GesRZ 1/2024 Leseprobe

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53. Jahrgang / Februar 2024 / Nr. 1

Herausgegeben von

Nikolaus Arnold und Susanne Kalss

Marco Lettenbichler

Nachhaltigkeitsaspekte in der Willensbildung des AG-Vorstands

Sebastian Aschl/Daniel Gilhofer-Lenglinger

Disqualifikation von Geschäftsführungsorganen

Stephan Verweijen

GmbH: Umwandlung einer Bar- in eine Sacheinlagenverpflichtung

Florian Dollenz/Jakob Jaritz

Mezzaninfinanzierung bei der FlexCo

Nikolaus Arnold

Vergleich der FlexCo mit der GmbH und der AG

Heinrich Foglar-Deinhardstein

Rechtliche Rahmenbedingungen der Unternehmensbewertung

Felix Jöchl/Katharina Reichsöllner

Tagungsbericht zum 4. Österreichischen Vereinsrechtstag

Aus der aktuellen Rechtsprechung

Entscheidungen des OGH und des OLG Wien

Unternehmensrecht aktuell

Wichtige Gesetzesvorhaben im Überblick

Österreichische und europäische Finanzmarktaufsicht

Inhalt

NIKOLAUS ARNOLD

Erste Erfahrungswerte zur FlexCo ............................... 1

THOMAS BARTH / BENEDIKT HIRSCHLER

Unternehmensrecht aktuell .......................................... 2

MARCO LETTENBICHLER

Der Einfluss von Nachhaltigkeitsaspekten auf die Willensbildung des Leitungsorgans einer AG ... 7

SEBASTIAN ASCHL / DANIEL GILHOFER-LENGLINGER

Gesellschafts- und strafrechtliche Aspekte der Disqualifikation von Geschäftsführungsorganen ............ 14

STEPHAN VERWEIJEN

Plädoyer für die Möglichkeit zur Umwandlung einer Bareinlagenverpflichtung in eine Sacheinlagenverpflichtung bei der GmbH .......................... 19

FLORIAN DOLLENZ / JAKOB JARITZ

Mezzaninfinanzierung bei der FlexCo.........................

NIKOLAUS ARNOLD

Vergleich der FlexCo mit der GmbH und der AG..... 32

HEINRICH FOGLAR-DEINHARDSTEIN

Rechtliche Rahmenbedingungen der Unternehmensbewertung in Österreich.....

FELIX JÖCHL / KATHARINA REICHSÖLLNER

Tagungsbericht zum 4. Österreichischen Vereinsrechtstag...........

Aus der aktuellen Rechtsprechung

OGH

Maklerprovision von (kapitalistischer) KG, wenn Provisionszahlung verbotene Einlagenrückgewähr ist? (OGH 17.5.2023, 6 Ob 24/23g, mit Anmerkung von Jörg Zehetner) ..........................................................61

Unwirksame Bestimmungen im Genossenschaftsvertrag (OGH 30.8.2023, 6 Ob 246/22b, mit Anmerkung von Stephan Frotz) .......67

Zur Nichtigkeit von Beschlüssen von Vereinsorganen (OGH 27.6.2023, 4 Ob 22/23y) ...................... .........71

Zur Rekurslegitimation von Begünstigten im Verfahren nach § 17 Abs 5 PSG (OGH 30.8.2023, 6 Ob 118/23f, mit Anmerkung von Alexander Babinek) .............................................................................74

OLG Wien

Abberufungsklage betreffend GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer: Einheitliche Streitpartei? (OLG Wien 17.7.2023, 33 R 69/23v, mitAnmerkung von Thomas Ratka) .........................................................65

Rezensionen ..............................................................................................18, 37

Impressum

Periodisches Medienwerk: Der Gesellschafter – Zeitschrift für Gesellschafts- und Unternehmensrecht. „Der Gesellschafter“ ist zu zitieren: GesRZ Kalenderjahr, Seite. Grundlegende Richtung: Diese Fachzeitschrift befasst sich mit Problemen auf allen Gebieten des Gesellschaftsund Unternehmensrechts anhand von Theorie und Praxis. Sie erscheint sechsmal jährlich, und zwar im Februar, April, Juni, August, Oktober und Dezember. Jahresabonnement 2024 (6 Hefte) zum Preis von € 241,10 (Print) bzw. € 281,30 (Print & Digital) – jeweils inkl. MwSt., exkl. Versandspesen. Einzelheft 2024: € 57,90 (inkl. MwSt., exkl. Versandspesen). Unterbleibt die Abbestellung, so läuft das Abonnement um jeweils ein Jahr zu den jeweils gültigen Konditionen weiter. Abbestellungen sind nur zum Ende eines Jahrganges möglich und müssen bis spätestens 30. November schriftlich erfolgen. Nachdruck – auch auszugsweise – ist nur mit ausdrücklicher Bewilligung des Verlages gestattet. Es wird darauf verwiesen, dass alle Angaben in dieser Fachzeitschrift trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr erfolgen und eine Haftung des Verlages, der Herausgeber oder der Autoren ausgeschlossen ist.

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ISSN 0250-6440

Herausgeber und Redaktion: Rechtsanwalt Dr. Nikolaus Arnold, 1010 Wien, Stoß im Himmel 1 Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Susanne Kalss, LL.M., 1020 Wien, Institut für Unternehmensrecht, WU, Welthandelsplatz 1 E-Mail: gesrz@lindeverlag.at

Medieninhaber und Medienunternehmen: Linde Verlag Ges.m.b.H., 1210 Wien, Scheydgasse 24 Telefon: +43 1 24 630

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Rechtsform der Gesellschaft: Ges.m.b.H. Sitz: Wien, Firmenbuchnummer 102235x Firmenbuchgericht: Handelsgericht Wien, ARA-Lizenz-Nr.: 3991

Gesellschafter: Anna Jentzsch (35 %) und Jentzsch Holding GmbH (65 %) Geschäftsführer: Mag. Klaus Kornherr Benjamin Jentzsch

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Erste Erfahrungswerte zur FlexCo

Am 1.1.2024 ist das FlexKapGG in Kraft getreten (§28 Abs1 FlexKapGG), mit dem die Rechtsform der FlexCo und damit eine weitere Form der Kapitalgesellschaft eingeführt wurde. Die Unterschiede zu und die Gemeinsamkeiten der FlexCo mit der GmbH und der AG werden in diesem Heft einander auch tabellarisch gegenübergestellt.

Kaum ein anderes Gesetz wurde von so vielen neuen Kommentaren, Handbüchern, Beiträgen und Seminaren begleitet. In den sozialen Netzwerken gab es einen regelrechten Wettlauf um die erste Errichtung bzw Firmenbucheintragung. Von den aktuell im Firmenbuch eingetragenen FlexCos wurden – soweit ersichtlich – zwei noch im Jahr 2023, also vor Inkrafttreten des FlexKapGG, errichtet. Ob eine Gesellschaft tatsächlich auf Basis eines Gesetzes, das noch nicht in Kraft getreten ist (und damit in einer noch nicht existenten Rechtsform), errichtet werden kann, sei dahingestellt. In einem der beiden genannten Fälle dürfte es zu einem Verbesserungsauftrag durch das zuständige Firmenbuchgericht gekommen sein; im anderen Fall wurde die Eintragung vorgenommen.

Eine kurze Bestandsaufnahme rund einen Monat nach Inkrafttreten des FlexKapGG bietet zwar noch keinen repräsentativen Querschnitt, zeigt aber erste Tendenzen: Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses (Stichtag: 7.2.2024) waren 30 FlexCos im Firmenbuch eingetragen. 50% (15) davon haben ihren Sitz in Wien, 10% (3) im Sprengel des LG St. Pölten, je 6,66% (2) im Sprengel des LG Wels, des LGZ Graz und des LG Innsbruck. Je eine weitere Eintragung wurde vom LG Korneuburg, dem LG Wiener Neustadt, dem LG Linz, dem LG Salzburg, dem LG Klagenfurt und dem LG Feldkirch vorgenommen. Geografisch gab es daher durchaus eine weite Streuung.

93,33% (28) der FlexCos wurden in dieser Rechtsform erstmals errichtet; 6,67% (2) der FlexCos wurden von einer GmbH in eine FlexCo umgewandelt. Die vereinfachte Gründung wurde in 40% (12) der Fälle in Anspruch genommen; mittels Notariatsaktes wurden 50% (15) errichtet; bei 10% (3) konnte mangels Hinterlegung des Gesellschaftsvertrages in der elektronischen Urkundensammlung keine Zuordnung vorgenommen werden.

66,67% (20) der FlexCos haben lediglich einen Gesellschafter, 26,67% (8) haben zwei Gesellschafter, eine FlexCo hat drei Gesellschafter und eine weitere fünf.

Der Rechtsformzusatz (Firmenbestandteil) „FlexCo“ wurde in 70% (21) der Fälle gewählt, „FlexKapG“ in 23,33% (7) und der vollständig ausgeschriebene Wortlaut, nämlich „Flexible Kapitalgesellschaft“, in 6,67% (2) der Fälle. Von der in §2 FlexKapGG eröffneten Möglichkeit des Rechtsformzusatzes „Flexible Company“ (in nicht abgekürzter Form) wurde bisher kein Gebrauch gemacht.

83,33% (25) der untersuchten Gesellschaften verfügen über ein Stammkapital von 10.000€, von denen in 60% (18) der Fälle lediglich die Hälfte des Stammkapitals, also 5.000€, einbezahlt wurde; in 23,33% (7) der Fälle war es das gesamte Stammkapital.

In 66,67% (20) der untersuchten Errichtungserklärungen bzw Gesellschaftsverträge finden sich zu Unternehmenswertanteilen keine Regelungen; 23,33% (7) eröffnen die Möglichkeit der Ausgabe von Unternehmenswertanteilen; in 10% (3) wurden Unternehmenswertanteile geschaffen und übernommen.

Es wäre nach einem Monat zu früh, bereits Prognosen über die Akzeptanz einer Rechtsform abzugeben. Eine ganz klare Dominanz der Gesellschaftsgründungen in der Rechtsform einer GmbH zeigt sich aber zumindest auch im ersten Monat nach der Schaffung der Rechtsform der FlexCo. Im Zeitraum 1.1.2024 bis 7.2.2024 stehen 30 neu eingetragenen FlexCos 1.270 neu gegründete GmbHs gegenüber (Quelle: Wirtschafts-Compass). Wann der Gesetzgeber sich den Baustellen bei der mit insgesamt über 200.000 eingetragenen Rechtsträgern wichtigsten Rechtsform in Österreich, nämlich der GmbH, widmet, steht weiterhin in den Sternen. Die Chance, dies rechtlich konsistent gleich im Zuge der Einführung der FlexCo durchzuführen, wurde trotz wiederholter Hinweise nicht genutzt. Wien, im Februar 2024 Nikolaus Arnold

Unternehmensrecht aktuell

Update: Informationsfreiheitsgesetz

* Wie in dieser Rubrik berichtet, langte am 6.10.2023 die Regierungsvorlage für das Bundesgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert und ein Informationsfreiheitsgesetz (IFG) erlassen wird,1 im Nationalrat ein. Das Vorhaben geht auf das Regierungsprogramm 2020 – 20242 zurück, wonach ein möglichst weitgehender Zugang zu staatlichen Informationen umgesetzt werden soll. Die Regierungsvorlage sieht einerseits Anpassungen im B-VG vor; so soll die Amtsverschwiegenheit entfallen und eine aktive Informationspflicht für gewisse staatliche Stellen bestehen. Andererseits sollen durch die Schaffung des IFG die Informationspflicht selbst, das Verfahren, die privaten Informationspflichtigen sowie die Beratung und Unterstützung durch die Datenschutzbehörde geregelt werden.3

Die Regierungsvorlage wurde am 31.1.2024 im Nationalrat und am 15.2.2024 im Bundesrat beschlossen.4

Neue Vorschriften und regulatorische Änderungen im Jahr 2024

Im Jahr 2024 treten im Aufsichtsrecht zahlreiche neue regulatorische Vorschriften in Kraft bzw sind erstmalig anwendbar. In ihrer Pressemitteilung vom 4.1.20245 informiert die FMA darüber:

 Neuerungen und Änderungen im Bereich Nachhaltigkeit: Im Zuge der neuen Nachhaltigkeitsberichterstattung haben jene Unternehmen, die bereits bisher dazu verpflichtet waren, einen nichtfinanziellen Bericht zu erstatten, für das Geschäftsjahr 2024 erstmals zu den Berichtssäulen environment, social und governance (ESG) zu berichten. Die entsprechenden Vorgaben der CSRD6 müssen jedoch noch in nationales Recht umgesetzt werden. Darüber hinaus müssen Nicht-Finanzunternehmen nach dem nunmehrigen Vorliegen der relevanten delegierten Rechtsakte ab 1.1.2024 im Rahmen der nichtfinanziellen Berichterstattung über alle sechs Umweltziele der Taxonomie-Verordnung7 berichten. Auch Finanzunternehmen haben zu diesem Stichtag erstmals über die Taxonomiekonformität der ersten beiden Umweltziele zu berichten.

* Dr. Thomas Barth ist Leiter der Geschäftsstelle der ÜbK. Mag. Benedikt Hirschler ist Universitätsassistent (prae doc) am Institut für Unternehmensrecht der Wirtschaftsuniversität Wien.

1 RV 2238 BlgNR 27. GP.

2 Online abrufbar unter https://www.bundeskanzleramt.gv.at/bundeskanzleramt/diebundesregierung/regierungsdokumente.html

3 Vgl ausführlich Th. Barth/B. Hirschler, GesRZ2023, 280.

4 892/BNR 27. GP, online abrufbar unter https://www.parlament.gv.at/gegenstand/ XXVII/BNR/892

5 Online abrufbar unter https://www.fma.gv.at/das-bringt-das-jahr-2024-fuer-diefinanzmarktregulierung

6 Richtlinie (EU) 2022/2464 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.12.2022 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr537/2014 und der Richtlinien 2004/109/EG, 2006/43/EG und 2013/34/EU hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen, L 322 vom 16.12.2022, S15.

7 Verordnung (EU) 2020/852 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18.6.2020 über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen und zur Änderung der Verordnung (EU) 2019/2088, ABl L 198 vom 22.6.2020, S13; siehe dazu auch Th. Barth/Natlacen, GesRZ2021, 342; dies, GesRZ2022, 247.

Mit Ende 2024 tritt ferner der European Green Bond Standard8 in Kraft. Hierbei handelt es sich um ein freiwilliges Regelwerk für die Begebung von grünen Anleihen. Bei Einhaltung der Vorschriften des Standards ist künftig die Bezeichnung „European Green Bond“ oder „europäische grüne Anleihe“ möglich.

 MiCAR als neuer Standard im Kryptobereich: Wie in dieser Rubrik berichtet, trat die MiCAR9 im Jahr 2023 in Kraft und ist in wesentlichen Teilen im Jahr 2024 anwendbar.10 Sowohl für die entsprechenden Unternehmen und Dienstleister als auch für die zuständigen Aufsichtsbehörden kommt es idZ zu neuen Aufgaben. Konkret müssen künftig etwa die Transparenz- und Offenlegungspflichten für die Emission und den Handel mit Kryptowerten überwacht werden, ebenso wie die Zulassungspflicht und die laufende Aufsicht über Kryptowerte-Dienstleister und Emittenten von Kryptowerten sowie die Einhaltung von Investoren- und Verbraucherschutzvorschriften für die Emission, den Handel und die Verwahrung von Kryptowerten.

VfGH zum WiEReG

Wie in dieser Rubrik berichtet, hatte der VfGH iZm einem anhängigen Verfahren Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der §§10 und 10a WiEReG geäußert. Die Möglichkeit der öffentlichen Einsicht für jedermann bzw die Einschränkung der Einsicht bei Vorliegen von außergewöhnlichen Umständen könnte nach Einschätzung des VfGH gegen die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Datenschutz gem §1 DSG und auf Achtung des Privatlebens gem Art8 EMRK sowie gegen die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte gem Art7 und Art8 GRC verstoßen. Hinsichtlich der in §10 WiEReG vorgesehenen öffentlichen Einsicht konnte der VfGH vorerst nicht erkennen, dass eine umfassende Einsicht (in sämtliche in diesem Register eingetragenen Daten) durch jedermann erforderlich wäre, um die mit der Schaffung des Registers verfolgten Ziele zu erreichen. Der VfGH beschloss daher, die §§10 und 10a WiEReG von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.11

In seinem Erkenntnis vom 5.12.2023, G265/2023, führt der VfGH nun aus, dass er bei der im Prüfungsbeschluss geäußerten Auffassung bleibt, wonach §10 WiEReG gegen §1 DSG iVm Art8 EMRK verstoße. Dies zuletzt auch vor dem Hintergrund der Judikatur des EuGH, in der dieser aussprach,

8 Verordnung (EU) 2023/2631 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.11.2023 über europäische grüne Anleihen sowie fakultative Offenlegungen zu als ökologisch nachhaltig vermarkteten Anleihen und zu an Nachhaltigkeitsziele geknüpften Anleihen, ABl L vom 30.11.2023, S1.

9 Verordnung (EU) 2023/1114 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.5.2023 über Märkte für Kryptowerte und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr1093/2010 und (EU) Nr1095/2010 sowie der Richtlinien 2013/36/EU und (EU) 2019/1937, ABl L 150 vom 9.6.2023, S40.

10 Vgl Th. Barth/B. Hirschler, GesRZ2023, 343f.

11 Vgl Th. Barth/B. Hirschler, GesRZ2023, 218, unter Verweis auf VfGH 16.6.2023, E 3129/2022, online abrufbar unter https://www.vfgh.gv.at/downloads/pruefungs beschluesse/VfGH_Pruefungsbeschluss_2023.06.16._E_3129_2022.pdf

dass die öffentliche Einsicht gegen das Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art7 GRC) und das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten (Art8 GRC) verstoße.12 Wie ebenso berichtet, war diese EuGH-Judikatur auch der Anlass für die Novellierung des WiEReG und insb des §10 leg cit.13 Da §10 WiEReG somit durch die Novelle BGBl I 2023/97 bereits geändert wurde, hatte der VfGH nur mehr festzustellen, dass die Bestimmung verfassungswidrig war. Eine entsprechende Feststellung der Verfassungswidrigkeit des §10a WiEReG idF BGBl I 2018/62 war nach der Auffassung des VfGH zur Beseitigung der Verfassungswidrigkeit hingegen nicht notwendig, weshalb er §10a WiEReG idF BGBl I 2018/62 nicht für verfassungswidrig erklärte.

Im Anlassfall entschied der VfGH im fortgesetzten Verfahren, dass der Beschwerdeführer durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt wurde und das Erkenntnis daher aufzuheben war.14

OLG Wien: Beschlussanfechtung bei Bestellung eines Prozessvertreters und bei bereits abgeschlossenem Prozessvergleich

In der Entscheidung vom 22.9.2023, 33 R 77/23w, befasste sich das OLG Wien mit der Anfechtbarkeit von Beschlüssen der Generalversammlung. Die Klägerin (eine GmbH) gründete mit der X. GmbH & Co KG (kurz: X. KG) gemeinsam die Beklagte (auch eine GmbH). An dieser hält die X. KG einen Anteil von 70%, die Klägerin einen Anteil von 30%. Zu den Geschäftsführern der Beklagten wurden N. N. (Geschäftsführer der persönlich haftenden Gesellschafterin der X. KG) und P. P. (Geschäftsführer der Klägerin) bestellt.

Die Klägerin begehrte die Nichtigerklärung der gefassten Beschlüsse, mit denen P. P. mit Ablauf einer dreimonatigen Frist bzw (in einem späteren Beschluss) sofort als Geschäftsführer abberufen wurde. Außerdem begehrte die Klägerin die Nichtigerklärung des Beschlusses, mit dem ihre Bestellung zur Prozessvertreterin zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen die X. KG abgelehnt wurde. Gleichzeitig begehrte sie die Feststellung, dass Beschluss, durch den sie zur Prozessvertreterin bestellt worden ist, zustande gekommen ist.

Neben dem Gesellschaftsvertrag wurden auch eine Gesellschaftervereinbarung und ein Dienstleistungsvertrag abgeschlossen. Im Gesellschaftsvertrag wurde ua vereinbart, dass die Festlegung, Änderung und Aufhebung der Geschäftsordnung für die Geschäftsführer und der Abschluss von Geschäftsführerverträgen eine Dreiviertelmehrheit benötigt. In ihrer Gesellschaftervereinbarung verpflichteten sich die Klägerin und die X. KG zur Förderung ihrer Zusammenarbeit im Bereich des Handels mit Rohstoffen für die Lebensmittel- und Futterindustrie. Es wurde auch vereinbart, dass die Klägerin ihr Know-how für die Bereiche Sourcing, Marketing und Sales einbringen soll. Die X. KG verpflichtete sich zur Gewährung eines Darlehens in Höhe von 1Mio€ an die Beklagte. Im Zuge des Abschlusses des Dienstleistungsvertrages wurde ua vereinbart, dass die Beklagte der Klägerin die Durchführung bestimmter Dienstleistungen (Sourcing, Marketing, Sales und

12 EuGH 22.11.2022, verb Rs C-37/20 und C-601/20, Luxembourg Business Registers

13 Vgl Th. Barth/B. Hirschler, GesRZ2023, 217f.

14 VfGH 6.12.2023, E 3129/2022.

Geschäftsführung) überträgt. Die Parteien vereinbarten eine marktübliche Vergütung der nach Maßgabe des Dienstleistungsvertrages erbrachten Leistungen, ausgehend von nicht mehr als zirka 23.300€ pro Monat. Die ordentliche Kündigung des Dienstleistungsvertrages war für jede Partei unter Einhaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist zum Ende eines Kalendermonats möglich.

Nachdem es zwischen den Geschäftsführern P. P. und N. N. immer mehr zu Meinungsverschiedenheiten kam und man seitens der X. KG auch zum Schluss kam, dass sich die Geschäfte nicht so wie erwartet entwickelt haben, entschied sich die X. KG dazu, P. P. als Geschäftsführer der Beklagten abzuberufen und den Dienstleistungsvertrag zu kündigen. Die Beschlüsse wurden mit den Stimmen der X. KG gegen die Stimmen der Klägerin gefasst.

Die Klägerin behauptete Verstöße der X. KG gegen den Gesellschaftsvertrag, die Gesellschaftervereinbarung und den Dienstleistungsvertrag. Aus diesen Vereinbarungen resultierten besondere Treuepflichten, die die X. KG durch Abberufung des Geschäftsführers P. P. und die Kündigung des Dienstleistungsvertrages ausschließlich mit ihren Stimmen verletzt habe. Die Klägerin brachte hierzu ua vor, dass der Gesellschaftsvertrag für eine wirksame Beschlussfassung in Geschäftsführerangelegenheiten eine 75%ige Mehrheit der abgegebenen Stimmen vorsieht. Diese Mehrheit wurde bei der Beschlussfassung jedoch nicht erreicht.

Nach dem OLG Wien soll sich der Gesellschaftsvertrag nur auf das Erfordernis einer 75%igen Mehrheit hinsichtlich der Festlegung, Änderung und Aufhebung der Geschäftsordnung für die Geschäftsführer und den Abschluss von Geschäftsführerverträgen beziehen und nicht auf Geschäftsführerangelegenheiten im Allgemeinen. Die Abberufung des Geschäftsführers richtet sich daher mangels gesonderter Regelung nach §16 GmbHG und erfordert nur eine einfache Mehrheit. Die Gesellschaftervereinbarung regle nicht, dass sich die Klägerin gegenüber der X. KG zur Übernahme von Geschäftsführungsangelegenheiten verpflichtet. Nur im Dienstleistungsvertrag wird die Geschäftsführung durch die Klägerin erwähnt; hier wird nach dem OLG Wien nur die faktische Geschäftsführung geregelt. Aufgrund dieser Erkenntnisse liegt nach Ansicht des OLG Wien kein Anfechtungsgrund vor, da die Nebenvereinbarung zwar omnilateral ist und somit unter Umständen eine Verletzung der Gesellschaftervereinbarung einen Beschluss in der GmbH ausnahmsweise anfechtbar machen könnte. Im konkreten Fall ergebe sich eine Einschränkung der freien Abberufbarkeit eines Geschäftsführers auf wichtige Gründe jedoch nicht aus der Nebenvereinbarung und auch nicht aus dem Dienstleistungsvertrag. Es soll somit keine Absicherung der Geschäftsführerbefugnis von P. P. oder einer anderen Person bestehen. Es soll nach dem OLG Wien daher auch kein treuwidriges Verhalten der X. KG vorliegen.

Ob die X. KG den Dienstleistungsvertrag durch treuwidrige Stimmabgabe gekündigt hat, kann nach dem OLG Wien dahingestellt bleiben, da die Streitteile hierüber in einem Parallelverfahren einen rechtswirksamen Vergleich geschlossen haben. Nach der Rspr sollen auch Beschlussstreitigkeiten nach §§41ff GmbHG Gegenstand einer Schiedsvereinbarung sein können und somit sollen darüber auch Vergleiche geschlossen

Unternehmensrecht

werden können. Nach dem OLG Wien mangelt es in diesem Fall am Rechtsschutzinteresse der Klägerin.

Hinsichtlich der Anfechtung der Bestellung einer Prozessvertretung soll die Klägerin vorgebracht haben, dass die X. KG aufgrund des gegen sie angestrebten Prozesses nach §39 Abs4 GmbHG einem Stimmverbot unterliege. Das wirksame Zustandekommen des Beschlusses hätte daher allein mit den Stimmen der Klägerin festgestellt werden sollen. Zwischen der X. KG und der Beklagten bestehe ein Interessenkonflikt; die ordnungsgemäße Vertretung der Beklagten sei nicht gesichert, weshalb die Klägerin zu ihrer Prozessvertreterin zu bestellen sei. Außerdem brachte die Klägerin vor, dass eine Treuwidrigkeit durch die Stimmabgabe der X. KG vorliege, da die X. KG dadurch eine Prozessführung gegen sich verhindern wolle.

Das OLG Wien stellte zunächst klar, dass die Gesellschafter gem §35 Abs1 Z6 GmbHG einen Vertreter zur Prozessführung für die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen die Geschäftsführer bestellen können. In der Lehre werde teilweise die Ansicht vertreten, dass §35 Abs1 Z6 GmbHG entgegen dem Wortlaut auch bei Ersatzansprüchen gegen Gesellschafter anwendbar ist. Das OLG Wien verneinte dies jedoch, da die Klägerin eine Schädigungshandlung der X. KG zulasten der Beklagten und damit indirekt zu ihren Lasten behauptete; die X. KG bestritt diese Schädigungshandlung. Der Rechtsstreit spielte sich daher ausschließlich auf Gesellschafterebene ab. Würde man die Prozessvertretung iSv §35 Abs1 Z6 GmbHG zulassen, so hätte das Kostenrisiko allerdings die Beklagte und nicht die X. KG zu tragen. Nach dem OLG Wien soll in diesem Fall eine Minderheitenklage nach §48 GmbHG möglich sein.

Nach dem OLG Wien war eine Revision zulässig, einerseits zur Frage, inwieweit ein fehlendes Rechtsschutzinteresse durch Abschluss eines Prozessvergleichs die Anfechtung von Gesellschafterbeschlüssen verhindert, und andererseits zur Frage, ob §35 Abs1 Z6 GmbHG sich auch auf Gesellschafterbeschlüsse bezieht, mit denen Ersatzansprüche gegen Gesellschafter geltend gemacht werden und idZ ein Prozessvertreter bestellt oder seine Bestellung begehrt wird.

FMA: Aufsichts- und Prüfungsschwerpunkte 202415

Österreichs Finanzwirtschaft steht nach Ansicht der FMA aufgrund der abrupten Zinswende, des Inflationsrisikos sowie der mageren Konjunkturaussichten vor großen Herausforderungen. Insb werde aber auch die österreichische Finanzwirtschaft durch die gegenwärtige schwierige Situation der Immobilienbranche längerfristig gefordert. Die Unternehmen sollen daher ein proaktives Risikomanagement betreiben, entsprechende Vorsorgen bilden und in der Ausschüttungspolitik besonnen agieren, um so die Kapitalbasis und die Risikotragfähigkeit weiter zu stärken.

Diese real- und finanzwirtschaftlichen Herausforderungen könnten aber durch geopolitische (geopolitische Neuordnung), technologische (digitaler Wandel, der zu einer weitreichenden Veränderung der Wirtschaft führen könnte), öko-

15 Siehe https://www.fma.gv.at/fakten-trends-strategien-2024; https://www.fma.gv.at/ oenb-fma-bankenaufsicht-schwerpunkte-2024

logische (Klimawandel) und gesellschaftliche Trends (geändertes Verbraucherverhalten) überlagert werden. Im Allgemeinen lassen sich aus diesen Herausforderungen und Risiken bestimmte Themenfelder ableiten, die die Aufsichts- und Prüfungsschwerpunkte der FMA für 2024 darstellen sollen:

 Resilienz und Stabilität: Die Krisenfestigkeit der beaufsichtigten Finanzdienstleister soll gestärkt und die Stabilität des österreichischen Finanzmarkts soll gewahrt werden. Das Immobilienrisiko im Bankensektor soll durch mikro- und makroprudenzielle Maßnahmen begrenzt werden. Vor allem die nachhaltigen Vergabestandards sollen eingehalten und die vorausschauenden Risikovorsorgen gebildet werden.

 Digitaler Wandel: Die Chancen, die sich durch die Digitalisierung ergeben, sollen genutzt und gleichzeitig sollen Risiken erkannt werden.

 Neue Geschäftsmodelle: Innovative Geschäftsmodelle sollen früh regulatorisch und aufsichtlich begleitet werden, um für faire Wettbewerbsbedingungen zu sorgen, aber gleichzeitig soll auch die Innovationskraft des österreichischen Finanzmarkts gefördert werden.

 Kollektiver Verbraucherschutz: Die Verbraucher sollen in einem sich rapide ändernden Umfeld (zB Zinswende, geändertes Verbraucherverhalten, digitaler Wandel) ausreichend geschützt werden.

 Nachhaltigkeit: Der Finanzmarkt soll bei der Entwicklung eines nachhaltigen Wirtschaftsmodells regulatorisch und aufsichtlich begleitet und unterstützt werden.

 Sauberer Finanzplatz Österreich: Die Sauberkeit und die Reputation des Finanzplatzes Österreich sollen auf allen Ebenen gesichert werden. Die Sauberkeit des Kapitalmarkts soll ua durch die Überwachung der Vorschriften der Marktmissbrauchsverordnung,16 der Ad-hoc-Publizität und der director’s dealings gewahrt werden.

FMA-Prüfungsschwerpunkte betreffend das Abschlussjahr 2023 (Enforcement)

Die FMA hat gem §1 Abs2 RL-KG die jährlichen Prüfungsschwerpunkte für das Enforcement festzulegen und zu veröffentlichen. Die FMA veröffentlichte am 30.11.2023 die Prüfungsschwerpunkte für Geschäftsjahre, die zum 31.12.2023 oder später enden.17

Für die finanzielle Berichterstattung von Konzernabschlüssen nach den IFRS sollen ua die klimabezogenen Belange im Vordergrund stehen. Hier sei insb zu beachten, dass die Anforderungen bezüglich klimabezogener Belange, die bereits in den beiden Vorjahren als einer der Prüfungsschwerpunkte definiert wurden, auch weiterhin als Schwerpunkte gelten. Für die Verlässlichkeit des Abschlusses für die Abschlussadressaten sei nach der FMA ein besonderes Augenmerk auf die konsistente Behandlung der klimabezogenen Belange in der finanziellen Berichterstattung mit jener in der nichtfinanziellen Be-

16 Verordnung (EU) Nr596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.4.2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABlL 173 vom 12.6.2014, S1.

17 FMA, Jährliche Prüfungsschwerpunkte 2023 gemäß §1 Abs.2 RL-KG, online abrufbar unter https://www.fma.gv.at/querschnittsthemen/enforcement

richterstattung zu legen. Die Unternehmen sollen auch eine umfassende qualitative und quantitative Analyse und Beschreibung hinsichtlich der wichtigsten Risiken und Ungewissheiten bezüglich klimabezogener Belange vornehmen. Die FMA stellt klar, dass ein Erwerb von CO2-Zertifikaten die Notwendigkeit einer zu passivierenden Rückstellung aufgrund einer rechtlichen oder faktischen Verpflichtung nach IAS37.10 auslösen kann. Außerdem könnten klimabezogene Belange zu einer Änderung der mittel- oder langfristigen Unternehmensstrategie führen, wodurch unter Umständen die erwartete Restnutzungsdauer von betroffenen Vermögenswerten angepasst werden muss.18

Neben den klimabezogenen Belangen seien auch die makroökonomischen Gegebenheiten im Konzernabschluss nach den IFRS zu berücksichtigen. Im Zuge einer Sensitivitätsanalyse soll daher dargestellt werden, wie Ergebnis und Eigenkapital durch mögliche Zinsänderungen beeinflusst werden.19

Bei Konzernlageberichten (§267 UGB) und der konsolidierten nichtfinanziellen Berichterstattung (§267a UGB) soll auf die Besonderheiten des Art8 der Taxonomie-Verordnung geachtet werden. Es soll aus diesem Grund beachtet werden, dass in Fällen, in denen eine Wirtschaftstätigkeit wesentlich zu mehreren Umweltzielen beiträgt, eine Doppelzählung bei der Berechnung der in der Taxononomie-Verordnung geforderten wesentlichen Leistungsindikatoren zu vermeiden ist. Sofern Bewertungskriterien für eine Wirtschaftstätigkeit für mehr als ein Umweltziel vorliegen, sollen alle den verschiedenen Umweltzielen zugrunde liegenden Bewertungskriterien der Wirtschaftstätigkeit einer Prüfung unterzogen werden, um die Vollständigkeit der darzustellenden Leistungsindikatoren zu gewährleisten. Nach der FMA wird die Nachhaltigkeitsberichterstattung eine erhöhte Transparenz auslösen, wodurch eine Befassung des Emittenten mit klimabezogenen Zielen nötig wird. Sofern klimabezogene Ziele definiert werden, sollten diese klar formuliert, messbar und mit einem Zeitpunkt für die Zielerreichung versehen werden.20

Auch bei Jahresabschlüssen nach dem UGB sollen die makroökonomischen Rahmenbedingungen die Werthaltigkeit von Vermögensgegenständen beeinflussen. Ferner soll die Bildung von Rückstellungen für drohende Verluste durch steigende Rohstoffpreise ausgelöst werden können. Hinsichtlich der Prüfungsschwerpunkte des Lageberichts (§ 243 UGB) und der nichtfinanziellen Berichterstattung nach § 243b UGB verweist die FMA auf den Konzernlagebericht (§ 267 UGB) und die nichtfinanzielle Berichterstattung nach §267a UGB.21

FMA-Berichte zum dritten Quartal 2023

Im Dezember 2023 veröffentlichte die FMA wieder Erhebungen und Berichte zu Sektoren, die für die Gesamtwirtschaft von Bedeutung sind, ua zu Pensionskassen,22 zur österreichischen Versicherungswirtschaft,23 zum Asset Management,24

18 FMA, Jährliche Prüfungsschwerpunkte 2023, 1ff.

19 FMA, Jährliche Prüfungsschwerpunkte 2023, 3ff.

20 FMA, Jährliche Prüfungsschwerpunkte 2023, 5ff.

21 FMA, Jährliche Prüfungsschwerpunkte 2023, 7.

22 Siehe https://www.fma.gv.at/fma-bericht-3-quartal-2023-pensionskassen

23 Siehe https://www.fma.gv.at/fma-bericht-zum-3-quartal-2023-der-oesterreichischenversicherungswirtschaft

24 Siehe https://www.fma.gv.at/fma-bericht-asset-management-im-3-quartal-2023

zu betrieblichen Vorsorgekassen25 sowie zu Fremdwährungskrediten:26

 Pensionskassen: Das von den österreichischen Pensionskassen verwaltete Vermögen habe zum Ende des dritten Quartals 2023 25,17Mrd€ betragen. Dies entspreche einem Rückgang um 260Mio€ bzw 1,02% zum Vorquartal. Die Zahl der Anwartschafts- und Leistungsberechtigten habe sich im Vergleich zum Vorquartal um rund 0,17% auf 1,05 Mio Personen erhöht.

 Österreichische Versicherungswirtschaft: Die österreichischen Versicherungsunternehmen haben im Vergleich zum dritten Quartal des Vorjahres ein um 5,76% auf 5,07Mrd€ gestiegenes Prämienvolumen verbucht. Mit 3,18Mrd€ komme mehr als die Hälfte aus der Schadens- und Unfallversicherung. Die Krankenversicherung verbuche ein Volumen von 717Mio€. In der Lebensversicherung sank das Prämienvolumen (um 3,63%) auf 1,17Mrd€. In den ersten drei Quartalen 2023 zusammen haben die Prämieneinnahmen insgesamt 16,96Mrd€ betragen, was ein Plus von 4,82% im Vergleich zum Vorjahreszeitraum darstelle.

 Asset Management: Zum dritten Quartal 2023 sei ein Fondsvermögen von insgesamt etwa 205,1Mrd€ von österreichischen Fonds verwaltet worden. Im Vergleich zum Vorquartal sei es damit zu einem Rückgang des Fondsvermögens um 1,2% bzw 2,5Mrd€ gekommen. Seit Jahresbeginn sei das Fondsvermögen jedoch um 2,4% bzw 4,9Mrd€ gestiegen. Die Rückgänge würden sich durch nahezu alle Veranlagungsklassen ziehen. Haupttreiber dafür seien negative Marktentwicklungen. Im Bereich der Immobilienfonds seien die Rückgänge nahezu ausschließlich auf Nettomittelabflüsse zurückzuführen.

IZm dem Asset Management weist die FMA darauf hin, dass nachhaltige Fonds iSd Art8 und 9 der Offenlegungsverordnung27 mit einem Anteil von über 45% beinahe die Hälfte des österreichischen Fondsvermögens ausmachen. Dies sei vor dem Hintergrund des sog Greenwashings zu würdigen, da es derzeit noch keine explizite regulatorische Kennzeichnung für Nachhaltigkeitsfonds gibt. Dennoch dürften Fondsnamen keine nachhaltige Veranlagung suggerieren, wenn dies mit der tatsächlichen Veranlagungsstrategie nicht übereinstimme. Dies könnte eine Irreführung darstellen sowie gegen Offenlegungsverpflichtungen verstoßen. Die FMA verstärke daher ihre Aufsichtstätigkeiten durch ein Greenwashing-Analyseframework, das sich Methoden der automatisierten Textanalyse und erstmals auch künstlicher Intelligenz bediene.

 Betriebliche Vorsorgekassen: Das von den acht österreichischen betrieblichen Vorsorgekassen verwaltete Vermögen habe zum Ende des dritten Quartals 2023 17,84Mrd€ betragen. Das verwaltete Vermögen sei damit um 381,4Mio€ bzw 2,18% im Vergleich zum zweiten Quartal 2023 gestiegen.

25 Siehe https://www.fma.gv.at/fma-bericht-betriebliche-vorsorgekassen-3-quartal-2023

26 Siehe https://www.fma.gv.at/fma-erhebung-zu-fremdwaehrungskrediten-im-3-quartal2023-aushaftendes-volumen-e-75-mrd-nur-mehr-42-anteil-an-allen-krediten-anprivate-haushalte

27 Verordnung (EU) 2019/2088 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.11.2019 über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor, L 317 vom 9.12.2019, S1.

Unternehmensrecht

 Fremdwährungskredite: Das aushaftende Volumen an Fremdwährungskrediten sei im dritten Quartal 2023 im Vergleich zum Vorjahresquartal (wechselkursbereinigt) um 1,52Mrd€ bzw 17% gesunken. Seit Verhängung des Neuvergabestopps im Herbst 2008 sei das aushaftende Volumen (wechselkursbereinigt) erheblich (um 41,62Mrd€ bzw 87,1%) abgebaut worden. Im Vergleich zum zweiten Quartal 2023 sei das Volumen um 480Mio€ bzw 6,1% gesunken. Der Großteil (98,2%) der aushaftenden Fremdwährungskredite entfalle auf Schweizer Franken.

Update: Nachhaltigkeit am Kapitalmarkt

Mehrere Neuerungen und Änderungen gab es auch diesmal zum Thema „Nachhaltigkeit am Kapitalmarkt“:

 Die ESMA hat am 15.12.2023 einen Entwurf von Leitlinien für die Aufsicht über Nachhaltigkeitsinformationen28 veröffentlicht. Inhalt des Entwurfs ist die Überwachung des Nachhaltigkeitsberichts von Emittenten. Bspw wird erläutert, wie die nationalen Aufsichtsbehörden bei Feststellung von Fehlern vorgehen sollen. Ziel ist die Sicherstellung der einheitlichen Überwachung des Nachhaltigkeitsberichts sowie der darin enthaltenen Berichterstattung nach Art8 der Taxonomie-Verordnung. Der Entwurf der ESMA umfasst 22 Leitlinien. Es können noch bis zum 15.3.2024 Kommentare zu den Leitlinien eingebracht werden.

 Die drei europäischen Aufsichtsbehörden EBA, EIOPA und ESMA haben gemeinsam ein interaktives Factsheet29 veröffentlicht, welches häufige Fragen der Verbraucher zum Thema „nachhaltige Finanzen“ beantworten soll. Das Informationsblatt soll Verbraucher beim Verständnis unterstützen, wie ihre finanziellen Entscheidungen zu einer nachhaltigen Zukunft beitragen können.

Das Informationsblatt enthält auch vier Tipps, die Verbraucher berücksichtigen sollen, bevor sie sich für Finanzprodukte mit Nachhaltigkeitsmerkmalen entscheiden: –die Bedeutung von Nachhaltigkeit eines Finanzprodukts für einen selbst und welche Ziele man erreichen will; –man soll auf die Bedingungen und die Nachhaltigkeitsmerkmale achten, um nicht einem Greenwashing zu unterliegen; –auch Finanzprodukte mit Nachhaltigkeitsmerkmalen sind nicht risikofrei;

28 ESMA32-992851010-1016, online abrufbar unter https://www.esma.europa.eu/sites/ default/files/2023-12/ESMA32-992851010-1016_Consultation_Paper_on_Guidelines_ on_Enforcement_of_Sustainability_Information.pdf

29 Online abrufbar unter https://www.fma.gv.at/was-sie-ueber-nachhaltige-finanz produkte-wissen-sollten-infoblatt

–bei Geldanlagen und Lebensversicherungen soll man sich Zeit nehmen, bevor man sich entscheidet, und gegebenenfalls weitere Informationen vom Unternehmen oder von der Person einholen, die über diese Produkte berät und diese verkauft.

 Die EBA hat am 29.1.2024 eine Umfrage gestartet, um von Kreditinstituten Informationen über ihre Methoden zur Klassifizierung der ESG-Risiken sowie über die Zugänglichkeit und Verfügbarkeit von ESG-Daten zu erhalten. Ziel der Umfrage sei es, qualitative Informationen über die aktuellen Praktiken der Kreditinstitute zu sammeln, um die Arbeit der EBA zur Machbarkeit einer standardisierten Methodik zur Identifizierung und Qualifizierung von ESG-Risiken zu unterstützen.30

Institutionen, die an der Umfrage teilnehmen möchten, sollen die EBA kontaktieren und ihr Interesse unter der E-Mail-Adresse eba-esg-risks-classification@eba.europa.eu bekunden. Diese Institutionen erhalten in weiterer Folge Zugang zur Umfrage. Details zur Umfrage und weitere Informationen finden sich online.31 Die Frist für die Beantwortung der Umfrage endet am 29.3.2024.

 Die EBA hat am 18.1.2024 eine Konsultation zu Leitlinien für das Management von ESG-Risiken gestartet. Die Leitlinien sollen Anforderungen an Institutionen festlegen, um ESG-Risiken zu identifizieren, zu messen, zu managen und zu überwachen, einschließlich von Plänen zur Bewältigung der Risiken, die sich aus dem Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft ergeben. Die Leitlinien wurden im Einklang mit der Roadmap der EBA für nachhaltige Finanzen32 entwickelt und als Teil der geplanten EBA-Maßnahmen gemäß ihrer Roadmap zur Umsetzung des EU-Bankpakets33 ausgearbeitet. Das Konsultationspapier34 ist online abrufbar. Kommentare zum können bis zum 18.4.2024 auf der Konsultationsseite der EBA eingebracht werden.

