich der Ziele zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen vor. Darüber hinaus schlagen die ESA eine weitere technische Überarbeitung der delegierten Verordnung zur SFDR vor:
• Verbesserungen der Angaben darüber, wie nachhaltige Investitionen „keinen nennenswerten Schaden“ (DNSH) für die Umwelt und die Gesellschaft anrichten;
• Vereinfachung der vorvertraglichen und periodischen Offenlegungsvorlagen für Finanzprodukte und
• andere technische Anpassungen, die unter anderem die Behandlung von Derivaten, die Berechnung nachhaltiger Investitionen und Bestimmungen für Finanzprodukte mit zugrunde liegenden Anlageoptionen betreffen.
◆ Nächste Schritte
Die Europäische Kommission wird die RTS-Entwürfe prüfen und innerhalb von drei Monaten nach der heutigen Veröffentlichung durch die ESAs entscheiden, ob sie diese billigt. Diese RTS-Entwürfe würden unabhängig von der von der Europäischen Kommission für September 2023 angekündigten umfassenden Bewertung der SFDR und vor der Einführung der sich aus dieser Bewertung ergebenden Änderungen angewendet werden.
◆ Hintergrund
Der Gemeinsame Ausschuss der Europäischen Aufsichtsbehörden erhielt am 28.4.2022 von der Europäischen Kommission den Auftrag, die in der delegierten Verordnung der SFDR festgelegten RTS zu überprüfen und zu überarbeiten, wobei eine Frist von zwölf Monaten für die Vorlage geänderter RTS gesetzt
wurde. Die ESAs haben die Kommission über eine Verlängerung dieser Frist informiert, um Zeit für eine gründlichere Überprüfung und eine angemessene Zeit für öffentliche Konsultationen und Verbrauchertests zu haben.
ESMA – Sustainable Finance, Konzeptpapiere
Die ESMA hat Ende November drei Konzeptpapiere zu Sustainable Finance (Schätzungen, Nachhaltigkeit, Do No Significant Harm) veröffentlicht.
Zweck des ersten ESMA-Dokuments ist es zu erklären, wie die wichtigsten Rechtsvorschriften zu Sustainable Finance mit der Verwendung von „ Schätzungen“ und „gleichwertigen Informationen“ und Bedingungen umgehen, unter denen diese als Datenquellen für die Erstellung verbindlicher ESGKennzahlen für die Einhaltung der Verpflichtungen der beaufsichtigten Institute zulässig sind. Verschiedene Teile des EUSF-Rahmens schreiben die Berechnung und/oder Offenlegung verschiedener ESG-Kennzahlen oder Nachhaltigkeitsindikatoren durch Finanzmarktteilnehmer vor. Solche Offenlegungen und/oder Berechnungen spielen eine Schlüsselrolle in der Taxonomie-Verordnung, der Verordnung über die Offenlegung nachhaltiger Finanzinstrumente („SFDR“) und der Benchmark-Verordnung („BMR“).
Im zweiten ESMA-Dokument versucht die ESMA zu erklären, wie das Konzept der Nachhaltigkeit im EURahmen zu Sustainable Finance verankert ist. Dieses Konzept spiegelt sich in der Definition von nachhaltigen Anlagen in SFDR und der Definition von ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten in der Taxonomie-Verordnung wider.
Der Zweck des dritten Dokuments ist es, das Prinzip „Do No Significant Harm“ („DNSH“) zu erklären, das in mehreren Rechtstexten zu Sustainable Finance verankert ist. Das DNSH-Prinzip ist ein Schlüsselelement in der Taxonomie-Verordnung, der SFDR und der Benchmark-Verordnung („BMR“).
Basler Ausschuss – Konsultation zum Offenlegungsrahmen der Säule 3 für klimabedingte Finanzrisiken
Der Basler Ausschuss hat Ende November eine Konsultation zum Offenlegungsrahmen der Säule 3 für klimabedingte Finanzrisiken gestartet. Der Vorschlag ist Teil seines ganzheitlichen Ansatzes zur Bewältigung klimabedingter Finanzrisiken für das globale Bankensystem.
Der Ausschuss untersucht, wie ein Rahmen für die Offenlegung von klimabedingten Finanzrisiken in der Säule 3 sein Mandat zur Stärkung der Regulierung, Aufsicht und Praktiken von Banken weltweit mit dem Ziel der Verbesserung der Finanzstabilität fördern würde, und wie ein solches Regelwerk aussehen könnte. Er veröffentlicht dieses Konsultationspapier, um die Meinung der Interessengruppen zu seinem vorläufigen Vorschlag für qualitative und quantitative Offenlegungsanforderungen im Rahmen von Säule 3 einzuholen, die die Arbeit anderer Standardsetzer, einschließlich des International Sustainability Standards Board (ISSB), ergänzen und eine gemeinsame Grundlage für die Offenlegung für international tätige Banken bilden würden.
Der Ausschuss sei sich bewusst, dass die Genauigkeit, Konsistenz und Qualität klimabezogener Daten noch in Entwicklung begriffen ist, aber gleichzeitig würden Offenlegungspflichten die Verfügbarkeit solcher Informationen beschleunigen und vorausschauende Risikobewertungen durch Banken erleichtern. Daher ist der Ausschuss bestrebt, ein angemessenes Maß an Flexibilität in ein künftiges Regelwerk einzubauen.
Insbesondere wird der Ausschuss auf der Grundlage der Rückmeldungen im Rahmen des Konsultationsverfahrens prüfen, welche Elemente obligatorisch sind und welche dem nationalen Ermessen unterliegen. Generell stellt der Ausschuss fest, dass die Entwicklung eines sinnvollen und robusten Rahmens für die Säule 3 für klimabedingte Finanzrisiken wahrscheinlich ein iterativer Prozess sein wird.
EBA – Templates für Fitfor55KlimarisikoSzenarioanalyse
Die EBA hat Mitte November die finalen Vorlagen veröffentlicht, die für die Erhebung klimabezogener Daten von EU-Banken im Rahmen der einmaligen Fit-for-55-Klimarisiko-Szenarioanalyse verwendet werden sollen. Die Vorlagen werden von einem Leitfaden begleitet, der Definitionen und Regeln für die Zusammenstellung der Vorlagen enthält. Darüber hinaus veröffentlicht die EBA auch die Liste der Banken, die an der Übung teilnehmen (sechs Banken aus Österreich).
◆ Hintergrund
Mit den Vorlagen soll eine Datenerhebung bei 110 EU-Banken durchgeführt werden, um klimabezogene und finanzielle Informationen über Kredit-, Marktund Immobilienrisiken zu sammeln. Die
Datenerhebung ist am 1.12.2023 gestartet und soll bis 12.3.2024 abgeschlossen sein.
Die Banken werden von der EBA ersucht, ab Dezember 2022 aggregierte Daten und Daten auf Gegenparteiebene zu melden. Die Erhebung von Daten auf Kontrahentenebene soll es ermöglichen, das Konzentrationsrisiko großer Klimarisiken zu bewerten, Verstärkungsmechanismen zu erfassen und Zweitrundeneffekte zu beurteilen. Aggregierte Daten sollen Aufschluss über die klimabezogenen Risiken des Bankensektors im weiteren Sinne geben.
Eurosystem überarbeitet Retail Payments Strategy
Das Eurosystem hat Ende November die überarbeitete Retail Payments Strategy veröffentlicht. Das Eurosystem entwickelte seine Strategie für den Massen zahlungsverkehr zunächst 2019 und verabschiedete dann 2020 eine erweiterte Fassung. Neben der Förderung europäischer Massenzahlungslösungen, die für die Gesellschaft als Ganzes sicher und effizient sind, zielt die Strategie darauf ab, den Herausforderungen für die europäische Souveränität auf dem Zahlungsverkehrsmarkt zu begegnen. Mit der Überarbeitung der Strategie will das Eurosystem den Massenzahlungsverkehr im Euroraum verbessern und den europäischen Zahlungsverkehrsmarkt stärken.
Die Hauptziele der Strategie bleiben dieselben:
• die Entwicklung europaweiter Lösungen für Zahlungen am Point of Interaction (POI), die auf europäischer Ebene geregelt werden, und
• die weitere Stärkung des einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraums (SEPA), vor allem durch die vollständige Einführung von Sofortzahlungen.
Die Strategie des Eurosystems für den Massenzahlungsverkehr und das Projekt des digitalen Euro würden sich gegenseitig ergänzen. Darüber hinaus könnte laut Eurosystem ein digitaler Euro auf verschiedene Weise dazu beitragen, die Ziele der Strategie zu erreichen.
Die aktualisierte Strategie für den Massenzahlungsverkehr enthält auch ein neues Ziel, das die Bedeutung der Erhöhung der Widerstandsfähigkeit des
Massenzahlungsverkehrs widerspiegelt, einschließlich der Notwendigkeit, alternative Zahlungslösungen für den Notfall bereitzustellen.
Am 28.11.2023 fand eine öffentliche Anhörung zum digitalen Euro im Wirtschafts- und Währungsausschuss (ECON) des Europäischen Parlaments statt. Das Hearing beinhaltete Präsentationen von ausgewählten ExpertInnen und wurde von einer Diskussion mit Abgeordneten des Europäischen Parlaments abgerundet.
Zudem veröffentlichte die European Parliament Economic Governance and EMU Scrutiny Unit ein Briefing zum Thema „What’s next for the digital Euro?“. Das Dokument gibt einen Überblick über den aktuellen Stand des Projekts zum digitalen Euro und geht auf die Legislativvorschläge sowie die Stellungnahme der EZB dazu ein.
Folgende Schwerpunkte sind im Briefing enthalten:
• Ad Schlussfolgerungen der EZB aus der Untersuchungsphase („investigation phase“): Die EZB hat im Oktober 2023 angekündigt, in die „Vorbereitungsphase“ des digitalen Euro-Projekts überzugehen. Der digitale Euro soll für Einwohner des Euroraums verfügbar sein, ihnen die Wahl ihres digitalen Euro-Dienstleisters ermöglichen und möglicherweise auf Einwohner von Nicht-EuroLänder ausgeweitet werden. Er soll sowohl online als auch offline nutzbar sein, wobei Offline-Zahlungen ein bargeldähnliches Maß an Privatsphäre ermöglichen sollen. Die EZB schlägt vor, dass Zahlungsdienstleister den digitalen Euro verteilen und als Vermittler zwischen der Zentralbank und den Endbenutzern fungieren.
• Ad Stellungnahme der EZB zu den Legislativvorschlägen: Die EZB begrüße den Gesetzesvorschlag zwar grundsätzlich, empfiehlt aber Änderungen. Sie betone, dass die Entscheidung über die Ausgestaltung und Ausgabe des digitalen Euro in ihre (alleinige) Zuständigkeit für die Geldpolitik fällt und nicht durch sekundäres Recht eingeschränkt werden solle. Die EZB schlägt vor, einige Aspekte zu Gebühren, Datenschutz, Haftung und Offline-Nutzung zu klären oder zu ändern. Die EZB empfiehlt zudem, die Liste der sogenannten „Grunddienstleistungen“ zu erweitern.
• Ad offene Fragen: Die Gestaltung des digitalen Euro berge Spannungsbereiche zur Zuständigkeitsverteilung zwischen den einzelnen EU-Akteuren. Die Autoren regen an zu prüfen, ob der Gesetzgeber den Rahmen für die Entscheidungen der EZB aufgrund von Artikel 129(3) AEUV ändern könne. Man weise auch auf einige technische Fragen hin, die zu einem späteren Zeitpunkt zu klären seien, wie z.B. die Höhe der Mittel, die Geschäftsnutzer für OfflineTransaktionen halten können, oder das Mindestalter für die Eröffnung eines digitalen Euro-Kontos. Die EZB weise darauf hin, dass die Menge an Geldern, die Geschäftsnutzer in Offline-Geräten halten könnten, definiert werden müsse.
• Ad nächste Schritte: Die EZB werde die Ergebnisse des ersten Teils der Vorbereitungsphase und die legislativen Entwicklungen abwarten, bevor sie eine endgültige Entscheidung über die Ausgabe des digitalen Euro treffe. Das EU-Parlament und der Rat haben ihre Diskussionen über die Legislativvorschläge im Sommer 2023 begonnen.
Die FMA und OeNB haben auf ihren Homepages Ende November den TIBERAT Implementation Guide gemeinsam mit einer Presseaussendung veröffentlicht. Damit wird das vom Europäischen System der Zentralbanken (ESZB) entwickelte Rahmenwerk TIBER-EU für die Simulation realitätsnaher Cyberangriffe in Österreich umgesetzt.
Einkommensbesteuerung für Unternehmen: Harmonisierung Bemessungsgrundlage und Verrechnungspreisvorschriften
◆ Status
• Unter spanischem Ratsvorsitz fanden keine Ratsarbeitsgruppen mit substanziellem Fortschritt statt.
• Der spanische Vorsitz hatte bereits angekündigt, das Thema an den belgischen Vorsitz zu übergeben.
Mit dem Richtlinienvorschlag für die Schaffung eines Rahmens für die Einkommensbesteuerung von Unter nehmen soll ein einheitliches Regelwerk zur Bestimmung der Bemessungsgrundlage von Firmengruppen etabliert werden
( BEFIT). Die übergeordneten Ziele sind eine Senkung der Befolgungskosten für Unternehmen, die in mehreren Ländern tätig sind, und eine erleichterte Feststellung der zu entrichtenden Steuern durch die zuständigen nationalen Behörden.
• Anwendungsbereich: EU-Unter nehmensgruppen mit Umsatz > € 750 Mio. (75%)
• Option für kleinere Unternehmen
• Vorteil: Verlustausgleich innerhalb der Gruppen über Grenze möglich; Nachteil: sehr komplex
In einem zweiten Richtlinienvorschlag konkretisiert die Kommission ihre Ideen für die Harmonisierung der nationalen Verrechnungspreisvorschriften. Dabei handelt es sich um die Regeln für die Preisgestaltung von Waren oder Dienstleistungen zwischen verbundenen Unternehmen. Die Kommission schätzt, dass mit den beiden Rechtsakten die einschlägig anfallenden Kosten für Unternehmen um bis zu 65% gesenkt werden können. Die Vorschriften richten sich an große Unternehmen mit einem jährlichen Mindestumsatz von € 750 Mio., an denen die oberste Muttergesellschaft mindestens 75% der Eigentumsrechte hält. Kleinere Unternehmensgruppen können nach eigenem Ermessen die vorgeschlagenen Vorschriften anwenden, solange sie einen konsolidierten Jahresabschluss vorweisen.
Vorteile: erhöhte Rechtssicherheit, Verringerung von Rechtsstreitigkeiten, Verringerung Doppelbesteuerung innerhalb der EU
Die Legislativvorschläge wurden an den Rat übermittelt, mit dem Ziel eines Inkrafttretens der harmonisierten Bemessungsgrundlage mit 1.7.2028 und der Verrechnungspreisvorschriften mit 1.1.2026. Die gegenständliche Initiative der Kommission basiert auf den multilateralen Verhandlungen auf OECD- und G20-Ebene über eine globale Mindeststeuer.
Geplante Umsetzung: 1.1.2028; Anwendung ab 1.7.2028
FASTER – Europäische Kommission schlägt neues Quellensteuerverfahren vor
◆ Status
• Im Rahmen der letzten Sitzung Ende November lag dem Vernehmen nach große Zustimmung über die elektronische Ansässigkeitsbestätigung vor.
• Weitere technische Arbeiten seien jedoch notwendig, um eine allgemeine Ausrichtung zu erlangen.
Im Juni hat die Europäische Kommission ein neues Quellensteuerverfahren für grenzüberschreitende Erträge – Dividenden aus Aktien und Zinsen aus Anleihen – vorgeschlagen. Die als „FASTER“ bezeichnete Richtlinie soll diese Vorschriften für Anleger, Finanzintermediäre wie Banken und die Steuerbehörden der Mitgliedstaaten effizienter und sicherer machen.
Der Vorschlag besteht aus drei Teilen:
• Erstens will die Kommission eine einheitliche digitale EU-Ansässigkeitsbescheinigung des steuerlichen Wohnsitzes schaffen, damit jedes Land Zugang zu denselben Inhalten und Daten hat, wobei ein harmonisierter Standard verwendet wird. Die Bescheinigung soll bereits einen Tag nach dem Antrag ausgestellt werden.
• Zweitens führt der Vorschlag gemeinsame Verfahren ein, bei denen jeder Mitgliedstaat die Möglichkeit hat, ein schnelleres Verfahren zu wählen. Mitgliedstaaten sollen zumindest ein Schnellverfahren umsetzen oder sich für eine Kombination entscheiden: So richtet sich beim Entlastungsverfahren an der Quelle der zum Zeitpunkt der Zahlung angewandte Steuersatz direkt nach den geltenden Bestimmungen des DBA. Während beim Schnell-Erstattungsverfahren die erste Zahlung unter Berücksichtigung des lokalen Quellensteuersatzes des Mitgliedstaates erfolgt, in dem die Dividenden oder Zinsen gezahlt werden. Weiters soll die Erstattung von zu viel gezahlter Steuer innerhalb von 50 Tagen ab dem Zeitpunkt der Zahlung erfolgen.
• Drittens will die Kommission eine Infrastruktur für Anleger aufbauen, die einen schnelleren Service wünschen. Vor diesem Hintergrund sollen zertifizierte Finanzintermediäre zukünftig die Zahlung von Dividenden oder Zinsen an die zuständige Steuerverwaltung melden. Besonders große EU-Finanzintermediäre sollen dazu verpflichtet werden, sich in ein nationales Register zertifizierter Finanzintermediäre einzutragen und die standardisierten Meldungen durchzuführen. Weiters sollen Vermittler sollen auch aus dem Markt genommen werden können, wenn sie sich nicht korrekt verhalten.
Die Kommission schätzt, dass die Anleger durch beschleunigte Verfahren € 5,17 Mrd. pro Jahr einsparen können.
Diese neuen Verfahren sollen für große Konzerne (geschätzt etwa 200) obligatorisch sein, während andere sich freiwillig registrieren lassen können.
Geplante Umsetzung: 31.12.2026; anwendbar ab 1.1.2027
Internationale
Unternehmensbesteuerung
◆ Status
• Das Gesetz wurde am 5. Dezember im Finanzausschuss behandelt und in der folgenden Nationalratssitzung beschlossen.
• Änderungen gegenüber dem Begutachtungsentwurf gab es insbesondere zu den §§ 14 (Mindeststeuer-Gewinn oder -Verlust) und 52 (Safe Harbour).
• Anwendbar für Geschäftsjahre ab 31.12.2023
Link zur Regierungsvorlage:
https://www.parlament.gv.at/gegenstand/XXVII/I/2322
DAC 8 – Richtlinienvorschlag
Neue Meldepflichten in Bezug auf Kryptoassets
◆ Status
• Für österreichische meldepflichtige Finanzinstitute sind – durch das künftige nationale Umsetzungsgesetz zur DAC 8 – Auswirkungen gemäß GMSG zu erwarten.
• Die Bundessparte ist daher in enger Abstimmung mit den zuständigen Behörden, um vor allem die zu erwartenden notwendigen technischen Schema-Umstellungen zeitgerecht vornehmen zu können.
• Das EU-Amtsblatt wurde am 24.10.2023 veröffentlicht.
• Anwendungszeiträume unterschiedlich je nach Bestimmungen (Art. 2):
Umsetzungsfrist: 31.12.2025
1.1.2026 / 1.1.2028 / 1.1.2030 (je nach Bestimmung)
Der Vorschlag nimmt Maßnahmen der OECD-Initiative zum Crypto-AssetReporting-Framework (CARF) und Änderungen des OECD Common Reporting Standard (CRS) auf. Betroffen vom RL-Entwurf sind alle Dienstleister, die Transaktionen mit Krypto-Assets für Kunden mit Wohnsitz in der Europäischen Union erbringen. Dies soll die Verordnung über Märkte für KryptoVermögenswerte (Markets in CryptoAssets, MiCA) und die Vorschriften zur Bekämpfung der Geldwäsche ergänzen.
Link zum Amtsblatt:
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=OJ:L_202302226
Foreign Account Tax Compliance Act – FATCA
Im österreichischen Ministerrat wurde bekanntlich im Oktober 2022 ein Bericht des BMF zur Erteilung der Verhandlungsvollmacht über die Umstellung des Abkommens zwischen Österreich und den USA über die Zusammenarbeit zur vereinfachten Umsetzung von FATCA auf ein Model-1-IGA beschlossen.
Die Bundessparte bringt sich im Sinne der österreichischen Finanzbranche laufend umfangreich in diesen Prozess ein. Kernelement ist es, die Annexe mit den sektorspezifischen Besonderheiten aufrechtzuerhalten. Dies ist der Schwerpunkt der weiteren Arbeit in dieser Thematik. Die aktuellen Verhandlungen im Rahmen der Bundessparte sowohl mit dem BMF als auch den amerikanischen Behörden laufen konstruktiv und lassen zufriedenstellende Lösungen v.a. für die wichtigen Ausnahmen erwarten.
Angelehnt an das Regierungsprogramm, scheint die Schaffung einer Befreiung von Wertpapieren von der Kapitalertragssteuer (KESt) bei gleichzeitiger Wiedereinführung einer Behaltefrist in dieser Regierungsperiode bedauerlicherweise unwahrscheinlich. Die Bundessparte tritt immer wieder nachdrücklich für eine Stärkung des Kapitalmarktes für eine generelle Behaltefrist mit entsprechenden synchronen Schritten für Versicherungen sowie Pensions-, Fonds- und betrieblichen Vorsorgekassen ein. Gerade bei jungen Menschen zeigt sich ein nachhaltiges Interesse bzw. steigt die Nachfrage enorm. Besonders für die Finanzierung der Klimatransformation und angesichts des hohen Zuschusses zu den staatlichen Pensionen ist der Handlungsbedarf mehr als evident. Fortschritte bei der Umsetzung dieses wichtigen Anliegens sind nicht erkennbar.
7. Geldwäsche / Sanktionen
EUGeldwäschePackage
◆ Status
• Die Trilogverhandlungen zwischen Rat, EU-Parlament und Kom mission laufen seit Mai. Ein Abschluss
der Verhandlungen wird bis zum 1 Q 2024 angestrebt.
• Die finale Entscheidung, wo der Sitz der neuen EU-Geldwäschebehörde AMLA liegen wird, wird erst am Ende der Trilogverhandlungen unter der belgischen Präsidentschaft Anfang 2024 fallen. Um den AMLASitz bewerben sich neben Wien auch noch Paris, Frankfurt, Dublin, Rom, Madrid, Vilnius, Riga und Brüssel.
Sowohl Rat als auch EP plädieren dafür, dass zumindest ca. 40 Banken unter die direkte AMLA-Aufsicht fallen werden. Geplant ist, das vollständige Regelwerk einschließlich der technischen Standards bis Ende 2025 umzusetzen und ab 1.1.2026 anzuwenden, d.h. inkl. Umsetzung der 6. GW-RL in nationales Recht. Die AMLA wird frühestens am 1.1.2025 ihre Tätigkeit aufnehmen, wobei die operative direkte Aufsichtstätigkeit dann 2027 starten würde.
Seitens der Bundessparte wird die Ratsposition unterstützt, mehr Möglichkeiten für einen vermehrten Austausch von AML-Kundendaten einerseits zwischen Banken und andererseits zwischen Banken und Behörden zu schaffen. Nur so kann Geldwäsche effizient bekämpfen werden, weil die betreffende Bank ansonsten nur einen kleinen Ausschnitt der Gesamttransaktion erkennen kann. Durch den derzeit diskutierten Vorschlag einer „Partnership for Information Sharing“ könnte mittels digitaler Technologie das Spannungsfeld Datenschutz und AML im Bereich des verschlüsselten Datenpoolings aufgelöst werden. Dadurch könnten in weiterer Folge auch Kooperationsformen wie ein gemeinsames Transaktionsmonitoring gefördert werden bzw. gebe es die Möglichkeit, dass mehr Daten durch die FIU zur Verfügung gestellt werden.
Weiters wird seitens der Bundessparte die Position des EP kritisiert, dass wirtschaftliches Eigentum schon ab einer Beteiligung von 15% vorliegen soll. Auch wird eine überschießende PEP-Regulierung – es gibt den Vorschlag, dass selbst Bürgermeister von Städten mit mehr als 30.000 Einwohnern als politisch exponierte Person gelten sollen – abgelehnt, weil das angeblich höhere Risiko in keinem Verhältnis zum überbordenden Aufwand steht. Begrüßt wird hingegen die zukünftige Vernetzung der europäischen Wirtschaftlichen EigentümerRegister über eine gemeinsame Plattform mit Suchfunktion für Verpflichtete. Die Bundessparte hatte ihre wesentlichen Anliegen zum AML-Package nochmals an die Trilogverhandler und insbesondere an das BMF herangetragen, um auf
die Wichtigkeit der Hauptforderungen hinzuweisen.
◆
In den Trilogverhandlungen wurde vor kurzem eine vorläufige Einigung zur neuen EU-weiten Anti-Geldwäschebehörde (AMLA) erzielt. Die Einigung enthält noch keine Vereinbarung zum Sitz der Behörde; eine Entscheidung dazu soll 2024 gefällt werden.
• Die AMLA soll direkte und indirekte Aufsichtsbefugnisse über risikobehaftete Unternehmen im Finanzsektor haben. Die vorläufige Vereinbarung verleiht der AMLA die Befugnis, bestimmte Arten von Kredit- und Finanzinstituten, einschließlich Anbietern von Krypto-Vermögenswerten, direkt zu beaufsichtigen, wenn sie als risikoreich gelten oder grenzüberschreitend tätig (in mindestens sechs Mitgliedstaaten) sind. Die AMLA soll eine Auswahl von Kredit- und Finanzinstituten treffen, die in mehreren Mitgliedstaaten ein hohes Risiko darstellen. Die ausgewählten Verpflichteten sollen von gemeinsamen Aufsichtsteams (joint supervisory teams) unter der Leitung der AMLA beaufsichtigt werden, die u.a. Bewertungen und Überprüfungen durchführen sollen. Die Behörde soll die Aufsicht über bis zu 40 Gruppen und Unternehmen im ersten Auswahlverfahren erhalten, verbunden mit der Kompetenz, Strafen zu verhängen. Für nicht ausgewählte Verpflichtete (ergo weniger risikoreiche Ein heiten) würde die AML/CFT-Aufsicht in erster Linie auf nationaler Ebene bleiben.
• Darüber hinaus wird die AMLA mit dem EU-AML-Package ca. 70 bis 80 Mandate für Durchführungsstandards und Leitlinien erhalten.
• Die AMLA wird auch Kompetenzen im Bereich der Finanzsanktionen, insb. der Russland-Sanktionen übernehmen.
• Die AMLA soll auch eine unterstützende Rolle in Bezug auf NichtFinanzsektoren haben und die Financial Intelligence Units (FIUs) in den Mitgliedstaaten koordinieren. Für den Nicht-Finanzsektor soll die AMLA eine unterstützende Rolle spielen, indem sie Überprüfungen durchführen und mögliche Verstöße bei der Anwendung der AML/CFT-Bestimmungen untersuchen soll. Die AMLA soll die Befugnis haben, unverbindliche Empfehlungen abzugeben. Die nationalen Aufsichtsbehörden sollen in der Lage sein, freiwillig ein College für ein grenzüberschreitend tätiges
Nicht-Finanzunternehmen einzurichten, wenn dies als notwendig erachtet wird.
• Die AMLA soll auch die Verwaltung von FIU.Net, dem IT-System für den Informationsaustausch der FIUs, innehaben.
• Umfang und Inhalt der AMLAAufsichtsdatenbank wird erweitert, indem die Behörde aufgefordert wird, eine zentrale Datenbank mit Informationen, die für das AML/ CFT-Aufsichtssystem relevant sind, einzurichten und aktuell zu halten.
• Die AMLA soll über einen allgemeinen Verwaltungsrat verfügen, der sich aus Vertretern der Aufsichtsbehörden und der FIUs aller Mitgliedstaaten zusammensetzt, sowie über einen Exekutivrat, der das Leitungsorgan der AMLA sein wird und sich aus dem Vorsitzenden der Behörde und fünf unabhängigen Vollzeitmitgliedern zusammensetzt.
• Es soll ein verstärkter Mechanismus zur Meldung von Missständen (whistleblowing) eingeführt werden. Was die Verpflichteten betrifft, so soll sich die AMLA nur mit Meldungen aus dem Finanzsektor befassen und soll auch in der Lage sein, Meldungen von Mitarbeitern nationaler Behörden entgegenzunehmen.
2024 wird die Länderprüfung Österreichs durch die FATF starten, eine Unterorganisation der OECD, die die Implementierung von Geldwäsche-Standards in den Mitgliedsländern prüft. Die Ergebnisse dieser Prüfung sind für Finanzmarkt sehr wichtig, sodass die Bundessparte darauf gedrängt hat, hier von Behörden- und Ministerienseite frühzeitg eingebunden zu werden. Erste Gespräche zwischen Bundessparte und beteiligten Behörden und Ministerien haben bereits stattgefunden. Das BMF und die Zuständigen agieren hier sehr umsichtig und beziehen die Finanzbranche gut ein. Der Questionnaire wird im September 2024 vorliegen, die On-Site-Visits werden dann Anfang 2025 erfolgen. Vor Weihnachten ist noch ein erster Kontakt der österreichischen Finanzbranche mit der FATF angesetzt.
VerbraucherkreditRL
◆ Status
Die Verbraucherkredit-RL wurde am 30.10.2023 im Amtsblatt der EU ver-
öffentlicht. Die Umsetzungsfrist endet am 20.11.2025. Die neuen Regelungen gelten dann ab 20.11.2026. In Österreich wird die Umsetzung großteils im Verbraucherkreditgesetz (VKrG, Kompetenz des BMJ) erfolgen, manche Bestimmungen fallen auch in die Kompetenz des BMF.
Die wesentlichen Eckpunkte sind:
• Die neue Richtlinie ist wesentlich komplexer und länger als die bestehende Verbraucherkredit-RL. In gewissen Bereichen erfolgt eine Angleichung an die Wohnimmobilienkredit-RL, die in Österreich im Hypothekar- und Immobilienkreditgesetz (HIKrG) umgesetzt ist.
• Kredite unter € 200 können – basierend auf einem Mitgliedstaatenwahlrecht – weiterhin vom Anwendungsbereich ausgenommen werden. Dies gilt auch für Kredite, die innerhalb von drei Monaten zurückgezahlt werden (dzt. im VKrG ebenfalls vorgesehen).
• Entgegen den Bemühungen des Rates hat das EP durchgesetzt, dass der sehr weit gefasste Anti-Diskriminierungsartikel (Art. 6) in den finalen Text Eingang gefunden hat. Kreditgeber dürfen potenzielle Kreditnehmer mit Verweis auf die Europäische Menschenrechtskonvention nicht diskriminieren. Dies könnte weitreichende Auswirkungen auf Banken haben, die ihre Kredite nicht an Personen anbieten, die einen Wohnsitz im Ausland haben. Bei diesen würde bei Rechtsstreitigkeiten zwingend ausländisches Recht zur Anwendung kommen. Es findet sich jedoch eine einschränkende Klausel in Art. 6, wonach unterschiedliche Konditionen angeboten werden können, sollte dies objektiv gerechtfertigt sein. Jedenfalls sind jegliche Tendenzen, die für den Kreditgeber in die Richtung eines Kontrahierungszwangs gehen, abzulehnen, und ist auf diesen Aspekt im Zuge der RL-Umsetzung besonderes Augenmerk zu legen.
• Die Informationspflichten bei Geschäftsanbahnung werden ausgeweitet. Sie sind auf Papier oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger bereitzustellen. Auch hier ist ein repräsentatives Beispiel inkl. gesamtem Kreditbetrag und jährlicher Kreditrate bereit zu stellen. Auch muss eine Indikation zusätzlicher möglicher Kosten gegeben werden, die nicht in den Gesamtkosten enthalten sind. Weiters muss ein Hinweis auf das Rücktrittsrecht sowie ein genereller Hinweis gegeben werden, welche
Konsequenzen mit der Nichtbedienung des Kredites verbunden sind.
• Die vorvertraglichen Informationen müssen so aufbereitet sein, dass der Kreditnehmer verschiedene Angebote vergleichen kann. Dazu gibt es ein Formblatt (Standard European Consumer Credit) im Annex 1 der Richtlinie. Wenn der Kreditgeber die vorvertraglichen Informationen weniger als einen Tag vor Unterzeichnung übermittelt, so muss ein Reminder übermittelt werden, mit dem über das Rücktrittsrecht informiert wird.
• Gewisse Kopplungsgeschäfte können die Mitgliedstaaten erlauben. Insb. darf der Kreditgeber eine Versicherung bei Kreditabschluss verlangen, wobei jedoch der Kreditgeber auch eine Versicherungspolizze akzeptieren muss, die nicht von ihm vermittelt wurde, sofern diese gleichwertig ist. Bei der Versicherung wird ein sehr problematisches „Recht auf Vergessen“ statuiert, wonach 15 Jahre nach einer Erkrankung diese bei der Berechnung des Versicherungstarifs nicht mehr berücksichtigt werden darf. (Art. 14)
• Kreditvergabeverbot: In Art. 18 wird eine wesentliche Verschärfung zu den bestehenden Regeln vorgesehen. Zukünftig darf ein Kredit nur vergeben werden, wenn die Bedienung der Raten in der vereinbarten Art und Weise wahrscheinlich ist. Bis dato gilt hier nur eine Mahnpflicht im VKrG. Damit wird ein Kreditvergabeverbot wie dies bisher nur im HIKrG der Fall ist, auch für Verbraucherkredite eingeführt.
• Wenn der Kreditantrag vom Kreditgeber abgewiesen wird, so muss der Kreditgeber darüber informieren und gegebenenfalls den Kreditwerber an eine Schuldnerberatungsstelle verweisen. Wurde die Kreditentscheidung auf Basis automatisierter Prozesse gefällt, hat der Kreditwerber das Recht, die Prüfung durch eine natürliche Person zu verlangen.
• In Art. 21 wird der zwingende Inhalt des Kreditvertrages umschrieben, insb. der Hinweis auf die Möglichkeit der frühzeitigen Rückzahlung. Auch muss ohne zusätzliche Gebührenverrechnung jederzeit dem Kreditnehmer eine Übersicht über die noch ausstehende Kreditsumme ausgehändigt werden (Amortisation Table).
• Overrunning (Art. 25): Wenn der Rahmen weiter überzogen wird, muss der Kreditgeber den Kreditnehmer an die Schuldnerberatung weiterverweisen. Wenn der Kreditgeber das sog. Overrunning einstellen möchte,
so muss er den Kreditnehmer mind. 30 Tage vorher informieren. Beim Überschreitungsbetrag, den der Kreditgeber rückfordert, müssen dem Kreditnehmer zwölf gleich hohe Monatsraten gestattet werden (Art. 25 Abs. 3b).
• Frühzeitige Kreditrückzahlung (Art. 29): Als Konsequenz der Lexitor-Rechtsprechung des EuGH wird vorgesehen, dass der Kreditnehmer bei vorzeitiger Rückzahlung die angemessene Reduktion aller laufzeitabhängigen und laufzeitunabhängigen Kosten verlangen darf. Davon sind alle vom Kreditgeber dem Kreditnehmer verrechneten Kosten umfasst. Art. 29 wird durch Er wägungsgrund 62 der Richtlinie weiter konkretisiert, wonach Gebühren, die Durchlauf posten sind, nicht rückzuerstatten sind. Kreditvermittlergebühren (“Fees charged by a creditor to the benefit of a third party”) dürften jedoch laut Er wägungsgrund 62 von der Kostenreduktion umfasst sein.
• Bei der Vorfälligkeitsentschädigung bei frühzeitiger Kreditrückzahlung (bei Fixzinskrediten) gibt es im Wesentlichen keine Änderung. Die Deckelung bei 1% des rückgeführten Betrages (die Österreich nicht nur im VKrG, sondern auch im HIKrG vorgesehen hat) bleibt bestehen.
• Bei Art. 31 (Zinssatzobergrenzen) ist es gelungen, dass nationale Regelungen wie in Österreich der § 879 ABGB, die Leasio-enormis-Bestimmungen und das Wuchergesetz ausreichend vor Missbrauch schützen und hier keine strengeren Bestimmungen notwendig sind. Die EBA wird einen Report verfassen, welche Maßnahmen/Regelungen die Mitgliedstaaten vorsehen, um exzessive Zinssätze und Kosten zu unterbinden.
• Die Nachsicht-Verpflichtung in Art. 35 Abs. 1 ist ob ihrer Unklarheit besonders problematisch. So werden verschiedene ForbearanceMaßnahmen den Kreditgebern auferlegt wie z.B. eine Verlängerung der Rückzahlungsfrist, ein Aussetzen der Ratenzahlung, eine Reduktion des Zinssatzes sowie ein teilweiser Schulderlass.
Insgesamt bedeutet auch dieses Paket wieder erhebliche zusätzliche Belastungen für die österreichischen Banken. Gruppenklage (EUVerbandsklage)
Die EU-Verbandsklagen-Richtlinie (RL(EU) 2020/1828) sieht für Verbraucher umfassendere Möglichkeiten zur kollektiven Geltendmachung ihrer
Rechte vor. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, ein System für Verbandsklagen einzuführen, mit dem die Kollektivinteressen der Verbraucher vor Verstößen gegen das Unionsrecht geschützt werden. Es umfasst sowohl Unterlassungsklagen als auch Abhilfemaßnahmen. Die RL wäre bis 25.12.2022 umzusetzen gewesen, mit Geltung ab 25.6.2023. Die ministeriellen Beratungen sind seit Frühsommer 2022 abgeschlossen, es ist derzeit nicht absehbar, wann ein Begutachtungsentwurf veröffentlicht wird. In der Bundessparte ist eine Arbeitsgruppe zur Erarbeitung eines Positionspapiers und laufenden Begleitung der Umsetzungsschritte eingerichtet.
◆ Position der Bundessparte
• Bei der Umsetzung ist ein „Gold Plating“ zu vermeiden.
• Da die RL dem Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher dient, sind Verbandsklagen gegen Unternehmer zum Schutz der Kollektivinteressen von (anderen) Unternehmern nicht umfasst.
• Festzuhalten ist, dass die RL die Öffnung der Verbandsklageberechtigung, über die bereits im KSchG gesetzlich vorgesehenen Einrichtungen hinaus, nur für grenzüberschreitende Verbandsklagen verlangt. Für innerstaatliche Verbandsklagen sollte es beim jetzigen System bleiben.
• Die Mitgliedstaaten können bestimmen, welche Mindestanzahl von Verbrauchern betroffen sein muss, damit eine Verbandsklage zulässig ist. Eine zu kleine Anzahl wird als zu gering gesehen, da dies der Intention der Richtlinie widerspricht, insbesondere in Zusammenhang mit möglichem Reputationsschaden sowie der Hintanhaltung von missbräuchlicher Erhebung wird eine deutlich große Anzahl der Personen gefordert, z.B. mindestens 100 Personen. Zielführend wäre, dass die erforderliche Zahl an Verbrauchern bereits vor Klageerhebung konkret benannt wird und das Gericht dann eine Vorprüfung durchführt, bevor die Klage zugestellt wird.
• Ein Beitritt nach Abschluss des Verbandsverfahrens sollte keinesfalls möglich sein. Andernfalls hätten einzelne Verbraucher die Möglichkeit, sich dem Verfahren – je nach Günstigkeit des Verfahrensausgangs – anzuschließen und die Urteilswirkung für sich zu beanspruchen.
• Dem bisherigen System der ZPO folgend ist darauf Bedacht zu nehmen, dass die Verjährung nur für jene Ansprüche unterbrochen ist, die sich dem
Verfahren wirksam angeschlossen haben.
• Ein „Rückwirkendes Einsammeln“ noch nicht verjährter Ansprüche durch qualifizierte Einrichtungen sollte nicht möglich sein.
• Sollte der „Umstieg“ auf das Verbandsklageverfahren zugelassen werden, dann nur unter der Voraussetzung einer vorherigen Klagsrückziehung im Einzelverfahren mit vollständigem Kostenersatz gegenüber dem Unternehmer.
Regierungsvorlage gesellschaftsrechtliches Digitalisierungsgesetz 2023
Am 30.11.2023 wurde das Gesellschaftsrechtliche Digitalisierungsgesetz 2023 im Justizausschuss des Nationalrats beschlossen. Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften oder Genossenschaften werden demnach künftig vorübergehend von diesen Tätigkeiten ausgeschlossen, wenn sie wegen eines Wirtschaftsdelikts wie Untreue oder Betrug zu mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt wurden. Diese „Disqualifikation“ soll drei Jahre gelten.
Regierungsvorlage Informationsfreiheitsgesetz
Die Regierungsvorlage für ein „Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert und ein Informationsfreiheitsgesetz erlassen wird“ ist am 6.10.2023 im Nationalrat eingelangt. Entsprechend dem Regierungsprogramm soll die Amtsverschwiegenheit abgeschafft und durch ein einklagbares Recht auf Zugang zu Information sowie die Pflicht zur (pro)aktiven Informationsveröffentlichung (im Verfassungsrang) ersetzt werden (grundsätzlich sind auch Unternehmen, die der Rechnungshofkontrolle unterliegen, und Kammern umfasst). Ausnahmen (Geheimhaltungsgründe) sind taxativ aufgezählt.
Für die parlamentarische Beschlussfassung ist eine Zweidrittelmehrheit des Nationalrats und eine qualifizierte Zustimmung des Bundesrats erforderlich. Aktuell laufen parlamentarische Verhandlungen zur Erlangung der nötigen Verfassungsmehrheit mit dem Ziel eines Beschlusses noch in der laufenden Gesetzgebungsperiode.
Entwurf Bundesgesetz über Höhere Berufsbildung
Der Wirtschaftsausschuss des Nationalrates hat am Ende November 2023 den Entwurf eines Gesetzes zur Einrichtung
der höheren beruflichen Bildung einstimmig beschlossen. Es soll einen formalen (gesetzlich eingerichteten) qualitätsorientierten Rahmen bereitstellen, um die Höherqualifikation am Arbeitsmarkt praxisorientiert und entsprechend den Anforderungen der betroffenen Branchen systemisch zu unterstützen. Ziel ist es, Fachkräfte in inhaltlicher Anknüpfung an ihre berufliche Erstausbildung oder bereits erworbene Berufspraxis nach transparenten Kriterien, evidenzbasiert und tätigkeitsbezogen weiterzubilden.
Durch die Anknüpfung an die Qualifizierungsniveaus ab Stufe 5 des Nationalen Qualifikationsrahmens (NQR) und damit des Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR) sollen höhere berufspraktische Qualifikationen auch international vergleichbarer werden. Das würde u.a. bei internationalen Auftragsvergaben eine verbesserte Darstellung des Qualifikationsniveaus der zum Einsatz kommenden Fachkräfte österreichischer Unternehmen ermöglichen.
Die Wirtschaftskammer Österreich hat sich sehr für einen derartigen rechtlichen Rahmen eingesetzt und die wesentlichen Anliegen sind berücksichtigt worden.
Initiativantrag 3. Mietrechtliches Inflationslinderungsgesetz (3. MILG)
Ende August 2023 wurde durch Vertreter der Regierungsparteien ein Initiativantrag für ein 3. Mietrechtliches Inflationslinderungsgesetz (3. MILG) eingebracht, das einen sogenannten „Mietpreisdeckel“ einführen soll, damit Anpassungen in den nächsten drei Jahren jeweils 5% nicht übersteigen sollen und an den gesetzlich vorgesehenen Inflationsanpassungen im Mietrechtsgesetz (MRG), Richtwertgesetz (RichtWG) und Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz (WGG) ansetzt. Gemäß Initiativantrag nicht umfasst sind Mietverträge über frei finanzierte Neubauwohnungen sowie Geschäftsräume.
Der ursprüngliche Initiativantrag enthält Bestimmungen im Verfassungsrang, d.h. er benötigt eine entsprechende Zweidrittelmehrheit im Gesetzgebungsprozess. Ein Inkrafttreten war mit 1.10.2023 (MRG, RichtWG) beziehungsweise am Folgetag der Kundmachung (WGG) geplant, Anpassungen sollten erstmals mit 1.4.2024 (MRG, WGG) bzw. 1.4.2025 (RichtWG) erfolgen. Die Regierung hat sich nunmehr vor dem letzten Nationalratsplenum dieses Jahres geeinigt. Konkret sollen die Mieterhöhungen von Kategoriemieten, Richtwertmieten und gemeinnützigen Wohnungen begrenzt werden. Nicht von der Beschränkung
betroffen sein sollen freie Mietverträge. Für die im Mietrechtgesetz geregelten Kategoriemieten sollen die Erhöhungen 2024 entfallen. Rechtlich basiert dies auf einem Abänderungsantrag zum 3. Mietrechtlichen Inflationslinderungsgesetz, der am 12.12.2023 im Bautenausschuss des Nationalrats eingebracht wurde. Während der bisherige Gesetzesentwurf Ver fassungsbestimmungen enthielt, kommt das Gesetz in Form des Abänderungsantrags ohne diese aus und kann vom Nationalrat mit einfacher Mehrheit noch Mitte Dezember 2023 beschlossen werden.
Justizausschuss beschließt „flexible Kapitalgesellschaft“
Um den spezifischen Bedürfnissen von Startups und Gründerinnen Rechnung zu tragen, wird es künftig mit der „Flexiblen Kapitalgesellschaft“ (FlexKapG) eine neue Rechtsform für Unternehmen geben. Der Justizausschuss des Nationalrats hat am 30.11.2023 der Regierungsvorlage zugestimmt. Außerdem wird das Mindeststammkapital für GmbHs mit dem GesellschaftsrechtsÄnderungsgesetz 2023 von € 35.000 auf € 10.000 abgesenkt.
Angelehnt ist die Flexible Kapitalgesellschaft, die sich auch Flexible Company (FlexCo) nennen wird dürfen, an die Rechtsform einer GmbH. Allerdings wurden in die gesetzlichen Grundlagen auch Bestimmungen aus dem Aktiengesetz – in adaptierter Form – übernommen. So kann der Gesellschaftsvertrag etwa auch die Ausgabe von „Unternehmenswert-Anteilen“ vorsehen. Damit wird die Möglichkeit geschaffen, Mitarbeiter zu attraktiven Bedingungen und mit nur geringen Formalerforder nissen am erwarteten Unternehmenserfolg zu beteiligen. Stimmrechte sind damit allerdings keine verbunden. Auch darf das Ausmaß derartiger Anteile 24,99% des Stammkapitals nicht überschreiten.
Als Mindeststammeinlage für einzelne Gesellschafter schlägt die Regierung € 1 vor. Bei Kapitalerhöhungen wird es zu bürokratischen Vereinfachungen kommen. Ein Aufsichtsrat ist dann zu bestellen, wenn die Gesellschaft zumindest eine mittelgroße Kapitalgesellschaft im Sinne des Unternehmensgesetzbuchs ist. Weitere gesetzliche Regelungen betreffen u.a. die uneinheitliche Ausübung des Stimmrechts von Gesellschaftern mit mehreren Stimmen, den Erwerb, die Veräußerung und die Einziehung von Geschäftsanteilen sowie die Umwandlung einer FlexKapG in eine GmbH oder einer Aktiengesellschaft und umgekehrt.
Flexiblen Kapitalgesellschaften wird darüber hinaus die generelle Absenkung des Mindeststammkapitals für GmbHs von € 35.000 auf € 10.000 zugutekommen. Bisher hatten laut GmbH-Gesetz nur Firmengründer ein entsprechendes – und auf zehn Jahre befristetes –Gründungsprivileg. Österreich wird sich damit bei den Kapitalanforderungen für Gesellschaften mit beschränkter Haftung künftig im europäischen Vergleich im mittleren Bereich bewegen, hält das Justiz ministerium fest. Auch nachträgliche Kapitalherabsetzungen sind möglich. Für die rund 32.000 bestehenden gründungsprivilegierten Gesellschaften sind Übergangsbestimmungen vorgesehen.
EU SLAPPKlagen – politische Einigung
Das Europäische Parlament und der Rat haben Ende November 2023 eine vorläufige politische Einigung über neue EU-Vorschriften zum Schutz vor strategischen Klagen gegen öffentliche Beteiligung (SLAPP-Klagen) erzielt. Diese Klagen werden vor allem gegen Journalisten, Menschenrechtsaktivisten und sowie Organisationen der Zivilgesellschaft eingesetzt. Mit dem Inkrafttreten der neuen Richtlinie wird es erstmals ein verbindliches europäisches Rechtsinstrument gegen SLAPP-Klagen geben, das auch wirksame verfahrensrechtliche Schutzmaßnahmen für grenzüberschreitende SLAPP-Klagen beinhaltet.
EKVorschlag Änderung
PauschalreiseRL veröffentlicht
Die Europäische Kommission hat Ende November 2023 den Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinie (EU) 2015/2302, um den Schutz von Reisenden effektiver zu machen und bestimmte Aspekte der Richtlinie zu vereinfachen und klarzustellen (Änderung der Pauschalreise-RL), veröffentlicht.
Mit dem Vorschlag soll der Schutz von Pauschalreisenden verbessert werden, nachdem insbesondere die Covid-Krisensituation Schwachstellen der geltenden Richtlinie u.a. bei Rückerstattungen gezeigt habe. Außerdem sollen damit – so jedenfalls die Kommission – auch Vereinfachungen und Klarstellungen vorgenommen werden.
EMIR – Rat Position und Mandat für Trilog
Der Rat hat am 6.12.2023 ein Mandat zur Aufnahme von Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament über den Vorschlag zur Überarbeitung der europäischen Marktinfrastruktur-
verordnung und -richtlinie angenommen. Ziel der Überarbeitung ist es, die EU-Clearinglandschaft attraktiver und widerstandsfähiger zu machen, die offene strategische Autonomie der EU zu unterstützen und die Finanzstabilität der EU zu wahren.
Das Europäische Parlament hat am 28.11.2023 im Wirtschafts- und Währungsausschuss seinen Bericht angenommen. Ziel ist es, rasch mit den Trilogverhandlungen zu beginnen und dieses Dossier noch vor Ablauf dieser Amtszeit fertigzustellen. Voraussichtlich wird der Bericht im Plenum Mitte Dezember 2023 bestätigt.
Die Europäische Marktinfrastrukturverordnung (EMIR) legt Regeln für außerbörslich gehandelte Derivate, zentrale Gegenparteien (CCPs) und Transaktionsregister fest. Die Überarbeitung enthält mehrere Legislativmaßnahmen zur Verbesserung der EU-Clearingdienste, insbesondere durch die Straffung und Verkürzung der Verfahren, die Verbesserung der Kohärenz zwischen den Vorschriften, die Stärkung der CCP-Aufsicht und die Verpflichtung der clearingpflichtigen Marktteilnehmer, einen Teil der Produkte, die von der ESMA als von erheblicher systemischer Bedeutung eingestuft wurden, über aktive Konten bei EU-CCPs zu clearen.
EU RL Vorschlag Corporate Sustainability Due Diligence („CSDDDEULieferkettenG“)
◆ Status
Der Rat und das Europäische Parlament haben am 14.12.2023 eine vorläufige Einigung erzielt. Die Einigung legt den Geltungsbereich der Richtlinie auf Großunternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und einem weltweiten Nettoumsatz von € 150 Mio. fest. Für Nicht-EU-Unternehmen gilt sie, wenn sie drei Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie einen Nettoumsatz von € 300 Mio. in der EU erwirtschaften. Die Kommission wird eine Liste der Nicht-EUUnternehmen veröffentlichen müssen, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen.
Finanzsektor
Gemäß der vorläufig erzielten Einigung sollte der Finanzsektor vorübergehend vom Anwendungsbereich ausgenommen werden, doch wird es eine Überprüfungsklausel für eine mögliche zukünftige Einbeziehung dieses Sektors auf der Grundlage einer ausreichenden Folgenabschätzung geben.
Die österreichische Kredit- und Versicherungswirtschaft bekennt sich zu nachhaltigem, verantwortungsvollem und zukunftsfähigem Wirtschaften und unterstützt in diesem Sinne die Intentionen der Initiative, den internationalen Menschenrechts- und Umweltschutz durch einen kohärenten Rechtsrahmen zu verbessern.
Allerdings wird sowohl der Zeitpunkt (RL-Vorschlag wurde im Februar 2022 veröffentlicht) als auch die Eignung des Inhalts des Vorschlags kritisch gesehen, aktuell tatsächlich Verbesserungen zu bewirken, da die weltweiten Lieferketten bereits durch die gegenwärtigen Krisen massiven Belastungen ausgesetzt sind.
◆ Anliegen der Bundessparte
Es ist es wichtig, dass der Begriff der „Wertschöpfungskette“ in der CSRD (Corporate Sustainability Directive) und in der CSDDD (Corporate Sustainability Due Diligence Directive) übereinstimmt und bei dessen Definition auf die Besonderheiten von Finanzinstituten Rücksicht genommen wird.
Bei Finanzinstituten sollte zwischen Administrativ- und Finanzierungstätigkeiten unterschieden werden und die vorund nachgelagerte Wertschöpfungskette der Kunden (i.Z.m. Finanzierungstätigkeiten bzw. Finanzdienstleistungen) dezidiert ausgeschlossen werden.
Beim vorliegenden Entwurf besteht Unsicherheit über das zu erwartende Ausmaß der Sorgfaltspflichten. Die vorgesehenen Bestimmungen lassen Raum für Interpretationen, daher wird die Forderung nach einer besseren Klarstellung der relevanten Aspekte in Bezug auf die Sorgfaltspflichten und Verantwortlichkeiten grundsätzlich unterstützt. Wichtig ist vor allem, dass es keine Schadenersatzansprüche gegen die Finanzbranche aus nicht oder kaum überprüfbaren Informationen in den Lieferketten geben kann.
◆ Position der Bundessparte
• Explizite Ausnahme von Finanzdienstleistungen aus dem Anwendungsbereich
• Keine Wertschöpfungskette, sondern Lieferkette
• Anwendbar nur für direkte Geschäftsbeziehungen mit Unternehmen aus Drittstaaten
• Positivliste der Europäischen Kommission von Staaten, die von der Sorgfaltspflichtprüfung ausgenommen sind (z.B. USA, Kanada, UK)
• Erst ab 5.000 Mitarbeitern, statt 500
• Weitere Eingrenzung der Anhänge, keinesfalls Ausweitung
• Wegen zahlreicher Lex-specialisRegeln für die Finanzwirtschaft soll diese möglicherweise erst zukünftig in den Anwendungsbereich fallen, aber erst dann, wenn ein umfassende Auswirkungsstudie dies explizit ausweist.
EUVorschlag: Änderung der RL über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher
◆ Status
Mit der Annahme durch den Rat am 23.10.2023 wurde der europäische Gesetzgebungsprozess abgeschlossen. Ausständig (mit Stand 9.11.2023) ist die Veröffentlichung im Amtsblatt der EU.
Die Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen sieht eine Vollharmonisierung vor, damit in allen Mitgliedstaaten dieselben Regeln gelten (keine unterschiedlichen Standards). Die vorvertraglichen Informationspflichten werden modernisiert. Der Kunde soll auch ausreichend Zeit haben, diese Informationen zu reflektieren. Das Rücktrittsrecht wird gestärkt, u.a. soll der Verbraucher über einen „Rücktritts-Button“ einfach online seinen Vertragsrücktritt binnen der 14-Tage-Frist erklären können (das Rücktrittsrecht gilt nicht bei Veranlagungen, die Kursschwankungen unterliegen). Weiters soll der Kunde Fragen abklären können, auch über „Chat boxes“ und „Robo-advice“, wobei der Kunde auf seinen Wunsch mit einer Person, die den Anbieter repräsentiert oder für diesen arbeitet, direkt kommunizieren können soll.
EURichtlinie „Green Claims“ –Einführung von Kriterien gegen Greenwashing
◆ Status
Ein Berichtsentwurf des im Europäischen Parlament zuständigen Umweltausschusses und Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz wurde am 11.10.2023 veröffentlicht, die politischen Verhandlungen sind noch nicht abgeschlossen, ebenso im Rat.
Die Europäische Kommission hat am 22.3.2023 einen Vorschlag für eine EURichtlinie zu „Green Claims“ veröffentlicht. Damit werden für die Validierung umweltbezogener Werbung spezifische Standards und Informationspflichten vorgegeben. Grundsätzliches Ziel ist, die Transparenz generell zu erhöhen.
Die Anforderungen für die Nachweisbarkeit umweltbezogener Behauptungen werden umfassender als die aktuelle nationale Rechtslage geregelt, eigene Behörden sollen die Umsetzung kontrollieren und Geldsanktionen für Verstöße sollen eingeführt werden. Damit könnten für Unternehmen und Leitungsorgane weitere wirtschaftliche Risiken entstehen.
Der RL-Vorschlag sieht auch ein Bewertungssystem vor, mit dem man vorab prüfen kann, ob man mit bestimmten Umweltaussagen werben kann. Weiters ist vorgesehen, dass Beschwerdeführern der Rechtsweg offenstehen muss und die einzuführenden Systeme selbstkontrollierend sind. Durch ein „Life Cycle Assessment“ soll eine Bewertung durch einen unabhängigen Prüfer nach einer wissenschaftlich fundierten Methodik erfolgen. Auch für die Verwendung von Umweltlabels soll es zukünftig konkrete Voraussetzungen und ein Genehmigungsverfahren geben.
Für den Finanzdienstleistungsbereich ist insbesondere auf Erwägungsgrund 10 hinzuweisen, der auf Ausnahmen in Hinblick auf verpflichtende oder freiwillige „sustainability information“ für den Finanzdienstleistungsbereich Bezug nimmt.
EURichtlinie Vorschlag
Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts
◆ Status
Der EK-Vorschlag wurde im Dezember 2022 veröffentlicht. Federführend im Europäischen Parlament ist der Rechtsauschuss. Stellungnahmen des Wirtschafts- und Sozialausschusses sowie des Europäischen Datenschutzbeauftragten liegen bereits vor. Im Rat scheint es einige offene Fragestellungen zu geben, einerseits wird das Dossier als zu ambitioniert gewertet bzw. wird für eine ausreichende Flexibilität bei der nationalen Ausgestaltung plädiert. Aufgrund des kontroversiellen Zugangs zum Thema ist nach derzeitiger Einschätzung nicht von einem Abschluss des Dossiers in der aktuellen europäischen Legislaturperiode auszugehen.
EKVorschlag Änderung RL über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten
Die Europäische Kommission hat im Oktober 2023 einen Vorschlag einer Richtlinie zur Änderung der Richtlinie über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten veröffentlicht. Diese wurde national
durch das Bundesgesetz über alter native Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten (Alternative-StreitbeilegungGesetz – AStG) umgesetzt.
Wesentliches Ziel der nun vorgeschlagenen Änderung ist es, den Anwendungsbereich auf Streitigkeiten auszuweiten, die insbesondere auf digitalen Märkten auftreten. Dies, indem er ausdrücklich ein breites Spektrum von EU-Verbraucherrechten abdeckt, die möglicherweise nicht ausdrücklich in Verträgen beschrieben sind oder sich auf vorvertragliche Phasen beziehen (d. h. nicht beschränkt auf Streitigkeiten im Zusammenhang mit einem Vertrag).
Der Einsatz außergerichtlicher Streitbeilegung bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten soll durch eine individuellere Unterstützung von Verbrauchern und Unternehmern verbessert werden.
Zu den geplanten Vereinfachungen gehört die Verringerung der Meldepflichten von AS-Stellen und der Informationspflichten von Unternehmern bei gleichzeitiger Auflage für Unternehmer, sich durch die Einführung einer Antwortpflicht stärker mit AS-Ansprüchen zu befassen.
SolvencyIIReview
◆ Status
• Im Dezember 2023 haben der Rat, das Europäische Parlament und die Europäische Kommission eine vorläufige Trilogeinigung zu der Überarbeitung der Vorschriften zur Aufnahme und Ausübung der Versicherungsund der Rückversicherungstätigkeit im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit, die Aufsichtsqualität, die Berichterstattung, langfristige Garantien, makroprudenzielle Instrumente, Nachhaltigkeitsrisiken, die Gruppenaufsicht und die grenzüberschreitende Aufsicht („Solvabilität II“) erzielt. Der Text der vorläufigen Einigung liegt noch nicht vor.
• Wesentliche Änderungen betreffen Parameter mit Auswirkungen auf die Solvenzquote (Risikomarge, Extrapolation der risikofreien Zinskurve, Volatilitätsanpassung, Kapitalanforderung für langfristiges Eigen kapital).
• Das Regelwerk beinhaltet die Aufnahme weiterer Nachhaltigkeitselemente, die risiko- und evidenzbasiert sind. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wurde besser verankert, um übermäßige Belastungen
für kleine und nicht komplexe Versicherungsunternehmen zu verringern. Die Gesamtauswirkung des Reviews bedeutet für die meisten Unternehmen eine Zunahme der operativen Belastungen und der Berichterstattung, was im Widerspruch zur Zusage der Europäischen Kommission steht, die Berichtspflichten um 25% zu verringern.
• Die vorläufige Einigung muss noch formal von Rat und Parlament bestätigt werden, bevor sie als final gilt. Die Arbeiten zu den Änderungen der Delegierten Verordnung werden Anfang 2024 aufgenommen.
• Mit der Anwendung der RL-Änderungen ist nicht vor 2026 zu rechnen.
Das seit 2016 geltende Rahmenwerk Solvabilität II stellt einen grundlegenden Wandel hin zu einem harmonisierten und ausgefeilten wirtschaftlichen, risikobasierten System dar. Es ersetzte Solvabilität I, das eine sehr vereinfachte Kapitalregelung war, die zusammen mit einer Vielzahl unterschiedlicher nationaler Anforderungen angewendet wurde. Solvabilität II wird von der Versicherungsbranche nachdrücklich unterstützt, da es darauf abzielt, die aufsichtsrechtlichen Anforderungen mit den bewährten Praktiken in den Bereichen Kapitalmanagement, Risikomanagement und Governance in Einklang zu bringen, die die Versicherer bereits anwenden.
Sanierung und Abwicklung von Versicherungsunternehmen (IRRD)
◆ Status
• Am 14.12.2023 konnte eine Trilogeinigung zur Richtlinie betreffend die Sanierung und Abwicklung von Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen erzielt werden.
• Gemäß der Richtlinie sollen die nationalen Aufsichtsbehörden sicherstellen, dass eine Mindestanzahl von Versicherungsunternehmen in jedem Mitgliedsstaat der EU dazu verpflichtet wird, präventive Sanierungspläne aufzustellen. Das gilt nicht nur für besonders risikoreiche Versicherer. Die ursprünglich geforderte Abdeckungsquote konnte im Zuge der Verhandlungen abgesenkt werden. Gleiches gilt im Hinblick auf die Erstellung präventiver Abwicklungspläne. Diese sollen zwar durch die nationale Abwicklungsbehörde erstellt werden. Dennoch sind die betroffenen Versicherungsunternehmen verpflichtet,
dafür notwendige Informationen bereitzustellen.
• Im Dezember 2022 hat der Rat seine allgemeine Ausrichtung festgelegt. Der Kompromiss gewährt den Mitgliedstaaten eine hohe Flexibilität bei der Umsetzung von nationalen Bestimmungen.
• Die Abstimmung im ECON zu den Berichtsentwürfen und den dazugehörigen Änderungsanträgen erfolgte im Juli 2023.
• Folgende Themen werden seitens der Versicherungswirtschaft u.a. als kritisch betrachtet: Finanzierung von Abwicklungsfonds, Interventionsleiter der Aufsichtsbehörden, Auswirkungen auf Versicherungsgruppen, Abwicklungsbehörde, Verhältnis zu Versicherungsgarantiesystemen (IGS).
Der Legislativvorschlag soll die bestehenden Vorschriften in der Solvency-II-Richtlinie mit dem Ziel anpassen, den Versicherungs- und Rückversicherungssektor widerstandsfähiger zu machen und den Schutz der Versicherungsnehmer, der Steuerzahler, der Wirtschaft und der Finanzstabilität in der EU zu verbessern. Die IRRD soll den nationalen Behörden ähnliche Instrumente und Abwicklungsverfahren an die Hand geben, um mit Zahlungsausfällen umgehen zu können. Die Mitgliedstaaten sollen daher Abwicklungsbehörden für Versicherungen einrichten. Vorgesehen ist eine bessere grenzüberschreitende Zusammenarbeit und eine koordinierende Rolle der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA). Ziel ist, gleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen den Mitgliedstaaten zu gewährleisten und die Interessen der Versicherungsnehmer zu schützen. ◆
Dr. Franz Rudorfer ist Geschäftsführer der Bundessparte Bank und Versicherung der WKO; e-mail: bsbv@wko.at
https://doi.org/10.47782/oeba202401001401
Dominik Damm
international
EBA veröffentlicht Bericht über die Rolle von Umwelt- und Sozialrisiken im aufsichtsrechtlichen Rahmenwerk
Die EBA hat einen Bericht über die Rolle von Umwelt- und Sozialrisiken im aufsichtlichen Rahmenwerk von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen veröffentlicht. In diesem Bericht untersucht die EBA, inwieweit der aufsichtliche Rahmen die Risiken aufgrund des Klimawandels und anderer Umweltprobleme angemessen berücksichtigt. Zu diesem Zweck werden die Wechselwirkungen des Aufsichtsrahmens, insbesondere mit Fokus auf die Eigenmittelanforderungen der Säule 1, mit den Umweltrisiken bewertet.
Der Bericht empfiehlt risikobasierte Erweiterungen der Risikokategorien der Säule 1. Außerdem werden Überlegungen zum möglichen Einsatz von makroprudenziellen Instrumenten vorgestellt. Vor diesem Hintergrund empfiehlt die EBA kurzfristige Maßnahmen, die in den nächsten drei Jahren im Rahmen der Umsetzung einer zu überarbeitenden CRR3/CRD6 zu ergreifen sind. In einer mittel- bis längerfristigen Perspektive werden in dem Bericht auch mögliche Überarbeitungen des Rahmens der Säule 1 vorgestellt, die die wachsende Bedeutung von Umwelt- und Sozialrisiken widerspiegeln.