30 Siehe https://www.eba.europa.eu/publications-and-media/press-releases/eba-seeksinputs-credit-institutions-classification

31 Siehe https://www.eba.europa.eu/sites/default/files/2024-01/10a6010e-7d65-42efa459-d51c4941a767/EBA%20industry%20survey%20on%20the%20classification% 20of%20exposures%20to%20ESG%20risks.pdf

32 EBA/REP/2022/30, online abrufbar unter https://www.eba.europa.eu/sites/default/ files/document_library/Publications/Reports/2022/ESG%20roadmap/1045378/EBA %20Roadmap%20on%20Sustainable%20Finance.pdf

33 Online abrufbar unter https://www.eba.europa.eu/sites/default/files/2023-12/9dc534e88a3d-438f-88e3-bc86e623d99e/EBA%20Roadmap%20on%20strengthening%20the %20prudential%20framework_1.pdf

34 EBA/CP/2024/02, online abrufbar unter https://www.eba.europa.eu/sites/default/ files/2024-01/c94fd865-6990-4ba8-b74e-6d8ef73d8ea5/Consultation%20papaer% 20on%20draft%20Guidelines%20on%20ESG%20risks%20management.pdf

Der Einfluss von Nachhaltigkeitsaspekten auf die Willensbildung des Leitungsorgans einer AG

Nach einer kurzen Einführung in das Thema werden in dieser Abhandlung zunächst die normativen Vorgaben für die Leitung einer AG dargestellt, wobei gleichzeitig die damit einhergehenden Zielkonflikte hinsichtlich der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten herauszuarbeiten sind. Anschließend wird untersucht, ob eine privatautonome Verankerung zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten im Aktienrecht umsetzbar ist. Schließlich werden sodann indirekte Einflussfaktoren auf Entscheidungen des Vorstands untersucht, die sich insb über den Umweg von Vorstandsvergütungen, Berichtspflichten oder auch die öffentliche Meinung auf das Vorstandshandeln auswirken.

I.Einleitung

Im Jahr 2016 haben die Vereinten Nationen 17 sustainable development goals festgelegt.1 Hauptziel ist es, bis 2030 eine nachhaltige Entwicklung in sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Hinsicht zu fördern. Die sustainable development goals umfassen Bereiche wie Armutsbekämpfung, Geschlechtergleichstellung, sauberes Wasser, bezahlbare und nachhaltige Energie, gute Gesundheit und Maßnahmen zum Klimaschutz. In weiter Folge soll der Überbegriff „Nachhaltigkeitsaspekte“ verwendet werden. Fraglich ist, ob das österreichische Aktienrecht Regelungen zur Berücksichtigung solcher Nachhaltigkeitsaspekte durch den Vorstand bei seiner Entscheidungsfindung beinhaltet. Denkbar wäre etwa ein Zielkonflikt bei der Eröffnung eines neuen Produktionsstandortes. Entweder wird das neue Werk in Österreich errichtet und damit einhergehend das Risiko höherer Produktionskosten eingegangen, die durch höhere Umwelt- und Sozialstandards entstehen. Andererseits könnte das Werk in einem Land des globalen Südens eröffnet werden, weil dort geringere Umwelt- und Sozialstandards herrschen und so Kosten in erheblichem Ausmaß eingespart werden könnten. In dieser Abhandlung soll dem Spannungsfeld zwischen Nachhaltigkeit und Gewinnmaximierung nachgegangen werden.

II.Zielkonflikte bei Vorstandsentscheidungen

1.Ausgangslage

Die Grundsätze, Regeln und Verfahren, die den Rahmen für die Leitung und das Management eines Unternehmens bilden, werden gemeinhin unter dem Begriff „Corporate Governance“ diskutiert.2 IZm Corporate-Governance-Praktiken sind zahlreiche Rechtsquellen auf verschiedenen Ebenen zu berücksichtigen. Neben Gesetzen und sonstigen zwingenden Vor-

* Dr. Marco Lettenbichler, LL.M. ist Assistenzprofessor an der Professur für Gesellschafts-, Stiftungs- und Trustrecht der Liechtenstein Business Law School an der Universität Liechtenstein.

1 Vereinte Nationen, Ziele für nachhaltige Entwicklung. Bericht 2016 (2016), online abrufbar unterhttps://www.un.org/depts/german/millennium/SDG%20Bericht% 202016.pdf

2 Als „Corporate Governance“ wird der rechtliche und faktische Ordnungsrahmen für die Leitung und Überwachung eines Unternehmens bezeichnet.

schriften auf nationaler und supranationaler Ebene können Unternehmensverfassungen, spezielle Corporate-GovernanceKodizes, Börseregularien oder auch freiwillige Standards und Leitlinien von Interessenverbänden Vorgaben für die Corporate Governance eines Unternehmens enthalten.3

Ausgangspunkt für die Untersuchung bilden die gesetzlichen Corporate-Governance-Vorgaben. Nach Art70 Abs1 AktG4 bildet das Unternehmenswohl die oberste Richtschnur für das Handeln des Vorstands.5 Unter der Sicherstellung des Unternehmenswohls wird primär der dauerhafte Bestand des Unternehmens unter Erzielung einer bestmöglichen Rentabilität verstanden, wobei jedenfalls auch die langfristige Unternehmensentwicklung im Rahmen des satzungsmäßig festgelegten Unternehmensgegenstands miteinfließt.6 Anzumerken ist, dass die Rentabilität des Unternehmens ebenfalls über einen längerfristigen Zeitraum zu betrachten ist; eine kurzfristige Ausrichtung an möglicherweise weniger oder nicht rentablen Gesichtspunkten, die jedoch auf lange Sicht die Rentabilität des Unternehmens gewährleisten, schadet insofern nicht.7 Die anderen in §70 Abs1 AktG genannten Interessen (der Aktionäre, der Arbeitnehmer und das öffentliche Interesse) hat der Vorstand hingegen nur zu berücksichtigen.8 Die

3 Koch, AktG17 (2023) §76 Rz38.

4 Die Norm entstammt der Urfassung des deutschen AktG 1937 und war entsprechend der Entstehungsgeschichte des Aktienrechts in Österreich und Deutschland längere Zeit wortgleich. In der ursprünglichen Fassung wurden die zu berücksichtigenden Interessen noch mit „Wohl des Betriebs und seiner Gefolgschaft“ und dem „gemeinen Nutzen von Volk und Reich“ angegeben. Im Jahr 1965 wurde das deutsche AktG 1937 austrifiziert und auf die vorher beschriebenen – und bis heute unverändert geltenden – Zielgrößen angepasst. In der Rechtspraxis spielen die Zielgrößen, abgesehen vom Unternehmenswohl, allerdings nur eine äußerst untergeordnete Rolle; siehe Pkt II.3. In Deutschland erfolgte mit 1.1.1966 ebenfalls eine Überarbeitung ebenjener Bestimmung. Im Gegensatz zu Österreich wurde im neu nummerierten §76 dAktG jedoch generell auf die Nennung von Zielgrößen verzichtet, sodass seit 1966 kein Gleichklang der Rechtslagen mehr vorliegt.

5 Der Vorstand hat sich gem §70 Abs1 AktG am Unternehmenswohl zu orientieren; vgl Reich-Rohrwig in Artmann/Karollus, AktG6 (2019) §70 Rz91; Ch. Nowotny in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3 (2021) §70 Rz11; Eckert/Schopper in Eckert/Schopper, AktG-ON (2021) §70 Rz9; Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht2 (2017) Rz3/427; Doralt, Shareholder Value und Stakeholder Value, ÖBA 2000, 639 (640).

6 Eckert/Schopper in Eckert/Schopper, AktG-ON, §70 Rz9; Kalss in Kalss/Nowotny/ Schauer, Gesellschaftsrecht2, Rz3/430.

7 Reich-Rohrwig in Artmann/Karollus, AktG6, §70 Rz92; Ch. Nowotny in Doralt/Nowotny/ Kalss, AktG3, §70 Rz11; Eckert/Schopper in Eckert/Schopper, AktG-ON, §70 Rz9.

8 Kalss, Nachhaltigkeit: Die präziser werdenden Pflichten von Vorstand und Aufsichtsrat, GesRZ2022, 49 (49f).

gleichzeitige Nennung verschiedener Zielsetzungen in §70 Abs1 AktG, ohne aber eine explizite Rangfolge ihrer Berücksichtigungswürdigkeit festzulegen, zeigt bereits, dass zur Lösung von Zielkonflikten schon auf dieser Ebene eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit den Zielvorgaben notwendig ist.

Neben den primär zu berücksichtigenden Vorgaben des §70 AktG hat der Vorstand gem §84 Abs1 Satz 1 AktG bei der Leitung der Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Nach der Business Judgment Rule (§84 Abs1a AktG) handelt ein Vorstandsmitglied bei unternehmerischen Entscheidungen jedenfalls dann sorgfältig iSd §84 Abs1 AktG, wenn es sich bei einer unternehmerischen Entscheidung nicht von sachfremden Interessen leiten lässt und auf der Grundlage angemessener Information annehmen darf, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Die aus der Sorgfaltspflicht konkret resultierenden Verhaltenspflichten sind stets auf Grundlage einer Ex-anteBetrachtung zu ermitteln.9 Von Interesse sind ferner die aus der Sorgfaltspflicht des Geschäftsleiters resultierenden Pflichten hinsichtlich des Ablaufs der Entscheidungsfindung im Vorfeld von Geschäftsführungsmaßnahmen, die bei der Lösung von Zielkonflikten in einem engen Zusammenhang mit der für die Anwendbarkeit der Business Judgment Rule erforderlichen angemessenen Informationsbasis zu sehen sind. Aus der Zusammenschau dieser Bestimmungen ergibt sich, dass die Geschäftsleitung jedenfalls dann sorgfaltsgemäß handeln wird, wenn sie sich bei der Lösung von zueinander in Konflikt stehenden Interessen im Rahmen der Entscheidungsfindung auf anerkannte Methoden stützt. Zu betonen ist jedoch, dass auch idZ das Ausmaß der geschuldeten Bemühung der Geschäftsleitung im Einzelfall stets von der Art und von der Größe des Unternehmens und von der (relativen) Bedeutung der jeweiligen Maßnahme abhängt.10

Ausgehend von diesen Überlegungen werden nun in weiterer Folge verschiedene Fallgruppen dargestellt und es wird aufgezeigt, welche Möglichkeiten sorgfaltsgemäßen Handelns für die Geschäftsleitung in derartigen Situationen bestehen.

2.Entscheidung in Übereinstimmung sowohl mit dem Unternehmenswohl als auch mit Shareholder- und Stakeholder-Interessen

Unternehmerische Entscheidungen, die sowohl das Unternehmenswohl fördern, zugleich Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigen und zusätzlich im Interesse anderer Stakeholder (Aktionäre, Arbeitnehmer etc) liegen, sind grundsätzlich unproblematisch.11 Es liegt auf der Hand, dass Entscheidungen iS aller Interessengruppen zu keiner Beeinträchtigung der Interessen einer Partei führen und sohin Konfliktsituationen von vornherein in aller Regel ausgeschlossen sind.12 Die Entscheidung zur Umstellung der Fahrzeugflotte auf elektrisch betriebene Fahrzeuge, die aufgrund der niedrigeren Betriebs-

9 Für viele OGH 23.2.2016, 6 Ob 160/15w; Reich-Rohrwig/Cl. Grossmayer/K. Grossmayer/Zimmermann in Artmann/Karollus, AktG6, §84 Rz110; Ch. Nowotny in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3, §84 Rz4.

10 Reich-Rohrwig/Cl. Grossmayer/K. Grossmayer/Zimmermann in Artmann/Karollus, AktG6, §84 Rz113; Ch. Nowotny in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3, §84 Rz4.

11 Dörrwächter, Nachhaltigkeit und Gesellschaftsinteresse, NZG 2022, 1083 (1090).

12 Vgl etwa für die Schweiz Häusermann, Corporate Social Responsibility (CSR) und Aktienrecht: 7 Thesen, GesKR 2017, 495 (498).

kosten und hoher staatlicher Förderungen zu finanziellen Vorteilen für das Unternehmen führt, darüber hinaus keine Interessen von Aktionären oder Arbeitnehmern berührt und etwaige Nachhaltigkeitsziele fördert, erfordert insofern keine Anwendung von Methoden zur Lösung von Zielkonflikten.13

3.Entscheidung in Übereinstimmung mit dem Unternehmenswohl, jedoch im Konflikt mit (einzelnen) Stakeholder-Interessen

3.1.Vorbemerkung

Ungleich problematischer sind hingegen Entscheidungen, die zum Wohle des Unternehmens getroffen werden, also bspw zu einer höheren Dividende führen, aber zugleich Arbeitnehmerinteressen, öffentliche Interessen oder auch etwaige Nachhaltigkeitsziele konterkarieren.14 Für die daraus entstehenden Zielkonflikte wurden in der Corporate-GovernanceForschung verschiedene Lösungsansätze herausgearbeitet, die nun kurz vorgestellt werden.

3.2.Shareholder-Value-Ansatz

Zahlreiche Autoren haben sich bereits mit Problemen bei der Entscheidungsfindung in Bezug auf die Leitung eines Unternehmens beschäftigt. Eine der wirkmächtigsten Abhandlungen in der jüngeren Geschichte ist wohl jene von Alfred Rappaport, der im Jahr 1986 erstmalig den sog Shareholdervalue-Ansatz proklamierte. Demnach bildet die Maximierung des Marktwerts der AG die oberste Zielsetzung in der Unternehmensführung.15 Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman ging sogar noch ein Stück weiter, indem er sagte, dass es gar die soziale Verantwortung eines Unternehmens sei, die Gewinne zu steigern.16 Für Vertreter des Shareholder-valueAnsatzes gilt demnach bei auftretenden Zielkonflikten der unumstößliche Primat der Steigerung des Unternehmenswerts; dies stellt gleichzeitig das einzige Interesse der Aktionäre dar.17

3.3.Stakeholder-Value-Ansatz

Die Kritiker des Shareholder-value-Ansatzes entwickelten mit dem Stakeholder-value-Konzept ein Gegenmodell, das neben den Aktionärsinteressen auch die Interessen aller sonstigen relevanten Anspruchsgruppen (wie zB Arbeitnehmer, Kunden, Lieferanten und die Öffentlichkeit im Allgemeinen) als weitere Zielgrößen der Unternehmensführung heranzieht.18

13 Vgl etwa den neuen Elektrotruck von Tesla, der nach Herstellerangaben in Anschaffung plus Betrieb günstiger und nachhaltiger als ein herkömmlicher Diesel-LKW sei; siehe https://www.tesla.com/semi

14 Nicht unter diese Problematik fallen Entscheidungen mit Bezug zu StakeholderInteressen, wenn ein zwingendes Gesetz den Vorstand dazu verpflichtet. Das unternehmerische Handeln kann sich immer aufgrund der Legalitätspflicht des Vorstands nur im Rahmen der Gesetze abspielen und bildet insofern die Begrenzung der unternehmerischen Freiheit. Die CSR-Berichtspflicht oder verschiedene Arbeitnehmerschutzvorschriften können hier exemplarisch als Handlungspflicht bzw auch Einhaltungspflicht des Vorstands angeführt werden. Eine Haftung würde sich demnach vielmehr aus der Unterlassung der Handlung oder aus der Nichtbeachtung von Schutzvorschriften ergeben. Insofern können aus dem gesetzlichen Rahmen, der die unternehmerische Freiheit der Geschäftsleitung begrenzt, niemals Zielkonflikte erwachsen.

15 Rappaport, Creating Shareholder Value (1986).

16 Friedman, A Friedman Doctrine: The Social Responsibility of Business is to Increase Its Profits, The New York Times vom 13.9.1970, S17, online abrufbar unter https:// www.nytimes.com/1970/09/13/archives/a-friedman-doctrine-the-social-responsibilityof-business-is-to.html

17 Schilling, Shareholder Value und Aktiengesetz, BB 1997, 373 (378).

18 Hentze/Thies, Stakeholder-Management und Nachhaltigkeits-Reporting (2014) 11.

In diesem Konzept ist bspw auch eine angemessene Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten möglich.19

3.4.Stakeholder-Welfare-Ansatz als Mittelweg?

In jüngster Zeit kommen zahlreiche weitere Vorschläge auf, wie in der Managementpraxis mit Zielkonflikten umgegangen werden soll. In den USA erregte vor allem das Konzept der New Corporate Governance, ausgearbeitet von Oliver Hart und Luigi Zingales, größere Aufmerksamkeit. Der Clou dieses Konzepts besteht darin, dass zwar (weiterhin) von einer strikten Ausrichtung des Unternehmens am Aktionärsinteresse ausgegangen wird, jedoch genau diese Ausrichtung nach Meinung der Autoren auch eine angemessene Berücksichtigung von sozialen und ökologischen Auswirkungen erfordert.20

Im System der New Corporate Governance wird demnach das Aktionärsinteresse neu interpretiert. Der Aktionär von gestern habe ausschließlich ein Interesse an der Dividendenmaximierung, wie es die Vertreter des Shareholder-valueAnsatzes proklamieren. Der moderne Aktionär hingegen habe ein darüber hinausgehendes Interesse daran, dass bei der Unternehmensführung soziale und nachhaltige Entwicklungen ebenso angemessen berücksichtigt werden.21

Ein wachsendes Interesse von Aktionären bzw Investoren an Produkten, welche Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigen, ist in jüngerer Zeit nicht von der Hand zu weisen und kann anhand verschiedener Kennzahlen nachgewiesen werden. Laut einer Studie des Daten- und Beratungshauses Broadridge sind zwischen September 2020 und September 2021 insgesamt 30% der Neuzuflüsse bei verwalteten Vermögen in ESG-Fonds22 investiert worden.23 Eine groß angelegte Studie von PwC geht davon aus, dass in Europa im Jahr 2025 der Anteil an ESGFonds zwischen 41 und 57% liegen wird.24 Es scheint also, dass Anleger zunehmend auf eine möglicherweise höhere Rendite verzichten, um ESG-Zielsetzungen zu berücksichtigen.25

Die These der Anhänger der New-Corporate-GovernanceStrömung, dass Investoren bzw Aktionäre ihre Investmenttätigkeit nicht mehr ausschließlich an der Gewinnmaximierung ausrichten und folglich eine Neubewertung des Aktionärsinteresses geboten sei, ist demnach durchaus vertretbar.26

3.5.Schlussfolgerungen

Aus §70 AktG ist abzuleiten, dass das Unternehmenswohl die oberste Richtschnur bei der Leitung der AG darstellt.27 Die

19 Obgleich die Unterschiede kleiner als gedacht sind; vgl M. Renner, Menschenrechts- und umweltbezogene Unternehmensverantwortung zwischen Kapitalmarkt und Lieferkette, ZEuP 2022, 782 (786).

20 Hart/Zingales, The New Corporate Governance, The University of Chicago Business Law Review 2022, 195, online abrufbar unter https://chicagounbound.uchicago.edu/ cgi/viewcontent.cgi?article=1007&context=ucblr

21 Ch. Koch/Kneflowski, Umgang mit Zielkonflikten in der Praxis – „New Corporate Governance“ als Lösungsmöglichkeit? BB 2022, 1963 (1964).

22 Die Abkürzung „ESG“ steht für environment (Umwelt), social (Soziales) und governance (Unternehmensführung).

23 Siehe https://www.broadridge.com/press-release/2021/esg-investments-poised-toreach-30-trillion-dollar-by-2030

24 PwC, 2022: The growth opportunity of the century (2020) 12, online abrufbar unter https://www.pwc.lu/en/sustainable-finance/docs/pwc-esg-report-the-growth-oppor tunity-of-the-century.pdf

25 Wobei eine niedere Rendite von nachhaltigen Aktien empirisch nicht nachgewiesen werden kann; vgl Friede/Busch/Bassen, ESG and financial performance: aggregated evidence from more than 2000 empirical studies, Journal of Sustainable Finance & Investment 2015, 210.

26 Vgl etwa zum sustainable shareholder activism Jaspers, Sustainable Shareholder Activism, AG 2022, 145.

27 Kalss in Kalss/Frotz/Schörghofer, Handbuch für den Vorstand (2017) §12 Rz31.

Achtung der gesetzlichen und satzungsrechtlichen Vorgaben steht außer Streit.28 Die Einbeziehung von Aktionärs- und Arbeitnehmerinteressen sowie des öffentlichen Interesses ist grundsätzlich eine unternehmerische Entscheidung und unterliegt sohin dem Ermessen des Leitungsorgans.29 Die Auflösung des Zielkonflikts ergibt sich weder aus dem Gesetz, welches nur eine Berücksichtigung der weiteren Interessen der Aktionäre, der Arbeitnehmer und der Öffentlichkeit vorsieht, noch aus anderen Quellen. Der Shareholder- sowie der Stakeholder-Ansatz berücksichtigen die verschiedenen Interessengruppen unterschiedlich stark.30 Insb durch die New Corporate Governance und die damit einhergehende Neubewertung des Aktionärsinteresses scheinen sich beide Ansätze stärker anzunähern. Der Vorstand kann trotz alledem in seinem Ermessen darüber entscheiden, wie die verschiedenen Interessen austariert werden. Die oberste Richtschnur ist und bleibt jedenfalls das Unternehmenswohl.31

3.6.Künftige europäische Lösung für die Auflösung von Zielkonflikten?

Im Jahr 2022 legte die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) vor.32 Mittlerweile haben sich der Rat der Europäischen Union und das Europäische Parlament vorläufig auf einen Richtlinientext geeinigt.33 Die Veröffentlichung bleibt noch abzuwarten. Schon im bisherigen Entwurf waren keine Regelungen hinsichtlich der Entscheidungsfindung im Leitungsorgan enthalten. Nach Art25 Abs1 CSDDD müssen die Mitglieder der Unternehmensleitung bei der Ausübung ihrer Pflicht im besten Interesse des Unternehmens handeln sowie kurz-, mittel- und langfristige Folgen der getroffenen Entscheidung für Nachhaltigkeitsaspekte, Menschenrechte, Klimawandel und Umwelt berücksichtigen.34 Bemerkenswerterweise wurde in Erwägungsgrund 63 des Richtlinienentwurfs Folgendes festgehalten: Durch die Einführung der CSDDD soll die allgemeine Sorgfaltspflicht der Mitglieder der Unternehmensleitung, im besten Interesse der Gesellschaft zu handeln, in harmonisierter Weise klargestellt werden.35 Dies geschieht, indem festgelegt wird, dass die Mitglieder der Unternehmensleitung die in der Richtlinie 2013/34/EU36 genannten Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigen müssen, gegebenenfalls einschließlich der Menschenrechte, des Klimawandels und der Umweltauswirkungen, auch in kurz-, mittel- und langfristigen Zeithorizonten.37 Eine Änderung von nationalen

28 Spindler in MünchKomm AktG6, §76 Rz48.

29 Adensamer in Napokoj/H. Foglar-Deinhardstein/Pelinka, AktG (2020) §70 Rz12.

30 Dörrwächter, NZG 2022, 1084f.

31 Adensamer in Napokoj/H. Foglar-Deinhardstein/Pelinka, AktG, §70 Rz15.

32 KOM (2022) 71 endg, online abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/ EN/TXT/?uri=CELEX%3A52022PC0071

33 Th. Barth/B. Hirschler, Einigung von Rat der Europäischen Union und Europäischem Parlament zur CSDDD, GesRZ2023, 344.

34 Mittwoch/Friedmann, Nachhaltiges Geschäftsleiterhandeln nach der CSDDD – im Unternehmensinteresse, NZG 2023, 1439 (1445); Burchardi, Lieferkettensorgfaltspflichten: Risiken für die Unternehmensleitung, NZG 2022, 1467 (1472).

35 L. Hübner/Habrich/Weller, Corporate Sustainability Due Diligence, NZG 2022, 644 (650).

36 Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates, ABl L 182 vom 29.6.2013, S19.

37 Dohrmann, Der Richtlinienentwurf eines europäischen Lieferkettengesetzes, in Klever/Schiestl/Aigner/Ecker/Eder/Schickmair/Spendel/Weilguny/Wolkenstein/Ziegler, Nachhaltigkeit im Privatrecht (2023) 143 (164f).

Unternehmensstrukturen sei nicht notwendig. Insofern hätten sich die Auswirkungen auf mögliche Zielkonflikte in Grenzen gehalten, da die bestehende Rechtslage nicht angepasst hätte werden müssen.38 Im vorläufigen Richtlinientext des Rates der Europäischen Union und des Europäischen Parlaments, der noch nicht veröffentlicht wurde, wird wohl keine Verschärfung der bisherigen Regelungen des Entwurfs hinsichtlich der Entscheidungsfindung in der Unternehmensleitung stattfinden.39

4.Entscheidungen, die dem Unternehmenswohl schaden, jedoch Shareholder- und StakeholderInteressen fördern

Unternehmerische Entscheidungen des Vorstands, die dem Unternehmenswohl auf lange Sicht schaden, haben gem §70 Abs1 AktG jedenfalls zu unterbleiben. Auch wenn der Entscheidung altruistische Ziele (wie bspw die Förderung von Nachhaltigkeitszielen oder sonstigen Stakeholder-Interessen) zugrunde liegen, dürfen die langfristige Rentabilität und der dauerhafte Unternehmenserhalt nicht gefährdet werden. Entscheidungen, die langfristig dem Unternehmenswohl zuwiderlaufen, müssen insofern durch den Vorstand unterlassen werden.

5.Zwischenergebnis

Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, dass Entscheidungen, die dem Unternehmenswohl dienlich sind und zusätzlich keine Stakeholder- und Shareholder-Interessen beinträchtigen, unproblematisch sind. Entscheidungen, die das Unternehmenswohl fördern, jedoch Konflikte zwischen anderen Interessengruppen hervorrufen, müssen mittels Corporate-Governance-Modellen gelöst werden. Allgemein kann festgehalten werden, dass die Berücksichtigung der einzelnen Interessen eine Ermessensentscheidung des Vorstands ist und insofern in dessen Verantwortung liegt. Haftungsrechtliche Grenze bildet hier die Business Judgment Rule. Entscheidungen, die dem Unternehmenswohl schaden, haben jedenfalls zu unterbleiben.

III.Möglichkeiten und Schranken der privatautonomen Verankerung von Stakeholder-Interessen

1.Vorbemerkung

In einem nächsten Schritt wird untersucht, inwieweit es möglich ist, über die bereits diskutierten gesetzlichen Vorgaben hinaus weitere Zielvorgaben privatautonom festzulegen.

2.Einfache Satzungsbestimmung zur Bindung des Vorstands

Nach §70 Abs1 AktG hat der Vorstand die Gesellschaft im Rahmen des Unternehmensgegenstands und -zwecks weisungsfrei zu leiten.40 Die Weisungsfreiheit würde insofern in Kon-

38 C. König, Die geplante EU-Richtlinie über Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen, NZG 2022, 1186 (1191).

39 Die Pressemitteilung des Rats der Europäischen Union gibt keinerlei Hinweise dafür; siehe https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2023/12/14/corporatesustainability-due-diligence-council-and-parliament-strike-deal-to-protect-environ ment-and-human-rights

40 Adensamer in Napokoj/H. Foglar-Deinhardstein/Pelinka, AktG, §70 Rz12.

flikt mit einer Satzungsbestimmung oder einem Hauptversammlungsbeschluss kommen, die bzw der den Vorstand zur Achtung von Nachhaltigkeitsaspekten zwingt.41 Eine Bindung des Vorstands durch eine solche Bestimmung in der Satzung ist insofern nicht möglich.42 Eine solche Satzungsbestimmung zur Umgehung der Weisungsfreiheit des Vorstands wäre nach §199 Abs1 Z3 AktG aufgrund eines Verstoßes gegen die Kompetenzaufteilung nichtig.43

3.Unternehmensgegenstand

In weiterer Folge gilt es zu klären, ob Nachhaltigkeitsaspekte im Rahmen des Unternehmensgegenstands verankert werden könnten. Nach §17 Z2 AktG ist der Unternehmensgegenstand ein zwingender Bestandteil der Satzung.44 Beschrieben werden damit der Bereich und die Art der Betätigung des Unternehmens. Dieser ist nicht gleichzusetzen mit dem Unternehmenszweck, welcher die Zielrichtung des Unternehmens bestimmt. Vielmehr ist der Unternehmensgegenstand das Mittel zur Erreichung des Unternehmenszwecks.45 Das Handeln des Vorstands wird durch den Unternehmensgegenstand beschränkt, da das Unternehmen im Rahmen dessen geleitet werden muss.46 Im Außenverhältnis dient dieser hauptsächlich Informationszwecken von Dritten. Überschreitet der Vorstand den Unternehmensgegenstand, hat dies im Außenverhältnis keine Rechtsfolgen, sodass die getätigten Rechtsgeschäfte gültig sind.47 Konsequenzen ergeben sich rein aus dem Innenverhältnis, da der Vorstand der Gesellschaft für eine Verfehlung haftet.48 Insofern ist es von größter Bedeutung, dass der Unternehmensgegenstand möglichst präzise umschrieben wird. Dadurch kann die Beschränkung der Geschäftsführung möglichst genau umrissen werden.49 Bei Neugründung einer AG könnte also eine abstrakt formulierte Verfolgung von Nachhaltigkeitszielen im Rahmen des Unternehmensgegenstands erfolgen. Eine zu enge Fassung des Unternehmensgegenstands wäre jedoch unzulässig, da ansonsten eine zu große Beschränkung der eigenverantwortlichen Unternehmensleitung durch den Vorstand vorliegen würde.50

Für bereits bestehende AGs muss ein nachträglicher Weg zur Verankerung von Nachhaltigkeitsaspekten gefunden werden. Wie bereits ausgeführt, würde eine einfache Satzungsbestimmung den Vorstand unzulässigerweise in der Ausübung seiner weisungsfreien Tätigkeit beschränken.51 Als weitere Möglichkeit bietet sich allerdings die nachträgliche Aufnahme einer abstrakt formulierten Klausel zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitszielen in den Unternehmensgegenstand an. Demnach müsste mittels Hauptversammlungsbeschluss eine

41 Eckert/Schopper in Eckert/Schopper, AktG-ON, §199 Rz46.

42 Ablehnend auch gegenüber Konsultationsbeschlüssen Cahn, Die Leitung der Aktiengesellschaft durch den Vorstand, NZG 2023, 299.

43 Pelinka in Napokoj/H. Foglar-Deinhardstein/Pelinka, AktG, §199 Rz5; Eckert/ Schopper in Artmann/Karollus, AktG6, §199 Rz46.

44 Toms, Gründung der Aktiengesellschaft, in Gratzl/Hausmaninger/Justich, Handbuch zur Aktiengesellschaft II (2018) 1 (14).

45 Simonishvili in Napokoj/H. Foglar-Deinhardstein/Pelinka, AktG, §17 Rz4.

46 Vgl etwa für die Beschränkung durch den Unternehmensgegenstand bei Umsetzung von CSR-Maßnahmen Walden, Corporate Social Responsibility: Rechte, Pflichten und Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat, NZG 2020, 50 (55).

47 Ch. Nowotny in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3, §74 Rz4.

48 Fleischer in Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts (2006) §7 Rz12.

49 Fleischer in BeckOGK AktG, §82 Rz29.

50 Bachmann, Zielsetzung und Governance von Unternehmen im Lichte der Klimaverantwortung, ZHR 187 (2023), 166 (184); Habersack, Freiheit und Nachhaltigkeit –Zur Rolle der Aktiengesellschaft und ihrer Aktionäre, NZG 2023, 1103 (1105).

51 Siehe Pkt III.2.

Änderung herbeigeführt werden. Zu beachten ist, dass nach §146 Abs1 AktG ein Hauptversammlungsbeschluss über den Unternehmensgegenstand nur unter Zustimmung von mindestens drei Vierteln des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals erfolgen kann. Die Satzung darf ein höheres Quorum hinsichtlich der Kapitalmehrheit vorsehen.52 Insofern ist eine Neufassung des Unternehmensgegenstands in den meisten Fällen wohl nur schwierig umsetzbar.53

4.Zustimmungserfordernis des Aufsichtsrats

Die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten könnte auch mittels Verankerung eines Zustimmungserfordernis des Aufsichtsrats implementiert werden.54 Nach §95 Abs5 AktG kann grundsätzlich durch Satzungsbestimmung oder Aufsichtsratsbeschluss eine Anordnung getroffen werden, dass bestimmte Arten von Geschäften einer Zustimmungserfordernis des Aufsichtsrats unterliegen.55 Denkbar wäre etwa das Erfordernis einer Zustimmung bei allen Geschäften, die Nachhaltigkeitsaspekten zuwiderlaufen. Ob eine solche Klausel den Vorgaben des §95 Abs5 AktG standhält, ist jedoch zweifelhaft, da nur bestimmte Arten von Geschäften einem Genehmigungsvorbehalt unterliegen dürfen und eine möglichst konkrete Umschreibung vorgenommen werden muss.56 Zudem wird wohl fast jedes Geschäft des Vorstands Nachhaltigkeitsaspekte tangieren, sodass der Aufsichtsrat ein Genehmigungsorgan des Vorstands werden würde. Jedenfalls dürfte dadurch das Wesen der AG verletzt werden und eine solche Satzungsbestimmung nach §199 Abs1 Z3 AktG als nichtig gelten.57

5.Implementierung eines Say on Climate

Die in jüngerer Zeit verstärkt auftretende Initiative unter der Bezeichnung „say on climate“ ist an das bereits bestehende Prinzip „say on pay“ angelehnt, im Zuge dessen die Aktionäre auf der Hauptversammlung einer börsenotierten Gesellschaft alle vier Jahre – oder bei wesentlicher Änderung der Vergütungspolitik – einen Beschluss über die Vergütung des Vorstands treffen.58 Die Beschlüsse haben allerdings nur einen empfehlenden Charakter und sind daher nicht anfechtbar.59 Falls die Hauptversammlung die Vergütungspolitik ablehnt, muss in der darauffolgenden Sitzung ein überarbeiteter Vorschlag unterbreitet werden.60 Eine ähnliche Vorgehensweise wäre insofern auch für Nachhaltigkeitsaspekte oder sonstige Stakeholder-Interessen realisierbar. Denkbar wäre etwa, dass die AG selbst der Hauptversammlung einen Vorschlag betreffend eine entsprechende Nachhaltigkeitspolitik zur Genehmigung vorlegt oder Initiativen der Aktionäre ermöglicht werden.

52 Bertsch in Napokoj/H. Foglar-Deinhardstein/Pelinka, AktG, §146 Rz9.

53 Drinhausen, Weiterer Reformbedarf im Aktienrecht – Mehr Aktionärsdemokratie wagen, ZHR 186 (2022), 201 (206); Ott, Hauptversammlung for Future, NZG 2020, 99 (100).

54 Vgl zur allgemeinen Rolle des Aufsichtsrats hinsichtlich Nachhaltigkeitsaspekten Gabius, Das G in ESG: Herausforderungen durch die Nachhaltigkeitstransformation für den Aufsichtsrat, CCZ2023, 51.

55 Brogyányi/Rieder in Napokoj/H. Foglar-Deinhardstein/Pelinka, AktG, §95 Rz26.

56 Eckert/Schopper in Artmann/Karollus, AktG6, §95 Rz38.

57 Pelinka in Napokoj/H. Foglar-Deinhardstein/Pelinka, AktG, §199 Rz5; Eckert/Schopper in Artmann/Karollus, AktG6, §199 Rz43.

58 Habersack, NZG 2023, 1105.

59 Knotzer, Say on Pay – Vorstandsvergütung und Vergütungspolitik, Aufsichtsrat aktuell 2021, 12.

60 G. Schima, Say on Pay und Related Party Transactions, GesRZ2019, 110 (115).

De lege lata sind bei derartigen Vorhaben allerdings zahlreiche gesetzliche Einschränkungen zu beachten: Nach §103 Abs2 AktG kann der Vorstand der Hauptversammlung eine Frage hinsichtlich der Geschäftsführung vorlegen.61 Insofern wäre es möglich, dass der Vorstand die Nachhaltigkeitspolitik der Hauptversammlung auf freiwilliger Basis beschließen lässt; bei einer Ablehnung müsste die Handlung unterbleiben. Es ist jedoch nicht möglich, dass die Hauptversammlung die Vorlage durch den Vorstand mittels Beschlusses erzwingt. Eine entsprechende Satzungsbestimmung oder ein solcher Hauptversammlungsbeschluss würde eine Durchbrechung der Kompetenzverteilung des Aktienrechts bedeuten, da die Hauptversammlung Einfluss auf die Geschäftsführung nehmen könnte.62 Zum selben Ergebnis führt die Beantragung eines Tagesordnungspunktes durch Aktionäre, deren Anteile zusammen 5% des Grundkapitals erreichen. Diese könnten nach §109 Abs1 AktG schriftlich die Aufnahme eines Tagesordnungspunktes bei der Hauptversammlung über die Genehmigung der Nachhaltigkeitspolitik verlangen.63 Auch hier würde ein unzulässiger Eingriff in die Geschäftsführungskompetenz des Vorstands vorliegen und sohin eine Durchbrechung der Kompetenzordnung stattfinden.64 Eine analoge Anwendung des §78b AktG (say on pay) auf Nachhaltigkeitsaspekte (say on climate) ist zudem nicht möglich, da keine planwidrige Lücke besteht. Der historische Gesetzgeber wollte die Kompetenzen zwischen Vorstand und Hauptversammlung abschließend ordnen.65

Die Verankerung einer zwingenden Say-on-climate-Regelung ist insofern aufgrund einer klaren Kompetenzverteilung im Aktienrecht nicht möglich. Der Vorstand kann höchstens auf freiwilliger Basis Fragen der Einbeziehung von Nachhaltigkeitsaspekten in die Unternehmensleitung der Hauptversammlung zur Beschlussfassung vorlegen, wobei er in weiterer Folge an den Beschluss gebunden wäre.

6.Zwischenergebnis

Die Ausführungen haben gezeigt, dass sich die privatautonome Verankerung von Nachhaltigkeitsaspekten schwierig gestaltet. Weder say on climate noch Zustimmungsvorbehalte des Aufsichtsrats lassen sich gesetzlich sinnvoll umsetzen. Eine direkte Weisung durch Satzungsbestimmung an den Vorstand scheidet von vornherein aufgrund des gesetzlichen Verbots aus. Die einzige Möglichkeit besteht in einer Aufnahme von Nachhaltigkeitszielen in den Unternehmensgegenstand. Hier ist jedoch zu berücksichtigen, dass eine möglichst abstrakte Ausgestaltung erfolgt, da ansonsten eine ebenso unzulässige Einschränkung der Handlungsautonomie des Vorstands stattfinden würde.66

IV.Indirekter Einfluss von Nachhaltigkeitsaspekten auf die Entscheidungsfindung des Vorstands

1.Vorbemerkung

Neben der Verankerung normativer Vorgaben, die dem Vorstand direkt gewisse Zielvorgaben machen, bestehen auch

61 St. Arnold/Ettmayer in Napokoj/H. Foglar-Deinhardstein/Pelinka, AktG, §103 Rz2.

62 Vgl zur Situation im deutschen Aktienrecht Harnos/Holle, Say on Climate, AG 2021, 853 (864).

63 St. Arnold/Ettmayer in Napokoj/H. Foglar-Deinhardstein/Pelinka, AktG, §109 Rz1.

64 Vgl zu bloßen Konsultationsbeschlüssen Drinhausen, ZHR 186 (2022), 204ff.

65 Harnos/Holle, AG 2021, 856.

66 Vgl hierzu in Deutschland Bachmann, ZHR 187 (2023), 184.

Möglichkeiten, indirekt Einfluss auf das Vorstandshandeln zu nehmen. Eine mögliche Auswahl insb in Bezug auf Nachhaltigkeitsaspekte wird nun hier dargestellt.

2.Entscheidungsanreize zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten durch die Vergütungspolitik

In weiterer Folge ist zu untersuchen, ob aufgrund der weitgehend privatautonom gestaltbaren Vergütungspolitik einer AG67 Anreize für den Vorstand geschaffen werden können, um Nachhaltigkeitsaspekte stärker zu berücksichtigen. Aufgrund der 2. Aktionärsrechte-Richtlinie68 müssen börsenotierte AGs eine Vergütungspolitik für die Vorstandsmitglieder verabschieden.69 Zuständiges Organ ist nach §78a AktG hierfür der Aufsichtsrat, wobei die Aufstellung der Grundsätze einer Vergütungspolitik der Hauptversammlung zur Abstimmung vorgelegt werden muss.70 Nach §78a Abs2 AktG hat die Vergütungspolitik zu gewährleisten, dass die langfristige Entwicklung der Gesellschaft gefördert wird, wobei die Art und Weise der Förderung in den Grundsätzen erläutert werden muss.71 Die Gesamtvergütung des Vorstands muss aufgeschlüsselt nach festen und variablen Anteilen beschrieben werden.72 Zwar sind variable Vergütungsbestandteile nicht zwingend vorgesehen; falls solche jedoch Einzug halten, dann sind die maßgeblichen Kriterien zur Erreichung der Ziele, um die variablen Vergütungen zu bekommen, klar und umfassend zu umschreiben.73 Zusätzlich gibt es die Möglichkeit mittels Claw-back- bzw Hold-back-Klauseln variable Vergütungskomponenten nachträglich zurückzufordern, falls sich zu einem späteren Zeitpunkt herausstellt, dass die Auszahlung auf Grundlage falscher Daten ausbezahlt wurde.74 In §78a Abs4 AktG wird explizit festgehalten, dass die finanziellen und nicht finanziellen Leistungskriterien anzugeben sind, und das Gesetz nennt in weiterer Folge Kriterien iZm der sozialen Verantwortung der Gesellschaft als davon miteingeschlossen.75

Insofern könnten variable Vergütungsbestandteile so ausgestaltet werden, dass bei Erreichung bestimmter Nachhaltigkeitsaspekte die Vergütung gewährt wird.76 Die Kriterien zur Erreichung sind klar und verständlich festzuhalten. Insb bei Umweltzielen kann dies auf Grundlage unterschiedlicher Parameter gemessen werden. Es wäre es denkbar, dass die Reduktion des CO2-Ausstoßes Beurteilungskriterium ist, dass also bei der Erreichung einer bestimmten Zielgröße (etwa –10% CO2-Ausstoß) die Bedingung eintritt.77 In einer Unter-

67 Vgl zur Say-on-pay-Regelung im österreichischen Aktienrecht Stritzke, Mehr Mitsprache bei der Vergütung von Vorstandsmitgliedern oder bloß mehr Verwaltungsaufwand? NZ2020, 401.

68 Richtlinie (EU) 2017/828 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.5.2017 zur Änderung der Richtlinie 2007/36/EG im Hinblick auf die Förderung der langfristigen Mitwirkung der Aktionäre, ABl L 132 vom 20.5.2017, S1.

69 Ch. Arnold/Herzberg/Zeh, AG 2021, 141.

70 Knotzer, Aufsichtsrat aktuell 2021, 12.

71 Gregory/Deutsch, Praktische Überlegungen zur Erstellung der Vergütungspolitik für den Vorstand und für den Aufsichtsrat, GesRZ2020, 26 (29).

72 Kalss, Aktiengesetznovelle 2019 – Vergütungspolitik und Vergütungsbericht, in Kalss/Oppitz/Schörghofer, Vorstand und Aufsichtsrat (2020) 9 (13).

73 Eckert/Schopper/Stritzke in Eckert/Schopper, AktG-ON, §78a Rz11.

74 Vgl dazu ausführlich Aichberger-Beig, Rückforderungsklauseln für bereits ausgezahlte variable Vergütungen (Claw-back-Klauseln), ZAS2019, 264.

75 Eckert/Schopper/Stritzke in Eckert/Schopper, AktG-ON, §78a Rz11.

76 Vgl für Deutschland Ch. Arnold/Herzberg/Zeh, Vorstandsvergütung und Nachhaltigkeit, AG 2021, 141.

77 Vgl zu nicht finanziellen Leistungskriterien im Vergütungssystem Häller/Hoegen, Aktuelle Herausforderungen bei der Gestaltung der Vorstandsvergütung, ZVglRWiss 2021, 209 (216).

suchung der Arbeiterkammer Wien aus dem Jahr 2021 wurde festgestellt, dass 60% der ATX Prime-Unternehmen ESGKennzahlen in der Vergütungspolitik verankert haben. Hauptsächlich werden solche Ziele im kurzfristigen Bereich (shortterm incentives) verankert; bloß 14% der Unternehmen mit ESG-Kennzahlen in der Vergütungspolitik fixieren diese in der langfristigen Vergütung mittels long-term incentives 78 Es zeigt sich also, dass im Bereich der Vergütungspolitik Nachhaltigkeitsaspekte mittlerweile stark verankert sind79 und so der Vorstand indirekt zur Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten positiv animiert wird.80

3.Faktischer Einfluss der ESG-Berichtspflichten auf die Entscheidungsfindung des Vorstands

Auf europäischer Ebene liegen bereits mehrere Rechtsakte vor, die bestimmte Pflichten der Geschäftsleitung normieren, jedoch statuieren diese bisher hauptsächlich gewisse ReportingPflichten, wie etwa die jüngst am 14.12.2022 im EU-Amtsblatt veröffentlichte Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD).81 Die CSRD findet Anwendung auf alle großen nicht kapitalmarktorientierten Unternehmen.82 Zudem sind alle kapitalmarktorientierten Unternehmen ebenfalls von der CSRD erfasst, wobei Kleinstunternehmen ausgenommen sind.83 Konkrete Zielvorgaben für die Geschäftsleitung sehen die bisherigen Rechtsakte jedoch allesamt nicht vor. Denkbar wäre jedoch ein indirekter Einfluss durch die ESG-Berichtspflichten84 auf das Handeln des Vorstands, der an dieser Stelle untersucht werden soll.85

Grundgedanke der Berichtspflicht ist die Selbstinformation der Unternehmensleitung.86 Nur wer umfassend informiert ist, kann Entscheidungen sachgerecht treffen. Ein Blick in die Materialien zeigt, dass der Europäischen Kommission hinsichtlich der CSRD dies ebenso vorschwebte. Demnach könne die Nachhaltigkeitsberichterstattung dazu beitragen,

78 Haager/Ch. Wieser, Vorstandsvergütung in den ATX Unternehmen 2020 (2021), online abrufbar unter https://www.arbeiterkammer.at/interessenvertretung/wirtschaft/ betriebswirtschaft/Managergagen_2021.pdf. Die Zahlen decken sich auch mit den Ausführungen von A. Hofer/C. Klein/Aschauer, Implementierung von Nachhaltigkeitsaspekten in der Vorstandsvergütungspolitik in Österreich und Deutschland, Aufsichtsrat aktuell 2021, 137 (139); Haager/Ch. Wieser, Nachhaltige Wende in der Vorstandsvergütung, Aufsichtsrat aktuell 2021, 141.

79 Eine Einflussnahme des Aufsichtsrats auf die Entscheidungen des Vorstands durch die Vergütungspolitik ist jedenfalls unzulässig; vgl Schäfer, Variable Vorstandsvergütung als unzulässiges Mittel der Einflussnahme des Aufsichtsrats auf die Unternehmensleitung? in GedS Winter (2011) 557.

80 Vgl zum Einfluss der Vergütung auf das Entscheidungsgremium Edmans/Gabaix/ Jenter, Executive Compensation: A Survey of Theory and Evidence (2017) 83, online abrufbar unter https://www.nber.org/papers/w23596

81 Richtlinie (EU) 2022/2464 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.12.2022 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr537/2014 und der Richtlinien 2004/109/EG, 2006/43/EG und 2013/34/EU hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen, ABl L 322 vom 16.12.2022, S15.

82 Als großes Unternehmen gilt idZ ein Unternehmen, das mindestens zwei der folgenden Kriterien erfüllt: Es beschäftigt mehr als 250 Mitarbeiter, erzielt einen Nettoumsatzerlös von über 40Mio€ und weist eine Bilanzsumme von mehr als 20Mio€ auf.

83 Kleinstunternehmen werden als solche definiert, wenn sie am Bilanzstichtag mindestens zwei der folgenden drei Merkmale erfüllen: Die Bilanzsumme beträgt höchstens 350.000€, die Nettoumsatzerlöse liegen bei maximal 700.000€ und die durchschnittliche Zahl der Beschäftigten während des Geschäftsjahres beträgt höchstens 10.

84 Vgl zum Einfluss auf die Unternehmensorganisation Hommelhoff/Allgeier/Jelonek, Ausstrahlung der CSRD-Berichtsvorgaben auf die Unternehmensorganisation, NZG 2023, 911.

85 Vgl zum Argument der fehlenden empirischen Grundlage von Auswirkungen der Verankerung von Nachhaltigkeitsaspekten in der Rechtsordnung Ekkenga/Schirrmacher/B. Schneider, Offene Fragen zur rechtlichen Steuerung nachhaltigen Unternehmertums, NJW 2021, 1509.

86 Schön, „Nachhaltigkeit“ in der Unternehmensberichterstattung, ZfPW 2022, 207 (231f).

dass die Risiken und Chancen von Nachhaltigkeitsaspekten besser ermittelt werden können und dadurch eine Steuerung dieser durch den Vorstand ermöglicht wird.87 Zudem könne die Berichterstattung genutzt werden, um den Dialog zwischen den Interessengruppen zu verbessern und das Ansehen des Unternehmens in der Öffentlichkeit88 zu erhöhen.89 Der Grundgedanke, dass sich durch verpflichtende Informationsgenerierung ein Einfluss auf Entscheidungen der Unternehmensleitung ergeben soll, ist ebenso verschiedenen Rechnungslegungspflichten, insb dem internen Rechnungswesen, immanent.90 Zudem wäre es denkbar, dass die Unternehmensleitung zu Entscheidungen motiviert wird, die soziale und ökologische Aspekte berücksichtigen, um positive Leistungskennzahlen in den CSR-Berichten zu erzielen.91 Die Berichtspflicht dürfte also durchaus indirekt Auswirkungen auf die Entscheidungsfindung im Vorstand hinsichtlich der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten haben, obgleich keine zwingenden Vorgaben ableitbar sind.

4.Kundeninteresse als Einflussfaktor der Unternehmensleitung

Bei Nichtberücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten könnte ein Unternehmen Kunden verlieren.92 Ein Großteil der Verbraucher berücksichtigt bei der Kaufentscheidung Nachhaltigkeitsaspekte. Die Kaufentscheidung wird immer öfter an den Folgen für Umwelt und Gesellschaft gemessen.93 Zwar wird das Interesse der Kunden schon durch den StakeholderAnsatz berücksichtigt, doch ist an dieser Stelle stärker auf die gesellschaftspolitischen Erwartungen an Unternehmen von Kunden einzugehen. Die klassische Wirtschaftswissenschaft geht davon aus, dass der Konsument seine Entscheidung anhand der Eigenschaften eines Produkts trifft; doch werden immer mehr ethische Kriterien miteinbezogen. Zudem ist eine Zunahme von gesellschaftspolitisch motivierten Ein-

87 Vgl zum deutschen LkSG Stöbener de Mora/P. Noll, Grenzenlose Sorgfalt? – Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, NZG 2021, 1237 (1241).

88 Vgl etwa zum gegenteiligen Effekt der Vortäuschung von ESG-Performance Ahrens/ Redwitz, Aufklärung von Betrugsfällen im Zusammenhang mit Greenwashing –Wissenswertes und Untersuchungsschwerpunkte im ESG-Umfeld, CCZ2023, 6.

89 Erwägungsgrund 12 der CSRD.

90 Schön, ZfPW 2022, 231.

91 Wobei der Einfluss von ESG-Kennziffern nicht überschätzt werden darf, in Zukunft jedoch steigen wird; vgl I. Grabner/Marini/A. Posch, Die Rolle der Finanzfunktion in der Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie, CFO aktuell 2022, 147 (149).

92 Vgl zur Berücksichtigung von Kundeninteressen in der Corporate Governance Bachmann, ZHR 187 (2023), 192.

93 Vgl hierzu ausführlich Schleer, Corporate Social Responsibility und die Kaufentscheidung der Konsumenten (2014) 42.

flussnahmen auf Unternehmen mittels Konsumentenboykotten zu erkennen.94 Exemplarisch kann hier die Förderplattform Brent Spar des Öl-Giganten Shell genannt werden. Im Jahr 1995 wollte Shell die Plattform im Meer versenken. Aufgrund der öffentlichen Berichterstattung und des damit einhergehenden Konsumentenboykotts, der zu erheblichen Umsatzeinbußen führte, entschloss sich Shell, die Ölplattform an Land zu entsorgen.95 Konsumentenboykotte und damit einhergehende Umsatzeinbußen können durch die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten von vornherein vermieden werden. Eine implizite Einflussnahme der Kundeninteressen auf die Berücksichtigung der Nachhaltigkeit kann daher bejaht werden, insb vor dem Hintergrund der steigenden Relevanz von Nachhaltigkeitsaspekten in der Gesellschaft.96

V.Fazit

Die Ausführungen haben gezeigt, dass die Frage der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten durch den Vorstand eine komplexe Antwort erfordert. Bei möglichen Zielkonflikten zwischen dem Unternehmenswohl und anderen Interessen (Arbeitnehmer-, Aktionärs- und öffentliche Interessen) ist Ersterem der Vorzug zu geben. Die Gewichtung der anderen Interessen liegt im Ermessen des Vorstands.97 Eine privatautonome Lösung zur Fixierung der Nachhaltigkeitsförderung durch den Vorstand ist ebenfalls nur begrenzt realisierbar. Eine Möglichkeit besteht in der Verankerung im Unternehmensgegenstand, wobei eine nicht zu einschränkende Ausgestaltung sichergestellt werden muss; andernfalls würde eine Beschränkung der Handlungsautonomie des Vorstands erfolgen.98 Von erheblicher Relevanz sind die indirekten Einflüsse auf das Leitungsorgan der AG im Hinblick auf die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten. Insb eine moderne Vergütungspolitik, ESG-Berichtspflichten sowie das Kundeninteresse an einer besseren Welt werden künftig die größten Treiber bei der Entscheidung zu mehr Nachhaltigkeit im Aktienrecht sein.99

94 St. Hoffmann, Boykottpartizipation (2008) 1.

95 Vgl ausführlich zum Brent Spar-Fall R. Bergmann/Bungert, Strategische Unternehmensführung3 (2022) 37.

96 Vgl hierzu Lindenmeier/Tscheulin, Konsumentenboykott: State-of-the-Art und Forschungsdirektiven, ZfB 2008, 553 (574).

97 Siehe Pkt II.

98 Siehe Pkt III.

99 Siehe Pkt IV.

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Gesellschafts- und strafrechtliche Aspekte der Disqualifikation von Geschäftsführungsorganen

Mit dem GesDigG 20231 wurden das GmbHG, das AktG, das GenG, das SEG, das SCEG und das FBG in Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/11512 geändert. Die wesentlichste Neuerung betrifft die Disqualifikation von Geschäftsführern bzw Vorstandsmitgliedern. Es folgt ein Überblick aus straf- und gesellschaftsrechtlicher Perspektive.

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I.Zum Begriff der Disqualifikation

Die Änderungen des GmbHG, des AktG, des GenG, des SEG und des SCEG beschränken sich allesamt auf die Einführung einer Disqualifikation eines Geschäftsführers bzw Vorstandsmitglieds. Konkret definiert sich die Disqualifikation (Formulierung anhand der Regelung im GmbHG) nunmehr wie folgt:

In §15 GmbHG, der die Bestellung von Geschäftsführern regelt, wurden nach Abs1 folgende Abs1a und 1b eingefügt:

„(1a) Geschäftsführer darf nicht sein, wer von einem inländischen Gericht rechtskräftig zu einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, sofern die Verurteilung ausschließlich oder auch wegen zumindest einer der folgenden strafbaren Handlungen erfolgt ist (Disqualifikation): Betrug (§146 StGB), Untreue (§153 StGB), Geschenkannahme durch Machthaber (§153a StGB), Förderungsmissbrauch (§153b StGB), Vorenthalten von Dienstnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung (§153c StGB), Betrügerisches Anmelden zur Sozialversicherung oder Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse (§153d StGB), Organisierte Schwarzarbeit (§153e StGB), Betrügerische Krida (§156 StGB), Schädigung fremder Gläubiger (§157 StGB), Begünstigung eines Gläubigers (§158 StGB), Grob fahrlässige Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen (§159 StGB), Unvertretbare Darstellung wesentlicher Informationen über bestimmte Verbände (§163a StGB), Geldwäscherei (§165 StGB), Wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Vergabeverfahren (§168b StGB), Ausgabenseitiger Betrug zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Union (§168f StGB), Missbräuchliche Verwendung von Mitteln und Vermögenswerten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Union (§168g StGB), Abgabenbetrug (§39 FinStrG) oder Grenzüberschreitender Umsatzsteuerbetrug (§40 FinStrG). Die Rechtsfolge der Disqualifikation endet drei Jahre nach Rechtskraft der Verurteilung. (1b) Abs.1a gilt auch für eine derartige Verurteilung wegen einer vergleichbaren strafbaren Handlung durch ein ausländisches Gericht.“

* Dr. Sebastian Aschl, LL.M. (WU) ist Rechtsanwaltsanwärter in Wien. Daniel GilhoferLenglinger, LL.M. (WU), MSc. (WU) ist Universitätsassistent (prae doc) am Institut für Österreichisches und Europäisches Wirtschaftsstrafrecht der Wirtschaftsuniversität Wien.

1 Gesellschaftsrechtliches Digitalisierungsgesetz 2023, BGBl I 2023/178.

2 Richtlinie (EU) 2019/1151 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2019 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 im Hinblick auf den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht, ABl L 186 vom 11.7.2019, S80.

§16a GmbHG wurde außerdem folgender Abs3 angefügt:

„(3) Ist oder wird ein Geschäftsführer nach §15 Abs.1a oder 1b disqualifiziert, so hat er unverzüglich seinen Rücktritt zu erklären; dieser wird nach Ablauf von 14 Tagen wirksam.“

II.Voraussetzungen für eine Disqualifikation

Mit der Disqualifikation soll der Schutz des Geschäftsverkehrs ausgebaut werden, indem betrügerischen und anderen missbräuchlichen Verhaltensweisen der Anreiz genommen wird. Jede Person, die mit einer Gesellschaft in Interaktion tritt, soll darauf vertrauen können, dass sie von einem verlässlichen Geschäftsführer bzw Vorstandsmitglied geführt wird.3 Diese Zielrichtung ist anhand der vom österreichischen Gesetzgeber ausgewählten Delikte4 angezeigt, zumal diese einen starken Wirtschaftsbezug aufweisen. Die Streubreite der Norm scheint angesichts deren telos dennoch sehr breit zu sein. Denn einerseits hat Disqualifikation auch einzutreten, wenn der Täter wegen eines Delikts verurteilt wird, welches er außerhalb seiner beruflichen Stellung begangen hat. Andererseits ist der Deliktskatalog sehr breit gefächert und erfasst auch Straftaten, die nicht notwendigerweise mit einer wirtschaftlichen Tätigkeit zusammenhängen. So ist etwa für den in der Bestimmung normierten Betrug vorgesehen, dass dieser nicht nur in der Grundvariante, sondern auch in all seinen Qualifikationen erfasst wird, weil die Verurteilung wegen einer Qualifikation stets die Begehung des Grunddelikts voraussetzt.5 Damit können auch schwere Betrügereien wie der Amtsbetrug (§147 Abs1 Z3 StGB) und der Dopingbetrug (§147 Abs1a StGB) eine Disqualifikation auslösen. Dementsprechend hätte uE eine Aufnahme anderer Delikte wie des betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauchs (§148a StGB) erwogen werden können, dem bei fortschreitender Digitalisierung des Wirtschaftslebens wohl zukünftig verstärkt Bedeutung zukommen wird.

Neben der Begehung einschlägiger Delikte muss für den Eintritt einer Disqualifikation der Täter rechtskräftig zu einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt worden sein. Ob er hierbei unmittelbarer Täter war, zur Begehung der

3 ErlRV 2228 BlgNR 27. GP, 1f.

4 Die Mitgliedstaaten waren bei der Festlegung, welche Tatbestände eine Disqualifikation auslösen, grundsätzlich frei; vgl AB 2341 BlgNR 27. GP, 1.

5 ErlRV 2228 BlgNR 27. GP, 2.

strafbaren Handlung bestimmte oder sonst dazu beitrug, ist für das Eintreten der Disqualifikation genauso ohne Belang wie eine bedingte Nachsicht der Freiheitsstrafe.6 Die Strafhöhe muss dem Gesetzeswortlaut folgend nicht durch die ausschließliche Verurteilung wegen eines der aufgezählten Delikte erreicht werden, was in Anbetracht der Vielzahl an Delikten, die in der Grundvariante keinen sechs Monate übersteigenden Strafrahmen aufweisen, sinnvoll erscheint.7 Bei gemeinsamer Verurteilung wegen mehrerer strafbarer Handlungen hat es nicht darauf anzukommen, dass die zur Disqualifikation führende Straftrat strafsatzbestimmend war. Dies ist damit zu begründen, dass einerseits bei Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen eine einheitliche Strafe zu verhängen ist und andererseits Straftäter dadurch bevorteilt wären, wenn bei mehreren begangenen Straftaten genau jenes Delikt die Obergrenze des Strafrahmens bildet, welches nicht im Deliktskatalog der Disqualifikation aufgezählt ist.8 Konkurrieren mehrere Delikte demgegenüber nur scheinbar miteinander und wird nur das zur Disqualifikation führende Delikt verdrängt, wird die Rechtsfolge nicht ausgelöst. Denn nur das verdrängende Delikt ist in den Urteilsspruch aufzunehmen und somit wird der Täter nur wegen dieses Delikts verurteilt.9 Aus diesem Grund tritt Disqualifikation etwa nicht ein, wenn der Täter eine Abgabenhinterziehung (§33 FinStrG) auf betrügerische Art und Weise begeht, weil der ebenso verwirklichte Betrug kraft ausdrücklicher Subsidiarität dahinter zurücktritt (§22 Abs2 FinStrG). Des Weiteren hat die verhängte Freiheitsstrafe auf eine einzige Verurteilung zurückzugehen. Die Zusammenrechnung mehrerer Freiheitsstrafen, die in unterschiedlichen Urteilen ergangen sind, führt damit genauso wenig zur Disqualifikation wie der Umstand, dass die Strafhöhe durch die Verhängung einer Zusatzstrafe erreicht wird.10

Damit es zur Disqualifikation kommt, hat entweder ein österreichisches Gericht den Täter zu verurteilen oder eine derartige Verurteilung wegen einer vergleichbaren strafbaren Handlung durch ein ausländisches Gericht erfolgt zu sein. Eine ausländische Verurteilung ist mit einer inländischen grundsätzlich vergleichbar, wenn sie den Rechtsbrecher wegen einer Tat schuldig spricht, die auch nach österreichischem Recht gerichtlich strafbar ist, und in einem den Grundsätzen des Art6 EMRK entsprechenden Verfahren ergangen ist (§73 StGB). Dass die Normen im In- und Ausland deckungsgleich sind, ist nicht gefordert. Die Vergleichbarkeit stellt damit nur darauf ab, ob der im Ausland zur Anklage gebrachte Sachverhalt zu einer Verurteilung im Inland geführt hätte und nicht aufgrund welcher Delikte diese erfolgen würde.11 Solange die Verurteilung im Ausland die für eine Disqualifikation geforderte Strafhöhe erreicht und sich der Sachverhalt nach öster-

6 ErlRV 2228 BlgNR 27. GP, 2.

7 Dies betrifft den Betrug (§146 StGB), die Untreue (§153 StGB), den Förderungsmissbrauch (§153b StGB), den ausgabenseitigen Betrug zum Nachteil der finanziellen Interessen der EU (§168f StGB) und die missbräuchliche Verwendung von Mitteln und Vermögenswerten zum Nachteil der finanziellen Interessen der EU (§168g StGB).

8 ErlRV 2228 BlgNR 27. GP, 2.

9 Lendl in Fuchs/Ratz, StPO, §290 Rz29; Ratz in Höpfel/Ratz, StGB2, Vor §§28 – 31 Rz79.

10 ErlRV 2228 BlgNR 27. GP, 2; Seiler in Birklbauer/Hilf/Konopatsch/Messner/Schwaighofer/Seiler/Tipold, StGB (2018) §27 Rz5.

11 D. Korn in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, StGB, §73 Rz8; vgl auch VwGH 23.5.2007, 2005/04/0196 ua (zum Gewerbeausschluss nach §13 GewO 1994).

reichischem Verständnis unter ein die Disqualifikation auslösendes Delikt subsumieren lässt, wird wohl von vergleichbaren Straftatbeständen auszugehen sein.

Als letzte Voraussetzung einer Disqualifikation muss der Täter rechtskräftig verurteilt worden sein. Eine Anfechtung des Urteils durch ordentliche Rechtsmittel darf nicht mehr möglich sein.12 Hat der Angeklagte gegen den Strafausspruch ein Rechtsmittel eingelegt und erwächst deshalb nur der Schuldspruch in Rechtskraft, wird Disqualifikation regelmäßig erst bei (negativer) Entscheidung des Rechtsmittelgerichts eintreten. Selbiges gilt, wenn der Angeklagte den Schuldspruch bezüglich aller Taten bekämpft, weil dessen Aufhebung auch den Entfall der Strafe bedingen würde.13 Aber auch die nur auf einzelne Taten beschränkte Anfechtung des Schuldspruchs verhindert, dass die Strafe rechtskräftig werden kann, zumal sich aufgrund der gemeinsamen Strafrahmenbildung nicht herausfiltern lässt, wie hoch die Strafe für die bereits rechtskräftig gewordenen Taten ausgefallen wäre.14 Wird die rechtskräftige Verurteilung nachträglich beseitigt (etwa durch Wiederaufnahme des Verfahrens) oder die rechtskräftige Strafe nachträglich unter die für eine Disqualifikation notwendige Erheblichkeitsschwelle gemildert (zB bei Schadensgutmachung des Täters),15 ist die verurteilte Person aufgrund der inzwischen verstrichenen Zeit wohl oftmals nicht mehr als Geschäftsführer oder Vorstandsmitglied im Firmenbuch eingetragen. Der nachträgliche Wegfall der Voraussetzungen der Disqualifikation ermöglicht sodann eine neuerliche Antragstellung auf Eintragung.16

III.Praktische Aspekte der Disqualifikation

Die Disqualifikation stellt nach dem Gesetzeswortlaut eine Rechtsfolge der Verurteilung dar. Rechtsfolgen unterscheiden sich in ihrer Natur von Strafen iSd StGB und vorbeugenden Maßnahmen dahin gehend, dass sie ipso iure eintreten. Es braucht damit keinen Ausspruch des Gerichts über die Disqualifikation, damit diese wirkt.17 Vielmehr ist dem Gericht die Entscheidung über den Eintritt einer Disqualifikation entzogen.18 Einzubeziehen ist die Disqualifikation vom Gericht allerdings im Wege der Strafbemessung, zumal spezialpräventive Aspekte (wie der Verlust des Arbeitsplatzes) hier eine Rolle spielen können.19 Eine Milderung der Strafe kommt hierbei jedoch nur so weit in Betracht, als die Voraussetzungen der Disqualifikation bestehen bleiben. Andernfalls käme es zu einer unsachgemäßen doppelten Privilegierung des Täters, weil zum einen die Rechtsfolge für die niedrigere Strafe ausschlaggebend wäre, zum anderen die Disqualifikation jedoch durch das Unterschreiten der notwendigen Strafhöhe gar nicht mehr zur Anwendung käme.20

Als Rechtsfolge kann die Disqualifikation unabhängig von der Hauptstrafe bedingt nachgesehen werden (§44 Abs2 StGB). Das Gericht muss hierzu die bedingte Nachsicht im

12 Zur Abgrenzung von formeller und materieller Rechtskraft Hinterhofer/Oshidari, System des österreichischen Strafverfahrens (2017) Rz9.4ff.

13 Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren, Rz9.272.

14 Seiler, Strafprozessrecht19 (2022) 261.

15 Ratz in Höpfel/Ratz, StGB2, §31a Rz6.

16 ErlRV 2228 BlgNR 27. GP, 3.

17 Medigovic/Reindl-Krauskopf/Luef-Kölbl, Strafrecht Allgemeiner Teil II3 (2023) 183.

18 Ratz in Höpfel/Ratz, StGB2, §27 Rz4.

19 Riffel in Höpfel/Ratz, StGB2, §32 Rz34.

20 Schmoller, JBl 1996, 736 (739).

Urteil erklären. Eine nach eingetretener Rechtskraft beschlussmäßig erfolgte bedingte Nachsicht wäre wirkungslos.21 Bedingt nachgesehen werden können nur im StGB normierte Delikte.22 Der Gesetzeswortlaut scheint idZ allerdings unglücklich gewählt: Da eine Rechtsfolge nicht mit einer Strafe gleichzusetzen ist und Erstere nicht in §53 StGB explizit genannt wird, scheidet ein Widerruf der Rechtsfolge kategorisch aus, womit deren Nachsicht unter keiner Bedingung steht.23 Auch eine analoge Anwendung der Widerrufsmöglichkeiten kommt nicht in Betracht, weil diese zulasten des Täters gehen würde und sohin mit §1 StGB in Widerspruch stünde.24

Die Bestimmungen zur Disqualifikation sind mit 1.1.2024 in Kraft getreten, womit diese bereits bei einschlägigen Verurteilungen ausgelöst werden könnte. Mit einem signifikanten zahlenmäßigen Anstieg von Disqualifikationen ist allerdings vorerst nicht zu rechnen: Einerseits sind vor Einführung der Disqualifikation begangene Straftaten, die nun zur Verurteilung gelangen, nicht von deren Wirkungsbereich umfasst. Rechtsfolgen unterliegen genauso wie Strafen und vorbeugende Maßnahmen dem Rückwirkungsverbot.25 Es würde eine unzulässige rückwirkende Anwendung strengerer Strafgesetze bedeuten, wenn die Disqualifikation bei Taten ausgelöst werden würde, die zu einer Zeit begangen worden sind, in der diese Rechtsfolge noch nicht Teil des Rechtsbestands war. Daran vermag auch nicht zu ändern, dass Disqualifikation nicht im StGB normiert ist, weil der Verweis in §27 Abs2 StGB auch Rechtsfolgen in anderen Bundesgesetzen einbezieht.26 Andererseits sind die meisten zu einer Disqualifikation führenden Delikte mit zeitintensiver Ermittlungsarbeit verbunden, was eine rechtskräftige Verurteilung von heuer begangenen Taten in naher Zukunft nicht erwarten lässt.

IV.Gesellschaftsrechtliche Auswirkungen einer Disqualifikation

Wird ein Geschäftsführer bzw Vorstandsmitglied zu einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe aufgrund einer in den vorherigen Punkten konkretisierten Straftat rechtskräftig verurteilt, tritt also Disqualifikation ein, wird der Geschäftsführer bzw das Vorstandsmitglied verpflichtet, unverzüglich seinen Rücktritt, der nach Ablauf von 14 Tagen wirksam wird, zu erklären. Soll ein disqualifizierter Geschäftsführer erst im Firmenbuch eingetragen werden, ist die Disqualifikation vom Firmenbuchgericht amtswegig zu beachten und stellt ein Eintragungshindernis dar; der Antrag auf Eintragung wäre daher abzuweisen. Kommt es allerdings dennoch zu einer solchen (deklarativen)27 Eintragung oder wird sie nicht behoben, muss die Gesellschaft die an sich unrichtige bzw unrichtig gewordene Eintragung im Geschäftsverkehr mit Dritten gegen sich gelten lassen (§15 Abs3 UGB).28 Die Rechtsfolge der

21 Fabrizy/Michel-Kwapinski/Oshidari, StGB14 (2022) §27 Rz5.

22 Für Finanzvergehen kann die Disqualifikation nicht nachgesehen werden, weil §26 Abs1 FinStrG nur die sinngemäße Anwendung von §44 Abs1 StGB zulässt.

23 D. Korn in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, StGB, §73 Rz42.

24 Ratz in Höpfel/Ratz, StGB2, §27 Rz4.

25 Höpfel in Höpfel/Ratz, StGB2, §1 Rz5.

26 Schwaighofer, Der neue Amtsverlust – Verhältnismäßigkeit und Rückwirkungsverbot, ÖJZ2013, 544 (546f).

27 Die Bestellung ist ungeachtet der Eintragung wirksam; vgl OGH 18.9.2003, 8 Ob 84/03s; Verweijen in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §17 Rz2.

28 ErlRV 2228 BlgNR 27. GP, 3.

Disqualifikation endet drei Jahre nach Rechtskraft der Verurteilung, was eine Abweichung der für sonstige Rechtsfolgen normierten Dauer darstellt (§27 Abs2 StGB).

Die Bestimmung fügt sich mit der 14-tägigen Rücktrittsfrist nahtlos in das bestehende System des §16a GmbHG ein, wonach ein Rücktritt grundsätzlich erst mit Ablauf von 14 Tagen wirksam wird, sofern kein wichtiger Grund für den Rücktritt vorliegt. Rechtspolitisch hätte man freilich darüber diskutieren können, ob die rechtskräftige Verurteilung nicht eher dem Konzept des wichtigen Grundes entspricht, der einen Rücktritt mit sofortiger Wirkung rechtfertigen würde. Systematisch ist der vom Gesetzgeber gewählte Weg aber überzeugender, weil der wichtige Grund iSd §16a GmbHG als Recht des Geschäftsführers – analog den wichtigen Gründen des §26 AngG, die zum vorzeitigen Austritt berechtigen –zu betrachten ist.29 Der nunmehrige §16a Abs3 GmbHG formuliert aber im Gegensatz dazu eine Rücktrittspflicht des Geschäftsführers und soll der Gesellschaft eine Reaktionsmöglichkeit einräumen.

Anders als das GmbHG kennt das AktG keine ausdrückliche Regelung über den Rücktritt von Vorstandsmitgliedern, wobei auch bei der AG die Möglichkeit eines Rücktritts anerkannt ist.30 Mangels gesetzlicher Regelung normiert das AktG auch keine 14-tägige Rücktrittsfrist ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes; das Vorstandsmitglied hat bei Rücktritt dennoch eine angemessene Frist einzuhalten. Reich-Rohrwig/ Szilagyi sprechen sich – aufgrund des im Vergleich zur GmbH aufwendigeren Bestellungsprozesses eines neuen Vorstandsmitglieds – bei der Beurteilung der Angemessenheit für eine einmonatige Frist aus.31 Der Gesetzgeber hat sich aber nunmehr auch im Aktienrecht – zumindest im Falle der Disqualifikation – durch die sinngemäße Anwendbarkeit des neuen §16a Abs3 GmbHG für eine 14-tägige Frist entschieden. Ob sich aus dieser einzelfallbezogenen Entscheidung des Gesetzgebers die analoge Anwendung der 14-tägigen Rücktrittsfrist aus dem GmbHG ableiten lässt, ist zumindest fraglich. Naheliegender und methodisch wohl richtiger ist es, den neuen §75 Abs2c AktG, der die sinngemäße Anwendung des §16a Abs3 GmbHG für die Disqualifikation eines Vorstandsmitglieds erklärt, auch auf andere Rücktrittsfälle eines Vorstandsmitglieds im Wege der Analogie zu erstrecken, sodass die angemessene Rücktrittsfrist eines Vorstandsmitglieds auch im Aktienrecht mit 14 Tagen zu bemessen sein wird. Es ist nicht erkennbar, inwiefern die AG bei einem anderen – nicht auf Disqualifikation beruhenden – Rücktritt eines Vorstandsmitglieds eine längere Reaktionsmöglichkeit benötigen würde. Dagegen ließe sich bloß einwenden, dass sich die AG während des laufenden Strafverfahrens oder nach erstinstanzlicher Verurteilung des Vorstandsmitglieds bereits auf den drohenden Rücktritt vorbereiten müsste, sodass die 14-tägige Frist im speziellen Fall der Disqualifikation kürzer zu bemessen sei. Dem Gesetzgeber eine derartige Überlegung zu unterstellen, würde aber voraussetzen, dass er von einer Kenntnis der AG vom laufenden Strafverfahren ausgegangen wäre; davon ist letztlich aber nicht mit Gewissheit auszugehen, weil ein Vorstandsmitglied wohl nicht in jedem Fall einer aus der

29 Ratka in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §16a Rz12.

30 Reich-Rohrwig/Szilagyi in Artmann/Karollus, AktG6 (2019) 75 Rz254f.

31 Reich-Rohrwig/Szilagyi in Artmann/Karollus, AktG6, 75 Rz255.

Treuepflicht resultierenden Meldeverpflichtung unterliegt und strafprozessual dem Verband bei Opferstellung (§68 StPO) oder begründeten rechtlichen Interessen (§77 StPO) nur ein Akteneinsichtsrecht zukommt und außerdem jene Delikte, die zur Disqualifikation führen, überhaupt keine Schädigung der AG voraussetzen. Selbst wenn man von einer derartigen Meldeverpflichtung des Vorstandsmitglieds ausgehen würde, spricht der Umstand, dass die angemessene Frist der AG eine Reaktionsmöglichkeit einräumen soll und diese bei Missachtung der Meldung durch das Vorstandsmitglied Nachteilsträger wäre, gegen eine antizipierende Berücksichtigung bei der Bemessung der 14-tägigen Frist. Die besseren Gründe sprechen daher dafür, dass der Gesetzgeber die 14-tägige Rücktrittsfrist ganz grundsätzlich auch beim Vorstandsmitglied als angemessen erachtet.

Die 14-tägige Frist räumt der Gesellschaft die Möglichkeit ein, rechtzeitig Ersatz für das ausfallende Organmitglied zu beschaffen. Faktisch stellt sich die Frage, welche Rechtsfolgen sich an eine Verweigerung des Rücktritts knüpfen. Zunächst wird man dem Geschäftsführer bzw Vorstandsmitglied, der bzw das zum Rücktritt verpflichtet wäre, aber einen solchen nicht erklärt, eine Pflichtverletzung anlasten müssen, weil er bzw es gegen eine zwingende Bestimmung des GmbHG bzw des AktG verstößt.32 Praktisch wird der Schaden aufgrund der verzögerten Abberufung gering sein. Umgekehrt ist es denkbar, dass der Geschäftsführer bzw das Vorstandsmitglied nach Disqualifikation ex ante erkennt, dass die Suche nach einem neuen Organ – etwa aufgrund besonderer Spezialisierung der Kapitalgesellschaft – länger als 14 Tage dauern wird. Selbst in diesem Fall ist der Geschäftsführer bzw das Vorstandsmitglied nicht berechtigt, seinen Rücktritt bis zur amtswegigen Abberufung durch das Firmenbuchgericht33 zu verzögern, um etwaigen Schaden von der Gesellschaft fernzuhalten; nützliche Gesetzesverletzungen sind nach hA unzulässig.34 Gesellschafterweisungen, die den Geschäftsführer dazu animieren würden, trotz Disqualifikation nicht zurückzutreten, sind wohl nichtig.35 Das dem englischen Recht entstammende Konzept der directors’ disqualification soll den einfachen Zugang zu einer Rechtsform mit Haftungsbeschränkung und die notwendige Bekämpfung von Missbräuchen zu einem Ausgleich bringen. Die Disqualifikation kann einen Anreiz dafür bieten, dass ein Geschäftsführer bzw Vorstandsmitglied Gläubigerinteressen nicht allzu sehr mit Füßen tritt.36 So stehen auch in Österreich ua gläubigerschädigende Delikte im Vordergrund, die nunmehr eine Disqualifikation begründen können, und es ist erklärtes Ziel der Disqualifikation, den Geschäftsverkehr mit der Gesellschaft dergestalt zu schützen, dass einschlägig vorbestrafte Personen nicht zum Geschäftsführer einer GmbH oder zum Vorstandsmitglied einer AG bestellt werden können.37 Folglich ist das öffentliche Interesse an einer Disqualifikation derart präsent, dass eine dagegen verstoßende Gesellschafterweisung nichtig wäre, vom Ge-

32 Reich-Rohrwig in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §25 Rz91.

33 Siehe Pkt V.

34 OGH 23.2.2016, 6 Ob 160/15w; Leupold/Ramharter, Nützliche Gesetzesverletzungen –Innenhaftung der Geschäftsleiter wegen Verletzung der Legalitätspflicht? GesRZ2009, 253 (258f); Ch. Nowotny in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3 (2021) §84 Rz10.

35 Zur Nichtigkeit von Gesellschafterweisungen Reich-Rohrwig in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §25 Rz95.

36 Reich-Rohrwig, Startschuss zur GmbH-Reform, ecolex 2008, 138 (139).

37 ErlRV 2228 BlgNR 27. GP, 1.

schäftsführer nicht befolgt werden dürfte und die Schadenersatzpflicht auch im Innenverhältnis nicht beseitigen würde.38 Der unterlassene Rücktritt nach Disqualifikation begründet jedenfalls einen wichtigen Grund gem §75 Abs4 AktG: Aufgrund der nunmehr erfolgten gesetzlichen Kodifizierung der Straftaten, die eine Disqualifikation begründen, ist davon auszugehen, dass diese Delikte generell auf die Unzuverlässigkeit des Vorstandsmitglieds schließen lassen bzw Imageschäden für die AG begründen könnten, sodass eine Abberufung aus wichtigem Grund möglich ist.39 Auch der neue §19a Abs5 FBG spricht dafür, dass eine Abberufung aus wichtigem Grund möglich ist, weil das Firmenbuchgericht die Gesellschaft zur Abberufung der disqualifizierten Person auffordern muss. Der Widerspruch zur Behauptung, dass der Gesetzgeber eine 14-tägige Rücktrittsfrist eingeräumt hat, weil kein wichtiger Grund iSd §16a GmbHG vorliegt, ist ein bloß scheinbarer: Der wichtige Grund iSd §75 Abs4 AktG soll die AG schützen und berechtigt diese zur Abberufung eines Vorstandsmitglieds, während §16a GmbHG dem Geschäftsführer eine Rücktrittsmöglichkeit einräumt. Es ist also nur richtig, den Geschäftsführer bei Disqualifikation nicht besserzustellen sowie umgekehrt die AG bei Disqualifikation ihres Vorstandsmitglieds nicht schlechterzustellen als nach bisheriger Rechtslage.

V.Änderung des FBG

Die materiell-rechtlichen Änderungen des GmbHG, des AktG, des GenG, des SCEG und des SEG regeln die korporative Wirksamkeit der Beendigung der Organfunktion des Geschäftsführungsmitglieds bzw des Vorstandsmitglieds und weisen – abgesehen von etwaigen Haftungsfolgen bei nicht erklärtem Rücktritt bzw Fragen nach einer Abberufungsklage –keine Besonderheiten auf. Dagegen beinhaltet die flankierend eingeführte Regelung des §19a FBG durchaus gesellschaftsrechtliche Spezifika:

Das Firmenbuchgericht ermittelt durch automationsunterstützte Abfrage aus dem Strafregister sowie erforderlichenfalls durch Einholung einer Strafregisterauskunft von Amts wegen, ob eine Disqualifikation vorliegt (§19a Abs1 FBG), wobei das Firmenbuchgericht über das System der Registervernetzung auch Informationen aus anderen EU-Mitgliedstaaten oder Vertragsstaaten des EWR-Abkommens40 einholen kann (§19a Abs2 FBG).

§19a Abs3 FBG sieht vor, dass das Organmitglied eine bedingte Nachsicht (§44 Abs2 StGB) einer Straftat (Disqualifikation) bei der Firmenbuchanmeldung nachweisen muss. §19a Abs4 FBG normiert, dass das verurteilende Gericht das Firmenbuch zu verständigen hat.

Das Firmenbuchgericht hat die Gesellschaft im Falle einer Disqualifikation aufzufordern, das betroffene Organmitglied unverzüglich abzuberufen und erforderlichenfalls für einen anderen gesetzlichen Vertreter zu sorgen. Kommt die Gesellschaft dieser Aufforderung nicht binnen einer Frist von zwei

38 Außer (in diesen Fällen wohl praktisch vernachlässigbar) der Geschäftsführer konnte die Nichtigkeit trotz Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht erkennen; vgl OGH 22.10.2003, 3 Ob 287/02f.

39 ErlRV 2228 BlgNR 27. GP, 3; vgl auch Reich-Rohrwig/Szilagyi in Artmann/Karollus, AktG6, §75 Rz216.

40 Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) samt Beilagen, BGBl 1993/909 idF BGBl III 2012/46.

Monaten nach, ist die disqualifizierte Person von Amts wegen zu löschen. Nach Rechtskraft des Löschungsbeschlusses und Ablauf einer 15-tägigen Frist nach Eintragung der Löschung gilt die Person als abberufen (§19a Abs5 FBG).

Damit greift der Gesetzgeber weitgehend in die gesellschaftsrechtliche Autonomie ein, weil er den korporativen Akt der Abberufung bzw des Rücktritts gerichtlich ersetzt. Anders als bei der Abberufungsklage nach §16 GmbHG erfordert die amtswegige Abberufung im gegenständlichen Fall kein Tätigwerden eines Gesellschafters. Bei mehreren vertretungsbefugten Geschäftsführern bzw Vorstandsmitgliedern ist das unproblematisch, solange die Gesellschaft über die gesetzlich vorgesehene Mindestanzahl an Organmitgliedern verfügt. Soll aber der einzige Geschäftsführer bzw das einzige Vorstandsmitglied gelöscht werden und kommt die Gesellschaft ihrer Aufforderung zur Ersatzbeschaffung nicht nach, muss das Gericht gemeinsam mit der Löschung einen Notgeschäftsführer gem §15a GmbHG (bzw einen Notvorstand gem §76 AktG) bestellen.

VI.Conclusio

Mit der Einführung der Disqualifikation kommen für Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder einschneidende Veränderungen: Werden die Voraussetzungen der Disqualifikation erfüllt, sind sie verpflichtet, unverzüglich ihren Rücktritt zu erklären, und können drei Jahre lang nicht mehr als Geschäftsführer bzw Vorstandsmitglieder bestellt werden. Die Disqualifikation wirkt als Rechtsfolge automatisch, bedarf also keines gerichtlichen Ausspruchs. Zwar kann das Gericht

Rezension

Die Haftung beim Unternehmenskauf

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Unternehmens- oder Beteiligungserwerbe kommen in der unternehmerischen Praxis nicht bei jedem Unternehmen, aber bei sehr vielen vor. Für die begleitende Beratung aus rechtlicher und wirtschaftlicher Sicht spielen sie eine große Rolle. Dabei sind viele Einzelaspekte von der Suche, Vorbereitung, Konzeption und Strukturierung bis zur Nachbereitung und der Post-Akquisationsintegration zu beachten. Der Umstand und die Gestaltung der Haftung sowohl auf Verkäufer- als auch auf Käuferseite spielen eine herausragende Rolle. Genau darauf konzentrieren sich Peter Oberlechner und Sarah Wared in ihrer Monografie. Sie betrachten die gesamte Unternehmenstransaktion unter dem Gesichtspunkt des Einstehen-Müssens iZm der Transaktion. Dabei wird der Begriff „Haftung“ offen verwendet und nimmt die Haftung iSd Schuldbeitritts ebenso wie die gewährleistungsrechtliche Preisminderung und vertragliche Sonderhaftungen in die Darstellung auf. Klar und prägnant wird die Position des Verkäufers entlang des chronologischen Ablaufs der Transaktion besprochen und zwischen asset deal und share deal unter-

auf den Eintritt der Disqualifikation nicht einwirken, diese aber bedingt nachsehen. Eine Widerrufsmöglichkeit einer solchen Nachsicht besteht nicht. Wie oft von einer bedingten Nachsicht bei Disqualifikation Gebrauch gemacht werden wird, bleibt abzuwarten. Ein gehäufter Eintritt von Disqualifikationen ist im Hinblick auf das Rückwirkungsverbot jedenfalls vorerst nicht zu erwarten.