Die wesentlichen Inhalte des Berichts lassen sich wie folgt zusammenfassen:
• Kreditrisiko – Standardansatz
Als kurzfristige Maßnahme empfiehlt die EBA, dass externe Ratingagenturen in ihren Einschätzungen Umweltfaktoren sowie soziale Faktoren als Treiber des Kreditrisikos berücksichtigen sollten, wann immer dies relevant ist. Zudem sollen die zuständigen Behörden prüfen, ob die bankinternen Sorgfaltspflichten im Zuge der durchzuführenden Due Diligences explizit Umweltaspekte berücksichtigen, um sicherzustellen, dass Umweltrisiken angemessen erfasst
und gegebenenfalls im aufsichtlichen Rahmen berücksichtigt werden.
– Als mittel- bis langfristige Maßnahme wird die EBA darauf achten, dass die Bewertung von Finanzsicherheiten zunehmend Umweltfaktoren widerspiegelt. Dies sowohl durch Marktwerte im Rahmen von Säule 1 als auch durch Bewertungen und Bewertungsmethoden im Rahmen von Säule 2.
– Zudem wird die EBA erneut prüfen, ob Umweltrisiken bei der Bewertung der Angemessenheit der Risikogewichte von Immobilienkrediten berücksichtigt werden sollten.
• Kreditrisiko – IRB-Ansatz – Als kurzfristige Maßnahme empfiehlt die EBA, Umweltrisiken bei der Ratingzuweisung (d.h. Risikodifferenzierung), der Risikoquantifizierung (z.B. durch Konservativismus in Form von MoCs, der Abschwungkomponente durch das Downturnadjustment, Kalibrierungssegmente) und in der Anwendung derselben zu berücksichtigen (z.B. durch den Einsatz von Experteneinschätzungen und Übersteuerungen) gem. den bestehenden Anforderungen.
– Als mittel- bis langfristige Maßnahme wird die EBA weiter untersuchen und neu bewerten, ob Risikotreiber aus Umwelt- und Sozialrisiken, die eine breitere Relevanz für verschiedene Arten von Krediten haben, zu den entsprechenden, nicht erschöpfenden Listen von Risikofaktoren hinzugefügt werden sollten, auf die in Rz. 57 (PD-Schätzung), Rz. 121 (LGD-Schätzung) und Abs. 177 (ELBE- und LGD-Schätzung bei Ausfall) der EBA-Leitlinien für die PD-Schätzung, die LGD-Schätzung und die Behandlung von ausgefallenen Risikopositionen (EBA/ GL/2017/16) verwiesen wird.
– Mittel- und langfristig empfiehlt die EBA den Instituten, Umweltund Sozialrisiken in PD- bzw. LGD-Schätzungen durch eine Neuentwicklung oder Neukalibrierung
des Ratingsystems zu berücksichtigen, sobald (verlässliche) Daten zu Auswirkungen von Umwelt- und Sozialrisiken auf Ausfälle und Verlustraten verfügbar sind.
– Zudem wird die EBA die Angemessenheit einer Überarbeitung der RW-Aufsichtsformel, der Risikogewichte für Spezialfinanzierungen im Rahmen des Slotting-Ansatzes und die LGD- und CCF-Werte, die im Rahmen des F-IRB-Ansatzes verwendet werden, im Lichte der sich entwickelnden Umwelt- und Sozialrisiken und unter Berücksichtigung der auf internationaler Ebene vom Basler Ausschuss vereinbarten Entwicklungen prüfen.
• Marktrisiko
– Es wird erwartet, dass Umweltrisiken im Laufe der Zeit an Ausmaß zunehmen und zum Risiko beitragen, das die Institute auch im Handelsbuch halten. Sowohl Übergangsrisiken als auch physische Risiken können die kurzfristige Volatilität von Marktrisikofaktoren beeinflussen.
– Im Standardansatz wurden zwei mögliche Lösungsansätze identifiziert:
Einführung einer neuen Dimension im Bucketing-Ansatz, der in den Risikoklassen Aktien- und CreditSpread verwendet wird, um eine Umweltrisikodimension widerzuspiegeln.
–
Einführung einer Umweltrisikoklasse, in der die Risikofaktoren Aktien- und Credit-Spread auf der Grundlage ihrer Aushaftung gegenüber Umweltrisiken zusammengefasst werden.
– Im Rahmen des internen Modellansatzes könnten die Institute verpflichtet werden, Umweltrisiken in ihren Stresstestprogrammen zu berücksichtigen. Darüber hinaus könnten Institute mittelfristig dazu verpflichtet werden zu untersuchen, ob ihr Portfolio Umweltrisiken ausgesetzt ist und dieses Risiko als Teil ihres Risikos zu erfassen, das nicht im ModellEngine-Setup enthalten ist.
– Mit Ausnahme der Einbeziehung von Umweltrisiken in das Stresstestprogramm sind die oben genannten Vorschläge mittel- bis langfristiger Natur und basieren größtenteils zum einen auf der Fähigkeit der Institute, diese Risiken zu erkennen, und zum anderen auf der Verfügbarkeit von Daten zur Modellierung/Kalibrierung neuer Risikogewichte. Kurzfristig ist es der EBA daher wichtig, dass Institute damit starten, Umweltrisiken in Bezug auf ihre Risikobereitschaft und Risikostrategie im Handelsbuch, ihre internen Handelslimits und in Zusammenhang mit der Zulassung neuer Produkte zu berücksichtigen.
• Operationelle Risiken
– Eine zentrale Herausforderung bei der Analyse der potenziellen Notwendigkeit einer Anpassung des Rahmenwerks für operationelle Risiken ist der Mangel an Daten, um festzustellen, wie sich Umwelt- und Sozialfaktoren nachteilig auf das operationelle Risiko der Institute auswirken. Es besteht die Vermutung, dass operationelle Risikoereignisse aufgrund physischer Risiken und Betriebsunterbrechungen, wie z.B. Stromausfällen, oder aufgrund von Rechts- oder Compliance-Risiken häufiger auftreten werden.
–
Allerdings ist es derzeit nicht möglich, solche Entwicklungen angemessen zu überwachen. Daher sollten die Institute verpflichtet werden, zusätzlich zur bestehenden Risikotaxonomie, Umwelt- und Sozialfaktoren als Auslöser von operationellen Verlusten zu berücksichtigen. Dies würde es auch ermöglichen, festzustellen, ob der Teil des operationellen Risikos, der mit Umwelt- und Sozialfaktoren verbunden ist, wesentlich ist und ob bei diesen Umwelt- und Sozialrisiken ein steigender Trend zu verzeichnen ist.
• Liquiditätsrisiko
Aus Sicht der EBA scheint die Liquiditätsdeckungsquote (Liquidity Leverage Ratio, LCR) bereits über den notwendigen Rahmen zu verfügen, um Umweltrisiken adäquat zu erfassen, die sich auf liquide Aktiva, Zuflüsse oder Abflüsse auswirken. Sie kann in ihrer jetzigen Form bereits mögliche künftige Auswirkungen von umweltschädlichen Aktivitäten erfassen und gleichzeitig sicherstellen, dass ihr Hauptziel, einen Beitrag zur
Liquiditätssolidität der Institute im Falle eines kurzfristigen schweren Stressszenarios zu leisten, nicht in Frage gestellt wird. Daher scheint es aus Sicht der EBA keinen Grund zu geben, den Rechtsrahmen für die LCR in Zusammenhang mit Umweltrisiken zu ändern. Alles in allem scheint die LCR bereits über den notwendigen Rahmen zu verfügen, um die Umweltrisiken, die sich auf bestimmte Vermögenswerte auswirken könnten, durch eine differenzierte Behandlung der erforderlichen stabilen Refinanzierung (Required Stable Funding, RSF) zu erfassen.
– Auch die strukturelle Liquiditätsquote (Net Stable Funding Ratio, NSFR) scheint nach Ermessen der EBA bereits über den notwendigen Rahmen zu verfügen, um die Umweltrisiken, die sich auf bestimmte Vermögenswerte auswirken könnten, durch eine differenzierte Behandlung der erforderlichen stabilen Refinanzierung zu erfassen. Daher gibt es nach der EBA ebenfalls keine Gründe, den NSFR-Regulierungsrahmen in Zusammenhang mit Umweltrisiken zu ändern.
• Konzentrationsrisiko
– Als kurzfristiges Ziel arbeitet die EBA an einer Definition des umweltbezogenen Konzentrationsrisikos sowie der Entwicklung von Metriken zu Quantifizierung dieses Risikos. Diese Exposurebasierten Metriken sollen in den regulatorischen Meldeprozess integriert werden und innerhalb der Säule 2 als Teil des SREP oder im Säule-3-Rahmen berücksichtigt werden.
–
Die EBA empfiehlt, dass die derzeitige Großkreditregelung unverändert beibehalten werden sollte.
Als mittel- bis langfristige Maßnahme wird die EBA die mögliche Umsetzung verbesserter Konzentrationsrisiko-Maße in Betracht ziehen, da die Datenqualität und -verfügbarkeit zunimmt und Institutionen zunehmend in der Lage sein werden, verfeinerte umweltbezogene KonzentrationsrisikoMetriken zu erstellen.
– Zudem wird die EBA auf der Grundlage der gesammelten Erfahrungen und der Ergebnisse aus der Umsetzung umweltbezogener Konzentrationsrisiko-Metriken die Angemessenheit der Einführung umweltbezogener Konzentrationsrisiken im Rahmen des
Säule-1-Rahmens neu bewerten. Eine Überarbeitung des Rahmenwerkes sollte nach Sicht der EBA die Definition und Kalibrierung von Grenzwerten, Add-On oder Puffern so wie die Darstellung von Konsequenzen im Falle eines Überschreitens der definierten Grenzwerte berücksichtigen.
• Kapitalpuffer und makroprudenzieller Rahmen
Der sektorale Systemrisikopuffer erscheint nach Ansicht der EBA als das geeignetste Instrument zur Berücksichtigung von Umweltrisiken innerhalb des derzeitigen makroprudenziellen Rahmens.
Als kurzfristige Maßnahme wird die EBA prüfen, ob ihre Leitlinien zu den geeigneten Untergruppen von sektoralen Risikopositionen, auf die ein sektoraler Systemrisikopuffer angewendet werden kann, geändert werden müssen.
Zudem wird die EBA mittel- und langfristig mit anderen betreffenden derzeitigen Bemühungen koordinieren, ob bzw. welche Änderungen am erweiterten makroprudenziellen Rahmenwerk notwendig sind, um Umweltrisiken akkurat und effektiv zu adressieren.
• Wertpapierfirmen
– Der IFR-Aufsichtsrahmen weist Ähnlichkeiten und Unterschiede zum CRR-Rahmen auf. Diese Zusammenhänge müssen berücksichtigt werden, wenn eine Anpassung des IFR-Rahmens in Betracht gezogen wird, um eine Gesamtkohärenz unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zu gewährleisten. Es scheint zwar schwierig zu sein, die Klientenrisikofaktoren (Risk to Client, RtC) direkt mit den aus Umweltfaktoren resultierenden Risiken in Verbindung zu bringen, doch können Wertpapierfirmen einem Reputationsrisiko und einem Geschäftsmodellrisiko ausgesetzt sein, wenn die Zusammensetzung der verwalteten Vermögenswerte in Hinblick auf ihr Umweltprofil nicht berücksichtigt wird.
– Die EBA empfiehlt, diese Überlegungen innerhalb des Rahmens der Säule 2 zu halten. Da Marktrisiko (Risk to Market, RtM) und Firmenrisiko (Risk to Firms, RtF) (konzeptionell und methodisch) näher am bestehenden Rahmen für Marktrisiko und Gegenparteienkreditrisiko für Kreditinstitute liegen, sollte sich jede Verbesserung der CRR auch in
der IFR widerspiegeln, allerdings nur unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips.
Quelle:
https://www.eba.europa.eu/sites/default/ documents/files/document_library/Publications/Reports/2023/1062711/Report%20on%20the%20role%20of%20 environmental%20and%20social%20 risks%20in%20the%20prudential%20 framework.pdf
des Eurosystems Teilnehmern und Dritten grundsätzlich nicht gestatten dürfen, Marken in Verbindung mit den TARGET-Diensten zu nutzen.
Adaptierte EZB-Leitlinie über ein transeuropäisches automatisiertes Echtzeit-Brutto-Express-Zahlungsverkehrssystem (TARGET) der neuen Generation
Die Leitlinie (EU) 2022/912 (EZB/ 2022/8) enthält Regelungen zum transeuropäischen automatisierten EchtzeitBrutto-Express-Zahlungsverkehrssystem (TARGET) der neuen Generation, das am 20.3.2023 in Betrieb genommen wurde. Die gegenständliche Leitlinie EZB/2023/22 dient der Anpassung der bestehenden TARGET-Regelungen und ist an alle Zentralbanken des Eurosystems gerichtet.
Die wesentlichen Neuerungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
• Durch die Änderungen wird festgelegt, dass die Zentralbanken
• Ab dem Zeitpunkt der Inbetriebnahme des Sicherheitenmanagementsystems des Eurosystems (ECMS) werden die Zentralbanken des Eurosystems keine anderen Konten als TARGET-Konten für zur Teilnahme an TARGET zugelassene Teilnehmer zur Erbringung von Diensten, die in den Anwendungsbereich dieser Leitlinie fallen, eröffnen. Die Ausnahmenbestimmungen werden ergänzt um jene Konten, die von Instituten zur Erfüllung der geltenden Mindestreservepflicht verwendet werden.
• Ab dem 21.3.2025 muss jede Zentralbank des Eurosystems mit einem zweiten Netzwerkdienstleister einen Vertrag über die Bereitstellung einer zweiten technischen Verbindung zu TARGET für Notfallzwecke abschließen.
• Ab dem 21.3.2026 haben alle von den jeweiligen Zentralbanken als kritisch eingestuften Teilnehmer zusätzlich zu der in Art. 31 Abs. 1 des Anhang I genannten technischen Verbindung für Notfallzwecke eine zweite technische Verbindung zu TARGET über einen zweiten Netzwerkdienstleister gem. den in Art. 31 Abs. 1 des Anhang I festgelegten Modalitäten einzurichten.
• Darüber hinaus werden die Bestimmungen zu den Entgelten für TIPSDCA-Kontoinhaber und den Ent-
gelten für Nebensysteme, die TIPSNebensystem-Abwicklungsverfahren verwenden, angepasst.
• Weitere geringfügige Änderungen betreffen die sich im Anhang II befindenden Regelungen über die Leistungsstruktur von TARGET.
Zudem werden mit der gegenständlichen Leitlinie bestimmte redaktionelle Änderungen der Leitlinie (EU) 2022/912 vorgenommen. U.a. werden die Begriffsbestimmungen im Anhang III angepasst. Die Begriffe SEPA Instant Credit Transfer (SCT Inst) Scheme des European Payments Council und Rückruf-Anfrage werden neu definiert.
Quelle:
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/ DE/TXT/PDF/?uri=OJ:L_202302415
Diese Rubrik bietet Ihnen einen Überblick über wesentliche regulatorische Entwicklungen. Nähere Details und weitere Ausführungen finden Sie unter www.fsi-espresso.com.
MMag. Dominik Damm ist Partner bei Deloitte und Experte für Bankenaufsichtsrecht; e-mail: ddamm@deloitte.at.
https://doi.org/10.47782/oeba202401001701
Bernhard Haas
Die Vorzeichen standen nicht gut: Stark steigende Zinsen belasteten die globalen Aktienmärkte seit dem Frühjahr. Die Inflation war nach haltiger, als so manch (zugegeben äußerst optimistischer) Investor am Plan hatte, was die heiß ersehnte Zinswende immer weiter nach hinten verschob. Zwar ist die Zeitlinie hier nicht ganz so weit wie beim heiligen Gral der Energiewende, der Kernfusion (die laut einem berühmten Ausspruch seit über 40 Jahren in zehn Jahren marktreif sein soll). Bei den Zinsen sind es zum Glück nur zwei Quartale, die wir warten müssen, laut aktuellem Stand also im Sommer 2024. Um es auf gut österreichisch zu sagen: „Schau ma mal“. Zur in diesem Jahr allgegenwertigen Zinsthematik kam im November jedoch ein weiterer Negativpunkt hinzu: Der Krieg im Nahen Osten. In Anbetracht der schrecklichen Bilder, die uns aus der Region erreichen, treten Dinge wie das Marktgeschehen natürlich in den Hintergrund. Daher an dieser Stelle nur kurz die Auswirkungen auf die Märkte: Der Ölpreis zog stark an und befeuerte somit wiederum die Angst vor weiterer Inflation. Vor allem eine weitere Eskalation des Konflikts bereitete den Investoren Sorgen. Als
sich abzeichnete, dass dies zunehmend unwahrscheinlich wurde, kehrten sich diese Befürchtungen um. Der Ölpreis fiel wieder, Zinsen sanken (leicht) und die internationalen Aktienmärkte setzten zur lange erwarteten Jahresendrally an, allen Problemen zum Trotz. Gesucht waren zu Anfang wie auch im Rest des Jahres vor allem Technologiewerte. Im Verlauf des Monats weitete sich die Rally jedoch auf die bisherigen Nachzügler aus. Dies dürfte vor allem an der Positionierung der Investoren liegen: Viele hatten den Anstieg verpasst und mussten nun Boden gut machen. Das geht natürlich am besten in Werten, die bisher noch nicht durch eine starke Entwicklung überzeugen konnten und somit „billig“ erscheinen. Letzter Punkt trifft vor allem auf den heimischen Markt zu, der in diesem Jahr ein Schattendasein fristete. Banken und zyklische Industriewerte sind in einem befürchteten Abschwung üblicherweise nicht die erste Wahl der Investoren. Die Unternehmensergebnisse waren in vielen Fällen zwar nicht so schlimm wie befürchtet, aber weniger schlecht bedeutet nun mal nicht gleich gut. In dieser mauen Grundstimmung finden nun Schnäppchenjäger einige Möglichkeiten vor. Die heimischen Banken sind nicht
nur im historischen Vergleich günstig, auch die Dividendenrenditen können sich sehen lassen. Unsere Industrietitel zählen nach wie vor zu den Marktführern in ihren jeweiligen Nischen und können höhere Kosten (vor allem von der Personalseite) zumeist besser weitergeben als schwache Mitbewerber. Und selten aber doch findet man auch starke Wachstumsaktien wie Do & Co, um die uns wohl so mancher amerikanischer Fondsmanager beneiden würde. Hoffen wir also, dass die Aufbruchstimmung der letzten Wochen weitergeht und die Märkte zum Ende eines durchwachsenen Jahres nochmal zum Schlusssprint ansetzen. Ein Weihnachtsfriede und ein bisschen Ruhe würden uns allen wohl guttun. ◆
Mag. Bernhard Haas, Senior Fund Manager bei der Erste Asset Management GmbH; e mail: Bernhard.Haas@erste am.com
Die Abhandlung ist die Schriftfassung eines Vortrags vom Bankrechtsforum 2023, ergänzt insb um Nachweise und einen Epilog. Kernthese ist, dass die EuGH-Judikatur, insb die Caixabank-Entscheidungen, keine Änderung der nationalen Rechtsprechung erfordert, wonach mit Verbrauchern Kreditbearbeitungsentgelte wirksam vereinbart werden können. Davon ausgehend steht der Vertrauensschutz einer Änderung dieser Judikatur aus „inneren Ursachen“ des österreichischen Rechts entgegen.
Stichwörter: Kreditbearbeitungsentgelt, Hauptleistung, Transparenzgebot, Wucher, laesio enormis, Privatautonomie; §§ 879, 934 ABGB, § 6 KSchG, Art 3, 4 Klausel-RL.
JEL-Classification: G 21, K 12.
https://doi.org/10.47782/oeba202401001801
The paper is a written version of author’s speech at the Forum for Banking Law 2023. References and an epilogue were added. The central assertion is that ECJ case law, in particular Caixabank rulings, does not necessitate a change of the national case law, according to which loan processing fees can be validly agreed upon with consumers. Based thereon, the protection of confidence precludes a change of the national case law for “intra-Austrian” reasons.
A.O. Scott war 23 Jahre lang Filmkritiker der New York Times. 2023 hat er seinen prestigeträchtigen Job ermattet hingeschmissen. Warum? Er könne kein weiteres seelenloses „Sequel“ ertragen.
Nun kann das österreichische Bankrecht nicht mit so erfolgreichen „Franchises“ aufwarten wie „Transformers 7“ oder gar „Fast and Furious 10“. Nicht unerfolgreich ist aber „Der Fremdwährungskredit“, dessen Episode „Die Klauselnichtigkeit“ aktuell in österreichischen Gerichtssälen spielt.1) Wie jüngst im BankArchiv bei Severin
Kietaibl nachzulesen, ist dazu ein SpinOff geplant: „Der Geldwechselvertrag: Nichtigkeitsjoker 2.0“.2)
Heutige Vorführung ist aber der zweite Teil des Kreditbearbeitungsentgelts: „Die Saga von der Caixabank“. Dieser Film bietet für ein österreichisches Gerichtsdrama eine überraschend internationale „Cast“. Unser erster Star ist niemand geringerer als der spanische Gesetzgeber.
Er ist auch der Grund dafür, warum ich Ihnen jetzt eine „Trigger Warning“ schulde: Meine Aussprache des Spanischen ist nichts für schwache Nerven –oder eigentlich: für schwache Ohren. Die zweite „Trigger Warning“ ist dem EuGH geschuldet: Ihr Gehör wird auch mit kaum erträglichen Schachtelsätzen gequält werden. Das ist kaum zu vermeiden: Die juristische Auseinandersetzung driftet im Verbraucherrecht von der Gesetzesauslegung immer weiter in die EuGHExegese.
Der spanische Gesetzgeber beschloss am 31.3.2009 jenes Gesetz, das heimischen Juristen inzwischen als Gesetz 2/2009 geläufig ist und mit vollem Namen heißt „Ley por la que se regula la contratación con los consumidores de préstamos o créditos hipotecarios y de servicios de intermediación para la celebración de contratos de préstamo o crédito“.3) Ich hatte Sie gewarnt!
Uns interessiert ein Satz aus Art 5 Abs 1 der Stammfassung4) dieses Gesetzes: „Las comisiones o compensaciones y gastos repercutidos deben responder a servicios efectivamente prestados o a gastos habidos.“ Dank Google Translate weiß ich, was das heißt, nämlich dass „Provisionen oder Vergütungen und weitergegebene Auslagen tatsächlich erbrachten Leistungen oder entstandenen Auslagen entsprechen“ müssen. Dem
1) Aus der Judikatur etwa RS0134062; 8 Ob 37/20d, ÖBA 2021,486 (B. Koch); 1 Ob 164/23h. Aus der Literatur etwa Aichberger-Beig, VbR 2023/38, 41; Graf, ecolex 2021/638, 990; Wilfinger, ZFR 2022, 478.
2) S. Kietaibl, ÖBA 2023, 708 ff.
Dr. Markus Kellner ist Partner & Rechtsanwalt bei DSC Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH; e-mail: kellner@dsc.at
Entgelt in Gestalt von Provisionen oder Vergütungen müssen also Leistungen gegenüberstehen, dem verrechneten Aufwandersatz vorherige Aufwendungen. In einer mäßig akkuraten Übersetzung wird daraus beim EuGH später werden, dass „[a]bgewälzte [?] Provisionen oder Entgelte und Kosten tatsächlich erbrachten Dienstleistungen oder entstandenen Kosten entsprechen“ müssen.5) Provisionen werden nun plötzlich abgewälzt und Kosten müssen Kosten entsprechen.
Wie auch immer: Heute ist uns allen dieser Satz aus Art 5 des Gesetzes 2/2009 wohlbekannt. Anno dazumal hätten aber auch besonders weitblickende österreichische „Bankrechtler“ seine Bedeutung für das österreichische Recht verkannt. Immerhin: Spanisches Recht gilt hierzulande nicht.
Aber auch wer die Analyse nicht so „voreilig“ abgebrochen hätte, wäre zu keinem anderen Ergebnis gekommen. Er hätte zumindest die Bedeutung des Satzes für das Kreditbearbeitungsentgelt verneint, und zwar analog einer späteren Entscheidung des zweiten internationalen
3) Abrufbar unter https://www.boe.es/eli/ es/l/2009/03/31/2/con.
4) Das Gesetz ist seither novelliert worden. Für die weiteren Ausführungen ist aber nur die Stammfassung relevant. Alle Zitate beziehen sich darauf.
5) EuGH C224/19 und C259/19 Caixabank II ErwGr 23.
Stars, den wir dank Piekenbrock/Aßfalg6) zu uns auf die Bühne holen können: das spanische Höchstgericht, das Tribunal Supremo.
Anfang 2019 qualifizierte das spanische Höchstgericht das, was wir hierzulande als Kreditbearbeitungsentgelt kennen, als nicht missbräuchlich, sondern also wirksam, vorausgesetzt, die konkrete Klausel halte im Einzelfall der Transparenzkontrolle stand.7) Ein wichtiges Element der Begründung für diese Entscheidung war Art 5 Abs 2 lit b des Gesetzes 2/2009. Diese Bestimmung definiert zunächst die „comisión de apertura“, die Eröffnungs oder Bereitstellungsprovision. Unmittelbar im Anschluss daran wird für „die übrigen vom Verbraucher zu zahlenden Provisionen und Kosten“ normiert, dass sie der „Erbringung einer bestimmten Dienstleistung entsprechen“ müssen, „die nicht mit der Gewährung oder der ordentlichen Verwaltung des [...] Kredits verbunden ist.“ In einem naheliegenden Umkehrschluss leitet das spanische Höchstgericht daraus ab, dass gerade der „comisión de apertura“ keine andere Dienstleistung der Bank gegenüberstehen muss als die Zuzählung des Kredits.
Die Begründung des Tribunal Supremo für die Zulässigkeit der Eröffnungsprovision war aber keine rein formale. Die sachliche Rechtfertigung für ein zusätzliches, nichtlaufzeitabhängiges Entgelt seien die Tätigkeiten der Bank in der Anfangsphase der Kreditbeziehung, die sich deutlich von deren Leistung während der weiteren Vertragslaufzeit unterschieden: Bonitätsprüfung, um nur ein Beispiel zu nennen, einerseits vs Kapitalüberlassung andererseits.
Noch ein weiteres Argument entwickelt das Tribunal Supremo: Die „comisión de apertura“ sei Teil des Kreditpreises. Die Bank müsse daher nicht nachweisen, dass die Eröffnungsprovision in einem angemessenen Verhältnis zu den „Gestehungskosten“ für die Tätigkeiten zu Beginn der Geschäftsbeziehung stehe. Die gegenteilige Beurteilung der spanischen Berufungsgerichte laufe auf eine Preiskontrolle hinaus. Eine solche wäre nach Art 4 Abs 2 KlauselRL und nach der Rechtsprechung des EuGH (!) unzulässig.8)
6) Extrem instruktive Darstellung des spanischrechtlichen Hintergrunds der CaixabankEntscheidungen bei Piekenbrock/ Aßfalg, ÖBA 2023, 674 ff. Die folgende Urteilsdarstellung beruht darauf.
7) Tribunal Supremo 23.12019, 44/2019, ECLI:ES:TS:2019:44.
8) Das Tribunal Supremo verweist auf EuGH C26/13 Kásler; C143/13 Matei.
Nun betritt der nächste Akteur die Bühne: das „Juzgado de Primera Instancia nummero diecisiete de Palma de Mallorca“.9) Dieses mallorquinische Gericht teilte offenbar die Auffassung des Tribunal Supremo nicht, dass Eröffnungsprovisionen grundsätzlich zulässig sind. Statt zu versuchen, das spanische Höchstgericht durch stichhaltige Argumente von der eigenen Ansicht zu überzeugen, wollte man dieses umgehen: Rechtsprechungswende via EuGH! Ein Phänomen, das immer häufiger zu beobachten ist, etwa auch bei Streitigkeiten um die Wirksamkeit ungarischer Fremdwährungskreditverträge.10) Und im Zusammenhang mit dem „DieselSkandal“ ist jüngst das Landgericht Ravensburg zu größerer Bekanntheit gelangt.11)
Als Mittel zum Zweck dient dem mallorquinischen Gericht uU auch eine Fehldarstellung der Judikatur des Tribunal Supremo. So wurde dem EuGH mitgegeben, das spanische Höchstgericht qualifiziere die einschlägigen Klauseln automatisch als transparent.12) Tatsächlich hatte das Tribunal Supremo die Wirksamkeit der Vereinbarung ausdrücklich unter den Vorbehalt bestandener Transparenzprüfung gestellt. Diese war im Anlassfall in 3. Instanz zwar nicht mehr durchzuführen gewesen. Dennoch merkte das spanische Höchstgericht obiter an, dass im konkreten Fall keine begründeten Zweifel an der Transparenz der Klausel bestünden.13)
Den vielleicht etwas aktionistischen Charakter der Einschaltung des EuGH offenbart auch die Vielzahl der Fragen: Ganze 13 Stück wollte das mallorquinische Gericht beantwortet wissen. Ihre 11. interessiert uns und sie ist eigentlich ganz einfach, wenn man den Satz „entschachtelt“: Ist eine Eröffnungsprovision missbräuchlich iSv Art 3 Abs 1 KlauselRL, wenn die Bank nicht nachweist, dass die Provision den tatsächlich erbrachten Dienstleistungen und entstandenen Kosten entspricht?
Bemerkenswerterweise nimmt die 11. Vorlagefrage also keinen ausdrücklichen Bezug auf das spanische Gesetz 2/2009, obwohl sie gerade seinen
9) Als Vorlagegericht in der Rs C224/19 und C259/19 Caixabank II.
10) Vgl EuGH C312/14 Banif Plus Bank 11) EuGH C100/21 Mercedes-Benz Group. 12) Siehe EuGH C224/19 und C259/19 Caixabank II ErwGr 35 Vorlagefrage 7. 13) Piekenbrock/Aßfalg, ÖBA 2023, 676. 14) EuGH C224/19 und C259/19 Caixabank II ErwGr 75.
Art 5 Abs 1 paraphrasiert, im OriginalSchachtelsatz viel deutlicher als in obiger Kurzfassung, allerdings mit einer möglicherweise bedeutsamen Abänderung: Das Gesetz stellt das Entgelt wohl nur den Dienstleistungen gegenüber, die Vorlagefrage zusätzlich den Kosten. In sorgfältiger Analyse erkennt der EuGH den Zusammenhang dennoch und rückt ihn in das Zentrum seiner Begründung. Das europäische Höchstgericht betont, dass sich die Missbräuchlichkeit einer Klausel aus einer „hinreichend schwerwiegenden Beeinträchtigung der rechtlichen Stellung ergeben“ könne, die einem Verbraucher als Vertragspartei „nach den anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften“ zustehe.14) Daran knüpft der EuGH dann nur wenig später wieder an:
„Insoweit [sei] zu berücksichtigen, dass nach den Angaben des vorlegenden Gerichts gemäß dem Gesetz 2/2009 auf den Kunden abgewälzte Provisionen oder Kosten tatsächlich erbrachten Dienstleistungen oder entstandenen Kosten entsprechen müssten“. „Folglich“, also einzig und allein abgeleitet aus dieser vermeintlichen spanischen Rechtslage, „könnte eine Klausel, die dazu führen würde, dass der Gewerbetreibende von der Pflicht befreit werde, nachzuweisen, dass diese Bedingungen“, also jene des nationalen Rechts, „in Bezug auf eine Bereitstellungsprovision erfüllt sind, [...] die Rechtsstellung des Verbrauchers“, die er nach nationalem Recht innehat, „nachteilig berühren und infolgedessen [...] ein erhebliches Missverhältnis zu seinem Nachteil verursachen“.15) Ich hatte sie vor Schachtelsätzen gewarnt.
Einfacher formuliert: In Caixabank II hat der EuGH einzig und allein entschieden, dass eine Klausel missbräuchlich sein kann, wenn sie vom anwendbaren innerstaatlichen Dispositivrecht abweicht. Ob eine Klausel diesfalls wirklich unwirksam ist, haben allein die nationalen Gerichte zu beurteilen.16) Der Neuigkeitswert dieser Aussage ist verschwindend gering, ja inexistent.
Was hat der EuGH spiegelbildlich in Caixabank II nicht entschieden? Dass die engmaschige Preiskontrolle gemäß Art 5 Abs 1 des spanischen Gesetzes 2/2009 europaweit gilt, und zwar am Ende noch ohne die einschlägige Sonderbestimmung
15) EuGH C224/19 und C259/19 Caixabank II ErwGr 78.
16) Siehe schon Kellner/Liebel, ÖJZ 2023/65, 399 f; Piekenbrock/Aßfalg, ÖBA 2023, 682; ähnlich Perner/Spitzer, ÖBA 2023, 786; Schopper, ÖJZ 2024 (in Druck) unter C.1.
für Eröffnungsprovisionen in Art 5 Abs 2 lit b, die diese Position gerade davon ausnimmt.
Zugegeben: Der EuGH verwischt diese Klarheit seiner Aussage bei der Beantwortung der 11. Vorlagefrage.17) Dafür greift er nämlich die ursprüngliche Formulierung des mallorquinischen Gerichts auf, die dem Leser den entscheidenden Gesichtspunkt vorenthält. Wolfgang Faber hat nachdrücklich davor gewarnt, EuGHEntscheidungen zu wenig zu analysieren oder zu rasch zu verallgemeinern:18) Aus dem Kontext der Caixabank-II-Entscheidung wird ihre ganz eingeschränkte Bedeutung klar.
Die Fitnessstudio-Judikatur
Also: Happy End, Abspann, Premierenfeier? Mitnichten! Wir betreten vielmehr einen neuen Handlungsort – Österreich – und dort wartet der „Plot“ mit einem echten „Twist“ auf.
Die Akteure sind uns nun vertrauter: Die Bundesarbeitskammer klagt gegen unzulässige Vertragsbestimmungen. Ziel der mehr als Dutzend Klagen sind CleverFitFitnessstudios. Inkriminiert werden deren Sonderentgelte für die StudioNutzung: eine einmalige Verwaltungspauschale, eine einmalige Chipgebühr und weiters eine laufende Servicepauschale. Als Argument für die Unzulässigkeit dieser Klauseln dient der Bundesarbeiterkammer offenbar die Caixabank-IIEntscheidung: Diesen Sonderentgelten stünden keine zusätzlichen Dienstleistungen gegenüber.
Erst spanisches Recht, dann Fitnessstudios? Was haben diese nun wieder mit Kreditbearbeitungsentgelten in österreichischen Kreditverträgen zu tun, könnten Sie mich fragen. Erst redet er von einer anderen Rechtsordnung, jetzt von einer anderen Branche. Aber nein, sie sitzen nicht im falschen Film:
Im Fitnessstudio„Lead Case“ des 4. Senats19) hatte die zweite Instanz
17) EuGH C224/19 und C259/19 Caixabank II ErwGr 79.
18) Faber, JBl 2017, 697 (Teil 1) und 776 (Teil 2)
19) Wovon streng genommen zwei existieren, nämlich 4 Ob 59/22p und 4 Ob 62/22d vom selben Tag mit deckungsgleicher Begründung.
20) Vgl 4 Ob 62/22d Rn 47 f.
21) 4 Ob 62/22d Rn 53.
22) 4 Ob 62/22d Rn 54 mwN.
23) 6 Ob 13/16d, ÖBA 2016, 446 (Bollen-
die Klage gegen zwei der Entgelte abgewiesen. Sie argumentierte analog der Judikatur des OGH aus 2016 zu Kreditbearbeitungsentgelten: Die inkriminierten Klauseln würden Hauptleistungen des Kunden regeln, deswegen nicht der AGBInhaltskontrolle unterliegen. Und selbst wenn: Die „Aufsplittung“ des Gesamtentgelts in mehrere Bestandteile würde den Kunden nicht gröblich benachteiligen.20) Sie ist, so könnte man ergänzen, für ihn ein „Nullsummenspiel“ im eigentlichen Sinne des Wortes. Er zahlt in beiden Varianten gleich viel.
Der 4. Senat folgt dem nicht. Nach der Caixabank-IIEntscheidung des EuGH, so hebt der OGH an, könne eine Klausel in einem Verbraucherkreditvertrag, wonach eine Bereitstellungsprovision zu zahlen sei, ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis verursachen, wenn die Bank nicht nachweise, dass diese Provision tatsächlich erbrachten Dienstleistungen und den dabei entstandenen Kosten entspräche.21) Referiert wird also nur die Antwort des EuGH auf die 11. Vorlagefrage des mallorquinischen Gerichts, die ohne die entscheidende Bezugnahme auf das spanische Gesetz 2/2009 auskommt.
In diesem unionsrechtlichen Licht neu zu bewerten ist nach Ansicht des 4. Senats die vor Caixabank II ergangene österreichische Rechtsprechung. Nach dieser ist alles, was der Kreditnehmer über die Rückgabe der Valuta hinaus für die Leistung der Bank zu geben habe, als Hauptleistung von der AGBInhaltskontrolle ausgenommen.22) Die angekündigte Neubewertung ist daher eingeschränkt. Sie bezieht sich nur auf die Frage der Kontrollfähigkeit
Und auch insofern findet sie dann eigentlich nicht statt. In keiner der FitnessstudioEntscheidungen setzt sich der OGH mit den zahlreichen Argumenten des 6. Senats aus 201623) inhaltlich auseinander, warum das Kreditbearbeitungsentgelt eine Hauptleistung ist. Eine solche Auseinandersetzung unterbleibt, obwohl sich mehrere Senate des OGH dieser Leitentscheidung bis 2023 angeschlossen haben.24)
berger/Kellner).
24) Folgend etwa 10 Ob 31/16f, ÖBA 2017/189 = VbR 2017/42, 65 (Gelbmann) Klausel 5; 3 Ob 216/21t, ÖBA 2022, 758 (Schwamberger; Pendl) = JBl 2023, 29 (Riesenhuber) Rn 70. Vgl auch 4 Ob 232/22d, VbR 2023/99, 138 (Leupold/Gelbmann) Rn 19; 4 Ob 207/22b Rn 13; 10 Ob 6/23i, VbR 2023/75, 101 (Leupold/Gelbmann) = NZ 2023, 496 (Terlitza) Rn 27.
25) 4 Ob 62/22d Rn 55.
Von vornherein keinen Anlass sieht der 4. Senat offenbar, die stRsp zu überdenken, wonach Kreditbearbeitungsentgelte keinesfalls gröblich benachteiligend wären, wenn sie denn nach § 879 Abs 3 ABGB zu kontrollieren wären. Vielmehr konstatiert der OGH in den FitnessstudioEntscheidungen etwas unvermittelt, dass vor diesem Hintergrund – gemeint ist wieder die Caixabank-IIEntscheidung –nicht nur für einen Verbraucherkreditvertrag, für den vielfältige sonstige rechtliche Rahmenbedingungen bestünden, sondern umso mehr für einen Fitnessstudiovertrag ein konkreter Konnex zwischen den ausgewiesenen Sonderentgelten und den tatsächlich erbrachten Dienstleistungen und den dafür auflaufenden Kosten zu fordern sei.25)
Das Schicksal der bisherigen Prüfkriterien bleibt offen. Bisher hatte der OGH eine solche Äquivalenzkontrolle im Rahmen des § 879 Abs 3 ABGB konsequent vermieden. Er hat stattdessen auf andere, mE justiziablere Kriterien abgestellt, wie zB Wertungen des anwendbaren Gesetzesrechts, Preistransparenz und das Verursacherprinzip.26)
Nimmt man die FitnessstudioEntscheidungen beim Wort, ist diese Zurückhaltung passé. Demnach gilt vielmehr eine Art iustum pretium für „Sonderentgelte“. Offen ist freilich noch die Definition dieses allentscheidenden Begriffs. Abzuwarten ist auch eine nähere Erklärung, was ein „konkreter Konnex“ zwischen Leistung, Preis und Gestehungskosten ist.
Eine Art iustum pretium wird eingeführt, weil strukturell und stets Preis und Gestehungskosten miteinander vergleichen werden sollen. Diesen Vergleich scheuen sämtliche Normen des heimischen Rechts, auch wenn sie auf sogar objektive Äquivalenz abzielen. Als Vergleichsmaßstab bei Wucher und laesio enormis sind nach hA in erster Linie die Marktkonditionen heranzuziehen.27) Zu fragen ist nicht etwa: Wie verhält sich das zu kontrollierende Entgelt zu den Gestehungskosten des Unternehmers? Nein, von Interesse ist, wie sich sein Preis zu jenem der Konkurrenz verhält.
26) Vgl die jeweils anderen Kriterien in 6 Ob 13/16d und 6 Ob 253/07k, ÖBA 2009, 306 (Iro) = ZFR 2008/130, 233 (Schopper).
27) RS0113651, 8 Ob 52/21m; Perner in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 934 Rn 4; Kellner, AGBBegriff 109. Eingehend und mwN Winner, Wert und Preis 104 ff, der auch eine nur subsidiäre Heranziehung anderer Kriterien als den Marktpreis kritisch betrachtet.
Durch diesen Bezugspunkt heben sich Wucher und laesio enormis deutlich vom iustum pretium ab.28) Grund für diesen vorrangigen Vergleichsmaßstab ist nicht nur die Wahrung der Privatautonomie als zentrales Grundprinzip unseres Zivilrechts. Hinzu kommt das völlige Fehlen objektiver Preise und – wichtiger – objektiv „gerechter“ Gewinnspannen in einer Marktwirtschaft. Nicht umsonst war die jahrhundertelange Suche nach dem iustum pretium vergebens.29) Die Rechtswissenschaft hat sie aus gutem Grund aufgegeben.
Aber nicht nur das „äußere“ System des Privatrechts spricht gegen einen LeistungPreisGestehungskostenVergleich, auch das innere System des AGBRechts tut Gleiches. Krejci schlug vor, überall dort, wo keine dispositivrechtlichen Maßstäbe für die vom Gesetzgeber gewünschte Interessenwertung existierten, wo die Parteien also in ihrer Rechtsgestaltung ebenso frei wären wie bei der Konzipierung der Hauptleistungen (§ 879 Abs 2 Z 4 ABGB), die Gröblichkeit der Benachteiligung iSv Abs § 879 Abs 3 ABGB mit der Auffälligkeit des Leistungswertmissverhältnisses iSv § 879 Abs 2 Z 4 ABGB gleichzusetzen.30) Die Judikatur ist dem gefolgt.31) Eine konsequente Fortführung dieses Ansatzes kann nur darin bestehen, bei Verdünnung der Willensfreiheit nicht bloß Klauseln ieS, sondern auch Sonderentgelte nach Wuchermaßstäben zu kontrollieren, dh: mit dem Markpreis zu vergleichen. Immerhin ist dieser Kontrollmaßstab primär auf Entgelte zugeschnitten und nicht auf Klauseln.32)
Möglicherweise eingedenk des Systembruchs zieht der OGH den LeistungPreisGestehungskostenVergleich für Sonderentgelte nur nolens volens heran. Denn dazu bewegt ihn ausweislich der Urteilsgründe einzig und allein die Caixabank-IIEntscheidung des EuGH.33)
Allerdings: Nichts dergleichen hat der EuGH gefordert. Nochmals in den Worten des europäischen Höchstgerichts: „Insoweit“ war „zu berücksichtigen, dass [...] gemäß dem [spanischen] Gesetz 2/2009
28) Letzteres kehrt F. Bydlinski, System 160 hervor.
29) Zur langen Geschichte des iustum pretium etwa Bartholomeyczik, AcP 166 (1966) 39 ff und Kalb, Laesio enormis.
30) Krejci in Krejci, HBzKSchG 163 ff; Krejci in Rummel, ABGB³ § 879 Rn 381.
31) RS0016914 (T2); 1 Ob 581/83, JBl 1983,534 (F. Bydlinski); 7 Ob 33/90; 5 Ob 110/22w ÖJZEvBl 2023/256, 862 (Wahba) Rn 13. In anderen Entscheidungen wird formuliert, dass eine gröbliche Benachteiligung jedenfalls dann vorliege, wenn die dem Vertragspartner
auf den Kunden abgewälzte Provisionen [...] tatsächlich erbrachten Dienstleistungen [...] entsprechen müssen“. Nur „[f]olglich“ dieser nationalen Rechtslage „könnte eine Klausel missbräuchlich“ sein, die einen Unternehmer von einem solchen Nachweis befreit.34) Eine Art iustum pretium für Sonderentgelte mag daher geltendes spanisches Recht sein, europäisches ist es nicht.
Dieses Ergebnis lässt sich nochmals absichern, und zwar anhand jener Entscheidung des EuGH, der sich allgemeine Aussagen zu Kreditbearbeitungsentgelten entnehmen lassen. Angesprochen ist die KissEntscheidung aus 201935), die jahrelang ein Schattendasein fristete, weil sie niemand als „Gamechanger“ für das heimische Recht begriff.
Der vermeintliche europäische Test für die Zulässigkeit von Sonderentgelten wäre nach der FitnessstudioJudikatur dreigliedrig:
• Erstens: Welche Leistungen erhält der Kunde für das Sonderentgelt?
• Zweitens: Wie hoch sind die Gestehungskosten des Unternehmers hierfür?
• Und drittens: Ist zwischen diesen beiden und dem Preis ein „konkreter Konnex“ gegeben, wird ein „angemessenes Verhältnis“ gewahrt?
Aus Kiss ergibt sich, dass dieses Prüfschema nicht den Vorstellungen des EuGH entspricht. In dieser Entscheidung war zu beantworten, ob für die Transparenz einer Entgeltklausel notwendig ist, dass darin sämtliche Leistungen expliziert werden, die der Kunde für das Sonderentgelt erhält. Der EuGH ist nun wahrlich nicht dafür bekannt ist, dass Transparenzgebot lax handzuhaben. Dennoch verneint er die Frage: Dem ist nicht so. Das Transparenzgebot verlangt nicht, dass in einer Entgeltklausel „alle Dienstleistungen im Einzelnen angegeben werden, die als Gegenleistung erbracht werden.“ Der Verbraucher müsse nur anhand des Vertrags als Ganzes die Art
zugedachte Rechtsposition in einem auffallenden Missverhältnis zur vergleichbaren Rechtsposition des anderen stehe: RS0016914 (T4); 1 Ob 638/94.
32) Ähnlich Schopper, ÖJZ 2024 (in Druck) unter D.3.
33) 4 Ob 62/22d Rn 55.
34) Siehe in und bei FN 15.
35) EuGH C621/17 Kiss
36) EuGH C621/17 Kiss ErwGr 43. Eingehende Analyse der EuGHJudikatur auf Transparenzanforderungen bei Perner/ Spitzer, ÖBA 2023, 780 ff
37) EuGH C621/17 Kiss ErwGr 55. Betont
der tatsächlich erbachten Dienstleistungen verstehen können.36) Schritt 1 des FitnessstudioPrüfschemas ist daher auch bei einem transparent formulierten Verbrauchervertrag nicht notwendigerweise durchführbar.
Und dem EuGH schwebt auch eine andere Gegenüberstellung vor. Die dem Verbraucher auferlegten Beträge sind nicht mit den Gestehungskosten für die jeweilige Sonderleistung zu vergleichen. Nein, sie dürfen bloß „im Verhältnis zum Darlehensbetrag [nicht] übermäßig hoch“ sein.37) Verglichen wird die Höhe des Sonderentgelts also sozusagen mit der Höhe der Gesamtleistung des Unternehmers – und nicht mit seinen Gestehungskosten für ein einzelnes Leistungselement.
Wir wissen noch nicht exakt, wann ein Kreditbearbeitungsentgelt im Verhältnis zum Darlehensbetrag „übermäßig hoch“ ist. Erste Indikationen haben wir aber: In Kiss hegte der EuGH keinerlei Bedenken gegen eine zusätzliche Belastung des Verbrauchers neben den Zinsen in Höhe von 3,1% des Darlehensbetrags.38) Nichts deutet darauf hin, dass dieser Betrag auch nur in der Nähe der Schwelle zur Übermäßigkeit liegt.
Andere Rechtssachen zeigen, welche Extremfälle das europäische Höchstgericht dafür vor Augen haben könnte. In Profi Credit Polska waren zinsunabhängige Kosten von 25% bis 100% des Kreditbetrags gegenständlich. Diese führten zu effektiven Jahreszinssätzen von rund 80 bis 120%.39) Noch eindrücklicher ist ein Vorabentscheidungsersuchen des Rayongerichts Warschau. Dort ist offenbar – unter anderem – eine „Provision für die Vergabe des Kredits“ in Höhe von 50% (!) der Kreditsumme vereinbart. Der effektive Jahreszinssatz beträgt deswegen 132,53% (!). Das polnische Gericht fragt nun, ob ihm nach Art 3 Abs 1 Klausel-RL erlaubt sei, solche Vertragsklauseln wegen der Unverhältnismäßigkeit zwischen Leistung und Entgelt für missbräuchlich zu erklären.40) Schon erstaunlich, dass man solche Fälle des Kreditwuchers
bei Piekenbrock/Aßfalg, ÖBA 2023, 683; Perner/Spitzer, ÖBA 2023, 786.
38) EuGH C621/17 Kiss ErwGr 14: Summe aus jährlichem Bearbeitungsentgelt für das erste Jahr und Bereitstellungsprovision.
39) EuGH C84/19, C222/19 und C252/19 Profi Credit Polska ErwGr 23, 33, 42 f.
40) Zusammenfassung des Vorabentscheidungsersuchens zu C321/22 Provident Polska Vorlagefrage 1 und Rn 9. Zur Entscheidung des EuGH siehe bei FN 102.
nicht mit den Mitteln des polnischen Zivilrechts in den Griff bekommt. Und umso erstaunlicher, dass dafür Normen herhalten sollen, die gerade nicht der Äquivalenzkontrolle dienen sollen.41) Um Verbrauchern in einem einzelnen Mitgliedstaat zu helfen, muss offenbar am Gefüge der Zivilrechtsordnungen aller Mitgliedstaaten gerüttelt werden.
Das Zwischenfazit lautet daher:
• Entgegen der FitnessstudioJudikatur des OGH fordert die Caixabank-IIEntscheidung keinen Vergleich von Leistung, Preis und Gestehungskosten.
• Die KissEntscheidung widerspricht dem Prüfschema der FitnessstudioJudikatur für die Zulässigkeit von Sonderentgelten. Sie impliziert weiters, dass die in Österreich gängigen Kreditbearbeitungsentgelte „EuGHkonform“ sind.
• Die angekündigte Neubewertung der stRsp zur Zulässigkeit des Kreditbearbeitungsentgelts hätte ergeben müssen, dass alles beim Alten geblieben ist.42)
Nun aber endlich: Happy End, Abspann, Premierenfeier? Noch immer nicht, der spanische Handlungsstrang hat sich unterdessen fortentwickelt.
Das Tribunal Supremo wollte die unverdiente Schelte aus Luxemburg nicht auf sich sitzen lassen. Das ist keine Mutmaßung, sondern in der CaixabankIIIEntscheidung recht deutlich nachzulesen.43) Nun legt das Tribunal Supremo nämlich selbst vor und klagt an: Die Antworten des EuGH in seiner CaixabankIIEntscheidung seien dadurch bedingt gewesen, dass die damals vorlegenden Unterinstanzen die Rechtsprechung des Tribunal Supremo „verzerrt“ dargestellt hätten. Deswegen hätten zahlreiche spanische Gerichte die Caixabank-IIEntscheidung so verstanden, dass damit die Rechtsprechung des Tribunal Supremo zur Zulässigkeit der Eröffnungsprovisi
41) Siehe bei FN 64.
42) So im Ergebnis auch Piekenbrock/Aßfalg, ÖBA 2023, 681 ff; Perner/Spitzer, ÖBA 2023, 785 ff.
43) EuGH C565/21 Caixabank III
44) EuGH C565/21 Caixabank III ErwGr 11.
45) EuGH C565/21 Caixabank III ErwGr 12.
46) EuGH C565/21 Caixabank III ErwGr 61.
47) EuGH C565/21 Caixabank III ErwGr 54.
48) EuGH C565/21 Caixabank III ErwGr 55 f.
49) Siehe bei FN 7.
on als unionsrechtswidrig gebrandmarkt worden wäre.44)
Und das spanische Höchstgericht will‘s nun wissen: Haftet seiner Judikatur dieser Makel an? Dieser verständliche Drang nach Reinwaschung mündet in der dritten Vorlagefrage, die – stark abgekürzt – lautet: Steht Art 3 KlauselRL einer nationalen Rechtsprechung entgegen, wonach eine Bereitstellungsprovision kein erhebliches Missverhältnis zum Nachteil des Verbrauchers verursacht?45)
Und der EuGH erteilt die dringend erhoffte Absolution: Nein, die Judikatur des Tribunal Supremo ist nicht europarechtswidrig. Art 3 KlauselRL steht einer solchen nationalen Rechtsprechung nicht entgegen, so nur die Frage, ob ein erhebliches Missverhältnis vorliegt, Gegenstand einer wirksamen Kontrolle durch das zuständige Gericht anhand der Kriterien aus der EuGHRechtsprechung ist.46)
In seiner Begründung für diese Antwort bestätigt der EuGH die geringe Bedeutung seiner Caixabank-IIEntscheidung. Das Tribunal Supremo hatte den EuGH auf das Spannungsverhältnis zwischen Caixabank II und Kiss aufmerksam gemacht.47) Immerhin ist der einen Entscheidung im Grunde zu entnehmen, dass eine Bereitstellungsprovision missbräuchlich ist und der anderen das Gegenteil.
Der EuGH erklärt das Spannungsverhältnis in Caixabank III nun damit, dass er in Caixabank II aufgrund der Angaben der vorlegenden Gerichte davon ausgehen musste, was ihm diese über das spanische Recht berichtet hatten: Gemäß dem Gesetz 2/2009 müssten auf den Kunden abgewälzte Provisionen oder Kosten tatsächlich erbrachten Dienstleistungen oder entstandenen Kosten entsprechen.48) Nicht erfahren hatte der EuGH von jener Ausnahmebestimmung in Art 5 Abs 2 lit b des Gesetzes, aus der nach Ansicht des Tribunal Supremo folgt, dass diese Prüfung gerade für die Bereitstellungsprovision nicht gilt.49) Nur „[a]uf dieser Grundlage“, also der „verzerrt“ berichteten, jedenfalls aber rein nationalen Grund
50) EuGH C565/21 Caixabank III ErwGr 56. So auch die Bewertung der Entscheidung bei Schopper, ÖJZ 2024 (in Druck) unter C.1.
51) Siehe bei FN 33.
52) EuGH C565/21 Caixabank III ErwGr 57.
53) EuGH C565/21 Caixabank III ErwGr 57: „Die Beurteilung der Frage, ob [...] ein erhebliches Missverhältnis [...] vorliegt, hat das zuständige Gericht [...] anhand aller Kriterien vorzunehmen, die in [...] Rn 49 bis 52 des vorliegenden Urteils
lage habe der EuGH in Caixabank II die 11. Vorlagefrage so beantwortet, wie er das nun einmal tat. Ausschlagend war dafür also einzig die vermeintlich in Spanien geltende Rechtslage.50) Und nur diese Antwort bewegte den OGH dazu, mit seiner FitnessstudioJudikatur eine Art iustum pretium für Sonderentgelte ins österreichischen Recht einzuführen.51)
Ungeachtet seiner damaligen Antwort, so der EuGH weiter, sei die Missbräuchlichkeitsprüfung anhand jener Kriterien vorzunehmen, die der EuGH in seiner bisherigen Judikatur dafür entwickelt habe.52) Aus einer komplizierten Verweiskette ergibt sich, dass der LeistungPreisGestehungskostenVergleich aus Caixabank II nicht dazu zählt.53)
Außerdem habe der EuGH, so er selbst weiter, in Anwendung dieser Kriterien in Kiss im Ergebnis entschieden, dass nicht ersichtlich sei, warum sich eine Bereitstellungsprovision nachteilig auf die Rechtsstellung des Verbrauchers auswirken sollte. Voraussetzung für dieses Ergebnis sei nur, dass die „erbrachten Dienstleistungen vernünftigerweise den im Rahmen der Bearbeitung oder der Bereitstellung des Darlehens erbrachten Leistungen“ zuzurechnen wären. Bezugspunkt ist also keine isolierte Sonderleistung, sondern die Vertragsbeziehung als solche. Konsequenterweise dürfen „die dem Verbraucher [...] auferlegten Beträge [auch bloß] nicht im Verhältnis zum Darlehensbetrag übermäßig hoch“ sein.54)
Kurzum: In Caixabank III wird der LeistungPreisGestehungskostenVergleich aus dem europäischen Normbestand ausgeschieden – oder eigentlich: klargestellt, dass er niemals dazugehörte. Außerdem wird nationale Judikatur wie jene von Tribunal Supremo55) und OGH56) goutierte, wonach Kreditbearbeitungsentgelte zulässig sind.
Häufig sind EuGHEntscheidungen ein Art „Cliffhanger“. Der juristische Beobachter hängt zwar schon am Rande seines Sessels. Trotzdem erfährt er den Ausgang der Geschichte nicht: Wie entscheiden die nationalen Gerichte im
angeführt [...] worden sind“. Dieser Verweis zielt also nicht auf ErwGr 55 f. Dort würden die Kriterien aus Caixabank II behandelt. „Die Beurteilung der Frage, ob [...] ein erhebliches Missverhältnis [...] vorliegt“, ist daher nicht anhand dieser Kriterien vorzunehmen.
54) EuGH C565/21 Caixabank III ErwGr 58.
55) Siehe in und bei FN 7
56) Siehe in und bei FN 23 und 24.
konkreten Anlassfall aufgrund der Antworten des EuGH?
Bei der Saga von der Caixabank wissen wir, wie sie für die spanische Kreditwirtschaft ausging, und zwar gut. Das Tribunal Supremo kam im Ausgangsverfahren zum Schluss, dass die Eröffnungsprovision weder intransparent noch missbräuchlich ist und gab dem Rechtsmittel der Caixabank statt.57) Für das spanische Recht könnte der passende Untertitel für die Saga von der Caixabank daher sein: „Viel Lärm um nichts“.
Kapitel 5: Die „Hauptfrage“
Vieles deutet nun auch für Österreich auf ein Happy End hin. Mittelfristig: Kreditbearbeitungsentgelt weiterhin zulässig, doch keine systemwidrige Einführung des iustum pretium für Sonderentgelte. Kurzfristig: Kellner hört auf zu sprechen und Kaffeepause.
Aber erinnern Sie sich: In seiner Entscheidung, die das mallorquinische Gericht nicht akzeptieren wollte, hatte das Tribunal Supremo auch argumentiert, dass die Eröffnungsprovision nach Art 4 Abs 2 KlauselRL kontrollfreie Hauptleistung sei. Alles andere laufe auf eine Preiskontrolle hinaus, die nach der Judikatur des EuGH ausgeschlossen wäre.58)
Auch diesbezüglich wollte sich das spanische Höchstgericht in Caixabank III vergewissern und fragt deswegen: Steht Art 4 Abs 2 KlauselRL einer nationalen Rechtsprechung entgegen, die eine Bereitstellungsprovision zum kontrollfreien Hauptgegenstand des Vertrags zählt59)?
Diese Frage bejaht der EuGH.60) Hauptgegenstand des Kreditvertrags seien nur Kapitalüberlassung und rückzahlung – im Allgemeinen zuzüglich Zinsen. Alles andere seien Nebenpflichten und bedingungen, die der Missbräuchlichkeitskontrolle unterlägen.
In seinen FitnessstudioEntscheidungen wollte der OGH wegen Caixabank II seine Judikatur neu bewerten, wonach das Kreditbearbeitungsentgelt eine kontrollfreie Hauptleistung ist. Diese EuGHEntscheidung bot dafür keinen Anlass. Doch addiert man 1 zu 2, stimmt die
Aussage: Caixabank III erfordert diese Neubewertung nun scheinbar.61)
Wie wird sie ausgehen? Legath hat herausgearbeitet, dass mit Caixabank III noch nicht einmal für das spanische Recht das letzte Wort gesprochen ist.62) Art 4 Abs 2 KlauselRL kennt zwei Ausnahmen von der Missbräuchlichkeitskontrolle: einerseits den Hauptgegenstand des Vertrags und andererseits die Angemessenheit zwischen Preis und Leistung. Die Frage des Tribunal Supremo zielte – merkwürdigerweise – ausdrücklich nur auf die erste Kategorie und nur darauf bezog sich folglich die Antwort des EuGH. Unbeantwortet blieb mit anderen Worten, ob die Bereitstellungsprovision nicht deshalb von der Missbrauchskontrolle ausgenommen ist, weil ansonsten die Angemessenheit der gegenseitigen Leistungen beurteilen werden müsste. Genau das hatte das Tribunal Supremo eigentlich bejaht.63)
Nach der Rechtsprechung des EuGH ist diese zweite Kontrollausnahme dadurch zu erklären, dass eine Skala oder objektive rechtliche Standards fehlen, um Preis und Leistung auf ihre Angemessenheit zu prüfen.64) Hätte das Tribunal Supremo sein Vorabentscheidungsersuchen breiter angelegt, hätte sich der EuGH in Caixabank III daher hypothetisch folgende Frage stellen müssen: Kann ein Gericht anhand von objektiven Kriterien beurteilen, ob bei einem Kredit über rund € 130.000 eine Bereitstellungsprovision iHv rund € 850 angemessen ist? Wenn das zu verneinen wäre – kein objektiver Maßstab für diese Beurteilung –, wäre eigentlich Kontrollfreiheit anzunehmen.65)
Auf einem weiteren bemerkenswerten Aspekt machen Piekenbrock/Aßfalg aufmerksam.66) Das Vorabentscheidungsverfahren beruht – eigentlich – auf einer „klaren Aufgabentrennung“: Der EuGH gibt bloß allgemeine Leitlinien vor, anhand derer die nationalen Gerichte den konkreten Einzelfall entscheiden. Das ist nicht etwa meine Einschätzung, sondern genau so in der CaixabankIIIEntscheidung nachzulesen.67) Das Vorabentscheidungsverfahren entspricht daher dem verbraucherrechtlichen Informationsmodell: Hilfe zur Selbsthilfe.
Ein Anwendungsfall dieser Aufgabenteilung war bisher die Einordnung konkreter Klauseln als kontrollfreie Hauptpunkte oder als kontrollunterworfenen Nebenbedingungen. In Caixabank III geht der EuGH davon ab. Nicht länger Informationsmodell, sondern Paternalismus: Der EuGH gibt dem Tribunal Supremo für die Einordnung der Bereitstellungsprovision nicht bloß allgemeine Leitlinien an die Hand. Vielmehr verneint das europäische Höchstgericht selbst eine Kategorie der kontrollfreien Hauptleistung: Die Bereitstellungsprovision zähle nicht zum Hauptgegenstand des Kreditvertrags.68)
Innerhalb der ActeclairTheorie brauchen wir offenbar eine neue, dritte Kategorie: Der „acte clair“ betrifft eine offenkundige Rechtsfrage, mit deren einfacher Beantwortung der EuGH nicht behelligt werden muss. Zum „acte éclairé“ hat der EuGH schon alles gesagt, was notwendig ist. Und beim „acte obscurci“ ziehen Folgeentscheidungen eine vormals klare Rechtsprechung und lage in Zweifel. Eine solche Frage beantwortete der EuGH in der Caixabank-IIIEntscheidung, als er über Ersuchen des spanischen Höchstgerichts das Spannungsverhältnis zwischen Caixabank II und Kiss auflöste.69)
Man wird den EuGH nach Caixabank III wohl zweierlei fragen müssen. Erstens: Ob in Zukunft der EuGH selbst für jeden Vertragstyp und jede Klauselart befragt werden soll, ob sie kontrollfrei ist oder nicht oder ob diese Beurteilung nicht doch besser Sache der nationalen Gerichte bleiben soll? In diesem Zusammenhang könnte man darauf hinweisen, dass Letzteres vielleicht sachgerechter wäre, da ein vereinheitlichtes europäisches Schuldvertragsrecht nicht existiert.70) Jede nationale Rechtsordnung muss die Hauptleistungen der Vertragsparteien daher autonom definieren und darf das damit offenkundig auch tun. So formuliert, liegt die Antwort freilich auf der Hand. Vielleicht doch ein „acte clair“?
Zweitens sollte man den EuGH fragen, wie die Kontrollfreiheit wegen fehlender objektiver Maßstäbe mit Kiss harmoniert. Darin hat der EuGH den polnischen Gerichten nämlich jene freihändige Äquivalenzkontrolle aufgetragen, die nach dem Normzweck die Unanwendbarkeit der AGBInhaltskontrolle indiziert.
57) Tribunal Supremo 29.5.2023, 2131/2023, ECLI:ES:TS:2023:2131 unter „Achtens“.
58) Siehe bei FN 8.
59) EuGH C565/21 Caixabank III ErwGr 14. 60) EuGH C565/21 Caixabank III ErwGr 24. 61) UU ist diese Einschätzung schon wieder überholt: siehe bei FN 102.
62) Legath, ÖJZ 2023/128, 761 ff.
63) Siehe bei FN 8.
64) Legath, ÖJZ 2023/128, 762 f mwN.
65) Auf Kontrollfreiheit nach Art 4 Abs 2 Fall 2 KlauselRL deutet die jüngste EuGHEntscheidung hin. Siehe C321/22 Provident Polska und dazu bei FN 102.
66) Piekenbrock/Aßfalg, ÖBA 2023, 681 f. Für abermalige Vorlage zu dieser Frage auch Legath, ÖJZ 2023/128, 761 f.
67) EuGH C565/21 Caixabank III ErwGr 37.
68) Siehe bei FN 60.
69) Siehe bei FN 47.
70) Schopper, ÖJZ 2024 (in Druck) unter B.2.
Wie auch immer diese Neubewertung der Kontrollfähigkeit des Kreditbearbeitungsentgelts ausgeht, sie sollte für die Frage seiner Wirksamkeit nach österreichischem Recht keinen Unterschied machen. Der OGH betrachtet dieses Sonderentgelt in stRsp nämlich keinesfalls als gröblich benachteiligend.71) Und diese Frage muss nicht „relitigated“, ja sie darf nicht „relitigated“ werden.72)
In seinen FitnessstudioEntscheidungen wollte der OGH seine bisherige Judikatur zum Kreditbearbeitungsentgelt in unionsrechtlichem Licht neu bewerten.73) Nicht gleichsam innere Ursachen des österreichischen Rechts sollen also Anlass für eine Neubewertung sein. Nein, ein „exogener Schock“, die CaixabankIIEntscheidung.