Bei Neueintragungen ermittelt das Firmenbuchgericht von Amts wegen, ob eine Disqualifikation vorliegt (§19a FBG). Kommt es zu einer (deklarativen) Eintragung eines disqualifizierten Geschäftsführers oder wird sie nicht behoben, muss die Gesellschaft die an sich unrichtige bzw unrichtig gewordene Eintragung im Geschäftsverkehr mit Dritten gegen sich gelten lassen (§15 Abs3 UGB). Bei bereits aufrechter Organstellung muss ein Rücktritt erfolgen, der nach 14 Tagen wirksam wird. Ob sich diese neue 14-tägige aktienrechtliche Frist analog auf sämtliche Rücktritte von Vorstandsmitgliedern erstreckt, bleibt abzuwarten; die besseren Gründe sprechen uE dafür. Kommt der Geschäftsführer oder das Vorstandsmitglied der Rücktrittspflicht nicht nach, folgt eine Rücktrittsaufforderung vom Firmenbuchgericht an die Gesellschaft sowie die Möglichkeit zur amtswegigen Löschung (§19a Abs5 FBG). Tritt der GmbH-Geschäftsführer oder das Vorstandsmitglied trotz Disqualifikation nicht zurück, begeht er bzw es eine Pflichtverletzung, wobei entgegenstehende Gesellschafterweisungen (in der GmbH) wohl nichtig sind. Das disqualifizierte Vorstandsmitglied kann dann aus wichtigem Grund gem §75 Abs4 AktG abberufen werden, wobei Entsprechendes auch für Geschäftsführer, deren Abberufung auf wichtige Gründe beschränkt ist, gilt.

schieden. Die vorvertragliche Haftung im Rahmen der einzelnen Schritte der Vorbereitung (Punktation, letter of intent, memorandum of understanding, termsheet, culpa in contrahendo) wird ebenso dargelegt wie die gesetzliche Haftung und weitere vertragliche Zusagen. Nach Darstellung der Haftungssituation für den Käufer aus Zusagen und den gesetzlichen Bestimmungen gem §1409 ABGB und §38 UGB und den bekannten Sonderregelungen von §67 ASVG und §14 BAO sowie des AVRAG gehen der Autor und die Autorin auf die Haftung dritter Parteien im Rahmen von M&A-Transaktionen ein. Kurz werden die Organträger angesprochen, vor allem aber Sachverständige, die die M&A-Maßnahmen begleiten (wie Anwälte oder Wirtschaftstreuhänder im Rahmen ihrer vertraglich übernommenen Aufgaben). Das Buch zeichnet sich durch eine knappe und präzise Darstellung der unterschiedlichen Aufgabengestaltungen und damit verbundenen Risken und Gestaltungsmöglichkeiten aus. Mit dem Werk geben die beiden Autoren ihre Erfahrung in diesem Bereich wieder. Es dient daher als wichtige Anleitung für den Umgang mit wirtschaftlichen Risken an, vor und bei den Kipppunkten einer Transaktion.

Plädoyer für die Möglichkeit zur Umwandlung einer Bareinlagenverpflichtung in eine

Sacheinlagenverpflichtung bei der GmbH

STEPHAN VERWEIJEN *

Ist die Umwandlung einer ursprünglichen Bareinlagenverpflichtung in eine Sacheinlagenverpflichtung möglich? Nach hier vertretener Ansicht: Ja.

* I.Problemstellung

Die Regierungsvorlage zum GesRÄG 20231 sieht leider keine Änderung der Bestimmungen über die verdeckte Einlagenrückgewähr2 und damit verbunden auch keine Änderung der Bestimmungen über die verdeckte Sacheinlage vor. Dabei wäre dies in der Praxis von eminenter Bedeutung: Oft werden GmbHs als sog Bargründungen vorgenommen, dh, die Gesellschafter verpflichten sich im Gesellschaftsvertrag zur Aufbringung der gesamten Stammeinlagen in bar, wobei in der Praxis gem §9a Abs2 bzw §10 Abs1 GmbHG zunächst oftmals nur die Hälfte der Stammeinlage bar eingezahlt wird. In weiterer Folge sollen dann jedoch doch bereits bestehende (Teil-)Betriebe oder andere Vermögensgegenstände seitens eines oder mehrerer Gesellschafter in die GmbH eingebracht werden und es erhebt sich die Frage, ob diese Sacheinlagen nicht trotz der ursprünglich beschlossenen Bargründung auf die offene Verpflichtung zur Bareinzahlung der restlichen Stammeinlage verwendet werden können3 oder ob eine Kapitalerhöhung mit Sacheinlage unter den Auspizien des §6 Abs4 GmbHG vorzunehmen ist.4

Auch die gänzliche Umwandlung einer Bareinlageverpflichtung in eine Sacheinlage kann gewünscht sein. Hat ein Gesellschafter bspw eine Forderung gegen die GmbH, gegen die er seine Schuld aus der Kapitalerhöhung aufrechnen möchte, so erscheint dies nach dem Wortlaut des §63 Abs3 GmbHG unzulässig. Allerdings muss §63 Abs3 iVm Abs5 und §6a Abs4 GmbHG gelesen werden, wonach eine Sacheinlage in Form der Aufrechnung mit einer Gegenforderung gegen die GmbH dann zulässig erscheint, wenn die Forderung des Gesellschafters gegen die GmbH vollwertig, unbestritten und fällig ist.5 Bei anderen Sacheinlagen sind die Vorschriften über die Sachgründung einzuhalten.6

* Dr. Stephan Verweijen ist öffentlicher Notar in Wien und Vorsitzender des Fachausschusses für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht der Österreichischen Notariatskammer.

1 RV 2320 BlgNR 27. GP. Nach Fertigstellung des Manuskripts wurde das GesRÄG 2023 vom Parlament beschlossen und in BGBl I 2023/179 kundgemacht.

2 Siehe dazu ausführlich Schopper, Heilung von Verstößen gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr, ecolex 2019, 736.

3 Bei gründungsprivilegierten GmbHs ist gem §10b Abs3 GmbHG eine Sacheinlage ausgeschlossen.

4 Natürlich kann eine Sache auch ohne Kapitalerhöhung als Einlage in die GmbH eingelegt werden, sofern sie einen positiven Verkehrswert hat, mit ihr also keine den Wert der Sache übersteigenden Verbindlichkeiten verbunden sind. Ohne Kapitalerhöhung wird diese Sache zwar auch zum Eigenkapital iwS gehörend in eine Rücklage gebucht, nicht aber als Stammkapital ieS und mindert auch nicht die offene Bareinzahlungsverpflichtung des Gesellschafters hinsichtlich seiner Stammeinlage.

5 Schopper in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §63 Rz115.

6 Zur genaueren Differenzierung, wann eine Sacheinlagenprüfung erforderlich ist, siehe J. Baier in Gruber/Harrer, GmbHG2 (2018) §63 Rz77ff.

Offene Sacheinlagen sind in der Praxis aus mehreren Gründen unbeliebt: Einerseits müssen sich die Gesellschafter, wenn mehr als die Hälfte des Kapitals als Sacheinlage aufgebracht werden soll, gem §6a Abs4 GmbHG eine objektive, von Außenstehenden vorgenommene Bewertung gefallen lassen.7 Andererseits sind damit höherer Zeitaufwand und höhere Kosten verbunden.8

Im Hinblick auf die angekündigte Herabsetzung des Mindeststammkapitals bei der GmbH auf 10.000 €9 und einem damit voraussichtlich einhergehenden Entfall des Verbots der Sachgründung, wie es derzeit bei gründungsprivilegierten GmbHs besteht,10 dürfte das Thema in der Praxis an weiterer Bedeutung gewinnen.

Auch für involvierte Geschäftsführer ist es von eminenter Bedeutung. Denn die Geschäftsführer der Gesellschaft werden dieser gegenüber gem §25 Abs3 Z1 GmbHG schadenersatzpflichtig, wenn entgegen den Vorschriften des GmbHG oder des Gesellschaftsvertrages Gesellschaftsvermögen verteilt wird, namentlich dann, wenn Stammeinlagen an Gesellschafter gänzlich oder teilweise zurückgegeben werden. Gerade dies ist der Fall, wenn der zunächst bar eingezahlte Betrag im Zuge eines zwischen der Gesellschaft und den einbringenden Gesellschaftern im zeitlichen Zusammenhang mit der Kapitalerhöhung zustande gekommenen (inäquivalenten) Veräußerungsgeschäfts wieder an die Gesellschafter ausbezahlt wird. Dies führt faktisch dazu, dass das Geld wieder an die Gesellschafter zurückfließt und die Gegenstände – unter Umgehung der Sachgründungsvorschriften – in die GmbH eingebracht wurden.11

II.Verdeckte Sacheinlagen

Diese verdeckten Sacheinlagen, also Bareinlagen, die mit einem Rechtsgeschäft zwischen der Kapitalgesellschaft und dem einlegenden Gesellschafter in zeitlicher und sachlicher Hinsicht derart gekoppelt sind, dass – unter Umgehung der

7 §6 Abs4a GmbHG verweist auf die aktienrechtlichen Vorschriften bei Sachgründungen.

8 Michael Taufner, Verdeckte Sacheinlagen: Fallstricke für die Praxis, ÖJZ2011, 389.

9 Siehe dazu ErlRV 2320 BlgNR 27. GP, 2 und 15.

10 §10b GmbHG soll mit dem GesRÄG 2023 zur Gänze entfallen.

11 Von der Sachübernahme unterscheidet sich die verdeckte Sacheinlage ua dadurch, dass die Sachübernahme gem §6 Abs4 GmbHG explizit im Gesellschaftsvertrag mit den dort genannten Parametern erwähnt ist und die primäre Leistungspflicht des Gesellschafters auf Geld lautet, nicht auf Einlage einer Sache. Vielmehr soll bei der Sachübernahme die Forderung des Gesellschafters aus der Überlassung einer Sache an die GmbH mit der Forderung der GmbH auf Einzahlung der Stammeinlage in bar verrechnet werden.

Sachgründungsvorschriften – wirtschaftlich der Erfolg einer Sacheinlage erreicht wird, etwa weil die Barmittel umgehend als Entgelt für eine Leistung des Gesellschafters an diesen zurückfließen, verpönt §63 Abs5 GmbHG insofern, als sie den Gesellschafter nicht von seiner Verpflichtung zur Bareinzahlung befreien, es sei denn, die Sacheinlage wurde als solche beschlossen und die Spezifizierungen des §6 Abs4 GmbHG wurden eingehalten.12

Dabei ist nicht jedes Rechtsgeschäft zwischen der GmbH und einem oder mehreren ihrer Gesellschafter automatisch eine verdeckte Sacheinlage. Haben Sachen bspw einen objektivierbaren Verkehrswert, so handelt es sich beim Kauf dieser Sachen zum Verkehrswert um ein normales Umsatzgeschäft, das den Tatbestand einer verdeckten Sacheinlage nicht unbedingt verwirklicht.13 Fremdübliche Austauschgeschäfte zwischen Gesellschafter und GmbH sind zulässig.14 Ebenso wird keine verdeckte Sacheinlage zu vermuten sein, wenn sämtliche Gesellschafter eine Barkapitalerhöhung vornehmen und mit diesem Kapital in weiterer Folge eine Sache von nur einem der Gesellschafter erworben wird. Wenn überhaupt, könnte in diesem Fall nur hinsichtlich des veräußernden Inferenten von einer „verdeckten Sacheinlage“ gesprochen werden. Im Übrigen werden die restlichen Gesellschafter schon zur Wahrung ihrer eigenen Interessen darauf achten, dass zu einem angemessenen Preis gekauft wird. Bei objektiver Wertäquivalenz kann das Rechtsgeschäft aber keine nachteiligen Folgen für die GmbH zeitigen.

Von der Rspr in Österreich noch nicht abschließend geklärt erscheint die Frage, ob eine verdeckte Sacheinlage zwingend auch subjektive Tatbestandselemente, insb eine Umgehungsabsicht oder zumindest eine Abrede zwischen Gesellschaft und Gesellschafter hinsichtlich der Verwendung der eingezahlten Barmittel, erfordert.15 Die überwiegende Lehre verlangt lediglich eine objektive Umgehungseignung.16

Zu klären ist aber auch, in welchem zeitlichen Zusammenhang von einer „verdeckten Sacheinlage“ gesprochen werden kann. Zutreffenderweise wird hier ein Zeitraum von etwa bis zu sechs Monaten zwischen Bargründung bzw -kapitalerhöhung und Rechtsgeschäft zu berücksichtigen sein.17 Es erscheint unwahrscheinlich, dass mit einer geplanten Rückfuhr von Kapital länger zugewartet wird. Insb erscheint der aus §45 AktG abgeleitete Zeitraum von zwei Jahren18 unangemessen lang.

Eine verdeckte Sacheinlage bewirkt gem §63 Abs5 GmbHG, dass der Gesellschafter von seiner Einlagepflicht in Geld gegenüber der Gesellschaft nicht entbunden wird, weil wirtschaftlich betrachtet eine Sache eingebracht wurde, ohne die entsprechenden Vorschriften einzuhalten; insb befindet sich die Sacheinlagevereinbarung im Falle des nachträglichen Rechtsgeschäfts außerhalb des Gesellschaftsvertrages und

12 OGH 23.10.2003, 6 Ob 196/03x.

13 Siehe dazu auch Luschin, Ausnahmen von der verdeckten Sacheinlage oder: Privilegierung von Banken? RdW 2004, 714 (716f).

14 OGH 15.4.2010, 6 Ob 226/09t; 21.11.2017, 6 Ob 161/17w.

15 Siehe dazu Mädel/G. Nowotny, Einbringung und verdeckte (verschleierte) Sacheinlage im GmbH-Recht, in FS Wiesner (2004) 267 (272ff); Zollner in Gruber/Harrer, GmbHG2, §6 Rz52.

16 Statt vieler Zollner in Gruber/Harrer, GmbHG2, §6 Rz52.

17 So auch Mädel/G. Nowotny, Einbringung, 276.

18 So Reich-Rohrwig/Größ, Einbringung eines durch unbare Entnahmen überschuldeten Unternehmens in eine GmbH, ecolex 2003, 680.

verletzt daher §6 Abs4 GmbHG.19 Aus Gläubigerschutzgründen ist eine Sacheinlage gem §63 Abs5 GmbHG nur dann rechtswirksam, wenn die gesetzlichen Bestimmungen eingehalten werden und insb der Sacheinlagegegenstand im Gesellschaftsvertrag genau beschrieben wird. Darüber hinaus müssen die Person des einbringenden Gesellschafters und der Geldwert, für den die Vermögensgegenstände übernommen werden sollen, im Gesellschaftsvertrag genau und vollständig festgesetzt werden.20

Fehlen diese Voraussetzungen, haftet der Gesellschafter gem §63 Abs5 GmbHG weiter für die Einzahlung der Stammeinlage in Geld. Dies hat insb zur Folge, dass im Falle einer Insolvenz der Insolvenzverwalter die (neuerliche) Bareinzahlung der Stammeinlage von den Gesellschaftern verlangen kann.21 Mitgesellschafter haften gem §70 GmbHG für einen allfälligen Ausfall beim primär verpflichteten Gesellschafter.

Nicht endgültig geklärt erscheint idZ, ob das Rechtsgeschäft zur Gänze ungültig ist,22 die GmbH also auch nicht Eigentum an der eingebrachten Sache erwirbt und den gezahlten Kaufpreis zurückfordern kann, oder ob es zwar gültig ist, die Bareinzahlungsverpflichtung des Gesellschafters aber nicht aufhebt. In ersterem Fall hätte der Gesellschafter einen Aussonderungsanspruch, sofern die eingebrachte Sache sich noch unterscheidbar im Gesellschaftsvermögen befindet und die Gesellschaft nicht durch Vermengung (§371 ABGB) Eigentum erworben hat, in zweiterem Fall nur einen Rückforderungsanspruch (in der Insolvenz der GmbH als bloße Insolvenzforderung). Für die Frage, ob gänzliche oder Teilnichtigkeit vorliegt, ist primär der Verbotszweck maßgeblich.23 Soweit allerdings der Verbotszweck weder für noch gegen Restgültigkeit bzw gänzliche Unwirksamkeit spricht, hängt es entsprechend §878 Satz 2 ABGB vom hypothetischen Parteiwillen ab, ob der Vertrag teilweise aufrechtbleibt oder nicht.24

Für den Fall der – wertungsmäßig teilweise ähnlich gelagerten – verdeckten Einlagenrückgewähr geht die Rspr von einer gänzlichen Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts aus.25 Der OGH hat auch die Möglichkeit der Sanierung einer verdeckten Einlagenrückgewähr durch Aufzahlung auf den wahren Wert für die an den Gesellschafter erbrachten Leistungen durch diesen verworfen.26

Wurde eine Barkapitalerhöhung einmal beschlossen, ist fraglich, ob dieser Beschluss noch geändert werden kann und eine Abänderung in eine Sachkapitalerhöhung mit einer entsprechenden Prüfung der Sacheinlage gem §6a Abs4 GmbHG möglich ist. Der OGH hat die Frage der Möglichkeit der Änderung offengelassen,27 das OLG Wien hat sie verneint28 und das OLG Graz hat sie bejaht.29

19 Zur Anwendung des §6 Abs4 GmbHG auch auf Sacheinlagen siehe Zollner in Gruber/ Harrer, GmbHG2, §6 Rz44; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 (2007) §6 Rz21; van Husen in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §6 Rz200.

20 Die Sacheinlage wird gem §12 GmbHG bei der Veröffentlichung in der Ediktsdatei iSd §10 UGB gesondert erwähnt, um Gläubiger auf den besonderen Umstand der Sacheinlage hinzuweisen.

21 Die Gesellschaft andererseits kann die geleistete Kaufpreiszahlung neben der Einzahlung der Stammeinlage vom Gesellschafter fordern. Der Gesellschafter hat einen Rückforderungsanspruch hinsichtlich der eingebrachten Sache, kann mit dieser Forderung aber aufgrund des Verbots des §63 Abs3 GmbHG nicht aufrechnen.

22 Siehe dazu OGH 1.9.2010, 6 Ob 132/10w (mit weiteren Literaturnachweisen).

23 OGH 20.12.2018, 6 Ob 195/18x.

24 OGH 13.9.2012, 6 Ob 110/12p; 20.12.2018, 6 Ob 195/18x.

25 RIS-Justiz RS0117033; RS0105535.

26 OGH 20.12.2018, 6 Ob 195/18x.

27 OGH 30.8.2000, 6 Ob 132/00f, ecolex 2001/79 (Konwitschka); 27.11.2003, 6 Ob 219/03d.

28 OLG Wien 19.3.1980, 5 R 26/80, NZ1982, 41.

29 OLG Graz 15.5.2008, 4 R 60/08p, NZ2008, 351.

III.Umwandlung einer Bareinlageverpflichtung in eine Sacheinlage durch nachträgliche Satzungsänderung?

1.Allgemeines

Als Möglichkeiten der Heilung einer verdeckten Sacheinlage wurde in der Literatur einerseits die analoge Anwendung der Vorschriften über die Nachgründung bei der AG (§45 AktG), andererseits die Möglichkeit der Umwandlung einer Bareinlagenverpflichtung in eine Sacheinlagenverpflichtung durch satzungsändernden Gesellschafterbeschluss diskutiert.

In der Entscheidung vom 30.8.2000, 6 Ob 132/00f, hat sich der OGH mit der Frage der analogen Anwendung des §45 AktG bei GmbHs auseinandergesetzt und diese – im Hinblick auf das Fehlen einer Regelungslücke sowie die unterschiedlichen Sachverhaltselemente bei einer verdeckten Sacheinlage und einer Nachgründung – verneint. Bei der AG führe ein Verstoß gegen die Nachgründungsvorschriften zur Ungültigkeit des Erwerbsgeschäfts. Demgegenüber mache die Nichteinhaltung der Sacheinlagevorschriften durch Vornahme einer verdeckten Sacheinlage das Erwerbsgeschäft zwar nicht ungültig,30 führe aber dazu, dass die außerhalb des Gesellschaftsvertrages getroffene Sacheinlagevereinbarung der Gesellschaft gegenüber unwirksam sei und der Gesellschafter von der übernommenen Bareinlageverpflichtung nicht befreit werde.

Es bleibt somit, die Möglichkeit der nachträglichen Umwandlung einer Bareinlageverpflichtung in eine Sacheinlageverpflichtung zu untersuchen. Bei der Frage der Heilung ist zu differenzieren, ob eine Bareinlagenverpflichtung, egal, ob bei Gründung oder einer Kapitalerhöhung, bereits zur Gänze an die Gesellschaft erbracht wurde oder nicht.

Es ergeben sich folgende Möglichkeiten:

2.Umwandlung vor Anmeldung der GmbH zum Firmenbuch

Vor Anmeldung der GmbH zum Firmenbuch ist die Umwandlung einer Bareinlagenverpflichtung in eine Sacheinlagenverpflichtung möglich.31 Denn der primäre Zweck der Sacheinlagevorschriften ist neben dem Schutz der Gesellschafter selbst der Gläubigerschutz.32 Beides wird bei Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften erreicht. Zunächst ist im Stadium der Vorgesellschaft im Falle eines Nachtrags zum Gesellschaftsvertrag ein Notariatsakt zu errichten und damit zwingend die Mitwirkung sämtlicher Gesellschafter erforderlich. Weiters sind die Präzisierungen des §6 Abs4 GmbHG einzuhalten, zusätzlich die Vorgaben des §6a GmbHG, sofern mehr als die Hälfte des Stammkapitals durch Sacheinlagen aufgebracht werden soll.

In diesem Stadium kann die gesamte Bareinlagenverpflichtung in eine Sacheinlagenverpflichtung umgewandelt werden. Die Dispositionsfreiheit der Gesellschafter geht hier vor, wurde doch mangels Firmenbucheintragung noch kein wie immer gearteter Vertrauenstatbestand gesetzt. Allenfalls bereits bar eingezahltes Stammkapital wäre nach Vorlage des

30 Ch. Nowotny in Kalss/Nowotny/Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht2 (2017) Rz4/425.

31 Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3, §6 Rz20; van Husen in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §6 Rz197; U. Torggler in U. Torggler, GmbHG (2014) §6 Rz16.

32 ErlRV 236 BlgHH 17. Sess, 59.

Nachtrags zum Gesellschaftsvertrag bei der Bank aufgrund der Tatsache, dass keine Bareinlagenverpflichtung mehr besteht, und gegen Rückgabe der Originalbestätigung iSd §10 Abs3 GmbHG an die Bank von derselben an die Gesellschafter zurückzuzahlen. In der Anmeldung zum Firmenbuch wäre dementsprechend eine adaptierte, inhaltlich richtige Erklärung gem §10 Abs3 GmbHG abzugeben. Die Sacheinlagen müssten vor Anmeldung zum Firmenbuch zur Gänze geleistet werden (§10 Abs1 GmbHG).

Bei der Veröffentlichung der Ersteintragung der GmbH wird auf die Leistung einer Sacheinlage explizit hingewiesen (§12 GmbHG iVm §10 UGB).

3.Umwandlung nach Anmeldung der GmbH zum Firmenbuch

3.1.Vor Leistung der gesamten Bareinlage

Eine nachträgliche Umwandlung einer Bareinlageverpflichtung in eine Sacheinlageverpflichtung erscheint zunächst jedenfalls insoweit zulässig, als die Bareinlageverpflichtung noch nicht geleistet wurde, bspw dann, wenn nur das halbe Stammkapital bar aufgebracht wurde.33 Die Vorschriften über die Sacheinlage sind nicht Selbstzweck, sondern dienen vornehmlich Gläubigerschutzgründen. Sollte daher eine noch ausstehende Bareinlage nachträglich in eine Sacheinlage umgewandelt werden, so werden Gesellschaftsgläubiger dadurch nicht schlechter gestellt, als sie bei ursprünglich vereinbarter Sacheinlage stünden: Bei Aufbringung von mehr als der Hälfte des Stammkapitals durch Sacheinlage müsste, sofern die Ausnahme des §6a Abs2 und 3 GmbHG nicht greift, gem §6a Abs4 GmbHG ohnehin eine Gründungsprüfung stattfinden;34 bei Aufbringung von bis zur Hälfte des Stammkapitals entfiele die Gründungsprüfung ebenso, wie sie auch bei ursprünglicher Aufbringung des halben Stammkapitals durch Sacheinlage entfallen wäre.

Naturgemäß müsste die Sacheinlage den Wert der offenen Bareinlageverpflichtung zumindest erreichen. Eine Unterpari-Emission ist unzulässig. Erreicht der Wert der (offenen) Sacheinlage im Zeitpunkt der Anmeldung zum Firmenbuch nicht den Betrag der dafür übernommenen Stammeinlage, kommt es gem §10a GmbHG zu einer Differenzhaftung des einbringenden Gesellschafters.

Die Änderung einer Bareinlageverpflichtung in eine (offene) Sacheinlagenverpflichtung ginge mit einer Änderung des Gesellschaftsvertrages einher, die nach Eintragung der Gesellschaft eines notariell beurkundeten satzungsändernden Gesellschafterbeschlusses unter Zustimmung sämtlicher Gesellschafter bedürfte.35 Denn die Sachgründungsvorschriften sollen nicht nur die Gläubiger, sondern ausweislich der Materialien auch die Gesellschafter selbst schützen,36 die ja im Falle mangelnder Werthaltigkeit der Sacheinlage subsidiär gem §70 Abs1 GmbHG für den Ausfall haften. Aus diesem Grund wäre mE eine Dreiviertelmehrheit gem §50

33 OLG Graz 15.5.2008, 4 R 60/08p; Zollner in Gruber/Harrer, GmbHG2, §6 Rz50; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3, §6 Rz20; Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen der Kapitalerhaltung (2004) 37.

34 Ausgenommen Fälle des §6a Abs2 und 3 GmbHG.

35 So auch Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3, §6 Rz20.

36 ErlRV 236 BlgHH 17. Sess, 59.

Abs1 GmbHG nicht ausreichend. Jedenfalls müssten alle Angaben des §6 Abs4 GmbHG in den satzungsändernden Beschluss und den Gesellschaftsvertrag37 aufgenommen, gegebenenfalls auch die Sachprüfungsvorschriften gem §6a GmbHG beachtet werden.

Die Sacheinlagen wären vor Anmeldung des satzungsändernden Beschlusses zum Firmenbuch gem §10 Abs1 GmbHG zur Gänze an die GmbH zu leisten.

Nach §51 GmbHG ist eine Abänderung des Gesellschaftsvertrages nicht nur zum Firmenbuch anzumelden; es sind gemäß §51 Abs2 GmbHG auch §§11 und 12 GmbHG sinngemäß anzuwenden. Mit der Eintragung der Änderung des Gesellschaftsvertrages unter Anführung der geänderten Bestimmung entsprechend §51 Abs2 iVm §11 GmbHG im Firmenbuch sowie der nach §51 Abs2 iVm §12 Z2 GmbHG zu veröffentlichenden Tatsache (Bekanntmachung) der Einbringung einer Sacheinlage in Anrechnung auf die Stammeinlage ist auch die dem Schutze der Gläubiger dienende Publizität gewahrt.38

3.2.Umwandlung einer bereits geleisteten Bareinlage (verdeckte Sacheinlage) in eine offene Sacheinlage

3.2.1.Vorbemerkung

Wurde die Bareinlage hingegen bei Gründung oder bei einer Kapitalerhöhung bereits an die Gesellschaft erbracht, jedoch in weiterer Folge der Tatbestand einer verdeckten Sacheinlage verwirklicht, weil zB mit dem Geld Gegenstände von den Gesellschaftern zeitnah erworben wurden, sodass eine verdeckte Sacheinlage vorliegt, erscheint fraglich, ob die Bareinlage noch in eine (offene) Sacheinlage umgewandelt werden kann.

3.2.2.Zulässigkeit

Nach hier vertretener Ansicht ist die Umwandlung sogar nach Vornahme der verdeckten Sacheinlage zulässig.39 Dies ergibt sich mE auch in einem Umkehrschluss zu § 20 Abs3 und § 150 Abs2 AktG, die diese nachträgliche Umwandlung bei der AG nicht zulassen. Hätte der Gesetzgeber auch bei der GmbH die Umwandlung einer Bareinlage in eine Sacheinlage verbieten wollen, hätte er gleichlautende Bestimmungen ins GmbHG aufgenommen.40 Im Übrigen erachtet die Rspr auch im Bereich der verbotenen Einlagenrückgewähr die Möglichkeit einer nachträglichen Heilung für möglich.41

Natürlich müssen die erforderlichen Voraussetzungen für eine solche nachträgliche Umwandlung vorliegen: Zunächst müssen die eingebrachten Sachen noch vollständig im Vermögen der GmbH vorhanden sein. Die Bareinlagen sind ja anlässlich des Rechtsgeschäfts bereits an die Gesellschafter zurückgeflossen.

Darüber hinaus darf die GmbH nicht überschuldet sein, muss also in der Lage sein, all ihre Schulden zu begleichen.42

37 Siehe dazu OGH 26.9.2007, 7 Ob 129/07g.

38 Mädel/G. Nowotny, Einbringung, 279.

39 Ebenso für die grundsätzliche Zulässigkeit Konwitschka, Kapitalerhöhung durch Verrechnung von Gesellschafterforderungen (1998) 400; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3, §6 Rz20; Schopper, Fallgruppen zur Lehre von der verdeckten Sacheinlage, NZ2009, 257 (266); Mädel/G. Nowotny, Einbringung, 279f; J. P. Gruber, Unbare Entnahmen und verdeckte Sacheinlagen, GesRZ2004, 315.

40 Zur Rechtslage in Deutschland siehe §19 Abs4 dGmbHG.

41 OGH 28.3.2018, 6 Ob 128/17t; 18.2.2021, 6 Ob 207/20i; 24.3.2023, 6 Ob 22/23p.

42 OGH 24.8.1998, 8 Ob 64/98i.

Schließlich muss die eingelegte Sache sowohl im damaligen Zeitpunkt der Kapitalerhöhung als auch im Zeitpunkt der Heilung den Wert des Nominalbetrags erreichen.

3.2.3.Durchführung

Die Heilung müsste durch einen notariell beurkundeten satzungsändernden Beschluss sämtlicher Gesellschafter43 geschehen, der die bereits geleistete Bareinlage in eine (offene) Sacheinlagenverpflichtung umwandelt und die Angaben gem §6 Abs4 GmbHG enthält.44 Ebenso müssten die Übernahme der Stammeinlage und die Leistung darauf erneuert werden, wobei offenbleibt, ob die Tatsache, dass die Leistung (Sacheinlage) bereits an die GmbH erbracht wurde, ein Problem darstellt.

Die Sanierung auf diesem Weg könnte nämlich daran scheitern, dass sich der Gegenstand der Sacheinlage im Zeitpunkt des Sanierungsbeschlusses nicht mehr im Vermögen der Gesellschafter befindet, sondern in jenem der GmbH. Denn die Vereinbarung der verdeckten Sacheinlage wäre zwar gegenüber der GmbH unwirksam,45 diese könnte aber dennoch gutgläubig oder durch Vermengung Eigentum an den gekauften Sachen erworben haben.

Befindet sich die Sacheinlage nicht mehr im Eigentum der Gesellschafter, könnte eine Sanierung auf diesem Weg ausscheiden. In der Entscheidung vom 27.11.2003, 6 Ob 219/ 03d, hat der OGH ausgesprochen, dass eine Einbringung, die ursprünglich ohne Kapitalerhöhung durchgeführt worden war, nicht nachträglich in eine Sachkapitalerhöhung umgewandelt werden kann, da sich das Sachvermögen, das nachträglich für die Kapitalerhöhung herangezogen werden soll, im Zeitpunkt der Berichtigung des Einbringungsvertrages, in dem diese mit einer Kapitalerhöhung verbunden werden soll, nicht mehr im Vermögen des Einbringenden befindet, sondern bereits im Vermögen der GmbH. Dem ist für den Fall, dass ursprünglich eine Kapitalerhöhung gar nicht beabsichtigt war, zuzustimmen. Denn dann war die Einlage in die GmbH mangels Anrechnung auf eine Einlageverpflichtung keine verdeckte Sacheinlage und daher auch der GmbH gegenüber wirksam.

Anders liegt der Fall hingegen, wenn eine Barkapitalerhöhung durchgeführt wurde, allerdings verbunden mit einer verdeckten Sacheinlage, die nunmehr saniert werden soll. Selbst wenn man aber davon ausgeht, dass die GmbH Eigentum an den verdeckt eingelegten Sachen erlangt hat, ist eine Sanierung dennoch nicht ausgeschlossen. In diesem Fall kann als der Einlagegegenstand mit J. P. Gruber der bereicherungsrechtliche Rückabwicklungsanspruch, den der Gesellschafter gegen die GmbH hat, sein.46

Auch dieser müsste naturgemäß der Werthaltigkeitsprüfung standhalten, dh, die GmbH darf nicht überschuldet

43 AA Schopper in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §63 Rz192, der einen Mehrheitsbeschluss gem §50 Abs1 GmbHG für ausreichend erachtet.

44 Dies erscheint dann nicht möglich, wenn mehrere Gesellschafter eine Bareinlagenverpflichtung übernommen haben und mit dem eingezahlten Kapital eine Sache von nur einem Gesellschafter erworben wurde. In diesem Fall wird daher gar keine verdeckte Sacheinlage vorliegen.

45 Mit dem Zweck, dass die Gesellschafter dadurch ihrer Bareinlageverpflichtung nicht enthoben werden sollen.

46 J. P. Gruber, GesRZ2004, 315ff. Wurde die Einbringung ohne Kapitalerhöhung vorgenommen, ist eine Sanierung natürlich nicht möglich, da dann ja von vornherein keine Kapitalerhöhung geplant war.

sein. Geht man hingegen davon aus, dass auch die GmbH mangels rechtswirksamer Sacheinlagevereinbarung nicht Eigentümerin der eingebrachten Sachen wurde, hätte der Inferent hinsichtlich dieser Sachen die rei vindicatio. Es wäre übermäßiger Formalismus, wollte man diese erst durchsetzen, um danach eine entsprechende Übernahmeerklärung und neuerliche Übergabe zu vollziehen. Hier wäre der Einbringungsgegenstand sehr wohl das Eigentumsrecht an der Sache, die aufgrund des nun vorliegenden Titels im Wege des §428 Fall 2 ABGB übergeben werden könnte.

In der Anmeldung zum Firmenbuch wäre nachzuweisen, dass die Sacheinlagen vollständig erbracht wurden.

Die Satzungsänderung bewirkte die Heilung ex nunc mit Eintragung im Firmenbuch. Auf die Sacheinlage würde auch bei der Veröffentlichung gem §51 Abs2 iVm §12 Z2 GmbHG hingewiesen.

Schließt man sich diesen Überlegungen nicht an, wäre nur eine Rückabwicklung des Kaufs der Gegenstände durch die GmbH möglich. Dadurch käme die Sache wieder in den Besitz des Gesellschafters und das Geld in das Eigentum der GmbH. In weiterer Folge könnte eine normale Kapitalherabsetzung beschlossen und durchgeführt werden, bei welcher die Barmittel an die Gesellschafter ausgeschüttet werden. Danach könnte neuerlich eine Kapitalerhöhung mit offener Sacheinlage beschlossen werden.47 Gerade dieser Aufwand soll aber vermieden werden.

47 Zollner in Gruber/Harrer, GmbHG2, §6 Rz56.

3.2.4.Werthaltigkeitsprüfung

Die Sacheinlage müsste den Betrag der ursprünglichen Barkapitalerhöhung samt allfälligem Agio erreichen, wobei aus Gläubigerschutzgründen der Wert der eingelegten Sache dem dadurch ersetzten Barkapitalbetrag sowohl im Zeitpunkt der ursprünglichen Kapitalerhöhung als auch im Zeitpunkt der Anmeldung des Heilungsbeschlusses zum Firmenbuch entsprechen müsste.48 Soweit eine Sachgründungsprüfung gem §6a Abs4 GmbHG erforderlich wäre, wäre diese durchzuführen.

IV.Zusammenfassung

Die Umwandlung einer Bareinlageverpflichtung in eine Sacheinlageverpflichtung durch satzungsändernden Gesellschafterbeschluss ist bei der GmbH49 zulässig, solange die offene Bareinlage nicht geleistet wurde, sämtliche Gesellschafter zustimmen und die Bestimmungen der §§6 und 6a GmbHG eingehalten werden.

Auch nach Leistung der Bareinlagen ist die Heilung einer verdeckten Sacheinlage durch satzungsändernden Gesellschafterbeschluss zulässig, sofern sämtliche Gesellschafter der Satzungsänderung zustimmen und die Bestimmungen der §§6 und 6a GmbHG eingehalten werden. Darüber hinaus muss die Sacheinlage sowohl im Zeitpunkt der ursprünglichen Kapitalerhöhung als auch im Zeitpunkt des Heilungsbeschlusses dem Wert der Bareinlage entsprechen.

48 So auch van Husen in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §6 Rz198.

49 Für die AG müssen hier gem §20 Abs3 und §150 Abs2 AktG andere Überlegungen gelten; siehe dazu Schopper, NZ2009, 266; Michael Taufner, ÖJZ2011, 389ff.

Mezzaninfinanzierung bei der FlexCo

Das FlexKapGG ist seit Anfang Jänner 2024 in Kraft; erste FlexCos wurden bereits gegründet und weitere befinden sich im Gründungsprozess.1 Dies wird zum Anlass genommen, im gegenständlichen Beitrag einen spannenden Aspekt der neuen Gesellschaftsform zu beleuchten: deren Finanzierung durch Mezzaninkapital. Denn neben einem erweiterten Eigenkapitalkatalog2 hat sich der Gesetzgeber dazu entschieden, in §22 FlexKapGG „sonstige Finanzierungsformen“ explizit gesetzlich zu verankern, um der FlexCo einen weiteren Spielraum bei der Kapitalbeschaffung zu geben.3 Bei diesen sog sonstigen Finanzierungsinstrumenten handelt es sich um Mezzaninfinanzierungen, welche die Kapitalausstattung der neuen Gesellschaftsform durch eine Mischform von Eigen- und Fremdkapital ermöglichen. Im Folgenden werden die Grundlagen dieser Finanzierungsformen dargestellt, Anwendungsbereiche und Vor- bzw Nachteile untersucht sowie typische Vertragsparteien beleuchtet.

123 I.Mezzaninkapital

Die Suche nach einer einheitlichen Definition des Begriffs „Mezzaninkapital“, auch „hybrides Kapital“ genannt,4 ist aufgrund der Vielzahl möglicher Ausgestaltungen vergeblich. Mezzaninkapital ist ein variantenreicher Typusbegriff und kein definierter Rechtsbegriff.5 Die zivilrechtliche Einordnung von Mezzaninkapital ist daher schwer pauschal möglich. Der Terminus „Mezzaninkapital“ ist ein Sammelbecken für all jene Finanzierungsinstrumente, welche nicht eindeutig der Gruppe des Eigenkapitals oder des Fremdkapitals zugeordnet werden können, aber Elemente von beiden aufweisen.6 Für die Gesellschaftsfinanzierung umgelegt bedeutet der Begriff eine Finanzierungsform zwischen Eigen- und Fremdkapital.7 Wie ein hybrides Finanzierungsinstrument im Endeffekt ausgestaltet ist und ob der Eigen- bzw Fremdkapitalcharakter überwiegt, obliegt der Parteiendisposition.

In jüngster Vergangenheit rückte die Finanzierung durch Mezzaninkapital – bereits vor der FlexCo – vermehrt in den Vordergrund. Warum Mezzaninkapitalfinanzierung momentan en vogue ist, kann auf mehrere Gründe zurückgeführt werden, die sowohl rechtlicher als auch wirtschaftlicher Natur sind: Ein Hauptgrund ist der Rückgang der Finanzierung durch Bankkredite, welche weniger leicht ausgegeben werden und strengere Auflagen in Form von erhöhten Sicherheiten benötigen.8

* Dr. Florian Dollenz ist Rechtsanwalt in Wien. Dr. Jakob Jaritz, LL.M. (WU), BSc. (WU) ist Rechtsanwaltsanwärter in Wien und als externer Lehrender am Institut für Unternehmensrecht der Wirtschaftsuniversität Wien tätig.

1 Die ersten Anträge wurden am 1.1.2024 bereits kurz nach Mitternacht gestellt; siehe https://brutkasten.com/artikel/erste-flexco-flexkap; https://www.trendingtopics.eu/ skurriles-sekunden-rennen-um-die-erste-flexco-oesterreichs

2 Siehe dazu bereits Jaritz, Kapitalerhöhungsmaßnahmen bei der FlexCo, GesRZ2023, 351.

3 ErlRV 2320 BlgNR 27. GP, 14.

4 Vgl etwa Baums, Recht der Unternehmensfinanzierung (2017) §31 Rz1.

5 Gündel/Katzorke, Private Equity (2007) 24; Breuninger/U. Prinz, Ausgewählte Bilanzund Steuerrechtsfragen von Mezzaninefinanzierungen, DStR 2006, 1345.

6 Vgl Ebert, Stille Gesellschaft, Genussrecht und partiarisches Darlehen als mezzanine Kapitaltitel zur Finanzierung einer GmbH (2010) 27; Baums, Unternehmensfinanzierung, §12 Rz1ff; Lasslesberger, Finanzierung von A bis Z (2005) 169; J. Metzler, Unternehmerische Finanzierungsinstrumente (2010) 426; S. Bergmann, Der kapitalistische Mitunternehmer (§23 EStG), in Bertl/Eberhartinger/Egger/Hirschler/Kalss/ Lang/Nowotny/Riegler/Rust/Schuch/Staringer, Hybrid-Finanzierung in Bilanz- und Steuerrecht (2017) 1 (2).

7 Vgl Ebert, Stille Gesellschaft, 27; Lasslesberger, Finanzierung, 169; G. Moser, Hybride Finanzierungsinstrumente als Lösungsmöglichkeit für Finanzierungsengpässe? Aufsichtsrat aktuell 3/2010, 19; M. Fischer, Das Wandeldarlehen in Venture CapitalFinanzierungen unter Beteiligung einer GmbH (2017) 26; Gündel/Katzorke, Private Equity, 24.

Aufgrund der restriktiveren Vergabe von Krediten ist für viele Gesellschaften eine essenzielle Finanzierungsform weggefallen. Steigende Zinsen haben die Finanzierung via Kredit verteuert. Die Finanzierung durch Bankkredite war vor allem aufgrund des Einflusserhalts der Gesellschafter sowie der einfachen und schnellen Durchführung beliebt. Fragen der Gesellschaftsbewertung oder Konflikte um eine mögliche Verwässerung werden mangels Beteiligung nämlich nicht gestellt.

Auf der Suche nach einer Alternativfinanzierungsquelle hat sich das Mezzaninkapital als Lösung herauskristallisiert. Die Gründe dafür sind die flexible Ausgestaltung hybrider Finanzierungsinstrumente, die schnelle Verfügbarkeit und der Umstand, dass ein hohes Finanzierungsvolumen abgedeckt werden kann. Ebenso positiv ins Gewicht fällt, dass Mezzaninkapital unabhängig von der konkreten bilanziellen Ausweisung im Jahresabschluss9 bei Bonitätsratings häufig dem wirtschaftlichen Eigenkapital zugerechnet wird, wodurch sich dies positiv auf die Eigenkapitalquote auswirkt, und die Bonitätsschätzung hebt.10

8 Vgl M. Fischer, Wandeldarlehen, 24; Grabherr, Finanzierung mit Private Equity und Venture Capital (Teil I), ÖBA 2003 336; F. Resch/Ungerböck, Start-ups aus Sicht von Venture Capital Investoren, in Kunzmann/Josef Schmidt/Schrader, Vom Start-up zum Börsekandidaten (2020) 1 (9); Becker/Böttger/Ergün/St. Müller, Basel III und die möglichen Auswirkungen auf die Unternehmensfinanzierung, DStR 2011, 375 (377); für ein Beispiel siehe Jaritz, Die Finanzierung der Schürzenband GmbH im Wandel, GesRZ2021, 387 (389).

9 Für die bilanzielle Einordnung wird idR darauf abgestellt, ob der Eigen- oder Fremdkapitalcharakter überwiegt. Daher können solche Mezzaninfinanzierungsinstrumente als Eigenkapital ausgewiesen werden, welche die materiellen Eigenschaften des Eigenkapitals aufweisen, dh, nachranging und unbefristet sind, sowie keine feste erfolgsunabhängige Verzinsung vorsehen, sondern am Verlust teilnehmen. Dabei gilt vorrangig, dass vor allem die Perspektive der anderen Gläubiger maßgeblich ist. Damit kann jenes Mezzaninkapital, welches im Falle der Insolvenz zur Befriedigung der anderen Gläubigeransprüche zur Verfügung steht (somit nachrangiges Kapital), als Eigenkapital ausgewiesen werden, wodurch die Risikofunktion in den Vordergrund tritt; siehe dazu etwa E. Eberhartinger/Knesl, Hybride Finanzierung aus Sicht des Emittenten im UGB-Jahresabschluss, in Bertl/Eberhartinger/Egger/Hirschler/Kalss/Lang/Nowotny/Riegler/Rust/Schuch/Staringer, HybridFinanzierung in Bilanz- und Steuerrecht (2017) 31 (33).

10 Vgl Schmeisser/Clausen, Mezzanines Kapital für den Mittelstand zur Verbesserung des Ratings, DStR 2008, 688; Gündel/Hirdes, Mezzanine-Kapital zur Bilanzoptimierung und bankenunabhängigen Unternehmensfinanzierung, BC 2005, 205 (206). Ein Nachteil des höheren betriebswirtschaftlichen Eigenkapitals ist die Beeinflussung von anderen Kennzahlen wie dem return on investment, der das Verhältnis von Jahresüberschuss sowie Zinsen und Steuern zum Gesamteigenkapital darstellt. Ist das betriebswirtschaftliche Eigenkapital höher, ist die Kennzahl des return on investment geringer und daher der Leverage-Effekt geringer; siehe dazu Weitnauer in Weitnauer, Handbuch Venture Capital7 (2022) Teil C Rz129; vgl auch Blömer, Leistungen und Einflußnahmen der GmbH-Gesellschafter durch eigenkapitalersetzende Darlehen (2004) 25. Diese Kennzahlen sind für mögliche Investoren wichtige Indikatoren.

Dass die Beliebtheit von Mezzaninkapitalfinanzierungen gestiegen ist und diese Art der Finanzierung vor allem bei Start-ups an Bedeutung gewonnen hat, manifestiert sich in der Normierung der sonstigen Finanzierungsformen im FlexKapGG.

II.§22 FlexKapGG („Sonstige Finanzierungsformen“)

1.Ausgestaltung und Regelungsinhalt der Norm

Sonstige Finanzierungsinstrumente werden im Gesetz nicht taxativ aufgezählt, sondern allgemein umschrieben. Demnach ist – aufgrund einer entsprechenden Beschlussfassung der Gesellschafter – die Ausgabe von Finanzierungsinstrumenten zulässig, die 1.) Umtausch- oder Bezugsrechte auf Anteile gewähren, 2.) mit Gewinnanteilen von Gesellschaftern verbunden sind sowie 3.) Genussrechte gewähren.

Eine zivilrechtliche Grundlage für sonstige Finanzierungsinstrumente ist darin nicht enthalten. Die Materialien stellen hierzu klar, dass mit den ersten beiden Fallgruppen die in §174 AktG für die AG geregelten Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen sowie Optionsanleihen gemeint sind.11 Schuldverschreibungen haben im österreichischen Zivilrecht –anders als im deutschen BGB12 – keine explizite rechtliche Grundlage, finden aber im UGB, ABGB und AktG Erwähnung.13 Nach der überwiegenden Ansicht verbriefen Schuldverschreibungen den Anspruch auf Rückzahlung eines Darlehens, welches in Stücke geteilt werden kann; daher auch der Begriff „Teilschuldverschreibung“ 14

Ebenso sind Genussrechte im österreichischen Recht nicht legaldefiniert,15 werden aber in §238 UGB sowie §174 AktG angeführt. Dabei handelt es sich jedoch lediglich um Bestimmungen über die Angaben im Anhang des Jahresabschlusses und die Ausgabe von Genussrechten.16 Genussrechte werden allgemein als schuldrechtliche Ansprüche, die ein Genussrechtsinhaber gegenüber einer das Finanzierungsinstrument ausgebenden Gesellschaft hat, beschrieben.17 In Ermangelung einer gesetzlicher Determination können Genussrechte privatautonom durch die Vertragsparteien ausgestaltet werden.18 Dabei ist die Grenze der vertraglichen Ausgestaltung die

11 ErlRV 2320 BlgNR 27. GP, 14; vgl auch Hartlieb, Hybride Finanzierung von Flexiblen Kapitalgesellschaften, ÖJZ2023, 918 (919).

12 Siehe §§792 bis 799 BGB.

13 Vgl zu §174 AktG etwa Zollner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3 (2021) §174 Rz1 und 9; Eckert/Schopper/Walcher in Eckert/Schopper, AktG-ON (2021) §174 Rz2.

14 Vgl Nagele/Lux in Artmann/Karollus, AktG6 (2019) §174 Rz3; Zollner in Doralt/ Nowotny/Kalss, AktG3, §174 Rz13; G. H. Roth, Grundriß des österreichischen Wertpapierrechts2 (1999) 143; als „verzinsliche Kreditforderung“ bezeichnend Michael Taufner/Herzer, Wandelschuldverschreibungen in der Emittenteninsolvenz, ÖBA 2012, 587; als „verbriefte Forderungen auf Rückzahlung von Kapital“ bezeichnend Edelmann in Napokoj/H. Foglar-Deinhardstein/Pelinka, AktG (2020) §174 Rz2. Der OGH qualifizierte die Wandelschuldverschreibung als Spezialfall der Teilschuldverschreibung; vgl OGH 5.9.1996, 2 Ob 2243/96h.

15 Nagele/Lux in Artmann/Karollus, AktG6, §174 Rz26; J. Metzler, Finanzierungsinstrumente, 438; E. Eberhartinger/Knesl, Finanzierung durch hybride Finanzierungsmittel, in Bertl/Eberhartinger/Hirschler/Kanduth-Kristen/Kofler/Tumpel/Urnik, Handbuch der österreichischen Steuerlehre IV3 (2018) 91 (100f); zur Abgrenzung von anderen Finanzierungsinstrumenten siehe ausführlich S. Bergmann, Genussrechte: Abgrenzung von ähnlichen Rechtsinstituten, ecolex 2016, 1073 (Teil I) und ecolex 2017, 41 (Teil II); Six, Hybride Finanzierung im Internationalen Steuerrecht (2008) 28; zuletzt Jaritz, GesRZ2023, 351ff.

16 Vgl Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht2 (2017) Rz3/974.

17 Vgl etwa J. Metzler, Finanzierungsinstrumente, 438; E. Eberhartinger/Knesl, Hybride Finanzierungsmittel, 101.

18 Kalss, Die nachträgliche Ausstattung von Genussrechten mit einem Wandlungsrecht nach österreichischem Recht, in FS Goette (2011) 219 (219f); Nagele/Lux in Artmann/Karollus, AktG6, §174 Rz30; J. Metzler, Finanzierungsinstrumente, 438.

Sitten- oder Gesetzeswidrigkeit.19 Somit können Genussrechte auch eine Wandlungsoption enthalten, die entweder ein Bezugs- oder Umtauschrecht in einen Gesellschaftsanteil beinhaltet.20 Genussrechte können verbrieft sein, wobei dann ein Genussschein vorliegt.21 Typischer Inhalt von Genussrechten sind etwa Vermögensrechte eines Gesellschafters (zB die Gewinnbeteiligung an der Gesellschaft). Diese entstammen nicht einer Gesellschafterstellung, sondern dem schuldrechtlichen Genussrechtsvertrag. Deshalb steht der Genussrechtsinhaber der FlexCo nur forderungsberechtigt als Gläubiger gegenüber.22

Nach §22 Abs1 Satz 1 FlexKapGG ist für die Ausgabe sonstiger Finanzierungsinstrumente ein Beschluss der Gesellschafter erforderlich. Der Wortlaut stellt – im Unterschied zur Vorbildregelung des §174 AktG23 – nicht auf das Organ der Gesellschaft ab. Es ist daher fraglich, ob eine individuelle Zustimmung der Gesellschafter, ohne Abhaltung einer Generalversammlung, tatsächlich beabsichtigt ist.24 Auch durch einen Blick in die Materialien lässt sich diese Frage nicht klären, da diese nicht von der Textierung des §22 Abs1 Satz 1 FlexKapGG abweichen und bloß jene Bereiche betonen, die an §174 AktG angelehnt sind.25 An anderen Stellen spricht das FlexKapGG hingegen ausdrücklich vom „Beschluss der Generalversammlung“. 26 Es stellt sich die Frage, ob der in §22 Abs1 Satz 2 und 3 FlexKapGG geregelte Beschlussmodus zur Klärung beitragen kann:27 Demnach bedarf es einer Dreiviertelmehrheit der abgegebenen Stimmen, wobei der Gesellschaftsvertrag weitere Erfordernisse vorsehen kann. Im GmbHG kommt es für die Berechnung der Mehrheit in der Generalversammlung ebenfalls auf die Anzahl der abgegebenen Stimmen an und bei Umlaufbeschlüssen auf die Gesamtzahl.28 Da subsidiär GmbH-Recht gilt, hätte der Gesetzgeber den gleichen Modus nicht regeln müssen. Vielmehr wäre dies anzunehmen, wenn keine Generalversammlung vorgesehen ist und dies abweichend vom GmbHG geregelt werden soll. Generell wird mit dem FlexKapGG eine Flexibilisierung der Formvorschriften intendiert, was eher für eine individuelle Zustimmung der Gesellschafter spricht. Zweck des §22 FlexKapGG ist es aber, die Gesellschafter vor einer Verwässerung zu schützen. Vor diesem Hintergrund erscheint ein Beschluss der Generalversammlung, welcher an bestimmte Formalitäten (zB die Form und die Frist zur Einberufung) geknüpft ist, dem Normzweck eher gerecht zu werden. Bei der Formulierung des §22 FlexKapGG ist dem Gesetzgeber

19 OGH 29.1.2003, 7 Ob 267/02v, ÖBA 2003, 694 (Kalss); E. Eberhartinger/Knesl, Hybride Finanzierungsmittel, 101; Kalss, Nachträgliche Ausstattung, 220.

20 Siehe bezogen auf die AG Kalss, Nachträgliche Ausstattung, 220; Nagele/Lux in Artmann/Karollus, AktG6, §174 Rz28; vgl auch E. Eberhartinger/Knesl, Hybride Finanzierungsmittel, 102; M. Kraus in Weitnauer, Venture Capital7, Teil C Rz170.

21 Six, Hybride Finanzierung, 24; E. Eberhartinger/Knesl, Hybride Finanzierungsmittel, 101; J. Metzler, Finanzierungsinstrumente, 438; ausführlich zur Verbriefung S. Bergmann, Genussrechte (2016) 178.

22 S. Bergmann, ecolex 2016, 1073; J. Metzler, Finanzierungsinstrumente, 438; E.Eberhartinger/Knesl, Hybride Finanzierungsmittel, 101; M. Kraus in Weitnauer, Venture Capital7, Teil C Rz165ff.

23 Eckert/Schopper/Walcher in Eckert/Schopper, AktG-ON, §174 Rz21; Nagele/Lux in Artmann/Karollus, AktG6, §174 Rz16.

24 Arg: „aufgrund eines Beschlusses der Gesellschafterinnen zulässig“. Eine solche unklare Formulierung ist ebenso in §19 Abs1 und 5 FlexKapGG wiederzufinden.

25 ErlRV 2320 BlgNR 27. GP, 14.

26 Vgl §15 Abs1 Z4 und 5, Abs2 und 3, §21 Abs4, §23 Abs2, 4 und 6, §§24 und 25 FlexKapGG.

27 So Hartlieb, ÖJZ2023, 919.

28 R. Winkler in H. Foglar-Deinhardstein/Aburumieh/Hoffenscher-Summer, GmbHG (2017) §34 Rz70f.

offenbar ein Redaktionsversehen unterlaufen. Für die Ausgabe von sonstigen Finanzierungsinstrumenten ist daher uE per se ein Beschluss der Generalversammlung notwendig.29 Abweichend hiervon kann der Gesellschaftsvertrag eine Ermächtigung der Geschäftsführung (§22 Abs2 FlexKapGG) oder Umlaufbeschlüsse (§7 FlexKapGG iVm §34 GmbHG) vorsehen.

§22 Abs1 Satz 2 und 3 FlexKapGG regelt die Modalitäten zur Erteilung der Zustimmung, wobei der Gesellschaftsvertrag weitere Erfordernisse vorsehen kann. Darunter fallen etwa ein bestimmtes Präsenzquorum, höhere Stimmmehrheiten oder die Zustimmung bestimmter Gesellschafter.30 Die qualifizierte Stimmmehrheit ist uE nach unten hin zwingend und kann nicht durch eine geringere Mehrheit ersetzt werden.31 Inhaber von Unternehmenswertanteilen iSd §9 FlexKapGG müssen, wenn nichts anderes vereinbart wurde, der Ausgabe nicht zustimmen.32 Dadurch ist die Kompetenzverteilung klar geregelt33 und Unsicherheiten, die häufig bei Mezzaninkapital entstehen, werden verhindert.

Die Ausgabe sonstiger Finanzierungsinstrumente obliegt der Geschäftsführung, es bedarf aber eines Zustimmungsbeschlusses der Generalversammlung, womit die Gesellschafter in die Maßnahme einwilligen. Ebenso wie in der AG ist der Beschluss keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Ausgabe solcher Finanzierungsinstrumente, sondern nur eine interne Zustimmungspflicht.34 Bei Fehlen eines entsprechenden Beschlusses ist die Ausgabe sonstiger Finanzierungsinstrumente rechtswidrig und stellt eine Sorgfaltspflichtverletzung gem §1 Abs2 FlexKapGG iVm §25 GmbHG dar, die zu einer Schadenersatzpflicht der Geschäftsführung führen kann.35 Auf das Außenverhältnis wirkt sich das Fehlen eines Gesellschafterbeschlusses hingegen nicht aus, weshalb die Ausgabe nicht unwirksam ist.36 Anderes gilt aber bei einem Missbrauch der Vertretungsmacht.37

Die Generalversammlung kann die Geschäftsführung für eine Dauer von maximal fünf Jahren zur Ausgabe sonstiger Finanzinstrumente ermächtigen. Im Zeitraum der Ermächtigung müssen die Gesellschafter nicht abermals befasst werden. Dadurch wird die Flexibilität der Geschäftsführung erhöht, um auf ein geändertes Marktumfeld zu reagieren. Für den Ermächtigungsbeschluss ist – ebenso wie bei der Ausgabe –

29 Im Ergebnis auch Hartlieb, ÖJZ2023, 919.

30 Vgl dazu etwa Milchrahm/Rauter in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §50 Rz19; Diregger in U. Torggler, GmbHG (2014) §50 Rz5.

31 Vgl bei ähnlichem Wortlaut die Literatur zu §50 GmbHG, namentlich Milchrahm/ Rauter in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §50 Rz17; Diregger in U. Torggler, GmbHG, §50 Rz4. Anderes gilt bei §174 AktG, wo das Gesetz aber explizit vorsieht, dass die Satzung diese Mehrheit durch eine andere Kapitalmehrheit ersetzen kann; vgl dazu etwa Nagele/Lux in Artmann/Karollus, AktG6, §174 Rz20.

32 Vgl dazu Hartlieb, ÖJZ2023, 921.

33 Dies ist darauf zurückzuführen, dass es auf der einen Seite der Geschäftsführung obliegt, die Geschicke der Gesellschaft zu leiten, und auf der anderen Seite die Finanzierungsinstrumente in die Rechte und die Position der Gesellschafter eingreifen.

34 ErlRV 2320 BlgNR 27. GP, 14; zur AG etwa Edelmann in Napokoj/H. Foglar-Deinhardstein/Pelinka, AktG, §174 Rz22; Zollner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3, §174 Rz26; Nagele/Lux in Artmann/Karollus, AktG6, §174 Rz16; Eckert/Schopper/ Walcher in Eckert/Schopper, AktG-ON, §174 Rz23; Winner in MünchKomm AktG5, §221 Rz467.

35 Zollner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3, §174 Rz26; Nagele/Lux in Artmann/Karollus, AktG6, §174 Rz16; Winner in MünchKomm AktG5, §221 Rz467; Florstedt in Kölner Komm AktG3, §221 Rz205.

36 Zur AG Zollner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3, §174 Rz26; Winner in MünchKomm AktG5, §221 Rz467; Florstedt in Kölner Komm AktG3, §221 Rz202.

37 Siehe A. Baumgartner/U. Torggler in Klang, ABGB3, §1016 Rz16ff; Zehentmayer, Missbrauch der organschaftlichen Vertretungsmacht (2017) 114.

eine qualifizierte Mehrheit erforderlich.38 Im Unterschied zum Ausgabebeschluss wird die Geschäftsführung nicht zur Ausgabe verpflichtet, sondern – zeitlich befristet – ermächtigt.39 Das Volumen der Ausgabe sonstiger Finanzierungsinstrumente ist gesetzlich nicht begrenzt. Eine Beschränkung auf die Hälfte des Stammkapitals (wie etwa beim genehmigten Kapital in §21 FlexKapGG) ist nicht vorgesehen.40 Daher obliegt die Regulierung der Ausgabe sonstiger Finanzierungsinstrumente den Gesellschaftern. Der Schutzzweck der Norm verlangt sogar, dass der Beschluss – bei sonstiger Anfechtbarkeit – wesentliche Elemente der Ausgabe vorgibt: Dies betrifft die Art des Finanzierungsinstruments, das Volumen sowie die wesentlichen damit verbundenen Rechte.41 Ist eine solche Erlaubnis erteilt, kann die Geschäftsführung ohne erneute Rücksprache mit den Gesellschaftern Finanzierungsinstrumente ausgeben.

Dies erhöht die Flexibilität der Geschäftsführung, wodurch die FlexCo schneller auf ihr Marktumfeld reagieren kann. Es gilt jedoch zu beachten, dass die Geschäftsführung in der FlexCo weisungsgebunden ist (§1 Abs2 FlexKapGG iVm §20 Abs1 GmbHG), weshalb die Generalversammlung der Geschäftsführung Weisungen zur Ausübung oder zum Unterlassen der Ausgabe dieser Finanzierungsinstrumente erteilen kann. Fraglich ist dabei, mit welcher Mehrheit der Weisungsbeschluss gefasst werden muss. Dabei wären zwei Lösungen denkbar: 1.) entweder mit einfacher Mehrheit oder 2.) mit qualifizierter Mehrheit. Für die einfache Mehrheit spricht, dass das Gesetz erhöhte Mehrheitserfordernisse grundsätzlich explizit vorsieht und Weisungsbeschlüsse im Regelfall mit einfacher Mehrheit gefasst werden. Für die qualifizierte Mehrheit kann vorgebracht werden, dass durch eine Weisung in den Ermächtigungsbeschluss eingegriffen werden kann, welcher eben einer qualifizierten Mehrheit bedarf. Darüber hinaus kann durch eine Weisung an die Geschäftsführung ein Eingriff in die Organisationsstruktur und den Gesellschaftsvertrag bewirkt werden. Zudem ist auch für das genehmigte Kapital in §21 FlexKapGG explizit vorgesehen, dass Weisungen über Geschäftsanteile oder die Bedingungen ihrer Ausgabe dieselbe Mehrheit wie bei der Ermächtigung erfordern. Vor allem aus Letzterem kann uE eine Wertung abgeleitet werden, weshalb in der Zusammenschau die besseren Argumente für eine qualifizierte Mehrheit bei Weisungsbeschlüssen iZm §22 Abs2 FlexKapGG sprechen. Eine gesetzliche Erwähnung oder ein Verweis auf §21 FlexKapGG in den Materialien wäre aber hilfreich gewesen. Ebenso kann die Ermächtigung zur Ausgabe solcher Finanzierungsinstrumente jederzeit entzogen werden. Dies hat aber keine Auswirkungen auf bereits ausgegebene sonstige Finanzierungsinstrumente.

Zuletzt ist in der Norm festgelegt, dass den Gesellschaftern bei Finanzierungsinstrumenten des §22 FlexKapGG ein Bezugsrecht zusteht und dafür wird auf die sinngemäße Anwendung von §52 Abs3 GmbHG verwiesen. Demnach

38 Vgl Nagele/Lux in Artmann/Karollus, AktG6, §174 Rz19; Zollner in Doralt/Nowotny/ Kalss, AktG3, §174 Rz39.

39 Zollner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3, §174 Rz39; Winner in MünchKomm AktG5, §221 Rz475.

40 Wie dies mit dem Gesellschafterschutz vereinbar ist, darf hinterfragt werden; schließlich bestehen dieselben Gefahren (Verwässerung, Machtzunahme Fremdkapitalgeber, Missbrauchsgefahr) wie beim genehmigten Kapital.

41 Winner in MünchKomm AktG5, §221 Rz475; Nagele/Lux in Artmann/Karollus, AktG6, §174 Rz21; Zollner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3, §174 Rz27.

haben die bisherigen Gesellschafter binnen vier Wochen vom Tag der Beschlussfassung über die Ausgabe eines Finanzierungsinstruments ein Vorrecht zur Übernahme dieser nach dem Verhältnis ihrer bisherigen Beteiligung. Das Bezugsrecht wird dadurch gewahrt, dass die Gesellschafter die jeweiligen sonstigen Finanzierungsinstrumente anteilig zu ihrer bisherigen Beteiligung zeichnen. Dies ist konsequent, weil durch diese Finanzierungsinstrumente in die Rechte der Gesellschafter eingegriffen wird und sie verwässert werden könnten (bei Wandelfinanzierungsinstrumenten) oder ihren Gewinn mit den Inhabern der Finanzierungsinstrumente teilen müssen (zB bei Gewinnschuldverschreibungen). Eine ähnliche Bestimmung findet sich bereits in §174 AktG; beachtlich ist dabei, dass bei ersten Entwürfen dieser Bestimmung das Bezugsrecht den Inhabern bereits gewährter Hybridrechte zustand und dahin gehend abgeändert wurde, dass die Aktionäre ein solches haben.42 Dem entspricht auch §22 Abs3 FlexKapGG, wonach den Gesellschaftern ein Bezugsrecht zusteht. Inhaber von Unternehmenswertanteilen haben nach §9 Abs2 FlexKapGG, soweit nichts anderes im Gesellschaftsvertrag vorgesehen ist, kein Bezugsrecht.43

Das Bezugsrecht kann für Gesellschafter der FlexCo ausgeschlossen werden.44 Hierfür gibt es zwei Alternativen: Es kann – ebenso wie bei der Kapitalerhöhung einer GmbH45 –eine entsprechende Regelung im Gesellschaftsvertrag vorgesehen sein, welche das Bezugsrecht für hybride Finanzierungsinstrumente ausschließt. Bei einer nachträglichen Aufnahme eines solchen Bezugsrechtsausschlusses im Gesellschaftsvertrag bedarf es der Zustimmung der betroffenen Gesellschafter.46 Die nachträgliche Einräumung eines Bezugsrechts zugunsten eines einzigen Gesellschafters erfordert die Einwilligung der übrigen Gesellschafter.47 Wird das Bezugsrecht für alle Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen, bedarf es somit der Zustimmung aller Gesellschafter.48

Alternativ kann der Ausschluss vom Bezugsrecht per Beschluss der Gesellschafter erfolgen49 (etwa im Zuge der Beschlussfassung über die Ausgabe eines Finanzinstruments). Für einen derartigen Beschluss bedarf es zumindest einer Dreiviertelmehrheit der abgegebenen Stimmen und aufgrund der Intensität des Eingriffs in die Mitgliedschaftsrechte der Gesellschafter darüber hinaus bei Finanzierungsinstrumenten, die Bezugs- oder Wandlungsrechte vermitteln, einer sachlichen Rechtfertigung.50 Ob es Letzterer auch bei Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechten bedarf, ist um-

42 Bezogen auf den Aktienrechtsentwurf 1930, damals die Wandelschuldverschreibung in §194 leg cit, vgl Florstedt in Kölner Komm AktG3, §221 Rz3.

43 Vgl ErlRV 2320 BlgNR 27. GP, 5.

44 ErlRV 2320 BlgNR 27. GP, 14.

45 Billek/Ettmayer/Ratka/Jost in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §52 Rz51ff; J. Prinz in H. Foglar-Deinhardstein/Aburumieh/Hoffenscher-Summer, GmbHG, §52 Rz28.

46 Billek/Ettmayer/Ratka/Jost in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §52 Rz52; J. Prinz in H. Foglar-Deinhardstein/Aburumieh/Hoffenscher-Summer, GmbHG, §52 Rz28; M. Heidinger/Prechtl in Gruber/Harrer, GmbHG2 (2018) §52 Rz29.

47 J. Prinz in H. Foglar-Deinhardstein/Aburumieh/Hoffenscher-Summer, GmbHG, §52 Rz28; Billek/Ettmayer/Ratka/Jost in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §52 Rz53.

48 J. Prinz in H. Foglar-Deinhardstein/Aburumieh/Hoffenscher-Summer, GmbHG, §52 Rz28; Diregger in U. Torggler, GmbHG, §52 Rz14; M. Heidinger/Prechtl in Gruber/ Harrer, GmbHG2, §52 Rz29; aA Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 (2007) §52 Rz13.

49 Vgl Billek/Ettmayer/Ratka/Jost in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §52 Rz54ff; J. Prinz in H. Foglar-Deinhardstein/Aburumieh/Hoffenscher-Summer, GmbHG, §52 Rz29.

50 Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht2, Rz3/203 und 3/927; Billek/ Ettmayer/Ratka/Jost in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §52 Rz59; Edelmann in Napokoj/H. Foglar-Deinhardstein/Pelinka, AktG, §174 Rz46f; Nagele/Lux in Artmann/ Karollus, AktG6, §174 Rz41f.

stritten.51 Hier kommt es darauf an, wie intensiv ein Finanzierungsinstrument die Interessen der Gesellschafter beeinträchtigt.52 Ein Genussrecht mit einer gewinnabhängigen Verzinsung bedarf uE etwa keiner sachlichen Rechtfertigung, da es sich um keinen starken Eingriff in die Gesellschafterrechte handelt.53

Erfolgt ein Bezugsrechtsausschluss im Zuge des Beschlusses über die Ausgabe von Finanzierungsinstrumenten, ist eine sachliche Rechtfertigung54 zu prüfen.55 Hier stellt sich die Frage, ob die Ausstattung der FlexCo mit zusätzlichen finanziellen Mitteln als sachliche Rechtfertigung für einen Bezugsrechtsausschluss genügt. Von der Lehre und der Rspr wird dies zum GmbH-Recht bisher unterschiedlich beantwortet: So wird einerseits vertreten, dass die Bereitschaft eines Gesellschafters oder Dritten zur Bezahlung eines höheren Ausgabebetrags den Bezugsrechtsausschluss allein nicht rechtfertigt.56 Andererseits wird vertreten, dass es für einen Bezugsrechtsausschluss genüge, über die zu übernehmende Stammeinlage hinausgehende finanzielle Zusatzleistungen zu erbringen, wenn die Leistung im Interesse der Gesellschaft notwendig ist und von den (übrigen) Gesellschaftern nicht erbracht werden kann.57 Es ist daher unsicher, ob der Liquiditätsbedarf allein für eine sachliche Rechtfertigung genügt. Andere anerkannte Rechtfertigungsgründe für einen Bezugsrechtsausschluss sind etwa das Eingehen einer strategischen Partnerschaft,58 ein Sanierungsbedarf59 oder die Beteiligung von Mitarbeitern.60 Werden sonstige Finanzierungsinstrumente unter Ausschluss des Bezugsrechts der (Mit-)Gesellschafter ausgegeben, ist daher regelmäßig eine Abwägung zu treffen, ob die Finanzierung der FlexCo die Beschneidung der Gesellschafterrechte rechtfertigt.

2.Einordnung

§22 FlexKapGG ist relativ knapp gehalten und regelt im Wesentlichen die Ausgabe von gewissen Finanzierungsinstrumenten, wobei ein Beschluss der Gesellschafter notwendig

51 Dafür etwa Nagele/Lux in Artmann/Karollus, AktG6, §174 Rz42; Zollner in Doralt/ Nowotny/Kalss, AktG3, §174 Rz58; Winner in MünchKomm AktG5, §221 Rz482; dagegen Eckert/Schopper/Walcher in Eckert/Schopper, AktG-ON, §174 Rz40.

52 Winner in MünchKomm AktG5, §221 Rz482; Habersack in MünchKomm AktG5, §221 Rz187.

53 Vgl auch Winner in MünchKomm AktG5, §221 Rz482; Habersack in MünchKomm AktG5, §221 Rz187.

54 Die Kriterien dafür sind allgemein das Gesellschaftsinteresse, die Erforderlichkeit und die Verhältnismäßigkeit; vgl dazu M. Heidinger/Prechtl in Gruber/Harrer, GmbHG2, §52 Rz32; J. Prinz in H. Foglar-Deinhardstein/Aburumieh/Hoffenscher-Summer, GmbHG, §52 Rz29; Billek/Ettmayer/Ratka/Jost in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §52 Rz58; vgl auch OGH 16.12.1980, 5 Ob 649/80.

55 Vgl nur Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3, §153 Rz139.

56 OGH 16.12.1980, 5 Ob 649/80; J. Prinz in H. Foglar-Deinhardstein/Aburumieh/ Hoffenscher-Summer, GmbHG, §52 Rz31; Billek/Ettmayer/Ratka/Jost in Straube/ Ratka/Rauter, GmbHG, §52 Rz77.

57 OGH 16.12.1980, 5 Ob 649/80; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3, §52 Rz16; J. Prinz in H. Foglar-Deinhardstein/Aburumieh/Hoffenscher-Summer, GmbHG, §52 Rz31; Billek/Ettmayer/Ratka/Jost in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §52 Rz77.

58 J. Prinz in H. Foglar-Deinhardstein/Aburumieh/Hoffenscher-Summer, GmbHG, §52 Rz31; Billek/Ettmayer/Ratka/Jost in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §52; Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3, §153 Rz151.

59 Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3, §52 Rz19a; Billek/Ettmayer/Ratka/Jost in Straube/ Ratka/Rauter, GmbHG, §52 Rz78; J. Prinz in H. Foglar-Deinhardstein/Aburumieh/ Hoffenscher-Summer, GmbHG, §52 Rz31; Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3, §153 Rz138. Dies könnte uE auch auf andere Lebenszeitpunkte der Gesellschaft erweitert werden, bei welchen diese bereits einen akuten Kapitalbedarf aufweist, aber der Sanierungsfall noch nicht eingetreten ist und die Mittel nicht anderwärtig beschafft werden können (notwendige Finanzierungssituation). Es wäre idZ unverhältnismäßig, auf den tatsächlichen Sanierungsfall warten zu müssen.

60 Billek/Ettmayer/Ratka/Jost in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §52 Rz79; J. Prinz in H. Foglar-Deinhardstein/Aburumieh/Hoffenscher-Summer, GmbHG, §52 Rz31; Diregger in U. Torggler, GmbHG, §52 Rz15.

ist und diesen ein Bezugsrecht zusteht. Der Regelungszweck liegt im Schutz bestehender Gesellschafter vor dem Eingriff in die Vermögensstruktur.61 Eine zivilrechtliche Grundlage für einzelne Finanzierungsinstrumente findet sich in der Bestimmung nicht. Ebenso wenig ist eine Absicherung der sonstigen Finanzierungsinstrumente durch die Norm geschaffen worden. Ein Transmissionsriemen, wie aus einem schuldrechtlichen Anspruch aus einem sonstigen Finanzierungsinstrument ein verbandsrechtlicher Anspruch entsteht, kann somit nicht aus §22 FlexKapGG abgeleitet werden. Dies ist vor allem bei jenen sonstigen Finanzierungsinstrumenten relevant, bei welchen die Inhaber eine Wandlungsmöglichkeit oder ein Bezugsrecht auf neue Anteile haben. Um eine Absicherung für sonstige Finanzierungsinstrumente zu gewährleisten, bestehen in der FlexCo verschiedene Möglichkeiten: Zum einen können Finanzierungsinstrumente des §22 FlexKapGG mit bedingtem Kapital unterlegt werden. Dies ergibt sich explizit aus §19 Abs2 Z1 FlexKapGG, welcher vorsieht, dass bedingtes Kapital zur Gewährung von Umtausch- oder Bezugsrechten an Gläubiger von Finanzierungsinstrumenten ausgegeben werden kann. Ebenso besteht die Möglichkeit, die Ansprüche durch genehmigtes Kapital zu sichern; dabei ist die Generalversammlung nicht mehr einzubinden. Darüber hinaus können die Ansprüche auch durch eine ordentliche Kapitalerhöhung abgesichert werden, wobei dabei zusätzlich eine schuldrechtliche Vereinbarung mit den Gesellschaftern vorteilhaft ist.

Der Gesetzgeber hat mit §22 FlexKapGG nicht vollkommenes Neuland betreten, sondern sich an §174 AktG orientiert. Diese Anlehnung an der aktienrechtlichen Bestimmung ergibt sich aus den Materialien.62 Auch Aufbau und Inhalt der Norm gleichen §174 AktG. Diese regelt ebenso die Kompetenzverteilung und das Bezugsrecht. Anders als §22 FlexKapGG ist die Bestimmung abschließend und beschränkt sich ausschließlich auf die Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte. Aufgrund der dynamischen Entwicklung hybrider Finanzierungsinstrumente hat sich der Gesetzgeber bei der FlexCo für eine offene Formulierung entschieden.63

Das GmbHG beinhaltet keine an §174 AktG oder §22 FlexKapGG angelehnte Bestimmung. Dies ist wohl auch darauf zurückzuführen, dass das GmbHG keine Sonderformen der Kapitalerhöhung kennt,64 welche für die Absicherung von Mezzaninfinanzierungsinstrumenten von Bedeutung sind. Dennoch bedeutet dies aber nicht, dass es für GmbHs unmöglich ist, hybride Finanzierungsinstrumente auszugeben. Viele Start-ups finanzieren sich etwa durch Wandeldarlehen,65

61 Für die AG Zollner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3, §174 Rz2.

62 Vgl ErlRV 2320 BlgNR 27. GP, 14.

63 ErlRV 2320 BlgNR 27. GP, 14.

64 Diregger in U. Torggler, GmbHG, §52 Rz2; Billek/Ettmayer/Ratka/Jost in Straube/ Ratka/Rauter, GmbHG, §52 Rz2; J. Prinz in H. Foglar-Deinhardstein/Aburumieh/ Hoffenscher-Summer, GmbHG, §52 Rz3; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3, §52 Rz3; M. Heidinger/Prechtl in Gruber/Harrer, GmbHG2, §52 Rz2.

65 Vgl dazu etwa Schönhaar, Wandeldarlehen als Finanzierungsinstrument, GWR 2016, 6; M. Fischer, Wandeldarlehen, 20; Lorenz/Heuzeroth, Convertible Loans (Wandeldarlehen) mit qualifiziertem Rangrücktritt – Gelddarlehen nach §285 Abs.2 KAGB? RdF 2020, 170; Hoenig, Haftung von Kapitalgesellschaften für falsche Informationen außerhalb des Anwendungsbereichs des KMG, GES2019, 407 (417); Puchner/Gloser, Ertragsteuerliche Behandlung von Wandeldarlehen, SWK 2019, 372; Aburumieh/Hoppel, Das kleine Einmaleins der Gesellschafterfinanzierung (Teil II), RdW 2020, 830; Herzog/Knotzer, Treuhandbeteiligung an einer GmbH – zu klein um wahr zu sein? GES2020, 353 (360).

welche dem Mezzaninkapital zugerechnet werden.66 Ebenso ist die Ausgabe von Genussrechten67 oder Wandelschuldverschreibungen68 bei der GmbH anerkannt. Mangels Absicherungsinstrumenten ist die Ausgabe aber im Vergleich zur AG und nunmehr zur FlexCo mit Unsicherheiten behaftet.

III.Anwendungsbereich

1.Fallgruppen und dynamische Ausgestaltung

Die in §22 FlexKapGG enthaltene Aufzählung ist demonstrativ. Die Materialien stellen hierzu ausdrücklich klar, dass auch weitere verbriefte oder unverbriefte Finanzierungsinstrumente erfasst werden, die eine Umwandlung in Anteile oder ein Bezugsrecht gewähren. Aufgrund der dynamischen Entwicklung in diesem Bereich hat der Gesetzgeber auf eine explizite Nennung einzelner Finanzierungsinstrumente verzichtet.69 Dies spricht für eine weite Auslegung des Anwendungsbereichs.70 Es ist daher stets im Einzelfall zu klären, ob ein Finanzierungsinstrument von §22 FlexKapGG erfasst wird. Zur Abgrenzung ist der Normzweck (der Schutz bisheriger Gesellschafter)71 heranzuziehen:72 Demnach sind jene Finanzierungsinstrumente nach Maßgabe des §22 FlexKapGG zulässig, die zumindest wirtschaftlich in die Stellung der Gesellschafter eingreifen.73 Instrumente, die nicht in diesen Anwendungsbereich fallen, sind deshalb nicht unzulässig, sondern können ohne Einbindung der Gesellschafter ausgegeben werden.74

2.Einzelne Finanzierungsinstrumente

2.1.Wandeldarlehen und Wandelschuldverschreibungen sowie Optionsanleihen

Unter den Voraussetzungen des §22 FlexKapGG ist die Ausgabe von Finanzierungsinstrumenten, die ein Umtausch- oder Bezugsrecht auf Anteile der FlexCo begründen, zulässig. Hierzu zählen Wandelschuldverschreibungen (convertible bonds), die neben dem Anspruch auf Rückzahlung zum Bezug von Anteilen berechtigen,75 sowie Wandeldarlehen (convertible loans), die zum Umtausch in Anteile berechtigen.76 Nicht entscheidend ist, ob ein unabhängiger Anspruch auf ein Umtausch- oder Bezugsrecht vermittelt wird. Daher werden auch Optionsanleihen (warrant bonds), die neben der Rückzahlung

66 Vgl Lorenz/Heuzeroth, RdF 2020, 170; Klingberg, GmbH-Organzuständigkeiten bei Mezzanine-Finanzierungen, in FS Westermann (2008) 1087 (1108f); M. Kraus in Weitnauer, Venture Capital7, Teil C Rz213ff; M. Fischer, Wandeldarlehen, 27 und 106ff.

67 Vgl Ch. Nowotny in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht2, Rz4/358; ReichRohrwig, Das österreichische GmbH-Recht I2 (1997) Rz1/426; Six, Hybride Finanzierung, 24.

68 Siehe dazu Ch. Nowotny in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht2, Rz4/358; implizit auch Reich-Rohrwig, GmbH-Recht I2, Rz3/86.

69 ErlRV 2320 BlgNR 27. GP, 14.

70 Zollner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3, §174 Rz9; Winner in MünchKomm AktG5, §221 Rz443.

71 Vgl Eckert/Schopper/Walcher in Eckert/Schopper, AktG-ON, §174 Rz3; Zollner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3, §174 Rz2; Nagele/Lux in Artmann/Karollus, AktG6, §174 Rz2.

72 Hartlieb, ÖJZ2023, 919; Winner in MünchKomm AktG5, §221 Rz443; Haberssack in MünchKomm AktG5, §221 Rz3; Koch, AktG17 (2023) §221 Rz1; vgl auch Eckert/Schopper/Walcher in Eckert/Schopper, AktG-ON, §174 Rz14.

73 Winner in MünchKomm AktG5, §221 Rz443.

74 Vgl Winner in MünchKomm AktG5, §221 Rz443.

75 Vgl Winner in MünchKomm AktG5, §221 Rz444; Eckert/Schopper/Walcher in Eckert/Schopper, AktG-ON, §174 Rz7.

76 Vgl Eckert/Schopper/Walcher in Eckert/Schopper, AktG-ON, §174 Rz10; Winner in MünchKomm AktG5, §221 Rz445.

des Nennwerts ein davon unabhängiges Bezugsrecht begründen,77 erfasst. Um §22 FlexKapGG zu unterfallen, muss das Umtausch- oder Bezugsrecht eines Finanzierungsinstruments sich auf Anteile beziehen, nicht aber auf assets der Gesellschaft.78 Es macht dabei keinen Unterschied, ob sich das Umtausch- oder Bezugsrecht auf Anteile oder Unternehmenswertanteile bezieht. In beiden Fällen besteht die Gefahr einer Beeinträchtigung von Gesellschafterrechten, weshalb §22 FlexKapGG zu beachten ist. Die vermögensrechtliche Stellung der Gesellschafter kann ebenso beeinträchtigt werden, wenn sich ein Umtausch- oder Bezugsrecht auf eigene Anteile der FlexCo bezieht.79 Nach dem Normzweck unterfallen daher auch derartige Finanzinstrumente §22 FlexKapGG.80

Der Wortlaut des §22 FlexKapGG stellt nur auf Anteile der FlexCo ab und lässt daher offen, wie mit Finanzinstrumenten umzugehen ist, die Umtausch- oder Bezugsrechte an verbundenen Gesellschaften oder Dritten gewähren. Während Letztere mangels potenzieller Beeinträchtigung von Gesellschafterrechten §22 FlexKapGG nicht unterfallen, ist dies zumindest für Anteile von Tochtergesellschaften anzunehmen.81 Beziehen sich Umtausch- und Bezugsrechte auf Anteile von Gesellschaften, an welchen die FlexCo eine Beteiligung hält, kommt es für die Anwendung des §22 FlexKapGG darauf an, ob mit der Ausgabe eine Gefahr der Verwässerung ihrer Gesellschafterrechte besteht. Hier wird es im Einzelfall auf den Umfang und den Wert der gehaltenen Beteiligung ankommen.82

2.2.Gewinnschuldverschreibungen

Ausweislich der Materialien unterfallen §22 FlexKapGG auch Schuldverschreibungen, die mit den Gewinnen von Gesellschaftern verbunden sind (income notes).83 Neben einem Anspruch auf Rückzahlung der geschuldeten Summe gewähren sie ihrem Inhaber eine Gewinnbeteiligung am emittierenden Unternehmen.84 Zusätzlich kann dem Inhaber der Gewinnschuldverschreibung nach den Anleihebedingungen bspw eine gewinn- oder ergebnisorientierte Verzinsung oder Zuzahlung zustehen.85 Bei welcher Ausgestaltungsform einer Gewinnschuldverschreibung §22 FlexKapGG zu beachten ist, wird weder im Gesetz noch in den Materialien klargestellt. Auch §174 AktG enthält dahin gehend keine Klarstellung.86 Für die Anwendung ist es entscheidend, dass intensiv genug in die Rechte der Gesellschafter eingegriffen wird. Ist dies nicht der Fall, besteht nach dem Normzweck kein Bedarf nach einer Einbindung der Gesellschafter. §22 FlexKapGG ist daher nicht auf rein gewinnabhängig ausgestaltete Gewinnschuldverschreibungen, deren Auszahlung nur bei Vorliegen

77 Vgl Winner in MünchKomm AktG5, §221 Rz445; Eckert/Schopper/Walcher in Eckert/ Schopper, AktG-ON, §174 Rz11.

78 Nagele/Lux in Artmann/Karollus, AktG6, §174 Rz11; Zollner in Doralt/Nowotny/ Kalss, AktG3, §174 Rz13; Winner in MünchKomm AktG5, §221 Rz447.

79 Hartlieb, ÖJZ2023, 919; vgl auch Nagele/Lux in Artmann/Karollus, AktG6, §174 Rz7; Zollner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3, §174 Rz14.

80 Michael Taufner/Herzer, ÖBA 2012, 588; Winner in MünchKomm AktG5, §221 Rz444.

81 Vgl Winner in MünchKomm AktG5, §221 Rz447.

82 IdS wohl Winner in MünchKomm AktG5, §221 Rz447, der auf die Bedeutung der Gesellschaft innerhalb des Konzerns abstellt.

83 ErlRV 2320 BlgNR 27. GP, 14.

84 Eckert/Schopper/Walcher in Eckert/Schopper, AktG-ON, §174 Rz13; Nagele/Lux in Artmann/Karollus, AktG6, §174 Rz14.

85 Vgl Winner in MünchKomm AktG5, §221 Rz450; Nagele/Lux in Artmann/Karollus, AktG6, §174 Rz14; Zollner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3, §174 Rz18.