Der OGH spricht damit eine große methodische Erkenntnis an. Fast in Vergessenheit geraten scheint die Diskussion um die sog ZeitzünderTheorien, deren prominentester Befürworter in Österreich Andreas Vonkilch ist.74) Solche Theorien existieren in vielen Facetten.75) Ihr kleinster gemeinsamer Nenner ist eine Art Rückwirkungsverbot für Richterrecht: Unter gewissen Voraussetzungen sollen Judikaturänderungen nur pro futuro wirken.
Angewendet auf den konkreten Fall: Die hypothetischen neuen Spielregeln für Kreditvertragsentgelte gelten erst für Partien, die Banken und ihre Kunden in Kenntnis der neuen Regeln spielen, also erst für künftige, nach der Judikaturwende abgeschlossene Verträge.
Die Diskussion um die ZeitzünderTheorien ist in Vergessenheit geraten, weil die hA alle ZeitzünderTheorien ablehnt.76) Besonders einflussreich war dabei wohl die Kritik des Doyens der österreichischen Methodenlehre, Franz Bydlinski.77) An seiner Kritik sind zwei Aspekte bemerkenswert.
In einem Ausnahmefall hält er die ZeitzünderTheorien nämlich für überzeugend. Dieser Sonderfall ist prompt
71) 6 Ob 13/16d. Folgend etwa 10 Ob 31/16f Klausel 5.
72) Das ist natürlich ungenau: Die Frage kann „relitigated“ werden, aus Vertrauensschutzerwägungen ist nur der Ausgang dieser „Relitiation“ vorgezeichnet. Siehe dazu sogleich im Text.
73) Siehe bei FN 22.
74) A. Vonkilch, Das Intertemporale Privatrecht 413 ff; siehe auch A. Vonkilch, ecolex 1998, 389 ff.
75) Vgl je mwN Runggaldier, RdW 1994,
die Rechtsprechung des EuGH, wenn dieser „ohne methodisch zureichend ersichtlichen Zusammenhang mit [dem] Gemeinschaftsrecht und daher unvorhersehbar Rechtssätze ausspricht, die [...] begründungsunabhängig im Ergebnis europaweit gesetzesartig verbindlich“ werden. In solchen Fällen sprächen die autonom begründungsunabhängigen Urteilswirkungen dafür, erst den Zeitpunkt der maßgebenden Entscheidung des EuGH für denjenigen zu halten, in dem sich der normative Kontext für die nationale Rechtsordnung geändert habe.78)
Ich verstehe das so: Sollten Caixabank II oder III oder die KissEntscheidung des EuGH doch der „Gamechanger“ für das österreichische Recht sein, dann sollten sich die Spielregeln erst mit der Veröffentlichung dieser Entscheidungen ändern.
Der zweite bemerkenswerte Aspekt der Kritik von Franz Bydlinski ist, dass er das Kernanliegen der ZeitzünderTheorien, den Vertrauensschutz, für berechtigt hält. Ihren Vertretern gibt er nämlich unumwunden zu, dass jede Rechtsprechungsänderung, insb die Änderung einer langfristig etablierten und dadurch weit bekannten höchstgerichtlichen Rechtsprechung ein ernstliches Problem darstelle, und zwar unter dem Aspekt der Rechtssicherheit iS der Vorhersehbarkeit der Entscheidung; aus dem Blickwinkel der Gerechtigkeit wegen der unterschiedlichen Behandlung der Beteiligten in gleichgelagerten Fällen vor und nach der Judikaturwende; und auch unter dem Gesichtspunkt ökonomischer Zweckmäßigkeit wegen der drohenden Frustrierung von wirtschaftlichen Dispositionen.79)
Diesen Gedanken griff der OGH 2016 in seiner Leitentscheidung zum Kreditbearbeitungsentgelt der Sache nach auf. Ungerechtfertigter „Windfall Profit“ für Verbraucher müsse vermieden werden. Insbesondere dank des effektiven Jahreszinssatzes hätten die Kreditnehmer in voller Kenntnis der gesamten Kosten der Kreditierung kontrahiert, um nun Jahre später plötzlich Entgelte zurückfordern. Dazu komme, dass derartige
50 ff; Thunhart, ÖJZ 2010, 706 ff; Wilhelm, ecolex 1993, 14 ff; Wilhelm, ecolex 1996, 1 ff. Für Deutschland Piekenbrock, ZZP 2006, 3 ff.
76) Kerschner in Klang, ABGB³ § 12 Rn 28 ff; Lovrek/Musger in FS Neumayr 227.
77) F. Bydlinski, JBl 2001, 1 ff.
78) F. Bydlinski, JBl 2001, 21.
79) F. Bydlinski, JBl 2001, 3.
80) 6 Ob 13/16d ErwGr 8.1.
81) 1 Ob 212/97a; für ein Abwägen auch
Entgelte seit Jahrzehnten üblich seien. Marktteilnehmer hätten in Anbetracht der Judikatur zur Zulässigkeit von Depotübertragungsgebühren und kreditvertraglichen Kontoführungsgebühren nicht mit der Unzulässigerklärung derartiger Klauseln rechnen müssen.80)
Allgemein judiziert der OGH, dass im weiten Bereich der Konkretisierung gesetzlicher Generalklauseln die Rechtsprechung nur unter Anlegung eines hohen, von großem Verantwortungsbewusstsein bestimmten Maßstabs anzupassen ist.81) Die AGBInhaltskontrolle des § 879 Abs 3 ABGB ist nun eine Generalklausel par excellence. Und zu besonderem Verantwortungsbewusstsein gemahnen im AGBRecht mE die drakonischen Rechtsfolgen von Klauselnichtigkeit, an denen der EuGH unbeirrt festhält82), obwohl ihn der OGH darauf hingewiesen hat, dass sie diametral der Systematik und den Wertungen des Zivilrechts widersprechen, das davon geprägt ist, die unterschiedlichen Interessen von Vertragsparteien billig auszugleichen.83)
Was bedeutet all das für die vom OGH angekündigte Neubewertung seiner stRsp seit 2016, wonach Kreditbearbeitungsentgelte als Hauptleistungen kontrollfrei, jedenfalls aber sachlich gerechtfertigt sind? Die Diskussion ist eben nicht ab ovo, grundlegend neu zu führen, wie das Schumacher84) befürwortet. Festzustellen ist allein, ob sich seitdem etwas ereignet hat, was eine Rechtsprechungsänderung und damit eine Enttäuschung des Vertrauens der Normunterworfenen erzwingt Eines Vertrauens, das der OGH schon 2016 explizit als schutzwürdig qualifizierte85) und das der OGH seither mehrfach durch Folgeentscheidungen bestärkte.86)
Bei der Einordnung des Kreditbearbeitungsentgelts als Hauptleistung ist eine solche „Zwangssituation“ allenfalls87) gegeben. Die Caixabank-IIIEntscheidung könnte insofern eine Rechtsprechungsänderung erzwingen.88) Diese bliebe aber im Ergebnis folgenlos und erzwingt keine Vertrauensverletzung. Nichts Neues existiert nämlich zur Frage, ob ein
Lovrek/Musger in FS Neumayr 227.
82) Zu den neuesten Entwicklungen Kronthaler, Zak 2023/513, 284 ff; Lurger, ÖBA 2024 (in Druck).
83) 4 Ob 131/21z, ÖBA 2022, 128 Rn 25.
84) Schumacher, ÖBA 2024 (in Druck).
85) Siehe bei FN 80.
86) Siehe die Nachweise in FN 24.
87) Siehe nun aber die jüngste EuGHEntscheidung: C321/22 Provident Polska und dazu bei FN 102.
88) Siehe bei FN 59.
Kreditbearbeitungsentgelt gröblich benachteiligt ist:
Diese Frage hat der OGH 2016 überzeugend verneint. Damals hat er insbesondere erklärt, dass das Kreditbearbeitungsentgelt die Leistungen der Bank nicht „aushöhlt“, was immer das auch heißen soll.89) Der OGH hat 2016 auch die damit verbundene, schon fürs deutsche Recht kritisierte Judikatur des BGH abgelehnt.
Der OGH hat diese Judikatur bis 2023 konsequent fortgeführt. Weder der EuGH, noch sonstige externe Ursachen, noch grundlegend neue Erkenntnisse zum heimischen AGB oder Kreditvertragsrecht zwingen ihn, diese stRsp aufzugeben und deutsches Recht zu importieren. Aus Gründen des Gleichmaßgebots und der Rechtssicherheit ist eine Judikaturwende damit normativ ausgeschlossen.
Am Ende sollte der Film „Kreditbearbeitungsentgelt 2: Die Saga von der Caixabank“ daher auch für Österreich von einer Komödie inspiriert sein: „Der Sturm im Wasserglas“.
Das Bankrechtsforum 2023 liegt zwar kaum zwei Monate zurück, dennoch rechtfertigen schon zwei Entscheidungen einen Epilog:
Mit 4 Ob 74/22v hat der OGH seine erste Entscheidung zu Bankentgelten post FitnessstudioJudikatur gefällt. Darin macht das Höchstgericht mit der bisher bloß angekündigten Neubewertung ernst und kommt bzgl der Anwendbarkeit von § 879 Abs 3 ABGB zum gegenteiligen Ergebnis: Ein Kontoführungsentgelt in Bausparbedingungen regle keine Hauptleistung des Kunden. Die Klausel unterliege sehr wohl der AGBInhaltskontrolle. Auslöser für diese Rechtsprechungswende ist und bleibt nach den Urteilsgründen nur die Caixabank-IIEntscheidung des EuGH.90) Noch keine Erwähnung finden in diesem Zusammenhang Caixabank III, Provident Polska91) sowie die Reaktionen der Literatur darauf.
Unverändert soll das Kontoführungsentgelt den Kunden nicht gröblich be
89) Zutreffend kritisch Iro, ÖBA 2009, 312: Die Leistungspflichten der Bank würden durch eine AGBKlausel mit einem zusätzlichen Entgelt nicht verändert, also auch nicht etwa „ausgehöhlt“, bekommt der Kunde doch immer ein und dieselbe Leistung.
90) 4 Ob 74/22v Rn 82 bis 85. 91) Dazu sogleich.
92) 4 Ob 74/22v Rn 87 f.
nachteiligen. Dafür greift der erkennende Senat auf justiziable Kriterien zurück statt auf den LeistungPreisGestehungskostenTest: Die Bestimmung des § 988 ABGB lasse den Parteien weiteren Spielraum als § 488 BGB, „sodass auch eine Bearbeitungsgebühr [!] vereinbart werden“ könne. Einschlägige Gesetzesbestimmungen würden zudem voraussetzen, dass die Bank Entgelte wie das inkriminierte vereinbaren könne.92) Analoges war in der Leitentscheidung zur Zulässigkeit von Kreditbearbeitungsentgelten zu lesen: Der gesetzlich vorgesehene Effektivzinssatz würde „ad absurdum geführt, wenn der Sollzinssatz die einzige Entgeltform wäre, die [sich] die Bank ausbedingen dürfe“.93)
Allgemein habe der OGH, so der 4. Senat in der jüngsten Entscheidung weiter, Bankentgelte insb dann für zulässig erachtet, wenn sie dem Verursacherprinzip folgend von jenen Kunden zu entrichten seien, für die ein Aufwand betrieben würde.94) Auch damit kehrt eine Überlegung aus der Leitentscheidung zur Zulässigkeit von Kreditbearbeitungsentgelten wieder95) – und die Liste wird noch länger: Auch eine Pauschalierung von Entgelten sei nicht von vornherein abzulehnen, solange die konkreten Kosten nicht grob überschritten würden.96) Der FitessstudioJudikatur entnommen und für Bankentgelte neu ist die darauf folgende Einschränkung, dass die Verrechnung von Entgelten ohne konkrete Zusatzleistung und ohne konkrete Kosten als unzulässig anzusehen wäre.97) Die Führung eines Bausparkontos sei jedoch eine Nebenleistung zur Hauptleistung der Bausparkasse, nämlich der Verzinsung des Bausparguthabens.98)
Im konkreten Fall habe die klagende Partei nicht geltend gemacht, dass das streitgegenständliche Kontoführungsentgelt den Aufwand der geklagten Bausparkasse iS von Caixabank II grob überschreiten würde. Daraus könne die Unzulässigkeit der Klausel daher nicht abgeleitet werden, so der 4. Senat am Ende seiner Beurteilung.99) Ein solcher Test ist Caixabank II aber wohl ebenso wenig zu entnehmen wie der sonstigen EuGHJudikatur: Das europäische Höchstgericht will zumindest beim Bearbeitungsentgelt dieses Sonderentgelt mit der Kreditvaluta
93) 6 Ob 13/16d ErwGr 6.1. 94) 4 Ob 74/22v Rn 89.
95) 6 Ob 13/16d ErwGr 6.6 und 7.2.
96) 4 Ob 74/22v Rn 90.
97) 4 Ob 74/22v Rn 90.
98) 4 Ob 74/22v Rn 84.
99) 4 Ob 74/22v Rn 91.
100) Siehe in und bei FN 54.
101) Siehe bei FN 17.
102) C321/22 Provident Polska ErwGr 59.
verglichen wissen.100) Das hat der EuGH erst jüngst wieder bestätigt, nämlich in der zweiten Entscheidung, über die in diesem Epilog zu berichten ist:
Die Antwort auf die erste Vorlagefrage in C321/22 Provident Polska ist zwar gewohnt101) mehrdeutig. Die Missbräuchlichkeit einer Klausel könne sich daraus ergeben, dass sie eine „Zahlung [...] in einer Höhe vors[ehe], die offensichtlich außer Verhältnis zu der als Gegenleistung erbrachten Dienstleistung“ stehe.102) Aus der Begründung der Entscheidung geht aber der bekannte Vergleichsmaßstab für Unverhältnismäßigkeit hervor: Die „Beträge, die dem Verbraucher als Kosten für die Bereitstellung und die Durchführung des Darlehens auferlegt“ würden, müssten für Missbräuchlichkeit „gegenüber dem Darlehensbetrag eindeutig unverhältnismäßig erscheinen“.103) Neu ist also nur die gleich zweimalige Betonung, dass allenfalls „offensichtliche“ bzw „eindeutige“ Überschreitungen aufzugreifen sein sollen. Mangels Skala und objektiver rechtlicher Standards für diese Prüfung ist immerhin deren Grobmaschigkeit zu begrüßen.104)
Den polnischen Gerichten überlassen bleibt die Beurteilung der vorgelagerten Frage, ob die Bankentgelte des Ausgangsverfahrens überhaupt der AGBKontrolle unterliegen oder nicht. Der EuGH kehrt nach Caixabank III105) nämlich postwendend zum Informationsmodell zurück: Die nationalen Gerichte sollen die Missbräuchlichkeit nur prüfen, „sofern die[s] nicht nach Art 4 Abs 2 in Verbindung mit Art 8 [Klausel]Richtlinie ausgeschlossen ist“.106)
Der EuGH bietet den nationalen Gerichten diesbezügliche Beurteilungskriterien: Nicht zu den Hauptpflichten aus einem Kreditvertrag zählen würde eine Provision für die Vergütung der Dienstleistungen iZm der Prüfung, Gewährung oder Bearbeitung eines Kredits oder anderer ähnlicher Dienstleistungen, die mit der Tätigkeit des Kreditgebers anlässlich der Gewährung des Kredits verbunden seien.107) Diese Aussage ist die Fortführung von Caixabank III zur ersten Kategorie der Kontrollfreiheit in Art 4 Abs 2 KlauselRL.108)
103) C321/22 Provident Polska ErwGr 47. 104) Schopper, ÖJZ 2024 (in Druck) unter C.1 aE: nur die gröbsten Auswüchse aufzugreifen.
105) Siehe bei FN 59.
106) C321/22 Provident Polska ErwGr 59, deutlich auch ErwGr 49.
107) C321/22 Provident Polska ErwGr 51. 108) Siehe bei FN 62.
Anders als in Caixabank III109) geht der EuGH in Provident Polska auch auf die zweite Kategorie dieser Bestimmung ein: „Klauseln, die sich auf die vom Verbraucher dem Darlehensgeber geschuldete Gegenleistung beziehen [würden] oder den tatsächlichen Preis beeinfluss[t]en, den der Verbraucher dem Darlehensgeber zu zahlen ha[be], gehör[t]en [...] grundsätzlich zu der zweiten Kategorie von Klauseln iSv Art 4 Abs 2“ KlauselRL.110) ME sind diesen beide Kriterien beim Kreditbearbeitungsentgelt erfüllt.111) Einerseits ist dieses eine Gegenleistung des Kunden für die Kreditgewährung als Ganzes. Gerade davon geht der EuGH aus, wenn er Bearbeitungsentgelt und Kreditvaluta verglichen haben will.112) Andererseits beeinflusst das Kreditbearbeitungsentgelt auch den tatsächlichen Preis für den Kredit, erhöht nämlich insb den effektiven Jahreszinssatz.113) Kontrollfreiheit stünde zudem im Einklang mit der Ratio von Art 4 Abs 2 KlauselRL, freihändige Äquivalenzkontrolle zu vermeiden.114)
Der EuGH setzt noch fort: Nicht mehr unter die zweite Ausnahme des Art 4 Abs 2 KlauselRL würde der Vorwurf der Missbräuchlichkeit fallen, der Kreditgeber erbringe überhaupt keine tatsächliche Leistung, die eine Gegenleistung für das Entgelt gemäß der inkriminierten Klausel sein könne.115) Dieser Vorwurf kann auf Basis der EuGHJudikatur zumindest für das Bearbeitungsentgelt nicht stichhaltig sein, wenn und solange der Kreditgeber nur den Kredit zuzählt: Mit dieser Gesamtleistung, repräsentiert durch die Höhe der Valuta, ist das Bearbeitungsentgelt nach der EuGHJudikatur zu vergleichen.116)
Zur Transparenz steht in der jüngsten Entscheidung schließlich nur knapp, dass das vorlegende Gericht zu prüfen haben werde, ob der Verbraucher über die Gründe informiert worden sei, die die Zahlung der Provision rechtfertigen würden.117) Der darauf folgende Verweis auf die KissEntscheidung lässt erkennen, dass durch diese Aussage der dortige Transparenzmaßstab fortgeführt werden soll: Der Verbraucher muss anhand des Vertrags als Ganzes die Art der tatsächlich erbachten Dienstleistungen verstehen können.118)
Schließlich ist zu betonen, dass Verbraucher nicht schutzlos zurückbleiben, wenn Sonderentgelte als Hauptentgelte iSv § 879 Abs 3 ABGB qualifiziert werden und ein LeistungPreisGestehungskostenTest unterbleibt. Wenn die gesonderte Auspreisung von typischerweise umfassten Teilleistungen ein Problem sein sollte, so muss und kann dem mit Iro anders Rechnung getragen werden als durch die AGBInhaltskontrolle, zB mit dem Grundsatz vom Vorrang der Individualabrede: Der „AllinPreis“ verdrängt die Zusatzentgelte. Außerdem könnten Zusatzentgelte, so Iro weiter, aufgrund ihres unklaren Verhältnisses zum Grundentgelt intransparent sein.119) Zu denken ist schließlich an das Überraschungsverbot des § 864a ABGB, das einem überrumpelnden „Verschieben“ von Entgelten in die AGB vorbeugen kann. Das Problem der „Junk Fees“ ist mit anderen Worten im heimischen Recht dogmatisch und praktisch zu bewältigen, ohne die Bestimmung des § 879 Abs 3 ABGB grundlegend neu auszurichten.
Aichberger-Beig, Rechtsfolgen missbräuchlicher Wechselkursklauseln in Fremdwährungskreditverträgen, VbR 2023/38, 41.
Bartholomeyczik, Äquivalenzprinzip, Waffengleichheit und Gegengewichtsprinzip in der modernen Rechtsentwicklung, AcP 166 (1966) 30.
Bydlinski, Franz, Gegen die Zeitzündertheorien, JBl 2001, 1.
Bydlinski, Franz, System und Prinzipien (1996).
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109) Siehe bei FN 63.
110) C321/22 Provident Polska ErwGr 52.
111) So auch Schopper, ÖJZ 2024 (in Druck) unter B.2, der diesfalls nur, aber auch immerhin eine eingeschränkte Missbräuchlichkeitskontrolle für möglich hält.
112) Siehe bei FN 103.
113) Hiermit begründet der EuGH freilich den nächsten acte obscurci, weil er zuvor entschieden hatte, dass die Beeinflussung des effektiven Jahreszinssatzes nicht zur Kontrollfreiheit führen soll: EuGH C143/13 Rn 47; C224/19 und C259/19 Caixabank II ErwGr 64.
114) Siehe bei FN 62.
115) C321/22 Provident Polska ErwGr 54. 116) Siehe bei FN 103.
117) C321/22 Provident Polska ErwGr 55. 118) Siehe bei FN 36.
119) Iro, ÖBA 2009, 313.
Besprechung von OGH 3 Ob 228/22h,1) 3 Ob 222/22a, 4 Ob 233/22a, 4 Ob 239/22h, 9 Ob 101/22a, 9 Ob 111/22x, 9 Ob 112/22v, 10 Ob 64/22t und 10 Ob 60/22d
Mehrere Senate des OGH befassten sich in Individualverfahren mit der AGB-Kontrolle von qualifizierten Nachrangklauseln. Die Urteile festigen nicht nur die bisherige Rsp zur AGB-Kontrolle bei Nachrangdarlehen, sondern zeigen auch bisher kaum beachtete Fragen auf, die bei der Ausgestaltung solcher Finanzierungen zu berücksichtigen sind.
Stichwörter: Nachrangdarlehen, Rangrücktritt, Subordination von Forderungsrechten, Mezzaninfinanzierung, Crowdfunding, Neuerungsverbot, AGB-Kontrolle, Inhaltskontrolle.
JEL-Classification: K 12, K 15, K 22, K 41. https://doi.org/10.47782/oeba202401002701
Several panels of the Austrian Supreme Court (OGH) considered the review of general terms and conditions for subordination clauses. The judgments not only reinforce the existing case law on the review of general terms and conditions for subordinated loans but also highlight previously overlooked questions that need to be considered when structuring such financings.
1. Sachverhalt: Die nachrangigen Finanzierungen
Die neun knapp hintereinander ergangenen E beruhen auf einem gemeinsamen Ausgangsfall und gelangen auch mit weitgehend wortgleicher Begründung zu denselben Ergebnissen.2) Die in allen Verfahren bekl GmbH betrieb eine Pfandleihanstalt und finanzierte ihre operative Geschäftstätigkeit durch ein Crowdfunding-Modell, mit dem sie befristete, fix verzinste Kredite von Verbrauchern aufnahm. Die Kl sind solche Crowdinvestoren, die eine Rückzahlung der Kreditvaluta begehren. Alle betroffenen Finanzierungen beruhen auf AGB der bekl Kreditnehmerin, die unter
der Überschrift „Nachrangigkeit“ folgendes vorsehen:
(1) Die Forderungen des Darlehensgebers aus diesem Darlehensvertrag sind unbesicherte, nachrangige Forderungen, die mit allen anderen gegenwärtigen und zukünftigen unbesicherten, nachrangigen Verbindlichkeiten der Emittentin gleichrangig sind.
(2) Die Rückzahlung des Nachrangdarlehens sowie die Zahlung von Zinsen kann solange und soweit nicht verlangt werden, wie dies bei der Emittentin einen Grund für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens herbeiführen würde. Im Fall der Liquidation oder der Insolvenz der Emittentin dürfen die Forderungen des Darlehensgebers aus diesem Darlehensvertrag erst nach den Forderungen der gegenwärtigen und künftigen nicht nachrangigen Gläubiger der Emittentin befriedigt werden, sodass Zahlungen an den Darlehensgeber so lange nicht geleistet werden, bis die Ansprüche der nicht nachrangigen Gläubiger der Emittentin vollständig befriedigt sind.
Die angeführte Klausel enthält eine Nachrangabrede (Subordination von Forderungsrechten). Sie setzt sich neben ihrem eher programmatischen ersten Absatz3) aus zwei Elementen zusammen: Zum einen ist vereinbart, dass im Fall einer näher definierten wirtschaftlichen Krise der Schuldnerin eine Zahlungssperre eintritt (Abs 2 Satz 1). In diesen Fällen muss die Kreditnehmerin vorüber-
1) Abgedruckt ÖBA 2023, 882. 2) Dazu auch Graf, ZFR 2023, 485.
3) Der erste Absatz legt im Wesentlichen die Rangtiefe in der Insolvenz fest („gleichrangig mit allen nachrangigen Forderungen“). Die gewählte Formulierung würde sich allerdings als unklar erweisen, wenn der Schuldner andere nachrangige Verbindlichkeiten mit unterschiedlichen Rangstufen eingeht (zur Zulässigkeit s Trenker in Konecny, Insolvenz-Forum
Dr. Lukas Herndl, LL.M (Berkeley) ist Universitätsassistent (post doc) am Institut für Zivilrecht der Universität Wien; e-mail: lukas.herndl@univie.ac.at
gehend nicht zurückzahlen, obwohl der Kredit ausgelaufen ist. Zum anderen ist vereinbart, dass die Forderungen des Darlehensgebers in einer Insolvenz und Liquidation der Schuldnerin nachrangig sind und daher etwa bei Verteilungen im Konkurs erst dann zum Zug kommen, wenn alle nicht nachrangigen Gläubiger voll befriedigt wurden (Abs 2 Satz 2).
Kreditfinanzierungen, die derartige Subordinationsklauseln enthalten, werden verbreitet als „qualifizierte“ Nachrangdarlehen bezeichnet – in Kontrast zu sog „einfachen“, in denen nur ein Verteilungsnachrang, aber keine Zahlungssperre außerhalb der Insolvenz vorgesehen ist.4) In der Praxis werden qualifizierte Nachrangklauseln vor allem
2019, 174). Um dies zu vermeiden, sollte besser ein konkreter Rang (zB Gleichrang mit den Forderungen iSd § 57a Abs 1 IO) vereinbart werden.
4) Palma, Alternative Finanzierung 253; Frizberg, Nachrangige Forderungen 33 f, 53 ff; Kellner in Rummel/Lukas/ Geroldinger4 § 988 Rn 55. Siehe auch die vorliegenden E: ua OGH 3 Ob 228/22h Rn 20.
vereinbart, weil die Finanzmarktaufsichtsbehörde (FMA) die Kreditaufnahme beim Publikum ansonsten als konzessionspflichtiges Einlagengeschäft gem § 1 Abs 1 Z 1 BWG qualifizieren würde.5)
Die vorliegende Nachrangabrede ist hingegen nicht auch geeignet, um gem § 67 Abs 3 IO die Berücksichtigung der nachrangigen Kreditforderungen bei der Ermittlung einer rechnerischen Überschuldung der Kreditnehmerin zu verhindern:6) Ua bedarf es dazu nämlich eines Verzichts der Finanzierer auf die Möglichkeit zur Stellung eines Insolvenzantrags, der hier fehlt.7)
2. Gang der Verfahren
klausel
Die Kl begehrten nach dem Ablauf der Kreditlaufzeiten die Rückzahlung der Kreditvaluta und die vertraglichen Zinsen. Die Bekl verweigerte dies unter Hinweis auf die Nachrangklausel: Müsste sie sämtliche bereits ausgelaufenen Nachrangdarlehen umgehend begleichen, hätte dies ihre Zahlungsunfähigkeit zur Folge, weshalb Abs 2 Satz 1 der Nachrangklausel vorübergehend eine Zahlung an die Finanzierer ausschließe.
Die ErstG gaben den Klagebegehren durchwegs statt, weil die Liquidität der Bekl zur Bezahlung der konkret eingeklagten Forderungen ausreichte. Nur auf diese, nicht aber auf sämtliche fällige Nachrangdarlehen sei für den Eintritt der Zahlungssperre abzustellen.8) Die BerG bestätigten die Klagsstattgebungen, wobei sie sich zusätzlich auf die Unwirksamkeit der Nachrangklausel wegen Intransparenz (§ 6 Abs 3 KSchG) stützten: Die Klausel lasse nicht ausreichend klar erkennen, wann die Zahlungssperre eintrete. Die Revision sei zulässig, weil der Auslegung der Darlehensbedingungen schon im Hinblick auf die Vielzahl anhängiger Verfahren über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.
5) Siehe zB den FMA-Leitfaden „Allgemeine Informationen zu Unternehmensfinanzierungen“ vom 1.6.2015, 4. Dazu Karollus in FS Reich-Rohrwig 85; Pirker, RdW 2016, 807 (808); Frizberg, Nachrangige Forderungen 53 ff; Kellner in Rummel/Lukas/Geroldinger4 § 988 Rn 56. Siehe auch zur deutschen Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin): BaFin, Hinweise zum Tatbestand des Einlagengeschäfts, I.5.
6) Insofern unzutreffend daher die vorliegenden E: ua OGH 3 Ob 228/22h Rn 20.
7) Siehe Schumacher in Bartsch/Pollak/
Nach dem Abschluss der Berufungsverfahren wurde über das Vermögen der Bekl das Konkursverfahren eröffnet und die Schließung ihres Unternehmens angeordnet. Die Verfahren wurden sodann über Anträge der Kl wieder aufgenommen (§ 7 Abs 2 IO) und folglich als Prüfungsprozesse im Revisionsverfahren fortgeführt (§ 113 iVm § 110 IO).9)
Beachtlich ist nun, dass die Insolvenzeröffnung aufgrund der Nachrangabrede materiellrechtliche Auswirkungen hatte: Vor der Insolvenz sind die Forderungen aus einem Nachrangdarlehen planmäßig zahlbar wie normale Forderungen oder –sofern es sich um ein „qualifiziertes Nachrangdarlehen“ handelt und die vereinbarten Voraussetzungen der Zahlungssperre eintreten sind – zur Zahlung gesperrt. Sobald jedoch über den Schuldner die Insolvenz eröffnet wird, greift ein anderer Teil der Nachrangklausel ein: Die Forderungen sind nun bei Verteilungen nachrangig zu befriedigen. Auf die Voraussetzungen und die Wirksamkeit der Zahlungssperre kommt es dann nicht mehr an. Denn zum einen unterliegen die Forderungen ohnehin der insolvenzrechtlichen Prozess- und Exekutionssperre. Und zum anderen sollen Zahlungen an den nachrangigen Gläubiger trotz der Insolvenz nicht per se ausgeschlossen („gesperrt“) sein, sondern im (seltenen aber immerhin möglichen) Fall einer Vollbefriedigung der übrigen Gläubiger im Zuge von Verteilungen durchgeführt werden.
Damit änderten sich im Zuge der vorliegenden Verfahren die maßgeblichen Rechtsfragen iZm der Nachrangklausel: Vor den ErstG und den BerG war strittig, ob der erste Teil der Klausel („Zahlungssperre“; Abs 2 Satz 1) wirksam vereinbart worden war und ob seine Voraussetzungen tatsächlich eingetreten waren. In den Prüfungsprozessen vor dem OGH hingegen konnte dies nicht mehr relevant sein: der Insolvenzverwalter konnte dort nur die Richtigkeit der Forderungen bestreiten (die hier wohl unstrittig ist), und den Rang als Insolvenzforderungen.
Buchegger4 § 70 Rn 35; Pateter/Pirker, ZIK 2015, 217 (220); Simsa/Wielinger, ZIK 2017, 171; Wimmer, ZIK 2019, 49 (51).
8) Dazu ausführlich unten 4.
9) Siehe RIS-Justiz RS0041103; Lovrek in FS Konecny 312, 318.
10) Konecny in Konecny/Schubert § 113 Rn 9; Kodek in Bartsch/Pollak/Buchegger4 § 113 Rn 39.
11) Konecny in Konecny/Schubert § 113 Rn 9; Kodek in Bartsch/Pollak/Buchegger4 § 113 Rn 39; Jelinek in KLS² § 113 Rn 19; Lovrek in FS Konecny 314 ff.
12) Vgl Lovrek in FS Konecny 318, 320 f.
Für letzteres müsste er sich freilich auf den vereinbarten Insolvenznachrang im zweiten Teil der Klausel (Abs 2 Satz 2) berufen. Fraglich wäre also, ob dieser Teil der Klausel wirksam vereinbart wurde.
Dies wirft zunächst die Frage nach dem korrekten prozessualen Vorgehen in solchen Fällen auf: Die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 7 Abs 2, § 113 IO erfolgt in jenem Stadium, in dem es sich im Zeitpunkt der Unterbrechung befunden hat.10) Erfolgte die Unterbrechung wie hier im Rechtsmittelverfahren, herrscht also Neuerungsverbot 11) Da sich aber die Bekl vor der Insolvenzeröffnung auf die Zahlungssperre (Abs 2 Satz 1) stützte und klarerweise nicht auf den Nachrang bei Masseverteilungen, müsste sich nun der Insolvenzverwalter zur Bestreitung des Rangs im Revisionsverfahren erstmals auf dieses zweite Element der Klausel (Abs 2 Satz 2) berufen. Auch handelt es sich beim insolvenzspezifischen Einwand des Nachrangs der eingeklagten Forderungen um eine neue Tatsache, die erst nach der Streitverhandlung erster Instanz – nämlich im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung – eingetreten ist.12) Davor war eine Berufung auf den Verteilungsnachrang nicht möglich.
Der prozessuale Umgang mit solchen Fällen ist umstritten: Nach wohl hM muss der Bestreitende bei einer Verfahrensfortsetzung gem §§ 7, 113 IO nova producta, wie zB Insolvenzanfechtungsgründe, mit einer eigenen, neuen Klage geltend machen.13) Konsequenterweise müsste das ebenso für die Bestreitung des Rangs im vorliegenden Fall gelten.14) Nach einer anderen Ansicht ist in derartigen Fällen die Sache ans ErstG zurückzuverweisen: Es liege nämlich ein durch die Insolvenzeröffnung bedingter Verfahrensmangel vor, soweit die „Struktur des Rechtsmittelverfahrens“ einer abschließenden Entscheidung im Weg stehe.15) Nach einer dritten, neuen Ansicht soll bei einer Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 113 IO eine Ausnahme vom Neuerungsverbot für Tatsachen gelten, die zwischen dem Verhandlungsschluss in
13) Klicka, RdW 1991, 106 (108); Konecny in Konecny/Schubert § 113 Rn 9 f; Kodek in Bartsch/Pollak/Buchegger4 § 113 Rn 40 f; Fink in Fasching/Konecny³ § 159 ZPO Rn 118/2. Der alte Prozess muss dann nicht fortgesetzt werden (Konecny in Konecny/Schubert § 113 Rn 10; Kodek in Bartsch/Pollak/Buchegger4 § 113 Rn 42). Übersicht bei Lovrek in FS Konecny 318 f.
14) Vgl zum Nachrang nach § 57a IO Lovrek in FS Konecny 318.
15) Schubert in Konecny/Schubert § 7 Rn 55; Jelinek in KLS² § 113 Rn 20 f.
erster Instanz und der Prüfungstagsatzung eintreten.16) Werden dann durch neue Einwendungen des Insolvenzverwalters auch neue Tatsachenfeststellungen erforderlich, müsse der OGH die Sache zurückverweisen, weil er keine Tatsacheninstanz ist.17)
Diese verfahrensrechtliche Problematik wird stets zu beachten sein, wenn ein Prozess über eine Forderung mit vertraglichem Insolvenznachrang erst nach der Streitverhandlung erster Instanz gem § 7 IO unterbrochen und sodann wieder aufgenommen wird. In den vorliegenden Verfahren wurde sie nicht thematisiert, was wohl auf die mangelnde Differenzierung zwischen den beiden Elementen der qualifizierten Nachrangklausel zurückzuführen ist. Die Senate gingen davon aus, dass in den Revisionsverfahren keine Änderung der Sach- oder Rechtslage geltend gemacht wurde.18)
Der OGH bejahte die Wirksamkeit der Nachrangklauseln nach den Regeln der AGB-Kontrolle, verwies im Übrigen aber die Sache an die ErstG zurück, weil Feststellungen zu weiteren Vorbringen der Kl fehlten, die einen nicht nachrangigen Sekundäranspruch (SchE wegen fehlerhafter Aufklärung; Bereicherungsanspruch wegen listiger Irreführung) begründen könnten. Im fortgesetzten Verfahren kann nun der Insolvenznachrang mangels Neuerungsverbot fraglos thematisiert werden. Zumindest im Ergebnis entspricht dies also grds den angeführten Mindermeinungen, die den Bestreitenden zum Vorbringen der neuen Tatsachen nicht auf eine neue Klage verweisen.
In Folge ist auf die materiellrechtlichen Aspekte der E einzugehen. Der OGH befasste sich dabei primär mit der Wirksamkeit der Klausel nach den Regeln der AGB-Kontrolle – allerdings wieder ohne Differenzierung zwischen den beiden Elementen der qualifizierten Nachrangklausel (s sogleich 3.). Zudem wirft der Sachverhalt eine Frage zur Aus-
16) Lovrek in FS Konecny 319 ff, insb 322 f.
17) Lovrek in FS Konecny 319.
18) Ua OGH 3 Ob 228/22h Rn 17.
19) Riedler in Schwimann/Kodek5 § 864a Rn 40.
20) BGH NZI 2014, 503 Rn 17. Zust Mock in Uhlenbruck, InsO15 § 19 Rn 250; Gehrlein, WM 2017, 1385 (1386).
21) Poelzig, WM 2014, 917 (921); Gehrlein, WM 2017, 1385 (1386).
22) Ua OGH 3 Ob 228/22h Rn 23. Ähnlich schon Pirker, RdW 2016, 807 (810).
23) Gehrlein, WM 2017, 1385 (1386). Ähnlich Fest in MüKoHGB4 VI/2, Kapitel N Rn 93. AA ohne Begründung Haghofer, VbR 2015, 43 (45).
24) RIS-Justiz RS0121187; Leitner, Transparenzgebot 68; Iro/Kellner/Riss in BVR I³ Rn 1/64.
legung typischer Zahlungssperren auf, die angesichts ihrer potenziellen Relevanz für Vertragsverfasser im Anschluss erörtert wird (unten 4.).
Der OGH verneinte zutreffend, dass die vorliegende Nachrangklausel Bestimmungen ungewöhnlichen Inhalts enthält, mit der ein Vertragspartner nicht zu rechnen braucht. Das letztgenannte Tatbestandselement des § 864a ABGB („nicht zu rechnen braucht“) setzt nämlich die Gefahr eines subjektiven „Überrumpelungs- oder Übertölpelungseffekts“ voraus.19) Wie der OGH im Einklang mit der deutschen Rsp20) und L21) ausführt, ist dies zu verneinen, wenn das Geschäft wie im vorliegenden Fall ausdrücklich als Nachrangdarlehen bezeichnet wird.22) Der Finanzierer wird damit auf die Subordination hingewiesen und erhält so die Möglichkeit, sich anhand der konkreten Abrede ein genaueres Bild zu machen.23)
Der OGH differenzierte in dieser Begründung nicht zwischen dem Verteilungsnachrang und der Zahlungssperre. An sich ist bei der AGB-Kontrolle trotz der Abfassung im selben Absatz der AGB eine getrennte Beurteilung der Wirksamkeit geboten, weil die Gliederung des Klauselwerkes unbeachtlich ist:24) Entscheidend ist, ob eine Vertragsbestimmung einen materiell eigenständigen Regelungsbereich hat und isoliert wahrgenommen werden kann.25) Auf die beiden Elemente einer „qualifizierten“ Nachrangklausel (Zahlungssperre und Verteilungsnachrang) trifft dies zu, weil sie auch jeweils für sich genommen einen (weniger weitreichenden) Nachrang herbeiführen würden. ZB würde der bloße Nachrang bei Verteilungen
25) Iro/Kellner/Riss in BVR I³ Rn 1/64. Siehe zu § 6 Abs 3 KSchG RIS-Justiz RS0121187; Leitner, Transparenzgebot 69; Legath, ÖBA 2022, 128 (132); zu § 879 Abs 3 ABGB s Graf in ABGBON1.05 § 879 Rn 300.
26) So auch Pirker, RdW 2016, 807 (810); Engel/Jeitler, ÖBA 2017, 164 (166). Siehe zum deutschen Recht Poelzig, WM 2014, 917 (921).
27) Rummel in Rummel/Lukas4 § 864a Rn 19; Bollenberger/P. Bydlinski in KBB6 § 864a Rn 10; Riedler in Schwimann/Kodek5 § 864a Rn 35; RIS-Justiz RS0014627.
28) Vgl Pirker, RdW 2016, 807 (810); Engel/ Jeitler, ÖBA 2017, 164 (166).
29) Siehe FN 30 ff.
30) OGH 4 Ob 110/17f; RIS-Justiz
in der Insolvenz eine „einfache“ Nachrangklausel begründen. Im vorliegenden Fall besteht allerdings angesichts der Bezeichnung als Nachrangdarlehen ohnehin weder hinsichtlich der Zahlungssperre noch des Verteilungsnachrangs ein Überrumpelungseffekt.
Hinzufügen lässt sich, dass eine Nachrangabrede wie die vorliegende bei Crowdfinanzierungen auch nicht objektiv ungewöhnlich iSd § 864a ABGB ist.26) Dafür kommt es nämlich in erster Linie darauf an, ob die Klausel für den vorliegenden Geschäftstyp im Allgemeinen üblich ist oder nicht.27) Nachrangige Kredite gehören nun zum Standardrepertoire der Unternehmensfinanzierung. Und gerade das darlehensbasierte Crowdfunding erfolgt praktisch ausnahmslos über qualifizierte Nachrangdarlehen, weil das Geschäft ansonsten nach der beschriebenen Verwaltungspraxis der FMA als konzessionspflichtiges Bankgeschäft einzustufen wäre.28) Somit ist ein vergleichbares Investment ohne Nachrangabrede für Verbraucher am Markt gar nicht verfügbar.
Seit längerem ist strittig, ob Nachrangklauseln in Finanzierungsverträgen der Kontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB unterliegen oder als Bestimmungen über eine Hauptleistung davon ausgenommen sind.29) In letzterem Sinne entschied im Jahr 2017 der vierte Senat des OGH in einem Verbandsverfahren zu einer ähnlichen qualifizierten Nachrangklausel wie der vorliegenden:30) die Subordination bilde ein konstitutives Element für den Vertragstypus Nachrangdarlehen und sei daher der Inhaltskontrolle entzogen.31) Von ihr hänge es schließlich ab, ob die Finanzierung Fremd- oder Mezzaninkapital bilde. Weiters spreche dafür, dass das qualifizierte Nachrangdarlehen bei einer Kapitalaufnahme vom Publikum im
RS0131613. Dazu ua Mock, VbR 2019, 207; Graf, VbR 2018, 48; Laszlo, ZFR 2018, 64; Leupold in Konecny, InsolvenzForum 2018, 53 ff. Zur E des BerG, OLG Graz 4 R 142/16h, bereits Pirker, RdW 2016, 807; Kriegner, VbR 2017, 116; Engel/Jeitler, ÖBA 2017, 164.
31) OGH 4 Ob 110/17f mit ausdrücklicher Berufung auf Pirker, RdW 2016, 807 (810 f); Wilfing/Komuczky, ZFR 2016, 367 (369 f); Engel/Jeitler, ÖBA 2017, 164 (167) sowie Ablehnung der Gegenansichten von Haghofer, VbR 2015, 43 (45 f) und Kriegner, VbR 2017, 116 (117). Zust Laszlo, ZFR 2018, 64; Riedler in Schwimann/Kodek5 § 879 Rn 31. Differenzierend Graf, VbR 2018, 49; Mock, VbR 2019, 207; Leupold in Konecny, Insolvenz-Forum 2018, 57 f.
Gegensatz zum herkömmlichen Kreditvertrag nicht als konzessionspflichtiges Einlagengeschäft zu qualifizieren ist. Ähnlichen Überlegungen folgte wenig später auch der deutsche BGH.32)
Die vorliegenden E bestätigen nun diese Rsp unter ausdrücklichem Verweis auf die ältere E des vierten Senats und verneinen die Kontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB. Der einheitliche Ausgangsfall der E sollte nicht verdecken, dass die Ansicht damit nunmehr von drei weiteren Senaten geteilt wird. Somit lässt sich wohl als gefestigte Rsp bezeichnen, dass sämtliche Elemente der Subordination beim qualifizierten Nachrangdarlehen von der Kontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB ausgenommen sind.
Die aktuellen E gingen nicht auf die differenzierende Kritik von Graf33) an der E des vierten Senats aus dem Jahr 2017 ein. Dieser verweist ua auf die Rsp zur AGB-Kontrolle von Versicherungsverträgen, nach der nur der Kern der Leistungsbeschreibung in Gestalt von Versicherungsart und Prämie zu den kontrollfreien Hauptleistungen zählt, während die übrige Leistungsbeschreibung in AVB der Inhaltskontrolle zugänglich ist.34) Ausgehend davon könne auch bei Nachrangklauseln nur der Kern der Leistungsbeschreibung der Kontrolle entzogen sein. Dies sei die Anordnung, dass die Rückzahlung an nachrangige Finanzierer erst dann erfolgen kann, wenn die übrigen Gläubiger Befriedigung gefunden haben 35) Kontrollunterworfen seien hingegen jene Teile der Nachrangklausel, die im Detail festlegen, unter welchen Voraussetzungen eine Zahlung erfolgen darf, weil sie eine Ausgestaltung oder Einschränkung der Hauptleistung darstellen würden.36) Gemeint ist damit etwa die Zahlungssperre und wohl auch die konkrete Rangtiefe bei Verteilungen.
Die Lösung der Frage steht vor der Schwierigkeit, bei der Nachrangabrede
32) BGH NZI 2019, 509 Rn 31 ff unter Berufung auf Poelzig, WM 2014, 917 (923 f) und Primozic/Schaaf, ZInsO 2014, 1831 (1834 f). Anders noch zur selben Klausel OLG Düsseldorf NZI 2018, 317; vgl auch OLG München NJOZ 2018, 1582.
33) Graf, VbR 2018, 48 ff, insb 50; ihm folgend Leupold in Konecny, InsolvenzForum 2018, 57 f. Zu den vorliegenden E nun wieder Graf, ZFR 2023, 485 (491).
34) Grundlegend OGH 7 Ob 194/11x im Anschluss an ua Fenyves in Krejci, HB Konsumentenschutzgesetz 593 ff; derselbe in FS F. Bydlinski 130 ff; I. Faber, ÖJZ 2003, 789. Siehe weiters ua 7 Ob 70/14s; RIS-Justiz RS0128209; Laimer in Klang³ § 879 Rn 259 f.
35) Graf, VbR 2018, 48 (50).
36) Graf, VbR 2018, 48 (50). Ähnlich
zwischen einem Kern der Leistungsbeschreibung und ihrer näheren Ausgestaltung zu differenzieren. Das Phänomen geht nämlich weit über die vorliegenden qualifizierten Nachrangdarlehen hinaus:37) Der Begriff „Nachrang“ an sich beschreibt zwar, dass eine Zahlung erst erfolgen soll, wenn andere (vorrangige oder nicht nachrangige) Gläubiger befriedigt wurden. Dies kann jedoch ua als eine Vereinbarung unterschiedlicher Fälligkeiten gemeint sein oder als Rang bei der Verteilung einer unzureichenden Vermögensmasse (zB Insolvenzmasse) oder als Hinweis auf eine Zahlungssperre in einer Krise, bis zu deren Beseitigung nur die anderen Gläubiger zu bedienen sind. Aufgrund dieser Vieldeutigkeit ist die bloße Vereinbarung, dass eine Forderung „nachrangig“ ist, wohl nicht einmal hinreichend bestimmt für einen Vertrag.38) Und gerade beim qualifizierten Nachrangdarlehen wirkt die Beschreibung, dass die Rückzahlung erst nach der Befriedigung der übrigen Gläubiger erfolgen kann, eigentlich recht ungenau. Denn die Rückführung eines solchen Darlehens erfolgt grundsätzlich planmäßig ohne jeglichen Bezug auf die Forderungen anderer Gläubiger. Nur im Fall einer Krise greift die Zahlungssperre und bei Eröffnung eines Insolvenzverfahrens der Verteilungsnachrang.
Die Begründung eines Nachrangs erfolgt also erst durch die Vereinbarung konkreter Rechtsfolgen, die im Gegensatz zur bloßen Bezeichnung als „nachrangig“ einen normativen Gehalt aufweisen. Unter diesem Gesichtspunkt erscheinen der Verteilungsrang und die Zahlungssperre weniger als Ausgestaltung oder Einschränkung des Nachrangs, sondern vielmehr als die essentialia negotii, die den Nachrang erst zu einem solchen machen.39) Bejaht man mit dem OGH im Grundsatz die Hauptleistungseigenschaft der Nachrangklausel, ist also fraglich, welcher Teil überhaupt der Kontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB entzogen sein
Leupold in Konecny, Insolvenz-Forum 2018, 57 f.
37) Vgl Kellner in Rummel/Lukas/Geroldinger4 § 988 Rn 55.
38) Vgl zum deutschen Recht Bitter/Rauhut, ZIP 2014, 1005 (1012 f); BGH NZI 2019, 509 Rn 38 f. Dort enthält § 39 Abs 2 InsO immerhin eine Zweifelsregel für die Vereinbarung eines „Nachrangs im Insolvenzverfahren“.
39) Siehe auch OGH 4 Ob 110/17f, wo gerade der Vergleich zur nicht kontrollunterworfenen Festlegung der Versicherungsart gezogen wird.
40) Einen gewissen kontrollfreien Kernbereich der Hauptleistung muss es aber geben, wie auch im Zusammenhang mit dem Versicherungsvertrag betont wird. Siehe OGH 7 Ob 194/11x; Fenyves in
könnte, wenn es nicht Verteilungsnachrang und Zahlungssperre sind.40) Zudem legen diese Beobachtungen nahe, dass ein Crowdfinanzierer diesen Aspekten selbst bei einer Vorformulierung in AGB erhöhte Aufmerksamkeit widmen wird, weil ihm der Begriff „Nachrang“ an sich noch nichts sagt. Dies würde auch teleologisch die Ausnahme von der Kontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB rechtfertigen.41)
Hinzu kommt die Schwierigkeit, welcher Kontrollmaßstab in Anwendung des § 879 Abs 3 ABGB für die Nachrangklausel heranzuziehen wäre. Bei der erwähnten AGB-Kontrolle einer Risikobeschreibung im Versicherungsvertrag dienen als Kontrollmaßstab die berechtigten Deckungserwartungen der Versicherungsnehmer bei der vereinbarten Versicherungsart:42) Es wird geprüft, ob wesentliche Einschränkungen gegenüber jenem Standard vorliegen, den Versicherungsnehmer nach der Verkehrsauffassung berechtigterweise erwarten dürfen.43) Im Gegensatz zu Versicherungsverträgen gibt es jedoch hinsichtlich der Intensität eines Nachrangs keinen typischen Vertragsinhalt (zB konkrete Rangtiefe bei Verteilungen, Schwelle für den Eintritt der Zahlungssperre), mit der ein nachrangiger Finanzierer allgemein rechnen darf. Vielmehr können Nachrangfinanzierungen an beliebiger Stelle im Risikospektrum zwischen Eigen- und Fremdkapital angesiedelt werden.44) Damit fehlen idR auch „berechtigte Erwartungen“ analog zur Judikatur über den Versicherungsvertrag.
Selbst wenn man Nachrangabreden in Anlehnung an die Rsp zum Versicherungsvertrag nicht gänzlich als Bestimmung über die Hauptleistung einstufen möchte, setzt daher eine Inhaltskontrolle des Nachrangs wohl voraus, dass im konkreten Fall ausnahmsweise berechtige Erwartungen von Vertragspartnern an eine gewisse rechtliche Ausgestaltung geweckt wurden. Solche
FS F. Bydlinski 131; Krejci in Rummel/ Lukas4 § 879 Rn 416.
41) Siehe Laimer in Klang³ § 879 Rn 260. Zum Fehlen dieses Umstands bei Leistungsbeschreibungen in Versicherungsbedingungen s OGH 7 Ob 194/11x; Fenyves in Krejci, HB Konsumentenschutzgesetz 596; I. Faber, ÖJZ 2003, 789; Laimer in Klang³ § 879 Rn 260.
42) OGH 7 Ob 194/11x. Siehe schon Fenyves in FS F. Bydlinski 131 f.
43) Fenyves in FS F. Bydlinski 132; Laimer in Klang³ § 879 Rn 265.
44) ZB lässt sich nicht sagen, dass der Begriff Nachrang grundsätzlich oder typischerweise einen Verteilungsnachrang in der Rangstufe des § 57a Abs 1 IO bezeichnet.
Erwartungen könnten sich daraus ergeben, dass die nachrangige Ausgestaltung ausdrücklich einem konkreten Zweck dient: Soll zB ein qualifiziertes Nachrangdarlehen beim Crowdfunding laut Vertrag die Konzessionspflicht nach dem BWG abwenden, so könnte sich die berechtigte Erwartung der Crowdfinanzierer auf jene Ausgestaltung von Rangtiefe und Zahlungssperre richten, die für diesen Zweck erforderlich ist. Stark überschießende Ausgestaltungen könnten als gröblich benachteiligend einzustufen sein.45) Allerdings erschiene dann bei der Annahme berechtigter Erwartungen angesichts der Vielfalt nachrangiger Finanzierungen und ihrer rechtlichen Kompliziertheit Vorsicht geboten. So könnten zB die Anforderungen an die Vermeidung der BWG-Konzessionspflicht nur dann den Kontrollmaßstab vorgeben, wenn nachrangige Gläubiger tatsächlich eine berechtigte Erwartung an diese haben, nicht aber, wenn die Abrede tatsächlich eine überschuldungsvermeidende Wirkung nach § 67 Abs 3 IO erfüllen soll und auch nur dies kommuniziert wurde.
Abgesehen davon bleibt natürlich abzuwarten, ob der OGH in Zukunft überhaupt von seiner nun gefestigten Rsp abweichen wird, nach der die Bestimmungen einer qualifizierten Nachrangklausel beim Darlehen jedenfalls der Kontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB entzogen sind.
3.3.
Die Ausführungen der vorliegenden E zum Transparenzgebot beziehen sich ausschließlich auf die Zahlungssperre außerhalb der Insolvenz (Abs 2 Satz 1 der Klausel)46) und stellen damit mangels Erheblichkeit für den Rang und die Richtigkeit der Forderung im Insolvenzverfahren obiter dicta dar.47)
Ua befasste sich der OGH dabei mit der Frage, ob der Verweis der Klausel auf einen „Grund für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens“ ausreichend transparent iSd § 6 Abs 3 KSchG ist.48) Er bejahte dies, weil sich die Insolvenzeröffnungsgründe dem Gesetz entnehmen
lassen und die Parteien dem Begriff auch keine andere Bedeutung als die gesetzliche beimessen wollten.49) Ein ausdrücklicher Verweis auf die §§ 66 f IO würde keine zusätzliche Klarheit bringen. Dies erscheint zustimmungswürdig, weil die Verwendung von juristischen Fachbegriffen in AGB nicht ausgeschlossen ist50) und der AGB-Verwender auch nicht verpflichtet ist, gängige Rechtsbegriffe zu erklären oder dem Vertragspartner die daraus folgenden Pflichten zu erläutern.51) Zudem bedeutet eine Referenz auf einen für Laien schwer verständlichen Rechtsbegriff nicht zwingend, dass sich der AGB-Verwender nicht einer möglichst transparenten Darstellung bedient.52) Gerade die Formulierung einer interessengerechten Zahlungssperre bei Nachrangabreden erscheint ohne juristische Fachtermini kaum möglich.53)
Wohl zu weit geht daher eine E des deutschen BGH, nach der einem juristisch und kaufmännisch nicht vorgebildeten Nachrangdarlehensgeber zur Herstellung ausreichender Transparenz das übernommene eigenkapitalähnliche Haftungsrisiko und seine Implikationen zu erläutern seien.54) Zwar muss einem Kunden die Tragweite der Klausel so verständlich gemacht werden, dass er eine verlässliche Auskunft über seine Rechtsposition erhält.55) Dies erfolgt aber wohl bereits durch die transparente Klarstellung der Rechtsfolgen in Gestalt der Zahlungssperre und des Verteilungsnachrangs, weil ihm deren Kenntnis die Wahrnehmung seiner Rechte ermöglicht. Die vom BGH offenbar verlangte abstrakte Beschreibung des besonderen Haftungsrisikos subordinierter Gläubiger erscheint hingegen kaum möglich, ohne wiederum das Transparenzgebot zu verletzen.56) Zudem wäre ihre Aussagekraft für Finanzierer wohl idR gering, weil sie kaum Rückschlüsse auf das Kreditrisiko im konkreten Fall zulässt. Dieses hängt ja vor allem von der finanziellen Gesundheit des Schuldners ab: So kann eine subordinierte Finanzierung bei einem Unternehmer guter Bonität wesentlich weniger riskant sein als ein nicht nachrangiges Darlehen an einen Schuldner schlechter Bonität. Die vom BGH geforderte Ri-
sikoaufklärung vergleicht die konkrete Finanzierung mit einer hypothetischen, nicht nachrangigen Finanzierung an denselben Schuldner, die aber gar nicht zur Auswahl steht.
Unter Transparenzgesichtspunkten nicht unproblematisch ist allerdings die Formulierung der vorliegenden Nachrangklausel, nach der eine Zahlung „solange und soweit“ nicht verlangt werden könne, wie dies eine Krise „herbeiführen“ würde.57) Auf die Auslegung dieser Anordnung, die für die Rechtsfolgen der Nachrangklausel zentral ist, wird sogleich gesondert eingegangen (siehe 4.).
Nicht geprüft hat der OGH die im Insolvenzverfahren potenziell relevante Frage, ob der Verteilungsnachrang (Abs 2 Satz 2 der Klausel) ausreichend transparent formuliert ist. Dies ist aber wohl ohnehin zu bejahen, weil die Anordnung einer Befriedigung nach den Forderungen der nicht nachrangigen Gläubiger keinen Interpretationsspielraum lässt: Sie muss sich auf die Rangfolge bei Verteilungen beziehen, weil eine Befriedigung von Insolvenzforderungen im Verfahren nur auf diese Weise erfolgen kann.
Im Ergebnis ist dem OGH also dahingehend zuzustimmen, dass zumindest der für das weitere Verfahren relevante Teil der Nachrangklausel (nämlich: der Verteilungsnachrang) wirksam ist.
Wollen die Kl im fortgesetzten Prüfungsstreit dennoch eine nicht nachrangige Forderung feststellen lassen, müssen sie sich also auf einen gesetzlichen Sekundäranspruch (SchE, ungerechtfertigte Bereicherung) berufen, der ihnen aufgrund eines Willensmangels beim Erwerb der Finanzierung oder einer schuldhaften Täuschung durch die Kreditnehmerin zustehen könnte. Solche Sekundäransprüche aus dem Erwerb nachrangiger Finanzierungen sind mangels einer gesetzlichen Grundlage selbst nicht
45) Siehe zB Graf, VbR 2018, 48 (51 f) zur überschießenden Vereinbarung, dass die nachrangigen Gläubiger in der Insolvenz erst gleichrangig mit den Einlagenrückgewähransprüchen der Gesellschafter zu bedienen sind.
46) Siehe ua OGH 3 Ob 228/22h Rn 26.
47) Vgl oben 2.
48) Ua OGH 3 Ob 228/22h Rn 27.
49) Ua OGH 3 Ob 228/22h Rn 29. Siehe schon Mock, VbR 2019, 207 (210). AA
Graf, ZFR 2023, 485 (489 f).
50) Schurr in Klang³ § 6 Abs 3 KSchG Rn 42; Wilfing/Komuczky, ZFR 2016, 367 (372).
51) BGH NZI 2014, 503 Rn 25; Primozic/ Schaaf, ZInsO 2014, 1831 (1833); Poelzig, WM 2014, 917 (927).
52) Wilfing/Komuczky, ZFR 2016, 367 (372). Anders offenbar Gehrlein, WM 2017, 1385 (1388).
53) Mock, VbR 2019, 207 (210). Ähnlich Poelzig, WM 2014, 917 (927).
54) BGH NJW-RR 2020, 112 Rn 24 ff. Zust Wurmnest in MüKoBGB9 § 307 Rn 66. Ähnlich Gehrlein, WM 2017, 1385 (1387). Siehe auch zu vertraglichen Verweisen auf die „Insolvenzeröffnungsgründe“ Graf, ZFR 2023, 485 (490).
55) Apathy/Frössel in Schwimann/Kodek5 § 6 KSchG Rn 88. Vgl auch Schurr in Klang³ § 6 Abs 3 KSchG Rn 28.
56) Poelzig, WM 2014, 917 (927).
57) Vgl Graf, ZFR 2023, 485 (489).
nachrangig,58) sofern nicht ausnahmsweise anderes vereinbart wurde.
Wie bereits ausgeführt, ist die Auslegung der Zahlungssperre außerhalb der Insolvenz (Abs 2 Satz 1 der Klausel) in den fortgesetzten Prüfungsverfahren nicht mehr relevant. Dennoch erscheint eine Auseinandersetzung mit diesem Aspekt von Interesse, weil er Licht auf ein bisher kaum beachtetes Problem wirft.
Der interessierende Teil der Klausel lautet wie folgt: Die Rückzahlung des Nachrangdarlehens sowie die Zahlung von Zinsen kann solange und soweit nicht verlangt werden, wie dies bei der Emittentin einen Grund für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens herbeiführen würde 59) Dabei dürfte es sich um eine übliche Formulierung in Nachrangklauseln handeln.60) In den vorliegenden Verfahren sorgte sie für folgenden Streitpunkt:
Die Bekl besaß zunächst noch ausreichend Liquidität, um andrängende Gläubiger zumindest teilweise zu befriedigen. Dies verweigerte sie jedoch mit dem Hinweis, dass sie nicht alle bereits ausgelaufenen Darlehen zahlen könne und somit die Zahlungssperre greife. Eine Befriedigung einzelner Gläubiger nach dem Prinzip „first come, first served“ sei nicht zulässig. Auch der OGH interpretierte die Klausel dahingehend und erachtete sie unter diesen Gesichtspunkt als transparent: Die Abrede könne objektiv nur so verstanden werden, dass die Verbindlichkeiten aus anderen Nachrangdarlehen, soweit sie zu diesem Zeitpunkt bereits fällig sind, zur Beurteilung heranzuziehen sind.
Die Auslegung wirft jedoch mehrere Fragen auf, die sich in drei Problemkreise gliedern lassen: 1. Unter welchen Voraussetzungen tritt die Zahlungssperre ein? 2. In welchem Ausmaß tritt die Zahlungssperre ein? 3. Ist Vermögen, das nicht der Zahlungssperre unterliegt, nach einem bestimmten Modus zu verteilen?
58) Kalss/Schauer, ÖBA 2002, 347 (insb 352 ff); Trenker, VbR 2013, 16 (19). Vgl auch OGH 1 Ob 34/13a. Zum deutschen Recht s Mock, NZI 2014, 102 (104); derselbe in Uhlenbruck, InsO15 § 19 Rn 244, 248; OLG Bamberg BeckRS 2006, 4742; BGH II ZR 334/05 (unveröffentlicht); OLG Frankfurt BeckRS 2021, 54838; BGH BeckRS 2022, 15883.
59) Ua 3 Ob 228/22h Rn 26 (eigene Hervorhebungen).
Laut der vorliegenden Klausel tritt die Zahlungssperre ein, wenn die Zahlung einen Grund für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens – also Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung – herbeiführen würde
Dies ist im Hinblick auf den Insolvenzgrund der Überschuldung wohl ungenau formuliert: Eine Überschuldung setzt eine negative Fortbestehensprognose und die rechnerische Überschuldung des Rechtsträgers voraus, also das Überwiegen seiner Verbindlichkeiten gegenüber dem Vermögen zu Liquidationswerten.61) Letzteres kann durch die Zahlung einer bestehen Verbindlichkeit gar nicht „herbeigeführt“ werden, weil es sich dabei um einen bilanziell neutralen Vorgang handelt. Soll also die Zahlungssperre nicht nur dann eingreifen, wenn gerade die Zahlung der Forderung die ansonsten positive Fortbestehensprognose in eine negative verkehren würde, ist diese Klausel missverständlich (und ihre Transparenz daher fraglich). Stattdessen bietet sich die Formulierung an, dass „unter Berücksichtigung der Forderung“ eine Überschuldung vorliegen würde.62)
Der Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit liegt hingegen vor, wenn der Schuldner nicht bloß vorübergehend außerstande ist, seine fälligen Verbindlichkeiten zu zahlen.63) Dabei kommt es auf sämtliche fälligen Verbindlichkeiten an. Daher ist dem OGH auch insoweit Recht zu geben, als der Verweis der Klausel auf die Zahlungsunfähigkeit nur dahingehend zu verstehen war, dass zu ihrer Ermittlung auch alle weiteren fälligen Nachrangdarlehen – und nicht etwa nur die konkret eingeklagten – zu berücksichtigen waren. Allerdings ist in einem weiteren Schritt zu beachten, welche Rechtsfolgen konkret für den Fall der Zahlungsunfähigkeit vorgesehen waren.
4.2.
Die Ausgestaltung der Zahlungssperre ist bei einer vertraglichen Subordina-
60) Siehe zB auch OGH 4 Ob 110/17f; BGH NJW 2015, 1672.
61) Schumacher in KLS² § 67 Rn 31 ff; Schmidt in Schmidt, InsO19 § 19 Rn 24.
62) Im vorliegenden Fall waren im Übrigen stets sämtliche Verbindlichkeiten aus den Nachrangdarlehen bei der Ermittlung der rechnerischen Überschuldung zu berücksichtigen, weil die Subordination nicht den Kriterien des § 67 Abs 3 IO entsprach (s schon bei FN 7). Auch das Eingreifen
tion den Parteien überlassen. Theoretisch denkbar ist zB die Vereinbarung, dass die nachrangigen Forderungen ab dem Eintritt der definierten Krise zur Gänze gesperrt sind und diese Sperre erst wieder wegfällt, wenn eine Vollbefriedigung der nachrangigen Forderungen möglich ist. Dies würde bedeuten, dass ein Schuldner, der zwar nicht die Vollzahlung, aber immerhin Teilzahlungen an die Nachranggläubiger erbringen könnte, ohne gegenüber den anderen Gläubigern in Verzug zu geraten, trotzdem vorübergehend gar nichts zahlen müsste. Diese Vereinbarung würde allerdings dem Schuldner auf Kosten der Nachranggläubiger einen finanziellen Polster verschaffen, der zur Aufrechterhaltung seiner Liquidität gar nicht erforderlich ist.64) Dies entspricht nicht dem typischen Zweck der Zahlungssperre, in der Krise eine Konkurrenz zwischen dem nachrangigen Gläubiger und den übrigen Gläubigern um den Haftungsfonds zu vermeiden. Für diesen Zweck würde es schon ausreichen, immer nur so viel der nachrangigen Forderungen zu sperren, dass die regulären Gläubiger noch planmäßig befriedigt werden können. Deshalb könnte eine so weitreichende Zahlungssperre schon aufgrund der starken Beeinträchtigung der Finanziererinteressen unzulässig sein (§ 879 ABGB): Denn es ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, den Crowdfinanzierern trotz Fälligkeit der Darlehen und ausreichender Liquidität für eine teilweise Zahlung die Befriedigung gänzlich zu verwehren.65)
Die Nachrangklausel der vorliegenden Verfahren ist jedoch ohnehin anders formuliert66) und entspricht dadurch dem typischen Zweck: Zahlungen sind demnach nur ausgeschlossen, soweit sie einen Insolvenzeröffnungsgrund herbeiführen würden. Der Bekl sollte also gerade nicht der soeben beschriebene Polster verschafft werden: Soweit es ihr möglich war, ohne Herbeiführung eines Insolvenzgrundes Teile der fälligen Nachrangdarlehen zurückzuzahlen, war sie dazu verpflichtet. Vereinfacht gesagt: Sie durfte nicht mehr zurückbehalten als zur Insolvenzvermeidung nötig
Die Bekl war hier also gegenüber den einzelnen Kl zumindest zu einer
einer etwaigen Zahlungssperre konnte die Überschuldung nicht vermeiden, weil es, wie gesagt, auf eine bilanzielle Gegenüberstellung von Aktiva und Passiva ankommt.
63) RIS-Justiz RS0064528; Schumacher in KLS² § 66 Rn 3.
64) Ähnlich Graf, ZFR 2023, 485 (492 f).
65) Vgl Graf, ZFR 2023, 485 (488 f, 492 ff, insb 493).
66) Graf, ZFR 2023, 485 (489).
teilweisen Zahlung verpflichtet. Dieses Zwischenergebnis führt schließlich zur Frage, die von der Argumentation der Bekl aufgeworfen wurde: Welchen Nachrangdarlehensgebern sollen und dürfen die „freien“ Beträge zufließen?
4.3. Aliquote Gläubigerbefriedigung oder „first come, first served“?
Die Bekl verteidigte sich wie beschrieben mit dem Argument, sie dürfe andrängende Nachranggläubiger nicht nach dem Prinzip „first come, first served“ bedienen. Als Alternative dazu ist jedoch im Wesentlichen eine aliquote Befriedigung denkbar (jeder Gläubiger erhält zB 50% seiner Forderung).67) Diese Alternative bedürfte als Abweichung von allgemeinen Regeln einer besonderen Rechtsgrundlage (zB einer entsprechenden Vereinbarung): denn grds vorgesehen ist eine Gläubigergleichbehandlung nur im Insolvenzverfahren.68)
Die vorliegende Vereinbarung der Zahlungssperre bietet keine Rechtsgrundlage für eine quotenmäßige Gläubigerbefriedigung. Eine solche würde sogar der qualifizierten Nachrangklausel zuwiderlaufen: Die Nachranggläubiger haben ja einer Sperre ihrer Forderungen nur zugestimmt, „solange und soweit“ eine Krise vorliegt. Im Umkehrschluss sind die Nachrangforderungen planmäßig und uneingeschränkt zahlbar, solange und soweit keine Krise vorliegt. Insofern greift nämlich die Nachrangklausel gar nicht ein. Das bedeutet, dass die Nachranggläubiger abgesehen von einer etwaigen Krise gerade entsprechend allgemeinen Regeln nach dem Prinzip „first come, first served“ mit allen sonstigen Gläubigern inkl den anderen nachrangigen Finanzierern konkurrieren sollen.
Ein Schuldner darf und muss daher entgegen dem OGH bei einer qualifizierten Nachrangklausel wie der vorliegenden seinen Zahlungspflichten gegenüber andrängenden Gläubiger nachkommen, solange und soweit dies nicht zum Eintritt der vereinbarten Krise führt. Zuzustimmen ist damit der Rechtsansicht der ErstG und BerG in den vorliegenden Verfahren,69) die darauf abstellten, ob
67) Theoretisch denkbar wäre auch eine gleichteilige Befriedigung (jeder erhält denselben Betrag).
68) Rebernig in Konency, Insolvenzgesetze § 27 Rn 8. Es besteht keine Pflicht des Schuldners, den eigenen Haftungsfonds zugunsten seiner Gläubiger zu erhalten (Herndl, NZ 2021, 231 [239]).
69) Dazu oben 2. Siehe auch ua OGH 3 Ob 228/22h Rn 8 f.
die Bekl über ausreichend „freie“ Liquidität zur Befriedigung der konkreten Kl verfügte.70) Diese Rechtsfolge ist interessengerecht, entspricht dem typischen Zweck der Nachrangabrede und ist dementsprechend auch als Vereinbarung für die Praxis zu empfehlen.
Unabhängig von der Auslegung der vereinbarten Zahlungssperre werfen Sachverhalte wie der vorliegende die Frage auf, ob die Kreditnehmerin den andrängenden Nachranggläubigern aufgrund der Insolvenznähe besondere gesetzliche Einwendungen entgegenhalten konnte. Denn insb die Insolvenzanfechtungstatbestände der §§ 30 f IO erstrecken die Gläubigergleichbehandlung in gewissem Sinne auf das Stadium der bloß materiellen Insolvenz.71) In diesem Sinne brachte die Bekl der vorliegenden Verfahren auch vor, die verlangte Zahlung deswegen nicht erbringen zu dürfen, weil dies als Gläubigerbegünstigung in der Insolvenz anfechtbar wäre.
Unzulässig wären aber wohl nur Zahlungen, die das strafrechtliche Delikt der Gläubigerbegünstigung (§ 158 StGB) erfüllen. Dieses setzt voraus, dass der Täter vorsätzlich nach dem Eintritt seiner Zahlungsunfähigkeit einen Gläubiger begünstigt und dadurch zumindest einen anderen Gläubiger benachteiligt.72) Hingegen kann der Schuldner aus dem bloßen Umstand, dass die Zahlung theoretisch im Fall der späteren Eröffnung eines Insolvenzverfahrens innerhalb der maßgeblichen Fristen anfechtbar wäre (§§ 27 ff IO), wohl keine Einwendung ableiten. Die Insolvenzanfechtung ist schließlich als nachgelagerte Kontrolle durch den Insolvenzverwalter konzipiert, die den Zustand herstellt, in dem sich die Masse ohne die anfechtbare Rechtshandlung befinden würde.73) Möchte der Schuldner die Zahlung während seiner materiellen Insolvenz abwenden, kann er ohnehin die Insolvenzeröffnung beantragen, wozu er gesetzlich auch verpflichtet ist (§ 69 Abs 2 IO).
Der OGH befasste sich in mehreren Verfahren, die auf einen gemeinsamen
70) So auch Graf, ZFR 2023, 485 (487 ff).
Ausgangssachverhalt zurückgehen, mit der Wirksamkeit und Auslegung qualifizierter Nachrangklauseln in Kreditverträgen.
Qualifizierte Nachrangklauseln enthalten die Vereinbarung eines Nachrangs bei Verteilungen im Insolvenzverfahren sowie die Vereinbarung einer Zahlungssperre, die im Fall einer wirtschaftlichen Krise der Schuldnerin außerhalb des Insolvenzverfahrens eintritt. Die Differenzierung zwischen diesen beiden Elementen kann prozessual von Bedeutung sein, weil eine Berufung auf die Zahlungssperre in erster Instanz nicht ausschließt, dass das spätere Vorbringen des Verteilungsnachrangs eine unzulässige Neuerung darstellt. Zudem ist die Differenzierung bei der AGB-Kontrolle beachtlich, weil die Wirksamkeit der beiden Elemente getrennt zu beurteilen ist.
Der OGH bestätigt in den vorliegenden E seine bisherige Rsp, wonach qualifizierte Nachranggklauseln bei Nachrangdarlehen zur Gänze als Bestimmungen über die Hauptleistung einzustufen sind und deshalb nicht der Inhaltskontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB unterliegen. Auf die Kritik der L an der pauschalen Einordnung als Hauptleistung gehen die E nicht ein. Da die gänzliche Kontrollfreiheit der qualifizierten Nachrangklausel nunmehr einhellig von vier verschiedenen Senaten des OGH vertreten wird, ist insofern aber wohl von gefestigter Rsp auszugehen.
Der OGH geht zutreffend davon aus, dass die Vereinbarung einer qualifizierten Nachrangklausel mangels Überraschungseffekt typischerweise nicht an § 864a ABGB scheitert, wenn der zugrundeliegende Vertrag als „Nachrangdarlehen“ bezeichnet wurde.
Ebenfalls zutreffend erachtet der OGH die Formulierung, dass die Zahlungssperre bei einem „Grund für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens“ eintreten soll, als ausreichend transparent iSd § 6 Abs 3 KSchG. Anders als eine E des deutschen BGH stellt der OGH nicht darauf ab, ob das übernommene Haftungsrisiko und seine Implikationen auch für einen juristisch nicht vorgebildeten Nachrangdarlehensgeber verständlich im Vertrag erläutert wurden.
72) Diese Voraussetzungen liegen also nicht vor, solange die Nachrangabrede wirksam den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit vermeidet.
73) Siehe Rebernig in Konecny, Insolvenzgesetze § 39 Rn 1 ff; Bollenberger/Spitzer in KLS² § 27 Rn 1, §§ 39, 40 Rn 1 ff.
71) Bollenberger/Spitzer in KLS2 § 27 Rn 5, § 30 Rn 6, 34; Rebernig in Konecny, Insolvenzgesetze § 30 Rn 54, 67. Siehe bereits Denkschrift KO 31, 39. Strittig ist, ob das aufgrund von § 30 Abs 1 IO auch schon für die 60 Tage vor der materiellen Insolvenz gilt (so die hM, zB Rebernig in Konency, Insolvenzgesetze § 27 Rn 14; aA zB Bollenberger/Spitzer in KLS2 § 30 Rn 6). Zu § 158 StGB s Kirchbacher in Höpfel/Ratz, Wiener Kommentar StGB² § 158 Rn 1.
Nach einer typischen Formulierung sind qualifizierte Nachrangdarlehen zur Zahlung gesperrt, „solange und soweit“ unter Berücksichtigung der Nachrangforderung eine wirtschaftliche Krise (zB Zahlungsunfähigkeit) der Kreditnehmerin vorliegen würde. Entgegen dem OGH sind dann einzelne andrängende Nachrangfinanzierer zu befriedigen, sofern diese Voraussetzungen noch nicht vorliegen –auch wenn die Vollbefriedigung aller ausgelaufenen Nachrangdarlehen nicht mehr möglich ist. Für eine Pflicht zur Gleichbehandlung der Nachrangfinanzierer gibt es außerhalb des Insolvenzverfahrens keine gesetzliche Grundlage. ◆
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Ein Literature Review aus Wirtschafts und Rechtswissenschaftlicher Perspektive mit praktischen Implikationen
Die Entstehung von Decentralized Finance (DeFi) kennzeichnet einen Paradigmenwechsel im Finanzsektor und bringt sowohl Chancen als auch vielschichtige Herausforderungen mit sich. Da DeFi fortwährend traditionelle Finanzsysteme neu definiert, ist es von entscheidender Bedeutung, dass Stakeholder die Mechanismen, die dieser Entwicklung zugrunde liegen, insbesondere die Rollen von Behavioral Finance und Public Policy, verstehen. Dieser Artikel stellt eine Literaturübersicht zur Regulierung der Finanzmärkte dar, untersucht das transformative Potenzial von DeFi und dessen inhärente Risiken und erforscht die Implikationen für regulatorische Rahmenbedingungen, die auf Behavioral Finance basieren.
DeFi bietet ein einzigartiges Zusammentreffen von Vorteilen, von der Demokratisierung des Zugangs zu Instrumenten des Finanzmarktes bis hin zur Förderung von Transparenz und Effizienz. Allerdings birgt dieser neu entstehende Bereich auch Risiken, einschließlich Anfälligkeiten von Smart Contracts, Abhängigkeiten von externen Protokollen, das Risiko von vermeintlicher Dezentralisierung und die Herausforderungen von Vertrauensmechanismen. Diese Risiken beeinflussen nicht nur Einzelinvestoren, sondern können auch Kaskadeneffekte auf das breitere Finanzökosystem haben. Im Zentrum des Aufstiegs von DeFi steht menschliches Verhalten und damit Verhaltensökonomie bzw Behavioral Economics. Theorien über Behavioral Finance beleuchten die kognitiven Verzerrungen (bias) und Heuristiken, die Anlegerentscheidungen in dieser neuartigen
Landschaft beeinflussen. So könnte beispielsweise die Verlockung hoher Renditen in DeFi dazu führen, dass einige potenzielle Fallstricke übersehen werden, oder die wahrgenommene Kontrolle, die von dezentralisierten Plattformen geboten wird, könnte das Anlegervertrauen in ihre Anlageentscheidungen aufblähen. Durch weitere Forschung zu diesen Verhaltensmustern könnten Regulierungsbehörden und politische Entscheidungsträger Strategien entwickeln, die Anleger schützen und gleichzeitig Innovation fördern.
Public Policy im Kontext von DeFi ist ein heikler Balanceakt. Einerseits besteht die Notwendigkeit, Anleger zu schützen und die Marktintegrität sicherzustellen. Andererseits besteht das Risiko einer Überregulierung, die genau jene Innovationen erstickt, die DeFi transformativ machen. Politische Entscheidungsträger müssen sich mit diesen Herausforderungen auseinandersetzen und Wege finden, regulatorische Rahmenbedingungen zu schaffen, die sowohl schützend als auch adaptiv sind.
Die Antwort auf die Regulierung von DeFi könnte darin gefunden werden, ihre Nutzer oder Peers (Mitglied auf selber Ebene) zu regulieren, anstatt der Protokolle selbst, ähnlich wie Plattformbetreiber auf der Grundlage ihrer angebotenen Dienstleistungen, wodurch sie für die Einhaltung von Vorschriften der Finanzmarktregulierung, dem Gesellschaftsrecht, Steuerrecht und anderen einschlägigen Bestimmungen verantwortlich gemacht werden könnten.
Stichwörter: Decentralized Finance; DeFi; Finanzmarktdemokratisierung; Behavioral Fi
ist zugelassener Rechtsanwalt in Liechtenstein und Managing Partner der Rechtsanwaltskanzlei Bergt und Partner AG; e-mail: jb@bergt.law
nance; Public Policy; Regulierung; Smart Contracts; kognitive Verzerrungen in Anlageentscheidungen; Transparenz und Effizienz in BlockchainSystemen; verhaltensökonomische Einflüsse auf Finanzentscheidungen; traditionelle Finanzsysteme; Finanzmärkte; Vertrauensmechanismen; Kaskadeneffekte im Finanzökosystem; kognitive Verzerrungen und Heuristiken; Regulierung von Peers in DeFi. JELClassification: G 02, G 18, K 22.
https://doi.org/10.47782/oeba202401003501
The emergence of Decentralized Finance (DeFi) signifies a paradigm shift in the financial sector, introducing both unparalleled opportunities and multifaceted challenges. As DeFi continues to redefine traditional financial systems, it becomes vital for stakeholders to grasp the nuances underpinning this evolution, especially the roles of behavioral finance and public policy. This article presents a literature review on financial market regulation, examining the transformative potential of DeFi and its inherent risks, and explores the implications for regulatory frameworks based on behavioral finance.
Public policy in the context of DeFi is a delicate balancing act. On one hand, there's the need to protect investors and ensure market
integrity. On the other, there's the risk of overregulating and stifling the very innovations that make DeFi transformative. Policymakers must grapple with these challenges, seeking ways to create regulatory frameworks that are both protective and adaptive.
In addressing the question of how to sensibly regulate financial markets in the age of DeFi, the answer may be both straightforward and somewhat counterintuitive: Regulate peers. In a decentralized system where traditional service providers play a diminished role, peers or individual participants may take on functions that are analogous to those of traditional financial operators. Therefore, these peers may find themselves subject to financial market regulations, trade law, tax law, and other applicable statutes, depending on the services they provide, much like platform operators and their obligations.
1. Interdisziplinäre Ansatz zum Verständnis der Finanz
märkte: Recht, Wirtschaft, Soziologie und IT
Decentralized Finance (DeFi) hat sich als innovative Alternative zu traditionellen, zentralisierten Finanzinstitutionen etabliert und verspricht eine inklusive, transparente und effiziente Finanzinfrastruktur. Dieser neu entstehende Markt operiert primär auf der Infrastruktur von Distributed-Ledger-Technologien (DLT) oder Blockchain, wodurch zentrale Intermediäre nicht erforderlich sind. Der Grundstein dieser Dezentralisierung liegt in der Implementierung von Smart Contracts, selbstausführenden Programmen, die die Bedingungen eines Finanzgeschäfts kodieren und damit rasche, kosteneffektive und transparente Finanzaktivitäten ermöglichen (Bergt, 2020; 2023).
Obwohl DeFi zahlreiche Vorteile bietet, ist es nicht frei von Risiken. Anfälligkeiten können aus Programmierfehlern in Smart Contracts, operativen Sicherheitsbedenken und potenziellen Zentralisierungsrisiken entstehen, die durch die Abhängigkeit von externen Daten und Protokollen eingeführt werden. Die deterministische und dezentrale Ausführung von Smart Contracts ist trotz ihrer Vorteile diesen Risiken ausgesetzt. Operationale Risiken, wie der Einsatz von Admin-Schlüsseln und die Bedrohung durch kompromittierte Schlüsselhalter, unterstreichen die Bedeutung robuster Sicherheitsmaßnahmen wie Multi-Signatur-Mechanismen. Die Bezeichnung „de-
zentralisiert“ kann manchmal irreführend sein, wobei bestimmte Marktteilnehmer eine Dezentralisierung für ihren eigenen Vorteil fälschlicherweise vorgeben (Schär, 2021).
Die Vernetzung und Kompositionsfähigkeit von DeFi-Protokollen bieten vielfältige Möglichkeiten, erzeugen jedoch auch Abhängigkeiten, die zu signifikanten Auswirkungen auf das gesamte System führen können. Für Regulatoren besteht die Herausforderung darin, unerlaubte Aktivitäten einzudämmen, ohne die Innovation zu ersticken, die DeFi mit sich bringt. Das Ziel sollte nicht sein, gute Regulierung für schlechte Akteure zu erlassen, sondern schlechte Regulierung insgesamt zu vermeiden.
Finanzmarktregulierung fungiert als Dreh- und Angelpunkt in der modernen Wirtschaft, schützt Verbraucher und wahrt die Stabilität und Integrität der Finanzsysteme. Jüngste „Black Swan„Ereignisse, die seltene, unvorhergesehene Ereignisse mit schwerwiegenden Auswirkungen darstellen und häufiger auftreten, als man statistisch annehmen würde (Taleb, 2007), haben hitzige Diskussionen über die Angemessenheit der aktuellen Finanzmarktvorschriften und die Frage ausgelöst, ob sie einer Überarbeitung oder Anpassung bedürfen.
Nobelpreisträger Milton Friedman postulierte, dass staatliche Eingriffe Probleme oft verschlimmern anstatt sie zu verbessern und hielt diesbezüglich fest: „I think the government solution to a problem is usually as bad as the problem and very often makes the problem worse“ (Friedman, M., 1975, S 6). Gegner einer strengen Regulierung behaupten, dass sie den Wettbewerb durch hohe Markteintrittsbarrieren ersticken könnte, wodurch die Verbraucher, die sie zu schützen sucht, unbeabsichtigt geschädigt werden. Hirshleifer und Teoh (2017) argumentieren im Wesentlichen aufbauend auf dieser prägnanten Aussage, dass es wichtiger ist, schlechte Regulierung insgesamt zu vermeiden, als sich darauf zu konzentrieren, gute Regulierung für böswillige Akteure zu identifizieren und umzusetzen, oder wie sie es nennen „good rules for bad users versus bad rules„.
Die komplexe Evolution der Finanzmärkte erfordert einen multidisziplinären Ansatz, der Recht, Wirtschaft, Soziologie, Psychologie und Informationstechnologie miteinander verwebt. Finanzregulierung verkörpert die Regeln und Richtlinien, die den Finanzbereich regeln, um Anleger zu schützen, Finanzkrisen zu verhindern und die Marktstabilität zu erhalten. Oft führen Finanzkrisen zur Formulierung reaktiver Vorschriften, die versuchen, vorangegan-
gene Mängel zu beheben, wobei diese Ad-hoc-Politik oder „Adhocracy„ häufig schlechte Regeln im oben genannten Sinne darstellen könnte, die insgesamt vermieden werden sollten.
Behavioral Finance erforscht die Auswirkungen kognitiver Verzerrungen bzw Voreingenommenheit (bias) auf Anlageentscheidungen (Tversky und Kahneman, 1974). Solche Verzerrungen, oft als „systematische Fehler im Entscheidungsprozess“ im Bereich von Behavioral Economics bezeichnet (Kahneman und Riepe, 1998), können Entscheidungsprozesse verzerren (Ritter, 2003). Aufbauend auf dieser Literatur zur Entscheidungsfindung und wie dieser Prozess durch Verzerrungen beeinflusst werden kann, lassen sich Überlegungen zur Regulierung anstellen. Regulatorische Reaktionen, die manchmal hastig im Zuge von Fehlentwicklungen am Markt entwickelt werden, könnten an robuster empirischer Untermauerung mangeln, was in fragmentarischen, reaktiven Lösungen resultiert, die Kernprobleme möglicherweise nicht effektiv angehen. Ein evidenzbasierter, kodifizierter Rechtsansatz, der Entscheidungsprozesse berücksichtigt (auch im Hinblick auf die Entscheidungsfindung im Zusammenhang mit dem Public Policy Prozess selbst und den Verzerrungen, denen etwaige hieraus resultierende Erlasse unterliegen), könnte den Weg für kohärentere und wirksamere Regulierungen ebnen.
Selbstüberschätzung (overconfidence), die Neigung, die eigenen Grenzen zu übersehen und gleichzeitig die Fähigkeiten zu überschätzen, kann die Entscheidungsfindung im Public-PolicyBereich, insbesondere bei der Marktregulierung, kritisch beeinflussen. Wie Hayek (1978) erläuterte, ist das komplexe Geflecht individueller Interaktionen auf Märkten für zentralisierte Einheiten zu komplex, um vollständig verstanden zu werden. Der Markt verkörpert eine Vielzahl von Lösungen, einige sorgfältig ausgearbeitet und andere aus evolutionären „Trial-and-Error„-Prozessen hervorgegangen. Diese inhärente Komplexität entzieht sich oft dem menschlichen Verständnis und verleitet Entscheidungsträger zu übermäßigen Eingriffen (Hirshleifer, 2008).
Ein archetypisches Beispiel für diese interventionistische Haltung ist der Vorschlag von Transaktionssteuern, um Marktspekulationen einzudämmen, beispielsweise unterstützt von Keynes, Tobin, Stiglitz und Summers (Hirshleifer, 2008; Stiglitz, 1989; Summers und Summers, 1989). Während solche Steuern darauf abzielen, die Marktvolatilität, die aus unkontrollierter Spekulation resultiert, zu be-
kämpfen, könnten sie unbeabsichtigt die Liquidität beeinträchtigen. Bemerkenswert ist, dass Märkte inhärente Mechanismen besitzen, um die Auswirkungen zu absorbieren und die sozialen Kosten des spekulativen Handels zu internalisieren. Dennoch führt Selbstüberschätzung von politischen Entscheidungsträgern, gekoppelt mit ihrer illusorischen Kontrolle, oft dazu, dass sie eingreifen, was zu suboptimalen Regulierungsergebnissen als Teil eines übermäßigen Aktivismus führt (Hirshleifer, 2008).
Bevor weitere Aspekte von Behavioral Economics und damit zusammenhängende Auswirkungen auf Public Policy behandelt werden, ist es vorab unerlässlich, die Kernelemente von Decentralized Finance (DeFi) zu eruieren und zu definieren.
Smart Contracts bilden eine essenzielle Komponente von DeFi, sind auf Blockchains gespeichert und werden von einer Vielzahl an Validatoren ausgeführt, wodurch sie eine unvergleichliche Sicherheit und Transparenz gewährleisten (Schär, 2021). Die inhärente Architektur von Blockchains adressiert das seit langem bestehende Double-SpendingProblem in dezentralisierten Systemen, wobei Smart Contracts individualisierbare Elemente für die Verwaltung von digitalen Vermögenswerten bieten (Schär, 2021). Die Distributed-Ledger-Technologie erleichtert die permanente, öffentliche und dezentralisierte Datenspeicherung durch tokenbasierte Transaktionen, die spezifische Werte repräsentieren (Bergt, 2020, S 6). Während das Internet bislang primär auf Informationen beruhte, läutet unter anderem die BlockchainTechnologie das Internet der (digitalen) Werte ein. Transaktionen innerhalb dieser Infrastruktur können sich in diversen Formen manifestieren, wie zum Beispiel von „Peer to Peer„ (gleichberechtigte Mitglieder bzw Marktakteure), von Mensch zu Maschine oder sogar von Maschine zu Maschine (Mehrwald et al, 2019; Bergt, 2021). Bedeutsam ist, dass Blockchains die öffentliche Transparenz dieser Transaktionen sicherstellen, während sie gleichzeitig ihre permanente Unveränderlichkeit bewahren, was den kryptographischen Hash-Funktionen und dem dezentralen Paradigma zu verdanken ist (Bergt, 2020, S 7). Im Idealfall gewährleisten Blockchains eine unveränderliche, dezentrale bzw verteilte Datendokumentation und Wertübertragung, die Konsens durch kryptographische Protokolle bildet (Böhme et al, 2015; Glaser, 2017; Bergt, 2021; 2023).
Die Sharing Economy, wie sie von Lessig (2008) konzeptualisiert wurde, und Peer-to-Peer-Märkte, wie sie von Perren und Kozinets (2018) umrissen wurden, können im weiteren Sinne als sogenannte Lateral Exchange Markets (LEM oder laterale (Finanz-)Märkte) betrachtet werden. Diese Märkte materialisieren sich durch eine intermediierende technologische Plattform, die den Austausch zwischen ökonomisch gleichwertigen Akteuren erleichtert (Perren und Kozinets, 2018; Bergt, 2021). Solche auf einer intermediierenden technologischen Plattform basierenden LEMs umfassen dezentralisierte Märkte (Decentralized Exchange oder DEX), die für KryptoVermögenswerte relevant sind und im Allgemeinen ohne zentrale Finanzintermediäre funktionieren (Bergt, 2023).
Die Token-Zuteilung innerhalb von DeFi-Protokollen hat eine zentrale Bedeutung und wirft Licht auf das Ausmaß der tatsächlichen Dezentralisierung eines Systems. DeFi manifestiert sich als eine Reihe von zusammensetzbaren und vertrauensminimierten Protokollen, die auf öffentlichen Blockchain-Netzwerken aufgesetzt sind. Diese Protokolle nutzen Smart Contracts, um Finanzdienstleistungen zu schaffen, die universell zugänglich und interoperabel sind (Nadler & Schär, 2020). Eine Mehrheit der DeFi-Protokolle bietet Token an, die einen fraktionalen Protokollbesitz symbolisieren, welcher den Inhabern Abstimmungsrechte bei vertraglichen Änderungen oder Anpassungen der Parameter gewährt und es ihnen ermöglicht, wirtschaftlich von der Expansion des Protokolls zu profitieren. Daher wird die Verteilung dieser Token bei der Beurteilung der dezentralen Bestrebungen essenziell, da eine hohe Zentralisierung eine ausgewählte Gruppe befähigen kann, das Protokoll einseitig zu beeinflussen (Nadler & Schär, 2020). Datenanalysen haben gezeigt, dass DeFiSysteme häufig zentralisierte Eigentumsmuster aufweisen, was zur kritischen Hinterfragung der Dezentralisierung eines Protokolls führt (Nadler & Schär, 2020).
5. Herausforderungen in Bezug auf die Transparenz in DeFi
Während DeFi bemerkenswerte Transparenz aufgrund der Zugänglichkeit seiner On-Chain-Daten bietet, bleibt die
Darstellung dieser Daten in einer verständlichen Form eine Herausforderung. Die Existenz mehrerer Protokolle, komplexer Verschachtelungsstrukturen und Token-Wrapper erschwert oft die Analyse und erfordert anspruchsvolle analytische Instrumente (Nadler & Schär, 2020).
6. Hierarchische DeFiArchitektur
Um die komplexe Beschaffenheit von DeFi und deren Bestandteile zu erfassen, plädiert Schär (2021) für eine stratifizierte, mehrschichtige Betrachtung und Analyse. Diese Struktur ist hierarchisch, was bedeutet, dass Anomalien oder Ungenauigkeiten in den grundlegenden Ebenen sich zwangsläufig in den nachfolgenden, höheren Ebenen fortpflanzen werden. Dieses modulare Rahmenwerk bietet einen systematischen Ansatz zum Verständnis des DeFi-Ökosystems und gewährleistet Klarheit und umfassende Erkenntnisse sowohl für Wissenschaftler als auch für Praktiker.
Die grundlegende Ebene der DeFiStruktur ist der sogenannte Settlement Layer. Primär umfasst diese Ebene TokenStandards, die die technischen Grundlagen für die Erstellung, Übertragung und Interaktion (Transaktionsabwicklung) von Token bilden, wie sie beispielsweise auf der Ethereum-Blockchain zu finden sind. Diese Standards gewährleisten eine reibungslose Kommunikation und Interaktion zwischen verschiedenen Smart Contracts und Anwendungen. In DeFi weit verbreitete Token-Standards sind ERC-20 und ERC-721, die fungible respektive nicht-fungible Token repräsentieren (Schär, 2021).
In der Hierarchie aufsteigend, umfasst die zweite Ebene, auch als Asset Layer bezeichnet, sowohl native als auch andere Krypto-Vermögenswerte, die auf dem Settlement Layer aufbauend konzipiert sind. Diese Stufe baut auf den grundlegenden Token-Standards auf, um eine vielfältige Palette von (digitalen) Vermögenswerten zu etablieren, wodurch Vielseitigkeit und Anpassungsfähigkeit im DeFi-Ökosystem sichergestellt werden (Schär, 2021).
6.3.
Die dritte Ebene, auch als Protokollebene bezeichnet, vereint eine
Vielzahl von dezentralisierten Dienstleistungen, insbesondere dezentrale Märkte (DEX bzw decentralized oder Lateral Exchange Markets; LEM) und dezentralisierte Darlehens- bzw Kreditmechanismen. Diese Dienste erleichtern den direkten Peer-to-Peer-Austausch von Tokens oder von (Sach-)Darlehen in Kryptowährungen bzw Kryptowerten und digitalen Vermögenswerten unter Ausschaltung von Intermediären. Zentral für diese Ebene ist, dass dezentrale Märkte durch eine Vielzahl von Smart Contracts funktionieren, die es den Benutzern ermöglichen, direkt mit ihren digitalen Wallets zu handeln. Dieser Mechanismus beseitigt die herkömmliche Notwendigkeit von Verwahrungsleistungen (durch selbst verwaltete Vermögenswerte) und strafft dadurch den Handelsprozess (Schär, 2021).
6.4. 4. Ebene:
Die vierte Ebene, die Anwendungsebene, fokussiert auf kundenorientierte Applikationen, die mit spezifischen Protokollen in Synergie treten. Typischerweise verwenden diese Anwendungen webbrowserbasierte Schnittstellen, die die Benutzerinteraktionen mit den zugrundeliegenden Smart Contracts vereinfachen und damit das DeFi-Erlebnis verbessern (Schär, 2021).
6.5. 5. Ebene: Aggregation Layer
Die höchste Stufe der DeFi-Architektur, die Aggregationsebene, erweitert die Anwendungsebene. Auf dieser Ebene agieren sogenannte Aggregatoren-Plattformen, die sich mit mehreren Anwendungen und Protokollen vernetzen. Benutzer profitieren von einer Vielzahl an Tools, die es ihnen ermöglichen, Dienstleistungen zu vergleichen, zu bewerten und zu integrieren, komplexe Aufgaben durch die Verbindung mit zahlreichen Protokollen auszuführen und Informationen in einem intuitiv nachvollziehbaren Format zu erhalten (Schär, 2021).
Im Wesentlichen umfasst das von Schär (2021) konzeptionierte Architekturparadigma für DeFi, oft als DeFi-Stack bezeichnet, die folgenden Ebenen:
• Ebene 1: Settlement Layer, der sich auf die Blockchain und die Funktionalität des nativen Protokolls konzentriert und so sichere Zuordnung von Krypto-Werten und der Änderung dieser Zuordnung gewährleistet.
• Ebene 2: Asset Layer, der aus nativen und darauf aufbauenden digitalen Vermögenswerten besteht, die auf dem Settlement Layer etabliert sind.
Abbildung 1: Mehrschichtige DeFiArchitektur nach Schär (2021) von Bergt (2023).
• Ebene 3: Protokollebene, die Standards für spezielle Anwendungsszenarien bietet, wie beispielsweise dezentrale Märkte und On-ChainVermögensverwaltung.
• Ebene 4: Anwendungsebene, die darauf abzielt, benutzerfreundliche Anwendungen mit browserbasiertem Front-End zu erzeugen.
• Ebene 5: Aggregationsebene, die die vierte Ebene erweitert, indem sie benutzerorientierte Plattformen schafft, die mehrere Anwendungen und Protokolle zusammenführen, Benutzer mit Vergleichswerkzeugen ausstatten und Informationen konsolidieren.
7. DeFi – Regulierung, Potenzial und Herausforderungen
Während der Bereich des Decentralized Finance (DeFi) weiterhin am Expandieren ist, werden regulatorische Überlegungen ein zentrales Anliegen. Die regulatorische Einordnung einer wirklich dezentralisierten Infrastruktur bleibt schwierig, aber Schär (2021) hat entscheidende Anknüpfungspunkte identifiziert: die Ein- und Ausstiegspunkte für Fiat-Gelder (sogenannte On- und OffRamps oder Fiat-Gateways) und das Phänomen des „Dezentralisierungstheaters“ oder der behaupteten Dezentralisierung, auch als Scheindezentralisierung oder Dezentralisierungs-Schwindel bezeichnet (Bergt, 2023).
7.1. Regulatorische Überlegungen betreffend DeFi
Die On- und Off-Ramps fungieren als Brücke zwischen traditionellen zentralisierten Finanzsystemen und den dezentralisierten oder den Blockchainbasierten Systemen. Die Übertragung von Vermögenswerten zwischen diesen Bereichen erfordert das Einschreiten regulierter zentralisierter Finanzintermediäre, die strenge Überprüfungen der Mittelherkunft durchsetzen können und auch umsetzen müssen (Schär, 2021). Ebenso kritisch ist die Unterscheidung zwischen genuin dezentralisierten Protokollen und solchen, die sich als solche ausgeben, potenziell unter dem Schirm einiger zentralisierter Akteure. Ein solches „Dezentralisierungstheater“, wie es von Schär (2021) propagiert wird, könnte die Abhängigkeit von unbeaufsichtigten zentralisierten Betreibern fördern. Es obliegt den Regulatoren, DeFi-Protokolle sorgfältig zu prüfen, um ihre echte Dezentralisierung festzustellen (bis zur dritten Ebene, wie in Abbildung 1 dargestellt), oder zu erkennen, ob die Bezeichnung lediglich eine Taktik zur Umgehung von aufsichtsrechtlichen Vorschriften ist (Bergt, 2023).
7.2.
Echtes DeFi nutzt öffentliche Blockchain-Netzwerke, um Transaktionen zu erleichtern und ist nicht auf zentralisierte Finanzintermediäre wie Verwahrstellen oder Clearingstellen angewiesen. In diesem Zusammenhang stellen Smart Con-
tracts, die auf einer Blockchain als Teil des Konsensus-Mechanismus ausgeführt werden, sicher, dass die Teilnehmer die Systemprotokolle einhalten und die Richtigkeit der Transaktion validieren. Im Bereich von DeFi gewährleisten diese Smart Contracts in erster Linie die gleichzeitige Übertragung von Vermögenswerten oder die Hinterlegung von Sicherheiten, abhängig von festgelegten Bedingungen. Diese Vorgehensweise kann das Gegenparteirisiko erheblich minimieren, da Vermögenswerte nur freigegeben werden, wenn die festgelegten Bedingungen erfüllt sind (Schär, 2022).
Trotz seiner möglichen Vorzüge bringt DeFi eine Vielzahl von Herausforderungen mit sich. Zu den wichtigsten gehören Sicherheitsbedenken, einschließlich Schwachstellen in Smart Contracts und potenzielle Blockchain-Angriffe. Regulatorische Komplexitäten verschärfen diese Herausforderungen aufgrund der inhärenten Dezentralisierung von DeFi. Dennoch könnte DeFi Lösungen für die in zentralisierten Finanzsystemen vorherrschenden Probleme bieten (Schär, 2022).
Während eine dezentralisierte Infrastruktur bestimmte Vorteile bieten kann, können viele Eigenschaften auch in zentralisierten Systemen erreicht werden. Smart Contracts können beispielsweise sowohl in zentralisierten als auch in dezentralisierten Infrastrukturen implementiert werden. Zentralisierte Systeme übertreffen oft ihre dezentralisierten Pendants in der Effizienz. Schär (2022) postulierte jedoch, dass dieser Vorteil das Vertrauen in Intermediäre und Wohlwollen (benevolence) voraussetzt – eine Prämisse, die nicht immer gültig ist. Vertrauen, wenn auch in einer transformierten Form, bleibt in DeFi strukturell erhalten und wandelt sich von Vertrauen in Intermediäre (in Form von natürlichen oder juristischen Personen) zu Vertrauen in intermediierende Technologieplattformen (Bergt, 2023).
Die geschichtete Infrastruktur von DeFi ermöglicht die Implementierung von Smart Contracts basierend auf dieser Infrastruktur, manchmal mit spezifischen Einschränkungen. Derartige Einschränkungen, falls implementiert, können etabliert werden, ohne den dezentralen Charakter der Infrastruktur zu beeinträchtigen. Wie bereits erwähnt schließt ein zentralisiertes Kernprotokoll jedoch die Dezentralisierung der folgenden hierarchischen Ebenen aus (Schär, 2022).
Herausforderungen gibt es im Überfluss: die Bedrohung durch Schein-
dezentralisierung; die Auswirkungen von Programmierfehlern; Datenschutzbedenken aufgrund der Transparenz der Blockchain; und das Schreckgespenst des Front-Runnings, bei dem Transaktionen vorweggenommen werden können, was dazu führt, dass Erträge zum Nachteil des ursprünglichen Kapitals abgeschöpft werden. Front-Running, im Kontext von Krypto-Assets und DeFi, beinhaltet in der Regel, dass eine Partei privilegierte Informationen nutzt oder die Reihenfolge von Transaktionen ausnutzt, um gegenüber anderen Marktteilnehmern einen unfairen Vorteil zu erlangen, was als Marktmanipulation ähnlich der Nutzung von Insiderinformationen angesehen werden könnte – zB die Praxis, anstehende Transaktionen zu scannen und eine höhere Gasgebühr (Gasgebühr oder Gas Fee ist die Gebühr für die Ausführung von Transaktion über die virtuelle Wallet) zu zahlen, um deren Verarbeitung durch die Miner zu priorisieren, um einen bedeutsamen Handelsauftrag in Krypto-Vermögenswerten auszunutzen, der die Marktpreise beeinflussen wird. Letzteres könnte mit Marktmanipulation vergleichbar sein, die der Verwendung von Insiderinformationen ähnelt, und potenziell unter die Artikel 89 und 91 der MiCAR (Verordnung über Märkte für Krypto-Assets (EU) 2023/1114) fallen könnte, die Insiderhandel und Marktmanipulation unterbinden und sanktionieren. Schließlich steht die Skalierbarkeit öffentlicher Blockchains vor der Herausforderung, Sicherheit, Dezentralisierung und Skalierbarkeit in Einklang zu bringen, insbesondere angesichts der Kosten der dezentralisierten Blockerstellung und dem Kosten-Overhead bedingt durch erforderliche Hardware (Schär, 2022; Bergt, 2023).
Das entstehende Gebiet von DeFi hat die Paradigmen des Vermögensaustauschs und des Portfoliomanagements neu definiert. Diese Transformation wurde durch eine wachsende Nachfrage nach Plattformen vorangetrieben, auf denen Einzelpersonen ihre digitalen Vermögenswerte unmittelbar handeln können, um ihre Portfolios auf der Grundlage sich wandelnder Präferenzen und Risikoappetite neu auszurichten.
8.1. Zentralisierte vs. dezentralisierte Märkte für KryptoVermögenswerte
Traditionell wurden Transaktionen in Krypto-Vermögenswerten primär über
zentralisierte Märkte (sogenannte Crypto Exchanges) abgewickelt. Obwohl diese Plattformen im Grunde effizient waren, waren sie nicht ohne Nachteile. Die Ausführung von Handelsgeschäften auf zentralisierten Märkten erfordert, dass die Teilnehmer ihre Vermögenswerte auf die Plattform übertragen und damit die direkte Kontrolle über ihre Bestände aufgeben. Eine solche Anordnung setzt ein beträchtliches Vertrauen in die Betreiber der zentralisierten Märkte für KryptoVermögenswerte voraus und setzt die Händler einer Vielzahl von Risiken aus, die von einer möglichen Veruntreuung der Vermögenswerte durch unehrliche Betreiber bis hin zu den Anfälligkeiten zentralisierter Börsen als attraktive Ziele für böswillige Angriffe reichen (Schär, 2021).
Dezentralisierte Exchange-Protokolle sind als Ausgleich zu diesen Nachteilen entstanden. Diese Plattformen stellen sicher, dass die Benutzer die Kontrolle über ihre Vermögenswerte behalten, bis die Transaktion abgeschlossen ist. Darüber hinaus werden Transaktionen atomar ausgeführt, wodurch beide Seiten der Transaktion gleichzeitig durchgeführt werden, was das Gegenparteirisiko erheblich verringert. Die Komplexitäten dieser Protokolle, die durch Smart Contracts gestützt sind, können potenziell mehrere Intermediäre überflüssig machen, wie zum Beispiel Treuhanddienste sowie Zentrale Clearing-Gegenparteien (CCPs) und Zentrale Verwahrstellen (CSDs) (Schär, 2021; Bergt, 2020, S 244; 2023).
Das Lending bzw Kreditgeschäft in Bezug auf Krypto-Vermögenswerte ist ein integrales Element des DeFi-Systems. Eine Vielzahl an Protokollen existiert, die die nahtlose Vergabe und das Ausleihen von Krypto-Vermögenswerten im Sinne eines Sachdarlehens ermöglichen. Ein markantes Merkmal solcher dezentralen Kreditplattformen ist die Abwesenheit von Identifikationsvorschriften sowohl für Kreditgeber als auch für Kreditnehmer, was einen ungehinderten Plattformzugang fördert (Schär, 2021).
Zum Schutz der Kreditgeber und zur Sicherstellung der Einhaltung der Kreditnehmer werden zwei Hauptstrategien verfolgt:
1. Atomare Rückzahlung: Kredite in Krypto-Werten werden mit der Voraussetzung einer atomaren Rück-
zahlung gewährt, anstelle einer synallagmatischen Basis, basierend auf dem Grundsatz do ut des respektive quid pro quo, bei der die jeweilige Leistung und Gegenleistung Zug-umZug nacheinander ausgetauscht wird. In diesem Modell erhalten, nutzen und tilgen Kreditnehmer die Mittel –oftmals besichert – innerhalb einer einzelnen Blockchain-Transaktion, was zu Ende gedacht am synallagmatischen oder reziproken Grundpfeiler des quid-pro-quo-Paradigmas rüttelt, das für Rechtswissenschaftler so bedeutsam ist. Wenn die Rückzahlung, einschließlich Zinsen, nicht bis zum Abschluss der Transaktion realisiert wird, wird die gesamte Transaktion für ungültig erklärt und alle transferierten Mittel werden zurückgesetzt. Solche Kredite in Kryptowerten, als „Flash-Kredite„ bezeichnet, stellen einen entstehenden, jedoch vielversprechenden, sowie auch experimentellen Pfad des DeFi-Lending dar. Derartige Kredite könnten leistungsfähige Instrumente für Arbitrage und Portfolio-Neuausrichtung darstellen (Schär, 2021).
2. Besicherte Kredite in Krypto-Vermögenswerten: In diesem Paradigma sind Kredite vollständig durch Sicherheiten abgesichert, die in einem Smart Contract gehalten und erst nach der Kreditrückzahlung (in Krypto-Vermögenswerten) freigegeben werden. Dieser Ansatz kann weiter in besicherte Schuldenpositionen (collateralized debt positions), Peer-to-Peer-besicherte Schuldenmärkte (collateralized debt markets) und gepoolte besicherte Schuldenmärkte unterteilt werden. Während besicherte Schuldenpositionen neu generierte Token nutzen, verwenden Schuldenmärkte bestehende Token, was eine Koppelung zwischen Kreditnehmer und Kreditgeber in Bezug auf Krypto-Werte erforderlich macht (Schär, 2021).
Das Aufkommen von DeFi bringt eine Disruption traditioneller Finanzmechanismen und führt dezentrale Märkte und Kreditprotokolle in Bezug auf Krypto-Vermögenswerte ein, die erhöhte Kontrolle, Sicherheit und Flexibilität bieten. Allerdings wird es, während sich diese Systeme laufend weiterentwickeln, für Legislatoren und Regulatoren und letztlich Praktiker zwingend notwendig sein, sich mit den Funktionsweisen von DeFi im Detail vertraut zu machen, um sicherzustellen, dass das transformative Potenzial von DeFi genutzt werden kann und gleichzeitig damit verbundene Risiken gemindert werden können.
9. Public Policy, Risikowahr nehmung und Entscheidungsfindung im Bereich DeFi
McAuley (2013) identifizierte, dass Regierungspolitiken in Australien, obwohl sie selten explizit auf Verhaltensökonomie Bezug nehmen, tiefgreifend von ihren Prinzipien beeinflusst werden. Zum Beispiel haben Konzepte wie Geldwertillusion und hyperbolisches Diskontieren die dortigen Regularien beeinflusst.
Um Public-Policy-Interventionen zu leiten, führten Camerer et al (2003) das Prinzip des asymmetrischen Paternalismus ein, das betont, dass Regulierungen jenen zugutekommen sollten, die für Fehler anfällig sind, ohne rationale Entscheidungsträger zu schädigen. Durch die Ausrichtung von Interventionen an Verzerrungen kann die Verhaltensökonomie dazu beitragen, Individuen zu besseren Entscheidungen zu leiten, während sie ihre Autonomie bewahren.
Die Verhaltensökonomie mit ihrem empirischen Schwerpunkt betont die Bedeutung von ex-ante- und ex-postBewertungen in der Public Policy, da die Reaktionen auf gesetzgeberische Eingriffe von den vorherigen Annahmen abweichen können. Beispielsweise können Offenlegungen in Finanztransaktionen zwar als vorteilhaft erscheinen, doch fand die US-amerikanische Federal Trade Commission heraus, dass beispielsweise die Offenlegung der Hypothekenmaklerprovision die Aufmerksamkeit vom eigentlichen Wert eines Darlehens ablenkt, indem auf die Provision eines Maklers aufmerksam gemacht wird, was letztendlich zu schlechteren Entscheidungen führt (Lacko & Pappalardo, 2004). Solche Effekte erfordern weitere Untersuchungen, insbesondere im Hinblick auf Finanzmärkte und die Offenlegung von Kickbacks bzw Retrozessionen, die tatsächlich zu schlechteren Entscheidungen führen können, da höchste Provisionen vermieden werden könnten, ohne den wahren Wert eines Geschäftsabschlusses tatsächlich zu bewerten (Bergt, 2023).
Die Einführung von DeFi macht eine Neubewertung der Risikowahrnehmung im Finanzsektor notwendig. Während Investoren diese neue Landschaft erkunden, besteht ein dringender Bedarf an effektiven regulatorischen Maßnahmen, die das Anlegerverhalten lenken und gleichzeitig die Integrität des Marktes gewährleisten. Die Verhaltensökonomie mit ihrem nuancierten Verständnis von Entscheidungsprozessen bietet ein wertvolles Instrumentarium für die Gestaltung dieser Interventionen, und verschiede-
ne Theorien der Behavioral Finance kommen dabei ins Spiel und beeinflussen die Entscheidungsfindung:
• Heuristiken: Anleger könnten mentale Abkürzungen nutzen, um die Komplexitäten von DeFi zu umschiffen, was zu potenziellen Fehleinschätzungen von Risiken führen kann.
• Overconfidence: Die rasche Entwicklung von DeFi kann zu Selbstüberschätzung des eigenen Verständnisses führen und dabei potenzielle Gefahren überdecken.
• Prospect-Theorie und Verlustaversion: Die Sensibilität für potenzielle DeFiVerluste kann gegenüber potenziellen Gewinnen überwiegen und damit trotz potenziell höherer Erträge zu risikoaversem Verhalten führen.
• Bekanntheitsverzerrung: Eine Vorliebe für bekannte DeFi-Protokolle könnte Investoren beeinflussen, ungeachtet der tatsächlichen RisikoRendite-Profile. Umgekehrt könnten sich Personen, die mit zentralisierten Märkten nicht vertraut sind, zu DeFi hingezogen fühlen, selbst wenn es nicht mit ihrem Risikoappetit übereinstimmt.
• Wahrgenommene Kontrolle und Expertenwissen: Der nutzerzentrierte Ansatz von DeFi bietet eine größere Kontrolle über Investitionen und beeinflusst das Risikoverhalten.
• Affekt: Emotionale Faktoren, von der Angst, etwas zu verpassen (fear of missing out; FOMO), bis hin zum Nervenkitzel potenzieller Gewinne, können die Wahrnehmung von Risiken und Investitionsentscheidungen prägen.
Auch könnte die choice architecture als weiche, unverbindliche Maßnahme eine entscheidende Rolle im PublicPolicy-Bereich in Bezug auf DeFi spielen. Choice architecture bezieht sich auf das Design der Umgebung, in der Entscheidungen getroffen werden, mit der Absicht, diese Entscheidungen zu beeinflussen, ohne dabei Optionen zu beschränken. Im DeFi-Kontext könnte dies bedeuten, Investitionsoptionen strategisch so zu präsentieren, dass eine informierte Entscheidungsfindung gefördert wird. Beispielsweise durch das prominentere Anzeigen wichtiger Informationen – wie Gebühren, potenzielle Renditen und assoziierte Risiken – oder durch die Förderung der Anlage-Diversifizierung.
Die Integration von default options –vordefinierte Optionen bzw Standardeinstellungen, die anwendbar sind, es sei denn, sie werden aktiv vom Benutzer geändert (aktives opt-out) – kann das Investorenverhalten subtil leiten, ohne deren Freiheit
zu beschneiden. Im DeFi-Kontext können diese strategisch eingesetzt werden, um vorsichtiges Investorenverhalten zu fördern. Beispielsweise kann ein Szenario vorausgewählt werden, in dem die Standard-Investitionseinstellungen einer DeFi-Plattform auf konservative Optionen ausgerichtet sind, wie niedrigere Hebel oder diversifizierte Portfolios. Ein solches Design lenkt Investoren auf weniger riskante Entscheidungen hin (nudging). Dennoch stellt die inhärente Flexibilität sicher, dass diejenigen, die nach höheren Risiken streben, diese auch eingehen können, was ein vielfältigeres Vermögensportfolio ermöglicht.
Die Art und Weise, wie Informationen präsentiert werden – ihr framing – kann die Entscheidungsfindung weitgehend beeinflussen (Kahneman & Tversky, 1979). Im Bereich DeFi kann das Nutzen von Framing-Effekten das Investorenverhalten leiten. Beispielsweise kann das Hervorheben potenzieller Verluste gegenüber potenziellen Gewinnen die inhärente Verlustaversion der Investoren nutzen und sie dazu veranlassen, über Investitionsrisiken gründlicher nachzudenken, während sie gleichzeitig risikosuchendes Verhalten vermeiden. Solch ein strategisches Framing kann gewährleisten, dass Investoren nicht nur potenzielle Gewinne verfolgen, sondern sich auch der damit verbundenen Risiken bewusst werden.
Zudem können komplexe und umfangreiche Offenlegungsdokumente ein signifikantes Hindernis für eine informierte Entscheidungsfindung darstellen. Viele Investoren, überwältigt von der schieren Informationsmenge, könnten auf kognitive Abkürzungen zurückgreifen und dabei wesentliche Details übersehen. Indem diese Offenlegungen in ein klares, prägnantes und standardisiertes Format überführt werden, können Investoren die Risiken und Chancen von DeFiInvestitionen leichter erfassen und so die Informationsasymmetrie, die oft auf Finanzmärkten besteht, überbrücken.
10. Behavioral Economics in KIgestützter Entscheidungsfindung
Machine bias, der in algorithmusbasierten Anwendungen vorherrscht, ist eine Folge des Trainings von Algorithmen mit verzerrten oder unvollständigen Daten. Solche Verzerrungen können zu diskriminierenden Ergebnissen in verschiedenen Bereichen führen, einschließlich im Rechtssystem, wo KI-getriebene Entscheidungen zu ungleicher Behandlung oder sogar zu unrechtmäßiger Inhaftierung führen könnten, zB im Fall
eines machine-learning-Algorithmus, der verwendet wird, um die Wahrscheinlichkeit einer Wiederholungstat vorherzusagen oder Bewährung zu gewähren, was gegenüber bestimmten Gruppen, wie Minderheiten oder Menschen aus niedrigen sozioökonomischen Schichten, zu Voreingenommenheit führen könnte. In der Finanzwelt könnten Algorithmen, die Bewerber für Jobs oder Kreditanträge bewerten, unbeabsichtigt Ungleichheit verbreiten. Daher ist es unvermeidlich, unvoreingenommene Algorithmus-Trainings zu gewährleisten und einen Super-Code zu implementieren, um verzerrte Informationen auszuschließen (Bergt, 2023).
Thompson (1984) stellte das Konzept eines selbstreplizierenden Programms als eine vorläufige Form des maschinellen Lernens vor, bei dem ein Computer sein Verhalten auf der Grundlage von Erfahrungen und Interaktionen nach der Überprüfung seines eigenen Quellcodes verändert. Diese Anpassungsfähigkeit bildet den Kern dessen, was wir heute als KI verstehen. Im Finanzwesen haben sich KI-getriebene Strategien wie Robo-Advisory, algorithmischer Handel und Machine-Learning-Modelle verbreitet, die sowohl Chancen als auch Herausforderungen mit sich bringen. Die zunehmende Abhängigkeit von KI für Investitionsentscheidungen hat die Bedenken bezüglich mass contagion (Massenansteckung) und Herdenmentalität verstärkt. Mass contagion bezieht sich auf schnelle Verhaltensausbreitungen in Populationen, oft aufgrund von sozialem Einfluss oder Informationskaskaden. Wenn KI-getriebene Modelle und Algorithmen Entscheidungen auf der Basis ähnlicher Daten oder Strategien treffen, könnte dies zu korrelierten Handelssignalen führen, was möglicherweise zu Marktineffizienzen und Verstärkung von Trends oder Kaskaden- und Welleneffekten (ripple effects) führen könnte. Herdenmentalität, die Tendenz, Gruppenverhalten zu folgen, kann diese Effekte weiter verschärfen. Investoren könnten KI-generierten Ratschlägen übermäßiges Vertrauen schenken, in der Annahme, dass die Mehrheit ähnliche Strategien verfolgt, was zu sich selbst verstärkenden Zyklen (Prozyklizität) führen könnte, die wiederum Markttrends verstärken (Bergt, 2023).
11. Psychologische Verzerrungen, begrenzte
Rationalität & Satisficing sowie die komplexe Welt der Finanzregulierung
Das Umfeld der Finanzregulierung ist anfällig für plötzliche Veränderungen, die
oft von öffentlichen Wahrnehmungen und Meinungen getrieben werden, die durch Phänomene verstärkt werden, die von Verhaltensökonomen als Verfügbarkeitskaskaden bezeichnet werden (Kuran & Sunstein, 1999). Diese Kaskaden entstehen, wenn bestimmte Risiken oder Bedrohungen unverhältnismäßig viel Medienaufmerksamkeit erhalten, wodurch die öffentliche Meinung beeinflusst und politischer Druck auf Regulierungsinstitutionen ausgeübt wird – um schnell, aber nicht unbedingt überlegt zu agieren (Brenner et al, 1996). Im Zuge finanzieller Notlagen kann die Konzentration auf wahrgenommenes Fehlverhalten zu überstürzten Regulierungen führen, die eher durch emotionale Reaktionen als durch evidenzbasierte Public Policy getrieben sind (Hirshleifer, 2008). Dem daraus resultierenden Flickwerk von ad-hocRegulierungen („Adhokratie„) kann es an Kohärenz fehlen, was die Gesamteffektivität in Frage stellt.
Ein faszinierendes Phänomen in der Finanzregulierung ist deren zyklische Natur. Während wirtschaftlicher Abschwünge oder Krisen lässt sich eine erkennbare Verschärfung formeller Regulierungen beobachten. Dies ist oft eine Reaktion auf die öffentliche Meinung und verstärkte Kontrollen, da negative Stimmungen Menschen skeptischer machen und sie dazu veranlassen, Maßnahmen gegen wahrgenommenes Fehlverhalten zu fordern. Jedoch gibt es in Zeiten der positiven Entwicklung oft eine Lockerung der Regulierungsstandards, manchmal bis zu einem Punkt, der riskantes Verhalten bspw von Banken ermöglicht oder Investorenrechte effektiv einschränkt. Dieses zyklische Verhalten deutet darauf hin, dass formelle Regulierung nicht nur eine Funktion objektiver Risiken ist, sondern stark von der öffentlichen Wahrnehmung und emotionalen Zuständen beeinflusst wird (Hirshleifer & Teoh, 2017).
Angesichts der dynamischen Natur der regulatorischen Stimmung ist es entscheidend, antizyklische Maßnahmen zu ergreifen, um die Rückkopplungsschleifen zu durchbrechen, die regulatorische Policy-Gestaltungskaskaden verstärken. Manchmal kann politische Trägheit als Schutzmaßnahme gegen übereilte, impulsartige Veränderungen in der Regulierung wirken (Hirshleifer & Teoh, 2017). Im Kontext der Diversifikation sollten sowohl Investoren als auch Legislatoren eine vielfältigere Haltung bevorzugen, wobei letztere erstere zu breiteren Anlageportfolios anregen (nudging), während sie sich in der Einführung neuer Regulierungen zurückhalten sollten. In Zeiten wirtschaftlicher Instabilität oder wenn Verfügbarkeitskaskaden stark sind, kann der Druck zur Einführung neuer
Regulierungen extreme Ausmaße erreichen. In solchen Umgebungen ist das Risiko, schlecht durchdachte oder kontraproduktive Regulierungen anzunehmen, hoch. Daher kann eine gemessene, träge Reaktion der verantwortlichen Policy Maker paradoxerweise eine effektivere Standardoption (default) darstellen als überstürzte, reaktive regulatorische Anpassungen.
Das Feld der Verhaltensökonomie hat Rahmenkonzepte wie „asymmetrischen Paternalismus“ und „libertären Paternalismus“ entwickelt, die darauf abzielen, Individuen zu leiten, die möglicherweise nicht in ihrem besten Interesse handeln, ohne diejenigen zu belasten, die dies tun (Camerer et al, 2003; Thaler & Sunstein, 2003). Diese Theorien haben das Konzept der „Nudges“, subtile Änderungen in der choice architecture, die das Verhalten beeinflussen, ohne Optionen einzuschränken, popularisiert (Bhargava & Loewenstein, 2015). Für eine effektive Finanzmarktregulierung ist es wesentlich, diese Erkenntnisse in das Policymaking zu integrieren und gezielte Interventionen anzubieten, die sowohl individuelle als auch systemische Verzerrungen berücksichtigen. NudgingTechniken können Anleger zu vorteilhaften Verhaltensweisen wie der Diversifikation ihres Portfolios leiten, ohne spezifische Handlungen vorzuschreiben. Legislatoren bzw Regulatoren können ebenfalls verhaltensökonomische Einsichten nutzen, um Anlageoptionen so zu framen, dass sie verantwortungsvolle Entscheidungsfindung fördern.
11.2. Psychologische Verzerrungen im Regulierungsprozess
Hirshleifer (2008) vertritt die Auffassung, dass dieselben psychologischen Verzerrungen, die Marktteilnehmer beeinflussen, auch das Handeln von Regulatoren, Politikern und Wählern prägen. Dieser als „psychologischer Attraktivitätsansatz zur Regulierung“ bezeichnete Blickwinkel unterstreicht die Notwendigkeit anzuerkennen, dass der Regulierungsprozess selbst nicht gegen systemische Verzerrungen immun ist. Wenn Verzerrungen die Finanzmärkte verfälschen können, können sie ebenso rechtspolitische Handlungen und regulatorische Entscheidungen beeinflussen.
Hier kommt auch das Konzept der begrenzten Rationalität ins Spiel, welches besagt, dass die menschliche Entscheidungsfindung durch Beschränkungen in kognitiven Ressourcen, Zeit und
Informationen eingeschränkt ist. Anstatt zu optimieren, wird auf Zufriedenstellung abgezielt, dh Individuen suchen nach Lösungen, die angesichts dieser Einschränkungen gut genug sind (satisficing). Dieses Konzept wurde von Herbert Simon (1955) eingeführt, um zu erklären, wie Menschen Entscheidungen in realen Situationen treffen, in denen vollständige Informationen und infinite Rechenfähigkeiten unerreichbar sind. Neuere Studien zeigen, dass beispielsweise Selbstüberschätzung (overconfidence) und kognitive Beschränkungen die finanzielle Entscheidungsfindung erheblich beeinflussen (Shiller, 2005, 2008). Dies steht im deutlichen Kontrast zur (widerlegten) ökonomischen Theorie des Homo oeconomicus, die annimmt, dass Individuen Zugang zu allen relevanten Informationen haben und diese perfekt verarbeiten können, um zu einer optimalen Entscheidung zu gelangen.
Für die Rechtswissenschaften ist die beschränkte Rationalität von besonderem Interesse für das Konzept der Business Judgment Rule. Die Business Judgment Rule (BJR) ist ein Rechtsgrundsatz, der Leitungsorgane und Geschäftsführer von Unternehmen vor Haftung für Entscheidungen, die zu Unternehmensverlusten oder -schäden führen, schützt, sofern die Entscheidung informiert, in gutem Glauben getroffen wurde und im besten Interesse des Unternehmens lag. Diese Regel erkennt an, dass Geschäftsentscheidungen Risiken bergen und Mitglieder der Geschäftsleitung nicht für ehrliche Fehlurteile haftbar gemacht werden sollten (mit der Idee, dem hindsight bias entgegenzuwirken, wenn ein Gericht in einem solchen Fall ein Urteil fällen muss). Durch die Brille der begrenzten Rationalität betrachtet, scheint die BJR besser mit der Entscheidungsfindung in der realen Welt übereinzustimmen. Direktoren und Geschäftsführer sind nicht allwissend; sie operieren unter den Einschränkungen von Zeit, Informationen und kognitiven Ressourcen. Die BJR dient daher als rechtliche Anerkennung, dass nicht alle Entscheidungen, die unter Unsicherheit getroffen werden, zu optimalen Ergebnissen führen, aber geschützt werden sollten, wenn sie in gutem Glauben getroffen wurden. Während die BJR jedoch Haftungsschutz für wohlmeinende Geschäftsentscheidungen bietet, könnte man jedoch hinterfragen, ob sie die inhärenten Beschränkungen der begrenzten Rationalität ausreichend berücksichtigt. Ist eine „informierte Entscheidung„ realistisch überhaupt erreichbar angesichts der kognitiven und informativen Beschränkungen, denen Entscheidungsträger gegenüberstehen? Wenn Direktoren und Vorstände Entscheidungen auf der Grundlage begrenzter Informationen und kognitiver
Kapazitäten treffen, gerät das Kriterium der „informierten“ Entscheidung der BJR ins Wanken. Geht man jedoch diesen Weg, könnte die begrenzte Rationalität potenziell ausgenutzt werden, um schlechte oder sogar fahrlässige Entscheidungen zu rechtfertigen, indem argumentiert wird, dass die Entscheidungsträger unter ihren kognitiven Einschränkungen das Beste getan haben, was jedoch ethische und rechtliche Fragen aufwerfen würde, wo die Grenze zwischen ehrlichen Fehlern und grober Fahrlässigkeit oder Fehlverhalten im Kontext der begrenzten Rationalität zu ziehen ist.
11.3. Die krisengetriebene Evolution der Finanzregulierung
Die Finanzkrise von 2008 legte deutlich die Grenzen eines deregulierten Finanzsystems offen und zwang Regulatoren dazu, Governance-Mechanismen zu überdenken (Grosse, 2012). Dies führte zur Einführung von Public Policy, die auf ein verbessertes Risikomanagement und mehr Verantwortlichkeit abzielte, allerdings die Frage aufwarf: „Wer reguliert die Regulierer?„ (Grosse, 2012). Der letztendliche Erfolg jeder regulatorischen Ideologie hängt nicht nur von ihren technischen Vorteilen ab, sondern auch davon, wie sie der Öffentlichkeit präsentiert wird (Hirshleifer & Teoh, 2017). Public Policy, die spezifische Übeltäter ins Visier nimmt oder identifizierbare Opfer schützt, erlangt oft mehr öffentliche Unterstützung als abstrakte und auf Statistiken basierende wohlfahrtsorientierte Vorschriften (Jenni & Loewenstein, 1997).
In einer Ära, in der Politik als Kampf um Aufmerksamkeit betrachtet werden kann, ist die Fähigkeit der Wähler und Marktteilnehmer, Informationen zu verarbeiten, durch kognitive Beschränkungen eingeschränkt (Hirshleifer & Teoh, 2017). In regulatorischen Vorschriften muss daher berücksichtigt werden, wie heuristische kognitive Prozesse und Aufmerksamkeitsverzerrungen die öffentliche Wahrnehmung und darauffolgende regulatorische Ergebnisse beeinflussen können (Nisbett & Ross, 1980).