86 Siehe nur Zollner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3, §174 Rz18.

von Gewinnen erfolgt, anwendbar.87 Knüpfen die Anleihebedingungen an Gewinne von Dritten bzw nicht verbundene Gesellschaften an, ist §22 FlexKapGG ebenfalls nicht anwendbar.88 Der Umstand, dass es sich bei Gewinnschuldverschreibungen um eine Sonderform des – ebenfalls von §22 FlexKapGG erfassten – Genussrechts handelt, ändert daran nichts.89

2.3.Genussrechte

§22 FlexKapGG nennt Genussrechte (profit-sharing rights), die weder im Gesetz noch in den Materialien definiert werden. Auch sonst besteht keine gesetzliche Definition von Genussrechten.90 Nach hA handelt es sich um Dauerschuldverhältnisse ohne Mitwirkungsrechte,91 die typischerweise eine Beteiligung am Unternehmenserfolg gewähren.92 Bei der Ausgestaltung bestehen weitgehende Freiheiten.93 Es stellt sich daher auch bei Genussrechten die Frage, wann §22 FlexKapGG zu beachten ist. Entscheidend ist, ob durch die Ausgestaltung der Normzweck beeinträchtigt wird.94 Hingegen ist es irrelevant, ob das Genussrecht verbrieft ist (sog Genussschein) oder nicht. Auch auf das Volumen der emittierten Genussrechte kommt es nicht an,95 sondern auf die Beeinträchtigung der Gesellschafterrechte durch die Genussrechtsbedingungen.96

2.4.Vereinbarung über eine künftige Beteiligung und weitere Finanzierungsinstrumente §22 FlexKapGG ist nicht abschließend; daher können weitere Finanzierungsinstrumente, die zur Umwandlung in Anteile berechtigen oder ein Bezugsrecht gewähren, erfasst sein.97 Hierzu zählen auch sog simple agreements for future equity, die –ähnlich wie Wandeldarlehen – für die Zurverfügungstellung von Kapital bei Eintritt bestimmter Umstände die Pflicht zur Wandlung in Anteile oder Bezugsrechte vorsehen.98 Im Unterschied zu Wandeldarlehen sieht ein simple agreement for future equity häufig keine Rückzahlung oder Verzinsung vor99 und hat eine unbegrenzte Laufzeit.100 Auch sog Venture-dept-

87 Hartlieb, ÖJZ2023, 919; Winner in MünchKomm AktG5, §221 Rz450; Zollner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3, §174 Rz18; Eckert/Schopper/Walcher in Eckert/ Schopper, AktG-ON, §174 Rz14; Karollus, Anwendbarkeit des §174 AktG auch auf bloß „gewinnabhängige“ Titel? GesRZ2009, 209 (210).

88 Nagele/Lux in Artmann/Karollus, AktG6, §174 Rz15; Winner in MünchKomm AktG5, §221 Rz443 FN 1437.

89 Siehe Pkt III.2.3.

90 VwGH 18.11.2008, 2006/15/0050 ua; S. Bergmann, Genussrechte, 56; Nagele/Lux in Artmann/Karollus, AktG6, §174 Rz26; ebenso im deutschen Recht; vgl nur K. Schmidt in MünchKomm HGB4, §230 Rz100.

91 Siehe etwa S. Bergmann, Genussrechte, 82f; ders, ecolex 2017, 45; T. Hayden/Thorbauer/Gröhs, Sanierungsinstrumente für Gesellschaften in der „Krise“, PSR 2020, 125 (132); aA Krejci/van Husen, Über Genussrechte, Gesellschafterähnlichkeit, stille Gesellschaften und partiarische Darlehen, GesRZ2000, 54 (57).

92 Winner in MünchKomm AktG5, §221 Rz451; S. Bergmann, Genussrechte, 48.

93 RIS-Justiz RS0117291; Edelmann in Napokoj/H. Foglar-Deinhardstein/Pelinka, AktG, §174 Rz13; Winner in MünchKomm AktG5, §221 Rz451.

94 Zollner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3, §174 Rz19; Edelmann in Napokoj/H. FoglarDeinhardstein/Pelinka, AktG, §174 Rz13.

95 Wünsch, Der Genußschein iSd §174 AktG als Instrument der Verbriefung privatrechtlicher Ansprüche, in FS Strasser (1983) 871 (877).

96 Winner in MünchKomm AktG5, §221 Rz452; Zollner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3, §174 Rz19; Zollner/Simonishvili, Verwässerungsschutz im Verschmelzungsrecht, GesRZ2013, 182 (186).

97 ErlRV 2320 BlgNR 27. GP, 14; vgl auch Ph. Kinsky/A. Kurz, Finanzierungsrunden bei der Flexiblen Kapitalgesellschaft, ecolex 2023, 912.

98 Gewessler/Gloser/Puchner, Bilanzielle Behandlung eines SAFE (Simple Agreement for Future Equity), SWK 2022, 1321; Klinger/Mayrhuber, Das Neue Finanzierungsund Beteiligungsmodell – Do it the SAFE Way, RdW 2023, 389; vgl auch Zitzelsberger, Frühphasenfinanzierung für Startups durch das „Simple agreement for future equity“ („SAFE“), GWR 2023, 82.

99 Ph. Kinsky/A. Kurz, ecolex 2023, 915.

100 Zitzelsberger, GWR 2023, 84.

Finanzierungsinstrumente, die neben vereinbarten Zinsen auch Bezugsrechte vermitteln, fallen ebenfalls unter §22 FlexKapGG. Von §22 FlexKapGG werden auch Finanzierungsinstrumente erfasst, die Gläubiger mit Gewinnanteilen von Gesellschaftern in Verbindung bringen. Hierzu zählen zB Gewinnabführungsverträge, die Begründung einer stillen oder atypisch stillen Gesellschaft oder die Aufnahme eines partiarischen Darlehens, da sie jeweils eine Beteiligung am Gewinn der FlexCo vermitteln. Ein Nachrangdarlehen begründet grundsätzlich keine Beteiligung am Unternehmensgewinn. In der Praxis wird bei der Finanzierung von Start-ups und risikoreichen Unternehmen häufig das Nachrangdarlehen mit einer gleichzeitigen Beteiligung am Gewinn ausgegeben. Eine solche Gestaltung ist hingegen von §22 FlexKapGG erfasst.

Die Bestimmung ist aufgrund der dynamischen Entwicklung im Bereich der Finanzierungsformen bewusst offen gestaltet. Es können daher auch nicht explizit genannte weitere Finanzierungsinstrumente §22 FlexKapGG unterfallen. Dies ist anzunehmen, wenn 1.) ein Umtausch- oder Bezugsrecht auf Anteile begründet wird, 2.) an Gewinnanteile der Gesellschafter angeknüpft wird oder 3.) es auf andere Art und Weise zu einer Verwässerung der Gesellschafterrechte kommt.

IV.Vor- und Nachteile der Mezzaninfinanzierung

1.Perspektive der Gesellschaft und der Gesellschafter Generell lässt sich festhalten, dass durch die gesetzliche Verankerung von Mezzaninfinanzierungsinstrumenten diese Finanzierungsform eine gewisse Legitimität und Rechtssicherheit erlangt hat. Dies wird sich positiv für kapitalsuchende FlexCos auswirken. Welche konkreten Vor- und Nachteile die Finanzierung durch hybrides Kapital hat, kann aber am übersichtlichsten geteilt beantwortet werden. Denn je nach Betrachtungsweise (aus Perspektive der Gesellschaft und der Gesellschafter oder jener des Kapitalgebers) ergeben sich unterschiedliche Vor- und Nachteile dieser Art der Finanzierung. Diese Differenzierung gilt vor allem dann, wenn keine Personenidentität zwischen Gesellschaftern und Kapitalgebern besteht, was häufig der Fall ist.101 Für die FlexCo und deren Gesellschafter ist vorteilhaft, dass Mezzaninkapital im Regelfall schnell zur Verfügung steht, weil sich zu Beginn Fragen des Bezugsrechts und einer etwaigen Verwässerung oder Bewertung der Gesellschaft nicht im selben Ausmaß stellen.102 Ebenso wird häufig die Nachrangigkeit des Kapitals vereinbart, wobei es sich dabei im Regelfall um eine Nachrangigkeit gegenüber anderen Gläubigern der Gesellschaft, jedoch um Vorrangigkeit gegenüber den Gesellschaftern im Falle der Insolvenz handelt.103 Es ist darüber hinaus vorteilhaft, dass die Vergütung bei hybriden Finanzierungsinstrumenten häufig gewinnabhängig ist. Dadurch wird die Gesellschaft in Zeiten der Verlustsituation nicht weiter belastet.104 Dahin gehend kann durch die Vereinbarung einer gewinnabhängigen Vergütung auch verhindert werden, dass die Rendite überproportional hoch im Vergleich

101 Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Gesellschafter andere Möglichkeiten haben, die Gesellschaft mit Kapital auszustatten (etwa durch Kapitalerhöhungen, Zuschüsse, Nachschüsse oder Gesellschafterdarlehen).

102 Vgl E. Eberhartinger/Knesl, Hybride Finanzierungsmittel, 110f.

103 Gündel/Katzorke, Private Equity, 25; Gündel/Hirdes, BC 2005, 206.

104 E. Eberhartinger/Knesl, Hybride Finanzierungsmittel, 110.

zum Jahresüberschuss ausfällt.105 Darüber hinaus kann die FlexCo während der Laufzeit etwaige anfallende Zinsen von den Ausgaben abziehen. Aus der Gesellschafterperspektive ist hervorzuheben, dass die zumindest temporäre Verhinderung von Stimmrechts- und damit einhergehenden Einflussverlusten durch die schuldrechtliche Ausgestaltung attraktiv ist, ähnlich wie bei einem Fremdkapitalkredit.106

Es gilt jedoch zu beachten, dass es sich bei jenen Finanzierungsinstrumenten, die eine Wandlungsoption oder einen Bezugsrechtsanspruch beinhalten, nur um einen vermeintlichen Vorteil handelt, denn der Stimmrechtsverlust und die Verwässerung treten dabei möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt ein.107 Die Probleme sind damit nicht generell aus der Welt geschaffen, sondern nur vorübergehend aufgeschoben. Eine Gefahr für die Gesellschaft und ihrer Gesellschafter besteht idZ darin, dass der Preis für die Anteile durch caps and discounts gering ist und daher wenig Kapital zugeführt wird. Dies tritt vor allem ein, wenn feste Beteiligungshöhen vereinbart werden und der Wert der Gesellschaft während der Laufzeit steigt. Zuletzt kann durch die etwaigen Nebenvereinbarungen und Verpflichtungen, welche gegenüber dem Inhaber von Finanzierungsinstrumenten eingegangen werden, die Attraktivität der Gesellschaftsbeteiligung für zukünftige Geldgeber verringert werden.

2.Perspektive der Kapitalgeber

Für den Kapitalgeber sind Mezzaninfinanzierungsinstrumente eine Art der Vermögensanlage. Je nach Ausgestaltung besteht häufig neben einer Verzinsungskomponente zu einem späteren Zeitpunkt die Möglichkeit, anstatt der Rückzahlung der Finanzierungsvaluta einen Anteil an der Gesellschaft durch Wandlungs- oder Bezugsoptionen zu meist vorteilhaften Konditionen zu erwerben. Entscheidet sich der Kapitalgeber hingegen gegen eine Ausübung der Wandel- oder Bezugsrechtsoption, steht immer noch der Anspruch auf Rückzahlung des Kapitals zu. Dadurch hat der Mezzaninkapitalgeber die Möglichkeit, die tatsächliche Beteiligung an der Gesellschaft hinauszuschieben, um deren Entwicklung zu beobachten und die Vor- und Nachteile abzuwägen und während der Laufzeit des Finanzierungsinstruments das Unternehmen und die übrigen Gesellschafter kennenzulernen. Der Finanzierer trägt aber in dieser Zeit keinerlei Verantwortung für die FlexCo und kann dennoch am Unternehmenserfolg partizipieren (zB Gewinnschuldverschreibung) und ebenso vom Wertzuwachs der FlexCo profitieren (zB Wandelschuldverschreibungen, Bezugsrechtsoptionen).

Ein wesensimmanenter Nachteil für den Kapitalgeber besteht darin, dass dieser zu Beginn der Finanzierungsbeziehung Kapital an die Gesellschaft gibt, aber keine Möglichkeit hat, verbandsrechtlich an der Willensbildung der FlexCo mitzuwirken, und nur einen begrenzten Informationsanspruch hat. Obwohl er daher Kapitalrisiko trägt, hat er nur begrenzte Einflussmöglichkeiten. Schuldrechtliche Vereinbarungen im Rahmen von Stimmbindungsverträgen können dahin gehend

105 Vgl E. Eberhartinger/Knesl, Hybride Finanzierungsmittel, 110; siehe auch Gündel/ Katzorke, Private Equity, 25.

106 Vgl M. Kraus in Weitnauer, Venture Capital7, Teil C Rz171; Gündel/Katzorke, Private Equity, 25; siehe zur Einräumung von Mitwirkungsrechten ausführlich Oelke, Mittelstandsfinanzierung im gesellschafts- und kapitalmarktrechtlichen Wandel (2006) 99.

107 Vgl auch Weitnauer in Weitnauer, Venture Capital7, Teil A Rz3.

nur bedingt Absicherung schaffen, vor allem kann ihnen als Dritten kein Stimmrecht eingeräumt werden.108 Es können jedoch umfassende Informationsrechte109 und Teilnahmerechte vereinbart werden.110

Für den Kapitalgeber besteht vor allem dann ein Risiko, wenn das Finanzierungsinstrument und die daraus entstehenden wechselseitigen Ansprüche nicht ordnungsgemäß abgesichert sind. Denn der Kapitalgeber hat eben nur begrenzte Möglichkeiten, die zugesicherten Rechte (wie etwa ein Wandlungs- oder Bezugsrecht) selbständig durchzusetzen. Es bedarf dafür der Mitwirkung der Gesellschafter der FlexCo. Etwas anderes gilt aber, wenn die Mezzaninfinanzierungsinstrumente mit bedingtem Kapital unterlegt sind. Ebenso bedarf es nicht der Mitwirkung der Gesellschafter, wenn der Geschäftsführung die Möglichkeit zur Ausgabe von Mezzaninkapitalinstrumenten eingeräumt wurde. Solche Ausgestaltungen werden voraussichtlich häufig gewählt werden, um das Risiko für den Kapitalgeber zu verringern.

V.Typische Vertragsparteien

Die soeben beschriebenen Anwendungsbereiche und die Vorund Nachteile sind stark mit deren typischen Vertragsparteien verwoben. Als zu finanzierende FlexCos hatte der Gesetzgeber vor allem Start-ups vor Augen.111 Grund dafür ist, dass sie häufig nicht über ausreichend Eigenkapital verfügen, um ihr Wachstum zu finanzieren. Mangels Sicherheiten scheidet eine klassische Finanzierung via Bankkredit idR aus.112 Die Beiziehung eines Investors kommt (insb in einer frühen Phase) selten in Betracht. Außerdem ist dies aus mehreren Gründen oft nicht vorteilhaft: Der Investor wird meist am Start-up beteiligt, was zu einer Verwässerung der Gründer führt und ihren Einfluss mindert. Dem Start-up können vom Investor auch bestimmte Verpflichtungen (wie die Ausschüttung von Gewinnen oder die Einhaltung gewisser Geschäftsziele) auferlegt werden. Als Alternative kommt daher eine Mezzaninfinanzierung infrage. Nicht nur für Start-ups, sondern auch für KMU kann diese Finanzierungsform attraktiv sein. Grund dafür ist ua, dass KMU typischerweise nach Unabhängigkeit streben, was ihnen durch eine Mezzaninfinanzierung zu-

108 Vgl dazu Noack in Noack/Servatius/Haas, GmbHG23 (2022) §47 Rz40; Altmeppen, GmbHG11 (2023) §47 Rz40; K. Schmidt in Scholz, GmbHG II12 (2021) §47 Rz14; Oelke, Mittelstandsfinanzierung, 99ff; Herfs, Einwirkung Dritter auf den Willensbildungsprozeß der GmbH (1994) 50.

109 Vgl etwa Jaritz/Probst, Familienunternehmen finanzieren Familienunternehmen, UnternehmerCircle 2021, 27.

110 A. Baumgartner/Mollnhuber/U. Torggler in U. Torggler, GmbHG, §38 Rz20; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3, §34 Rz11; Bankler/Ginthör/Thierrichter in Reich-Rohrwig/ Ginthör/Gratzl, Handbuch Generalversammlung der GmbH2 (2021) Rz2.14; Enzinger in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §34 Rz39f.

111 ErlRV 2320 BlgNR 27. GP, 1 und 3.

112 Weitnauer in Weitnauer, Venture Capital7, Teil A Rz4.

nächst ermöglicht wird.113 Je nach Ausgestaltung kann die Finanzierung auch dem Eigenkapital zugerechnet werden, was sich positiv auf die Bonität der KMU auswirkt.114 Dasselbe gilt für Familienunternehmen, welche den sofortigen Eintritt von familienfremden Investoren verhindern wollen und daher auf Mezzaninkapital zurückgreifen.115

Zu den typischen Vertragsparteien zählen mitunter auch Venture-capital- und Private-equity-Gesellschaften. Typischerweise beteiligen sie sich als Gesellschafter und sind am Unternehmen beteiligt, gewähren darüber hinaus aber häufig zusätzliches Mezzaninkapital.116 Grund dafür ist ua, dass damit eine höhere Rendite verbunden ist, da diese regelmäßig höher verzinst sind als klassische Fremdfinanzierungen.117 Wird ein Eigentümerwechsel oder ein Exit angestrebt, kann das Mezzaninkapital umgewandelt und veräußert werden.

VI.Conclusio

Mit §22 FlexKapGG hat der Gesetzgeber der FlexCo einen offen gestalteten Rechtsrahmen für Mezzaninfinanzierungen beigegeben. Ein solcher fehlt bei der GmbH nach wie vor, ist aber bereits aus dem AktG bekannt. Voraussetzung für die Ausgabe von sonstigen Finanzierungsinstrumenten ist ein Beschluss der Gesellschafter. Hierfür ist eine Dreiviertelmehrheit der abgegebenen Stimmen notwendig, wobei dieses Quorum nach unten hin zwingend ausgestaltet ist. Mangels abweichender Regelung im Gesellschaftsvertrag ist der Beschluss in einer Generalversammlung zu fassen. Den Gesellschaftern steht dabei ein Bezugsrecht zu, um einer Verwässerung entgegenzuwirken. Mezzaninfinanzierungen haben diverse Vorteile (wie die schnelle Verfügbarkeit des Kapitals und Möglichkeiten zur flexiblen Ausgestaltung). Im Unterschied zur GmbH können ausgegebene Finanzierungsinstrumente auch mit bedingtem und genehmigtem Kapital unterlegt werden. Mezzaninfinanzierung ist eine sinnvolle Alternative zu klassischen Finanzierungen, vor allem weil sich zu Beginn im Regelfall die Gesellschafterstruktur nicht ändert. Es ist daher davon auszugehen, dass FlexCos (und dabei nicht nur Startups, sondern auch KMU und Familienunternehmen) in Zukunft verstärkt auf diese Finanzierungsform zurückgreifen werden. Darüber hinaus besteht das Potenzial, dass die lediglich demonstrative Aufzählung des §22 FlexKapGG zum Aufkommen neuer Finanzierungsinstrumente führt.

113 Golland/Gehlhaar/Grossmann/Eickhoff-Kley/Jänisch, Mezzanine-Kapital, BB-Beilage 5/2005, 1 (4).

114 Siehe nur Schmeisser/Clausen, DStR 2008, 688.

115 Siehe dazu etwa Jaritz/Probst, UnternehmerCircle 2021, 27ff; Jaritz, GesRZ2021, 387ff; Frase/Primbs, RFamU 2023, 93.

116 J.-Cl. Möllmann/J.-Ph. Möllmann, Gestaltung der GmbH-Satzung bei Venture CapitalFinanzierung (Privat Equity), BWNotZ2013, 74 (79).

117 Weitnauer in Weitnauer, Venture Capital7, Teil E Rz280.

Vergleich der FlexCo mit der GmbH und der AG

NIKOLAUS ARNOLD *

Die folgende tabellarische Übersicht soll einen kurzen Überblick über wesentliche Unterschiede, aber auch idente Regelungsbereiche von FlexCos sowie GmbHs und AGs geben. Sie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit; aus Platzgründen sind die Darstellungen teilweise auch gekürzt.

Themenbereich/ Rechtsform

Gesetzliche Grundlagen

Gesellschaftsform KapitalgesellschaftKapitalgesellschaftKapitalgesellschaft

Rechtsformzusatz (Firma)

„Flexible Kapitalgesellschaft“ bzw „FlexKapG“ oder „Flexible Company“ bzw „FlexCo“ (§2 FlexKapGG)

„Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ oder Abkürzung, insb „Gesellschaft m.b.H.“, „GesmbH“ oder „GmbH“ (§5 GmbHG)

Stammkapital/ Grundkapital siehe GmbHMindeststammkapital 10.000€ (§6 Abs1 Satz 2 GmbHG idF des GesRÄG 2023 ab 1.1.2024)

Mindeststammeinlage jedes Gesellschafters/ Mindestanteil am Grundkapital je Aktie

Mindesteinzahlung auf jede Stammeinlage/ Aktie

1€ (§3 FlexKapGG); abweichend davon für Unternehmenswertanteile geringster Nennbetrag mindestens 1 Cent (§9 Abs2 FlexKapGG)

auf bar zu leistende Stammeinlagen mindestens ein Viertel, jedenfalls aber 1€; soweit weniger als 1€ bar zu leisten ist, muss die Bareinlage voll eingezahlt werden (§5 FlexKapGG)

„Aktiengesellschaft“ oder Abkürzung, insb „AG“ (§4 AktG)

Mindestnennbetrag des Grundkapitals 70.000€ (§7 AktG)

mindestens 70€ (§6 GmbHG)Nennbetragsaktien mindestens 1€ oder ein Vielfaches; Stückaktien mindestens einen Anteil am Grundkapital von 1€ oder einem Vielfachen (§8 AktG)

auf bar zu leistende Stammeinlagen mindestens ein Viertel, jedenfalls aber 70€; soweit weniger als 70€ bar zu leisten ist, muss die Bareinlage voll eingezahlt werden (§10 GmbHG)

der Ausgabebetrag von Inhaberaktien ist stets voll zu leisten (§10 Abs2 AktG), Sacheinlagen ebenso (§28a Abs2 AktG); eingeforderter Betrag der Bareinlage muss mindestens ein Viertel des geringsten Ausgabebetrags und bei Ausgabe der Aktien von einem höheren als diesen auch den Mehrbetrag umfassen (§28a Abs1 AktG)

Mindestleistung Stammkapital/ Grundkapital

siehe GmbHmindestens die Hälfte in bar (Hälfteklausel des §6a Abs1 GmbHG [sofern nicht nach §6a Abs2 bis 4 GmbHG niedriger]); auf die bar zu leistenden Einlagen mindestens insgesamt 5.000€ (§10 Abs1 GmbHG idF des GesRÄG 2023)

siehe oben (§ 280 AktG)

Themenbereich/ Rechtsform FlexCo GmbH AG

Sachgründung/ Sacheinlagen

Gründungsprivilegierung

Vereinfachte Gründung

siehe GmbHmöglich (zur reinen Sachgründung §6a Abs2 bis 4 GmbHG); die aktienrechtlichen Vorschriften über Sachgründung sind einzuhalten (§6a Abs4 GmbHG iVm §§20ff AktG)

neinentfällt ab 1.1.2024 (siehe Übergangsbestimmung §127 Abs30 GmbHG)

siehe GmbHnach §9a GmbHG möglich, wenn der einzige Gesellschafter eine natürliche Person und zugleich einziger Geschäftsführer ist; diesfalls keine Notariatsaktspflicht (Abwicklung über Kreditinstitut)

Form der Errichtung siehe GmbHsofern keine vereinfachte Gründung: Notariatsakt

Art der Anteile Geschäftsanteile (Teilung in Stückanteile möglich [§13 FlexKapGG]); zusätzlich Ausgabe von Unternehmenswertanteilen möglich (unter 25% des Stammkapitals) (§9 FlexKapGG)

Teilung der Anteile zulässig, sofern im Gesellschaftsvertrag nicht ausgeschlossen (§14 FlexKapGG); Stückanteile können nicht geteilt werden (§13 FlexKapGG)

Geschäftsanteile (§75 GmbHG); keine Stückanteile; keine Unternehmenswertanteile

möglich (gegebenenfalls Gründungsprüfung [§§20ff AktG])

Mitverkaufsrecht bei Unternehmenswertbeteiligten gesetzlich geregelt (§10 FlexKapGG); im Übrigen wie GmbH

Anteilsübertragungen und Übernahmserklärungen (Form)

notarielle Urkunde oder Anwaltsurkunde (§12 FlexKapGG)

unter Lebenden nur zulässig, wenn im Gesellschaftsvertrag die Teilung/Abtretung von Teilen eines Geschäftsanteils gestattet ist (§79 GmbHG); hM geht bei Zustimmung sämtlicher Gesellschafter auch ohne Verankerung im Gesellschaftsvertrag von einer Wirksamkeit einer Teilung aus

keine gesetzliche Regelung; Verankerung im Gesellschaftsvertrag oder außerhalb (etwa einem Syndikatsvertrag) möglich

Notariatsakt bei Übertragung mittels Rechtsgeschäfts unter Lebenden (§76 Abs2 GmbHG)

Vinkulierung siehe GmbHVinkulierung kann im Gesellschaftsvertrag geregelt werden (§76 Abs2 Satz 3 GmbHG)

nein

nein

Feststellungen der Satzung Notariatsakt (§16 AktG)

Namensaktien (§9 AktG; bei [beabsichtigt] börsenotierten Gesellschaften/Aktien MTF gehandelt auch Inhaberaktien [§10 AktG])

unteilbar (§8 Abs5 AktG)

keine gesetzliche Regelung; Regelung außerhalb der Satzung möglich (in der Satzung nach überwiegender Ansicht zulässig, sofern die Aktien nicht börsenotiert sind)

keine besonderen Formvorschriften; Indossament bei Namensaktien (§62 AktG)

Vinkulierung von Namensaktien kann in der Satzung vorgesehen werden (§62 Abs2 AktG).

Erwerb eigener Anteile Erwerb eigener Geschäftsanteile gem §15 Abs1 FlexKapGG nur zulässig, wenn –unentgeltlich oder im Exekutionswege zur Hereinbringung eigener Forderungen der Gesellschaft (Z1);

–durch Gesamtrechtsnachfolge (Z2);

–zur Entschädigung von Minderheitsgesellschaftern (Z3);

–aufgrund eines Beschlusses der Generalversammlung zur Einziehung nach den Vorschriften über die Herabsetzung des Stammkapitals (Z4);

–aufgrund eines Beschlusses der Generalversammlung oder einer höchstens 30 Monate geltenden Ermächtigung (Z5); –im Falle von Unternehmenswertanteilen (Z6); zu weiteren Einschränkungen und Voraussetzungen siehe §15 FlexKapGG

Erwerb eigener Geschäftsanteile gem §81 GmbHG nur zulässig, wenn –im Exekutionswege zur Hereinbringung eigener Forderungen der Gesellschaft (Satz 2), –bei unentgeltlichem Erwerb (Satz 3 Fall 1), –im Wege der Gesamtrechtsnachfolge (Satz 3 Fall2) und –zur Entschädigung von Minderheitsgesellschaftern (Satz 3 Fall 3); es sind die für den Erwerb gem Satz 3 eigener Aktien geltenden Vorschriften sinngemäß anzuwenden

Erwerb eigener Aktien gem §65 Abs1 AktG nur zulässig –zur Abwendung eines schweren, unmittelbar bevorstehenden Schadens (Z1); –unentgeltlicher Erwerb oder in Ausführung einer Einkaufskommission durch ein Kreditinstitut (Z2); –durch Gesamtrechtsnachfolge (Z3); –Ermächtigung der Hauptversammlung (höchstens 30 Monate) zur Mitarbeiterbeteiligung (Z4); –zur Entschädigung von Minderheitsaktionären (Z5);

–Einziehung nach den Vorschriften über die Herabsetzung des Grundkapitals (Z6); –bei Kreditinstitut aufgrund einer Genehmigung der Hauptversammlung zum Zweck des Wertpapierhandels (Z7); –bei börsenotierten Aktien aber nicht zum Handel in eigenen Aktien (Z8); zu weiteren Einschränkungen und Voraussetzungen siehe §65 Abs1 bis 5 AktG

Veräußerung und Einziehung eigener Anteile

bei Erwerb entgegen §15 Abs1, 2 oder 4 FlexKapGG Veräußerung innerhalb eines Jahres nach dem Erwerb (§16 Abs1 FlexKapGG); entfallen auf die zulässigerweise erworbenen Geschäftsanteile mehr als die Hälfte des Stammkapitals, so ist der übersteigende Anteil innerhalb von drei Jahren nach dem Erwerb zu veräußern (§16 Abs2 FlexKapGG); sind eigene Geschäftsanteile innerhalb der in §16 Abs1 und 2 FlexKapGG vorgesehenen Fristen nicht veräußert worden, so sind sie gem §23 FlexKapGG einzuziehen (§16 Abs3 FlexKapGG)

bei zulässigerweise erworbenen eigenen Anteilen gilt §65a AktG sinngemäß; im Übrigen analoge Anwendung strittig

bei Erwerb eigener Aktien entgegen §65 Abs1, 1a, 1b oder 2 AktG müssen diese innerhalb eines Jahres nach Erwerb veräußert werden (§65a Abs1 AktG); entfallen auf die zulässigerweise erworbenen Aktien mehr als 10% des Grundkapitals, so ist der übersteigende Anteil innerhalb von drei Jahren nach dem Erwerb zu veräußern (§65 Abs2 AktG); sind eigene Aktien innerhalb der in §65 Abs1 und 2 AktG vorgesehenen Fristen nicht veräußert worden, so sind sie gem §192 AktG einzuziehen (§65 Abs3 AktG)

Inpfandnahme eigener Anteile

dem Erwerb eigener Geschäftsanteile steht es gleich, wenn eigene Geschäftsanteile als Pfand genommen werden (§17 Abs1 FlexKapGG); Verstoß gegen § 17 Abs1 FlexKapGG macht die Verpfändung eigener Geschäftsanteile nicht rechtsunwirksam; das schuldrechtliche Geschäft über die Verpfändung ist rechtsunwirksam, soweit die Verpfändung gegen §17 Abs 1 FlexKapGG verstößt (§ 17 Abs2 FlexKapGG)

Inpfandnahme eigener Geschäftsanteile wirkungslos (§81 GmbHG)

Erwerb/Inpfandnahme eigener Anteile durch Dritte

Bedingte Kapitalerhöhung

Voraussetzungen siehe §18 FlexKapGG (vergleichbar §66 AktG)

allenfalls Analogie zu §66 AktG

möglich (§19 FlexKapGG)nicht möglich

Genehmigtes Kapital möglich (§21 FlexKapGG)nicht möglich

Sonstige Finanzierungsformen

Ausgabe von Finanzierungsinstrumenten, bei denen den Gläubigern ein Umtausch- oder Bezugsrecht auf Anteile eingeräumt wird oder bei denen die Rechte von Gläubigern mit Gewinnanteilen von Gesellschaftern in Verbindung gebracht werden, oder die Ausgabe von Genussrechten ist nur aufgrund eines Beschlusses der Gesellschafter zulässig (§22 Abs1 FlexKapGG); Ermächtigung zur Ausgabe von Finanzierungsinstrumenten für fünf Jahre möglich; Bezugsrecht der Gesellschafter (§22 Abs2 und 3 FlexKapGG); Regelungsumfang geht über §174 AktG hinaus

Genussrechte nicht geregelt, aber anerkannt; sonstige Finanzierungsinstrumente mit Wandlungsrecht obligatorisch denkbar

dem Erwerb eigener Aktien steht es gleich, wenn eigene Aktien als Pfand genommen werden; jedoch darf ein Kreditinstitut im Rahmen des gewöhnlichen Betriebs eigene Aktien bis zum in §65 Abs2 Satz 1 AktG bestimmten Anteil am Grundkapital als Pfand nehmen (§65b Abs1 AktG); Verstoß gegen §65 Abs1 AktG macht die Verpfändung eigener Aktien nicht rechtsunwirksam; das schuldrechtliche Geschäft über die Verpfändung ist rechtsunwirksam, soweit die Verpfändung gegen §65 Abs1 AktG verstößt (§65 Abs2 AktG)

Voraussetzungen siehe §66 AktG

möglich (§159 AktG)

möglich (§169 AktG)

Ausgabe von Schuldverschreibungen, bei denen den Gläubigern ein Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien eingeräumt wird (Wandelschuldverschreibungen), oder von Schuldverschreibungen, bei denen die Rechte der Gläubiger mit Gewinnanteilen von Aktionären in Verbindung gebracht werden (Gewinnschuldverschreibungen), ist aufgrund eines Beschlusses der Hauptversammlung zulässig (§174 Abs1 AktG); sinngemäß Anwendung für Genussrechte (§174 Abs3 AktG); Bezugsrecht der Aktionäre (§ 174 Abs4 AktG)

Kapitalherabsetzung durch Einziehung von Anteilen

Geschäftsanteile können zwangsweise oder nach Erwerb durch die Gesellschaft eingezogen werden; Zwangseinziehungen nur zulässig, wenn sie im Gesellschaftsvertrag angeordnet oder gestattet waren; Vorschriften über die ordentliche Kapitalherabsetzung sind einzuhalten (§23 FlexKapGG)

Einziehung von Geschäftsanteilen bei rückerworbenen Geschäftsanteilen in analoger Anwendung des §192 AktG zulässig (hM); Anwendungsbereich viel geringer als bei FlexCos und AGs

Aktien können zwangsweise oder nach Erwerb durch die Gesellschaft eingezogen werden; eine Zwangseinziehung ist nur zulässig, wenn sie in der ursprünglichen Satzung oder durch eine Satzungsänderung angeordnet oder gestattet war; Vorschriften über die ordentliche Kapitalherabsetzung sind zu befolgen (§192 AktG)

Geschäftsführungsorgan siehe GmbHGeschäftsführer; ein oder mehrere natürliche Personen; Bestellung durch Beschluss der Gesellschafter auf bestimmte oder unbestimmte Dauer; Gesellschafter können im Gesellschaftsvertrag bestellt werden; Sonderrechte möglich (§15 GmbHG)

Prokura siehe GmbHProkura nach §§48ff UGB möglich; zur organschaftlichen Prokura siehe §18 Abs3 GmbHG

Aufsichtsratspflicht

Generalversammlung/ Hauptversammlung

zusätzlich zu den Voraussetzungen des §29 Abs1 GmbHG auch dann, wenn die Gesellschaft zumindest eine mittelgroße Kapitalgesellschaft iSd §221 Abs2 und 4 UGB ist

Generalversammlung (siehe GmbH); virtuelle oder hybride Versammlungen nach Maßgabe des VirtGesG möglich

Stimmrecht zu Geschäftsanteilen siehe GmbH; Inhaber von Unternehmenswertanteilen haben grundsätzlich (mit Ausnahme der Fälle des §9 Abs5 FlexKapGG) kein Stimmrecht und kein Recht auf Anfechtung und Nichtigerklärung von Gesellschafterbeschlüssen; sie haben aber ein Teilnahmerecht an der Generalversammlung und haben über die Durchführung von schriftlichen Abstimmungen informiert zu werden (§9 Abs4 FlexKapGG)

Vorstand; ein oder mehrere natürliche Personen (§70 Abs2 AktG); Bestellung durch Aufsichtsrat auf höchstens fünf Jahre (§75 AktG); keine Bestellung in der Satzung; keine Sonderrechte

Prokura nach §§48ff UGB möglich; zur organschaftlichen Prokura siehe §71 Abs3 AktG

unter den Voraussetzungen des §29 Abs1 GmbHG (Stammkapital über 70.000€ und Zahl der Gesellschafter über 50 oder bei übersteigender Anzahl der Arbeitnehmer von 300 [unter den Voraussetzungen der Z2, Z3 und Z4], unter bestimmten Voraussetzungen bei grenzüberschreitender Verschmelzung [Z5], bei bestimmten Unternehmen im öffentlichen Interesse oder kraft sondergesetzlicher Anordnung) ja (immer)

Generalversammlung (§§34ff GmbHG); virtuelle oder hybride Versammlungen nach Maßgabe des VirtGesG möglich

je 10€ einer übernommenen Stammeinlage gewähren eine Stimme; abweichende Regelungen im Gesellschaftsvertrag möglich; jeder Gesellschafter hat mindestens eine Stimme (§39 GmbHG); keine stimmrechtslosen Anteile

Hauptversammlung (§§102ff AktG); virtuelle oder hybride Versammlungen nach Maßgabe des VirtGesG möglich

Stimmrecht wird nach dem Verhältnis der Aktiennennbeträge, bei Stückaktien nach deren Zahl ausgeübt (§12 AktG); stimmrechtslose Vorzugsaktien möglich (§12a AktG); Teilnahmerecht an der Hauptversammlung; darüber hinausgehend teilweise weiter gehende Rechte in Bezug auf die Hauptversammlung (vgl Doralt in Doralt/Nowotny/ Kalss, AktG2 [2012] §12a Rz50)

Themenbereich/ Rechtsform FlexCo GmbH AG

Schriftliche Abstimmung der Gesellschafter

Uneinheitliche Stimmabgabe

zu Umlaufbeschlüssen siehe GmbH; abweichend vom GmbHG kann im Gesellschaftsvertrag geregelt werden, dass für eine Abstimmung im schriftlichen Weg das Einverständnis aller Gesellschafter nicht erforderlich ist; ebenso kann im Gesellschaftsvertrag die Einhaltung der Textform als ausreichend erklärt werden (§7 FlexKapGG)

zulässig, sofern mehr als eine Stimme vertreten wird (§8 FlexKapGG)

Rezension

Handbuch EU-Gruppenfreistellungsverordnungen

Von RA Dr. Christoph LIEBSCHER, RA Prof. Dr. Eckhard FLOHR, RA DDr. Alexander PETSCHE und RA Prof. Dr. Karsten METZLAFF, 3. Auflage, XXXVI und 563 Seiten, Preis 179€, Verlag C.H. Beck (in Gemeinschaft mit Manz Verlag), München 2023.

Der Kommentar zu den EU-Gruppenfreistellungsverordnungen ist nunmehr 11 Jahre nach der zweiten Auflage in der dritten Auflage erschienen, wobei sich – wie die Herausgeber im Vorwort anmerken – die dritte Auflage von den beiden Vorauflagen nicht nur inhaltlich, sondern auch vom Aufbau unterscheidet. So wird im aktuellen Kommentar die neue Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vertriebsbindungen (Verordnung [EU] 2022/720) berücksichtigt und kommentiert, die in den Institutionen der EU sehr lange diskutiert wurde und deren Erlassung durch die Europäische Kommission am 10.5.2022 erfolgte (die Veröffentlichung dieser Gruppenfreistellungsverordnung wurde im ABl L 134 vom 11.5.2022, S4, vorgenommen).

Zu Beginn des Kommentars werden die rechtlichen Grundlagen des EUWettbewerbsrechts auf Basis des EU-Primärrechts (Art101ff AEUV) erläutert und ausführlich dargestellt, wie sich die Gruppenfreistellungsverordnungen in das Gesamtgefüge des europäischen Wettbewerbs- und Kartellrechts einfügen. So wird Grundsätzliches zu Art101ff AEUV (etwa zur Bedeutung der Beihilferegeln für die Gruppenfreistellungsverordnungen und die materiellrechtlichen Bestimmungen der EU-Wettbewerbsregeln für Unternehmen) kommentiert und der räumliche, persönliche, sachliche und zeitliche Anwendungsbereich dargestellt.

Als wichtige Bestimmung im Bereich des EU-Wettbewerbsrechts werden im 1. Teil in einem eigenen Kapitel die Bagatellbekanntmachung (Quantifizierung der Spürbarkeit, Marktanteilsschwellen und Rechtsfolgen) sowie –ebenfalls in einem eigenen Kapitel (§3) – die Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes mit ihren Grundsätzen und der Bedeutung in räumlicher und sachlicher Hinsicht dargestellt. Dazu findet sich eine Erläuterung zur Vorgehensweise bei der Berechnung von Marktanteilen. Interessant und für die Praxis wichtig ist die im 1. Teil in §4 auf S60ff ersichtliche Darstellung des Verhältnisses der Europäischen Kommission zu den nationalen Kartellbehörden und den nationalen Kartellgerichten mit den dazugehörigen Kollisionsfragen mit zahlreichen Hinweisen auf die einschlägige Literatur.

Im 2. Teil des Kommentars (Grundlagen der Gruppenfreistellungsverordnungen) werden die Gruppenfreistellungsverordnungen (insb Zweck, Funktion, Arten, Regelungstechnik und Auslegung), das Verhältnis der

Umlaufbeschlüsse nach Maßgabe des §34 GmbHG möglich, sofern alle Gesellschafter der Form der Beschlussfassung zustimmen

grundsätzlich nicht zulässig (teilweise strittig)

nicht möglich

Stimmrechte können je nach Zahl der gehaltenen Aktien unterschiedlich ausgeübt werden

Gruppenfreistellungsverordnungen zueinander, das Verhältnis der Gruppenfreistellungsverordnungen zu Art102 AEUV und zum EU-Fusionskontrollrecht und das Verhältnis der unionsrechtlichen Gruppenfreistellungsverordnungen zum nationalen Kartellrecht dargestellt.

Auf S151ff des vorliegenden Werks folgt im 3. Teil die ausführliche Kommentierung der Gruppenfreistellungsverordnungen, etwa der neuen Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen, der kartellrechtlichen Beurteilung des selektiven Vertriebs oder der Gruppenfreistellungverordnung für Franchise-Vereinbarungen mit der für das Franchise-Recht bedeutenden Pronuptia-Entscheidung des EuGH vom 28.1.1986, Rs 161/84. Diese Entscheidung des EuGH und die Beschlüsse der Europäischen Kommission zur Einzelfreistellung von Franchise-Verträgen legten die Grundsätze fest, anhand derer die Europäische Kommission die Gruppenfreistellungsverordnungen für Franchise-Vereinbarungen entwickelte und herausarbeitete. Kommentiert werden im 3. Teil darüber hinaus der Handelsvertretervertrieb, der Internetvertrieb, der Kfz-Vertrieb (Verordnung [EU] Nr461/2010), die Zulieferbekanntmachung und die Technologietransfer-Verordnung (Verordnung [EU] Nr316/2014).

Der 4. Teil des Kommentars beschäftigt sich schließlich ausführlich mit horizontalen Vereinbarungen; ua werden in diesem Teil die neue Verordnung für Spezialisierungsvereinbarungen (Verordnung [EU] 2023/1067), die neue Verordnung für Forschung und Entwicklung (Verordnung [EU] 2023/1066), Einkaufsvereinbarungen, Vermarktungsvereinbarungen und zuletzt noch Vereinbarungen über Normen erläutert.

Hervorzuheben ist, dass zu Beginn der kommentierten Bestimmung einleitend jeweils sehr gute Übersichten über die Kommentierung und Verzeichnisse des Schrifttums mit einer Einleitung vorangestellt sind, die dem Praktiker die Verwendung des Kommentars und das Auffinden der relevanten Belegstellen erheblich erleichtert. Der Kommentar zeichnet sich in der nunmehr erschienenen dritten Auflage überdies durch zahlreiche und detaillierte Nachweise der (wettbewerbsrechtlichen) Entscheidungen der Europäischen Kommission und des EuGH aus. Ebenfalls dargestellt wird die Rspr der nationalen Wettbewerbsbehörden.

Zusammenfassend ist es den Autoren mit dem vorliegenden Kommentar hervorragend gelungen, dem Rechtsanwender das komplexe Recht der Gruppenfreistellungsverordnungen im Gesamtkontext mit dem europäischen Wettbewerbsrecht übersichtlich, verständlich und praxisnah auf dem aktuellen Stand zu vermitteln und ihm somit eine große Hilfe bei der Anwendung dieser Rechtsnormen zu geben.