11.4. Omission Bias und Diversifizierung in der Finanzregulierung
Omission Bias, eine psychologische Tendenz, Untätigkeit gegenüber Handlungen zu bevorzugen, kann sowohl im Anlageverhalten als auch in der regulativen Politik bedeutende Auswirkungen haben (Hirshleifer & Teoh, 2017). Diese Verzerrung kann sich auf zwei Arten manifestieren. Erstens könnte sie dazu
führen, dass Anleger Diversifikationsmöglichkeiten übersehen, insbesondere in neuen Bereichen wie DeFi und Kryptowerte. Zweitens kann sie Regulatoren dazu veranlassen, Diversifikation einzuschränken, indem sie Barrieren für den Eintritt in diese neuen Märkte schaffen bzw nicht abbauen, scheinbar um Anleger zu schützen (indem der Status quo vorgezogen und die Einführung neuer Vorschriften für entstehende Märkte wie Kryptowährungen und DeFi hinausgezögert wird). Folglich könnten zur Risikominderung gedachte Regulierungen unbeabsichtigt das Gesamtrisiko erhöhen, indem sie Diversifikationsmöglichkeiten begrenzen. Dies sollte in Betracht gezogen werden, wenn regulative Ansätze für Kryptowerte und DeFi diskutiert werden.
11.5. Wahrnehmung von Finanzintermediären und das Vermächtnis des „gerechten Preises„
Viele Menschen haben ein begrenztes Verständnis von dem Wert, den Finanzintermediation für die Wirtschaft bringt. Dieses mangelnde Verständnis kann zu der Wahrnehmung führen, dass Bankiers, Spekulanten und andere Vermittler grundsätzlich ausbeuterisch sind. Dies ist in der historischen Idee eines „gerechten Preises“ (iustum pretium) verwurzelt, die bis in die mittelalterliche christliche Lehre und verschiedene andere Religionen, Kulturen und Epochen auf globaler Ebene zurückreicht, einschließlich des islamischen Finanzwesens. Dieses Konzept legt nahe, dass die Fairness im Tausch den Kosten des Verkäufers entsprechen sollte, wodurch das Konzept von Zinssätzen in Frage gestellt und das moderne Verständnis von Finanzintermediation untergraben wird. Gemäß dieser Vorstellung ist der gerechte Preis für einen Anspruch auf zukünftigen Konsum gleich der aktuellen Konsumeinheit, was einem Zinssatz von null entspricht. Dieses Konzept basiert auf einer allgemeinen wirtschaftlichen Wahrnehmung oder Intuition, die das Potenzial zur effizienten Nutzung von Ressourcen, um in der Zukunft Gewinne zu erzielen, außer Acht lässt (Hirshleifer & Teoh, 2017). Andererseits berücksichtigt diese Vorstellung auch nicht das delay discounting.
12. Wandel in der Landschaft der Bankenregulierung: Vom Schutz einzelner Anleger zum Schutz systemischer Finanzstabilität
Die Bankenregulierung muss ein Gleichgewicht zwischen den dualen Zie-
len des Schutzes individueller Anleger und der systemischen Finanzstabilität wahren. Das europäische Bankenregulierungssystem setzt verschiedene prudentielle und aufsichtsrechtliche Instrumente ein, um Finanzkrisen vorzubeugen. Dazu gehören Mindesteigenkapitalanforderungen, Bail-in-Kapitalinstrumente und liquide Mittel. Diese Instrumente sind darauf ausgelegt, potenzielle Risiken für Kreditgeber oder das System als Ganzes zu internalisieren.
Jüngste Rechtsprechung in Österreich, im Einklang mit unionsrechtlichen Entscheidungen, deuten auf einen merklichen Wandel in der Bankenregulierung hin. Der Fokus hat sich vom Schutz einzelner Investoren auf die Gewährleistung kollektiver Stabilität des Finanzmarktes verschoben. Aus diesem rechtlichen Rahmenwerk ergeben sich mehrere Schlüsselprinzipien:
• Das vorrangige Ziel der Bankenaufsicht besteht darin, die Funktionsfähigkeit des Banken- und Finanzmarktes zu sichern. Dies dient als Eckstein für das Erreichen anderer Ziele wie Investorenschutz und finanzielle Stabilität. Im Gegensatz zu frühen Urteilen des Europäischen Gerichtshofs vertraten anfängliche österreichische Entscheidungen die Auffassung, dass der einzelne Einleger, der einen Schaden erlitten hat, unter bestimmten Voraussetzungen auch Anspruch auf Schadensersatz aus Amtshaftungsrecht hat, was nach europäischen Maßstäben ein erhebliches Haftungsrisiko für den öffentlichen Sektor bedeuten würde (ECL I:AT:OGH0002:2006:0010OB00142. 06Y.1017.000; ECLI:AT:OGH0002: 2007:0010OB00269.06Z.0327.000; ECLI:EU:C:2004:606).
• Die Argumentationslinie und damit die Entscheidungen haben sich geändert. Während einzelne Gläubiger wichtig sind, ist ihr Schutz nicht das primäre Ziel der Bankenaufsicht. Eine Begrenzung der staatlichen Haftung für Schäden ist notwendig, um moral hazard zu mitigieren (ECL I:AT:OGH0002:2022:0010OB00091. 22X.0714.000 oder OGH 1Ob91/22x).
• Die Haftung von Aufsichtsbehörden oder Staaten für Schäden, die aus unzureichender Aufsicht resultieren, ist eingeschränkt. Einzelne Gläubiger haben möglicherweise keinen Anspruch auf Schadensersatz, der sich aus Aufsichtsversäumnissen ergibt (ECLI:EU:C:2021:249).
Der Fall der Commerzialbank Mattersburg in Österreich und der WirecardSkandal haben die Debatten um den Zweck der Bankenaufsicht wieder ent-
facht. Stern (2021) argumentiert, dass das Hauptziel nicht der Schutz einzelner Gläubiger sei. Stattdessen dient es der Sicherstellung der Stabilität des Finanzsystems, was eine Begrenzung der staatlichen Haftung zur Minderung des moral hazard mit sich bringt.
Die Fälle und Urteile unterstreichen eine bedeutende Verschiebung in der Bankenregulierung: eine Bewegung weg vom Schutz einzelner Investoren hin zu einem breiteren Fokus auf systemische Finanzstabilität. Diese Verschiebung zeigt sich auch in der begrenzten Haftung des Staates und der Aufsichtsorgane für individuelle Anlegerverluste, die durch Einlagensicherungssysteme bis zu einem Betrag von € 100.000 als ausreichend abgedeckt angesehen werden. Der Schwerpunkt liegt auf der Aufrechterhaltung der allgemeinen Stabilität der gesamten Finanzmärkte.
Das Aufkommen von Decentralized Finance (DeFi) stellt einen transformativen Moment für die Finanzlandschaft dar und bietet beispiellose Möglichkeiten für Effizienz, Transparenz und Zugänglichkeit. Jedoch stehen diesen Vorteilen neue Risikokategorien wie Schwachstellen in Smart Contracts und Probleme der Betriebssicherheit gegenüber.
Zukünftige Forschung in diesem komplexen und sich schnell entwickelnden Bereich sollte ein umfassendes, interdisziplinäres Verständnis von DeFi anstreben. Dies umfasst nicht nur seine technischen Aspekte, sondern auch die Verhaltensdimensionen, Vertrauensmechanismen und Interaktionen mit sich entwickelnden Finanzparadigmen wie digitale Zentralbankwährungen und die Tokenisierung traditioneller Vermögenswerte nebst rechtlichen Aspekten. Solche Forschung erfordert eine Zusammenarbeit über die Grenzen der Disziplinen hinweg, unter Einbeziehung von Erkenntnissen aus Wirtschaft, Recht, Technologie und sogar Verhaltenswissenschaften, um ein nuanciertes Verständnis von DeFi und seinen Implikationen für die regulatorische Public Policy zu entwickeln.
Angesichts der Geschwindigkeit, mit der sich die Finanzmärkte entwickeln, insbesondere mit dem Aufkommen von DeFi, müssen legislative Entscheidungsträger ihre regulatorischen Rahmenbedingungen dynamisch, evidenzbasiert und datengetrieben anpassen. Dies beinhaltet nicht nur die Anwendung neuer Technologien für Monitoring und Durchsetzung, sondern auch einen konzeptionellen Wandel in der Herangehensweise an die Re-
gulierung, unter Berücksichtigung von verhaltenswissenschaftlichen Einsichten und potenziellen Verzerrungen in legislativen Kontexten.
Bei der Beantwortung der Frage, wie man Finanzmärkte im Zeitalter von DeFi sinnvoll regulieren kann, ist die Antwort sowohl einfach als auch kontraintuitiv: Regulierung muss bei den Peers ansetzen. In einem dezentralisierten System, in dem traditionelle Dienstleister bzw Intermediäre eine verringerte Rolle spielen, können Peers – oder einzelne Teilnehmer – Funktionen übernehmen, die denen traditioneller Finanzbetreiber ähneln. Daher könnten diese Peers sich je nach den von ihnen erbrachten Dienstleistungen Finanzmarktregulierungen, Handelsrecht, Steuerrecht und anderen anwendbaren Gesetzen unterworfen sehen, ähnlich wie Plattformbetreiber und deren Verpflichtungen.
Gemäss Richtlinie (EU) 2021/514 (Directive on Administrative Cooperation; DAC7) im Bereich der Besteuerung wird eine persönliche Dienstleistung definiert als „eine Dienstleistung, die eine zeitoder aufgabenbezogene Arbeit beinhaltet, die von einer oder mehreren Personen, die entweder unabhängig oder im Namen eines Unternehmens handeln, erbracht wird, und die auf Anfrage eines Nutzers entweder online oder physisch offline durchgeführt wird, nachdem sie über eine Plattform vermittelt wurde“. Selbiges muss auch für blockchainbasierte Plattformen gelten und ist hier das Steuerrecht bereits weiter als das Aufsichtsrecht. Im Rahmen von blockchainbasierten Geschäftsmodellen wird die Rückgewinnung der Eigenverantwortung und das Empowerment propagiert – dies setzt eben auch persönliche Verantwortung und Rechenschaftspflicht voraus und knüpfen Regularien damit an den einzelnen Peers als Dienstleister an. ◆
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Ewald Judt / Claudia Klausegger
Emotionen regieren die Welt und beeinflussen alle Aspekte unseres täglichen Lebens. Im beruflichen Kontext herrscht aber oft (noch) die Vorstellung, dass Menschen rationale, kopfgesteuerte und bewusst entscheidende Wesen sind. Emotionen und Intuitionen werden unterdrückt, als irrational oder nicht berechenbar eingestuft. Emotionen spielen jedoch beruflich, wie privat eine entscheidende Rolle und sollten daher auch in Unternehmen im Sinne einer humanistischen und ganzheitlichen Kultur berücksichtigt werden. Dieser Sichtweise folgend hat sich in den letzten Jahren verstärkt der Ansatz des Emotional Leadership entwickelt, bei dem ein Verständnis für die Gefühle und der kontrollierte und reflektierte Umgang die Basis bilden.
In der Organisationsentwicklung hat sich gezeigt, dass der richtige Umgang mit Emotionen ein elementarer Faktor für Motivation, Effizienz und Erfolg darstellt. Gerade in Krisensituationen, wie z.B. die COVID-19 Pandemie, kommt es im besonderen Maße auf die emotionale Intelligenz der Führungskräfte an, um positive Akzente zu setzen und die Motivation und Leistungen der Mitarbeiter zu fördern. Dabei ist es wichtig, sowohl die eigenen Emotionen zu beachten, als auch die emotionale Befindlichkeit des Mitarbeiters zu berücksichtigen.
Veränderungsprozesse in Unternehmen sind immer mit persönlichen Veränderungen des Einzelnen und ganzer Teams verbunden und stark von Emotionen geprägt. Emotional Leadership umfasst eine individuelle und wertschätzende Führung, die die Stärken jedes Mitarbeiters in den Vordergrund stellt, um starke Teams aufzubauen. Die Herausforderung für die Führungskraft liegt dabei darin, die Emotionen zu erkennen und zu verstehen, was dahintersteckt, um v.a. bei abwehrenden Verhaltensmustern wie z.B. ignorieren, verdrängen, bis hin zu offenem oder verdecktem Widerstand, frühzeitig gegensteuern zu können.
Beim Emotional Leadership werden die Intuition und die Emotionen ganz bewusst in die Führungsarbeit einbezogen. Um Teams zu Spitzenleistungen zu motivieren, spielen neben Motivationsfaktoren wie Einkommen und materiellen Incentives, der Führungsprozess und die Vorbildfunktion eine immer größere Rolle. Führungskräfte sollten nach dem Motto „walk the talk“ das, was sie von ihren Mitarbeitern verlangen, auch selbst vorleben.
Auch Neurowissenschaftler betonen, wie wichtig die Verbindung menschlicher Vernunft mit Gefühlsbotschaften bei Entscheidungsprozessen ist. Die CoronaKrise hat bei manchen Mitarbeitern zu emotionalen Stimmungs-Tiefs geführt, was sich negativ auf die Leistungsfähigkeit auswirken kann. Emotional Leadership bedeutet in einer gemeinsamen Analyse die Ursachen zu erkennen und gemeinsam Ideen zu entwickeln, um den Mitarbeiter aus seinem Demotivationsloch zu holen. Der emotionale Zustand eines Menschen und die Atmosphäre in einem Unternehmen bzw. einer Abteilung üben einen entscheidenden Einfluss auf die Leistung aus.
Ein wichtiger Erfolgsfaktor beim Emotional Leadership ist die Entwicklung eines emotionalen Zugehörigkeitsgefühls, damit sich alle Mitarbeiter zu einem großen Ganzen zugehörig fühlen. Je höher die emotionale Bindung zu einem Unternehmen oder einer Gruppe, desto engagierter setzen sich Mitarbeiter für das Unternehmen und ihre Gruppe ein, desto loyaler werden sie sich verhalten und desto produktiver sind sie. Klar kommunizierte und gelebte Leitbilder können als Orientierung und Vision eine wichtige Rolle spielen.
regelmäßig die Erfahrung macht, von seinem Vorgesetzten ernstgenommen und respektiert zu werden, baut im täglichen Umgang Vertrauen auf.
Beim Emotional Leadership soll die persönliche Beziehung zu den Mitarbeitern gesucht werden. Entscheidend dabei ist, dass ein ehrliches Interesse an der Arbeit des Mitarbeiters und seiner persönlichen Entwicklung gezeigt wird, was sich z.B. durch wertschätzende Fragen ausdrücken kann, durch die die Führungskraft zeigt, dass sie sich für den Menschen im Mitarbeiter interessiert. Wichtig für den Aufbau eines persönlichen Vertrauensverhältnisses ist das Bewusstsein, dass jeder Mitarbeiter auch ein Privatleben führt.
Beim Emotional Leadership werden auch die Zielvereinbarungen mit emotionalen Aspekten verknüpft und es wird versucht, ehrliche Zustimmung zu den getroffenen Vereinbarungen zu erhalten. Wenn es gelingt, dass Mitarbeiter eine vereinbarte Zielerreichung als persönliche Herausforderung sehen, fällt das zielorientierte Handeln deutlich leichter.
Handeln Führungskräfte nach den Prinzipien des emotionalen Führungsmanagements, kann die emotionale Bindung der Mitarbeiter an Unternehmen und Abteilungen signifikant erhöht werden. Da es vielen Führungskräften jedoch schwerfällt, über Gefühle zu reden bzw. sie zu managen, finden sie oftmals wenig emotionalen Zugang zu ihren Mitarbeitern, weshalb die Führungskräfteausund -weiterbildung verstärkt in Richtung Emotional Leadership weiterentwickelt werden sollte.
Aktualisierte Fassung des Bankmanagement-Glossars in „bank und markt“ 1/2022, Fritz Knapp Verlag, Frankfurt/Main
Eine weitere zentrale Komponente von Emotional Leadership ist der Aufbau einer Vertrauenskultur. Dazu zählen das Einhalten von Vereinbarungen und eine offene Informations- und Kommunikationskultur, in der Lob und Anerkennung eine bestimmende Rolle spielen. Auch unangenehme Entwicklungen sollten transparent kommuniziert werden. Führungskräfte können durch Respekt, Wertschätzung und Achtung im täglichen Umgang mit ihren Mitarbeitern zur emotionalen Bindung beitragen. Wer
Ein Zitat von Dr. Hans-Georg Häusel, internationaler Experte in der Marketing-, Verkaufs- und Management-Hirn-
Dr. Ewald Judt ist Honorarprofessor der Wirtschaftsuniversität Wien; e-mail: ewald.judt@wu.ac.at
Dr. Claudia Klausegger ist Assistenzprofessorin am Institut für MarketingManagement der Wirtschaftsuniversität Wien; e-mail: claudia.klausegger@wu.ac.at
forschung und Vordenker des Neuromarketings, lässt sich auf Emotional Leadership übertragen: „Alles, was keine Emotionen auslöst, ist für unser Gehirn wertlos.“ Emotional Leadership bedeutet
neben Zahlen, Daten, Fakten, auch die Emotionen einzubinden, jeden Mitarbeiter in seiner eigenen Gefühlslage abzuholen, ehrliches Interesse und Verständnis zu zeigen und ihm die Gefühle zu
vermitteln, die er in diesem Augenblick braucht. Experten sind sich einig: New Work braucht mehr als Zahlen, Daten und Fakten!
Prof. Wolfgang Aussenegg und Prof. Thomas Dangl, Institute of Management Science, Bereich Finanzwirtschaft und Controlling Vienna University of Technology invite you to the
39th WORKSHOP of the
AUSTRIAN WORKING GROUP ON BANKING & FINANCE
September 13 and 14, 2024
The Workshop will be held in cooperation with the Austrian Society for Bank Research (BWG), Vienna
The Workshop will take place on Friday, September 13, 2024 (afternoon) and on Saturday, September 14, 2024 (morning) at the Vienna University of Technology (on site as scheduled)
Please submit your paper (in PDF format) no later than June 15, 2024, via email to: AWG2024@tuwien.ac.at
Papers will be selected by a program committee coordinated by Wolfgang Aussenegg and Thomas Dangl. Paper selection will be finalized by August 1, 2024
The registration deadline is August 15, 2024. Please register via e-mail to AWG2024@tuwien.ac.at
AUSTRIAN WORKING GROUP ON BANKING AND FINANCE (AWG)
Goal: Creation of an Austria-wide discussion forum for theoretical and empirical research in the field of banking and finance. Promotion of cooperation within universities and cooperation with practice.
Participants: The workshop is aimed at young scientists at all universities and related research institutions as well as practitioners in credit institutions, insurance companies and the finance departments of companies.
Focal points Asset Pricing – Banking – Behavioral Economics – Central Banking and Regulation –Corporate Finance and Governance – Derivatives – Empirical Finance – Experimental Finance – Financial Econometrics – Financial Economics – Financial Intermediation and Institutions – Financial Innovations – Household Finance – International Finance – Market Microstructure – Performance Measurement – Portfolio Analysis – Real Estate Finance – Risk Management
Participation in the workshop is FREE
Zivilrechtliche und strafrechtliche Entscheidungen
Bearbeitet von RA Dr. Markus Kellner unter Mitarbeit von Dr. Fabian Liebel LL.M. (WU Wien)
OGH-Entscheidungen 2969.
https://doi.org/10.47782/oeba202401004701
§ 879 ABGB; §§ 1, 4 BspG; § 18 HIKrG; §§ 6, 28, 29 KSchG; §§ 4, 14 VKrG. Klauselentscheidung zu Bausparbedingungen: Kündigungsrecht; Kontoführungsentgelt; Zustimmungsfiktion. OGH 17. 10. 2023, 4 Ob 74/22v
Aus den Entscheidungsgründen:
[1] Die Kl ist eine gem § 29 Abs 1 KSchG zur Unterlassungsklage berechtigte Körperschaft öffentlichen Rechts. Die Bekl ist eine Bausparkasse.
[2] Im Juli 2020 versandte die Bekl Kündigungsschreiben an rd 1.700 Bausparer, die die Anwartschaft auf ein Bauspardarlehen (sog Zuteilungsreife) erfüllt und dieses seit über zehn Jahren nicht in Anspruch genommen hatten. Diese lauteten:
„[…] Vielen Dank, dass Sie am XX.XX.200X einen Bausparvertrag abgeschlossen haben.
Unser Bauspargeschäft besteht nach dem Auftrag des Bau sparkassenge setzes darin, Einlagen von Bau sparern (‚Bauspareinlagen‘) entgegenzunehmen und aus den angesammelten Beträgen den Bausparern für wohnungswirtschaftliche Maßnahmen und für Maßnahmen der Bildung und Pflege Gelddarlehen (‚Bauspardarlehen‘) zu gewähren. Als Bausparer/in haben Sie nach Leistung von Bauspareinlagen bei Erfüllung der Voraussetzungen das Recht, ein Bauspardarlehen abzurufen.
Sie haben von der Ihnen freistehenden Möglichkeit, ein Bauspardarlehen abzurufen, seit mehr als 10 Jahren keinen Gebrauch gemacht.
Ihre täglich zur Verfügung stehende Bauspareinlage beträgt rd € XXX und weist eine jährliche Verzinsung von X% auf. Dieser Zinssatz liegt seit mehreren Jahren weit über dem marktüblichen Niveau, welches von einer nachhaltigen und extremen Niedrigzinsphase geprägt ist. Um die Stabilität unseres Bauspargeschäfts weiterhin sicherzustellen, ist es mit Rücksicht auf diese Zinssatzentwicklung erforderlich, dass wir Ihren Bausparvertrag per 30.9.2020 kündigen.
Sie haben aber vor dem Kündigungstermin noch die Möglichkeit, sich aus Ihrem Bausparvertrag ein Bauspardarlehen iHv bis zu € 220.000 (= Darlehensanspruch per 30.6.2020 bei einer Darlehenslaufzeit von 25 Jahren) zuteilen zu lassen. Wenn Sie sich dafür entscheiden, beantragen Sie bitte rechtzeitig die Zuteilung samt der Auszahlung des gesamten Sparguthabens. Dieser Antrag muss bis spätestens 25.9.2020 einlangen. […]
Falls Sie keinen Bedarf an einem Bauspardarlehen haben und daher keine Zuteilung beantragen, werden wir Ihr Bausparguthaben samt Zinsen am 1.10.2020 an Sie überweisen. […]“
[3] Sollte das Zinsniveau am Kapitalmarkt nicht steigen, ist nicht ausgeschlossen, dass die Bekl die Bausparverträge, aus denen eine Anwartschaft auf ein Darlehen besteht und die eine Verzinsung von 0,5% auf das Kapital vertraglich zugesagt haben, ebenso kündigt. [...]
[6] Das ErstG untersagte die Geschäftspraktik sowie die Klauseln 1, 3, 5 ,7, 8 und 10. Hinsichtlich der Klauseln 2, 4, 6 und 9 wies es das Klagebegehren ab.
[7] Das BerG gab der gegen den klagsabweisenden Teil erhobenen Berufung der Kl tw Folge und verbot auch die Klauseln 2, 4 und 9. Ergebnis des Berufungsverfahrens ist also, dass die Geschäftspraktik sowie alle Klauseln außer Klausel 6 untersagt wurden. [...]
[10] Beide Revisionen sind zulässig, jene der Kl jedoch nicht berechtigt, jene der Bekl dagegen tw berechtigt
I. Zum Kündigungsschreiben als unzulässige Geschäftspraktik
1. Bisheriges Verfahren
[11] 1.1. Die Kl will der Bekl verbieten, im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern, gegenüber Bausparkunden im
Rahmen aufrechter Bausparverträge ein Recht zur Kündigung der Bausparverträge vor der Zuteilung eines Bauspardarlehens zu behaupten, das ihr vertraglich nicht zusteht, und das Vertragsverhältnis für den Fall aufzukündigen, dass der Kunde nicht innerhalb einer von der beklP gesetzten Frist einen Antrag auf Zuteilung des Bauspardarlehens stellt. Sie meint, dass sich die Bekl auf ein nicht bestehendes Kündigungsrecht berufe, also gesetzwidrig vorgehe und dadurch die allgemeinen Interessen der Verbraucher beeinträchtige. Die Bekl hätte ein ihr zustehendes Recht zur ordentlichen Kündigung gem § 4 Abs 1 Z 6 BSpG in ihren ABB ausweisen und die Rechtsfolgen darlegen müssen.
[12] 1.2. Die Bekl wandte ein, dass der Bausparvertrag „seinem Wesen nach“ auf die Verschaffung eines zinsgünstigen Darlehens und nicht primär auf eine dauerhafte Geldanlage gerichtet sei. Ihre Bausparverträge seien unbefristete Verträge, bei denen sie konkludent auf eine Kündigung in den ersten sechs Jahren verzichte. Wenn die Mehrheit der Bausparer bei Zuteilungsreife kein Bauspardarlehen in Anspruch nehme, sondern stattdessen das angesparte Kapital weiterhin zu teils marktunüblich hohen Zinsen bei der Bekl veranlagt lasse, stehe der Bekl keine Einnahmequelle für die Finanzierung der Habenzinsen zur Verfügung, was ihre Funktionsfähigkeit als Bausparkasse gefährde.
[13] 1.3. Das ErstG untersagte die Kündigungsschreiben als unlautere Geschäftspraktik. Die Bekl habe sich bei Abschluss des kombinierten Spar und Kreditvertrags kein ordentliches Kündigungsrecht ausbedungen. Es liege auch kein Fall einer außerordentlichen Kündigung vor.
[14] 1.4. Das BerG bestätigte diese E. Der Bausparer habe gem § 1 Abs 2 BSpG einen Rechtsanspruch auf Gewährung eines Bauspardarlehens. Deshalb sei der Bausparvertrag, unabhängig davon, ob der Bausparer nur anspare oder das Bauspardarlehen in Anspruch nehme, ein Verbraucherkreditvertrag iSd § 28a Abs 1 KSchG. Nach Art 3 lit c VKrRL genüge es nämlich, wenn ein Kreditgeber einem Verbraucher einen Kredit in Form eines Zahlungsaufschubs, eines Darlehens oder einer sonstigen ähnlichen Finanzierungshilfe „gewährt oder zu gewähren verspricht“. Nach § 14 Abs 1 VKrG könne der Kreditgeber einen auf unbestimmte Zeit geschlossenen Verbraucherkreditvertrag abweichend von § 986 Abs 2 ABGB (für unbefristete Darlehen) nur kündigen, wenn dieses Recht mit dem Verbraucher vereinbart worden sei.
[15] 1.5. Die Revision der Bekl argumentiert, dass die Kl mangels Bezug zu einem Verbraucherkredit nicht klageberechtigt und ihr iÜ sowohl ein ordentliches als auch außerordentliches Kündigungsrecht zukomme.
[16] Die Revision ist iSd Aufhebungsantrags berechtigt.
2. Zur Aktivlegitimation der Kl
[17] 2.1. Die Bekl bestreitet die Klagebefugnis der Kl. Sie argumentiert, dass Bausparverträge in der Anspar und Zuteilungsphase (noch) keine Verbraucherkreditverträge iSd § 28a KSchG seien, weil die Bausparer bloße Anwartschaften auf den Abschluss eines Kreditvertrags hätten.
[18] 2.2. Darauf kommt es bei der Beurteilung der Aktivlegitimation aber nicht an. Die Klagebefugnis ist nach § 28a Abs 1 KSchG bereits gegeben, wenn die Bekl iZm einem Verbrauchervertrag Informationspflichten verletzt oder gegen ein gesetzliches Ge oder Verbot verstößt.
[19] Die Mat zur Einführung von § 28a Abs 1 KSchG (damals noch ohne Verbraucherkredite) verweisen darauf, dass damit die UnterlassungsklagenRL umgesetzt wird und Lücken im Handlungsrahmen der Verbraucherschutzorganisationen geschlossen werden sollen (RV 1998 BlgNR 20. GP 19). Es ist daher davon auszugehen, dass ein bereits erfolgter Abschluss eines Verbrauchervertrags nicht erforderlich ist, sondern etwa auch bei der Anbahnung von Verbrauchergeschäften gesetzte Verstöße Gegenstand einer Verbandsklage sein können.
[20] 2.3. Das Schreiben der Bekl setzt den Adressaten eine Frist, um Bauspardarlehen bei der Bekl in Anspruch zu nehmen. Nicht einmal die Bekl bestreitet, dass Bauspardarlehen (spätestens) nach Zuteilung durch die Bekl und ihrem Abruf durch die Bausparer Verbraucherkredite sein können. Der für die Aktivlegitimation der Kl erforderliche bloße Zshg des Schreibens mit Verbraucherkrediten iSd § 28a KSchG liegt also jedenfalls vor.
[21] 2.4. Die Kl ist daher aktivlegitimiert, gegen die beanstandete Geschäftspraxis vorzugehen.
3. Zum Verstoß gegen gesetzliche Geund Verbote
[22] 3.1. Die Bekl argumentiert, dass sie gegen kein gesetzliches Ge oder Verbot
verstoße, weil sie sich in ihrem Schreiben nicht auf eine rechtliche Grundlage für ihre Kündigungen berufe.
[23] 3.2. Zweck der Verbandsklage nach § 28a KSchG ist, Verhaltensweisen zu unterbinden, die im Widerspruch zum geltenden innerstaatlichen Recht stehen (10 Ob 13/17k1) [Pkt I.4.1] mwN).
[24] Nach stRsp des OGH liegt eine über Unterlassungsklage nach § 28a KSchG zu verbietende Geschäftspraxis vor, wenn erstens bei objektiver Beurteilung das anzuwendende Recht das vom Unternehmer gewünschte Ergebnis nicht trägt („Untauglichkeit des Rechtsgrundes“). Zweitens muss der Unternehmer die objektiv untaugliche Rechtsgrundlage aktiv gegenüber den Verbrauchern vertreten, und diesen gegenüber somit den objektiv falschen Eindruck erwecken, sein Verhalten entspreche der Rechtsvorschrift (8 Ob 37/20d 2) [Pkt I.3]).
[25] Darüber hinaus wird auch vertreten, dass die Berufung einer Vertragspartei auf die ihrer Ansicht nach „richtige Auslegung“ nicht schon dann verpönt sei, wenn die Auslegung unrichtig ist; vielmehr müsse der kommunizierte und objektiv untaugliche Rechtsgrund „vorgeschoben“, somit unvertretbar sein (Kietaibl, ÖBA 2014, 686; Palma, ZFR 2015/79, 164).
[26] 3.3. Zwar ist, wie die Bekl aufzeigt, eine bloße Verletzung der Vertragstreue dafür nicht ausreichend, weil es sich um kein gesetzliches Ge oder Verbot, sondern ein Rechtsprinzip handelt (10 Ob 13/17k [Pkt I.4]). Es genügt jedoch, wenn der Unternehmer die Verbraucher durch Vorschiebung nicht tauglicher Rechtsgründe zu einem bestimmten Verhalten veranlasst (RS0129713; 6 Ob 228/16x3) [Pkt 2.1] – hier zur Zahlung von Aufwandersatzansprüchen ohne vertragliche oder gesetzliche Grundlage). Nach dieser E begründet also schon die systematische Ankündigung eines künftigen Verhaltens, das keine vertragliche oder gesetzliche Grundlage hat, einen ausreichend bestimmten Gesetzesverstoß (6 Ob 228/16x [Pkt 2.1]).
[27] Die Kl behauptet, dass die Bekl sich gegenüber Verbrauchern auf ein ihr weder nach Gesetz noch Vertrag zustehendes Kündigungsrecht berufe. Sie macht damit einen – hinreichend dargelegten – Eingriff in die Rechtssphäre der Bausparer iSd § 1 Abs 2 BSpG geltend. Die Voraussetzungen für eine (inhaltliche) Prüfung dieser Behauptungen im Verbandsprozess sind daher gegeben (8 Ob 101/16k [Pkt 1.3.]).
4. Zum Bestehen eines Kündigungsrechts
[28] 4.1. Gem § 1 Abs 2 BSpG erwirbt der Bausparer nach Leistung von Bauspareinlagen einen Rechtsanspruch auf Gewährung eines Bauspardarlehens. Darüber hinaus ist der Inhalt eines Bausparvertrags nicht gesetzlich festgelegt, sondern bestimmt sich idR nach den allgemeinen Spar und Darlehensbedingungen der Bausparkasse (RS0010931).
[29] Üblicherweise kann der Bausparer nach Leistung bestimmter Ansparbeträge in die Zuteilungsmasse der Bausparkasse (Mindestsparbetrag) und Ablauf einer vereinbarten Mindestsparzeit sich sein Sparguthaben auszahlen lassen und zusätzlich ein Darlehen aufnehmen; beide Beträge zusammen ergeben die sog Vertragssumme, deren Zuteilung unter Beachtung einer bestimmten Zuteilungsreihenfolge auf Antrag des Bausparers erfolgt. Das langfristig unkündbare Tilgungsdarlehen kann dabei aber nur für bestimmte Zwecke in Anspruch genommen werden und ist mit einem begünstigten Zinssatz versehen (6 Ob 599/94).
[30] 4.2. Selbst unter Zugrundelegung dieser Charakteristika verbleibt eine große Bandbreite an verschiedenen konkreten Vertragsgestaltungen:
[31] Im vorliegenden Kontext von besonderem Interesse ist die Frage, welche Rechtsfolgen es hat, wenn der Bausparer trotz Zuteilungsreife keine Zuteilung eines Bauspardarlehens beantragt. Denkbar ist, dass der Vertrag einfach wie gehabt fortgesetzt wird (Oiwoh, Kündigung von Bausparverträgen [2016] 21 unter Verweis auf die dt MusterABB). Alternativ könnte das Bausparverhältnis automatisch enden und dem Bausparer sein Bausparguthaben ohne Verzinsung zur Entgegennahme bereitgestellt werden (Oiwoh aaO 27 unter Verweis auf die ABB Raiffeisen). Auch Zwischenlösungen sind denkbar, etwa dass das Bausparverhältnis erst endet, wenn die Sparleistung die Vertragssumme erreicht hat, sodass die Gewährung eines Bauspardarlehens – als Differenz zwischen Vertragssumme und Sparleistung – nicht mehr in Frage kommt (Zöchling Jud in Leupold, Forum VerbraucherR [2016] 42) oder ein überspartes Guthaben nicht oder zumindest nicht mit dem attraktiven Bausparzinssatz verzinst wird (Zöchling Jud aaO 46).
1) ÖBA 2017, 338. 2) ÖBA 2021, 486 mit Anm von Koch. 3) ÖBA 2018, 60.
[32] Aber nicht nur das weitere Schicksal der Bauspareinlagen ist im Gesetz nicht geregelt. Aus dem Gesetzestext selbst lässt sich auch nicht ablesen, auf welche Weise der Rechtsanspruch des Bausparers auf Gewährung eines Darlehens einzuräumen ist. Auch diese Frage ist daher in dem von zwingendem Recht gesteckten Rahmen durch Parteienvereinbarung, etwa in ABB, zu regeln (6 Ob 599/94 [Pkt d]).
[33] Denkbar sind etwa eine Ausgestaltung als Vorvertrag (Oiwoh, Kündigung 14 unter Verweis auf die dt hL; Kronenburg in Derleder/Knops/Bamberger, HB Bank und KapitalmarktR³ § 20 Rn 4; aA für die österr Rechtslage: Oppitz in Oppitz/Chini, BWG2 § 1 Rn 45), als Option (Schnauder, WM 2022, 654), als Gestaltungsrecht zum einseitigen Abruf zu schon konkret festgelegten Bedingungen (3 Ob 75/934) zum Krediteröffnungsvertrag); als aufschiebend bedingter Rechtsanspruch in Form eines Anwartschaftsrechts (Oppitz in Oppitz/Chini, BWG2 § 1 Rn 45). Der Vertrag könnte etwa auch vorsehen, dass Bausparer, die nicht in der Lage sind, das zugeteilte Darlehen innerhalb angemessener Frist zu verwenden, Priorität bei folgenden Ausschüttungen von Zuteilungen erhalten und/oder nach einer gewissen Zeit auf eine neue Zuteilung warten müssen (so bereits Odelga, ÖBA 1966, 97).
[34] Von der konkreten Ausgestaltung des Rechtsanspruchs auf Gewährung eines Darlehens hängt auch die Lösung ab, ob dieser – abhängig oder unabhängig von der Fortsetzung des Bausparverhältnisses – zeitlich begrenzt ist oder zumindest gekündigt werden kann (jüngst 4 Ob 217/21x5) [verstSen] zur hohen Beständigkeit der unbefristeten Option sogar gegen den Einwand der laesio enormis).
[35] Im Rahmen der privatautonomen Gestaltung darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass genau dieser Rechtsanspruch des Verbrauchers auf das Bauspardarlehen den gesetzlich vorgegebenen Vertragszweck darstellt (RV 1130 BlgNR 18. GP 163; so auch Zöchling Jud, ÖBA 2016, 673) und daher nicht zugunsten der Interessen der Bausparkasse auf eine faktisch nicht nutzbare Scheinmöglichkeit abgewertet werden darf.
[36] 4.3. Die Kl meint, dass der Bekl kein ordentliches Kündigungsrecht zukomme, weil ein solches gem § 4 Abs 1 Z 6 BSpG in den ABB vereinbart werden hätte müssen. Außerdem bestehe auch nach dispositivem Recht kein ordentliches Kündigungsrecht, weil aufgrund des Vertragszwecks und eines natür
lichen Konsenses ein Kündigungsverzicht der Bekl vereinbart sei. Schließlich sei der Bausparvertrag als Verbraucherkreditvertrag anzusehen, sodass dem Kreditgeber nach § 14 Abs 1 VKrG ohne entsprechende Vereinbarung kein ordentliches Kündigungsrecht zustehe. Auch ein Recht zur außerordentlichen Kündigung habe die Bekl nicht, weil Schwankungen im Zinsniveau kein unvorhersehbarer Umstand seien.
[37] Die Bekl argumentiert dagegen, dass bei Abschluss eines Bausparvertrags kein Darlehen gewährt, weder Kredit noch Krediteröffnungsvertrag oder auch nur ein Vorvertrag geschlossen worden sei. Vielmehr behalte sich die Bekl vor, nach Erreichung der Zuteilungsreife die Bonität des Bausparers zu prüfen und Kredithöhe, Zinssatz und erforderliche Sicherheiten zu bestimmen. Der Bausparer habe deshalb weder eine Option noch ein einseitiges Gestaltungsrecht auf Abruf eines Darlehens, sondern nur ein Anwartschaftsrecht, das wie alle Rechte durch Nichtausübung verloren gehen könne. § 14 Abs 1 VKrG sei auf die Bausparverträge nicht anwendbar, weil Bauspardarlehen als idR hypothekarisch besicherte Kredite nach § 4 Abs 2 Z 6 VKrG vom Anwendungsbereich dieses Gesetzes ausgenommen seien. Selbst das VKrG fordere aber ohnehin nicht, dass auch Kündigungsgründe nach dispositivem Recht in den ABB wiedergegeben werden müssten. Für Verträge ab 2016 gelte außerdem § 18 Abs 1 HIKrG als lex specialis, der gar keine schriftliche Vereinbarung von Kündigungsgründen verlange. Die Kunden könnten außerdem nach der Kündigung mit dem ausbezahlten Bausparguthaben neue Bausparverträge abschließen und so ohnehin nach nur wenigen Jahren wieder ein Bauspardarlehen erlangen.
[38] 4.4. Beide Parteien beziehen sich in ihrer Argumentation damit auf die konkrete Vertragsgestaltung der gekündigten Verträge, zT unter Zitierung von Bestimmungen aus den ABB.
[39] Im vorliegenden Fall liegen zwar verschiedene Fassungen der ABB der Bekl aus den Jahren 1994 bis 2016 vor, die von der Bekl auch als echt und richtig zugestanden wurden. Es fehlen jedoch sowohl Vorbringen als auch Feststellungen, ob und ggf welche Version(en) der vorgelegten ABB den gekündigten Verträgen zugrunde lagen und welche Rechte und Pflichten allenfalls auf andere Weise (zB in Vertragsformblättern für den Vertragsabschluss) vereinbart wurden. Die vorliegenden ABB aus 2010 und 2016 scheinen außerdem nicht einschlägig zu sein, weil ja im Jahr 2020 nur Verträge gekündigt wurden, in denen
die Bauspardarlehen über zehn Jahre lang nicht abgerufen wurden.
[40] Ohne den konkreten Vertragsinhalt zu kennen, kann aber nicht beantwortet werden, ob und unter welchen Bedingungen die Bekl die Bausparverträge der angeschriebenen Kunden kündigen durfte (Vels, WM 2018, 556).
[41] Das ErstG wird daher im fortgesetzten Verfahren die Kl aufzufordern haben, konkretes Vorbringen zu den relevanten Vertragsinhalten zu erstatten, und nach Schlüssigstellung des Klagebegehrens dazu Beweise aufzunehmen und Feststellungen zu treffen haben.
II. Zu den Klauseln aus den ABB 2020
[46] 2. Klauseln 1 und 2 (§ 8 Abs 3 Satz 1 und 2 der ABB):
„Die gekündigten Guthaben werden idR zum jeweiligen Monatsletzten ausgezahlt [Klausel 1]. Reichen die flüssigen Mittel nicht aus, werden die gekündigten Beträge in der Reihenfolge der Kündigung nach Maßgabe der verfügbaren Mittel ausgezahlt [Klausel 2].“ [...]
[51] 2.1. Der Sen teilt die Ansicht des BerG, dass Klausel 2 die Rechtsposition des Verbrauchers eher verschleiert als klarstellt. Insb erweckt sie bei der gebotenen kundenfeindlichsten Auslegung den Eindruck, dass der Verbraucher gar keinen Anspruch auf Auszahlung seines gekündigten Guthabens habe, wenn zum Monatsletzten – aus welchen Gründen auch immer – keine liquiden Mittel vorhanden sind. Die Bekl hätte es damit in der Hand, durch eine entsprechende Bindung ihrer finanziellen Mittel – auch nur knapp über das Monatsende hinaus –die Rückzahlung der Sparguthaben der Verbraucher – auch wiederholt – hinauszuschieben.
[52] Selbst nach der Lesart der Bekl (reine Stundung) hätte der Verbraucher zumindest keinen durchsetzbaren Anspruch, solange die liquiden Mittel – aus welchem Grund auch immer – nicht ausreichen. Laut Revision soll die Klausel zwar nur zur Anwendung kommen, wenn die Liquidität der Bekl wegen unzureichender Rückflüsse aus Tilgungen der Bauspardarlehen angespannt sei. Eine solche Einschränkung ist dem Text aber gerade nicht zu entnehmen.
4) ÖBA 1993, 829. 5) ÖBA 2023, 810 mit Anm von J. Told
[53] 2.2. Wie das BerG ebenfalls bereits zutreffend dargelegt hat, sind die beiden Sätze nicht als zwei eigenständige Klauseln iSd § 6 KSchG anzusehen.
[54] Maßgeblich für die Qualifikation einer Klausel als eigenständig ist nicht die Gliederung des Klauselwerks; es können vielmehr auch zwei unabhängige Regelungen in einem Punkt oder sogar in einem Satz der AGB enthalten sein. Es kommt vielmehr darauf an, ob ein materiell eigenständiger Regelungsbereich vorliegt. Dies ist dann der Fall, wenn die Bestimmungen isoliert voneinander wahrgenommen werden können (RS0121187 [T1]).
[55] Im vorliegenden Fall formuliert der erste Satz ausdrücklich (nur) einen Regelfall und kann somit nicht ohne eine Umschreibung bestehen, unter welchen Umständen welche abweichende Bestimmung(en) gelten soll(en). Er kann daher nach Wegfall von Klausel 2 nicht allein bestehen bleiben.
[56] 3. Klausel 3 (§ 9 Abs 1 der ABB):
„Unbeschadet der dem Bausparer gem § 10 zustehenden Möglichkeit, die Zuteilung des Darlehens zu beantragen, kann ihm die Bausparkasse, sobald bzw. nachdem sie ihn gem § 10 Abs. 3 in einem Jahreskontoauszug oder einem sonstigen Schreiben über eine mögliche Darlehenszuteilung informiert oder informiert hat, frühestens jedoch 6 Jahre nach Vertragsbeginn, die Zuteilung anbieten. In diesem Angebot wird die Bausparkasse den Bausparer auffordern, innerhalb einer von ihr gesetzten Frist von mindestens 2 Monaten schriftlich zu erklären, ob er die Zuteilung zu dem angebotenen Termin annimmt. Lehnt der Bausparer dieses Angebot ab und hat er auch zu keinem früher möglichen Termin die Zuteilung beantragt, erlischt der Darlehensanspruch und kann die Bausparkasse den Bausparvertrag jederzeit mit sofortiger Wirkung kündigen.“ [...]
[61] 3.1. Der Sen teilt die Auffassung des ErstG, dass die Klausel die Bausparer entgegen dem Transparenzgebot nicht zuverlässig über ihre Rechte und Pflichten bei der Vertragsabwicklung informiert (RS0115217 [T41]). Sie regelt nur die Fälle, dass der Kunde binnen der gesetzten Frist das Darlehensangebot entweder annimmt oder ablehnt. Andere durchaus lebensnahe Fälle sind dagegen nicht erwähnt: dass der Verbraucher gar nicht binnen der doch recht kurz gesetzten Frist reagiert; dass er Rückfragen zum Darlehensangebot hat, die die Bekl
vielleicht nicht mehr binnen der Frist beantwortet oder beantworten kann; oder dass er um eine Verlängerung der Frist ansucht, weil er so kurzfristig nicht entscheiden kann, ob die angebotenen Darlehenskonditionen seinem aktuellen Finanzierungsbedarf und seinen finanziellen Möglichkeiten entsprechen. Welche Auswirkung dies auf den Darlehensanspruch des Verbrauchers hat, bleibt völlig offen.
[62] Auch Klausel 4 kann hier nicht weiterhelfen. Sie räumt der Bekl zwar ein Kündigungsrecht ein, falls der Verbraucher auf das Darlehensangebot nicht rechtzeitig reagiert. Es lassen sich daraus aber keine Rückschlüsse ziehen, was mit dem Rechtsanspruch des nicht reagierenden Bausparers auf Gewährung eines Darlehens geschieht, wenn die Bausparkasse nicht kündigt.
[63] 3.2. Die Lesart des BerG, dass nur eine der beiden von der Bekl vorgesehenen Reaktionsmöglichkeiten zulässig sein soll, würde dem Schweigen des Verbrauchers außerdem entgegen § 6 Abs 1 Z 2 KSchG und ohne klare Grundlage in den AGB einen von ihm nicht beabsichtigten Erklärungswert beimessen.
[64] 3.3. Darüber hinaus ist eine Entscheidungsfrist von nur zwei Monaten gröblich benachteiligend.
[65] Laut Gesetz erwirbt der Bausparer nach Leistung von Bauspareinlagen einen Rechtsanspruch auf Gewährung eines Bauspardarlehens (§ 1 Abs 2 BSpG). Es ist keine sachliche Rechtfertigung erkennbar, wieso die Bausparkasse für die Erstellung ihres Darlehensangebots an keine Frist gebunden sein soll, der Bausparer dagegen sein Recht auf Gewährung eines Bauspardarlehens erst nach einer bis zu sechsjährigen Ansparphase und eventuell noch einer Wartephase unbestimmter Dauer in Anspruch nehmen kann, aber nach einer Frist von bloß zwei Monaten wieder verlieren soll.
[66] Gerade wenn die Zuteilung wegen geringer Mittel der Bausparkasse länger auf sich warten lässt, ist eine nur zweimonatige Frist zu kurz bemessen, damit der Verbraucher das für ihn nun überraschende Darlehensangebot anhand seiner inzwischen möglicherweise völlig veränderten Lebensumstände, der aktuellen Preise für Immobilien oder Bauvorhaben und der Alternativanbote für Finanzierungen auf dem Kreditmarkt auf seine Leistbarkeit, Sinnhaftigkeit und Attraktivität prüfen und eine informierte E treffen kann.
[67] 4. Klausel 4 (§ 9 Abs 2 der ABB):
„Unabhängig davon, ob die Bausparkasse dem Bausparer ein Zuteilungsangebot nach Abs. 1 gestellt hat – insb auch, wenn der Bausparer ein solches Angebot weder angenommen noch abgelehnt hat –, kann die Bausparkasse den Bausparvertrag zu jedem beliebigen Monatsletzten, frühestens jedoch zum Ablauf von 8 Jahren ab Vertragsbeginn, ohne Vorliegen von Gründen unter Einhaltung einer Frist von mindestens 2 Monaten schriftlich kündigen. Die Bausparkasse wird ihre Kündigungserklärung erst abgeben, nachdem die Voraussetzungen für die Zuteilung eines Darlehens zumindest einmal gegeben waren und sie den Bausparer im Jahreskontoauszug über die Möglichkeit dieser Zuteilung informiert hat (Information gem § 10 Abs. 3, 1. Satz). Weiters setzt die Abgabe der Kündigungserklärung voraus, dass weder das Bauspardarlehen zugeteilt ist noch der Bausparkasse ein Antrag auf Zuteilung vorliegt. Langt bis spätestens 25. des Monats des Kündigungstermins ein Antrag des Bausparers auf Zuteilung eines (gem § 10 Abs. 2 der Höhe nach möglichen) Darlehens zum Kündigungstermin oder zu einem früheren Zuteilungstag (Monatsletzten) bei der Bausparkasse ein, wird die Kündigung nicht wirksam. Widerruft der Bausparer jedoch diesen Antrag auf Zuteilung oder die aufgrund dieses Antrags erfolgte Zuteilung, endet der Bausparvertrag doch am Kündigungstermin bzw., wenn ein solcher Widerruf erst nach dem Kündigungstermin bei der Bausparkasse einlangt, am Tag dessen Einlangens.“ [...]
[72] 4.1. Das zentrale Argument der Bekl lautet, dass das dispositive Recht bei Dauerschuldverhältnissen grds eine Kündigungsmöglichkeit vorsehe. Der Bausparvertrag ist jedoch kein typisches Dauerschuldverhältnis, bei dem im Zeitablauf gleichbleibende Leistungen ausgetauscht werden (zB Nutzung einer Sache gegen Bestandzins, wiederkehrende Lieferungen gegen Entgelt).
[73] Vielmehr weist das Vertragsverhältnis idealtypisch sehr unterschiedliche Phasen auf: Ansparphase, Zuteilungsphase und Darlehensphase (vgl Oiwoh, Kündigung 7). Dabei ist es schon nach der gesetzlichen Definition gerade darauf ausgerichtet, dass der Bausparer – typischerweise erst durch Erfüllung bestimmter Kriterien (Mindestsparbetrag, Mindestsparzeit, vgl Odelga, ÖBA 1966, 101) – einen Rechtsanspruch auf Gewährung eines Bauspardarlehens erwirbt und der Vertrag auf seinen Wunsch hin in
die Darlehensphase eintreten kann. Das Interesse der Bausparkasse, nicht ewig gebunden zu sein, muss daher gegen das gesetzlich geschützte Interesse des Bausparers an einer sinnvollen Verwendung des Bauspardarlehens ausgeglichen werden (Bergmann, WM 2016, 2158).
[74] Selbst wenn nach frühestens sechs Jahren (vgl Klausel 3) die Zuteilungsreife erreicht ist, erfolgt nicht unbedingt sofort eine Zuteilung, weil diese von Darlehensfaktor und Zuteilungsmasse abhängt (§ 12 Abs 3 ABB 2020). Wie die Kl richtig aufzeigt, hat die Bekl laut Klausel 4 sogar ein Kündigungsrecht, wenn der Bausparer erst im letzten Jahreskontoauszug vor der Kündigung informiert wurde, dass die Voraussetzungen für die Zuteilung eines Darlehens vorliegen und er bis zur Kündigung noch nicht einmal ein konkretes Zuteilungsanbot erhalten hat.
[75] 4.2. Der Verbraucher kann selbst in diesem Fall zwar die Kündigung nach der str Klausel durch einen prompten Zuteilungsantrag vereiteln. Dennoch hatte der Verbraucher damit entgegen der Argumentation der Bekl eben gerade nicht insges acht Jahre seit Vertragsbeginn Zeit, sich Gedanken über die Verwendung des Darlehens zu machen. Bauspardarlehen dürfen gem § 1 Abs 1 BSpG nämlich nur für wohnungswirtschaftliche Maßnahmen und für Maßnahmen der Bildung und Pflege gewährt werden. Die Möglichkeit zur Nutzung eines Bauspardarlehens hängt damit stark von den (veränderlichen) Lebensumständen des Verbrauchers ab und die entsprechenden Voraussetzungen können idR nicht binnen zwei Monaten hergestellt werden. Der Kauf oder die Sanierung von Wohnraum sowie der Beginn einer Ausbildung sind vielmehr zukunftsweisende Lebensentscheidungen, die wohlüberlegt werden müssen und darüber hinaus oft von äußeren, nicht beeinflussbaren Faktoren abhängen (zB Angebot auf dem Immobilienmarkt, Zulassung zu einem angestrebten Ausbildungsprogramm mit meist nicht frei wählbarem Startzeitpunkt). Noch weniger kann ein Verbraucher steuern, ob und wann er oder Angehörige pflegebedürftig werden.
[76] 4.3. Unter diesen Gesichtspunkten ist der Rechtsansicht des BerG beizupflichten, dass die Klausel den Verbraucher gröblich benachteiligt, weil ihm bei später Information über die Zuteilungsmöglichkeit und früher Kündigung ein zu kurzes Zeitfenster bleibt, um das stark zweckgebundene Bauspardarlehen überhaupt zu nutzen.
[77] 5. Klausel 6 (§ 23 Abs 3 der ABB):
„Der Bausparer bzw. Darlehensnehmer hat in jedem Kalenderjahr (außer in jenem des Beginns des Bausparvertrages) für die Kontoführung ein Entgelt zu leisten. Dieses beträgt 11,28, ab Gewährung des Darlehens € 40. Das Entgelt ist am 1.1. jedes Jahres fällig und wird dem Konto angelastet.“
[78] Die Vorinstanzen sahen die Kontoführungsgebühr als Entgelt für den Erhalt der Leistung des Kreditgebers an und sprachen aus, dass sie als Teil der vertraglichen Hauptleistung der Inhaltskontrolle entzogen sei. [...]
[81] 5.1. In AGB enthaltene Entgeltklauseln, die ein Zusatzentgelt nicht zur Abgeltung einer nur aufgrund von Besonderheiten im Einzelfall erforderlichen Mehrleistung, sondern zur Abgeltung einer im Regelfall mit der Erfüllung der vertraglichen Pflichten verbundenen Leistung vorsehen, schränken das eigentliche Leistungsversprechen ein, verändern es oder höhlen es aus und unterliegen damit der Inhaltskontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB (RS0016908 [T5, T6; vgl auch T8, T16, T32]).
[82] Nach der jüngeren Rsp des EuGH (C224/19, C259/19 Caixabank ua, Rn 79) kann eine in einem Darlehensvertrag zwischen einem Verbraucher und einem Finanzinstitut enthaltene Klausel, nach der der Verbraucher eine Bereitstellungsprovision zu zahlen hat, entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursachen, wenn das Finanzinstitut nicht nachweist, dass diese Provision tatsächlich erbrachten Dienstleistungen und ihm entstandenen Kosten entspricht, was vom nationalen Richter zu beurteilen ist.
[83] Die vor dieser E ergangene Rsp des OGH, wonach alles, was der Kreditnehmer über die Rückgabe der Valuta hinaus für den Erhalt der Leistung des Kreditgebers zu geben hat, und daher auch laufzeitunabhängige „Bearbeitungs“ oder „Manipulationsgebühren“ Entgelt und daher nicht kontrollunterworfen sei (RS0130662), ist daher in unionsrechtlichem Lichte neu zu bewerten (4 Ob 59/22p Rn 49 f6)).
[84] 5.2. Wohl vor diesem Hintergrund prüfte der 8. Sen eine Klausel zum Kontoführungsbeitrag in den ABB einer Bausparkasse bereits inhaltlich (8 Ob 125/21x7) Rn 67 ff). Die konkrete Klausel wurde wegen Intransparenz und
gröblicher Benachteiligung durch Verrechnung des unverminderten jährlichen Beitrags auch in Rumpfjahren aufgehoben. Die grds Bedenken der Kl an der Verrechnung eines Entgelts für die „Kontoführung“ teilte der 8. Senat dagegen nicht, weil es sich bei der Führung des Bausparkontos um eine Nebenleistung zur Hauptleistung der Bekl, nämlich der Verzinsung des Bausparguthabens, handle. Aus der in keiner Weise einschlägigen E 9 Ob 8/18v (zur Unzulässigkeit einer Gebühr für die Übergabe der Kaufsache am Sitz der Verkäuferin als Erfüllungsort) lasse sich nichts Gegenteiliges ableiten.
[85] 5.3. Der OGH hat iÜ bereits in 6 Ob 253/07k unter Hinweis auf BGHJud ausgesprochen, dass jene Entgeltklauseln der Inhaltskontrolle unterliegen, die ein Zusatzentgelt nicht zur Abgeltung einer nur aufgrund von Besonderheiten im Einzelfall erforderlichen Mehrleistung, sondern zur Abgeltung einer im Regelfall mit der Erfüllung der vertraglichen Pflichten verbundenen Leistung vorsehen (Pkt 11.1.). Relevant war idZ, dass ein Gesamtentgelt, in dem alle unumgänglichen Leistungen eingepreist sind, für Kunden einen höheren Auffälligkeitswert hat als eine einzelne Gebührenposition auf einer einseitigen Liste verschiedener Positionen; eine derartige Einzelposition wird auch unter Wettbewerbsgesichtspunkten die E des Kunden kaum beeinflussen (Pkt 11.2.).
[86] 5.4. Die Kl verweist auf eine dt E, nach der bei einem Bausparvertrag für die Sparphase Kontoentgelt in den ABB nicht wirksam vereinbart werden kann. Als Beleg zitiert sie OLG Celle, 3 U 39/21 = BKR 2022, 242 [abl Dörfler]. In diesem Fall erkannte inzwischen auch der BGH, dass Jahresentgelt beim Bausparvertrag unzulässig ist (XI ZR 551/21).
[87] Diese Rsp kann jedoch nicht auf die österr Rechtslage übertragen werden: Im Gegensatz zu § 488 BGB lässt sich aus § 988 ABGB nicht ableiten, dass Hauptleistung des Schuldners beim Kreditvertrag nur die Zahlung der Kreditzinsen sein kann. Hier lässt das ABGB im Gegensatz zum BGB den Parteien einen weiten Spielraum, sodass auch eine Bearbeitungsgebühr vereinbart werden kann (G. Graf, ÖJZ 2015, 309).
[88] Außerdem wird der Bausparvertrag in Österr nicht als Abfolge zweier
6) Vgl 4 Ob 62/22d, ÖBA 2023, 671 mit Anm von Piekenbrock/Aßfalg 7) ÖBA 2022, 452.
wechselseitiger Darlehen (zuerst an die Bausparkasse, dann an den Bausparer) gesehen, sondern als Bankgeschäft sui generis, das eine Spareinlage während der Ansparphase und einen Kreditvertrag in der Darlehensphase kombiniert (4 Ob 114/918)). Für den Einlagevertrag setzen sogar die gesetzlichen Regelungen des BWG voraus, dass die Bank Entgelt fordern kann (§ 32 Abs 6 BWG und § 35 Abs 1 Z 1 lit b BWG zur Ersichtlichmachung von Entgelten, die allenfalls für Dienstleistungen iZm Spareinlagen verlangt werden). In der Praxis kennt man etwa Abschluss oder Zeilengebühren (Harrich in Laurer ua, BWG4 § 32 Rn 69).
[89] 5.5. Ganz allg hat der OGH Entgelte iZm Bankgeschäften insb dann für zulässig erachtet, wenn sie dem Ver ursacherprinzip folgend von jenen Kunden zu entrichten sind, für die ein Aufwand betrieben werden muss (6 Ob 13/16d9) [Pkt 5.1. ff]: Kreditbearbeitungsgebühr; 8 Ob 31/12k10): Gebühren für das Führen eines Darlehenskontos; 4 Ob 179/02f 11): Aufwandsersatz bei nicht gedeckten Überweisungen und bei Betreibungsmaßnahmen Dritter).
[90] Auch eine Pauschalierung von Entgelten ist nicht von vornherein abzulehnen, solange damit die konkreten Kosten nicht grob überschritten werden (RS0123253). Dagegen ist die Verrechnung von Entgelten ohne konkrete Zusatzleistung und ohne konkrete Kosten als unzulässig anzusehen (RS0123253 [T4], aA Piekenbrock/Aßfalg, ÖBA 2023, 682).
[91] 5.6. Dass die von der Bekl geforderten Kontoführungsentgelte ihren Aufwand iSd EuGH C224/19, C259/19 Caixabank ua, grob überschreiten würden, thematisiert die Revision der Kl nicht. Aus ihren Argumenten kann die Unzulässigkeit der Klausel daher nicht abgeleitet werden.
[92] 6. Klausel 7 (§ 24 der ABB):
„Die Bausparkasse sendet dem Bausparer bzw. Darlehensnehmer im ersten Quartal eines jeden Kalenderjahres eine Kontomitteilung mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass diese als anerkannt gilt, wenn der Bausparer bzw. Darlehensnehmer nicht innerhalb von sechs Wochen nach Empfang schriftlich (s § 22 Abs 1, 2. S) Widerspruch erhebt.“
[93] Die Bekl gestand im Hinblick auf 1 Ob 27/01d zu, dass die Klausel unzulässig sei. Jedoch bestehe keine Wiederholungsgefahr, weil die Klausel in den ABB 2021 nicht mehr enthalten sei. [...]
[98] 6.1. Nach stRsp kann die Beweiswürdigung im Revisionsverfahren nicht überprüft werden, es sei denn, das BerG hätte sich mit der Beweisfrage überhaupt nicht auseinandergesetzt (RS0043371). Das BerG ist gehalten, sich mit der Beweisrüge überhaupt auseinanderzusetzen und seine Überlegungen dazu in seinem Urteil festzuhalten (RS0043150). Dabei ist es aber nicht verpflichtet, sich mit jedem einzelnen Argument des Berufungswerbers auseinanderzusetzen (vgl RS0040180).
[99] 6.2. Im vorliegenden Fall sah das BerG die Beweisrüge der Bekl als nicht gesetzmäßig ausgeführt an, weil sie weder die Beweiswürdigung des ErstG entkräftet habe, die zur konkreten Feststellung geführt habe, noch angegeben habe, aufgrund welcher Beweisergebnisse und welcher beweiswürdigenden Erwägungen die begehrte Ersatzfeststellung zu treffen gewesen wäre. Damit gab das BerG die Anforderungen der ständigen Rsp an eine Beweisrüge richtig wieder (RS0041835).
[100] Selbst aus der Revision erhellt nicht, wieso eine neue Version der ABB und das Prozessvorbringen der Bekl belegen sollten, dass die unzulässige Klausel insb etwa gegenüber Kunden mit Altverträgen nicht mehr zur Anwendung gelangen werde.
[101] 7. Klausel 8 (§ 29 Abs 1 und 3 der ABB):
„Wurde keine Klausel vereinbart, die den Spar oder Darlehenszinssatz aufgrund der Entwicklung eines Referenzzinssatzes anpasst, oder beabsichtigt die Bausparkasse eine über die vereinbarte Anpassung hinausgehende Änderung des vereinbarten Spar oder Darlehenszinssatzes, so bietet sie mit Bewilligung der Finanzmarktaufsichtsbehörde dem Verbraucher diese Änderung des Zinssatzes spätestens 2 Monate vor dem vorgeschlagenen Zeitpunkt ihres Inkrafttretens schriftlich als Gegenüberstellung an. Die Zustimmung des Verbrauchers zu dieser Änderung gilt als erteilt, wenn bei der Bausparkasse vor dem vorgeschlagenen Zeitpunkt
des Inkrafttretens kein Widerspruch des Verbrauchers einlangt. Darauf wird die Bausparkasse den Verbraucher im Änderungsangebot, in dem das Ausmaß der Änderung dargestellt ist, hinweisen.
Auf dem im Abs 2 [sic] vorgesehenen Weg darf die Bausparkasse mit dem Verbraucher eine Zinssatzanpassung nur unter folgenden Voraussetzungen vereinbaren:
–
Die angebotene Anpassung des Sparzinssatzes entspricht der sich aus den Veränderungen auf dem Geld oder Kapitalmarkt ergebenden Entwicklung der Kosten und Wiederveranlagungsmöglichkeiten der Bausparkasse iZm dem jeweiligen Sparguthaben seit dem Abschluss der der aktuellen Verzinsung zugrunde liegenden Vereinbarung.
–
Die angebotene Anpassung des Darlehenszinssatzes entspricht der sich aus den Veränderungen auf dem Geld oder Kapitalmarkt ergebenden Entwicklung der Kosten der Bausparkasse iZm dem jeweiligen Darlehen seit dem Abschluss der der aktuellen Verzinsung zugrunde liegenden Vereinbarung.
– Eine Änderung des Spar oder Darlehenszinssatzes nach Abs 2 darf 0,5 Prozentpunkte pro Jahr nicht übersteigen und ist erstmals frühestens 2 Jahre nach Abschluss des zugrunde liegenden Vertrags zulässig.“ [...]
[106] 7.1. Eine Zustimmungsfiktion in AGB muss nicht nur den formalen Voraussetzungen des § 6 Abs 1 Z 2 KSchG entsprechen, sondern auch einer Zulässigkeitsprüfung nach § 6 Abs 3 KSchG (Transparenz) und § 879 Abs 3 ABGB (keine gröbliche Benachteiligung) standhalten (1 Ob 210/12g12) [Pkt 2.15.]). Insb fordert die Rsp eine möglichst präzise und sachliche Determinierung für den Grund der in Aussicht genommenen Vertragsanpassungen (10 Ob 60/17x13) [Klausel 1 Pkt 4.1.]; Hirmke, VbR 2017, 74).
[107] In der L wird diese Jud kritisiert, weil die Zustimmungsfiktion dem Unternehmer ja gerade eine Reaktion auf künftige Entwicklungen ermöglichen solle, die eben, weil künftig, bei Vertragsabschluss nicht vorhersehbar seien
8) ÖBA 1992, 829 mit Anm von Jabornegg. 9) ÖBA 2016, 446 mit Anm von Bollenberger/Kellner.
10) ÖBA 2012, 691 mit Anm von Butschek. 11) ÖBA 2003, 141 mit Besprechungsaufsatz von Apathy.
12) ÖBA 2013, 906 mit Besprechungsaufsatz von B. Koch. 13) ÖBA 2018, 340.
(Zöchling Jud in Leupold, Forum VerbraucherR 2016, 47). In Zustimmungsfiktionsklauseln sei keine – und schon gar keine gröblich benachteiligende –Abweichung vom dispositiven Recht zu sehen. Zwar werde abweichend von § 863 ABGB dem Schweigen des Verbrauchers ein Erklärungswert beigemessen. Gerade dies gestatte die gesetzliche Bestimmung des § 6 Abs 1 Z 2 KSchG aber.
[108] Diese Krit überzeugt den Sen nicht, von der inzwischen gefestigten Rsp abzugehen. Künftige Entwicklungen sind für den Verbraucher zumindest ebenso überraschend wie für den (typischer weise mit mehr Marktkenntnis und größeren Ressourcen ausgestatteten) Unternehmer. Es erscheint daher nicht sachgerecht, nur einem der beiden Vertragspartner – und ausgerechnet dem Unternehmer – ein Werkzeug zur einfachen Anpassung des (noch dazu von ihm selbst formulierten) Vertrags in die Hand zu geben, mit dem er nach Gutdünken seinen eigenen Nutzen aus dem Vertrag unter unvorhersehbaren Umständen optimieren kann.
[109] Ohne Determinierung, unter welchen Voraussetzungen der Unternehmer eine Vertragsänderung mittels Erklärungsfiktion vornehmen kann, hätte dieser es bei der gebotenen kundenfeindlichsten Auslegung auch in der Hand, dem Verbraucher so lange Änderungswünsche beliebigen Inhalts und in unbegrenzter Zahl zu übermitteln, bis der Verbraucher einen davon übersieht und nicht rechtzeitig widerspricht.
[110] Deshalb müssen nach der Rsp die Parameter, die für eine Entgelterhöhung mittels Zustimmungsfiktion eine Rolle spielen, aus der Klausel selbst hervorgehen. Denn nur wenn der Verbraucher von Anfang an auch über die Gründe und die maßgeblichen Indizes für eine Entgelterhöhung mittels Zustimmungsfiktion informiert ist, werden ihm die Auswirkungen der Klausel und das Risiko künftiger Passivität ausreichend klar (10 Ob 60/17x [Klausel 1 Pkt 3.6.]).
[111] Diese Determinierung kann nicht durch eine Deckelung der durch die Zustimmungsfiktion herbeigeführten Änderungen (hier: Begrenzung der Zinsanpassungen der Höhe nach um jeweils 0,5 Prozentpunkte) substituiert werden (10 Ob 60/17x [Klausel 4]).
[112] 7.2. Im vorliegenden Fall soll die Änderung des Zinssatzes der „sich aus den Veränderungen auf dem Geld oder Kapitalmarkt ergebenden Entwicklung der Kosten“ (für Darlehenszinsen) bzw „der Kosten und Wiederveranlagungsmöglichkeiten der Bausparkasse“ (für Sparzinsen) „entsprechen“.
[113] Die Klausel kann so keinen nachvollziehbaren Bezug zwischen einem Indikator und dem anzupassenden Zinssatz herstellen. Vielmehr schafft sie der Bekl einen riesigen Ermessensspielraum, auf nicht näher definierte Entwicklungen von ebenso wenig präzisierten Kosten und/ oder Wiederveranlagungsmöglichkeiten mit „entsprechenden“ Zinsänderungen zu reagieren. Es ist nicht zu erkennen, wie die in Aussicht genommene Änderung des Zinssatzes der beobachteten Entwicklung „entsprechen“ soll: etwa indem der Zinssatz bei steigenden Kosten ebenfalls steigt; indem er um gleich viele Prozentpunkte erhöht oder gesenkt wird; indem er proportional verändert wird. Auch wird nicht festgelegt, welche Kosten relevant sein oder gar als Ausgangswert dienen sollen: Gesamtkosten; flexible oder variable Kosten; ein Mix einiger zu gewichtender Kostenfaktoren; oder gar nur ein einzelner Kostenfaktor. Das Gleiche gilt für die Wiederveranlagungsmöglichkeiten: kommt es auf alle Angebote auf dem Markt an; nur auf jene in einer bestimmten Risikoklasse; oder gar nur auf jene, die die Bekl bisher iZm dem konkreten Bausparvertrag genutzt hat? Durch diese weitgehende Unbestimmtheit lässt sich letztlich (fast) jede Reaktion nach Gutdünken der Bekl als „entsprechende“ Änderung argumentieren.
[114] Die Klausel vermittelt dem Kunden damit insges ein unklares Bild seiner vertraglichen Position und ist daher als intransparent iSd § 6 Abs 3 KSchG zu qualifizieren.
[115] 8. Klausel 9 (§ 29 Abs 2 der ABB):
„Wenn der Bausparer rechtzeitig der Änderung seines Bausparvertrages widerspricht und ihm weder ein aufrechtes Angebot der Bausparkasse auf Abschluss des Darlehensvertrages vorliegt noch der Darlehensvertrag abgeschlossen ist, ist die Bausparkasse berechtigt, den Bausparvertrag zu kündigen und das Sparguthaben nach den Bestimmungen des § 9 Abs 1, 3. Untersatz auszuzahlen. Auch darauf wird die Bausparkasse im Änderungsangebot hinweisen.“ [...]
[120] 8.1. Grammatikalisch kann sich die Änderung (mit bestimmtem Artikel), der der Verbraucher gem § 29 Abs 2 der ABB zustimmen soll, nur auf die in Abs 1 näher beschriebene Änderung, also die ungültige Klausel 8 beziehen.
[121] Durch den Entfall der Klausel 8 wird auch die sich darauf beziehende Klausel 9 unanwendbar (RS0122040 [T4]).
[122] 8.2. Die Bekl kann Klausel 9 nicht mit dem Argument retten, dass diese auch für sich bestehen könne. Ohne Verweis darauf, welcher Vertragsanpassung der Verbraucher zustimmen solle, könnte die Bekl dem Verbraucher nämlich beliebige nachteilige Änderungsvorschläge machen und den Vertrag kündigen, wenn dieser nicht zustimmt.
[123] 9. Klausel 10 (§ 29 Abs 4 der ABB):
„Unabhängig von Abs 1 und 3 ist die Bausparkasse berechtigt, den Darlehenszinssatz mit Bewilligung der FMA nach billigem Ermessen zu ändern. Diese Änderung setzt voraus, dass der nicht vom Willen der Bausparkasse abhängige Umstand vorliegt, dass die zur Erfüllung ihrer Verpflichtung notwendige Aufbringung von Sparzahlung zum gegebenen Sparzinssatz nicht mehr gewährleistet ist und daher aufgrund der Geschlossenheit des Bausparsystems die Änderung des Darlehenszinssatzes sachlich gerechtfertigt ist. Bei Änderung dieser Situation wird die Bausparkasse den Darlehenszinssatz verhältnismäßig herabsetzen.“ [...]
[128] 9.1. Zunächst sei klargestellt, dass die aufsichtsrechtliche Überprüfungskompetenz der FMA für ABB die Klauselkontrolle durch die Zivilgerichte nicht ersetzt oder einengt (RS0112133; Iro in FS Koziol [2010] 154).
[129] 9.2. Der Sen kann sich dem von der Bekl vertretenen Textverständnis des letzten Satzes nicht anschließen. Mit „Änderung dieser Situation“ können nur die zuletzt geschilderten Umstände gemeint sein, iW also eine Gefährdung des Umlagesystems Bausparkasse, weil zu wenige Bausparverträge in der Anlagephase sind, sodass nicht ausreichend Kapital für Darlehen zur Verfügung steht. Schon grammatikalisch folgt daraus, dass eine Zinssenkung nur erfolgt, wenn die Voraussetzungen für eine Zinserhöhung wieder wegfallen.
[130] Dies gilt umso mehr in der im Verbandsprozess gebotenen kundenfeindlichsten Auslegung.
[131] 9.3. IÜ lässt sich auch auf der inhaltlichen Ebene nicht ermitteln, welche „umgekehrten Vorzeichen“ vorliegen müssten, damit es zu einer Zinssenkung kommt, bevor es je eine Erhöhung gab: Das Gegenteil davon, dass „die zur Erfüllung ihrer Verpflichtung notwendige Aufbringung von Sparzahlungen zum gegebenen Sparzinssatz nicht ausreichen“, ist, dass sie ausreichen. Das
Funktionieren des „Umlagesystems“ kann aber wohl kein geeigneter Anlass für eine Zinssenkung sein. Ob und ab wann eine Zinssenkung wegen eines Überangebots an Spareinlagen erforderlich wäre, ist weder aus der Klausel noch der Revision abzuleiten.
[132] 9.4. Klausel 10 sieht damit eine Entgeltsenkung nicht im gleichen Ausmaß und in der gleichen zeitlichen Umsetzung wie eine Entgeltsteigerung vor, sodass die Zinsanpassung nach § 6 Abs 1 Z 5 KSchG unzulässig ist.
2970.
https://doi.org/10.47782/oeba202401005401
§§ 364c, 462, 863 ABGB. Ebenso wie der Pfandgläubiger hat auch der Berechtigte eines Veräußerungs- und Belastungsverbots (§ 364c ABGB) vor der exekutiven Verwertung der Sache ein Einlösungsrecht nach § 462 ABGB. OGH 30. 8. 2023, 7 Ob 91/23t
Aus der Begründung:
[1] 1. Auch der nach § 364c ABGB Verbotsberechtigte hat ein Einlösungsrecht nach § 462 ABGB (RS0010749). Unstr kann die Einlösung ausdrücklich oder stillschweigend erfolgen.
[2] 2.1. Eine stillschweigende Erklärung iSd § 863 ABGB besteht in einem Verhalten, das primär etwas anderes als eine Erklärung bezweckt, dem aber dennoch auch ein Erklärungswert zukommt, der vornehmlich aus diesem Verhalten und den Begleitumständen geschlossen wird. Sie kann in einer positiven Handlung (konkludente oder schlüssige Willenserklärung) oder in einem Unterlassen (Schweigen) bestehen. Nach den von L und Rsp geforderten Kriterien muss die Handlung – oder Unterlassung – nach der Verkehrssitte und nach den im redlichen Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuchen eindeutig in einer Richtung zu verstehen sein, also den zwingenden Schluss zulassen, dass die Parteien einen Vertrag schließen, ändern und aufheben wollten. Es darf kein vernünftiger Grund bestehen, daran zu zweifeln, dass ein ganz bestimmter Rechtsfolgewille vorliegt, wobei stets die gesamten Umstände des Einzelfalls zur Beurteilung heranzuziehen sind (RS0109021). Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO kann bei Einzelfallentscheidungen nur dann vorliegen, wenn dem BerG eine erhebliche Fehlbeurteilung vorzuwerfen wäre, die vom OGH aus Gründen der Rechtssicherheit aufgegriffen werden müsste
(RS0042776; RS0044358 [T12, T31]; RS0044298 [T22]).
[3] 2.2. Die Vorinstanzen gingen davon aus, dass die kl Verbotsberechtigte – vor dem Hintergrund der von der Bekl im Insolvenzverfahren des Schuldners zuletzt noch angemeldeten Forderung von € 2.040.985,40 – durch Zahlung von € 1,6 Mio nach Einleitung des Zwangsversteigerungsverfahrens wegen einer bereits titulierten (Teil) Forderung von € 1,4 Mio sA (insges daher € 1.454.228,22) die gesamte mit Höchstbetragshypothek iHv € 1,6 Mio besicherte und nicht nur die titulierte Forderung einlösen habe wollen, um die Liegenschaft vor der Versteigerung zu retten. Dies folge nicht nur aus der zur Vorlage an das Exekutionsgericht vorgesehenen Bestätigung der vom Darlehensgeber der Kl angewiesenen Bank, in der festgehalten wird, dass „die Zahlung [...] zur Einlösung der hypothekarisch besicherten Forderung [...] bezahlt wird“, sondern auch daraus, dass die Kl die Bekl zur „Ausstellung einer beglaubigten Bestätigung betreffend die Einlösung und den Übergang des Pfandrechtes in Höhe der Zahlung“ aufforderte und der weiters erfolgten Übertragung des Pfandrechts und der Forderung in voller Höhe an die Darlehensgeberin.
[4] 2.3. Dieses Auslegungsergebnis ist nicht korrekturbedürftig, wogegen die Kl auch keine stichhaltigen Argumente bringt: Weder aus der Anführung „[...] Verfahren GZ [...] Einlösung gem § 462 ABGB“ als Verwendungszweck der Zahlung auf der Überweisung, noch aus der Wortfolge im Bestätigungsschreiben der Bank der Darlehensgeberin, wonach „die Zahlung von der Kl zur Einlösung der hypothekarisch besicherten Forderung der Bekl, die im Verfahren GZ [...] die Exekution betreibt“ folgt das von der Kl gewünschte Auslegungsergebnis, dass ihre Zahlung ausschließlich der Einlösung der exekutiv von der Bekl betriebenen Forderung dienen sollte. Inwieweit der Inhalt des zwischen der Kl und ihrer Darlehensgeberin geschlossenen Darlehensvertrags, der noch nicht einmal nach den Behauptungen der Kl der Bekl bekannt war, Einfluss darauf haben könnte, wie die Bekl die Erklärung verstehen durfte, bleibt offen.
[5] 2.4. Davon ausgehend erweist sich die weitere Beurteilung der Vorinstanzen, die Kl verfüge über keinen Rückforderungsanspruch in Höhe der Differenz zwischen ihrer Zahlung und der titulierten Forderung, ebenfalls als nicht korrekturbedürftig.
[6] 3. War aber der Wille der Kl, die auch das Nichtbestehen der – über die
titulierte Forderung hinausgehenden –im Insolvenzverfahren des Schuldners angemeldeten Forderung der Bekl nicht darlegte, auf die Einlösung der gesamten durch die Höchstbetragshypothek gesicherten Forderung gerichtet, dann stellt sich weder die von der Kl als relevant erachtete Frage, wie hoch der Einlösungsbetrag sein müsse, wenn die exekutiv betriebene Forderung unter der Höchstbetragshypothek liege, noch jene nach einer allfälligen Doppelzahlung der Pauschalgebühr.
2971.
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§ 1422 ABGB; § 38 BWG. Die Einlösung der Forderung einer Bank aus einem Kreditvertrag setzt wegen § 38 BWG die Zustimmung sämtlicher Kreditnehmer zur Offenbarung der Geheimnisse an den Neugläubiger voraus. Dies gilt auch, wenn die im Zuge der Einlösung zu offenbarenden Geheimnisse (zumindest teilweise) bereits in einem gerichtlichen Insolvenzverfahren offenbart wurden.
OGH 21. 6. 2023, 3 Ob 80/23w
Aus der Begründung:
[1] Die Kl begehrte gegenüber der bekl Bank die Feststellung, dass die Forderung der Bekl (gemäß der im Insolvenzverfahren der Erstkreditnehmerin angemeldeten und anerkannten Forderung) iHv € 1.445.309,32 am 24.2.2022 auf die Kl übergegangen sei. Die bekl Bank sei (nach einem Rechtsübergang) Gläubigerin und die RBeteiligungs OG (ebenfalls nach einem Rechtsübergang) Schuldnerin einer Kreditforderung iHv rd € 1,5 Mio. Am 24.2.2022 habe die Kl gem §§ 1422 f ABGB mit Zustimmung der Erstkreditnehmerin die gesamte aushaftende Schuld bezahlt und auf Basis der Einlösungserklärung vom selben Tag die Forderung der Bekl eingelöst. Der Bekl sei es verwehrt, die Forderungseinlösung zu vereiteln.
[2] Die Bekl entgegnete, dass der begehrten Forderungseinlösung ein gesetzliches Zessionsverbot im Weg stehe, sodass diese absolut nichtig und unwirksam sei. Die Forderungseinlösung wäre nur dann wirksam, wenn die Zustimmung aller Mitkreditnehmer vorläge. Dies sei aber nicht der Fall. Kreditnehmer sei nämlich nicht nur die RBeteiligungs OG (über deren Ver mögen mit Beschluss des LGZ Graz vom 6.12.2018 das Konkursverfahren eröffnet worden sei), sondern neben dieser auch der NI. Dieser habe seine Zustimmung zur Forderungsein
lösung nicht erteilt und die Bekl auch nicht von der Wahrung des Bankgeheimnisses entbunden. Dies führe zur Unwirksamkeit der Forderungseinlösung.
[3] Der NI brachte vor, dass er seine Zustimmung zur Forderungseinlösung nicht erteilt und die Bekl auch nicht von der Wahrung des Bankgeheimnisses entbunden habe. Die Bekl habe die Zahlung der Kl daher zu Recht nicht angenommen. Zudem stehe dem Übergang von Sicherheiten die Tatsache entgegen, dass zu Gunsten der Bekl auf der im Hälfteeigentum der beiden Kreditnehmer stehenden Liegenschaft eine Höchstbetragshypothek einverleibt sei. Der von der Kl begehrte Pfandrechtsübergang sei nur möglich, wenn die Höchstbetragshypothek mit Zustimmung der Liegenschaftseigentümer und der Bekl in eine Festbetragshypothek umgewandelt werde. Auch dieser Umwandlung stimme er nicht zu. IÜ schließe er sich dem Vorbringen der Bekl an. [...]
[6] Das Klagebegehren wies das ErstG ab. [...]
[8] Inhaltlich bestätigte die zweite Instanz das Urteil des ErstG. [...]
[10] Gegen die E in der Hauptsache richtet sich die ao Revision der Kl [...]
[21] 2. Dem von den Vorinstanzen herangezogenen Rechtsgrundsatz, wonach die Einlösung der einem KI zustehenden Forderung durch einen nicht dem Bankgeheimnis unterliegenden Dritten – ohne Zustimmung des betroffenen Schuldners (hier des NI als Mitkreditnehmer) zur Offenbarung der Daten – wegen Verstoßes gegen dieses Geheimnis nichtig ist (RS0128520), tritt die Kl nicht entgegen.
[22] Mit ihrem Argument, dass keine Verletzung des Bankgeheimnisses durch die Bekl mehr notwendig sei, weil sämtliche dem Bankgeheimnis unterliegende Daten im Insolvenzverfahren der Mitkreditnehmerin R OG zu 27 S 92/18h des LGZ Graz bereits offengelegt worden seien, zeigt die Kl keine erhebliche Rechtsfrage auf. Eine verbotene Geheimnisoffenbarung liegt vor, wenn geschützte Daten einer Person bekanntgegeben werden, der das Geheimnis bisher nicht oder zumindest nicht sicher bekannt war (9 Ob 62/16g1)). Jede Unsicherheit in dieser Hinsicht verhindert somit eine wirksame Einlösung. Zu den geheimnisgeschützten Daten gehören im gegebenen Zshg alle kreditrelevanten Daten, wie der Name und die Kontaktdaten aller
Kreditnehmer, der Zeitpunkt der Kreditaufnahme und die Höhe des Kreditvolumens bzw des Kreditrahmens, darüber hinaus aber auch der offene Kreditbetrag, die Höhe und Umstände der bisherigen Rückzahlungen sowie die Angabe, ob der durch die Höchstbetragshypothek gesicherte Kreditrahmen weiter ausgenützt werden kann bzw ob die Zustimmung aller betroffenen Sicherheitengeber zur Umwandlung der Höchstbetragshypothek in eine Festbetragshypothek für eine einzelne Forderung vorliegt. Die Ansicht der Vorinstanzen, dass im Fall der Forderungseinlösung durch die Kl von der Bekl jedenfalls auch noch nicht schon bekannte, dem Bankgeheimnis unterliegende Daten betreffend den NI offengelegt werden müssten, ist keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung.
[23] 3. Die Behauptung der Kl, die Bekl habe die Annahme ihrer Zahlung gar nicht verweigert, ist nicht relevant und lässt zudem die bindenden Feststellungen außer Acht, wonach die Bekl umgehend die Rücküberweisung der Zahlung an die Kl angekündigt hat.
[24] 4. Schließlich geht die Kl auf die Beurteilung der Vorinstanzen, wonach die hier fragliche Einlösung auch aufgrund des mit der (in der Einlösungserklärung ausdrücklich geforderten) Übertragung der Sicherheiten verbundenen Erfordernisses der Umwandlung der im Grundbuch einverleibten Höchstbetragshypothek in eine Festbetragshypothek für eine einzelne Forderung scheitert (RS0011331; RS0033415), inhaltlich nicht näher ein und lässt diese selbständige Alternativbegründung damit unbekämpft.
2972.
https://doi.org/10.47782/oeba202401005501
§§ 27, 28 IO; § 82 GmbhG; § 159 StGB. Auch Zahlungen an Dritte aus Mitteln des Schuldners, die er aus strafbaren Handlungen erlangt hat, können gläubigerbenachteiligende Rechtshandlungen sein, deren Anfechtung befriedigungstauglich ist.
OGH 25. 9. 2023, 17 Ob 17/23h
Aus den Entscheidungsgründen:
[1] Gegen die Zweitbekl erging am 14.12.2016 ein rkes Anerkenntnisurteil, in dem sie zur Zahlung des Klagsbetrags samt Zinsen und Kosten verpflichtet wurde.
September 1991 übernahm die Zweitbekl die Geschäftsführung und alle Gesellschaftsanteile. Faktisch führte sie das Unternehmen zunächst mit ihrer Schwester M N, die für die Buchhaltung verantwortlich war. Nach deren Tod am 29.7.2012 übernahm W S diese Aufgabe. Die Erstbekl ist die Adoptivtochter und Erbin von M N.
[3] Die Schuldnerin verfolgte den Zweck, der Zweitbekl, M N und der Bekl, die durch ihr Zusammenwirken (auch mit W S) ein kriminelles Komplott bildeten, ein regelmäßiges Einkommen durch Abgabenhinterziehung und Abgabenbetrug zu verschaffen. Auf den Konten der Schuldnerin wurden fiktive Aufwendungen und Erlöse verbucht, die als Grundlage für die monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen beim zuständigen Finanzamt in Wien dienten. Das zuständige Finanzamt wurde dazu verleitet, der Schuldnerin monatliche Vorsteuergutschriften zu überweisen, die ihr nicht zustanden. Die Bekl behob nach vorheriger gemeinsamer Verabredung mit der Zweitbekl und M N mittels von diesen ausgestellter Inhaberschecks der Schuldnerin jeweils unmittelbar nach Einlangen der monatlichen Vorsteuergutschriften Geldbeträge vom Konto der Schuldnerin. Diese Geldbeträge wurden zu Lebzeiten von M N unter der Zweitbekln, M N und der Bekl, nach deren Tod zwischen der Zweitbekln und der Bekl, aufgeteilt. Die Bekl übertrug auf diese Weise im Zeitraum vom 16.11.2009 bis 29.8.2014 insges € 625.260,30 rechtsgrundlos vom Konto der Schuldnerin auf ihre Privatkonten. Sie wusste, dass den von der Zweitbekln als Geschäftsführerin der Schuldnerin geltend gemachten Vorsteuerbeträgen keine Lieferungen oder Leistungen zugrunde lagen und ihr war die Unrichtigkeit der Umsatzsteuervoranmeldungen und jahreserklärungen bewusst. Der Bekln war seit zumindest ab August 2004 auch bewusst, dass die Schuldnerin durch diese Malversationen ständig insolvenzgefährdet war und bei „Auffliegen der Malversationen“ sofort ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt werden müsste.
[4] Die Zweitbekl teilte der StA mit Selbstanzeige vom 9.10.2014 mit, dass über einen Zeitraum von zehn Jahren monatlich Scheineingangsrechnungen der Schuldnerin gelegt worden waren.
1) ÖBA 2018, 335 mit Anm von F. Liebel.
[2] Die H GmbH (idF: Schuldnerin) betrieb ein Transportunternehmen. Im
[5] Mit Beschluss des HG Wien vom 22.1.2015, 2 S 2/15d, wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kl zum IV bestellt. Am 4.3.2015 meldete das FA Wien 1/23 eine Forderung von € 13.946.351,90 an.
[6] Mit den Urteilen des LGs Wien vom 29.9.2016 und 29.1.2019, 126 Hv 3/16h, wurden die Zweitbekl (ua) wegen Abgabenhinterziehung, Abgabenbetrug und betrügerischer Krida, die Bekl wegen Abgabenhinterziehung und Abgabenbetrug sowie W S wegen Abgabenbetrug als Beteiligter jeweils zu Freiheits und Geldstrafen verurteilt.
[7] Der Kl begehrte, die von der Bekl erwirkten Zahlungen von € 625.260,30 gegenüber den Gläubigern der Schuldnerin für unwirksam zu erklären und die Bekl sowie die Zweitbekl zur ungeteilten Hand zur Zahlung der € 625.260,30 sA zu verpflichten. Die Bekl habe vom 16.11.2009 bis 29.8.2014 durch zahlreiche rechtswidrige Vermögenstransfers vom Firmenkonto der Schuldnerin auf ihr Privatkonto mit Wissen und Wollen der einzigen Geschäftsführerin der Schuldnerin € 625.260,30 lukriert. Durch diese Handlungen sei der Befriedigungsfonds der Gläubiger geschmälert worden. Die Anfechtung sei befriedigungstauglich, weil sie geeignet sei, die Befriedigungsaussichten der Gläubiger zu verbessern. Das Klagebegehren werde auf §§ 27 ff IO, das Verbot der Einlagenrückgewähr (§ 82 GmbHG) sowie Schadenersatz und Bereicherung gestützt.
[8] Die Bekl entgegnete, Gewinne aus verbotener Tätigkeit seien nicht ausgleichsfähig. Mit dem Haftungsbescheid des FA Wien 1/23 vom 15.10.2020 sei sie als Haftpflichtige für die Abgabenschuld der Schuldnerin zur Entrichtung von € 10.078.087,84 aufgefordert worden. Da die Schuldnerin dieselbe abgabenrechtliche Leistung schulde, könne sich der Kl nur insofern bei der Bekl regressieren, als die Schuldnerin mehr als den auf sie entfallenden Anteil entrichtet habe. [...]
[10] [Das] ErstG [gab] dem Klagebegehren statt. Die Anfechtungstatbestände der §§ 28 Z 1 und 29 Z 1 IO seien erfüllt. Aufgrund der Kollusion mit der Zweitbekln könne das Klagebegehren auch auf das Verbot der Einlagenrückgewähr (§§ 82 f GmbHG) und auf die schadenersatzrechtlichen Bestimmungen des ABGB (§ 1295 Abs 2 ABGB; §§ 1301, 1311 ABGB iVm § 159 StGB) gestützt werden.
[11] Das BerG bestätigte dieses Urteil. [...]
[15] Die Revision ist zulässig, sie ist aber nicht berechtigt
[16] 1.1. Rechtshandlungen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und das Vermögen des Schuldners betreffen, können angefochten und den Insolvenzgläubi
gern gegenüber als unwirksam erklärt werden (§ 27 IO).
[17] 1.2. Rechtshandlungen sind alle Handlungen, die rechtliche Wirkungen auslösen (RS0050539). Die angefochtene Rechtshandlung betrifft jedenfalls dann das Vermögen des Schuldners iSd § 27 IO, wenn der IV als Anfechtungskläger bewies, dass der Schuldner im Zeitpunkt der Vornahme der angeführten Rechtshandlung Besitzer des Anfechtungsobjekts war und dem Anfechtungsgegner der Nachweis eines eigenen oder fremden Anspruchs auf Aussonderung dieses Vermögens misslang (RS0117336).
[18] 1.3. Nach den Feststellungen fand eine Vermengung der von der Republik Ö zu Unrecht auf das Konto der Schuldnerin ausgezahlten Vorsteuerbeträge mit dem Vermögen der Schuldnerin statt, was eine Eigentumsklage (RS0010927; RS0010924; 17 Ob 8/21g1)) und einen Aussonderungsanspruch der Republik Ö ausschließt. Die Vorinstanzen bejahten daher zutreffend die vermögensrechtlichen Wirkungen der angefochtenen Zahlungen auf die Masse.
[19] 1.4. Dem hält die Bekl nur entgegen, dass das durch das strafrechtswidrige Verhalten erwirkte Vermögen wegen der kriminellen Herkunft nicht der Schuldnerin „zugeordnet“ werden könne und sie darüber nie hätte disponieren dürfen, sodass es auch keinen tauglichen Haftungsfonds für die Gläubiger darstelle. Bereits das BerG wies richtig darauf hin, dass der originäre Eigentumserwerb nach § 371 F 1 ABGB nicht von der Redlichkeit des Erwerbers abhängt (Winner in Rummel/Lukas4 § 371 Rn 5; Zoppel in Schwimann/Kodek5 § 371 Rn 1).
[20] 2. Allen Anfechtungstatbeständen nach der IO liegt zT unausgesprochen das Erfordernis der Gläubigerbenachteiligung zugrunde (RS0064333). Ebenso die Befriedigungstauglichkeit (RS0064333 [T2]).
[21] Benachteiligung liegt vor, wenn der Befriedigungsfonds, auf den die Gläubiger im Insolvenzverfahren jeweils angewiesen sind, im Vergleich zum Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung verkleinert worden ist (durch Erhöhung der Passiva oder Verringerung der Aktiva) und Gläubiger einen Ausfall erleiden (RS0064333 [T6]; RS0064354 [T6]). Befriedigungstauglich ist eine Anfechtung, wenn Forderungen in der Insolvenz festgestellt wurden, die bei der erfolgreichen Anfechtung erhöhte Befriedigungsaussichten haben (vgl RS0064629). Die Beseitigung des Erfolgs der Rechtshandlung muss demnach
geeignet sein, die Befriedigungsaussichten der Insolvenzgläubiger oder der Massegläubiger zu fördern, zumindest also die tw Befriedigung der Gläubiger herbeizuführen oder doch zu erleichtern oder zu beschleunigen (RS0050591; RS0064629 [T4]). Jede Erweiterung der Zugriffsmöglichkeit der Gläubiger auf Vermögensstücke des Schuldners lässt die Anfechtung daher vorerst als befriedigungstauglich erscheinen (RS0064354 [T5]).
[22] 3. Anerkannt ist, dass rechtswidrige Handlungen das Tatbestandsmerkmal der Rechtshandlung erfüllen können (König/Trenker, Anfechtung IO6 Rn 3.4; Bollenberger/Spitzer in KLS2 § 27 IO Rn 10; Astner/Hermann/Pateter in Clavora/Kapp/Mohr, Jb Insolvenzund SanierungsR [2016] 271; Koziol, ZIK 1997, 134; Koziol/Bollenberger in Bartsch/Pollak/Buchegger, ÖInsR4 § 27 IO Rn 29; Bartsch/Heil, InsR [1983] Rn 254; Petschek/Reimer/Schiemer, InsR [1973] 290; Wegan, ÖInsR [1973] 56). Auch Zahlungen als Folge einer rechtswidrigen Handlung können Rechtshandlungen sein. So beurteilte der OGH in 2 Ob 177/06b die Zahlung einer gerichtlich verhängten Geldstrafe als anfechtbare Rechtshandlung iSd § 28 KO.
[23] 3.1. Zu prüfen ist nun, ob auch Zahlungen aus Mitteln des Schuldners, die er unmittelbar aus strafbaren Handlungen erlangt hat, gläubigerbenachteiligende Rechtshandlungen sind, deren Anfechtung befriedigungstauglich ist.
[24] 3.2. König/Trenker (aaO Rn 3.12, 5.24) vertreten, dass das Anfechtungsrecht nicht moralisiere. Ebenso wie eine Zahlung aus Mitteln des Insolvenzschuldners, die dieser aus einer strafbaren Handlung erlangt habe, gläubigerbenachteiligend und deren Anfechtung befriedigungstauglich sei, könnten auch die Deckung eines Schadenersatzgläubigers, die Rückzahlung einer mangels vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung ungültigen Leistung Minderjähriger, die Bezahlung einer Geldstrafe, die Zahlung einer Diversionsauflage, die Rückzahlung einer europarechtswidrigen staatlichen Beihilfe und sogar Zahlungen aufgrund eines bestätigten Sanierungsplans und Unterhaltsleistungen anfechtbar sein. Auch die Anfechtung der Pfändung eines Guthabens, das aus einer Straftat stamme, sei befriedigungstauglich.
[25] 3.3. Das OLG Hamm 27 U 169/05 (gebilligt vom BGH IX ZR 87/06) sprach aus, dass die Pfändung eines Kontogut
1) ÖBA 2023, 218.
habens auch dann gläubigerbenachteiligend sei, wenn das gepfändete Kontoguthaben iW aus einer Straftat stamme. Auch dort deklarierte der Schuldner im Wege eines sog „Umsatzsteuerkarussells“ hauptsächlich Scheingeschäfte und erlangte hiedurch ihm nicht zustehende Vorsteuererstattungsbeträge.
[26] Schmittmann/Zeeck (in Haarmeyer/ Wutzke/Förster, InsO2 § 129 Rn 8) vertreten ebenfalls, dass die Gläubigerbenachteiligung nicht deshalb zu verneinen sei, weil das gepfändete Guthaben iW aus einer Straftat stamme.
[27] Kreft geht (in KTS 2012, 407) auf die Herkunft des Schuldnervermögens ein. Er führt aus, dass es für die Gläubigerbenachteiligung regelmäßig ohne Bedeutung sei, aus welchen Quellen das Schuldnervermögen stamme, das durch die angefochtene Rechtshandlung gekürzt werde. Deshalb werde die Pfändung eines Kontoguthabens auch dann als gläubigerbenachteiligend angesehen, wenn dieses Guthaben iW aus einer Straftat herrühre.
[28] 3.4. Der OGH schließt sich diesen Meinungen an: Auch solche Zahlungen aus Mitteln des Schuldners, die er aus strafbaren Handlungen erlangt hat, können gläubigerbenachteiligende Rechtshandlungen sein, deren Anfechtung befriedigungstauglich ist. Richtig ging schon das BerG davon aus, dass unabhängig von der Frage, ob die Schuldnerin rechtmäßig in den Besitz des Firmenvermögens gelangte, der vorgebrachte Vermögenstransfer von ihrem Konto auf das Privatkonto der Bekl mit Wissen und Wollen der Geschäftsführerin der Schuldnerin deren Aktiva verringerte und zu einer Benachteiligung der Gläubiger führte. Würde das durch die Überweisung auf das Privatkonto der Bekl dem Zugriff der Gläubiger entzogene Vermögen wieder der Insolvenzmasse zugeführt, würden sich die Befriedigungsaussichten der Gläubiger ohne Zweifel erhöhen. Eine andere Sichtweise würde zu dem Ergebnis führen, dass die widrigen Folgen des Umstands, dass die Mittel aus einer Straftat erlangt wurden, den übrigen Insolvenzgläubigern aufgebürdet würden, obwohl gerade sie nichts zur strafbaren Handlung beigetragen haben und keinen Anlass hatten, am Haftungsfonds der Schuldnerin zu zweifeln.
[29] 3.5.1. Die Anfechtungstatbestände der IO nach den §§ 27 ff IO verfolgen ausschließlich den Zweck, die den Gläubigern zur Befriedigung ihrer Ansprüche zur Verfügung stehende Insolvenzmasse gegen die Vorgänge vor der Insolvenzeröffnung zu immunisieren, die geeignet
sind, den Befriedigungsfonds zu verkleinern oder zumindest die Befriedigung zu erschweren. Ziel der Anfechtung ist die Herstellung jenes Zustands, in dem sich die Masse befände, wenn die anfechtbare Rechtshandlung nicht vorgenommen worden wäre (RS0050372). Das Anfechtungsrecht dient nicht dazu, den Gläubigern Vorteile zu verschaffen, die sie ohne Vornahme der anfechtbaren Rechtshandlung nicht erzielt hätten, sondern der Masse soll durch die Anfechtung nur dasjenige wieder zugeführt werden, was ihr ohne die anfechtbare Rechtshandlung verblieben wäre (RS0050372 [T1]).
[30] 3.5.2. Der Umstand, dass die Bekl als Folge ihrer rk Verurteilung im Finanzstrafverfahren aufgrund des konstitutiv wirkenden Haftungsbescheids selbst für die Abgabenschuld der Schuldnerin gegenüber der Republik Ö haftet (§ 11 BAO) und sie damit persönlich zur Haftung für die Abgabenschuld herangezogen wurde, steht der Anfechtung von Rechtshandlungen im Insolvenzverfahren bereits vor dem eben dargestellten Zweck der Anfechtungstatbestände nicht entgegen.
[31] 4.1. Gem § 28 Z 1 IO sind alle Rechtshandlungen, die der Schuldner in der dem anderen Teil bekannten Absicht, seine Gläubiger zu benachteiligen, in den letzten zehn Jahren vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen hat, anfechtbar.
[32] 4.2. Benachteiligungsabsicht ist schon dann anzunehmen, wenn der Schuldner in Form des bedingten Vorsatzes die Benachteiligung der Gläubiger ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden hat, mag die Gläubigerbenachteiligung auch nicht der einzige Beweggrund gewesen sein (RS0064166 [T9]). Die Benachteiligung muss nicht gerade der Zweck der anfechtbaren Handlung gewesen sein, es genügt das Bewusstsein einer solchen (RS0050629 [T1]). Entscheidender Zeitpunkt für die Kenntnis der Benachteilungsabsicht ist die Vornahme der Rechtshandlung; nachträgliche Kenntnis schadet nicht (RS0064273).
[33] 4.3. Ausgehend vom festgestellten Sachverhalt bejahten die Vorinstanzen das Vorliegen der Anfechtungsvoraussetzungen des § 28 Z 1 IO.
2973.
https://doi.org/10.47782/oeba202401005701
§§ 2, 15 EKEG; § 67 IO. Bürgt ein Gesellschafter in einem Zeitpunkt, in dem eine Kreditgewährung Eigenkapital
ersetzend wäre, für die Rückzahlung des Kredits eines Dritten, bestellt er ein Pfand oder leistet er eine vergleichbare Sicherheit, so kann sich der Dritte gemäß § 15 Abs 1 EKEG bis zur Sanierung der Gesellschaft trotz entgegenstehender Vereinbarung wegen der Rückzahlung des Kredits aus der Sicherheit befriedigen, ohne zuerst gegen die Gesellschaft vorgehen zu müssen.
OGH 25. 9. 2023, 17 Ob 18/23f
Aus der Begründung:
[2] 2. Gem § 1 EKEG ist ein Kredit, den ein Gesellschafter der Gesellschaft in der Krise gewährt, Eigenkapital ersetzend. Bürgt ein Gesellschafter – wie hier der Bekl – in einem Zeitpunkt, in dem eine Kreditgewährung Eigenkapital ersetzend wäre, für die Rückzahlung des Kredits eines Dritten, bestellt er ein Pfand oder leistet er eine vergleichbare Sicherheit, so kann sich der Dritte gem § 15 Abs 1 EKEG bis zur Sanierung der Gesellschaft trotz entgegenstehender Vereinbarung wegen der Rückzahlung des Kredits aus der Sicherheit befriedigen, ohne zuerst gegen die Gesellschaft vorgehen zu müssen. Bezahlt der Gesellschafter die fremde Schuld, so kann er gegen die Gesellschaft nicht Regress nehmen, solange diese nicht saniert ist. Eine Krise liegt ua dann vor, wenn die Gesellschaft – wie hier die Schuldnerin zum Zeitpunkt der Garantieerklärung des Bekl – iSd § 67 IO überschuldet ist (§ 2 Abs 1 Z 2 EKEG).
[3] 3. Der Wortlaut des § 2 Abs 1 Z 2 EKEG legt nahe, dass es im Fall der Überschuldung (wie auch im Fall der Zahlungsunfähigkeit gem § 2 Abs 1 Z 1 EKEG) nur auf das objektive Vorliegen dieses Tatbestands ankommt, weil ein subjektives Element nur für den Fall des § 2 Abs 1 Z 3 EKEG (Reorganisationsbedarf) normiert ist (§ 2 Abs 2 EKEG). Der objektive Tatbestand des § 2 Abs 1 Z 2 EKEG ist hier nach den Feststellungen zweifellos erfüllt.
[4] 4. Die vom Bekl als erheblich erachtete Rechtsfrage, ob es auch im Fall der Überschuldung auf eine Erkennbarkeit der Krise für den Gesellschafter ankomme (idS Burtscher/Spitzer, wbl 2022, 601), stellt sich hier nicht:
[5] Nach den Feststellungen war die spätere Schuldnerin (Insolvenzeröffnung im August 2018) zum Zeitpunkt der Garantieerklärung des Bekl im Rahmen einer Umschuldung (3.3.2017) bereits rechnerisch überschuldet, ohne dass
damals eine positive (insolvenz bzw eigenkapitalersatzrechtliche) Fortbestehensprognose möglich gewesen wäre, und der jüngste damals vorliegende Jahresabschluss (zum 31.12.2015) ergab eine Eigenkapitalquote von bloß 0,94% und eine fiktive Schuldentilgungsdauer von 75,79 Jahren. Die wirtschaftliche Situation der Schuldnerin hatte sich zwar im Jahr 2016 (geringfügig und vorübergehend) verbessert; der Bekl konnte aber am 3.3.2017 nicht auf den – damals noch gar nicht erstellten – Jahresabschluss zum 31.12.2016 und die daraus ableitbaren Kennzahlen (Eigenkapitalquote von 6,56% und fiktive Schuldentilgungsdauer von 10,55 Jahren) vertrauen.
2974.
https://doi.org/10.47782/oeba202401005801
§§ 914, 915, 1389 ABGB; § 163a StGB. Vergleiche sind nach stRsp anhand der allgemeinen Regeln der §§ 914, 915 ABGB auszulegen. Wurde im Vorfeld eines Vergleichs zwischen einem Kreditinstitut und dem Geschäftsführer einer insolventen GmbH ausschließlich über seine „persönlichen Haftungen“ über rund € 500.000 aus seiner Bürgschaft gegenüber dem Kreditinstitut verhandelt, erfasst der Vergleich nicht auch etwaige Schadenersatzansprüche wegen Bilanzfälschung (§ 163a Abs 1 Z 1 StGB), für die der Geschäftsführer verurteilt wurde.
OGH 28. 3. 2023, 10 Ob 32/22m
Aus der Begründung:
[1] Mit Kreditvertrag vom 15.9.2016 räumte die Kl einer GmbH einen Kredit über € 1,85 Mio ein, wobei ihr die Jahresabschlüsse 2012 bis 2015 zur Verfügung standen. Der Bekl unterfertigte als (damals einziger) Geschäftsführer den Kredit vertrag für die GmbH und übernahm für den Kredit im Umfang von € 500.000 die persönliche Haftung als Bürge und Zahler.
[2] Am 16.1.2018 wurde über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet und im August 2018 Masseunzulänglichkeit angezeigt.
[3] Der Bekl versuchte parallel dazu, mit seinen Gläubigern einen außergerichtlichen Ausgleich zu erzielen. Er trat deswegen im Mai 2018 an die Kl heran, um eine Regelung seiner „persönlichen Haftungen“ über „rund € 500.000“ aus der „Bürgschaft S GmbH“ zu erreichen. Die mit den Vergleichsverhandlungen be
auftragten Vertreter der Parteien gingen davon aus, dass die Kl nur Forderungen aus der Bürgschaft gegen den Bekl habe. Nach längeren Verhandlungen unterfertigte die Kl am 18.12.2018 folgende Erklärung:
„1. Wir haben gegen Ing. A [...] (‚der Schuldner‘) eine Forderung von € 500.000 (in Worten [richtig:] fünfhunderttausend).
2. Wir verzichten gegenüber dem Schuldner auf alle darüber hinausgehenden Forderungen, wenn wir auf unsere Forderung eine 20% ige Quote, die in folgenden Raten zu bezahlen ist, erhalten: […].
Für den Fall des Zahlungsverzuges trotz einschreibbrieflicher Mahnung unter Setzung einer Nachfrist von 14 Tagen, lebt unsere Forderung, abzgl der erfolgten Zahlungen, zG wieder auf“.
[4] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob Schadenersatzansprüche wegen „Bilanzfälschung“ (§ 163a Abs 1 Z 1 StGB), für die der Bekl hinsichtlich des Jahresabschlusses 2015 im Jahr 2020 rk verurteilt wurde, vom Vergleich erfasst sind.
[5] Die Kl vertritt dazu den Standpunkt, nur einen Nachlass auf die unzweifelhafte Forderung aufgrund der Haftung des Bekl als Bürge und Zahler gewährt zu haben. Eine Regulierung anderer Forderungen sei weder intendiert gewesen noch erfolgt.
[6] Demgegenüber meint der Bekl, dass der außergerichtliche Ausgleich als Generalvergleich konzipiert und auch abgeschlossen worden sei, weil die Regulierung nur einzelner Forderungen für ihn sinnlos gewesen wäre. Dem Vergleich komme daher insofern bereinigende Wirkung zu, als er alle Ansprüche der Kl erfasse, die sie damals gekannt habe oder hätte kennen müssen. Das sei beim nun verfolgten Schadenersatzanspruch der Fall, weil ihm die Kl schon 2017 Bilanzfälschungen vorgeworfen und eine (persönliche) Inanspruchnahme angedroht habe, wenn sie deswegen einen Ausfall erleide. Darüber hinaus habe er vor Abschluss des Vergleichs sogar explizit darauf hingewiesen, dass mögliche Haftungen aus seiner ehemaligen Funktion als Geschäftsführer der GmbH in der Aufstellung seiner Passiva nicht berücksichtigt seien.
[7] Das ErstG wies das auf Schadenersatz aufgrund der Bilanzfälschung und (im Fall der Annahme eines Generalvergleichs) Irrtum gestützte Klagebegehren
über € 500.000 ab. Der außergerichtliche Ausgleich vom 18.12.2018 sei ein Vergleich, der nach dem Verständnis redlicher Parteien auf eine umfassende Bereinigung auch unbekannter Forderungen abziele.
[8] Das BerG gab der Klage unter Verweis auf § 1389 S 2 ABGB statt. Der Bekl habe der Kl die aus seinem strafbaren Verhalten resultierenden Schadenersatzansprüche geflissentlich verheimlicht, weil ihm seine Bilanz manipulation selbstverständlich schon vor seiner Verurteilung bewusst gewesen sei und er nicht davon habe ausgehen dürfen, dass auch die Kl davon Kenntnis habe. Da der eingeklagte Betrag im aushaftenden Kreditobligo Deckung finde, sei er der Kl zum Schadenersatz verpflichtet. Auf die Irrtumsanfechtung müsse daher nicht mehr eingegangen werden. [...]
[10] Seiner Revision legt der Bekl weiterhin zugrunde, einen Generalvergleich mit der Kl geschlossen zu haben. Ausgehend davon erblickt er Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO primär darin, dass die an § 1389 S 2 ABGB anknüpfenden Rechtsfolgen, deren Verhältnis zur Anfechtung wegen List und Irrtum und der Umfang der Pflicht zur Aufklärung des Gegners in der Rsp noch weitgehend ungeklärt seien. Die Kl habe auf die Bilanzfälschung gestützte Schadenersatzansprüche zumindest für möglich gehalten, was ein geflissentliches Verheimlichen durch den Bekl ausschließe. Die vom BerG geforderte Kenntnis aller Facetten des Sachverhalts, insb über eine vorsätzliche Bilanzfälschung, sei nicht notwendig.
[11] Mit diesem Vorbringen vermag der Bekl die Zulässigkeit der Revision nicht aufzuzeigen, weil die von ihm als erheblich bezeichneten Rechtsfragen für die E nicht präjudiziell sind (RS0088931 [T2, T4, T7]).
[12] 1. Voranzustellen ist, dass die Vorinstanzen Wirkungen und Reichweite des erzielten außergerichtlichen Ausgleichs zu Recht nach den Bestimmungen über den Vergleich (§§ 1380 ff ABGB) beurteilt haben (RS0032499).
[13] 2. Nach stRsp bestimmt sich nach dem übereinstimmend erklärten Parteiwillen, was die Streitteile als Gegenstand der Streitbereinigung angenommen haben (RS0017954; 9 Ob 74/22f; Neumayr in KBB6 § 1389 Rn 1). Es gelten die Grundsätze der Vertrauenstheorie (RS0014696), sodass Vergleiche anhand der allgemeinen Regeln der §§ 914, 915 ABGB auszulegen sind (RS0017943). Demnach ist ein Vertrag unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs
(RS0017817 [T3]; RS0017902) aufgrund der Erklärungen in dem Sinn, den diese nach der Sachlage notwendigerweise für den Partner haben mussten (RS0017781), und damit so auszulegen, wie er bei objektiver Beurteilung der Sachlage für einen redlichen und verständigen Empfänger zu verstehen war (RS0113932). Entscheidend für das Verständnis der wechselseitigen Erklärungen ist demnach der – iZm dem konkreten Vergleichszweck zu beur teilende (RS0017954 [T2]; 2 Ob 149/22h) – objektive Erklärungswert (RS0014696 [T3]; 9 Ob 37/21p). Was der jeweilige Erklärende erklären wollte oder was der Erklärungsempfänger darunter verstanden hat, also deren (nicht offengelegte) subjektive Absicht, ist hingegen nicht maßgeblich (RS0014205 [T30]; 10 Ob 9/22d).
[14] 3. Die Anwendung dieser Auslegungsgrundsätze führt hier zur Beurteilung, dass mit dem Vergleich nicht alle (möglichen) Forderungen der Kl bereinigt wurden.
[15] 3.1. Zunächst steht fest, dass in den im Vorfeld des Vergleichsabschlusses geführten Gesprächen der Parteien (ihrer Vertreter) Schadenersatzansprüche der Kl nicht thematisiert wurden. Auch in der Korrespondenz bzw den vom Bekl erstatteten Vergleichsvorschlägen war immer nur von Verbindlichkeiten über € 500.000 aus seiner Haftung für Schulden der GmbH die Rede. Zwar erwähnte der Vertreter des Bekl einmal auch etwaige „Haftungen als ehemaliger Geschäftsführer“. Abgesehen davon, dass sich dieser Hinweis nicht auf Forderungen der Banken, sondern der „ sonstigen Gläubiger“ bezog, erfolgte er nach den Feststellungen bloß vorsichtshalber bzw „standardmäßig“, ohne dass dem Ver treter des Bekl ein dahingehender konkreter Vorwurf bekannt war. Auch der Ver treter der Kl war der Ansicht, diese habe nur eine Forderung aus der Bürgschaft gegen den Bekl. Die Verhandlungen bis zum Vergleichsabschluss beschränkten sich demnach durchgehend auf einen Nachlass bzgl der dem Grunde und der Höhe nach unstrittigen Forderung aus der (vertraglichen) Haftung des Bekl für die Schulden der GmbH. Etwaige Schadenersatzansprüche standen hingegen nie zur Debatte.
[16] 3.2. Vor diesem Hintergrund sprechen Aufbau und Wortlaut des Vergleichs klar dafür, dass damit nur die aus der Bürgschaftshaftung resultierende Forderung geregelt werden sollte: Die Unterteilung des Vergleichs in zwei Punkte
kann nur dahin verstanden werden, dass in Pkt 1. – in Form einer Präambel – der Gegenstand der im folgenden Pkt 2. darüber getroffenen Vereinbarung umschrieben wird. Hätte der Vergleich auch andere (mögliche) Forderungen erfassen sollen, wäre Pkt 1. überflüssig gewesen. Denn dieses Ziel hätte allein durch den Pkt 2. erreicht werden können, indem dort € 500.000 als Grundlage der angebotenen Zahlung(en) angeführt werden. Dieses Ergebnis wird auch dadurch gestützt, dass im Fall des Zahlungsverzugs nur die Forderung laut Pkt 1. und nicht auch die vom Vergleich vermeintlich betroffenen weiteren (sonstigen) Forderungen auf leben. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Nennung allfälliger weiterer Forderungen bloß deshalb unterblieben ist, weil die Bekl auf andere (darüber hinausgehende) Forderungen jedenfalls, dh unter Umständen sogar ohne jede Zahlung des Bekl, verzichten wollte.
[17] 3.3. Für den Standpunkt des Bekl spricht nur, dass bei Zahlung der Quote ein Verzicht der Kl auf alle darüber hinausgehenden Forderungen vereinbart wurde. Denn angesichts des vereinbarten Haftungshöchstbetrags können damit zwar nicht – wie von der Kl behauptet – mit der Bürgschaftsforderung zusammenhängende Nebenforderungen (Zinsen oder Kosten) gemeint sein (RS0018012; RS0032188; Gamerith in Rummel3 § 1353 Rn 2 lit aa und Rn 5). Das gibt hier aber nicht den Ausschlag. Die Verwendung des Plural ist zwar unglücklich und wirft Fragen auf. Allein wegen dieser (unklaren) Formulierung durfte der Bekl die Vereinbarung aber nicht als Generalvergleich auffassen. Ob er subjektiv einen Generalvergleich schließen wollte, ist nicht von Bedeutung.
[18] 3.4. Zusammenfassend ergibt die Auslegung des Vergleichs, dass dieser nur die bis zu seinem Abschluss allein thematisierten Ansprüche aus der Haftung des Bekl als Bürge und Zahler für die Verbindlichkeiten der GmbH, nicht aber etwaige andere, insb deliktische Ansprüche der Kl umfasst.
[19] 4. Werden Schadenersatzansprüche von der Bereinigungswirkung des Vergleichs nicht erfasst, ist unerheblich, ob der Bekl solche geflissentlich verheimlicht hat oder nicht. Die dazu in der Revision aufgeworfenen Rechtsfragen stellen sich daher nicht. Auch die idZ behauptete Aktenwidrigkeit und Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens können sich auf den Ausgang der Sache nicht auswirken.
[20] 5. Seine aus der strafbaren Handlung folgende Schadenersatzpflicht 1) ÖBA 2019, 454.
(RS0023677; 10 Ob 100/18f 1) [zu § 255 AktG aF]) zieht der Bekl nicht in Zweifel. Er wendet nur ein Mitverschulden der Kl ein, womit er aber ebenfalls keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO anspricht. Es entspricht der stRsp, dass eine allfällige Fahrlässigkeit des Geschädigten – die der Bekl hier daraus ableitet, dass die Bilanzmanipulation für die Kl leicht erkennbar gewesen wäre – gegenüber dem vorsätzlichen Handeln des Schädigers nicht ins Gewicht fällt (RS0016291). Warum dem BerG dennoch ein aufzugreifender Rechtsirrtum unterlaufen sein soll, wird in der Revision nicht näher erläutert.
2975.
https://doi.org/10.47782/oeba202401005901
§§ 1, 28, 29 KSchG; § 1 UGB; Art 6 Rom-I. Ein Verein ist als Unternehmer iSd § 1 Abs 2 KSchG zu qualifizieren, wenn er als professionell auftretender Marktteilnehmer handelt, der seinen Mitgliedern verschiedene (Versicherungs-)Leistungen anbietet und eine entsprechende Vertriebsorganisation hat, und zwar unabhängig davon, ob er für die Vermittlungstätigkeit vergütet wird.
Ermöglicht der Verein seinen Mitgliedern den Beitritt zu einem Gruppenversicherungsvertrag gegen Entgelt, ist der zugrundeliegende Vertrag gemäß Art 6 Abs 1 ROM I-VO anzuknüpfen, weil aufgrund der professionellen Akquise einer Vielzahl von Verbrauchern für den Versicherungsbeitritt eine berufliche Tätigkeit vorliegt, auch wenn der Verein kein Entgelt für die Versicherungsleistung erhält.
OGH 21. 2. 2023, 7 Ob 206/22b
Aus den Entscheidungsgründen:
[1] Der Kl ist ein zur Verbandsklage nach § 29 Abs 1 KSchG berechtigter Verband.
[2] Der Bekl ist ein (Sport)Verein nach dt Recht. Sein Vereinszweck ist die nachhaltige Förderung des Sports unter angemessener Berücksichtigung von Umweltfragen. Er hat einen Gruppenversicherungsvertrag mit drei in DE ansässigen Versicherungsunternehmen geschlossen. Der Bekl bietet unterschiedliche Formen der Mitgliedschaft an. Es gibt eine Mitgliedschaft ohne Versicherungsschutz und eine solche mit (unterschiedlichem Ausmaß an) Versicherungsschutz; im letzteren Fall bestimmt der Umfang des Versicherungsschutzes die Höhe des Mitgliedsbeitrags. Er bietet alle Formen der Mitgliedschaft auch in österr
Sportartikelgeschäften und in auf den österr Markt ausgerichteten Onlineshops an. [...]
[5] Der Bekl beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Er schließe keine Versicherungsverträge ab, sondern sei Gruppenversicherungsnehmer, der seinen Vereinsmitgliedern den Beitritt zu einem Gruppenversicherungsvertrag ermögliche, weshalb gem Art 1 Abs 2 lit f Rom IVO dt Recht anzuwenden sei. Mangels gewerblicher Tätigkeit des Bekl komme auch Art 6 Rom IVO nicht zur Anwendung. Da der Bekl weder Unternehmer iSv § 1 Abs 2 KSchG sei noch § 1 Abs 5 KSchG anzuwenden sei, und zwischen ihm und seinen Mitgliedern kein Versicherungsvertrag bestehe, sei weder das KSchG noch das VersVG anzuwenden.
[6] Das ErstG gab dem Klagebegehren zG statt.
[7] Das BerG bestätigte diese E in Bezug auf die Klauseln 1, 2 sowie 4 bis 7. Hinsichtlich Klausel 3 änderte es das Ersturteil iSd Abweisung des Klagebegehrens ab.
[8] Gegen den abweisenden Teil [Klausel 3] richtet sich die Revision des Kl.
[9] Gegen den stattgebenden Teil [Klauseln 1, 2 und 4 bis 7] richtet sich die Revision des Bekl. [...]
[11] Die Revisionen sind zulässig, jene des Kl ist auch berechtigt. [...]
2. Zum anwendbaren Recht
[13] 2.1. Bei Unterlassungsklagen eines Verbraucherschutzverbands ist zwischen der Anknüpfung des Unterlassungsanspruchs einerseits und der Beurteilung der Zulässigkeit der Klauseln andererseits zu unterscheiden: Der Unterlassungsanspruch ist deliktsrechtlich zu qualifizieren, sodass das auf diesen Anspruch selbst anwendbare Recht nach Art 6 Abs 1 Rom IIVO zu ermitteln ist, was im vorliegenden Fall unstr zur Anwendung österr Rechts führt. Der Beurteilungsmaßstab ist dagegen ein vertragsrechtlicher, weshalb sich das maßgebende Recht für die Beurteilung der Zulässigkeit der Klauseln nach der Rom IVO richtet (C191/15 ECLI:EU:C:2016:612 VKI; Musger in KBB6 Art 6 Rom IVO Rn 2; Mankowski, NJW 2016, 2705; BGH Xa ZR 19/08 = NJW 2009, 3371).
[14] 2.2. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass der Ausnahmetatbestand gem Art 1 Abs 2 lit f Rom IVO nicht zur Anwendung kommt, zieht der Bekl in der
Revision zurecht nicht mehr in Zweifel (RS0043338; C25/18 Kerr Rn 33 f). Es stellt sich daher die Frage, welche konkrete Kollisionsnorm der Rom IVO im vorliegenden Fall anzuwenden ist:
[15] 2.3. Bei der Gruppenversicherung wird durch einen Vertrag einer Mehrzahl versicherter Personen für eine diese gemeinsam treffende Gefahr Versicherungsschutz gewährt (Perner, PrivatversR Rn 6.34; Fritz/Dreher, VersR 2021, 220). Schließt der Versicherungsnehmer (Bekl) – wie hier – den Versicherungsvertrag zu Gunsten der Gruppenmitglieder (hier Vereinsmitglieder mit Versicherungsschutz), wird dies als „echte Gruppenversicherung“ bezeichnet. Diese stellt eine besondere Form der Versicherung für fremde Rechnung dar (7 Ob 17/94; Perner, PrivatversR Rn 6.34; Wieser, Gruppenversicherungen 83; Laimer/Kronthaler in Fenyves/ Perner/ Riedler, VersVG³ § 178m Rn 9). Bei der Versicherung für fremde Rechnung liegt aber zwischen Versicherungsnehmer und Versichertem kein Versicherungsvertrag vor, sodass Art 7 Rom IVO auf dieses Rechtsverhältnis schon seinem Wortlaut nach nicht anwendbar ist. Vielmehr ist das Recht maßgeblich, das auf den zwischen Versicherungsnehmer und Versichertem bestehenden Vertrag oder auf das sonst zwischen ihnen bestehende Rechtsverhältnis anwendbar ist (Looschelders in MünchKommVVG2 30. Internationales VersicherungsvertragsR Rn 164). Die Anwendbarkeit des Art 7 Rom IVO auf das Verhältnis zwischen dem Bekl als Gruppenversicherungsnehmer (Gruppenspitze) und seinen versicherten Mitgliedern ist daher unzweifelhaft zu verneinen.
[16] 2.4.1. Gem Art 6 Abs 1 Rom IVO unterliegt ein Vertrag, den eine natürliche Person zu einem Zweck, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann („Verbraucher“), mit einer anderen Person geschlossen hat, die in Ausübung ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit handelt („Unternehmer“), dem Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern der Unternehmer
a) seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit in dem Staat ausübt, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder
b) eine solche Tätigkeit auf irgendeiner Weise auf diesen Staat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Staates, ausrichtet
und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt.
[17] 2.4.2. Der sachliche Anwendungsbereich des Art 6 Rom IVO ist weit gefasst. Grds werden alle für Verbraucher denkbaren Vertragstypen erfasst (Staudinger in Ferrari et al, Internationales VertragsR 3 Art 6 Rom IVO Rn 25; Spickhoff in BeckOKBGB64 Art 6 Rom IVO Rn 9; Martiny in MünchKommBGB8 Art 6 Rom IVO Rn 20). Der Vertrag muss auch keine synallagmatischen Verpflichtungen begründen; vielmehr werden auch einseitige Verpflichtungen erfasst, wenn diese ihren Urheber wie ein Vertrag binden (Heiderhoff in Rauscher, EuZVR/EuIPR4 Art 6 Rom IVO Rn 41; EuGH C180/06 Ilsinger Rn 51 f; Simotta in Fasching/ Konecny3 Art 17 EuGVVO 2012 Rn 76; Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR4 Art 17 EuGVVO Rn 66). Lediglich negativ werden in Art 6 Abs 4, Art 5 und Art 7 Rom IVO bestimmte – hier nicht relevante – Vertragstypen bzw Fallgruppen vom Anwendungsbereich der Norm ausgenommen. Soweit der Bekl behauptet, die bloße Mitgliedschaft in einem Verein sei nicht als Vertrag iSv Art 6 Abs 1 Rom IVO zu werten, entfernt er sich vom festgestellten Sachverhalt, geht es doch hier um die Mitgliedschaftsform mit Versicherungsschutz, bei der gegen Zahlung eines (zusätzlichen) Entgelts Versicherungsschutz in Form des Beitritts zu einem Gruppenversicherungsvertrag gewährt wird. Dabei handelt es sich ohne Zweifel um einen Vertrag iSv Art 6 Abs 1 Rom IVO.
[18] 2.4.3. Art 6 Abs 1 Rom IVO verlangt weiters, dass der Vertragspartner des Verbrauchers in Ausübung seiner beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit handelt, also unternehmerisch tätig ist. Entscheidend ist dabei die professionelle Tätigkeit (vgl auch die französische Fassung des Art 6: „activité professionelle“), die idR erfordert, dass eine Mehrzahl von Geschäften geschlossen wird (Magnus in Staudinger, BGB Art 6 Rom IVO Rn 52). Die Ausübung eines Gewerbes iSd GewO ist ebenso wenig erforderlich wie die Absicht, mit der Tätigkeit einen Gewinn zu erzielen (Rühl in BeckOGKBGB Art 6 Rom IVO Rn 64; Heiderhoff in Rauscher, EuZVR/EuIPR4 Art 6 Rom IVO Rn 27). Auch die Unentgeltlichkeit des Vertrags schließt nicht aus, dass er gleichwohl der gewerblichen bzw beruflichen Sphäre zuzu rechnen ist (Magnus in Staudinger, BGB Art 6 Rom IVO Rn 53). Nach Ansicht des EuGH erfasst etwa der Begriff des Unternehmers iS von Art 12 der RL 90/425/ EWG auch einen gemein nützigen Verein, der herrenlose Hunde von einem Mitgliedstaat in einen anderen transportiert, um sie Personen anzuvertrauen, die sich verpflichtet haben, sie gegen Zahlung eines Betrags aufzu nehmen,
der grds die dem Verein hierdurch entstandenen Kosten deckt (C301/14 PfotenhilfeUngarn/SchleswigHolstein). Schließlich ist bei der Auslegung der Unter nehmereigenschaft der Zweck des Art 6 Rom IVO zu berücksichtigen, für einen angemessenen Schutz des Verbrauchers als desjenigen Vertragspartners zu sorgen, der gegenüber seinem beruflich oder gewerblich handelnden Kontrahenten als wirtschaftlich schwächer und rechtlich weniger erfahren angesehen wird (C 464/01 Gruber Rn 34; C27/02 Engler Rn 39).
[19] Im vorliegenden Fall liegt allein in der professionellen Akquise einer Vielzahl von (Ski)Versicherungsbeitritten durch Verbraucher ohne Zweifel eine gewerbliche bzw berufliche Tätigkeit des Bekl, zumal der Bekl durch das Versicherungsangebot gegenüber Verbrauchern offenkundig seine Attraktivität steigern will, um dadurch erhöhten Zulauf und Mehreinnahmen durch Mitgliedsbeiträge zu lukrieren. Die zentrale Bedeutung des Versicherungsanbots erhellt schon aus dem vorgelegten Ausdruck der Website des Bekl (RS0121557 [T3]), wo in der Kopfzeile die Skiversicherung mindestens gleich prominent wie der Mitgliederservice offeriert wird. Der Bekl kann auch gar nicht schlüssig darlegen, warum eine derartige Tätigkeit typisch für einen gemeinnützigen Idealverein (Geselligkeitsverein) und daher nicht gewerblich bzw beruflich iSv Art 6 Rom IVO sein soll. Es ist somit auch nicht relevant, ob der Bekl im Fall der Mitgliedschaft mit Versicherungsschutz den „Mehrbetrag“ (Versicherungsprämie) dem Versicherer bloß „weiterleitet“ und auch sonst kein Entgelt vom Versicherer für diese Vermittlungstätigkeit erhält. Insoweit liegt auch kein sekundärer Feststellungsmangel vor.