Thomas Raubal Dr. Thomas Raubal ist Rechtsanwalt in Wien.

Unternehmensbewertung

Rechtliche Rahmenbedingungen für die Unternehmensbewertung in Österreich

Zwischen Klarheits- und Komplexitätsfalle

HEINRICH FOGLAR-DEINHARDSTEIN *

Der vorliegende Beitrag beruht auf einem Vortrag, den der Verfasser auf Einladung durch WP/StB Univ.-Prof. Mag. Dr. Klaus Rabel am 14.11.2023 beim Forum Unternehmensbewertung in Wien gehalten hat.1

*1 I.Psychologisierende Einleitung: Zur Seelenverwandtschaft zwischen Unternehmensbewertern und Juristen „Bewertung eines Unternehmens ist eine ungenaue Wissenschaft. Man muss zukünftige Erträge auf den Bewertungsstichtag abzinsen; man hat hier eine Multiplikation mit zwei Unbekannten, nämlich zukünftige Erträge und einen Kapitalisierungszinssatz, den man auch nur schätzen kann. Unternehmensbewertung ist daher sehr fehleranfällig, zumindest angreif- und diskutierbar.“ 2

„Daher kann man davon ausgehen, dass mehrere Experten, die (unabhängig voneinander) den Verkehrswert eines Unternehmens ermitteln, zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen. ... Freilich kann der im Verfahren beigezogene Sachverständige einen Verkehrswert des Unternehmens ermitteln. Andere Sachverständige könnten mit anderen Methoden andere Werte ermitteln, die nicht mit geringerem Recht die Qualifikation Verkehrswerte verdienten. In diesem Sinn ist die Ermittlung des Verkehrswerts ein mit Unsicherheit behafteter Vorgang.“.3

Diese Worte aus den Federn prominenter Unternehmensund Gesellschaftsrechtsprofessoren stehen exemplarisch für die skeptische Sicht vieler Juristen auf die Unternehmensbewertung. Aus anekdotischer Evidenz kann berichtet werden, dass den Unternehmensbewertern sowohl übermäßige Simplifizierung als auch übermäßige Verkomplizierung zugeschrieben wird. Mit dem Vorwurf der Simplifizierung ist gemeint, dass angesichts der übergroßen Menge an Faktoren, die in die Rechenmodelle einfließen, nahezu jedes Bewertungsergebnis gerechtfertigt werden könne.4 Und der Vorwurf der

* Mag. Heinrich Foglar-Deinhardstein, LL.M. ist Partner einer Rechtsanwaltsgesellschaft in Wien und schwerpunktmäßig mit Gesellschafts- und Stiftungsrecht, (internationalen) Umstrukturierungen und M&A befasst.

1 Für wichtige Hinweise danke ich RA assoz. Univ.-Prof. Dr. Sebastian Bergmann, LL.M., MBA, RA Dr. Andreas Foglar-Deinhardstein und RA Dr. Stephan FoglarDeinhardstein

2 Rüffler, „Alles, und sei es noch so wertvoll“: Das Gesetz des Marktes – das Gesetz als Marktplatz, in Bezemek, „Vor dem Gesetz“ (2019) 155 (157).

3 Harrer, Bewertungsprobleme im Gesellschaftsrecht, GES2022, 327 (330f); vgl auch Wasmann, Neuere Rechtsprechung zur Kompensation bei Strukturmaßnahmen und Gesetzesvorhaben sind sich einig: Es ist der Börsenkurs! AG 2023, 810 (813): „Der Verfasser wagt die Prognose, dass es niemals zwei Bewerter geben wird, die völlig unabhängig voneinander bei einer Bewertung im Milliardenbereich centgenau zum selben Ertragswert gelangen.“; ähnlich zu Liegenschaftsbewertungen RIS-Justiz RS0020068: „Bei vereinbarter Schätzung ist der Preis zwar hinreichend bestimmt, wenn eine Sache aber keinen einigermaßen festen Verkehrswert hat und das Schätzungsergebnis stark von der Auswahl des Schätzmannes abhängen kann, muß zur Vereinbarung der Schätzung auch die Bestimmung des Schätzmannes hinzutreten.“

4 Der wahre Kern dieser Kritik besteht darin, dass die Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen Entwicklung zwar mathematisch dargestellt, aber naturgemäß weder mathematisch noch statistisch exakt festgestellt werden kann; vgl Lukas/Geroldinger, Scheingenauigkeit von Gutachten, in FS100 Jahre Hauptverband der Gerichtssachverständigen (2012) 361 (369).

zu großen Komplexität zielt dahin, dass mit der übergroßen Menge an Rechenfaktoren ein überkomplexes Bollwerk geschaffen werde (über-komplex, dh komplizierter, als es der Bedeutung der Sache eigentlich entspräche), sodass die Aufklärungsmühe (und daher gegebenenfalls auch die Nachprüfungsmühe) in keinem vernünftigen Verhältnis zum Aufklärungsergebnis mehr stehe(n).

Besonders spitze juristische Zungen werfen den Unternehmensbewertern gar „Scheingenauigkeit“, 5 eine „valuation lottery“ 6 oder Hellseherei durch Blick in die Glaskugel vor.

Wäre ich Anwalt der Unternehmensbewerter, würde ich zu ihrer Verteidigung die Psychologie zu Hilfe rufen und vorbringen, dass gerade der Vorwurf der „Scheingenauigkeit“ unschwer als Projektion enttarnt werden könne. Unter Projektion wird in der Psychologie die Verlagerung und Zuschreibung eines eigenen Inhalts auf Dritte verstanden; im konkreten Fall bestünde die Projektion in der harten Beurteilung anderer (der Bewertungsgutachter), die in Wirklichkeit an der Wurzel eine ebenso kristallklare wie gnadenlose Selbstbeschreibung der Juristen ist.7

Wenn wir Juristen nämlich in einer Kunst den Bewertungsgutachtern wirklich leicht das Wasser reichen können, dann in jener der „Scheingenauigkeit“, 8 wie jedes Gesetz, jeder Vertrag, jedes Rechtsgutachten, jedes Urteil zeigt. Um juristische Formulierungen in ihrer – zumindest scheinbaren – scharfkantigen Präzision zu kreieren, zu legitimieren oder auszulegen, wird abstrahiert, objektiviert, vereinfacht, mit dem

5 Haberer, Rechtsfragen der Anwendung des neuen Fachgutachtens zur Unternehmensbewertung, GesRZ2016, 95; Spitzer, Der Sachverständigenbeweis im österreichischen Zivilprozess, ZZP 131 (2018), 25 (34ff und 51); LG Frankfurt am Main 13.3.2009, 3-5 O 57/06, NZG 2009, 553: „Die Ertragswertmethode gibt zwar ein (komplexes) mathematisches Modell vor, doch wird hier angesichts der Ungenauigkeiten und des wissenschaftlichen Streits zu den einzelnen Abzinsungsparametern mit einer Scheingenauigkeit gearbeitet ...“; vgl auch Luttermann, Zur Rechtspraxis internationaler Unternehmensbewertung bei der Publikums-Aktiengesellschaft, NZG 2007, 611 (614): „Scheinrationalität“

6 Vgl Hasselbach/Stepper, Entwicklung des Übernahmerechts 2022, BB 2023, 515 (518); Nutz/Petermair, Aktuelle Entwicklungen im Übernahmerecht, WBl 2024, 1 (9).

7 Vgl Fleischer, Die Barabfindung außenstehender Aktionäre nach den §§305 und 320b AktG: Stand-alone-Prinzip oder Verbundberücksichtigungsprinzip? ZGR 1997, 368 (383): „Die Prognose- und Informationsprobleme werden von juristischer Seite häufig überzeichnet.“; psychologisierend auch das von Fleischer (Rechtsfragen der Unternehmensbewertung bei geschlossenen Kapitalgesellschaften, ZIP 2012, 1633 [1641 FN 138]; ders, Unternehmensbewertung bei aktienrechtlichen Abfindungsansprüchen: Bestandsaufnahme und Reformperspektiven im Lichte der Rechtsvergleichung, AG 2014, 97 [97 FN 1]) zitierte Wort von Druey: „Der Jurist mit seiner tiefsitzenden Verachtung – oder einfach Verdrängung – alles Quantitativen ...“

8 Unter „Scheingenauigkeit“ kann bloß scheinbare Präzision (insb durch suggestive Detaillierung) verstanden werden, wobei die behauptete Genauigkeit in Wirklichkeit mit den angewendeten Methoden gar nicht erzielbar ist.

Schutzzweck, der Zweckmäßigkeit und der wirtschaftlichen Betrachtungsweise argumentiert, mit Hypothesen, Typisierungen und Maßfiguren zu Werk gegangen, vom Kleinen aufs Große und vom Großen aufs Kleine geschlossen sowie mit Fiktionen, Annahmen, Indizien, Bescheinigungen, Ersteinschätzungen, Vorbehalten, Ausnahmen und Gegenausnahmen, Bedingungen, Schätzungen, Ermessensspielräumen, Einschränkungen und unbestimmten Begriffen operiert, dass es nur so eine Freude ist. Und das ist – zumal aus dem Mund eines Juristen – gar keine Kritik an der Juristerei, sondern gehört mE zu ihrem Wesenskern und ist entscheidender Teil ihres Erfolgs seit Jahrhunderten, ja Jahrtausenden.9

Auch und gerade in Bewertungsfragen agieren Juristen gerne ungenau und situationselastisch, so etwa wenn – um ein praktisch besonders bedeutsames Beispiel zu nennen – die Firmenbuchpraxis im Umgründungsrecht seit Jahr und Tag den positiven Verkehrswert einer umgründungsbeteiligten Gesellschaft (der zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Umgründung gegeben sein muss) ausgerechnet durch einen schnellen Blick auf die Buchwerte, die noch dazu der Bilanz auf den in der Vergangenheit liegenden Umgründungsstichtag entnommen werden, plausibilisiert. „Insgesamt ergibt sich eine gewisse Unschärfe daraus, dass das Firmenbuchgericht seine Plausibilitätsprüfung des positiven Verkehrswerts idR anhand der Buchwerte zum Stichtag der Schlussbilanz (der im Zeitpunkt der Firmenbuchanmeldung bis zu neun Monate zurückliegen kann) durchführt, während maßgeblich eigentlich der Verkehrswert zum Tag der Firmenbuchanmeldung bzw der -eintragung ist.“ 10

Zusammengefasst: Das Spannungsfeld zwischen Klarheitsund Komplexitätsfalle stellt sich für den Juristen gleichermaßen dramatisch wie für den Unternehmensbewerter, ist aber auch für beide wohl überhaupt erst der Grund ihrer Existenz.11

II.Gründe für die starke Nachfrage nach Unternehmensbewertungen

Insgesamt erscheint mir daher die Skepsis der Juristen im Hinblick auf die bekrittelte Un- oder Scheingenauigkeit der Unternehmensbewertung nicht wirklich weiterzuführen. Natürlich muss man sich im Klaren sein, dass seriöse Unternehmensbewertungen keine Punktlandungen liefern, sondern solche einwertigen Festlegungen (Punktwerte), die manchmal wirtschaftlich, bilanziell, rechtlich oder steuerlich erforderlich sind, nur mit einer Bandbreite untermauern oder –sofern der Punktwert außerhalb der Bandbreite12 liegt –widerlegen können.13 Unbestreitbar ist aber sowohl in der

9 IdS implizit auch Spitzer, ZZP 131 (2018), 51: „Irgendwo beginnt der Kaffeesatz, aber die Kaffeesatzleserei ist nicht Aufgabe des Sachverständigen. Dafür gibt es den Richter, der mit den notwendigen rechtlichen Vorgaben ausgerüstet ist.“

10 Aburumieh/Adensamer/H. Foglar-Deinhardstein, Praxisleitfaden Verschmelzung (2015) Kap VII.A Rz16.

11 Zu bedenken ist außerdem, dass es das Gesetz selbst sein kann, das „die gerichtliche Festlegung eines Wertes mit einer Genauigkeit fordert, die aus wissenschaftlicher Sicht (jedenfalls gegenwärtig) nicht möglich ist“ (Lukas/Geroldinger, Scheingenauigkeit, 364), und damit Sachverständige und Gerichte erst in die Scheingenauigkeit treibt.

12 Allenfalls zuzüglich einer Erheblichkeitsgrenze; siehe Pkt VI.3.3.1.

13 Vgl Zottl/Pendl, Die Überprüfung der Barabfindung, GesRZ2019, 216 (222); Klingelhöfer/Follert, Zur Bestimmung der Angemessenheit der Barabfindung beim Squeeze-Out gem §1 GesAusG aus Sicht der Investitionstheorie, in FS Bertl (2021) 1065 (1078f); Ruthardt/M. Popp, Unternehmensbewertung im Spiegel der Rechtsprechung, AG 2020, 240 (248); allgemein Lukas/Geroldinger, Scheingenauigkeit, 377: Punktlandung als „Trugbild einer genauen Ausmessung“; vgl auch Leuering/

betriebswirtschaftlichen als auch in der juristischen Praxis ein hoher Bedarf an Unternehmensbewertungen gegeben. Diese Nachfrage ergibt sich schlicht daraus, dass es für Unternehmen bekanntlich keine Preislisten und auch sonst keine leicht nachvollziehbaren Informationen über aktuelle Verkehrswerte14 gibt.15 Sowohl Betriebswirte als auch Juristen sind daher auf Bewertungsinstrumente angewiesen, mit deren Hilfe man sich im Bedarfsfall der Ermittlung eines angemessenen Preises für ein Unternehmen annähern kann. Der ideale Ansatzpunkt für die Preisfindung wäre natürlich nicht eine fundamentalanalytische Unternehmensbewertung, sondern ein real, redlich und verbindlich angebotener (und finanzierter) Preis für genau das zu bewertende Unternehmen. Erfahrungsgemäß können nämlich auch Bewertungsgutachten anerkannter Experten – nicht nur bei Unternehmensbewertungen, sondern auch bei Bewertungen von Liegenschaften, Immaterialgüterrechten, Kunstwerken usw – durch reale Marktpreise widerlegt werden. Daher geht die Wertbestätigung am Markt durch reale Transaktionen unter fremden Dritten im redlichen Geschäftsverkehr aus der näheren Vergangenheit der gutachtlichen Wertermittlung grundsätzlich vor.16 Das

13 Rubner, NJW-Spezial 2019, 687 (688): „Auch wenn am Ende der durchgeführten Unternehmensbewertung ein ‚cent-genauer‘ Betrag steht, darf hieraus nicht der Schluss gezogen werden, dass es sich dabei tatsächlich um den mittels exakter Wissenschaft berechneten einzig wahren Verkehrswert des Unternehmens handelt. Den einen exakten, einzig richtigen Unternehmenswert gibt es nicht, sondern eine Bandbreite methodisch korrekt ermittelter Werte.“

14 Als „Verkehrswert“ kann der Wert bezeichnet werden, der durch Verkauf des (Gesamt-)Unternehmens erzielbar ist; vgl OGH 25.11.2020, 6 Ob 96/20s, GesRZ2021, 151 (Haberer); Leupold in U. Torggler, UGB3 (2019) §§137, 138 Rz10; Harrer, GES2022, 327; BGH 20.3.1995, II ZR 205/94, BGHZ129, 136. Den einen Verkehrswert eines Unternehmens gibt es nicht; vgl Harrer, GES2022, 327; vgl auch die steuerliche Veräußerungsfiktion bei Ermittlung des Verkehrswerts, der daher den bei der Veräußerung im Wirtschaftsverkehr erzielbaren Preis unter der Annahme der Fortführung der Einheit durch den Erwerber darstellt; vgl Schweighart, Der objektivierte Unternehmenswert auf dem Prüfstand der Bewertungspraxis und Theorie, in FS Bertl (2021) 1107 (1113).

15 Krejci, Unternehmenswert und laesio enormis, in FS Binder (2010) 781 (784): „Es gibt keinen ‚Markt‘ für Unternehmen, der den üblichen Vorstellungen konkurrierender Angebote und Nachfragen von vergleichbaren Sachen, die in ausreichender Anzahl vorhanden sind, entspräche. Zum einen besteht idR keine Mehr- oder gar Vielzahl gleicher Unternehmen, die auf einem Markt in Konkurrenz zueinander angeboten würden. Überhaupt pflegen Unternehmen grundsätzlich nicht der Allgemeinheit angeboten zu werden.“; vgl auch W. Jud, Privatrechtliche Grundlagen und Voraussetzungen des Firmenwertes (good will) und seine Berücksichtigung in der Unternehmensbewertung, in Egger/Jud/Lechner/Wünsch, Unternehmensbewertung (1981) 147 (190); Aschauer, Unternehmensbewertung bei erbrechtlichen Bewertungsanlässen, in Artmann/Rüffler/U. Torggler, Gesellschaftsrecht und Erbrecht (2016) 69 (75); Schweighart, Objektivierter Unternehmenswert, 1117. 16 Vgl skeptisch referierend Ruthardt/M. Popp, Unternehmensbewertung im Spiegel der Rechtsprechung, AG 2022, 347 (355ff); ausdrücklich §13 Abs2 Satz 2 BewG; §11 Abs2 dBewG; BFH 1.9.2016, VI R 16/15, AG 2017, 75; AFRAC-Stellungnahme 24: Beteiligungsbewertung (UGB) (März 2018), Rz13, online abrufbar unter https:// www.afrac.at/wp-content/uploads/AFRAC-Stellungnahme_24_Beteiligungsbewertung_ Maerz_2018.pdf: „Falls ein verbindliches Kaufangebot für die Beteiligung vorliegt, ist anstelle des objektivierten Unternehmenswerts grundsätzlich der Angebotspreis der Beteiligungsbewertung zugrunde zu legen.“; AFRAC-Stellungnahme 24: Beteiligungsbewertung (UGB) (Dezember 2022), Erläuterung zu Rz15, online abrufbar unter https://www.afrac.at/wp-content/uploads/AFRAC-Stellungnahme-24_Beteiligungs bewertung-UGB_Dez_2022.pdf: „Liegt ein verbindliches Kaufangebot für die Beteiligung vor, ist der darin enthaltene Angebotspreis als beizulegender Wert der Beteiligung anzusetzen, außer der Angebotspreis ist offensichtlich so niedrig, dass das Unternehmen dieses Angebot nicht annehmen würde.“; LG Köln 24.7.2009, 82 O 10/08, AG 2009, 835: „Ein Marktpreis ist jeder Schätzung des Marktwertes durch Sachverständige überlegen. Es handelt sich um einen realisierten Wert, in den alle maßgeblichen Marktaspekte einfließen, und nicht um einen theoretischen Laborwert ...“; siehe auch Reithofer, Liegenschaftsbewertung, in P. Barth/U. Pesendorfer, Praxishandbuch des neuen Erbrechts (2016) 287 (292f); Karollus, Einlagenrückgewähr und verdeckte Gewinnausschüttung im Gesellschaftsrecht, in Brandl/Karollus/Kirchmayr/Leitner, Handbuch Verdeckte Gewinnaussschüttung3 (2021) 1 (87 FN 503); Landskron in Rieder/Potyka, EU-UmgrG (2023) §12 Rz6, §30 Rz9 und §52 Rz6; zur Rspr des Supreme Court of Delaware zur Bewertung anhand von Transaktionspreisen aus Transaktionen, die at arm’s length, dh frei von Zwängen, zwischen gleichberechtigten und hinreichend informierten Parteien sowie frei von Interessenkollisionen, abgelaufen sind, Ruthardt/ M. Popp, AG 2020, 246f. Fleischer (Abfindungsbemessung gem. §728 BGB nach der Reform des Personengesellschaftsrechts, GmbHR 2023, 1005 [1014]) billigt zu, dass konkrete Kaufangebote „für den betreffenden oder vergleichbare Gesellschaftsanteile ein belastbares Bewertungsindiz darstellen“

Unternehmensbewertung

deutsche BewG würde sich daher etwa in seinem §11 Abs2 für die Ermittlung des gemeinen Werts von nicht börsenotierten Kapitalgesellschaften primär die Ableitung aus „Verkäufen unter fremden Dritten ..., die weniger als ein Jahr zurückliegen“, wünschen. So weit, so einleuchtend.

Problematisch daran ist nicht etwa das Prinzip, sondern der Umstand, dass ein Unternehmen schon grundsätzlich sehr selten veräußert wird, noch seltener zweimal hintereinander und noch viel seltener zweimal hintereinander im Abstand von weniger als einem Jahr.17 Auch §11 dBewG muss daher anerkennen, dass Unternehmensbewertungen unvermeidlich sind, wenn keine realen Transaktionen unter fremden Dritten aus der näheren Vergangenheit vorliegen.18

Auch aus zivilrechtlicher Sicht wird allgemein betont, dass die Ermittlung eines Marktpreises insb dann leicht möglich sei, wenn es eine Vielzahl von Kaufabschlüssen zu gleichartigen Gegenständen gibt, aus denen sich ein Durchschnittswert ableiten lässt.19 Bei unvertretbaren Gegenständen und nicht marktgängigen Einzelstücken sei hingegen meist nur ein Schätzpreis ermittelbar, der eine Approximation, freilich tunlichst auf Basis objektivierbarer, dh einer Nachprüfung zugänglicher Faktoren, darstellt.20

III.Anlässe für eine Preisfindung durch Unternehmensbewertung

Der praktische Anlass für eine solche Preisfindung durch Unternehmensbewertung21 kann schlicht ein klassischer Unternehmensverkauf sein.22 Aus juristischer Sicht stellt sich die Notwendigkeit aber insb bei vom Gesetz ermöglichten sog dominierten Transaktionen, also immer dann, wenn ein Anteilseigner auch gegen seinen Willen durch Mehrheitsbeschluss eine Veränderung seiner Eigentumsverhältnisse dulden muss,23 insb gegen seinen Willen 1.) aus der Gesellschaft ausgeschlossen (gesellschafts- oder übernahmerechtlicher Squeeze-out gem GesAusG oder umgründungsbedingter Squeeze-out im Zuge einer Umwandlung gem §2 Abs2 Z3, Abs3 Z3 und 4 sowie §5 Abs1 UmwG oder Vermögens-

17 Für ein prominentes Gegenbeispiel einer zweimal im Abstand weniger Monate übernommenen börsenotierten Gesellschaft H. Foglar-Deinhardstein/Trettnak, Überholender Kontrollwechsel im Zuge eines Aktienerwerbs zu Sanierungszwecken, GesRZ2015, 99 (100f); generell skeptisch Schweighart, Objektivierter Unternehmenswert, 1117: „Wäre ein Marktpreis für Unternehmen verfügbar, wäre das Instrument der Unternehmensbewertung obsolet.“

18 Möglich wäre naturgemäß die Durchführung eines Bieterverfahrens mit Einholung verbindlicher Kaufangebote; allgemein zur Relevanz von Bieterwettbewerb, Bewertungsgutachten und Vergleichsangeboten Dritter für die Ermittlung des Verkehrswerts Karollus, Einlagenrückgewähr, 85 und 91; H. Foglar-Deinhardstein in H. FoglarDeinhardstein/Aburumieh/Hoffenscher-Summer, GmbHG2 (in Druck) §82 Rz90.

19 J. W. Flume, Marktaustausch (2019) 72 und 159; vgl allgemein Aicher in Rummel/ Lukas, ABGB4, §1054 Rz19; Verschraegen in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.08, §1054 Rz26.

20 J. W. Flume, Marktaustausch, 72f, 159 und 183; ders, Austauschverträge in volatilen Märkten, JBl 2020, 502 (518); vgl allgemein Aicher in Rummel/Lukas, ABGB4, §1054 Rz23; Verschraegen in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.08, §1054 Rz31.

21 Das Fachgutachten KFS/BW 1 (siehe FN 70) nennt vielfältige Beispiele für Bewertungsanlässe; vgl KFS/BW 1, Rz14; vgl auch Fleischer, AG 2014, 98; V. Gass/F. Wirth, Wertkonzepte und Wertbegriffe bei rechtsgeprägten, rechnungslegungsbezogenen und steuerlichen Unternehmensbewertungen, in FS Bertl (2021) 1055 (1056); Patloch-Kofler/Keskin, Managementplanung und erwartungstreue Planung in der Unternehmensbewertung, RWZ2023, 331 (331f).

22 Haberer, Zur Rolle des Wirtschaftsprüfers im Gesellschaftsrecht, GesRZ2019, 294 (307); V. Gass/F. Wirth, Wertkonzepte, 1056; Haberer/Purtscher, Wirtschaftliche und rechtliche Fragen der Unternehmensbewertung, in Althuber/Schopper, Handbuch Unternehmenskauf & Due Diligence I2 (2015) 163 (165 und 192ff).

23 Klingelhöfer/Follert, Bestimmung der Angemessenheit, 1068 und 1071; Haberer/ Purtscher, Unternehmensbewertung, 193 und 197; Winner, Bewertungsprobleme bei Umgründungen, in Artmann/Rüffler/U. Torggler, Unternehmensbewertung und Gesellschaftsrecht (2014) 57 (57f).

übertragung gem §§235 und 236 AktG) oder 2.) zur Teilnahme an einer Umgründung verhalten werden kann. Bei Umgründungen sind Bewertungen insb24 dann erforderlich, wenn 1.) eine Anteilsgewähr oder -auskehr stattfindet, weil dann das Umtauschverhältnis und die Höhe allenfalls notwendiger barer Zuzahlungen zu ermitteln sind, oder 2.) das Gesetz den Minderheitsgesellschaftern das Recht auf Austritt durch Rückgabe ihrer Anteile gegen Barabfindung zubilligt (gesellschaftsrechtlicher Sell-out).25

Ein solcher Sell-out muss bei folgenden Umgründungen für die dissentierenden Anteilseigner der übertragenden bzw umzuwandelnden Gesellschaft ermöglicht werden:26

 nicht verhältniswahrende oder rechtsformübergreifende Spaltung (§§9 und 11 SpaltG);

 rechtsformübergreifende Verschmelzung (§234b AktG) und mE auch grenzüberschreitende Export-Dreiecksverschmelzung; 27

 grenzüberschreitende Export-Umwandlung (Sitzverlegung) (§17 EU-UmgrG);

 grenzüberschreitende Export-Verschmelzung (§40 EUUmgrG);

 grenzüberschreitende Export-Spaltung (§57 EU-UmgrG);

 rechtsformwechselnde (identitätswahrende) Umwandlung (§§244 und 253 AktG; §26 FlexKapGG);

 grenzüberschreitende Sitzverlegung einer SE oder grenzüberschreitende Export-Verschmelzung zur Gründung einer SE (§§6, 12, 13, 17 und 21 SEG);

 Vermögensübertragung auf den Hauptaktionär (§237 AktG).

Immer gilt das Prinzip, dass dominierte Strukturänderungen zwar unter Umständen gegen den Willen, aber nicht auf Kosten der Minderheit möglich sein sollen.28

IV.Kein durchreguliertes Bewertungsregime

im Gesellschafts- und Umgründungsrecht Man könnte theoretisch erwarten, dass bei Anlässen für eine Unternehmensbewertung und insb bei Bewertungen iZm den vorstehend schon erwähnten dominierten Transaktionen die Bewertungsregeln durch entsprechende gesellschafts- und umgründungsrechtliche Anordnungen in strikt durchregulierter Weise vorgegeben wären.29 Dies ist aber bekanntlich nicht der Fall, was ganz dem privatrechtlichen und fragmentarischen Charakter des Gesellschaftsrechts entspricht.

Fragmentarisch ist das Gesellschaftsrecht insofern, als es bei Weitem nicht lückenlos alle von ihm erfassten Sachverhalte normativ durchdringt.30 Vielmehr beschränkt es sich auf eine relativ geringe Normierungsdichte31 und öffnet noch

24 Wenn bei einer Umgründung eine Bewertung aus Sicht des Kapitalaufbringungsrechts (Sachgründungs- oder Sacheinlageprüfung, spaltungsrechtliche Restvermögensprüfung) oder des Kapitalerhaltungsrechts (Bestätigung des positiven Verkehrswerts) benötigt wird, wird häufig keine umfassende Unternehmensbewertung erforderlich sein.

25 Haberer, GesRZ2019, 307; Haberer/Purtscher, Unternehmensbewertung, 195ff; Winner, Bewertungsprobleme, 58.

26 Vgl H. Foglar-Deinhardstein/Feldscher in Adensamer/Mitterecker, Gesellschafterstreit (2021) Rz11/54 und 11/236ff.

27 Zur Barabfindung beim triangular merger H. Foglar-Deinhardstein, Anmerkungen zum (grenzüberschreitenden) Triangular Merger, GesRZ2012, 326 (331).

28 Doralt, Zur Entwicklung eines österreichischen Konzernrechts, ZGR 1991, 252 (258).

29 Ein Beispiel für eine genaue gesetzliche Anweisung über eine Wertermittlung ist etwa §16 Abs3 MRG (Berechnung des Lagezuschlags).

30 Vgl Schnorbus, Analogieverbot und Rechtsfortbildung im Umwandlungsrecht, DB 2001, 1654; Mülbert, Einheit der Methodenlehre? AcP 214 (2014), 188 (217f, 287 und 292); Fleischer, GmbHR 2023, 1010.

31 Mülbert, AcP 214 (2014), 217f, 287 und 292.

innerhalb des schmalen Normenbestands immer wieder normative Freiräume, so etwa durch die Business Judgment Rule, die für die Haftungsfreistellung der Organwalter bei unternehmerischen, dh nicht (strikt) rechtlich gebundenen Entscheidungen die Art der Entscheidungsfindung genügen lässt, während der Inhalt der Entscheidung den Organen der Gesellschaft überlassen bleibt.32 Schon ganz allgemein gesprochen sind die Organe in weiten Bereichen keinen starren rechtlichen Pflichten, sondern nur, aber immerhin dem Interesse der Gesellschaft und dem Wohl des von ihr betriebenen Unternehmens verpflichtet,33 wobei unter dem Wohl des Unternehmens typischerweise das Erzielen von Erträgen (noch allgemeiner gesprochen: das Tätigwerden am Markt) ohne Gefährdung der Zielsetzung des langfristigen Fortbestands verstanden wird.34 Auch zum weiten Feld der Unternehmensfinanzierung trifft das Gesellschaftsrecht – neben den allgemeinen Regeln der Kapitalaufbringung, der Kapitalerhaltung und des Eigenkapitalersatzes – nur punktuelle und äußerst rudimentäre Anordnungen. Selbst im strengen Kapitalerhaltungsrecht lässt das Gesellschaftsrecht durchaus Spielräume offen: Maßnahmen, die per se als verdeckte Einlagenrückgewähr zu qualifizieren wären, können nämlich betrieblich gerechtfertigt sein, durch angemessene Ausgleichsmaßnahmen legitimiert werden oder sogar unter gewissen Umständen durch geeigneten Ausgleich ex post saniert (geheilt)35 werden. Es ist eben nicht Aufgabe des Gesellschaftsrechts, die vielfältige unternehmerische Wirklichkeit in einem Normendickicht zu ersticken.36

Wenn im Gesellschafts- und Umgründungsrecht ein zwingender Bewertungsanlass behandelt wird, gibt das Gesetz daher keine strikten Bewertungsregeln vor, sondern verlangt etwa

 im Verschmelzungsrecht eine wirtschaftliche Erläuterung und Begründung des Umtauschverhältnisses der Aktien und der Höhe der baren Zuzahlungen und einer allfälligen Barabfindung unter Hinweis auf „besondere Schwierig-

32 Näher H. Foglar-Deinhardstein, Schwere Kost – Neues zur verbotenen Einlagenrückgewähr bei der verdeckten Kapitalgesellschaft und zur Abschlussprüferhaftung, GES2021, 159 (169ff); Mitterecker, Organhaftung bei unklarer Rechtslage: Braucht es eine Legal Judgment Rule? GesRZ2022, 14; Ruhmannseder in Ruhmannseder/ Wess, Handbuch Corporate Compliance (2022) Rz1.17ff; Eckert/Madari in Ruhmannseder/Wess, Corporate Compliance, Rz3.24ff; Told/Warto, Die Leitung des Unternehmens: Zur Sorgfaltspflicht der Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder, in Harrer/Neumayr/Told, Organhaftung (2022) 3 (36ff und 74).

33 Told, Die Gesellschaft zwischen Gesellschafterinteresse und einem etwaig davon losgelösten Eigeninteresse, in FS Koppensteiner (2016) 339 (346f); ähnlich ReichRohrwig in Artmann/Karollus, AktG6 (2019) §70 Rz91.

34 Ch. Nowotny, Unternehmerische Entscheidung und Organhaftung, in FS Koppensteiner (2016) 193 (195); vgl auch Winner in Kalss/Frotz/Schörghofer, Handbuch für den Vorstand (2017) §41 Rz31; Feltl/Told in Gruber/Harrer, GmbHG2 (2018) §25 Rz36; Reich-Rohrwig in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §25 Rz22.

35 Zur Sanierung (Heilung) einer verbotenen Einlagenrückgewähr OGH 13.12.2016, 3Ob 167/16d; 28.3.2018, 6 Ob 128/17t, GesRZ2018, 242 (Ch. Nowotny) = GES2018, 237 (Fantur); dazu Michtner, Aufrechnung durch Gesellschaft von unberechtigt bezogenen Gehältern mit Gewinnen zulässig, GES2018, 233; Aburumieh/ H. Foglar-Deinhardstein, Die verdeckte Kapitalgesellschaft – eine unendliche Geschichte, GES2019, 3; OGH 24.10.2019, 6 Ob 184/19f; 25.11.2020, 6 Ob 226/20h; 18.2.2021, 6 Ob 207/20 i, GesRZ2021, 252 (Artmann) = RWZ2021/37 (Wenger); dazu Fantur, Bilanzierung von Rückgewähransprüchen aus verbotener Einlagenrückgewähr, GES2021, 57; H. Foglar-Deinhardstein, GES2021, 159ff; Gaggl, Zum Periodenverschiebungsproblem bei Einbringung im Unternehmensverbund – gleichzeitig eine Besprechung von OGH 6 Ob 207/20i, WBl 2021, 611; OLG Innsbruck 27.4.2023, 3 R 26/23g; H. Foglar-Deinhardstein in H. Foglar-Deinhardstein, Verdeckte Gewinnausschüttung (2020) Rz1/197.

36 Vgl U. Torggler, Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit im Wirtschaftsprivatrecht, JBl 2011, 762 (765): „Für den Gesetzgeber folgt aus dem Gesagten zunächst, dass er sich mit zwingendem Recht im Unternehmensrecht zurückhalten, dispositives Recht nur unter Einhaltung besonderer Qualitätsstandards schaffen und im Übrigen den Beteiligten die Regelung ihrer Verhältnisse überlassen soll“; siehe FN 188.

keiten bei der Bewertung der Unternehmen“ (§§220a und 234b AktG), wobei das Umtauschverhältnis, die baren Zuzahlungen und eine allfällige Barabfindung nach angemessenen Methoden zu ermitteln (§220b Abs4 und §234b Abs2 AktG) und angemessen festzulegen sind (§220b Abs4, §225c Abs1 sowie §234b Abs2, 3 und 5 AktG),37 oder

 im Squeeze-out-Recht die Festlegung und Gewährung einer angemessenen Barabfindung (§§1 bis 3 und §§5 bis 7 GesAusG).

Bei der Verschmelzung gingen die Gesetzesverfasser – wie schon aus der Anordnung in §220b Abs4 AktG zur Anwendung „angemessener Methoden“ hervorgeht – davon aus, dass die Festlegung des Umtauschverhältnisses und der Höhe von baren Zuzahlungen und Barabfindung idR auf Grundlage einer Unternehmensbewertung des Vermögens der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften geschieht. Selbiges gilt für das Squeeze-out-Recht, wo §3 Abs1 GesAusG – wie schon §§220a und 234b AktG – auf „besondere Schwierigkeiten bei der Bewertung der Unternehmen“ abstellt, §3 Abs2 GesAusG auf §220b Abs4 AktG verweist und §3 Abs5 Z3 GesAusG ausdrücklich auf „allfällige Gutachten, auf denen die Beurteilung der Angemessenheit beruht“, Bezug nimmt.

V.Was ist eine „angemessene“ Abfindung?

1.Abgeltung des vollen wirtschaftlichen Werts In der Entscheidung vom 25.11.2020, 6 Ob 96/20s, hat sich der OGH ausführlich mit der Frage beschäftigt, was denn nun eigentlich unter einer „angemessenen“ Abfindung zu verstehen ist, und kam nach Analyse der einschlägigen Bestimmungen im ABGB und UGB zum Schluss, dass es dabei um die Abgeltung des vollen wirtschaftlichen Werts der Anteilsrechte durch volle Abbildung des objektiven (gemeint wohl: objektivierten)38 Verkehrswerts geht.39 Diese Interpretation liegt schon deswegen nahe, weil – wie erwähnt – bei dominierten Transaktionen auch gegen den Willen des einzelnen Anteilseigners in seine Mitgliedschaft eingegriffen werden kann; vor diesem Hintergrund soll dem Anteilseigner naturgemäß ein möglichst vollwertiger wirtschaftlicher Ausgleich zustehen.40

In der genannten OGH-Entscheidung wird auch die Frage diskutiert, ob für die Ermittlung der Angemessenheit zwischen zwangsweisem und freiwilligem Ausscheiden, also zwischen Squeeze-out und umgründungsbedingtem Sell-out, zu unterscheiden ist. Dies wäre nicht unlogisch, weil der zwangsweise ausgeschlossene Anteilseigner schutzwürdiger erscheint als der freiwillig austretende, der ja immerhin die Wahl hat, ob er in der Gesellschaft bleibt oder seine Beteiligung liquidiert.41

Der 6. Senat hält aber fest, dass das Gesetz in beiden Konstellationen unterschiedslos auf die Angemessenheit abstellt, und

37 Aburumieh/Adensamer/H. Foglar-Deinhardstein, Verschmelzung, Kap V.A Rz32.

38 Zum Unterschied zwischen objektivem und objektiviertem Unternehmenswert Schweighart, Objektivierter Unternehmenswert, 1109 und 1119; zur hA, dass bei rechtlich dominierten Bewertungsanlässen ein Gleichklang zwischen objektiviertem Unternehmenswert und Verkehrswert besteht, Schweighart, Objektivierter Unternehmenswert, 1115.

39 Ebenso V. Gass/F. Wirth, Wertkonzepte, 1057f; Klingelhöfer/Follert, Bestimmung der Angemessenheit, 1069; Fleischer, GmbHR 2023, 1011 und 1018.

40 H. Foglar-Deinhardstein, GesRZ2013, 166.

41 So Winner, Bewertungsprobleme, 66 und 75f; ähnlich Ruthardt/M. Popp, AG 2020, 248; Ruiz de Vargas, Börsenwert: Alleinige Maßgeblichkeit oder nur Wertuntergrenze? (Teil II), NZG 2021, 1056 (1058).

Unternehmensbewertung

folgert daraus, dass der Anteilseigner weder beim Ausschluss noch beim Austritt einen wirtschaftlichen Nachteil erleiden soll und ihm daher in beiden Szenarien der objektive (gemeint wohl: objektivierte) Verkehrswert zu ersetzen ist.

2.Abfindung des quotalen Unternehmenswerts

2.1.Warum (zumindest) bei der AG die indirekte Anteilsbewertung rechtlich maßgeblich ist

Wenn eine Abfindung den Wert der Gesellschaft, der anteilig auf die jeweilige Beteiligungsquote des Abfindungsberechtigten entfällt, widerspiegeln soll, so ist bei der Bewertung der Gesellschaft nicht auf den Wert der Anteile als eigenständige Wirtschaftsgüter, sondern auf den Unternehmenswert abzustellen.42 Rechnerisch kommt es bei dieser abgeleiteten (indirekten) Anteilsbewertung zu einem zweistufigen Verfahren: Im ersten Schritt ist der Gesamtwert des Unternehmens der Gesellschaft zu ermitteln; dieser errechnet sich als (auf den Bewertungsstichtag abgezinster) Kapitalwert der zukünftigen finanziellen Nutzenzuflüsse, die aus dem Unternehmen (bei Berücksichtigung des Zusammenwirkens der einzelnen Vermögenswerte abzüglich der Schulden) zu erwarten sind. Im zweiten Schritt muss dieser Unternehmenswert quotal auf die von den auszuschließenden Gesellschaftern gehaltenen Anteile aufgeteilt werden.43

Diese Vorgangsweise kann grundsätzlich auch auf Gesellschaften angewendet werden, die selbst gar nicht Trägerinnen eines Unternehmens sind, solange es eine unternehmerische Einheit, dh eine selbständig führbare wirtschaftliche Einheit, gibt, zu der sich ein Bezug herstellen lässt: Im exemplarischen Fall einer Holding-Gesellschaft ohne eigene operative Tätigkeit, die sich auf die Verwaltung einer Beteiligung an einem Unternehmen beschränkt, hat die Bewertung die Holding und die Beteiligung gemeinsam zu umfassen, wobei die Holding als reiner Kostenfaktor vom Unternehmenswert abzuziehen ist.44

Gerade mit Blick auf die GmbH wird diskutiert, ob für Geschäftsanteile nicht – abweichend von der Bewertung von AG-Beteiligungen – eine direkte Anteilsbewertung zielführender sein könnte, weil das GmbH-Recht in weit größerem Ausmaß privatautonome Gestaltungen der Beteiligung zulässt als das Aktienrecht.45 Bei einer direkten Anteilsbewertung würde der Wert des gesamten Unternehmens außer Betracht bleiben; herangezogen würde direkt der individuelle Kapitalwert jener finanziellen Zuflüsse, mit deren Erhalt der konkrete Anteilseigner rechnen kann.46 Dabei könnten sich aufgrund der Individualisierung der Berechnung naturgemäß sowohl ein hoher praktischer Bewertungsaufwand als auch komplizierte Fragen im Hinblick auf die Verwirklichung des gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgebots stellen.47

42 Aburumieh/Adensamer/H. Foglar-Deinhardstein, Verschmelzung, Kap V.A Rz33.

43 Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung3 (2021) §2 GesAusG Rz12 und 28; Gall/Potyka/Winner, Squeeze-out (2006) Rz205 und 209; Winner, Wert und Preis im Zivilrecht (2007) 461; Mollnhuber, Umtauschverhältnis und Unternehmensbewertung bei der Verschmelzung (2017) 59 und 549; Hügel/Aschauer, Pflichtteilsrecht und Unternehmensbewertung bei der Gründung von Unternehmensstiftungen, in P. Barth/U. Pesendorfer, Praxishandbuch des neuen Erbrechts (2016) 227 (270f und 274f); Fleischer, GmbHR 2023, 1012.