[20] 2.4.4. Da die weiteren Voraussetzungen des Art 6 Abs 1 Rom IVO (insb das Ausrichten der Tätigkeit auf Österr) vom Bekl nicht bestritten werden, hat die Prüfung der Klauseln auf Basis österr Rechts zu erfolgen.
[21] 2.4.5. Die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens ist nicht erforderlich, weil keine Auslegungszweifel iSd Rsp des EuGH (Rs 283/81 CILFIT ) vorliegen.
3. Zur Anwendung des KSchG
[22] 3.1. Das KSchG gilt für Rechtsgeschäfte, an denen 1. einerseits jemand, für den das Geschäft zum Betrieb seines Unternehmens gehört, und 2. andererseits jemand, für den dies nicht zutrifft, beteiligt sind (§ 1 Abs 1 KSchG). Ein Unternehmen im Sinn des § 1 Abs 1 Z 1
KSchG ist jede auf Dauer angelegte Organisation selbständiger wirtschaftlicher Tätigkeit, mag sie auch nicht auf Gewinn gerichtet sein (§ 1 Abs 2 S 1 KSchG; § 1 Abs 2 UGB).
[23] 3.2. Eine auf Dauer angelegte Organisation selbständiger wirtschaftlicher Tätigkeit liegt vor, wenn planmäßig unter zweckdienlichem Einsatz materieller und immaterieller Mittel, idR unter Mitwirkung einer arbeitsteilig kooperierenden Personengruppe, auf einem Markt laufend wirtschaftlich werthafte Leistungen gegen Entgelt angeboten und erbracht werden (RVHaRÄG 1058 BlgNR 22. GP 19). Auch ideelle Vereine treten als Unternehmer idS auf, wenn sie auf einem Markt wirtschaftlich relevante Tätigkeiten tatsächlich entfalten und hiefür auf Dauer organisatorisch eingerichtet sind; dabei schadet es nicht, dass die unternehmerische Tätigkeit dem (ideellen) Vereinszweck untergeordnet ist (RS0122900).
[24] 3.3. Wird eine Leistung nur den Vereinsmitgliedern aufgrund ihrer Mitgliedschaft angeboten, so wird dadurch mangels Außenauftritts (Marktauftritts) grds keine Unternehmereigenschaft begründet (Dehn, ÖJZ 2006, 47; Artmann/ Herda in Artmann, UGB³ § 1 Rn 40). Anderes gilt allerdings in dem Fall, dass der Verein ein Massenverein mit entsprechender Vertriebsorganisation ist und die Mitglieder iW nur deshalb beitreten, weil sie an den angebotenen Leistungen, nicht aber an der Teilnahme am Vereinsleben interessiert sind. In diesem Fall entwickelt sich innerhalb des Vereins ein eigener Markt, auf dem die Mitglieder angesichts ihrer Anzahl als Marktgegenseite auftreten und für den idR eine eigene Vertriebsorganisation erforderlich ist. Dann handelt es sich nicht mehr um einen typischen Idealverein, sondern um einen unternehmerisch tätigen Rechtsträger (Krejci/Haberer in Zib/Dellinger § 1 UGB Rn 80; Dehn in Krejci, UGB § 1 Rn 28, 58; Artmann/Herda in Artmann, UGB³ § 1 Rn 40; Straube/Ratka/Jost in Straube/Ratka/Rauter, UGB4 § 1 Rn 62; JAB 1078 BlgNR 22. GP 4).
[25] 3.4. Beim Bekl handelt es sich nicht um einen typischen Idealverein (Gesellig keitsverein), sondern um einen professionell auftretenden Marktteilnehmer, der seinen Mitgliedern unterschiedliche Dienstleistungen, wie insb den Beitritt zu Gruppenversicherungsverträgen, anbietet. Dabei ist auch idZ unerheblich, ob der Bekl für seine Vermittlungstätigkeit ein zusätzliches Entgelt vom Vereinsmitglied oder eine Provision vom Gruppenversicherer erhält, weil seine wirtschaftliche Tätigkeit schon in der professionellen Akquise einer Vielzahl von (Ski)Ver
sicherungsbeitritten durch Verbraucher und in der damit verbundenen offenkundigen Zielsetzung besteht, durch das Versicherungsangebot erhöhten Zulauf und damit Mehreinnahmen durch Mitgliedsbeiträge zu lukrieren.
[26] 3.5. Die Vorinstanzen haben daher zutreffend erkannt, dass die vom Bekl verwendeten Klauseln auch am Maßstab des KSchG zu prüfen sind.
2976.
https://doi.org/10.47782/oeba202401006101
§§ 12, 16 FAGG. Es kann nicht als rechtsmissbräuchliche Ausübung des Rücktrittsrechts nach § 12 FAGG angesehen werden, wenn ein Verbraucher eine Wohnung, die er zunächst über Vermittlung einer Maklerin besichtigt hat, in weiterer Folge ohne Beteiligung der Maklerin kauft und erst daraufhin das Rücktrittsrecht ausübt, um eine Provisionszahlung zu vermeiden. Von einem Rechtsmissbrauch könnte vielmehr – wenn überhaupt – nur dann ausgegangen werden, wenn der Verbraucher von vornherein aus Schädigungsabsicht oder aus überwiegenden unlauteren Motiven gehandelt hätte.
OGH 16. 2. 2023, 9 Ob 102/22y
Aus den Entscheidungsgründen:
[1] Über Vermittlung der Kl, einer gewerblichen Immobilienmaklerin, besichtigten die Bekl im Beisein des Geschäftsführers der Kl am 1.2.2019 eine zum Verkauf stehende Wohnung. Der Geschäftsführer erklärte den Bekl, dass ein Maklervertrag notwendig sei, 14 Tage Zeit für einen Rücktritt bestehe und dass im Erfolgsfall 3% Provision zzgl USt anfielen. Die Kl informierte die Bekl weder auf Papier noch mit ihrer Zustimmung auf einem anderen dauerhaften Datenträger über ihr Rücktrittsrecht nach dem FAGG und händigte auch kein MusterWiderrufsformular aus.
[2] Am 5.2.2019 bekundete der Erstbekl per EMail Interesse an der Wohnung und ersuchte die Kl um Übermittlung diverser Unterlagen, ua einer Aufschlüsselung der Betriebskosten, des Standes der Reparaturrücklagen und der monatlichen Kosten für den Reparaturfonds, eines Wohnungsplans und Energieausweises sowie um Informationen über etwaige Belastungen. IdF erklärten sich die Bekl bereit, für die Wohnung einen Kaufpreis von € 800.000 zu zahlen. Der Verkäuferin der Wohnung war dieses Angebot zu
niedrig. Da der Geschäftsführer der Kl den Eindruck hatte, dass € 800.000 das maximale Angebot der Bekl war, aus seiner Sicht dieses Angebot aber völlig unrealistisch war, um eine Einigung mit der Verkäuferin zu finden und er zu dieser Zeit viel Arbeit hatte, konzentrierte er sich auf andere Kaufinteressenten. Darüber hinaus hatte er von der Verkäuferin und der Hausverwaltung nur wenige Unterlagen erhalten. Auch aus diesen Gründen verlief seitens der Kl die Kommunikation mit den Bekl schleppend und es kam zu Verzögerungen. Hätten die Bekl der Kl ein Angebot über € 925.000 übermittelt, hätte die Kl sofort reagiert. [...]
[5] Am 19.3.2019 teilte der Erstbekl der Kl schriftlich mit: „... möchten wir jede weitere Zusammenarbeit mit Ihnen in Bezug auf die Wohnung in der B Straße abbrechen. Die Freude am Kauf dieser Wohnung ist uns sprichwörtlich vergangen, daher benötigen wir keine weiteren Informationen mehr hierzu. Sollten wir an einem anderen Objekt interessiert sein, geben wir Ihnen Bescheid. ...“ [...]
[7] IdF kam es am 5.4.2019 ohne Beteiligung der Kl zu einer neuerlichen Wohnungsbesichtigung mit der Verkäuferin. Mitte April 2019 einigte sich die Verkäuferin mit den Bekl über den Kaufpreis der Wohnung iHv € 850.000 zzgl € 75.000 für das Mobiliar. Am 5.7.2019 erfolgte die Vertragsunterzeichnung.
[8] Erst einige Monate später erfuhr die Kl von diesem Kaufvertrag. Mit anwaltlichem Schreiben vom 6.12.2019 forderte sie die Bekl zur Bezahlung ihres Provisionsanspruchs auf.
[9] Mit Schreiben vom 14.1.2020 erklärten die Bekl, für den Fall, dass ein Maklervertrag zustande gekommen sein sollte, den Vertragsrücktritt gem § 11 Abs 1 iVm § 12 Abs 1 FAGG, weil die Kl es unterlassen habe, sie über ihr Rücktrittsrecht nach § 4 Abs 1 Z 8 FAGG zu informieren. Damit wollten die Bekl den Provisionsanspruch der Kl abwenden.
[10] Die Kl begehrt von den Bekl die Bezahlung einer Provision iHv € 33.300 sA. [...]
[12] Das ErstG gab dem Klagebegehren statt.
[13] Das BerG gab der Berufung der Bekl nicht Folge. [...]
[16] Die Revision der Bekl ist zulässig ; sie ist auch berechtigt
[17] Im Revisionsverfahren ist zwischen den Parteien (ausschließlich) str, ob ein nach dem FAGG gesetzlich vorgesehener Rücktritt rechtsmissbräuchlich sein kann und ob im vorliegenden Fall Rechtsmissbrauch der Bekl vorliegt.
[18] 1.1. Im Anwendungsbereich des FAGG, der hier unstr eröffnet ist, weil der Maklervertrag zwischen der klagenden Unternehmerin und den Bekl als Verbraucher (§ 1 Abs 1 FAGG) außerhalb der Geschäftsräume der Kl (mündlich) geschlossen wurde (§ 3 Z 1 lit a FAGG) und der Immobilienmaklervertrag nicht unter die Ausnahmen des § 1 Abs 2 FAGG fällt (RS0131791), räumt § 11 FAGG dem Verbraucher das Recht ein, von einem Fernabsatzvertrag oder einem außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag ohne Angabe von Gründen zurückzutreten. Die Frist dafür beträgt nach § 11 Abs 1 FAGG 14 Tage und beginnt bei Dienstleistungsverträgen mit dem Tag des Vertragsabschlusses zu laufen (§ 11 Abs 2 Z 1 FAGG).
[19] 1.2. Wenn der Unternehmer allerdings seiner Informationspflicht nach § 4 Abs 1 Z 8 FAGG nicht nachgekommen ist, dann verlängert sich die Rücktrittsfrist gem § 12 Abs 1 FAGG um zwölf Monate. § 4 Abs 1 FAGG sieht vor, dass der Unternehmer dem Verbraucher, bevor dieser durch einen Vertrag oder seine Vertragserklärung gebunden ist, in klarer und verständlicher Weise bestimmte Informationen erteilen muss, uzw nach Z 8 leg cit bei Bestehen eines Widerrufsrechts Informationen über die Bedingungen, die Fristen und die Vorgangsweise für die Ausübung dieses Rechts. Zusätzlich ist ihm dafür das MusterWiderrufsformular gem Anhang I Teil B zur Verfügung zu stellen. Diese Informationen sind dem Verbraucher nach § 5 Abs 1 FAGG bei einem außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag auf Papier oder, sofern der Verbraucher dem zustimmt, auf einem anderen dauerhaften Datenträger bereitzustellen.
[20] 1.3. Im vorliegenden Fall ist die Kl diesen Informationspflichten unstr nicht nachgekommen. Die bloß mündliche und außerdem nicht vollständige Information bei der Wohnungsbesichtigung am 1.2.2019 genügte den gesetzlichen Anforderungen nicht. Folglich kam es zu einer Verlängerung der Rücktrittsfrist nach § 12 Abs 1 FAGG, wovon auch die Vorinstanzen zutreffend ausgingen.
[21] 2.1. Abweichendes in Bezug auf das Rücktrittsrecht gilt dann, wenn der Verbraucher ein ausdrückliches Verlangen auf vorzeitige – nämlich vor Ablauf der Rücktrittsfrist beginnende – Vertragserfüllung nach § 10 FAGG erklärt hat.
Zu einem solchen Verlangen ist er vom Unternehmer aufzufordern. Bei Auswärtsgeschäften muss das ausdrückliche Verlangen des Verbrauchers auf einem dauerhaften Datenträger erklärt werden. Überdies muss der Unternehmer vom Verbraucher die Bestätigung verlangen, dass dieser den bei vollständiger Vertragserfüllung eintretenden Verlust seines Rücktrittsrechts zur Kenntnis genommen hat. Sind bei einem Dienstleistungsvertrag diese Voraussetzungen erfüllt (wobei das Fehlen der Aufforderung des Unternehmers zum ausdrücklichen Verlangen des Verbrauchers nicht schadet) und hat der Unternehmer noch vor Ablauf der Rücktrittsfrist mit der Ausführung der Dienstleistung begonnen und diese sodann vollständig erbracht, hat der Verbraucher nach § 18 Abs 1 Z 1 FAGG kein Rücktrittsrecht mehr. Liegen diese kumulativen Voraussetzungen nicht vor, kann der Verbraucher – innerhalb der Rücktrittsfrist – selbst nach vollständiger Erbringung der Dienstleistung noch vom Vertrag zurücktreten (Hämmerle in KosesnikWehrle 4 § 18 FAGG Rn 4; Schwarzenegger in Schwimann/Kodek5 § 18 FAGG Rn 4; Dehn in Schwimann/ Kodek 5 § 10 FAGG Rn 11).
[22] 2.2. Dass die Voraussetzungen des § 18 Abs 1 Z 1 FAGG hier nicht vorliegen, haben die Vorinstanzen ebenfalls zutreffend erkannt. Gegenteiliges behauptet auch die Kl im Revisionsverfahren nicht. Die Bekl konnten daher grds innerhalb der nach § 12 Abs 1 FAGG verlängerten Rücktrittsfrist vom Vertrag zurücktreten.
[23] 2.3.1. Folge dieses wirksamen Rücktritts ist hier – die Voraussetzungen nach § 16 Abs 1 FAGG liegen nicht vor –, dass die Bekl nicht zur Zahlung des Provisionsanspruchs verpflichtet sind (§ 16 Abs 2 und 4 FAGG; Hämmerle in KosesnikWehrle 4 § 18 FAGG Rn 9). Damit war die erhaltene Dienstleistung der Kl für die Bekl kostenlos (1 Ob 127/19m [Pkt. 2]).
[24] 2.3.2. Gegen die Verhältnismäßigkeit dieser Rechtsfolge, die von einem Teil der L (insbes Wendehorst, VbR 2014, 177; dies, GPR 2015, 55; dies, VbR 2018, 30; Lurger in P. Bydlinski/ Lurger, Verbraucher rechteRL [2012] 83; Berka, wbl 2015, 181; Eberhard/Spitzer, ÖJZ 2017, 315) in Zweifel gezogen wird, wendete sich die Kl im Verfahren nicht.
[25] 2.3.3. Der VfGH hat in G 52/2016 § 16 Abs 2 FAGG für verfassungsgemäß gehalten und eine Vorlage an den EuGH mangels erkennbarer Unionsrechtswidrigkeit der Regelungen (8 Ob 122/17z) abgelehnt und zur Frage der Verhältnismäßigkeit wie folgt ausgeführt (Pkt IV. 2.4.2. und 2.4.3.):
„2.4.2. ...Nach der Rsp des EuGH verlangt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass nicht die Grenzen dessen überschritten werden dürfen, was zur Erreichung der mit der fraglichen Regelung zulässigerweise verfolgten Ziele geeignet und erforderlich ist, wobei zu beachten ist, dass dann, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen ist und die verursachten Nachteile nicht außer Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen dürfen (EuGH C283/11 Sky Österreich).
Was die gerichtliche Nachprüfbarkeit der Einhaltung dieser Voraussetzungen betrifft, billigt der EuGH dem Unionsrechtsgesetzgeber im Rahmen der Ausübung der ihm übertragenen Zuständigkeiten ein weites Ermessen in Bereichen zu, in denen seine Tätigkeit sowohl politische als auch wirtschaftliche oder soziale E verlangt und in denen er komplexe Prüfungen und Beurteilungen vornehmen muss.
Der VfGH kann nun nicht erkennen, dass die Regelung des Art 14 Abs 2 letzter S der VerbraucherrechteRL diesen von der Rsp des EuGH aufgestellten Kriterien im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung eines Unionsrechtsakts widerspricht: Die Bestimmungen der VerbraucherrechteRL verfolgen das Ziel eines umfassenden Verbraucherschutzes bei Fernabsatzverträgen und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen. Eine zentrale Stellung zur Verfolgung dieses Ziels nimmt dabei die Belehrung ein, welche der Unternehmer gegenüber dem Verbraucher gem Art 6 Abs 1 lit h der VerbraucherrechteRL (‚im Falle des Bestehens eines Widerrufsrechts die Bedingungen, Fristen und Verfahren für die Ausübung dieses Rechts gem Art 11 Abs 1 sowie das MusterWiderrufsformular gem Anh I Teil B‘) vor Vertragsabschluss vornehmen muss.
Der VfGH hat keine Zweifel, dass die in Art 14 Abs 2 letzter S der VerbraucherrechteRL normierte Rechtsfolge für den Unternehmer bei mangelnder Belehrung über das Wider rufsrecht geeignet ist, das Ziel des umfassenden Verbraucherschutzes bei Fernabsatzverträgen und bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen zu erreichen. Der VfGH kann auch nicht erkennen, dass die Regelung des Art 14 Abs 2 letzter S der VerbraucherrechteRL über das hinausgeht, was zur Verfolgung des mit der Regelung verfolgten Ziels
des umfassenden Verbraucherschutzes erforderlich ist. Das von der VerbraucherrechteRL verfolgte Ziel eines umfassenden Verbraucherschutzes ist derart gewichtig, dass es die in Art 14 Abs 2 letzter S der VerbraucherrechteRL statuierte Rechtsfolge bei fehlender Belehrung durch den Unternehmer über das Widerrufsrecht des Verbrauchers rechtfertigt.
2.4.3. Die zu Art 14 Abs 2 der VerbraucherrechteRL dargelegten Erwägungen können sinngemäß auf Art 14 Abs 3 und Art 14 Abs 4 der VerbraucherrechteRL übertragen werden. Der VfGH hat sohin keine Zweifel an deren Gültigkeit.“
[26] Der Sen teilt diese Rechtsauffassung. Einer neuerlichen Auseinandersetzung mit der Frage der Unionsrechtswidrigkeit des § 16 Abs 2 FAGG bedarf es daher nicht.
[27] 3.1. Die in der Revision der Bekl aufgeworfene Frage, ob im Hinblick auf Art 14 VerbraucherrechteRL, deren Umsetzung durch § 16 FAGG in das innerstaatliche Recht erfolgt sei, der Einwand eines rechtsmissbräuchlichen Rücktritts nach dem FAGG überhaupt erhoben werden könne, muss im vorliegenden Fall nicht abschließend geklärt werden:
[28] Selbst, wenn man unter Heranziehung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes der EU bei krassem Missverhältnis zwischen den vom Verbraucher verfolgten Interessen und den beeinträchtigten Interessen des Unternehmers den Einwand des Rechtsmissbrauchs in Betracht zieht (idS Wendehorst, GPR 2015, 58 und darauf verweisend Berka, wbl 2015, 191), läge dieser im konkreten Fall nicht vor. Wie Wendehorst (aaO) ausführt, habe der EuGH in C367/96 Kefalas den Einwand des Rechtsmissbrauchs zwar auch im harmonisierten Bereich einer RL für allgemein zulässig gehalten; er dürfe aber nicht dazu führen, dass die volle Wirksamkeit und die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten beeinträchtigt werde. Nach dem Unionsrecht könne dann von individuellem Rechtsmissbrauch, der eine Ausübung unionsrechtlich garantierter Rechtspositionen ausschließen könne, ausgegangen werden, wenn der Betreffende mit seiner Rechtsausübung widerrechtliche Vorteile zum Nachteil eines anderen zu erlangen suche, die mit dem Zweck des ausgeübten Rechts offensichtlich unvereinbar seien. Zu bejahen sei nach Ansicht von Wendehorst auch das weitere Erfordernis eines subjektiven Elements, das der EuGH in Urteilen wie C110/99 Emsland Stärke GmbH
oder C255/02 Halifax herausgearbeitet habe: Danach setze Rechtsmissbrauch die Absicht voraus, sich einen gemeinschaftsrechtlich vorgesehenen Vorteil zu verschaffen, indem die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden. Das subjektive Element setze aber keine Gewissenserforschung voraus; vielmehr müsse nur aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich sein, dass iW der betreffende Vorteil bezweckt werde.
[29] 3.2. Ob diese unionsrechtlichen Grundsätze über den Rechtsmissbrauch unmittelbare Wirkung unter Privaten entfalten oder ob das nationale Gericht sein nationales Rechtsmissbrauchsverbot anzuwenden hat, muss ebenfalls nicht näher untersucht werden, weil der Rücktritt der Bekl unter Anwendung beider (iÜ vergleichbarer) Prüfungsmaßstäbe nicht als rechtsmissbräuchlich angesehen werden kann.
[30] 3.3. Nach der Rsp des OGH ist Rechtsmissbrauch nicht nur dann anzunehmen, wenn die Schädigungsabsicht den einzigen oder überwiegenden Grund der Rechtsausübung bildet, sondern auch dann, wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen ein krasses Missverhältnis besteht, wenn also das unlautere Motiv der Rechtsausübung das lautere Motiv eindeutig überwiegt (RS0026265 [T33]; RS0025230 [T7]; RS0026271 [T20, T23, T24]). Die Beweislast trifft denjenigen, der sich auf Rechtsmissbrauch beruft, wobei selbst relativ geringe Zweifel am Rechtsmissbrauch zugunsten des Rechtsausübenden den Ausschlag geben, weil demjenigen, der an sich ein Recht hat, grds zugestanden werden soll, dass er innerhalb der Schranken dieses Rechts handelt (RS0025230 [T8]; RS0026271 [T26]).
[31] 3.4. Entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen lässt der festgestellte Sachverhalt weder die Beurteilung zu, dass die Bekl ihre (formlose) Rücktrittserklärung vom 19. 3. 2019 (§ 13 Abs 1 FAGG; Schwarzenegger in Schwimann/ Kodek 5 § 13 FAGG Rn 1) und jene durch ihren Rechtsvertreter am 14.1.2020 abgegebene aus Schädigungsabsicht oder aus überwiegenden unlauteren Motiven abgegeben haben, noch dass sie damit widerrechtliche Vorteile zum Nachteil der Kl zu erlangen suchten, die mit dem Zweck ihres ausgeübten Rücktrittsrechts offensichtlich unvereinbar sind. Es ist zwar richtig, dass die Bekl ihr Interesse an der Wohnung nie verloren hatten und letztlich die Wohnung ohne Beteiligung der Kl besichtigten und kauften. Daraus alleine kann aber noch nicht der un
zweifelhafte Schluss gezogen werden, dass die Bekl durch ihre gesamten Handlungen lediglich und von vornherein das Ziel verfolgten, die Wohnung zu erwerben, ohne die Maklerprovision bezahlen zu müssen. Schließlich konnte die Kl nicht sämtliche von den Bekl gewünschten Informationen erteilen und auch nicht alle verlangten Unterlagen vollständig vorlegen, sodass die Bekl bereits am 19.3.2019 die Zusammenarbeit mit der Kl hinsichtlich dieser Wohnung beendeten. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass sich die Kl zu dieser Zeit auf andere Kaufinteressenten konzentrierte, die Kommunikation mit den Bekl nur schleppend war, es zu Verzögerungen kam und die Bekl unter Zeitdruck standen, eine Wohnung zu finden. Dass die Bekl mit ihrem (ersten) Vertragsrücktritt vom 19.3.2019 aus Schädigungsabsicht bezweckten, einen Provisionsanspruch der Kl abzuwenden, kann daher nicht gesagt werden. Daraus geht vielmehr (objektiv) hervor, dass sie eine rasche Abwicklung des Wohnungskaufs wünschten, was die Kl aber nicht bewerkstelligen konnte.
[32] 3.5. Die Kl kann ihren Leistungsanspruch auch nicht mit Erfolg auf die (im erstinstanzlichen Verfahren) geltend gemachten Anspruchsgrundlagen Schadenersatz und Bereicherung stützen: Die Bekl haben durch ihren wirksamen, dem FAGG entsprechenden Rücktritt nicht rechtswidrig gehandelt. Einem Bereicherungsanspruch fehlt jegliche Grundlage im Sachverhalt. Dass sich die Bekl die Kenntnisse der Kl von vornherein in der Absicht zunutze gemacht haben, dafür aufgrund eines wirksamen Rücktritts vom Maklervertrag keine Provision zu zahlen (Kepplinger, immolex 2018, 135), steht nicht fest. 2977.
https://doi.org/10.47782/oeba202401006401
§§ 1, 3 FAGG. Maßgeblich für die Anwendbarkeit des FAGG ist, ob der Unternehmer seinen Vertrieb organisatorisch – zumindest auch – auf einen regelmäßigen Absatz per Distanzgeschäft (Fernabsatz) ausgerichtet hat, wofür auch ein von ihm selbst eingerichtetes derartiges System ausreichen kann. Die Annahme eines Fernabsatzgeschäfts setzt dabei aber keinen standardisierten Geschäftsabschluss in einem Webshop voraus, weil auch telefonische oder per E-Mail
zustande gekommene Verträge den Tatbestand des Fernabsatzes erfüllen. OGH 21. 3. 2023, 2 Ob 44/23v
Aus der Begründung:
[1] Der Kl ist Verbraucher mit Wohnsitz in Kroatien, die Bekl eine Unternehmerin mit Sitz in Wien. Der Kl bestellte bei der Bekl über E Mail eine hochwertige Uhr, wobei die Einigung über Ware und Preis per E Mail erfolgte, ohne dass es je zu einem persönlichen Kontakt zwischen den Streitteilen kam. Die Bekl bietet ihre Waren ua über ihren eigenen Webshop sowie eine Online Plattform für Uhren an.
[2] Der Kl machte von seinem Rücktrittsrecht nach § 11 FAGG Gebrauch.
[3] Einziger Streitpunkt im Revisionsverfahren ist, ob es sich beim geschlossenen Kaufvertrag um einen „Fernabsatzvertrag“ iSd § 3 Z 2 FAGG handelt.
[4] Die Vorinstanzen bejahten diese Frage.
[5] Das BerG ging davon aus, dass die Bekl (zumindest auch) über ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebssystem verfüge. Sei ein solches System vorhanden, sei auch ein per E Mail abgeschlossener Vertrag als Fernabsatzvertrag zu qualifizieren. [...]
[7] Die Revision ist nicht zulässig.
[8] 1. Nach der Legaldefinition des § 3 Z 2 FAGG bezeichnet ein „Fernabsatzvertrag“ jeden Vertrag, der zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit des Unternehmers und des Verbrauchers im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs oder Dienstleistungssystems geschlossen wird, wobei bis einschließlich des Zustandekommens des Vertrags ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwendet werden. Nach ErwGr 20 der dieser Legaldefinition zu Grunde liegenden FernabsatzRL soll der Begriff eines für die Lieferung im Fernabsatz organisierten Vertriebs bzw Dienstleistungserbringungssystems auch von einem Dritten angebotene Fernabsatz oder Dienstleistungssysteme erfassen, die von Unternehmern verwendet werden, wie etwa eine Online Plattform. Er soll jedoch nicht Fälle erfassen, in denen Websites lediglich Informationen über den Unternehmer, seine Waren und/oder Dienstleistungen und seine Kontaktdaten anbieten.
ganisatorisch – zumindest auch – auf einen regelmäßigen Absatz per Distanzgeschäft (Fernabsatz) ausgerichtet hat, wofür auch ein von ihm selbst eingerichtetes derartiges System ausreichen kann. Erfasst werden etwa Websites mit Bestellmöglichkeit oder Onlineshops. Es genügt, wenn der Vertrieb zumindest zT im Fernabsatz erfolgen kann. Nicht ausreichend sind zwar Websites, denen die Daten und der Leistungsumfang des Unternehmers zu entnehmen sind, wenn sie nur der Information des Verbrauchers und der Möglichkeit einer Kontaktaufnahme dienen, darüber hinaus aber für den Geschäftsabschluss eine persönliche Kontaktaufnahme und ein Ausverhandeln des konkreten Vertragsgegenstands und der Vertragskonditionen erforderlich sind. Hingegen reichen nach der Rsp Homepages für Warenvertrieb mit Produktpräsentation aus (6 Ob 36/20t Pkt 2.3; 9 Ob 39/22h1) Rn 17). Die Annahme eines Fernabsatzgeschäfts setzt keinen, insb keinen standardisierten Geschäftsabschluss in einem Webshop voraus, weil auch telefonische oder per E Mail zustande gekommene Verträge den Tatbestand des Fernabsatzes erfüllen (9 Ob 39/22h Rn 19).
[10] Dass die Bekl ihren Vertrieb organisatorisch – zumindest auch – auf einen regelmäßigen Absatz per Distanzgeschäft (Fernabsatz) ausgerichtet hat, haben die Vorinstanzen in nicht korrekturbedürftiger Weise bejaht.
[11] 2. Eine inhaltlich nachvollziehbare Auseinandersetzung mit der vom BerG vor dem Hintergrund der zu Pkt 1. dargestellten Rechtslage als erheblich bezeichneten Rechtsfrage enthält die Revision nicht (RS0102059). Die Bekl behauptet zwar, dass ein Vertragsabschluss im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebssystems nicht vermutet werden könne, befasst sich aber nicht einmal ansatzweise mit der vom BerG vorgenommenen rechtlichen Beurteilung. Sie vermag schon aus diesem Grund das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage nicht aufzuzeigen.
[12] 3. Die Wertung des fehlenden substantiellen Bestreitens als schlüssiges Tatsachengeständnis (§ 267 ZPO) hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0040078 [T4]). Eine Fehlbeurteilung durch das BerG zeigt die Revision nicht auf.
[9] Maßgeblich ist nach der Rsp, ob der Unternehmer seinen Vertrieb or 1) ÖBA 2022, 929. 2978.
https://doi.org/10.47782/oeba202401006402
§ 35 EO. 3. Die Aufrechnung mit einer Gegenforderung bildet nur dann einen
Oppositionsklagegrund, wenn sie im Titelprozess aus objektiven Gründen (noch) nicht möglich war. Hätte hingegen bereits im Titelprozess aufgerechnet werden können, kann die erst durch Schaffung des Titels erklärte Aufrechnung nicht mit Oppositionsklage geltend gemacht werden.
OGH 6. 9. 2023, 3 Ob 148/23w
Aus der Begründung:
[1] Die Vorinstanzen wiesen die Oppositionsklage, mit der der Kl das Erlöschen der betriebenen Forderung infolge Aufrechnung behauptet, ab.
[2] Das BerG ließ die o Revision im Hinblick auf 3 Ob 116/18g1) zu, weil sich aus dieser allenfalls ableiten lassen könnte, dass die Aufrechnung auch dann einen tauglichen Oppositionsgrund darstelle, wenn die Aufrechnungserklärung zwar schon im Titelverfahren möglich gewesen wäre, eine solche aber erst nach Beendigung des Titelverfahrens erfolgt sei.
[3] Die Revision des Kl ist nicht zulässig
[4] 1. Vorauszuschicken ist, dass entgegen der vom Bekl in seiner Revisionsbeantwortung vertretenen Ansicht die Beschwer des Kl nicht dadurch weggefallen ist, dass die Anlassexekution nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz gem § 39 Abs 1 Z 6 EO eingestellt wurde, weil der Kl noch immer ein Feststellungsinteresse wegen der Möglichkeit der Rückforderung von bereits exekutiv hereingebrachten Beträgen hat (3 Ob 150/03k; 3 Ob 44/10g).
[5] 2. Gem § 35 Abs 1 EO können gegen den Anspruch, zu dessen Gunsten Exekution bewilligt wurde, im Zuge des Exekutionsverfahrens nur insofern Einwendungen erhoben werden, als diese auf den Anspruch aufhebenden oder hemmenden Tatsachen beruhen, die erst nach Entstehung des diesem Ver fahren zugrundeliegenden Exekutionstitels eingetreten sind. Falls jedoch dieser Exekutionstitel in einer gerichtlichen E besteht, ist der Zeitpunkt maßgebend, bis zu welchem der Verpfl von den bzgl Tatsachen im vorausgegangenen gerichtlichen Verfahren wirksam Gebrauch machen konnte.
[6] 3. Nach stRsp bildet die Aufrechnung mit einer Gegenforderung nur dann einen tauglichen Oppositionsklage
grund, wenn deren Geltendmachung im Titelprozess aus objektiven Gründen (noch) nicht möglich war, etwa wenn die Aufrechnungslage erst nach dem gem § 35 Abs 1 EO maßgebenden Zeitpunkt eingetreten ist; hätte hingegen das Gestaltungsrecht bereits im Titelprozess eingewendet werden können, kann die (nach Schaffung des Titels erfolgte) Aufrechnung nicht mehr erfolgreich mit Oppositionsklage geltend gemacht werden (3 Ob 115/04i; 3 Ob 290/05a; 3 Ob 6/11w; RS0000786).
[7] 4. An dieser Rsp hat der OGH trotz der (auch in der Revision zitierten) im Schrifttum geäußerten Kritik festgehalten (3 Ob 3/97f und 3 Ob 290/05a). Tragende Begründung dafür ist, dass es nicht in das Belieben des Kl gestellt sein kann, sich im Oppositionsprozess darauf zu berufen, dass er (erst) nach Entstehung des Titels die Kompensationserklärung abgegeben habe. Wäre es zulässig, dass der Verpfl die Oppositionsklage aufgrund einer, gleichgültig wann, entstandenen Gegenforderung erhebt, so wäre dadurch in vielen Fällen die Möglichkeit einer mutwilligen Verschleppung der Exekutionsführung gegeben. Der Verpflichtete muss deshalb seine Kompensationsansprüche bereits im Titelverfahren geltend machen, sofern er dies kann. Der Normzweck des § 35 EO, nur in bestimmten Fällen die Möglichkeit von Einwendungen gegen den betriebenen Anspruch einzuräumen, schließt die Ausübung des Gestaltungsrechts der Aufrechnung aus, wenn diese dem Oppositionskläger bereits im Titelverfahren möglich gewesen wäre (3 Ob 3/97f).
[8] 5. Auch aus der vom Kl ins Treffen geführten 3 Ob 116/18g ist für ihn nichts zu gewinnen. Dass der OGH darin festhielt, es komme für die Wirksamkeit einer Aufrechnung auf den Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung an, lässt nämlich keineswegs den Schluss zu, er hätte damit zum Ausdruck bringen wollen, dass auch die erst nach Titelschaffung erklärte Aufrechnung mit einer Gegenforderung, die bereits im Titelverfahren compensando eingewendet werden hätte können, einen tauglichen Oppositionsgrund bilde.
Leasinggeber seine Gewährleistungsansprüche formularmäßig an den Leasingnehmer abgetreten, so bedeutet dies aber nicht gleichzeitig, dass der Leasingnehmer damit auch den Kondiktionsanspruch zediert erhalten soll.
OGH 6. 9. 2023, 3 Ob 146/22z
Aus der Begründung:
[1] Mit Kaufvertrag vom 8.10.2013 kaufte der Kl von der bekl Fahrzeughändlerin einen erstmals am 9.7.2013 zugelassenen Vorführwagen der Marke Audi Q5 style 2.0 TDI um den Kaufpreis von brutto € 40.500. Zur Finanzierung des Autokaufs schloss der Kl mit der P AG einen Leasingvertrag ab.
[2] Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet und unterliegt gem der EUBetriebsgenehmigung der Abgasnorm Euro 5. Der Motor war mit einer Software ausgestattet, die die Abgasrückführung im Prüfstandbetrieb beeinflusste („Umschaltlogik“). Über Aufforderung der Generalimporteurin ließ der Kl am 31.8.2016 das geforderte Softwareupdate bei der Bekl auf deren Kosten durchführen, mit dem das sog „Thermofenster“ installiert wurde. Dieses Update wurde vom dt KraftfahrtBundesamt (KBA) freigegeben. [...]
[4] Mit Schreiben ihres Rechtsvertreters vom 28.7.2017 trat die P AG sämtliche zivilrechtlichen Ansprüche iZm dem gegenständlichen Fahrzeug an den Kl ab. Der Kl nahm diese Abtretung mit Schreiben seines Vertreters vom selben Tag an.
[5] Der Kl begehrte Vertragsaufhebung sowie Zahlung von € 40.500 Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs, in eventu die Zahlung von € 40.500 an die Leasinggeberin; zudem begehrte er den Betrag von € 269,53 für einen angeblich erfolglosen Reparaturversuch. Der im Fahrzeug eingebaute Dieselmotor sei vom Abgasmanipulationsskandal betroffen. Der Motor sei mit einem nicht bloß geringfügigen Mangel behaftet, weshalb er zur Wandlung berechtigt sei.
1) ÖBA 2020, 65.
2979.
https://doi.org/10.47782/oeba202401006501
§§ 932, 933, 988 ABGB. Gewährleistungs ansprüche des Leasinggebers können an den Leasingnehmer abgetreten werden. Beim Finanzierungsleasing kommt auch die selbständige Abtretung der Wandlungsansprüche in Betracht. Hat der
[6] Die Bekl entgegnete, dass sämtliche Fahrzeuge mit dem Dieselmotor EA189 technisch sicher, fahrbereit und uneingeschränkt im Straßenverkehr benützbar und daher frei von Mängeln seien. Die behaupteten Mängel iZm der Umschaltlogik seien durch das Softwareupdate beseitigt worden. Die Typengenehmigung sei vom KBA nicht widerrufen worden; ein solcher Widerruf sei auch in Zukunft nicht zu erwarten.
[7] Das ErstG wies das Klagebegehren ab.
[8] Das BerG bestätigte diese E unter Hinweis auf § 500a ZPO. […]
[11] Die Revision ist zulässig. Sie ist auch berechtigt […]
[37] 7.1. Die Besonderheit des Anlassfalls besteht darin, dass es sich beim Fahrzeug „des Kl“ um ein Leasingfahrzeug handelt.
[38] 7.2. In der Rsp ist anerkannt, dass beim Finanzierungsleasing die aus dem Kaufvertrag über den Leasinggegenstand resultierenden Rechte gegen den Lieferanten grds dem Leasinggeber als Käufer und Eigentümer des Leasinggegenstands zustehen (RS0018690). Grds hat der Leasing nehmer beim Finanzierungsleasing daher keine unmittelbaren eigenen Gewährleistungsansprüche gegen den Lieferanten der Leasingsache (6 Ob 217/09v).
[39] Zur Frage der Abtretung solcher Rechte ist zu beachten, dass die Abtretung eines Gestaltungsrechts grds nur bei Abtretung des mit dem Gestaltungsrecht verbundenen Hauptanspruchs des Schuldverhältnisses möglich ist. Eine Ausnahme besteht nur in Fällen, in denen besondere Interessen für eine selbständige Abtretung sprechen. Eine solche Interessenlage wird in den Fällen des Finanzierungsleasings bejaht, weil die Gefahr der Unbrauchbarkeit der Sache den Leasingnehmer trifft, der Leasinggeber aber gerade deshalb und auch wegen der damit verbundenen Mühen an einer Ausübung von Gestaltungsrechten idR nicht interessiert ist (6 Ob 639/881) unter Berufung auf P. Bydlinski, Die Übertragung von Gestaltungsrechten [1986] 155, und Krejci, JBl 1988, 490). Dementsprechend ist anerkannt, dass Gewährleistungsansprüche an den Leasingnehmer abgetreten werden können (6 Ob 217/09v; Pesek in Schwimann/ Kodek5 § 1090 Rn 108, 114) und beim Finanzierungsleasing auch die selbständige Abtretung der zu den Gestaltungsrechten gehörenden Wandlungsansprüche des Leasinggebers an den Leistungsnehmer zulässig ist (RS0018590; 6 Ob 639/88). Aus einer solchen Zession stehen dem Leasingnehmer grds dieselben Gewährleistungsansprüche zu, wie sie dem Leasinggeber gegenüber dem Lieferanten zukommen (RS0018590).
[40] In 6 Ob 639/88 hat der OGH zur formularmäßigen Abtretung von – vom
gewährleistungsrechtlichen Wandlungsanspruch zu unterscheidenden, durch dessen erfolgreiche Geltendmachung erst ausgelösten – bereicherungsrechtlichen Rückabwicklungsansprüchen Stellung genommen. Dazu wurde beurteilt, dass die formularmäßige Abtretung von Gewährleistungsrechten jedenfalls für den Wandlungsfall im Weg der ergänzenden Vertragsauslegung nicht zum Ergebnis führen könne, der Leasingnehmer habe zugleich auch den erst aus einer erfolg reichen Wandlung resultierenden Kondiktionsanspruch für sich zediert bekommen. Dies widerspräche nämlich dem – beiden Parteien bewussten –Sicherungsbedürfnis des Leasinggebers, welchem daher nicht ohne Weiteres zugesonnen werden dürfe, er habe damit auch einer Kaufpreiszahlung an den Leasingnehmer zustimmen wollen. Wenn von der Abtretung der Gewährleistungsrechte (insb des Wandlungsanspruchs) auch der dbzgl Kondiktionsanspruch mitumfasst sein sollte – wofür immerhin die Überlegung spreche, dass der Leasinggeber ersichtlich mit dem Sachmängelstreit nichts zu tun haben wolle –, so (grds) nur in der Form, dass der Leasingnehmer den Rückforderungsanspruch zu Gunsten des Leasinggebers geltend machen könne. Er dürfe daher nur Zahlung an den Leasinggeber verlangen (RS0018696).
[41] Hat also der Leasinggeber seine Gewährleistungsansprüche „formularmäßig“ an den Leasingnehmer abgetreten, so bedeutet dies demnach nicht gleichzeitig, dass der Leasingnehmer damit auch den Kondiktionsanspruch zediert erhalten hat. Den Parteien des Leasingvertrags steht es aber naturgemäß frei, im Einzelfall eine konkrete Abtretungsregelung zu vereinbaren, deren Reichweite durch Auslegung zu ermitteln ist.
[42] Die Jud zur klauselrechtlichen Inhaltskontrolle beim Leasingvertrag, wonach die Überwälzung des Lieferrisikos auf den Leasingnehmer gröblich benachteiligend und die (erstmalige) Hauptverschaffungspflicht (Verschaffung der Gebrauchsmöglichkeit) des Leasinggebers unabdingbar ist (RS0016649), spricht nicht gegen das erzielte Ergebnis. Vielmehr wurde in 2 Ob 1/09z festgehalten, dass die beurteilte Klauselnichtigkeit selbst dann gegeben ist, wenn die Käuferrechte dem Leasingnehmer abgetreten werden (6 Ob 507/95). Auch diese E geht somit von der Abtretbarkeit der Käuferrechte an den Leasingnehmer aus. Die bereits zitierte E 6 Ob 217/09v hält eine derartige Abtretung sogar für erforderlich, wenn Gewährleistungsansprüche des Leasingnehmers gegen den Leasinggeber ausgeschlossen werden sollen, weil dann dem Leasingnehmer die Rechte des 1) ÖBA 1989, 627.
Käufers und Leasinggebers gegenüber dem Lieferanten zustehen.
[43] 7.3. Im Anlassfall steht fest, dass die P AG sämtliche zivilrechtlichen Ansprüche iZm dem gegenständlichen Fahrzeug an den Kl abgetreten und der Kl diese Abtretung angenommen hat. Der Kl hat in seinem Vorbringen die Abtretung auch der Kondiktionsansprüche behauptet, was von der Bekl nicht bestritten wurde (§ 267 ZPO). Daraus folgt die Aktivlegitimation des Kl für die zugrunde liegenden Klagsansprüche. Die umfassende Abtretung aller Ansprüche an den Kl hat aufgrund des eindeutig erkennbaren Willens der Parteien des Abtretungsvertrags zur Folge, dass den Kl auch die Pflicht zur Zahlung des Benützungsentgelts treffen soll, zumal sich eindeutig ergibt, dass die P AG mit der Rückabwicklung des Vertrags über den Fahrzeugkauf nichts zu tun haben will.
[44] 8. Da sich das gegen die Bekl erhobene Klagebegehren im Grunde bereits aus dem Titel der Gewährleistung als berechtigt erweist, muss auf die übrigen Rechtsgründe, auf die sich der Kl stützt, nicht mehr eingegangen werden.
Bearbeitet von Univ.-Prof. Mag. Dr. Brigitta Lurger, LL.M. (Harvard)
unter Mitarbeit von Mag. Maximilian Korp, Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Graz
EuGH-Entscheidungen 136.
https://doi.org/10.47782/oeba202401006601
Vorlage zur Vorabentscheidung –Verbraucherschutz – RL 93/13/ EWG – Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen – Hypothekendarlehensverträge – Einen variablen Zinssatz vorsehende Klausel – Auf den effektiven Jahreszinssätzen für von Kreditinstituten gewährte Hypothekendarlehen beruhender Referenzindex – Durch eine Rechts- oder Verwaltungsvorschrift festgelegter Index – In der Präambel dieses Rechtsakts enthaltene Hinweise – Kontrolle des Transparenzerfordernisses – Beurteilung der Missbräuchlichkeit; Art 3 Abs 1 sowie die Art 4 und 5 der RL 93/13/EWG des Rates vom
5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen sind dahin auszulegen, dass für die Beurteilung der Transparenz und der etwaigen Missbräuchlichkeit einer Klausel eines Hypothekendarlehensvertrags mit variablem Zinssatz, die als Referenzindex für die regelmäßige Anpassung des für dieses Darlehen geltenden Zinssatzes einen durch ein amtlich veröffentlichtes Rundschreiben festgelegten Index angibt, auf den ein Aufschlag angewandt wird, der Inhalt der in einem anderen Rundschreiben enthaltenen Informationen relevant ist, denen zufolge auf diesen Index unter Berücksichtigung seiner Berechnungsmethode ein negativer Korrekturwert anzuwenden ist, um diesen Zinssatz an den Marktzinssatz anzupassen. Ebenfalls relevant ist, ob diese Informationen einem Durchschnittsverbraucher hinreichend zugänglich sind.
EuGH (Neunte Kammer) 13. 7. 2023, C-265/22, ZR/Banco Santander
Aus der Begründung:
1. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art 5 und 7 der RL 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.5.2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der RL 84/450/EWG des Rates, der RLn 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (RL über unlautere Geschäftspraktiken) (ABl 2005, L 149, S 22) und von Art 3 Abs 1, der Art 4 und 5 sowie von Art 6 Abs 1 der RL 93/13/EWG des Rates vom 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl 1993, L 95, S 29).
2. Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen ZR und PI auf der einen und der Banco Santander SA auf der anderen Seite über die Gültigkeit der Klausel über die regelmäßige Anpassung des Zinssatzes für ein Hypothekendarlehen, das ZR und PI von der Rechtsvorgängerin der Banco Santander gewährt wurde.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht […]
Spanisches Recht
7. Art 1258 des Código Civil (Zivilgesetzbuch) lautet:
„Verträge werden durch einfache Einigung geschlossen und verpflichten von da an nicht nur zur Erfüllung des ausdrücklich Vereinbarten, sondern auch zu allen Folgen, die gemäß ihrer Natur Treu und Glauben, der Verkehrssitte und dem Gesetz entsprechen.“
8. Die RL 93/13 wurde durch die Ley 7/1998, sobre condiciones generales de la contratación (Gesetz 7/1998 über allgemeine Geschäftsbedingungen) vom 13.4.1998 (BOE Nr 89 vom 14.4.1998, S 12304) in spanisches Recht umgesetzt.
9. Art 7 des Gesetzes 7/1998 bestimmt:
„Folgende allgemeine Geschäftsbedingungen gelten nicht als Vertragsbestandteil:
a) jene, bei denen der Verbraucher tatsächlich keine Gelegenheit hatte, sie vor Vertragsschluss in vollem Umfang zur Kenntnis zu nehmen, oder die, falls erforderlich, nicht in einer Art 5 entsprechenden Fassung unterzeichnet wurden;
b) unlesbare, mehrdeutige, unklare oder unverständliche Bedingungen; davon ausgenommen sind unverständliche Bedingungen, die von der den Vertrag annehmenden Partei ausdrücklich und schriftlich angenommen wurden und die besondere Regelung einhalten, die in ihrem Anwendungsbereich die erforderliche Transparenz von Vertragsklauseln normiert.“
10. In Art 8 des Gesetzes 7/1998 heißt es:
„(1) Die allgemeinen Geschäftsbedingungen, die zum Nachteil der Vertragspartei gegen die Bestimmungen dieses Gesetzes oder gegen irgendeine andere zwingende Norm verstoßen, sind nichtig, sofern diese Vorschriften für den Fall ihrer Verletzung keine andere Folge vorsehen.
(2) Insbesondere sind missbräuchliche allgemeine Geschäftsbedingungen nichtig, wenn der Vertrag mit einem Verbraucher geschlossen wurde …“
11. Die Ley 3/1991, de Competencia Desleal (Gesetz 3/1991 über den un lauteren Wettbewerb) vom 10.1.1991 (BOE Nr 10 vom 11.1.1991, S 959) bestimmt in Art 4 Abs 1:
„Ein Verhalten ist als unlauter anzusehen, wenn es den Erfordernissen von Treu und Glauben objektiv widerspricht.
Im Verhältnis zu Verbrauchern und Nutzern ist unter einem Verhalten eines Unternehmers oder Gewerbetreiben
den, das gegen die Gebote von Treu und Glauben verstößt, ein Verhalten zu verstehen, das gegen die berufliche Sorgfalt verstößt, dh gegen die von einem Unternehmer nach den anständigen Marktgepflogenheiten zu erwartende Sachkenntnis und besondere Sorgfalt, und das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers oder – wenn es sich um eine auf eine bestimmte Gruppe von Verbrauchern abzielende Geschäftspraxis handelt – des Durchschnittsmitglieds der Zielgruppe der Praxis erheblich beeinflusst oder zu beeinflussen geeignet ist.
Im Sinne dieses Gesetzes ist unter dem wirtschaftlichen Verhalten des Verbrauchers oder Nutzers jede E zu verstehen, mit der er sich in Bezug auf Folgendes zum Handeln oder zum Nichthandeln entscheidet:
a) die Auswahl eines Angebots oder eines Anbieters;
b) der Erwerb eines Gutes oder einer Dienstleistung sowie gegebenenfalls die Modalitäten und Bedingungen dieses Erwerbs;
c) die vollständige oder teilweise Zahlung des Preises oder jede andere Form der Zahlung;
…“
12. Art 7 („Irreführende Unterlassungen“) des Gesetzes 3/1991 lautet:
„(1) Als unlauter gilt die Vorenthaltung oder Verheimlichung von Informationen, die notwendig sind, damit der Adressat in voller Kenntnis der Sachlage eine E über sein wirtschaftliches Verhalten trifft oder treffen kann. Desgleichen ist sie unlauter, wenn die erteilten Informationen unklar, unverständlich, mehrdeutig oder nicht rechtzeitig erteilt worden sind oder wenn der geschäftliche Zweck dieser Praxis nicht offengelegt wird, sofern sich dieser nicht aus dem Kontext ergibt.
(2) Zur Feststellung, ob die im vorstehenden Absatz genannten Handlungen irreführend sind, ist deren tatsächlicher Zusammenhang zu berücksichtigen, insb all ihre Merkmale und Umstände sowie die Beschränkungen des verwendeten Kommunikationsmediums.“
13. Die Banco de España (spanische Zentralbank) erließ das Circular 8/1990, a entidades de crédito, sobre transparencia de las operaciones y protección de la clientela (Rundschreiben 8/1990 an Kreditinstitute über die Transparenz von Geschäften und den Schutz der
Kunden) vom 7.9.1990 (BOE Nr 226 vom 20.9.1990, S 27498). Das Rundschreiben 8/1990 wurde ua durch das Circular 5/1994, a entidades de crédito (Rundschreiben 5/1994 an Kreditinstitute) vom 22.7.1994 (BOE Nr 184 vom 3.8.1994, S 25106) geändert. Nach seiner Änderung durch das Rundschreiben 5/1994 legte das Rundschreiben 8/1990 bestimmte offizielle Referenzindizes oder zinssätze für Hypothekendarlehen fest. Dazu gehörten verschiedene durchschnittliche Zinssätze für bestimmte Hypothekendarlehen, die eine Laufzeit von über drei Jahren haben und zum Erwerb von Wohnraum auf dem freien Markt bestimmt sind (im Folgenden: IRPH), darunter der Zinssatz der von Banken gewährten Darlehen (im Folgenden: IRPH der Banken) und der Zinssatz der von allen übrigen Kreditinstituten gewährten Darlehen (im Folgenden: IRPH der Kreditinstitute).
14. Die Präambel des Rundschreibens 5/1994 – das in der vorstehenden Randnummer genannte Änderungsrundschreiben – enthielt folgenden Passus:
„Die ausgewählten Referenzzinssätze sind letztlich [effektive Jahreszinssätze]. Die durchschnittlichen Zinssätze der von Banken und allen übrigen Instituten gewährten und zum Erwerb von Wohnraum auf dem freien Markt bestimmten Hypothekendarlehen stellen genau genommen effektive Jahreszinssätze dar, da sie auch die Auswirkungen von Provisionen miteinbeziehen. Sie einfach unmittelbar als Vertragszinssätze anzuwenden, würde folglich dazu führen, dass der effektive Jahreszins des jeweiligen Hypothekengeschäfts über dem auf dem Markt praktizierten Zinssatz läge. Um den effektiven Jahreszins dieses Geschäfts an den Marktzins anzupassen, müsste man einen negativen Korrekturwert anwenden, dessen Höhe je nach den Provisionen des Geschäfts und der Häufigkeit der Raten variieren müsste.“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
15. Am 12.5.2006 schlossen ZR und PI auf der einen und die Rechtsvorgängerin von Banco Santander auf der anderen Seite einen Hypothekendarlehensvertrag über € 197.934,54.
16. Nach Art 3a dieses Vertrags (im Folgenden: streitige Klausel) ist der Zinssatz variabel, wobei bis zum Vertragsende nach Ablauf jedes Zwölf monatszeitraums für die folgenden zwölf Monate ein neuer Zinssatz zu bestimmen ist. Der neue Zinssatz wird anhand eines „Referenzzinssatzes“ – des IRPH der Kreditinstitute zuzüglich 0,20 Prozentpunkten – oder anhand eines „alter nativen Referenzzins
satzes“ – des IRPH der Banken zuzüglich 0,50 Prozentpunkten – festgesetzt.
17. Die streitige Klausel definiert den Referenzzinssatz in Abs 3 wie folgt:
„Der Referenzzinssatz ist der [IRPH der Kreditinstitute], definiert als der einfache Mittelwert der durchschnittlichen Zinssätze, gewichtet nach dem Kapital der hypothekarisch gesicherten und zum Erwerb von Wohnraum auf dem freien Markt bestimmten Darlehensgeschäfte mit einer Laufzeit von mindestens drei Jahren, die von allen [Instituten, nämlich] Banken, Sparkassen und Hypothekenkreditgesellschaften im Referenzmonat des Indexes aufgenommen oder erneuert wurden, wobei als Bezugsgrundlage der letzte dieser durchschnittlichen Zinssätze dient, den der Banco de España [(im Folgenden: Bank von Spanien)] im [BOE] vor Beginn jeder neuen Zinsperiode und innerhalb der drei vorangegangenen Kalendermonate veröffentlicht hat.“
18. Dieser Abs 3 definiert in analoger Weise den alternativen Referenzzinssatz, der dann anwendbar ist, wenn kein Referenzzinssatz veröffentlicht wird.
19. In der streitigen Klausel steht desgleichen, dass der Referenzzinssatz und der alternative Referenzzinssatz in Anhang VIII des Rundschreibens 8/1990 beschrieben sind.
20. Am 13.2.2020 erhoben ZR und PI beim Juzgado de Primera Instancia n.°17 de Palma de Mallorca (Gericht erster Instanz Nr 17 von Palma de Mallorca, Spanien), dem vorlegenden Gericht, Klage und beantragten die Feststellung der Nichtigkeit der streitigen Klausel wegen Missbräuchlichkeit und die Verurteilung von Banco Santander zum Ersatz des Schadens, der ihnen durch die Anwendung dieser Klausel entstanden sein soll.
21. ZR und PI machen vor dem vorlegenden Gericht geltend, dass der Umstand, dass die streitige Klausel in Bezug auf die jährliche Anpassung des Zinssatzes ihres Darlehens auf zwei IRPH verweise und für diese einen geringen Aufschlag vorsehe, nämlich 0,20 Prozentpunkte beim IRPH der Kreditinstitute bzw 0,50 Prozentpunkte beim IRPH der Banken, irreführend sei. Denn diese Darstellung, die aus einem relativ begrenzten Aufschlag bestehe, veranlasse prospektive Darlehensnehmer zum Abschluss eines Darlehens, dessen Zinssatz unter Bezugnahme auf einen IRPH anstatt des durchschnittlichen Zinssatzes des europäischen Interbankenhandels (im Folgenden: Euribor) angepasst werden könne, während eine Bezugnahme auf den Euribor bei einem deutlich höheren
Aufschlag – selbst in der Größenordnung von 2% – zur Anwendung eines niedrigeren angepassten Zinssatzes führen würde. Dies ergebe sich daraus, dass die IRPH im Gegensatz zum Euribor auf der Grundlage von Zinssätzen, die Provisionen berücksichtigten, berechnet würden. Nach Ansicht der Kläger des Ausgangsverfahrens beläuft sich der ihnen durch die Anwendung der streitigen Klausel entstandene Schaden auf € 39.799,25.
22. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens wendet sich gegen diesen Antrag sowohl in Bezug auf die Feststellung der Missbräuchlichkeit der streitigen Klausel als auch in Bezug auf die Bezifferung des geltend gemachten Schadens. Desgleichen macht sie geltend, dass diese Klausel individuell ausgehandelt worden und grundsätzlich rechtmäßig sei, da die IRPH offizielle und veröffentlichte Indizes seien und somit den Verbrauchern zugänglich seien, die folglich von den für deren Berechnungsmethode und historische Entwicklung relevanten Daten dadurch Kenntnis erlangen könnten, dass sie die in dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vertrag enthaltenen Angaben einsähen.
23. Im Verfahren vor dem vorlegenden Gericht haben die Kläger des Ausgangsverfahrens ferner geltend gemacht, dass die streitige Klausel deshalb für nichtig zu erklären sei, weil sie in Anbetracht dessen, dass sie für die regelmäßigen Anpassungen des Zinssatzes des betreffenden Darlehens einen IRPH als Referenzsatz angebe, die Anwendung eines negativen Korrekturwerts, wie im Rundschreiben 5/1994 verlangt, und nicht eines positiven Korrekturwerts hätte vorsehen müssen.
24. Das vorlegende Gericht hebt hervor, dass die Präambel des Rundschreibens 5/1994 keine normative Kraft habe. Sie zeige jedoch, dass die Verwaltungsbehörde, von der dieses Rundschreiben stamme, der Ansicht gewesen sei, dass die Vermarktung von Produkten, denen ein IRPH als Bezugsgrundlage diene, mit der Anwendung eines negativen Korrekturwerts einhergehen müsse.
25. Zur Darstellung der streitigen Klausel führt das vorlegende Gericht aus, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vertrag nicht die in dieser Präambel enthaltenen Hinweise auf die Anwendung eines negativen Korrekturwerts auf die IRPH zu deren Anpassung an den Marktzins erwähne.
26. Zu den Auswirkungen der streitigen Klausel weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass sich für die Darlehensnehmer die Bezugnahme auf einen IRPH
zwangsläufig nachteilig auswirke, da ein solcher Index aus dem Mittelwert der für alle laufenden betreffenden Darlehensgeschäfte geltenden Zinssätze bestehe, die bereits zum Teil aus Provisionen und Aufschlägen bestünden.
27. Das vorlegende Gericht vertritt daher die Ansicht, dass die unterbliebene Unterrichtung der Darlehensnehmer über den Inhalt der Präambel des Rundschreibens 5/1994 und damit nicht nur über die Merkmale der IRPH, sondern ganz allgemein über die jeweilige Höhe der IRPH und des Euribor gegen den guten Glauben verstoßen und zu einem Missverhältnis zum Nachteil der Verbraucher führen könnte, was die Einstufung der streitigen Klausel als missbräuchlich rechtfertige.
28. Ferner könne die unterbliebene Unterrichtung über den Inhalt der Präambel des Rundschreibens 5/1994 in Verbindung mit der Anwendung eines positiven Korrekturwerts, der geringfügig niedriger sei als bei Darlehen, deren Zinssätze unter Bezugnahme auf den Euribor festgelegt würden, einen Marketingtrick darstellen, der den Eindruck einer günstigeren Zinsbelastung erwecken solle. Würden die in der Präambel des Rundschreibens 5/1994 enthaltenen Angaben den prospektiven Darlehensnehmern hingegen mitgeteilt, könnten diese in Kenntnis der Sachlage entscheiden.
29. In diesem Zusammenhang zieht das vorlegende Gericht die Möglichkeit in Betracht, dass die Aufnahme der streitigen Klausel in den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Darlehensvertrag als unlautere Geschäftspraxis iSv Art 5 Abs 1 Buchst b der RL 2005/29 angesehen werden könne, da sie das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers wesentlich beeinflusse oder beeinflussen könne, weil er nicht darüber informiert werde, dass die Anwendung eines negativen Korrekturwerts notwendig sei, wenn der Referenzzinssatz ein IRPH sei. Insoweit weist es darauf hin, dass nach der Rsp des Gerichtshofs im Zusammenhang mit einer Vertragsklausel das Vorliegen einer unlauteren Geschäftspraxis iSd RL 2005/29 ein Kriterium für die Beurteilung der Missbräuchlichkeit dieser Klausel darstelle.
30. Unter diesen Umständen hat das Juzgado de Primera Instancia n.°17 de Palma de Mallorca (Gericht erster Instanz Nr 17 von Palma de Mallorca) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Wenn man berücksichtigt, dass bei der Bildung des IRPH der Kreditinstitute die
Provisionen und die auf diesen Zinsindex angewandten Korrekturwerte in den Zinssatz mit einbezogen werden, so dass sich für den Verbraucher eine größere Zinsbelastung ergibt als bei den übrigen marktüblichen effektiven Jahreszinssätzen, und dass die Korrekturwerte nach dem Rundschreiben 5/1994 – einem normativen Kriterium der Regulierungsbehörde – negativ sein müssen, was von den Kreditinstituten generell nicht mitgeteilt und nicht eingehalten wurde, ist es dann mit den Art 5 und 7 der RL 2005/29 unvereinbar, vollständig vom normativen Kriterium der Regulierungsbehörde abzuweichen?
2. Sofern es mit den Art 5 und 7 der RL 2005/29 unvereinbar ist, vom zuvor genannten normativen Kriterium abzuweichen, stellt diese unlautere Praxis in Einklang mit der Rsp des Gerichtshofs in der Rechtssache C 689/20 einen Anhaltspunkt bei der Prüfung und Beurteilung der Missbräuchlichkeit der entsprechenden Klausel dar und ist sie mit den Art 3 und 4 der RL 93/13 unvereinbar?
3. Sofern das Rundschreiben 5/1994, das sich speziell auf den Finanzsektor bezieht, der Bevölkerung aber im Allgemeinen nicht bekannt ist, vollständig unberücksichtigt geblieben ist und festgestellt wird, dass dies mit Art 7 der RL 2005/29 unvereinbar ist, stellt diese Unterlassung einen Anhaltspunkt bei der Beurteilung der Missbräuchlichkeit gemäß Art 6 Abs 1 der RL 93/13 dar, und ist gegebenenfalls beim IRPHIndex, der sich aus „Referenzindex und Korrekturwert“ zusammensetzt, eine Transparenzkontrolle geboten?
4. Stehen Art 3 Abs 1, Art 4 und Art 5 der RL 93/13 einer nationalen Rsp entgegen, nach der im Hinblick auf die besondere Regelung des IRPH die unterbliebene Anwendung eines negativen Korrekturwerts – entgegen der entsprechenden Anforderung im Rundschreiben 5/1994 und der Tatsache, dass die Darlehen, deren variabler Zinssatz unter Bezugnahme auf den IRPH bestimmt wird, der weniger günstig ist als alle anderen effektiven Jahreszinssätze, so vermarktet wurden, als ob sie ebenso günstige Produkte wie die Darlehen wären, deren variabler Zinssatz unter Bezugnahme auf den Euribor bestimmt wird, ohne dass die Anforderung berücksichtigt wird, dem IRPH einen negativen Korrekturwert hinzuzufügen – keine missbräuchliche Praxis darstellt, und wäre es demnach möglich, die Auswirkungen der Klauseln, die in den betreffenden Verträgen solch eine Anwendung des IRPH vorsehen, wegen ihrer Nichtigkeit zu beseitigen, die Banken zu veran lassen, in Zukunft von deren Verwendung abzusehen, da
die Ver marktung dieser Dienstleistung gegenüber besonders schutzbedürftigen Verbrauchern deren wirtschaftliches Verhalten beeinflussen kann, und festzustellen, dass diese Klauseln in gewerblichen Verträgen auszuschließen sind, weil sie unlauter sind, da sie zur Bestimmung der Zinssätze unter Verstoß gegen die RL 2005/29 eingefügt wurden?
5. Ist es mit Art 6 Abs 1 der RL 93/13 unvereinbar, dass in Bezug auf eine Klausel, wonach der variable Zinssatz eines Darlehensvertrags unter Bezugnahme auf den IRPH bestimmt wird, keine Kontrolle der Einbeziehung und der Missbräuchlichkeit erfolgt, wenn ein Korrekturwert versteckt vorgeschrieben wurde, in Anbetracht dessen, dass der Korrekturwert in einem Angebot von einer Bank negativ sein muss und der Verbraucher während der vorvertraglichen Informationsphase nichts darüber erfährt, wie sich der auf sein Darlehen angewandte Zinssatz wirtschaftlich auswirkt, was mit der RL 2005/29 unvereinbar ist?
Zu den Vorlagefragen
Zur Zulässigkeit der Fragen 1 bis 3 und 5
31. Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof im Wesentlichen wissen, ob ein zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher geschlossener Darlehensvertrag mit variablem Zinssatz, dessen Klausel, mit der die Modalitäten der regelmäßigen Anpassung des Zinssatzes festgelegt werden, als Bezugsgrundlage einen offiziellen Index, auf den ein Aufschlag angewandt wird, heranzieht und damit von den Hinweisen abweicht, die in dem Rechtsakt, mit dem die zuständige Behörde diesen Index aufgestellt hat, enthalten sind und die im Gegenteil klarstellten, dass unter Berücksichtigung seiner Berechnungsmethode ein negativer Korrekturwert anzuwenden sei, um den effektiven Jahreszins des Darlehens an den Marktzins anzupassen, mit den Art 5 und 7 der RL 2005/29 vereinbar ist.
32. Mit seiner zweiten und seiner dritten Frage bittet das vorlegende Gericht für den Fall der Verneinung der ersten Frage um bestimmte Erläuterungen.
33. Mit seiner fünften Frage möchte das vorlegende Gericht schließlich wissen, wie Art 6 Abs 1 der RL 93/13 im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Darlehensvertrags auszulegen ist, dessen Zinssatz unter Verstoß gegen die Anforderungen der RL 2005/29 irreführend dargestellt wird.
34. Nach stRsp spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Fragen des nationalen Gerichts zum Unionsrecht. Der Gerichtshof kann die Beantwortung einer Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 24.11.2020, Openbaar Ministerie [Urkundenfälschung], C510/19, EU:C:2020:953, Rn 26 und die dort angeführte Rsp).
35. Um es dem Gerichtshof zu ermöglichen, zu einer dem nationalen Gericht dienlichen Auslegung des Unionsrechts zu gelangen, muss das Vorabentscheidungsersuchen nach Art 94 Buchst c der Verfahrensordnung des Gerichtshofs eine Darstellung der Gründe, aus denen das vorlegende Gericht Zweifel bezüglich der Auslegung oder der Gültigkeit bestimmter Vorschriften des Unionsrechts hat, und den Zusammenhang, den es zwischen diesen Vorschriften und dem auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Recht herstellt, ent halten (Urteil vom 26.1.2023, Ministerstvo na vatreshnite raboti [Registrierung biometrischer und genetischer Daten durch die Polizei], C205/21, EU:C:2023:49, Rn 55 und die dort angeführte Rsp).
36. Die Fragen 1 bis 3 und 5 setzen voraus, dass die RL 2005/29 auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbar ist.
37. Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass eine neue Rechtsnorm ab dem Inkrafttreten des Rechtsakts anwendbar ist, mit dem sie eingeführt wird, und dass sie zwar nicht auf unter dem alten Recht entstandene und endgültig erworbene Rechtspositionen anwendbar ist, doch auf deren künftige Wirkungen sowie auf neue Rechtspositionen Anwendung findet. Etwas anderes gilt nur – und vorbehaltlich des Verbots der Rückwirkung von Rechtsakten –, wenn zusammen mit der Neuregelung besondere Vorschriften getroffen werden, die speziell die Voraussetzungen für ihre zeitliche Geltung regeln (Urteile vom 16.12.2010, Stichting Natuur en Milieu ua, C266/09, EU:C:2010:779, Rn 32, sowie vom 26.3.2015, Kommission/Moravia Gas Storage, C596/13 P, EU:C:2015:203, Rn 32).
38. Was insb RL anbelangt, fallen somit idR nur nach Ablauf der Umsetzungsfrist einer RL erworbene Rechtspositionen in
zeitlicher Hinsicht in deren Geltungsbereich (vgl idS Urteil vom 15.1. 2019, E. B., C258/17, EU:C:2019:17, Rn 53 und die dort angeführte Rsp).
39. Nach Art 19 der RL 2005/29 hatten die Mitgliedstaaten bis zum 12.6.2007 die Rechts und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um dieser RL nachzukommen, zu erlassen und zu veröffentlichen, und diese Vorschriften sollten spätestens ab dem 12.12.2007 anwendbar sein.
40. In der Praxis haben das Königreich Spanien und die Kommission in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass die RL 2005/29 schließlich durch die Ley 29/2009, por la que se modifica el régimen legal de la competencia desleal y de la publicidad para la mejora de la protección de los consumidores y usuarios (Gesetz 29/2009 zur Änderung der Regelung über den unlauteren Wettbewerb und die Werbung zwecks Verbesserung des Schutzes der Verbraucher und Nutzer) vom 30.12.2009 (BOE Nr 315 vom 31.12.2009, S 112039) umgesetzt worden sei.
41. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die RL 2005/29 zum Zeitpunkt des Abschlusses des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vertrags, der am 12.5.2006 erfolgte, nicht anwendbar war.
42. Folglich steht die Auslegung dieser RL in keinem Zusammenhang mit der E des Ausgangsrechtsstreits, so dass die Fragen 1 bis 3 und teilweise die fünfte Frage, die unmittelbar oder mittelbar diese Auslegung betreffen, unzulässig sind.
43. Soweit die fünfte Frage die Auslegung von Art 6 Abs 1 der RL 93/13 betrifft, enthält das Vorabentscheidungsersuchen nicht die nach Art 94 Buchst c der Verfahrensordnung erforderlichen Angaben, die es dem Gerichtshof ermöglichen sollen, dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, da in dem Ersuchen nicht dargelegt wird, aus welchen Gründen das vorlegende Gericht Zweifel an der Auslegung dieser Bestimmung hat.
44. Folglich ist auch die fünfte Frage insg unzulässig.
Zur vierten Frage
45. Mit der vierten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art 3 Abs 1 sowie die Art 4 und 5 der RL 93/13 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Rsp entgegenstehen, wonach eine Klausel eines Darlehensvertrags mit variablem Zinssatz, die trotz der in der Präambel
des Rundschreibens 5/1994 enthaltenen Hinweise als Referenzindex einen IRPH festlegt, auf den ein Aufschlag angewandt wird, nicht missbräuchlich ist.
46. Vorab ist erstens festzustellen, dass die Vorlageentscheidung keine Angaben zum genauen Inhalt der in der vierten Frage angeführten nationalen Rsp enthält, so dass der Gerichtshof nicht über die erforderlichen Angaben verfügt, um eine auf diese Rsp abgestimmte Antwort zu geben.
47. Zweitens ergibt sich aus den Ausführungen in der Vorlageentscheidung, dass die vierte Frage nicht nur den Umstand betrifft, dass die streitige Klausel nicht die Anwendung eines negativen Korrekturwerts auf den als Referenzindex bestimmten IRPH vorsieht, um den in der Präambel des Rundschreibens 5/1994 beschriebenen Auswirkungen der Methode zur Berechnung der IRPH Rechnung zu tragen, sondern auch den Umstand, dass die Darlehensnehmer in der vorvertraglichen Phase nicht über die Existenz und den Inhalt dieser Hinweise unterrichtet wurden, was insb durch die Nennung von Art 5 der RL 93/13 bestätigt wird, der das Transparenzerfordernis betrifft.
48. Drittens und letztens ergibt sich aus diesen Ausführungen auch zum einen, dass die streitige Klausel auf das Rundschreiben 8/1990 verweist, soweit in dessen Anhang VIII die IRPH beschrieben werden, und zum anderen, dass die Präambel, in der die Hinweise zu den Auswirkungen der Methode zur Berechnung der IRPH stehen, nicht in diesem Rundschreiben, sondern im Rundschreiben 5/1994 enthalten ist, die beide amtlich veröffentlicht wurden.
49. Nach alledem ist anzunehmen, dass das vorlegende Gericht mit seiner vierten Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob Art 3 Abs 1 sowie die Art 4 und 5 der RL 93/13 dahin auszulegen sind, dass für die Beurteilung der Transparenz und der etwaigen Missbräuchlichkeit einer Klausel eines Hypothekendarlehensvertrags mit variablem Zinssatz, die als Referenzindex für die regelmäßige Anpassung des für dieses Darlehen geltenden Zinssatzes einen durch ein amtlich veröffentlichtes Rundschreiben festgelegten Index angibt, auf den ein Aufschlag angewandt wird, der Inhalt der in einem anderen Rundschreiben enthaltenen Informationen relevant ist, denen zufolge auf diesen Index unter Berücksichtigung seiner Berechnungsmethode ein negativer Korrekturwert anzuwenden ist, um diesen Zinssatz an den Marktzinssatz anzupassen.
50. Es ist darauf hinzuweisen, dass sich die Zuständigkeit des Gerichtshofs nach
seiner ständigen Rsp insoweit auf die Auslegung der Begriffe der RL 93/13 sowie auf die Kriterien erstreckt, die das nationale Gericht bei der Prüfung einer Vertragsklausel im Hinblick auf die Bestimmungen der RL anwenden darf oder muss, wobei es Sache des nationalen Gerichts ist, unter Berücksichtigung dieser Kriterien über die konkrete Bewertung einer bestimmten Vertragsklausel anhand der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden. Infolgedessen muss sich der Gerichtshof darauf beschränken, dem vorlegenden Gericht Hinweise an die Hand zu geben, die dieses zu beachten hat (vgl idS Urteile vom 16.1.2014, Constructora Principado, C226/12, EU:C:2014:10, Rn 20 und die dort angeführte Rsp, sowie vom 3.3.2020, Gómez del Moral Guasch, C125/18, EU:C:2020:138, Rn 52 und die dort angeführte Rsp).
51. Was als Erstes das Erfordernis der Transparenz von Vertragsklauseln betrifft, wie es sich aus Art 4 Abs 2 und Art 5 der RL 93/13 ergibt, ist darauf hinzuweisen, dass es für den Verbraucher von grundlegender Bedeutung ist, dass er vor Abschluss eines Vertrags über die Vertragsbedingungen und die Folgen des Vertragsschlusses informiert ist. Insb auf der Grundlage dieser Information entscheidet er, ob er sich durch die vom Gewerbetreibenden vorformulierten Bedingungen binden möchte (Urteil vom 20.9.2017, Andriciuc ua, C186/16, EU:C:2017:703, Rn 48 und die dort angeführte Rsp).
52. Angesichts dessen und unter Berücksichtigung des Umstands, dass das mit dieser RL eingeführte Schutzsystem auf dem Gedanken beruht, dass der Verbraucher gegenüber dem Gewerbetreibenden ua einen geringeren Informationsstand besitzt, muss dieses Erfordernis umfassend verstanden werden (vgl idS Urteil vom 20.9.2017, Andriciuc ua, C186/16, EU:C:2017:703, Rn 44 und die dort angeführte Rsp).
53. Konkret bedeutet das Erfordernis der klaren und verständlichen Abfassung einer Vertragsklausel, dass die Finanzinstitute bei Darlehensverträgen den Darlehensnehmern Informationen zur Verfügung stellen müssen, die ausreichen, um die Darlehensnehmer in die Lage zu versetzen, umsichtige und besonnene E zu treffen (vgl idS Urteil vom 20.9.2017, Andriciuc ua, C186/16, EU:C:2017:703, Rn 51). Insoweit hat der nationale Richter in Anbetracht aller den Vertragsschluss begleitender Umstände zu prüfen, ob dem betroffenen Verbraucher sämtliche Tatsachen mitgeteilt wurden, die sich auf den Umfang seiner Verpflichtung auswirken könnten und ihm ua erlauben,
diese Verpflichtung insb hinsichtlich der Gesamtkosten des Kredits einzuschätzen (vgl idS Urteil vom 20.9.2017, Andriciuc ua, C186/16, EU:C:2017:703, Rn 47 und die dort angeführte Rsp).
54. Eine entscheidende Rolle bei dieser Beurteilung spielt es zum einen, ob die Klauseln klar und verständlich abgefasst sind und es einem Durchschnittsverbraucher, d.h. einem normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Verbraucher, dadurch ermöglichen, diese Kosten einzuschätzen, und zum anderen, ob in dem Kreditvertrag Informationen fehlen, die in Anbetracht der Natur der Waren oder Dienstleistungen, die Gegenstand dieses Vertrags sind, als wesentlich angesehen werden (vgl idS Urteil vom 20.9.2017, Andriciuc ua, C186/16, EU:C:2017:703, Rn 47 und die dort angeführte Rsp).
55. Was insb eine Klausel betrifft, die im Rahmen eines Hypothekendarlehensvertrags ein Entgelt für dieses Darlehen in Form von Zinsen vorsieht, die auf der Grundlage eines variablen Satzes berechnet werden, der wie im Ausgangsverfahren unter Bezugnahme auf einen offiziellen Index festgelegt wird, ist das Transparenzerfordernis so zu verstehen, dass es ua verlangt, dass ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher in die Lage versetzt werden muss, zu verstehen, wie dieser Zinssatz konkret berechnet wird, und somit auf der Grundlage genauer und nachvollziehbarer Kriterien die möglicherweise beträchtlichen wirtschaftlichen Folgen einer solchen Klausel für seine finanziellen Verpflichtungen einzuschätzen (Urteil vom 3.3.2020, Gómez del Moral Guasch, C125/18, EU:C:2020:138, Rn 51 und die dort angeführte Rsp).
56. Zu den relevanten Gesichtspunkten, die das nationale Gericht bei der Vornahme der insoweit erforderlichen Prüfungen zu berücksichtigen hat, gehören nicht nur der Inhalt der vom Darlehensgeber im Rahmen der Aushandlung des betreffenden Darlehensvertrags bereitgestellten Information, sondern auch der Umstand, dass die Hauptelemente zur Berechnung des Referenzindex aufgrund ihrer Veröffentlichung leicht zugänglich sind (vgl idS Urteil vom 3.3.2020, Gómez del Moral Guasch, C125/18, EU:C:2020:138, Rn 52, 53 und 56).
57. Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung zum einen hervor, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Referenzindex durch das Rundschreiben 8/1990 festgelegt wurde, das im Boletín Oficial del Estado veröffentlicht wurde. Zum anderen wird in
der streitigen Klausel angegeben, dass der Index in Anhang VIII des Rundschreibens beschrieben wird und dieses Rundschreiben von der Bank von Spanien stammt.
58. Das vorlegende Gericht hat sich zu vergewissern, dass die auf diese Weise erteilten Informationen ausreichten, damit ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher die Modalitäten der Berechnung des in der streitigen Klausel genannten Referenzindex tatsächlich zur Kenntnis nehmen konnte.
59. In Bezug auf die Frage, ob die tatsächliche Kenntnisnahme von den –in Anhang VIII des Rundschreibens 8/1990 enthaltenen – Modalitäten der Berechnung des in der streitigen Klausel genannten Referenzindex ausreichte, damit ein Durchschnittsverbraucher sie verstehen und ihre wirtschaftlichen Folgen erfassen konnte, ohne dass ihm auch die in der Präambel des Rundschreibens 5/1994 enthaltenen Informationen zur Kenntnis gebracht wurden, hat das vorlegende Gericht zu berücksichtigen, welche Bedeutung diese Informationen für diesen Verbraucher hatten, um die wirtschaftlichen Folgen des Abschlusses des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Hypothekendarlehensvertrags richtig beurteilen zu können. Insoweit ist der Umstand, dass die Einrichtung, von der das Rundschreiben 5/1994 stammt, es für angebracht hielt, mit Hilfe dieser Präambel die Kreditinstitute auf die Höhe der IRPH im Vergleich zum Marktzinssatz und auf die Notwendigkeit der Anwendung eines negativen Korrekturwerts zur Anpassung der IRPH an diesen Satz hinzuweisen, ein relevanter Anhaltspunkt für den Nutzen solcher Informationen für den Verbraucher.
60. Für die Beurteilung durch das vorlegende Gericht ist auch der Umstand relevant, dass diese Informationen zwar im Boletín Oficial del Estado veröffentlicht wurden, aber in der Präambel des Rundschreibens 5/1994 enthalten sind, und nicht in dem den vertraglichen Referenzindex festlegenden Rundschreiben, auf das die streitige Klausel verwies, nämlich das Rundschreiben 8/1990. Das vorlegende Gericht hat insb zu prüfen, ob zur Erlangung dieser Informationen ein Vorgehen erforderlich war, das von einem Durchschnittsverbraucher vernünftigerweise nicht erwartet werden konnte, da es bereits zur juristischen Recherche gehört.
61. Was als Zweites die Beurteilung der etwaigen Missbräuchlichkeit einer Klausel wie der streitigen Klausel betrifft, bestimmt Art 3 Abs 1 der RL 93/13, dass eine Vertragsklausel, die nicht
im Einzelnen ausgehandelt wurde, als missbräuchlich anzusehen ist, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht.
62. Insoweit ist vorab festzustellen, dass die Beklagte des Ausgangsverfahrens –wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht – geltend macht, dass die streitige Klausel im Einzelnen ausgehandelt worden sei. Es ist Aufgabe des vorlegenden Gerichts, über diese Frage unter Berücksichtigung der in Art 3 Abs 2 UnterAbs 1 und 3 der RL 93/13 vorgesehenen Regeln über die Beweislastverteilung zu entscheiden, die ua bestimmen, dass dem Gewerbetreibenden die Beweislast obliegt, wenn er behauptet, dass eine Standardvertragsklausel im Einzelnen ausgehandelt wurde.
63. Im Rahmen der Beurteilung der Missbräuchlichkeit einer nicht im Einzelnen ausgehandelten Vertragsklausel, die das nationale Gericht nach Art 3 Abs 1 der RL 93/13 vorzunehmen hat, hat es unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände der Rechtssache zunächst zu prüfen, ob ein Verstoß gegen das Gebot von Treu und Glauben vorliegt, und dann, ob zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis iS dieser Bestimmung besteht (Urteil vom 3.10.2019, Kiss und CIB Bank , C 621/17, EU:C:2019:820, Rn 49 und die dort angeführte Rsp).
64. Zur Klarstellung dieser Begriffe ist zum einen in Bezug auf die Frage, unter welchen Umständen ein solches Missverhältnis „entgegen dem Gebot von Treu und Glauben“ verursacht wird, festzustellen, dass in Anbetracht des 16. Erwägungsgrundes der RL 93/13 das nationale Gericht prüfen muss, ob der Gewerbetreibende bei loyalem und billigem Verhalten gegenüber dem Verbraucher vernünftigerweise erwarten durfte, dass der Verbraucher sich nach individuellen Verhandlungen auf eine solche Klausel einlässt (Urteil vom 26.1.2017, Banco Primus, C 421/14, EU:C:2017:60, Rn 60 und die dort angeführte Rsp).
65. Zum anderen sind bei der Frage, ob eine Klausel ein „erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis“ der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner zum Nachteil des Verbrauchers verursacht, insb diejenigen Vorschriften zu berücksichtigen, die im nationalen Recht anwendbar sind, wenn die Parteien in diesem Punkt keine Vereinbarung getroffen haben, um zu bewerten, ob – und gegebenenfalls inwieweit – der Vertrag für den Verbraucher
eine weniger günstige Rechtslage schafft, als sie das geltende nationale Recht vorsieht (vgl idS Urteil vom 26.1.2017, Banco Primus, C 421/14, EU:C:2017:60, Rn 59). Wenn es um eine Klausel über die Berechnung der Zinsen aus einem Darlehensvertrag geht, sind auch die in der Klausel vorgesehene Methode zur Berechnung des ordentlichen Zinssatzes und die sich daraus ergebende tatsächliche Höhe des Satzes mit den üblicherweise angewandten Berechnungsmethoden und dem gesetzlichen Zinssatz sowie den Zinssätzen zu vergleichen, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vertrags für ein Darlehen in gleicher Höhe und mit gleicher Laufzeit wie der betreffende Darlehensvertrag auf dem Markt praktiziert wurden (Urteil vom 26.1.2017, Banco Primus, C 421/14, EU:C:2017:60, Rn 65).
66. Desgleichen ist darauf hinzuweisen, dass die Transparenz einer Vertragsklausel, wie sie in Art 5 der RL 93/13 verlangt wird, einen der Gesichtspunkte darstellt, die bei der Beurteilung der Missbräuchlichkeit dieser Klausel zu berücksichtigen sind (Urteil vom 3.10.2019, Kiss und CIB Bank , C 621/17, EU:C:2019:820, Rn 49). Dagegen ergibt sich aus Art 4 Abs 2 der RL, dass der Umstand, dass eine Klausel nicht klar und verständlich abgefasst ist, für sich allein nicht geeignet ist, sie missbräuchlich zu machen (vgl idS Beschluss vom 17.11.2021, Gómez del Moral Guasch, C 655/20, EU:C:2021:943, Rn 37).
67. Schließlich ist Art 4 Abs 1 der RL 93/13 zu berücksichtigen, soweit darin klargestellt wird, dass die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel ua unter Berücksichtigung aller anderen Klauseln desselben Vertrags beurteilt wird. Insoweit kann es in Anbetracht dessen, dass die IRPH nach dem Wortlaut der Präambel des Rundschreibens 5/1994 die Auswirkungen von Provisionen mit einbeziehen, von Bedeutung sein, die Art der in anderen Klauseln des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vertrags gegebenenfalls vereinbarten Provisionen zu prüfen, um festzustellen, ob die Gefahr einer doppelten Vergütung bestimmter Leistungen des Darlehensgebers besteht.
68. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation unter Berücksichtigung der Ausführungen in den Rn 51 bis 67 des vorliegenden Urteils zu beurteilen, nachdem es die zum Sachverhalt dieser Rechtssache und zum nationalen rechtlichen Rahmen gehörenden Gesichtspunkte geprüft hat.
69. Nach alledem ist auf die vierte Frage zu antworten, dass Art 3 Abs 1 sowie die Art 4 und 5 der RL 93/13 dahin auszulegen sind, dass für die Beurteilung der Transparenz und der etwaigen Missbräuchlichkeit einer Klausel eines Hypothekendarlehensvertrags mit variablem Zinssatz, die als Referenzindex für die regelmäßige Anpassung des für dieses Darlehen geltenden Zinssatzes einen durch ein amtlich veröffentlichtes Rundschreiben festgelegten Index angibt, auf den ein Aufschlag angewandt wird, der Inhalt der in einem anderen Rundschreiben enthaltenen Informationen relevant ist, denen zufolge auf diesen Index unter Berücksichtigung seiner Berechnungsmethode ein negativer Korrekturwert anzuwenden ist, um diesen Zinssatz an den Marktzinssatz anzupassen. Ebenfalls relevant ist, ob diese Informationen einem Durchschnittsverbraucher hinreichend zugänglich sind.
https://doi.org/10.47782/oeba202401007201
Vorlage zur Vorabentscheidung –Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen – Richtlinie 93/13/ EWG – Wirkungen der Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Klausel –Wille des Verbrauchers, den Vertrag durch Änderung der darin enthaltenen missbräuchlichen Klausel aufrechtzuerhalten – Befugnisse des nationalen Gerichts; Art 6 Abs 1 der Richtlinie 93/13/ EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass ein nationales Gericht, wenn es festgestellt hat, dass ein Vertrag nach Aufhebung einer missbräuchlichen Klausel nicht aufrechterhalten werden kann und der betreffende Verbraucher den Willen zum Ausdruck bringt, dass dieser Vertrag durch Änderung dieser Klausel aufrechterhalten werden soll, über die zur Wiederherstellung der tatsächlichen Ausgewogenheit der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien zu ergreifenden Maßnahmen ent scheidet, ohne zuvor die Folgen einer Nichtigerklärung des Vertrags in seiner Gesamtheit zu prüfen; dies gilt auch dann, wenn das Gericht die Möglichkeit hat, die Klausel durch eine dispositive Bestimmung des nationalen Rechts oder durch eine Bestimmung, die im Fall einer entsprechenden Vereinbarung der Parteien anwendbar ist, zu ersetzen. EuGH (Neunte Kammer) 12. 10. 2023, C-645/22, Luminor Bank
Aus der Begründung:
1. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art 6 Abs 1 und Art 7 Abs 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl 1993, L 95, S 29).
2. Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen R. A. u.a. gegen die Luminor Bank AS, handelnd durch die Niederlassung der Luminor Bank AS Lietuvos skyrius, wegen der Missbräuchlichkeit von Klauseln in mehreren zwischen diesen Parteien geschlossenen Darlehensverträgen und der sich daraus ergebenden Folgen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht […]
Litauisches Recht
6. Art 6.2284 Abs 8 des Lietuvos Respublikos civilinis kodeksas (Zivilgesetzbuch der Republik Litauen) bestimmt:
„Stellt das Gericht fest, dass eine oder mehrere Vertragsklausel(n) missbräuchlich ist/sind, so ist/sind diese Klausel(n) ab Vertragsschluss unwirksam, während die übrigen Vertragsklauseln für die Parteien verbindlich bleiben, sofern der Vertrag ohne die missbräuchlichen Klauseln aufrechterhalten werden kann.“
7. Art 353 Abs 1 und 2 des Lietuvos Respublikos civilinio proceso kodeksas (Zivilprozessordnung der Republik Litauen) sieht vor:
„(1) Das Kassationsgericht überprüft im Rahmen der Kassationsbeschwerde die angefochtenen Urteile und/oder Beschlüsse im Hinblick auf die Rechtsanwendung. Das Kassationsgericht ist an die vom erstinstanzlichen Gericht und vom Berufungsgericht festgestellten Tatsachen gebunden.
(2) Das Gericht ist befugt, über die Grenzen einer Kassationsbeschwerde hinauszugehen, wenn das öffentliche Interesse dies erfordert und wenn die Rechte und berechtigten Interessen einer Person, der Gesellschaft oder des Staates verletzen würden, falls nicht über die Grenzen der Kassationsbeschwerde hinausgegangen würde. …“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
8. Im Jahr 2008 schlossen die Kläger des Ausgangsverfahrens mit der Beklagten
des Ausgangsverfahrens mehrere Verträge über Darlehen in Schweizer Franken (im Folgenden: streitige Verträge), mit denen sie bei der Beklagten Darlehen in Schweizer Franken aufnahmen, bestehende, auf Euro und litauische Litas lautende Darlehen in Schweizer Franken umwandelten oder bei anderen Banken in anderen Währungen als Schweizer Franken aufgenommene Darlehen refinanzierten. Die in dieser Weise gewährten Darlehen sollten in Schweizer Franken zurückgezahlt werden. Aufgrund der erheblichen Abwertung des litauischen Litas gegenüber dem Schweizer Franken hat sich der zurückzuzahlende Betrag in den Jahren nach Abschluss der streitigen Verträge fast verdoppelt.
9. Da die Kläger des Ausgangsverfahrens bestimmte Klauseln dieser Verträge für missbräuchlich hielten, erhoben sie 2017 beim Vilniaus apygardos teismas (Regionalgericht Vilnius, Litauen) Klage, ua auf Umstellung des Schweizer Franken auf Euro unter Berücksichtigung des am Tag der Gewährung der betreffenden Darlehen geltenden Wechselkurses sowie auf Neuberechnung aller Raten, die die Kläger zur Rückzahlung des Darlehens (Kapital und Zinsen) in Schweizer Franken gezahlt hatten, in Euro unter Berücksichtigung des am Tag dieser Zahlungen geltenden Wechselkurses.
10. Mit E des vorgenannten Gerichts vom 20.11.2018, die in der Berufungsinstanz am 5.5.2020 durch Beschluss des Lietuvos apeliacinis teismas (Berufungsgericht Litauens) bestätigt wurde, wurde der Antrag der Kläger des Ausgangsverfahrens zurückgewiesen.
11. Daraufhin legten diese beim Lietuvos Aukščiausiasis Teismas (Oberstes Gericht Litauens) Kassationsbeschwerde ein. Mit Urteil vom 14.4.2021 verwies dieses Gericht die Rechtssache an den Lietuvos apeliacinis teismas (Berufungsgericht Litauens) zur erneuten Prüfung der Missbräuchlichkeit der betreffenden Klauseln der streitigen Verträge zurück. Nach Ansicht des Lietuvos Aukščiausiasis Teismas (Oberstes Gericht Litauens) entbindet die Tatsache, dass die Beklagte des Ausgangsverfahrens ihrer Verpflichtung, das Risiko von Wechselkursschwankungen des Schweizer Franken mitzuteilen, nachgekommen sei, das Gericht nicht von der Verpflichtung zu prüfen, ob diese Klauseln missbräuchlich seien.
12. Mit Beschluss vom 4.5.2021 forderte der Lietuvos apeliacinis teismas (Berufungsgericht Litauens) die Kläger des Ausgangsverfahrens auf, sich dazu zu äußern, wie die betreffenden Klauseln der streitigen Verträge ihrer Ansicht nach im Fall der Feststellung ihrer Miss
bräuchlichkeit geändert werden müssten. Diese gaben an, dass sie die Änderung dieser Klauseln wie in der Klageschrift ausgeführt beantragten, nämlich im Wesentlichen durch die Umstellung von Schweizer Franken auf Euro zu dem Wechselkurs, der am Tag der Gewährung der betreffenden Darlehen gegolten habe. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens hingegen wandte sich gegen die Feststellung der Missbräuchlichkeit dieser Klauseln sowie gegen deren Änderung, da es in der litauischen Rechtsordnung keine dispositiven Vorschriften gebe.
13. Mit E vom 2.9.2021 erklärte der Lietuvos apeliacinis teismas (Berufungsgericht Litauens) die Klauseln der streitigen Verträge über die Währung, auf die die betreffenden Darlehen lauteten, für missbräuchlich, da sie nicht dem Transparenzgebot entsprächen, und änderte die Verträge zu dem am Tag der Gewährung der Darlehen geltenden Wechselkurs dahin ab, dass sie auf Euro lauten, indem es den in den Verträgen enthaltenen Referenzindex (den LIBOR CHF) durch den Euribor ersetzte. Eine solche Lösung entspreche den Grundsätzen von Billigkeit, Treu und Glauben und Angemessenheit sowie den mit der RL 93/13 verfolgten Zielen.
14. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens legte beim Lietuvos Aukščiausiasis Teismas (Oberstes Gericht Litauens), dem vorlegenden Gericht, Kassationsbeschwerde gegen diese E ein und machte geltend, dass der Lietuvos apeliacinis teismas (Berufungsgericht Litauens) die betreffenden Klauseln der streitigen Verträge zu Unrecht als missbräuchlich eingestuft habe und dass dieses Gericht nicht berechtigt gewesen sei, die Klauseln zu ändern, da es im litauischen Recht keine dispositiven Vorschriften gebe, die die Klauseln ersetzen könnten, und ihre Änderung auf der Grundlage der Grundsätze von Billigkeit, Treu und Glauben sowie Angemessenheit nach Art 6 Abs 1 der RL 93/13 verboten sei.
15. Mit Teilurteil vom 25.8.2022 bestätigte das vorlegende Gericht die E des Lietuvos apeliacinis teismas (Berufungsgericht Litauens) vom 2.9.2021, soweit die betreffenden Klauseln der streitigen Verträge für missbräuchlich erklärt worden waren, und nahm das Verfahren hinsichtlich der von diesem Gericht vorgenommenen Änderung dieser Verträge wieder auf.
16. Vor dem vorlegenden Gericht machen die Kläger des Ausgangsverfahrens geltend, dass aufgrund des passiven Verhaltens der Beklagten des Ausgangsverfahrens keine Einigung über eine etwaige Änderung der für
missbräuchlich erklärten Klauseln habe erzielt werden können. Sie machen ferner geltend, dass sie der Aufrechterhaltung dieser Klauseln nicht zustimmten, und beantragen in erster Linie, die streitigen Verträge in der in der Klageschrift angegebenen Weise zu ändern. Für den Fall, dass davon ausgegangen werden sollte, dass es keine rechtliche Grundlage für eine solche Änderung gebe, beantragen die Kläger des Ausgangsverfahrens die Nichtigerklärung der Verträge und die Restitution der auf der Grundlage dieser Verträge erbrachten Leistungen. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens beantragt, die Verträge ex nunc für nichtig zu erklären.
17. Das vorlegende Gericht stellt sich die Frage, welche Folgen die Feststellung der Missbräuchlichkeit der betreffenden Klauseln der streitigen Verträge hat, da die Kläger des Ausgangsverfahrens beantragt haben, dass die Verträge aufrechterhalten und die Klauseln geändert werden. Insoweit führt das vorlegende Gericht aus, im vorliegenden Fall sei unbestritten, dass die Verträge ohne die Klauseln nicht aufrechterhalten werden könnten. Es weist darauf hin, dass der Lietuvos apeliacinis teismas (Berufungsgericht Litauens) nicht geprüft habe, ob eine etwaige Nichtigerklärung der streitigen Verträge für die Kläger des Ausgangsverfahrens besonders nachteilige Folgen gehabt hätte. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ist das Fehlen einer solchen Prüfung darauf zurückzuführen, dass die Klageschrift nicht auf die Nichtigerklärung dieser Verträge, sondern einzig auf deren Änderung abziele, sowie darauf, dass Art 265 Abs 2 bzw Art 320 Abs 2 der Zivilprozessordnung der Republik Litauen es dem Gericht erster Instanz bzw dem Berufungsgericht untersagten, über die bei ihnen gestellten Anträge hinauszugehen.
18. Folglich stellt sich das vorlegende Gericht erstens die Frage, ob das Berufungsgericht die Änderung der streitigen Verträge vornehmen durfte, ohne zuvor zu prüfen, ob die Nichtigerklärung der Verträge für die Kläger des Ausgangsverfahrens besonders nachteilige Folgen hätte. Die Antwort auf diese Frage hänge davon ab, welche Bedeutung dem Willen der Kläger des Ausgangsverfahrens, die Verträge durch Änderung ihrer missbräuchlichen Klauseln aufrechtzuerhalten, beizumessen sei.
19. Das vorlegende Gericht möchte zweitens wissen, ob die Antwort auf diese Frage davon abhängig ist, ob das nationale Gericht die Möglichkeit habe, eine im Vertrag enthaltene missbräuchliche Klausel durch eine dispositive Vorschrift oder eine Bestimmung des nationalen
Rechts, die im gegenseitigen Einvernehmen der Parteien des betreffenden Vertrags anwendbar sei, zu ersetzen.
20. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts sind diese beiden Fragen zu bejahen. So stünde eine Bejahung der ersten Frage im Einklang mit dem Ziel der RL 93/13, das insb darin bestehe, die Ausgewogenheit zwischen den Parteien herzustellen und dabei grundsätzlich die Wirksamkeit eines Vertrags in seiner Gesamtheit aufrechtzuerhalten, nicht aber darin, sämtliche Verträge, die missbräuchliche Klauseln enthalten, für nichtig zu erklären (Urteil vom 15.3.2012, Pereničová und Perenič, C 453/10, EU:C:2012:144, Rn 31). Dann könnte auch die zweite Frage bejaht werden, denn wenn die Möglichkeit bestehe, die im Vertrag enthaltene missbräuchliche Klausel durch eine dispositive Vorschrift oder eine Bestimmung des nationalen Rechts, die im gegenseitigen Einvernehmen der Parteien des betreffenden Vertrags anwendbar sei, zu ersetzen, und der Verbraucher beantrage, den Vertrag durch Änderung der darin enthaltenen missbräuchlichen Klausel aufrechtzuerhalten, müsse das nationale Gericht über die Frage einer Änderung dieser Klausel entscheiden können, ohne zuvor die Folgen der Nichtigerklärung des Vertrags in seiner Gesamtheit zu prüfen.
21. Dagegen müsse das Gericht, wenn es keine geeignete dispositive Vorschrift im nationalen Recht gebe bzw. wenn die Parteien kein entsprechendes Einvernehmen erzielen könnten, über die Nichtigerklärung des betreffenden Vertrags in seiner Gesamtheit entscheiden, und zwar unabhängig von dem vom Verbraucher zum Ausdruck gebrachten Willen, es sei denn, dieser bekunde den Wunsch, die missbräuchlichen Klauseln aufrechtzuerhalten. Dabei habe das Gericht alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um den Verbraucher vor den besonders nachteiligen Folgen dieser Nichtigerklärung zu schützen.
22. Da es im vorliegenden Fall im litauischen Recht keine dispositiven Vorschriften gebe, die die für missbräuchlich erklärten Klauseln der streitigen Verträge ersetzen könnten, und sich die Parteien nicht einvernehmlich auf eine anwendbare Bestimmung geeinigt hätten, könne der von den Klägern des Ausgangsverfahrens zum Ausdruck gebrachte Wille, die Verträge aufrechtzuerhalten und die Klauseln zu ändern, das Gericht nicht daran hindern, über die Nichtigerklärung der Verträge zu entscheiden.
23. Der Lietuvos Aukščiausiasis Teismas (Oberstes Gericht Litauens) hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen
und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Sind Art 6 Abs 1 und Art 7 Abs 1 der RL 93/13 dahin auszulegen, dass ein Gericht, wenn ein Verbraucher den Willen bekundet, einen Vertrag durch die Ersetzung einer darin enthaltenen missbräuchlichen Klausel aufrechtzuerhalten, nach Feststellung, dass der Vertrag nach dem Wegfall der für missbräuchlich befundenen Klausel nicht aufrechterhalten werden kann, über die Frage der Ersetzung der missbräuchlichen Klausel entscheiden kann, ohne zuvor die Möglichkeit zu prüfen, den Vertrag in seiner Gesamtheit für nichtig zu erklären?
2. Hängt die Antwort auf die erste Frage davon ab, ob das nationale Gericht die Möglichkeit hat, die im Vertrag enthaltene missbräuchliche Klausel durch eine dispositive Vorschrift oder eine Bestimmung des nationalen Rechts, die im gegenseitigen Einvernehmen der Parteien des betreffenden Vertrags anwendbar ist, zu ersetzen?
Zu den Vorlagefragen
24. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht, soweit es um die Auslegung von Art 6 Abs 1 und Art 7 Abs 1 der RL 93/13 ersucht, Fragen hinsichtlich der Folgen der Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel hat. Somit sind die Vorlagefragen in Anbetracht der Angaben in der Vorlageentscheidung so zu verstehen, dass sie sich allein auf Art 6 Abs 1 beziehen.
25. Daher ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, im Wesentlichen wissen möchte, ob Art 6 Abs 1 der RL 93/13 dahin auszulegen ist, dass er dem entgegensteht, dass ein nationales Gericht, wenn es festgestellt hat, dass ein Vertrag nach Aufhebung einer missbräuchlichen Klausel nicht aufrechterhalten werden kann, und der betreffende Verbraucher den Willen zum Ausdruck bringt, dass dieser Vertrag durch Änderung dieser Klausel aufrechterhalten werden soll, über die zur Wiederherstellung der tatsächlichen Ausgewogenheit der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien zu ergreifenden Maßnahmen entscheiden kann, ohne zuvor die Folgen einer Nichtigerklärung des Vertrags in seiner Gesamtheit zu prüfen. Im Übrigen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es insoweit von Bedeutung ist, dass das Gericht die Möglichkeit hat, diese Klausel durch eine dispositive Bestimmung des innerstaatlichen Rechts oder durch eine Bestimmung, die im Fall
einer entsprechenden Vereinbarung der Parteien anwendbar ist, zu ersetzen.
26. Zur Beantwortung dieser Fragen ist daran zu erinnern, dass es die Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel nach der Rsp des Gerichtshofs ermöglichen muss, dass die Sach und Rechtslage wiederhergestellt wird, in der sich der Verbraucher ohne die missbräuchliche Klausel befunden hätte (Urteil vom 12.1.2023, D. V. [Rechtsanwaltsvergütung – Abrechnung nach dem Zeitaufwand], C395/21, EU:C:2023:14, Rn 54 und die dort angeführte Rsp).
27. Gemäß Art 6 Abs 1 der RL 93/13 obliegt es dem nationalen Gericht, missbräuchliche Klauseln für unanwendbar zu erklären, damit sie den Verbraucher nicht binden, sofern der Verbraucher dem nicht widerspricht. Der Vertrag muss jedoch – abgesehen von der Änderung, die sich aus der Aufhebung der missbräuchlichen Klauseln ergibt – grundsätzlich unverändert fortbestehen, soweit dies nach den Vorschriften des innerstaatlichen Rechts rechtlich möglich ist (Urteil vom 12.1.2023, D. V. [Rechtsanwaltsvergütung – Abrechnung nach dem Zeitaufwand], C395/21, EU:C:2023:14, Rn 55 und die dort angeführte Rsp).
28. Somit muss das nationale Gericht eine missbräuchliche Klausel dann nicht unangewendet lassen, wenn der Verbraucher nach einem Hinweis dieses Gerichts die Missbräuchlichkeit und Unverbindlichkeit nicht geltend machen möchte und damit dieser Klausel freiwillig und aufgeklärt zustimmt (vgl idS Urteil vom 3.10.2019, Dziubak, C260/18, EU:C:2019:819, Rn 53 und die dort angeführte Rsp).
29. Der Gerichtshof hat nämlich entschieden, dass der Verbraucher, da das Schutzsystem, das die RL 93/13 bietet, keine Anwendung findet, wenn er nicht damit einverstanden ist, erst recht auf den nach diesem System gewährten Schutz vor den nachteiligen Folgen, die sich aus der Feststellung der Nichtigkeit des Vertrags in seiner Gesamtheit ergeben, verzichten dürfen muss, wenn er sich nicht auf diesen Schutz berufen möchte (Urteil vom 3.10.2019, Dziubak , C260/18, EU:C:2019:819, Rn 55).
30. Bringt der Verbraucher hingegen den Willen zum Ausdruck, dass er sich auf den Schutz, den die RL 93/13 bietet, berufen möchte, muss das nationale Gericht prüfen, ob der Vertrag im Hinblick auf die im nationalen Recht vorgesehenen Kriterien, abgesehen von der Änderung, die sich aus der Aufhebung der betreffenden missbräuchlichen Klausel ergibt, unverändert fortbestehen kann.
31. Diese Prüfung, ob ein Fortbestand des Vertrags ohne die missbräuchliche Klausel möglich ist, stellt eine objektive Prüfung dar, die das nationale Gericht anhand des nationalen Rechts und unabhängig davon vorzunehmen hat, ob der Verbraucher den Willen zum Ausdruck bringt, dass der Vertrag aufrechterhalten werden soll (vgl idS Urteil vom 3.10.2019, Dziubak, C260/18, EU:C:2019:819, Rn 39 bis 41 und die dort angeführte Rsp).
32. Sollte der Vertrag nach den einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts nach der Aufhebung der betreffenden missbräuchlichen Klausel nicht fortbestehen können, steht Art 6 Abs 1 der RL 93/13 seiner Nichtigerklärung nicht entgegen (vgl idS Urteil vom 12.1.2023, D. V. [Rechtsanwaltsvergütung – Abrechnung nach dem Zeitaufwand], C395/21, EU:C:2023:14, Rn 59).
33. Nur falls die Nichtigerklärung des Vertrags in seiner Gesamtheit für den Verbraucher besonders nachteilige Folgen hätte, sie für den Verbraucher etwa Rechtsunsicherheit bedeuten würde – wobei nicht lediglich auf rein wirtschaftliche Folgen abzustellen ist –, ist das nationale Gericht ausnahmsweise befugt, eine für nichtig erklärte missbräuchliche Klausel des in Rede stehenden Vertrags durch eine dispositive Bestimmung des nationalen Rechts oder eine im Fall einer entsprechenden Vereinbarung der Vertragsparteien anwendbare Vorschrift zu ersetzen (vgl idS Urteil vom 12.1.2023, D. V. [Rechtsanwaltsvergütung – Abrechnung nach dem Zeitaufwand], C395/21, EU:C:2023:14, Rn 60 bis 62).
34. Ferner muss nach der Rsp das nationale Gericht, wenn es keine dispositive Bestimmung des nationalen Rechts oder keine Bestimmung gibt, die im Fall einer Vereinbarung der Parteien auf den Vertrag anwendbar ist und an die Stelle der betreffenden missbräuchlichen Klauseln treten kann, und wenn die Nichtigerklärung des Vertrags für den Verbraucher besonders nachteilige Folgen hätte, unter Berücksichtigung seines gesamten innerstaatlichen Rechts alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um den Verbraucher vor diesen Folgen zu schützen und auf diese Weise die tatsächliche Ausgewogenheit der gegenseitigen Rechte und Pflichten der Vertragspartner wiederherzustellen (vgl idS Urteil vom 25.11.2020, Banca B., C269/19, EU:C:2020:954, Rn 41).
35. Die Maßnahmen, die das nationale Gericht im Fall der Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel, deren Aufhebung die Nichtigkeit des Ver
trags nach sich ziehen würde, ergreifen kann, sind nicht abschließend (vgl idS Urteil vom 25.11.2020, Banca B., C269/19, EU:C:2020:954, Rn 40), mit der Maßgabe, dass das nationale Gericht nicht befugt ist, diesen Vertrag durch Abänderung des Inhalts dieser Klausel anzupassen (Urteile vom 26.3.2019, Abanca Corporación Bancaria und Bankia, C70/17 und C179/17, EU:C:2019:250, Rn 53, sowie vom 12.1.2023, D. V. [Rechtsanwaltsvergütung – Abrechnung nach dem Zeitaufwand], C395/21, EU:C:2023:14, Rn 65).
36. Insoweit hat der Gerichtshof entschieden, dass Art 6 Abs 1 der RL 93/13 einer Schließung von Lücken eines Vertrags, die durch die Aufhebung der darin enthaltenen missbräuchlichen Klauseln entstanden sind, allein auf der Grundlage von allgemeinen nationalen Vorschriften, die die in einem Rechtsgeschäft zum Ausdruck gebrachten Wirkungen auch nach den Grundsätzen der Billigkeit oder der Verkehrssitte bestimmen und bei denen es sich weder um dispositive Bestimmungen noch um Vorschriften handelt, die im Fall einer entsprechenden Vereinbarung der Vertragsparteien anwendbar sind, entgegensteht (Urteil vom 3.10.2019, Dziubak, C260/18, EU:C:2019:819, Rn 62).
37. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass zum einen der vom Verbraucher zum Ausdruck gebrachte Wille dahin, sich auf den Schutz zu berufen, den die RL 93/13 bietet, und dahin, dass ein Vertrag aufrechterhalten werden soll, das nationale Gericht nicht seiner Verpflichtung enthebt, objektiv und unter Berücksichtigung des nationalen Rechts zu prüfen, ob dieser Vertrag nach Aufhebung der betreffenden Klausel fortbestehen kann.
38. Zum anderen kann das Gericht, wenn es festgestellt hat, dass ein Vertrag nach Aufhebung einer solchen missbräuchlichen Klausel nicht aufrechterhalten werden kann, diese Klausel nicht durch eine dispositive Bestimmung des nationalen Rechts oder durch eine Bestimmung ersetzen, die im Fall einer entsprechenden Vereinbarung der Parteien auf den Vertrag anwendbar ist, oder, falls die jeweilige Rechtsordnung keine solchen Bestimmungen vorsieht, andere Maßnahmen ergreifen, um die tatsächliche Ausgewogenheit der Rechte und Pflichten der Parteien wiederherzustellen, ohne zuvor zu prüfen und festzustellen, dass die Unwirksamkeit des Vertrags in seiner Gesamtheit besonders nachteilige Folgen für den betreffenden Verbraucher hätte.
39. Im vorliegenden Fall wurde beim Lietuvos Aukščiausiasis Teismas (Obers
tes Gericht Litauens) eine Kassationsbeschwerde gegen ein Urteil des Lietuvos apeliacinis teismas (Berufungsgericht Litauens) eingereicht, mit dem das Berufungsgericht, nachdem es die Missbräuchlichkeit von Klauseln zum Hauptgegenstand der streitigen Verträge, nämlich den Klauseln über die Währung, auf die die betreffenden Darlehen lauteten, festgestellt hatte, dem Antrag der Kläger des Ausgangsverfahrens stattgegeben und diese Verträge geändert hat, ohne zuvor zu prüfen, welche Folgen eine etwaige Nichtigerklärung der Verträge für die Kläger des Ausgangsverfahrens hätte. Der Lietuvos Aukščiausiasis Teismas (Oberstes Gericht Litauens) bestätigte das im Rechtsmittel angefochtene Urteil hinsichtlich der Einstufung dieser Klauseln als „missbräuchlich“. Was hingegen die Folgen dieser Feststellung betrifft, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Berufungsgericht dem Antrag der Kläger des Ausgangsverfahrens, den Vertrag durch Änderung der betreffenden Klauseln aufrechtzuerhalten, stattgeben durfte, ohne zuvor geprüft zu haben, ob diese Nichtigerklärung besonders nachteilige Folgen für die Kläger des Ausgangsverfahrens hätte.
40. Wie sich aus der in Rn 26 bis 38 des vorliegenden Urteils angeführten Rsp
https://doi.org/10.47782/oeba202401007601
Decentralized Finance Unmasked
Behavioral Finance and Public Policy Insights on Financial Market Regulation
Von Josef Bergt. 227 Seiten, Nomos 2023. ISBN 978-3-903285-11-8, € 69,00 inkl. USt. (D)
Blockchain und Distributed Ledger Technology (DLT) sind vielen traditionellen Bankexperten nicht so recht geheuer. Nichtsdestoweniger sind sie Realität. Wovor viele aber tatsächlich zurückschrecken, ist der Begriff DeFi. Er steht für Decentralized Finance und markiert so ziemlich das genaue Gegenteil des bisherigen Finanzwesens: Transaktionen werden von Person zu Person/
des Gerichtshofs ergibt, stellt jedoch in dem Fall, dass sich die Kläger des Ausgangsverfahrens auf den Schutz, den die RL 93/13 bietet, berufen möchten und die streitigen Verträge nach Auf hebung der betreffenden missbräuchlichen Klauseln nach dem nationalen Recht nicht aufrechterhalten werden können, die Prüfung der Folgen einer Nichtigerklärung dieser Verträge eine Pflicht dar, die dem nationalen Gericht obliegt und die von dem von den Klägern des Ausgangsverfahrens zum Ausdruck gebrachten Willen, dass die Verträge durch Änderung dieser Klauseln aufrechterhalten werden sollen, unabhängig ist. Nur wenn diese Folgen einen derartigen Schweregrad erreichen, dass sie als „besonders nachteilig“ für die Kläger des Ausgangsverfahrens eingestuft werden können, ist dieses Gericht nämlich – sofern es weder dispositive Bestimmungen des nationalen Rechts noch Bestimmungen gibt, die im Fall einer entsprechenden Vereinbarung der Parteien auf den Vertrag anwendbar sind – befugt, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die tatsächliche Ausgewogenheit der Rechte und Pflichten der Parteien wiederherzustellen, mit der Maßgabe, dass das Gericht nicht befugt ist, diesen Vertrag durch Abänderung des Inhalts dieser Klauseln anzupassen.
41. Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art 6 Abs 1 der RL 93/13 dahin auszulegen ist, dass er dem entgegensteht, dass ein nationales Gericht, wenn es festgestellt hat, dass ein Vertrag nach Aufhebung einer missbräuchlichen Klausel nicht aufrechterhalten werden kann und der betreffende Verbraucher den Willen zum Ausdruck bringt, dass dieser Vertrag durch Änderung dieser Klausel aufrechterhalten werden soll, über die zur Wiederherstellung der tatsächlichen Ausgewogenheit der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien zu ergreifenden Maßnahmen entscheidet, ohne zuvor die Folgen einer Nichtigerklärung des Vertrags in seiner Gesamtheit zu prüfen; dies gilt auch dann, wenn das Gericht die Möglichkeit hat, die betreffende Klausel durch eine dispositive Bestimmung des nationalen Rechts oder durch eine Bestimmung, die im Fall einer entsprechenden Vereinbarung der Parteien anwendbar ist, zu ersetzen.
Institution zu Institution direkt ohne jeglichen Intermediär ausgeführt. Sind Banken deshalb in Zukunft überflüssig? Oder können sie weiter eine bedeutende Rolle spielen?
Der Autor unternimmt es, zum einen DeFi anschaulich darzustellen und zum anderen Aspekte der Behavioural Finance auf DeFI anzuwenden. Das ist ein durchaus anspruchsvolles Unterfangen, das auf einer sehr umfassenden Literaturrecherche beruht.
Nach einer Einleitung widmet sich der Autor kurz rechtsphilosophischen Überlegungen, auch indem er Kelsens Reine Rechtslehre analysiert. Der Hintergrund ist, dass er einer Soziologie des Rechts nachspürt (was Kelsen, nebenbei bemerkt, auch getan hat).
Das Kapitel 3 widmet sich um fassend dem Phänomen der Behavioural Economics (wer noch mehr Details zu
Verhaltensanomalien wissen möchte, sei auf Manfred Frühwirth, Behavioral Corporate Finance Band 2, S. 265 bis 384, mit vielen wertvollen Beispielen, verwiesen). Ab der Rn 52 (das Buch ist dankenswerterweise so aufgebaut, dass jeder Absatz eine Randziffer aufweist, was die Suche enorm erleichtert) werden die bekanntesten Phänomene der Behavioural Finance aufgelistet und erläutert. Nach einem kurzen Ausflug in das Gebiet der Behavioural Corporate Finance widmet sich der Autor der Rolle von Wahrnehmungsverzerrungen im Rahmen der Finanzregulierung. Dieser Punkt wird viel zu wenig beachtet, denn unter Beachtung der wichtigsten Behavioural Finance Phänomene könnte Regulierung wesentlich effizienter ausfallen. Ein frommer Wunsch dürfte die Aussage am Ende von Rn 161 „... while the legislator should practice itself in omission of (over)regulation of financial intermediaries and financial institutions.“ bleiben, leider! Auch die Warnung in Rn 120
sollten viele Normengeber beherzigen: „Overall, policy makers need to be aware of their own overconfidence biases and limitations when making decisions about regulating markets … They should also be wary of adopting apparent solutions, which may have unintended consequences and ignore the complexity of market interactions.“. Der Autor führt auch den schönen Begriff „Adhocracy“ ein, der eine Regelung aus gegebenem Anlass bezeichnet, nur um ein brennendes Problem zu lösen. Dabei wird aber meist auf Nebenwirkungen völlig vergessen. Im Übrigen warnt der Autor zu Recht, dass so manche strenge Regulierung Diversifikationsmöglichkeiten einschränkt und Investoren manchmal abschreckt, sich in neue Assetklassen zu wagen.
In Kapitel 4 befasst sich der Autor mit der Anwendung regulatorischer Mechanismen auf DeFi. Dafür wird zum besseren Verständnis das Phänomen Blockchain in Rn 244 bis 247 abgehandelt, welche Typen von Blockchains im Sinne von privat/öffentlich sowie geschlossen/offen es gibt. Wie der Name Decentralised Finance schon impliziert, geht es hier um Finanztransaktionen, die dezentral, also ohne Mittler ablaufen. Allerdings warnt der Autor, dass nicht alles, was unter dezentral beworben wird, auch tatsächlich dezentral ist. Im nächsten Schritt erläutert er die einzelnen Schichten (layers) einer DeFiArchitektur und weist darauf hin, dass es keine Dezentralität geben kann, wenn die unteren Schichten 1 und 2 bereits zentral sind!
Dann wendet sich der Autor aufsichtlichen Problemen zu, wie etwa Marktmissbrauch, etwa durch Frontrunning (ja, das gibt es auch bei DeFi, Rn 264).
Nach einem kurzen Exkurs zu SEO = Social Economy Organisations sowie DAO = Decentralised Autonomous Organisations, werden die europäischen Regulierungsvorhaben MiCAR und das
DLT Pilot Regime erläutert. Die Markets in Crypto Assets Regulation (die mittlerweile kein Vorschlag mehr ist, sondern beschlossene Verordnung) wird viele an die MiFID II erinnern, so sehr ähneln sich Aufbau und Struktur. In jedem Fall nimmt die EU hier eine Vorreiterrolle ein. MiCAR hat durchaus das Potenzial, der Veranlagung in Kryptoassets neuen Schwung zu verleihen. Auch werden ESG Aspekte in der MiCAR hervorgehoben. Insgesamt eine sehr gute Darstellung mit näheren Hinweisen, wobei die Forderung, man müsse die Rolle sozialer Medien in der Marktmanipulation berücksichtigen, frommer Wunsch bleiben dürfte – auch wenn dies schon in traditionellen Finanzmärkten (Beispiel Silicon Valley Bank) wichtig ist.
Weiters behandelt der Autor auch das europäische Distributed Ledger Transaction (DLT) Pilot Regime, aber auch DORA, den Digital Operation Resilience Act und den Vorschlag einer Verordnung zur Übertragung von Fonds und bestimmten Krypto Assets (TFR).
Breiten Raum nimmt die Diskussion um zentralisierte Börsen, „lateral exchanges“ und dezentralisierte Börsen ein. Die Ausführungen zu Crowdfunding und DeFi Lending (Rn 377 bis 387) hingegen sind sehr technisch und daher möglicherweise für mit der Materie weniger Vertraute schwer verständlich.
Kapitel 4.3 (Rn 431 bis 501) befasst sich ausführlich mit Behavioural Finance Aspekten bei der Regulierung von DeFi. Nun erschließt sich die gründliche Auseinandersetzung mit Verhaltensaspekten zu Beginn des Buches (Kap. 3, Rn 36 bis 238). Nach einer gründlichen Auseinandersetzung mit Risikowahrnehmung (nicht der Risikobereitschaft, auf der der Gesetzgeber immer noch beharrt!) ist die Hervorhebung von Overconfidence und Perceived Control, aber auch des Phänomens FOMO (Fear Of Missing Out) im Zusammenhang mit
Kryptos sehr wertvoll! Der 1. Satz von Rn 455 (Simpler regulatory approaches offer several benefits, …) gehörte vielen Normsetzern ins Stammbuch geschrieben!
Klar wird aber auch, dass verhaltenspsychologische Phänomene immer gleich sind, egal ob auf traditionellen Finanzmärkten oder eben im DeFiBereich. Auch das Phänomen AI wird angesprochen und kritisch reflektiert (Rn 474 bis 488).
Sehr interessant ist der Hinweis in Rn 494, dass Angaben zu Provisionen von Immobilienkreditvermittlern die Aufmerksamkeit der Kunden von den eigentlichen Kreditkonditionen ablenken. Daher kommt es zu schlechteren Entscheidungen! Man ist versucht, hier eine Analogie zur vorgeschriebenen Transparenz von Gebühren bei Finanzinstrumenten zu ziehen.
Wichtig für die Praxis ist der Hinweis, dass zu viele Entscheidungsmöglichkeiten dazu führen können, dass gar keine Entscheidung getroffen wird (Rn 500). Das Buch schließt mit Kapitel 5 Key findings & future prospects (Rn 524 ff.).
Vor uns liegt ein Buch, dass einerseits einen sehr guten Einblick in das Phänomen DeFi gibt und andererseits eine Fülle von Informationen und nützlichen Hinweisen zu Behavioural Finance Phänomenen bietet. Ein grundsätzliches Problem ist, dass Behavioural Economics Phänomene in so vielen Ausprägungen vorhanden sind, dass es schwer ist, Beispiele zu finden. Daher ist es mehr als positiv, dass der Autor genau solche Beispiele anführt (etwa Rn 464 ff.). Im Übrigen sei auf den Beitrag von Josef Bergt in diesem Heft verwiesen. Die Lektüre dieses Buches in englischer Sprache kann uneingeschränkt empfohlen werden.
Prof. (FH) Mag. Otto Lucius, Wien
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Digital Object Identifier (DOI): Seit Heft 1/2016 sind alle Beiträge im ÖBA zusätzlich mit einer DOI (z.B. https://doi.org/10.47782/oeba20212101000101) versehen. Ein Digital Object Identifier (DOI; deutsch Digitaler Objektbezeichner) ist ein eindeutiger und dauerhafter digitaler Identifikator, der vor allem für Online-Artikel wissenschaftlicher Fachzeitschriften verwendet wird. Mit einem DOI erleichtert man die Zitierbarkeit und Auffindbarkeit der digitalen Version eines Werkes. Ein DOI wird für jedes Dokument nur einmal festgelegt und bleibt (ähnlich wie eine ISBN) dauerhaft mit ihm verbunden. Das stellt sicher, dass ein Link über viele Jahre hinweg gültig bleibt, selbst wenn das digitale Dokument in späteren Jahren von einer anderen Plattform angeboten wird. Bitte berücksichtigen Sie bei der Recherche über DOI, dass es zwischen der Veröffentlichung des neuesten Hefts und der digitalen Zugriffsmöglichkeit einen technisch bedingten Zeitverzug von mehreren Tagen geben kann.
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Mit dem für Artikel und druckfertige Entscheidungen an den/die Verfasser zu vom Eigentümer und Herausgeber festgesetzten Sätzen geleisteten Honorar ist die Übertragung sämtlicher Rechte abgegolten. Zugleich erlischt damit die Ausschließlichkeit des eingeräumten Verlagsrechts nicht mit Ablauf des dem Jahr des Erscheinens des Beitrags folgenden Kalenderjahres. Dieser Zeitraum gilt keinesfalls für die Verwertung durch Datenbanken.
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Das ÖBA richtet sich an alle Interessierten. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in den Texten die maskuline Form verwendet.
Österreichische Bankwissenschaftliche
Gesellschaft
Austrian Society for Bank Research
Die Bankwissenschaftliche Gesellschaft, 1952 von em. o. Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Krasensky gegründet, ist die einzige unabhängige und übersektorale wissenschaftliche Gesellschaft im Bankbereich in Österreich. Ihr Ziel ist die Auseinandersetzung mit langfristigen Entwicklungen im Bankwesen, die praxisbezogene Aus- und Weiterbildung leistungsfähiger Mitarbeiter der Banken und die Forschungsförderung. Neben den wissenschaftlichen Abteilungen – Forum für Bankrecht und Austrian Working Group on Banking and Finance – sorgt die Abteilung BankVerlagWien für die Herausgabe des BankArchivs, der Schriftenreihen sowie von Fachbüchern, während in der Abteilung Bankakademie die gesamten Aus- und Weiterbildungsaktivitäten zusammengefasst sind.
Präsident: Univ.-Prof. Dr. Robert Holzmann, Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank. mitglieder des Vorstandes: Univ.-Prof. Dr. Matthias Bank, CFA, Universität Innsbruck; Vorstandsdirektor Dr. Rainer Borns, Volksbank Wien AG; Vorstandsdirektor Christoph Boschan,
Wiener Börse AG; o. Univ.-Prof. Dr. Peter Bydlinski, Universität Graz; Gen.-Dir. Willibald Cernko, Erste Group Bank AG; Univ.-Prof. Eva Eberhartinger, LL.M., Wirtschaftsuniversität Wien; Generaldirektor Dr. Franz Gasselsberger, Oberbank AG; Gen.-Sekr. KR Mag. Martin Gölles, Verband der österreichischen Landes-Hypothekenbanken; Direktor Mag. Anish Gupta, Oesterreichische Kontrollbank AG; Univ.-Prof. Dr. Michael Hanke, Universität Liechtenstein; Vst.Dir. Guido Jestädt, BAWAG P.S.K. AG; Ao. Univ.Prof. Dr. Roland Mestel, Karl-Franzens-Universität Graz; Univ.-Prof. Dr. Ewald Nowotny, ÖGfE; Vst.-Dir. Mag. Helmut Siegler, Schoellerbank AG; Dr. Franz Rudorfer, Geschäftsführer der Bundessparte Bank und Versicherung, WKO; Rektor Univ.Prof. Dr. Rupert Sausgruber, Wirtschaftsuniversität Wien; Univ.-Prof. Dr. Alexander Schopper, Universität Innsbruck; Univ.-Prof. Dr. Martin Spitzer, WU Wien; Vorstandsdirektor Dr. Herta Stockbauer, BKS Bank AG; Vorstandsdirektor Mag. Friedrich Strasser, Bank Gutmann AG; Gen.-Dir. Dr. Johann Strobl, Raiffeisen Bank International AG; Generaldirektor Robert Zadrazil, UniCredit Bank Austria AG; o. Univ.-Prof. Dr. Josef Zechner, WU Wien; Vorstandsdirektor Dr. Werner Zenz, Bankhaus Carl Spängler & Co AG.
mitglieder des kuratoriums: Prof. Dr. Dr. h.c. Andreas R. Dombret, Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank a.D., Frankfurt; em. Univ.-
Prof. Dr. Peter Doralt, LL.M., Wirtschaftsuniversität Wien; Dr. Wolfgang Feuchtmüller; Univ.-Prof. Dkfm. Dr. Gerhard Fink, WU Wien; Dr. Erhard Fürst, Industriewissenschaftliches Institut; o. Univ.-Prof. Dr. Stefan Griller, Wirtschaftsuniversität Wien; Univ.-Prof. Dr. Andreas Grünbichler, Universität St. Gallen (HSG); Univ.-Doz. Dr. Heinz Handler; Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung; Verbandsanwalt Peter Haubner, Österreichischer Genossenschaftsverband; Prof. DDr. Hans Hofinger, MA; o. Univ.-Prof. Dr. Peter Jabornegg, Universität Linz; em. Univ.-Prof. Dr. Hans Georg Koppensteiner, Universität Salzburg; Dr. Gernot Krenner; em. Univ.-Prof. RA DDr. H. René Laurer, Wirtschaftsuniversität Wien; Ministerialrat Mag. Alfred Lejsek, BMF; em. Univ.Prof. Dr. Christian Nowotny, Wirtschaftsuniversität Wien; Generalsekretär Dr. Andreas Pangl, Raiffeisenverband; Mag. Dr. Kurt Pribil; Vst.-Dir. Dr. Markus Rädler, Notartreuhandbank AG; KommR Dr. Erich Rebholz; o. Univ.-Prof. Dr. Peter Rummel, Universität Linz; o. Univ.-Prof. Dr. Klaus Schredelseker, Universität Innsbruck; o. Univ.-Prof. i. R. Dr. Gunther Tichy; Mag. Dr. Gertrude TumpelGugerell, Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung; em. Univ.-Prof. Dr Georg Winckler, Universität Wien.
geschäftsführer: Dr. Markus Bunk, Frankgasse 10/7, A 1090 Wien, Telefon (01) 533 50 50; e-mail: office@bwg.at
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Abschlussprüfung
Montag, 25. Nov. 2024, 13:00 – 17:00 Uhr
Dienstag, 26. Nov. 2024, 9:00 – 12:00 Uhr
VÖIG/ÖVFA-Lehrgang für Asset Management
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1. Woche 9. bis 14. September 2024
2. Woche 7. bis 12. Oktober 2024
Abschlussprüfung
Montag, 11. November 2024