44 Vgl Hügel/Aschauer, Pflichtteilsrecht, 269.

45 Vgl Winner, Wert und Preis, 481f; Gall/Potyka/Winner, Squeeze-out, Rz207.

46 Vgl Hügel/Aschauer, Pflichtteilsrecht, 274; Fleischer, GmbHR 2023, 1012.

47 H. Foglar-Deinhardstein, NZ2018, 216.

Für AGs war die indirekte Anteilsbewertung aber auch in der juristischen Literatur schon lange unstrittig48 und der OGH hat sich ebenfalls dahin gehend festgelegt, dass sich bei AGs die angemessene Barabfindung grundsätzlich nach dem anteiligen Unternehmenswert des Anteilsberechtigten bemisst. Dies wurde vom Höchstgericht mit dem verfassungsrechtlichen Gebot des Ausgleichs für den Verlust der Beteiligung begründet.49

Die Maßgeblichkeit der indirekten Anteilsbewertung wird ebenso durch verschiedene gesellschaftsrechtliche Regelungen bestätigt. §137 Abs2 UGB und die Parallelvorschrift des §1203 Abs2 ABGB bestimmen: „Dem ausscheidenden Gesellschafter ist in Geld auszuzahlen, was er bei der Auseinandersetzung erhielte, wenn die Gesellschaft zur Zeit seines Ausscheidens aufgelöst worden wäre. Der Wert des Gesellschaftsvermögens ist, soweit erforderlich, durch Schätzung zu ermitteln.“ Diese gesetzliche Liquidationshypothese, gemäß der der ausscheidende Gesellschafter mit dem gedachten Verkaufspreis im Ausmaß seiner Beteiligungsquote abzufinden ist, deutet in Richtung der indirekten und spricht gegen die direkte Anteilsbewertung.50

Die indirekte Methode wird weiters dadurch untermauert, dass im GmbH-Recht und im Aktienrecht – wenn auch dispositiv – die Verteilung von Bilanzgewinn und Liquidationsüberschuss nach dem Schlüssel der (eingezahlten) Stammeinlagen bzw der Anteile am Grundkapital vorgesehen ist (§82 Abs2 und §91 Abs3 GmbHG; §§53 und 212 AktG), sodass nach dem Bild des Gesetzes insb Stimmrechte und Einflussmöglichkeit außer Betracht bleiben und eine quotale Verteilung der Unternehmensüberschüsse erfolgt.51

Freilich kann die mittelbare Anteilsbewertung bei der Zuweisung des Unternehmenswerts auf den einzelnen Anteil –

48 Vgl Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung3, §2 GesAusG Rz12 und 28; dies, Europarechtliche und verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen für das Umwandlungsrecht, JBl 1995, 420 (437); Aschauer/Schiebel, Zur Rolle des Börsenkurses beim Gesellschafterausschluss, RWZ2009, 308; Winner, Wert und Preis, 419ff und 461; Aschauer, Unternehmensbewertung beim Gesellschafterausschluss (2009) 141 und 163; Ramesohl, Aktieneigentum, „wahrer Wert“ und Börsenkurs (2007) 141; Fleischer, AG 2014, 99 und 109; Aburumieh/Adensamer/H. Foglar-Deinhardstein, Verschmelzung, Kap V.A Rz33; H. Foglar-Deinhardstein/Molitoris/Hartig, Angemessene Barabfindung beim Squeeze-out: Jagd nach einer Chimäre? GesRZ2020, 43 (43 FN 9); Zottl/Pendl, GesRZ2019, 222; H. Foglar-Deinhardstein, NZ2018, 216f; wohl auch Rüffler, Rechtlicher Rahmen der Unternehmensbewertung, in Artmann/Rüffler/U. Torggler, Unternehmensbewertung und Gesellschaftsrecht (2014) 43 (53); zum Verschmelzungsrecht Mollnhuber, Umtauschverhältnis, 59ff; vgl auch Koch, AktG17 (2023) §305 Rz23 und 51 sowie §327b Rz5. 49 OGH 12.5.2021, 6 Ob 246/20z, GesRZ2021, 241 (H. Foglar-Deinhardstein/Aichinger und Vanovac/Löffler) = ZFR 2021/244 (Hubcheva); dazu Rüffler, Zur Verzinsung der Barabfindung und zugesprochener barer Zuzahlungen gemäß §6 GesAusG, GesRZ2021, 209; vgl auch OGH 6.8.2021, 6 Ob 113/21t; dazu H. Foglar-Deinhardstein/ Feldscher, Leben mit der Unschärfe – OGH entlastet das Nachprüfungsverfahren, NZ2022, 165; sehr kritisch zur Praxis der Abfindung auf Basis von Unternehmensbewertungen L. Knoll/E. Wenger, Unterwertige Minderheitenabfindungen: ein Kollateralschaden! Aufsichtsrat aktuell 5/2016, 19.

50 Vgl OGH 25.11.2020, 6 Ob 96/20s; Fleischer, Unternehmensbewertung und Bewertungsabschläge beim Ausscheiden aus einer geschlossenen Kapitalgesellschaft, in Kalss/ Fleischer/Vogt, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in Deutschland, Österreich und der Schweiz 2013 (2014) 137 (147f); Ruthardt/M. Popp, AG 2020, 247; Aschauer, Unternehmensbewertung beim Gesellschafterausschluss, 13, 15ff, 18f und 164ff; Rüffler, Unternehmensbewertung, 46, 51ff und 54f; Zottl/Pendl, GesRZ2019, 222; Haberer/Purtscher, Unternehmensbewertung, 196; Koppensteiner/Auer in Straube/ Ratka/Rauter, UGB I4, §138 Rz12; differenzierend Aschauer, Die rechtsgeprägte Unternehmensbewertung – Anpassungsnotwendigkeiten des objektivierten Unternehmenswerts, in Bertl/Eberhartinger/Egger/Hirschler/Kalss/Lang/Nowotny/Riegler/ Rust/Schuch/Staringer, Wertmaßstäbe (2019) 71 (75f); vgl auch die steuerliche Veräußerungsfiktion bei der Ermittlung des Verkehrswerts, der daher den bei der Veräußerung im Wirtschaftsverkehr erzielbaren Preis unter der Annahme der Fortführung der Einheit durch den Erwerber darstellt; dazu Schweighart, Objektivierter Unternehmenswert, 1113; zur Streichung der Liquidationshypothese aus dem BGB Fleischer, GmbHR 2023, 1005ff.

51 Vgl Winner, Wert und Preis, 422; Fleischer, ZIP 2012, 1636; ders, Unternehmensbewertung, 147f.

zumindest rechnerisch – sowohl die Berücksichtigung von Sonderrechten als auch die Differenzierung nach Anteilsgattungen grundsätzlich ebenso wie die unmittelbare Anteilsbewertung bewältigen; der gesamte Unternehmenswert muss diesfalls bei der indirekten Anteilsbewertung differenziert, nämlich durch Zu- und Abschläge gewichtet, auf die unterschiedlich gestalteten Anteile aufgeteilt werden.52 ZB haben stimmrechtslose Vorzugsaktien idR einen niedrigeren Wert als Stammaktien.53 Dass eine derartige Differenzierung nach Ausgestaltung der Anteile nicht nur rechnerisch möglich, sondern auch gesetzlich geboten ist, erschließt sich aus §2 Abs1 GesAusG, der in seinem letzten Satz ausdrücklich anordnet: „Werden Sonderrechte entzogen, so ist dies bei der Festlegung der Abfindung zu berücksichtigen.“ 54

2.2.Einpreisung von Schadenersatzansprüchen bei der indirekten Anteilsbewertung?

Der OGH hat in der Entscheidung vom 29.8.2019, 6 Ob 197/18s,55 obiter ausgesprochen, dass auch Schadenersatzansprüche der Gesellschaft, insb solche gegen ihre eigenen Organe, im Wege der indirekten Anteilsbewertung zu einer Erhöhung der Barabfindung führen und daher im Verfahren zur Überprüfung der Barabfindung eine Rolle spielen können. Tatsächlich sind offene und realisierbare Schadenersatzansprüche, seien sie gegen aktuelle oder ehemalige Organwalter oder Anteilseigner oder gegen Dritte gerichtet, grundsätzlich einer Veräußerung zugänglich und daher bewertungstechnisch dem nicht betriebsnotwendigen Vermögen zuzuordnen.56

Aus praktischer Sicht wurde wohl nicht zu Unrecht Skepsis gegenüber der Prüfung schwebender Ersatzansprüche bei einer Unternehmensbewertung oder im Nachprüfungsverfahren57 angemeldet.58 Der jeweilige Bewertungsgutachter müsste sich grundsätzlich ein klares Bild sowohl von der rechtlichen Existenz als auch von der Werthaltigkeit der Schadenersatzansprüche, jeweils zum Bewertungsstichtag, machen. Es liegt nahe, dass eine solche Analyse idR den Rahmen einer Unternehmensbewertung, aber auch eines Nachprüfungsverfahrens sprengen würde. In der deutschen Rspr wurde daher bereits festgehalten, dass nur solche Schadenersatzansprüche zwingend in die Bewertung einfließen müssen, die vom Schuldner nicht bestritten oder durch ein Gericht rechtskräftig festgestellt worden und darüber hinaus auch einbringlich sind.59

52 Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung3, §2 GesAusG Rz20f; Hügel/ Aschauer, Pflichtteilsrecht, 277f und 286; Winner, Wert und Preis, 480f; Gall/Potyka/ Winner, Squeeze-out, Rz206 und 208; Ramesohl, Aktieneigentum, 143; H. FoglarDeinhardstein, NZ2018, 216f; H. Foglar-Deinhardstein/Feldscher in Adensamer/ Mitterecker, Gesellschafterstreit, Rz11/152; zu Abschlägen wegen gesellschaftsvertraglicher Besonderheiten Krejci, Unternehmenswert, 784f; aA zum deutschen Recht (quotale Bewertung nach Liquidations- und Ergebnisverteilungsschlüssel ohne Berücksichtigung disquotaler Stimmrechte) Fleischer, GmbHR 2023, 1017 und 1019.

53 Strimitzer, Der Wert der Geschäftsführung und des Gesellschaftereinflusses, UnternehmerCircle 2016, 9 (11); Gall/Potyka/Winner, Squeeze-out, Rz206; Edelmann, Preisfragen im Übernahmerecht, GesRZ2016, 19 (24); Kalss, Verschmelzung –Spaltung – Umwandlung3, §234b AktG Rz35 und §2 GesAusG Rz22; Ch. Nowotny, Zur Bewertung von Stamm- und Vorzugsaktien, RdW 2002, 138; Winner, Wert und Preis, 481; vgl auch ÜbK 15.1.2001, 2000/2/6-81.

54 Vgl Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung3, §234b AktG Rz34 und §2 GesAusG Rz19ff.

55 GesRZ2019, 435 (Diregger) = EvBl-LS2020/11 (Rohrer); dazu R. Rastegar, Anhängige Gesellschafterprozesse bei Squeeze-Out & Co, GES2020, 369.

56 Zottl/Pendl, GesRZ2019, 224.

57 Zum Nachprüfungsverfahren siehe Pkt VI.3.

58 Zottl/Pendl, GesRZ2019, 224.

59 Nachweise bei Zottl/Pendl, GesRZ2019, 225.

VI.Rechtlicher und gerichtlicher Rahmen für Bewertungsgutachten

1.Fachgerechte Ermittlung des Unternehmenswerts bei dominierten Transaktionen

Bei dominierten Transaktionen, die das Gesetz für AGs vorsieht,60 ist also die indirekte Anteilsbewertung zur Ermittlung der Angemessenheit von Umtauschverhältnis, barer Zuzahlung und Barabfindung anzuwenden.

Aus rechtlicher Sicht muss freilich nicht jede Unternehmensbewertung bei dominierten Transaktionen durch einen externen sachverständigen Gutachter erfolgen. Dies spiegelt sich auch im Wortlaut des §3 Abs5 Z3 GesAusG wider, der nur verlangt, dass „allfällige“ Gutachten, auf denen die Beurteilung der Angemessenheit beruht, offengelegt werden. Es besteht somit beim Squeeze-out keine prinzipielle Verpflichtung zur Einholung solcher Bewertungsgutachten durch den Hauptgesellschafter oder die Gesellschaft.61 Vielmehr liegt die Entscheidung darüber im unternehmerischen Ermessen und damit in der Sorgfaltspflicht der Geschäftsführung.62

Die Einholung eines externen Gutachtens ist insb dann nicht geboten, wenn der notwendige Sachverstand ohnedies unternehmensintern vorliegt63 und die Bewertung durch unternehmensinterne Fachleute erstellt werden kann. So wurde etwa beim Squeeze-out der Austrian Airlines 201064 die Bewertung des Unternehmens, auf der die Ermittlung der Barabfindung beruhte, nur unternehmensintern ohne Beiziehung eines externen Sachverständigen durchgeführt. Der gem §3 Abs2 GesAusG gerichtlich bestellte Sachverständige bestätigte die Angemessenheit der Barabfindung ohne jeglichen Verweis auf eine externe Bewertung und unter ausdrücklicher Berufung auf diese interne Unternehmensbewertung sowie auf die bei den Austrian Airlines durchgeführte interne Analyse des Markt- und Wettbewerbsumfelds.

Wie erwähnt, gestattet das Gesetz diese Vorgangsweise, die daher nicht zu beanstanden ist. Naturgemäß sind bei rechtsgeprägten Bewertungen aber auch unternehmensintern erstellte Bewertungen genauso auf ihre Normzweckadäquanz65 abzuklopfen.

Übrigens ist nach der Rspr zur Ermittlung einer kapitalerhaltungsrechtlich adäquaten Gegenleistung bei Fehlen von Marktpreisen „jedenfalls eine fachgerechte Bewertung nach anerkannten Bewertungsmethoden notwendig“, 66 wobei sich die Organe der Gesellschaft im Rahmen eines vertretbaren unternehmerischen Ermessens halten müssen. Auch daraus folgt aber mE nicht die zwingende Notwendigkeit eines externen Bewertungsgutachtens.

60 Siehe Pkt III.

61 Vgl OGH 23.4.2020, 6 Ob 56/20h, GesRZ2020, 356 (H. Foglar-Deinhardstein) = ZFR 2020/222 (A. Gassner).

62 Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung3, §3 GesAusG Rz35; vgl auch Reich-Rohrwig/Cl. Grossmayer/K. Grossmayer/Zimmermann in Artmann/Karollus, AktG6, §84 Rz192.

63 Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung3, §3 GesAusG Rz35; vgl allgemein Reich-Rohrwig/Cl. Grossmayer/K. Grossmayer/Zimmermann in Artmann/Karollus, AktG6, §84 Rz192; Rauter, Gutachten „mit kurzen Beinen“, GRAU 2023, 41 (44).

64 HG Wien 3.2.2010, 71 Fr 935/10g; vgl auch OGH 11.10.2010, 6 Ob 186/10m; 31.1.2013, 6 Ob 210/12v, GesRZ2013, 162 (H. Foglar-Deinhardstein).

65 Siehe Pkt VI.3.2.

66 OGH 17.1.2018, 6 Ob 199/17h, GesRZ2018, 179 (Durstberger) = ecolex 2018/188 (Kapsch); dazu Zehentmayer, Limitiertes Vorkaufsrecht als verbotene Einlagenrückgewähr, ZFR 2018, 218; Chladek/L. Graf/Seeber, Einlagenrückgewähr durch Einräumung eines Vorkaufsrechts an eine zukünftige Gesellschafterin, GesRZ2018, 221.

Unternehmensbewertung

Auch außerhalb dominierter Transaktionen als Bewertungsanlässen können unternehmensintern erstellte Bewertungen verschiedensten Zwecken dienen und werden natürlich oft ohne Einhaltung strenger fundamentalanalytischer Methoden erstellt. Aus rechtlicher Sicht ist die jeweilige Zulässigkeit anhand des Einzelfalles zu beurteilen.

Unabhängig davon stellt sich bei sog Praktikermethoden für Wertfindungen natürlich immer – nicht weniger als bei fundamentalanalytischen Bewertungen – die Frage der Treffsicherheit und (vorgelagert) die Frage, ob sie überhaupt denklogisch und methodisch zu korrekten Ergebnissen führen.

So hat zB Schwetzler unlängst auf Schwächen der bei Venture-capital-Unternehmen üblichen Post-money-Bewertung hingewiesen, die daraus resultieren, dass bei dieser Bewertungsmethode zumeist die Sonderrechte der Investoren ignoriert und daher die Anteile der Gründer schlicht überbewertet werden.67 So manches Unicorn ist daher wohl wirklich ein Fabelwesen.

2.Die (externe) Unternehmensbewertung als eine Aufgabe der Wirtschaftstreuhänder

Gem §2 Abs1 Z6 und §3 Abs2 Z7 WTBG 2017 gehört die „Erstattung von Sachverständigengutachten ... auf jenen Gebieten, zu deren fachmännischer Beurteilung Kenntnisse des Rechnungswesens oder der Betriebswirtschaftslehre erforderlich sind“, zu den Tätigkeiten der Wirtschaftstreuhänder. Wirtschaftstreuhänder sind gem §71 Abs1 und §72 Abs2 WTBG 2017 iVm §2 Abs1 WT-AARL 2017-KSW68 verpflichtet, im Geschäftsverkehr mit Auftraggebern bei übernommenen Angelegenheiten und Aufgaben die anerkannten fachlichen Regeln, insb die Fachgutachten der Kammer der Wirtschaftstreuhänder, zu beachten.

Erstellt also ein Wirtschaftstreuhänder ein Gutachten über die Bewertung eines Unternehmens, ist er an die einschlägigen Fachgutachten gebunden.69 Die berufsständische Auffassung über die ordnungsgemäße Durchführung von Unternehmensbewertungen ist bekanntlich im Fachgutachten KFS/BW 170 niedergelegt. Das Fachgutachten KFS/BW 1 ist selbst keine Rechtsvorschrift, aber – wie erwähnt – bei der Unternehmensbewertung durch Wirtschaftstreuhänder zu beachten. Soweit freilich das Gesetz zwingende Vorgaben für die aus einem spezifischen Anlass durchzuführende Unternehmensbewertung enthält, gingen diese im Falle eines Widerspruchs naturgemäß den fachgutachtlichen Regeln vor.71 Bei dominierten Transaktionen gilt nämlich der Primat des Rechts.72

67 Schwetzler, Zur (Fehl-)Bewertung von Wachstumsunternehmen, RWZ2023, 163.

68 Verordnung der Kammer der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer über die Allgemeine Richtlinie über die Ausübung der Wirtschaftstreuhandberufe der Kammer der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer (WT-AARL 2017-KSW), online abrufbar unter https://ksw.or.at/berufsrecht/grundlagen-des-berufsrechts; vgl Ladler, Soft Law und Sorgfaltspflichten (2023) 3, 27, 38, 47 und 250.

69 Vgl Rabel, International Valuation Standards (IVS) im Vergleich mit dem Fachgutachten KFS/BW 1 zur Unternehemnsbewertung, in FS Bertl (2021) 1095 (1099).

70 Fachgutachten des Fachsenats für Betriebswirtschaft und Organisation der Kammer der Wirtschaftstreuhänder zur Unternehmensbewertung vom 26.3.2014, online abrufbar unter https://old.ksw.or.at/PortalData/1/Resources/fachgutachten/KFSBW1_ 15052014_RF.pdf

71 KFS/BW 1, Rz16; vgl auch OGH 28.8.2014, 6 Ob 105/14f; Ladler, Soft Law, 253; Haberer, GesRZ2016, 96 und 98f; Fleischer, AG 2014, 97ff; vorläufige Auflistung von bindenden rechtlichen Vorgaben bei Fleischer, AG 2014, 109; ders, Unternehmensbewertung zwischen Tat- und Rechtsfrage, AG 2016, 185 (191 und 198); V.Gass/F. Wirth, Wertkonzepte, 1058; Lauber in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung2 (2019) Rz34.37.

72 Ruiz de Vargas, Börsenwert: Alleinige Maßgeblichkeit oder nur Wertuntergrenze? (Teil I), NZG 2021, 1001 (1002); ders, NZG 2021, 1062; Fleischer, AG 2016, 190.

So bestimmt etwa, um ein simples Beispiel zu nennen, §2 Abs1 Satz 2 GesAusG, dass „der Tag der Beschlussfassung durch die Gesellschafterversammlung ... als Stichtag für die Feststellung der Angemessenheit [gilt].“ Dieser Vorgabe könnte sich das Fachgutachten KFS/BW 1 nicht entgegenstellen und tut es ja selbstverständlich auch gar nicht. Auch die Festlegung durch den OGH, dass der anzusetzende Unternehmenswert grundsätzlich nicht unter dem Liquidationswert liegen darf, weil dies jener Betrag ist, der anlässlich der Verwertung mindestens erzielt werden könnte,73 hätte Vorrang vor dem Fachgutachten KFS/BW 1, ist aber ohnedies mit ihm kompatibel. Wie erwähnt, erschließt sich aus §2 Abs1 GesAusG, dass Sonderrechte und Anteilsgattungen bei der Festlegung der Abfindung – durch Zu- und Abschläge – zu berücksichtigen sind.74 Das gilt mE nicht nur für Vermögens-, sondern auch für Stimmrechte. Das Fachgutachten KFS/BW 1 anerkennt dies immerhin teilweise, wenn es sagt: „Einer unterschiedlichen Ausstattung von Unternehmensanteilen mit Vermögensrechten (zB Vorzugsaktien) ist allerdings bei der Bewertung Rechnung zu tragen.“ 75

Die privatrechtliche Vereinbarung über die Anwendung bestimmter Bewertungsmethoden und Berechnungsverfahren geht ebenfalls dem Fachgutachten KFS/BW 1 vor, soweit diese Vereinbarung in den Gutachtensauftrag einfließt und der Vereinbarung keine zwingenden rechtlichen Regeln und Bewertungsziele entgegenstehen.

Entgegen einem landläufigen Missverständnis gibt das Fachgutachten KFS/BW 1 generell keine sklavisch einzuhaltenden Methoden vor, sondern enthält verschiedene elastische Öffnungsklauseln.76 Grundsätzlich wird im Fachgutachten KFS/BW 1 zwischen drei Bewertungszwecken unterschieden: dem objektivierten Unternehmenswert, dem subjektiven Unternehmenswert und dem Schiedswert. Der objektivierte und der subjektive Unternehmenswert sollen mittels eines Diskontierungsverfahrens ermittelt werden, wobei das Ergebnis anhand von Transaktionspreisen, eines allfälligen Börsekurses oder anhand eines Multiplikatorverfahrens zu plausibilisieren ist.77 Nicht im Fachgutachten KFS/BW 1 vorgesehen ist, dass das Bewertungsergebnis originär anhand des Börsewerts oder eines Multiplikatorverfahrens ermittelt wird.78 Ausdrücklich hält das Fachgutachten KFS/BW 1 aber fest: „Die Auswahl und Anwendung einer bestimmten Methode sowie Abweichungen von den vorgegebenen Grundsätzen liegen in der alleinigen Entscheidung und Verantwortung des Wirtschaftstreuhänders.“ 79 Weiters führt das Fachgutachten KFS/ BW 1 aus: „Da mit einem Bewertungsanlass unterschiedliche Bewertungszwecke verbunden sein können, ist die Aufgabenstellung für die Unternehmensbewertung allein aus dem mit der Bewertung verbundenen Zweck abzuleiten. Dieser bestimmt die Vorgangsweise bei der Unternehmensbewertung, insbesondere die Auswahl des geeigneten Bewertungsverfahrens und die Annahmen hinsichtlich Planung und Diskontierung der künftigen finanziellen Überschüsse.“ 80

73 OGH 27.2.2013, 6 Ob 25/12p, GesRZ2013, 224 (Spranz).

74 Siehe Pkt V.2.1.

75 KFS/BW 1, Rz149 (Hervorhebung hinzugefügt).

76 Vgl Klingelhöfer/Follert, Bestimmung der Angemessenheit, 1073; Haberer/Purtscher, Unternehmensbewertung, 166.

77 V. Gass/F. Wirth, Wertkonzepte, 1056; Rabel, International Valuation Standards, 1105.

78 Rabel, International Valuation Standards, 1105.

79 KFS/BW 1, Rz3; vgl Ladler, Soft Law, 252.

80 KFS/BW 1, Rz22.

Strenger klingt freilich die Empfehlung KFS/BW 1 E 5,81 in der es im Hinblick auf die häufige Nachfrage nach vereinfachten Wertfindungen heißt: „Für Unternehmensbewertungen, die auf gesetzlicher Grundlage erstellt werden, wie insbesondere dem Gesellschafts-, Unternehmens-, Steuer oder Erbrecht, ist i.d.R. das Fachgutachten Unternehmensbewertung KFS/BW 1 zu beachten, weshalb vereinfachte Wertfindungen für diese Bewertungsanlässe nicht geeignet sind.“.82

Im Ergebnis wäre ein Bewertungsgutachten, das ein Wirtschaftstreuhänder für eine dominierte Transaktion als Bewertungsanlass ohne Durchführung eines Diskontierungsverfahrens erstellen würde, angesichts des aktuellen Fachgutachtens KFS/BW 1 für den Gutachter mit einem beträchtlichen Haftungsrisiko verbunden.83

3.Gerichtliche Überprüfung der Angemessenheit

3.1.Gegenstand und Zweck des Nachprüfungsverfahrens

Bei dominierten Transaktionen sieht das Gesetz ein eigenes Nachprüfungsverfahren vor, das von betroffenen Minderheitsgesellschaftern zur Überprüfung der Angemessenheit von Umtauschverhältnis, baren Zuzahlungen oder Barabfindung eingeleitet werden kann. Die Regelungen zu einem solchen außerstreitigen Nachprüfungsverfahren entstammen dem AktG; dort ist dieses Verfahren im Verschmelzungsrecht vorgesehen, damit nach Wirksamwerden einer Verschmelzung die Angemessenheit überprüft werden kann. Durch entsprechende Verweise in den jeweils anwendbaren Gesetzen steht das Überprüfungsverfahren insb auch für mit der aktienrechtlichen Verschmelzung verwandte Vorgänge (GmbH-rechtliche Verschmelzung, grenzüberschreitende Verschmelzung, Spaltung), für den umgründungsbedingten Gesellschafterausschluss sowie für den Squeeze-out gem GesAusG und für den umgründungsbedingten Gesellschafteraustritt (Sell-out) zur Verfügung. Beim Squeeze-out gem GesAusG zielt das Nachprüfungsverfahren auf die Überprüfung der Angemessenheit der Barabfindung.

In allen genannten Anwendungsfällen bewirkt das Überprüfungsverfahren ein System des Ex-post-Anteilseignerschutzes: Das Nachprüfungsverfahren kann erst nach Wirksamwerden der Transaktion beantragt werden und der für dieses Verfahren reservierte Prüfungsgegenstand, also die Überprüfung der Angemessenheit der jeweiligen Gegenleistung im Hinblick auf die Bewertung der in die Transaktion einbezogenen Gesellschaftsanteile bzw der auf diese Anteile entfallenden anteiligen Unternehmenswerte, ist gesetzlich als Grundlage einer Anfechtungsklage ausgeschlossen. Weder Minderheitsanteilseigner noch Firmenbuchgericht können somit das Wirksamwerden der jeweiligen Transaktion allein wegen einer allenfalls fehlerhaften Bewertung blockieren; umgekehrt kann sich das nachgelagerte Überprüfungsverfahren ganz auf die Bewertungsfragen konzentrieren, während die Durchführung der jeweiligen Transaktion in diesem Ver-

81 Hinweise der Arbeitsgruppe Unternehmensbewertung des Fachsenats für Betriebswirtschaft der Kammer der Wirtschaftstreuhänder zur Erstellung von vereinfachten Wertfindungen vom 24.1.2017, online abrufbar unter https://old.ksw.or.at/Portal Data/1/Resources/fachgutachten/KFSBW1_E5.pdf; vgl Rabel, International Valua tion Standards, 1098.

82 KFS/BW 1 E 5, Rz4.

83 Vgl Rabel, International Valuation Standards, 1098 und 1105; Ladler, Soft Law, 253 ff.

fahren nicht mehr zur Debatte steht.84 Die große Mehrheit der Nachprüfungsverfahren wird iZm Squeeze-outs gem GesAusG eingeleitet.

IdR befasst das im Nachprüfungsverfahren zuständige Gericht mit der Angemessenheitsprüfung zunächst das Gremium gem §225g AktG. Dieses Gremium, das ursprünglich zur Überprüfung von Umtauschverhältnissen bei Verschmelzungen geschaffen wurde, ist in der Praxis hauptsächlich mit der Überprüfung von Barabfindungen bei Squeeze-outs beschäftigt.

In mehreren Überprüfungsverfahren zeigte sich, dass –anders als bei der sonst zu befürchtenden Überlänge solcher Verfahren, die mehr als 15 Jahre dauern können85 – die Gerichte immer dann zu einem recht zügigen Abschluss kommen konnten, wenn das Verfahren noch vor Einholung eines Gutachtens durch Vergleich beendet werden konnte oder das Gremium von der Möglichkeit gem §225g AktG aF Gebrauch machte und – nach gescheitertem Versuch der Schlichtung des Streits durch Vergleich (§225h AktG aF) – selbst, sei es mit oder sogar ohne Einbindung eines externen Subgutachters, ein Gutachten zur Angemessenheit der Barabfindung erstattete.86 Durch ein solches Gremialgutachten wurde offenbar für die befassten Gerichte der Boden gut aufbereitet, um rasch und qualitätsvoll über die Angemessenheit der Barabfindung entscheiden zu können.

Sofern Nachprüfungsverfahren in die Überlänge entgleiten, hat dies mE hauptsächlich drei Gründe: 1.) Holt das Gremium für die Nachprüfung ein Bewertungsgutachten durch einen externen Sachverständigen ein, ist eine solche Begutachtung idR sehr zeitaufwendig. Das Gremium wäre zwar nach alter Rechtslage auch noch selbst zur Erstattung eines Gutachtens legitimiert gewesen, hat diese Kompetenz aber höchst selten genützt, was daran gelegen sein dürfte, dass das Gesetz die Vergütungsansprüche der Mitglieder des Gremiums in §225m Abs6 AktG viel zu niedrig angesetzt hatte. 2.) Das Verfahrenskostenrisiko im Nachprüfungsverfahren lastet zu großen Teilen auf den Schultern der Antragsgegnerin; für das Agieren der Antragsteller im Verfahren greift also keine Kostenrisikobremse.87 3.) Die Überprüfungsverfahren werden oftmals von sog professional raiders (räuberischen Aktionären, Aktionärspiraten) dominiert, zumal jeder Anteilseigner – unabhängig von Beteiligungsausmaß,

84 OGH 12.5.2021, 6 Ob 246/20z; zum rechtsökonomischen Zweck der Trennung von Anfechtungs- und Nachprüfungsverfahren H. Foglar-Deinhardstein, Ein neuer Ernstlichkeitsfilter beim Squeeze-out, GES2018, 14 (15); vgl auch Eckert, Internationales Gesellschaftsrecht (2010) 475.

85 Exemplarisch zu nennen ist das noch immer laufende Überprüfungsverfahren zum Squeeze-out der Bank Austria, der bereits 2008 ins Firmenbuch eingetragen wurde; vgl dazu OGH 10.7.2008, 6 Nc 9/08p; 18.2.2010, 6 Ob 221/09g, GesRZ2010, 228 (Ofner) = EvBl 2010/92 (Garber); 11.9.2015, 6 Ob 164/15h; 27.9.2016, 6 Ob 31/16a, GesRZ2017, 54 (H. Foglar-Deinhardstein); 27.9.2016, 6 Ob 32/16y; 18.4.2023, 6 Ob 71/22t, GesRZ2023, 328 (H. Foglar-Deinhardstein) = EvBl 2023/229 (Hartlieb). 86 Zu solchen verhältnismäßig rasch geführten Überprüfungsverfahren siehe nur zum Squeeze-out der BWT OGH 2.2.2022, 6 Ob 148/21i, GesRZ2022, 236 (Deutsch) = ZFR 2022/169 (Kraus); H. Foglar-Deinhardstein, Wo und wie die angemessene Squeeze-out-Barabfindung durchzusetzen ist, ecolex 2022, 377; zur Umwandlung der Aurea Software OGH 6.8.2021, 6 Ob 113/21t; zum Squeeze-out der biolitec HG Wien 9.6.2021, 74 Fr 2598/18w; zur grenzüberschreitenden Verschmelzung der RHI Magnesita HG Wien 7.5.2021, 75 Fr 17990/17d; zum Squeeze-out der BEKO Holding OGH 12.5.2021, 6 Ob 246/20z; zum Squeeze-out der Miba OGH 24.10.2019, 6 Ob 138/19s, GesRZ2020, 150 (Zollner); dazu H. Foglar-Deinhardstein/Molitoris/Hartig, GesRZ2020, 43ff; zum Squeeze-out der Glock OGH 26.4.2018, 6 Ob 228/17y, GesRZ2018, 253 (Hartlieb) = NZ2018/73 (H. FoglarDeinhardstein) = ZfS2018, 73 (K. Oberndorfer); zum Squeeze-out der Christ Water Technology LG Wels 9.4.2013, 34 Fr 1079/10b.

87 Zu den beiden ersten Gründen H. Foglar-Deinhardstein/Molitoris/Hartig, GesRZ2020, 44.

Zeitpunkt des Erwerbs der Beteiligung und Dauer des Haltens seiner Beteiligung – einen Überprüfungsantrag stellen und/ oder am Überprüfungsverfahren teilnehmen kann.88 Diesen Aktionärspiraten ist an einer zügigen Erledigung des Verfahrens nichts gelegen.89 Gerade fundamentalanalytische Bewertungsgutachten mit der Fülle des in ihnen verarbeiteten Zahlenmaterials sowie mit den methodisch notwendigen Vereinfachungen bieten die ideale Angriffsfläche für Aktionärspiraten, die gerne Gegengutachten oder noch lieber Stellungnahmen zu punktuellen Bewertungsthemen ins Verfahren einbringen.

Hingegen hat die allfällige Überlänge von Überprüfungsverfahren nach meiner Einschätzung und Erfahrung nichts mit „mutwilliger Verfahrensverzögerung“ durch die Antragsgegner zu tun.90 Angesichts der erwähnten gesetzlichen Zuordnung des Verfahrenskostenrisikos wäre es auch einigermaßen absurd, wenn ausgerechnet ein Antragsgegner das Verfahren, noch dazu „mutwillig“, verzögerte und damit die Verfahrenskosten zu seinen Lasten in die Höhe triebe.

Durch das AktRÄG 201991 hat der Gesetzgeber für neu eingeleitete Verfahren das Gremium leider genau seiner Kompetenz zur Erstellung von Gutachten entkleidet und seine Zuständigkeit auf die bloße Streitschlichtung beschränkt, was mE ohne Kompetenz zur Gutachtenserstellung tendenziell schwieriger als leichter werden dürfte. Der Verlauf der noch nach altem Recht zu führenden Verfahren BWT, Aurea Software, biolitec, RHI Magnesita, BEKO Holding, Miba, Glock und Christ Water Technology 92 unterstreicht daher die bereits mehrfach vorgetragene Kritik, dass diese Gesetzesänderung rechtspolitisch nicht geglückt ist.93 Es besteht somit der Wunsch, dass der Gesetzgeber zu einer Reform der Reform ansetzt und dem Gremium bei nächster Gelegenheit seine Befugnis zur Gutachtenserstattung zurückgibt.

3.2.Unternehmensbewertung zwischen Tat- und Rechtsfrage Im österreichischen wie auch im deutschen Zivilprozessrecht wird zwischen Tat- und Rechtsfragen unterschieden. Die Zuordnung von Fragen der Unternehmensbewertung als Tat- oder Rechtsfragen ist umstritten.

Die österreichische höchstgerichtliche Rspr vertritt in ihren Rechtssätzen folgenden Kompromiss: Eine rechtlich vorgeschriebene Methode der Bewertung von Unternehmen gibt es nicht; die richtige Methode zu ermitteln, ist ein Problem der Betriebswirtschaftslehre, doch muss das von ihr gewählte System der vom Gericht gestellten Aufgabe adäquat sein.94 Besteht für die Wertermittlung durch einen Sachver-

88 H. Foglar-Deinhardstein, GES2018, 15; Hlawati/Glas/H. Foglar-Deinhardstein/ Aichinger, Squeeze-out: Spatz in der Hand statt Taube auf dem Dach? GesRZ2016, 29 (31).

89 Zottl/Pendl, GesRZ2019, 217.

90 So aber M. Doralt/Temmel/Krakow/Scherbaum/Albers, Gesellschafterausschluss und Minderheitenschutz, RdW 2023, 858 (860f).

91 Aktienrechts-Änderungsgesetz 2019, BGBl I 2019/63.

92 Siehe FN 86.

93 Zottl/Pendl, GesRZ2019, 226ff; Vanovac/Löffler, Änderung des Verfahrens zur Überprüfung des Umtauschverhältnisses nach dem AktG durch das AktRÄG 2019, GesRZ2019, 392 (395ff); H. Foglar-Deinhardstein/Molitoris/Hartig, GesRZ2020, 48 und 51f; insgesamt auch kritisch (wenn auch nicht zur Entziehung der Gutachterkompetenz) Dobrowolski, Neuerungen im Gremialverfahren nach dem AktRÄG 2019, GesRZ2020, 36.

94 OGH 16.12.1980, 5 Ob 649/80; 27.2.2013, 6 Ob 25/12p; 25.11.2020, 6 Ob 96/20s; 12.5.2021, 6 Ob 246/20z; 6.8.2021, 6 Ob 113/21t; ähnlich zur betriebswirtschaftlich zu ermittelnden Fortbestehensprognose, um das Bestehen insolvenzrechtlicher Über-

ständigen keine gesetzlich vorgeschriebene Methode, so unterliegt das von den Tatsacheninstanzen gebilligte Ergebnis eines Gutachtens keiner Nachprüfung durch den OGH, weil es um eine Tatfrage geht. Eine Ausnahme bestünde nur dann, wenn eine grundsätzlich inadäquate Methode angewendet wurde95 oder wenn die auf dem eingeholten Sachverständigengutachten beruhende Feststellung auf mit den Gesetzen der Logik oder der Erfahrung unvereinbaren Schlussfolgerungen beruht.96

In der Literatur treten freilich Kritiker der OGH-Judikatur hervor, die der deutschen Rspr gegenüber jener des OGH den Vorzug geben.97 Es scheint hier allerdings eher um Nuancen und um Fragen der Formulierung zu gehen. Der BGH qualifiziert Fragen iZm den jeweils einschlägigen Bewertungszielen als Rechtsfragen und hält daher die Analyse, ob eine Bewertungsmethode oder ein innerhalb der Bewertungsmethode gewähltes Berechnungsverfahren den rechtlichen Bewertungszielen entspricht oder ob die Bewertungsziele verletzt wurden, für einer höchstgerichtlichen Nachprüfung zugänglich.98 Das OLG München hat ausgesprochen, dass das Gericht die maßgebenden rechtlichen Faktoren der gesetzlichen Abfindungsregelungen festzustellen und anhand dieser Kriterien den zutreffenden Unternehmenswert für ein bestimmtes Abfindungsverlangen zu ermitteln hat.99 Und das OLG Düsseldorf sagt: „Die gerichtliche Bestimmung der angemessenen Abfindung und die ihr zugrunde liegende Unternehmensbewertung sind in erster Linie Rechtsanwendung, bei der das Gericht allerdings sachverständiger Unterstützung durch Prüfungspraxis und Betriebswirtschaftslehre bedarf.“ 100 Griffig formulierte Fleischer schon 1997: „Nicht betriebswirtschaftliche Theorien, sondern rechtliche Zielvorgaben sind der Leitstern der Bewertung. ... Die Bewertungsziele sind der Betriebswirtschaftslehre von der Rechtsordnung heteronom vorgegeben; über die zieladäquaten Bewertungsmethoden entscheidet sie aus eigenem Sachverstand.“ 101 2014 liest sich Fleischers Aussage mittlerweile weiter verfeinert wie folgt: „Das Bewertungsziel – volle Abfindung ... – ist dem Sachverständigen heteronom vorgegeben; die von ihm angewandten Bewertungsmethoden müssen sich am Grundsatz der Normzweckadäquanz messen lassen.“.102

Exemplarisch ist das Ziel der Bewertung iZm einer Verschmelzung oder einem Squeeze-out, für Anteilseigner ein

94 schuldung zu beurteilen, K. Schmidt, Rechtswissenschaft und Wirtschaftswissenschaften im Unternehmensrecht, in Kotsiris, Law at the Turn of the 20th Century (1994) 339 (343).

95 OGH 16.11.2012, 6 Ob 153/12m, GesRZ2013, 99 (Krejci); 27.2.2013, 6 Ob 25/12p; vgl auch BGH 21.2.2023, II ZB 12/21, EWiR 2023, 325 (Seibt) = NJW 2023, 2114 (Häller) = NZG 2023, 923 (Ruiz de Vargas) = WuB 2023, 290 (Sajnovits); dazu M.Popp, Unternehmensbewertung im Spiegel der Rechtsprechung des II. Zivilsenats des BGH, AG 2023, 801; Wasmann, AG 2023, 810ff: „Eine Methode scheidet nur aus, wenn sie aufgrund der Umstände des konkreten Falls nicht geeignet ist, den ‚wahren‘ Wert abzubilden ...“

96 OGH 30.4.2019, 1 Ob 43/19h; dazu Neumayr, Sachverständigengutachten in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, JMG 2022, 59; OGH 6.8.2021, 6 Ob 113/21t; ähnlich BGH 6.11.2013, XII ZB 434/12, NJW 2014, 294.

97 Haberer, GesRZ2016, 96f; Fleischer, AG 2014, 109; ders, AG 2016, 190 und 198; Haberer/Purtscher, Unternehmensbewertung, 192; Rüffler, Unternehmensbewertung, 44f; Hügel/Aschauer, Pflichtteilsrecht, 235.

98 BGH 29.9.2015, II ZB 23/14, BGHZ207, 114; dazu Fleischer, AG 2016, 185ff; BGH 21.2.2023, II ZB 12/21; zustimmend Fleischer, GmbHR 2023, 1014.

99 OLG München 10.5.2007, 31 Wx 119/06, AG 2008, 37; 26.7.2007, 31 Wx 99/06, AG 2008, 461.

100 OLG Düsseldorf 8.8.2013, I-26 W 17/12 (AktE), AG 2013, 807.

101 Fleischer, ZGR 1997, 375.

102 Fleischer, AG 2014, 109; vgl auch Fleischer, AG 2016, 190; ders, GmbHR 2023, 1010; V. Gass/F. Wirth, Wertkonzepte, 1057; Zottl/Pendl, GesRZ2019, 221.

angemessenes Umtauschverhältnis, eine angemessene bare Zuzahlung bzw eine angemessene Barabfindung zu gewährleisten.103

Dem BGH und der deutschen und österreichischen Lehre ist mE dahin gehend zuzustimmen, dass die Frage, ob das Bewertungsziel gewahrt wurde, eine revisible, also vom OGH nachprüfbare Rechtsfrage ist.104 Diese Aussage ist freilich auch mit den Rechtssätzen des OGH, von Fleischer kritisch als „(Defensiv-)Formel“ qualifiziert,105 durchaus kompatibel.106

Die OGH-Formel lässt allerdings wiederum offen, ob die Adäquanz oder Inadäquanz der vom Sachverständigen gewählten Methode wirtschaftswissenschaftlich oder rechtlich zu bestimmen ist.107 Ist daher die Frage der Abgrenzung zwischen Recht und Betriebswirtschaftslehre durch die Rechtssätze des OGH gar nicht beantwortet, sondern nur auf eine höhere Ebene verschoben? ME kann die OGH-Formel so aufgelöst werden, dass die Adäquanz im Hinblick auf das jeweils rechtlich vorgegebene Bewertungsziel grundsätzlich sowohl rechtlich als auch betriebswirtschaftlich gegeben sein muss. Die Adäquanz ist also mit der Methode des Pendelblicks zwischen Recht und Wirtschaftswissenschaft108 zu beurteilen. Im Ergebnis passt das zum Postulat der rechtsgebundenen (rechtsgeleiteten) oder normgeprägten Unternehmensbewertung,109 das in einer Pflicht zur Auswahl einer jeweils normzweckadäquaten Bewertungsmethode resultiert.110 Ergänzend kann auf die stRspr verwiesen werden, nach der vom Gericht zur Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe angewendete Erfahrungssätze wie Rechtssätze zu behandeln sind und daher auch wie diese der Überprüfung durch die Revisionsinstanz unterliegen.111 Damit sind zumindest Erfahrungssätze, mit denen das Gericht den Begriff der Angemessenheit ausfüllt, jedenfalls revisibel, also vom OGH nachprüfbar.

3.3.Methodisch bedingte Unschärfe von Unternehmensbewertungen und Auswirkungen auf das Nachprüfungsverfahren

3.3.1.Unternehmensbewertungen arbeiten mit Vereinfachungen und Zukunftsprognosen

„Die Methoden der Unternehmensbewertung stellen allesamt eine Reduktion der Komplexität der realen Bewertungssituation dar ... Darüber hinaus sind alle Unternehmensbewertungsverfahren ... zukunftsgerichtet und bemessen den Wert eines Unternehmens oder Unternehmensanteils auf Basis der zum Bewertungsstich-

103 Haberer, GesRZ2016, 99; Haberer/Purtscher, Unternehmensbewertung, 192; vgl auch Fleischer, AG 2014, 109.

104 Haberer, GesRZ2016, 96f; Haberer/Purtscher, Unternehmensbewertung, 192; Rüffler, Unternehmensbewertung, 45; Zottl/Pendl, GesRZ2019, 221; ähnlich Winner, Bewertungsprobleme, 59; Koppensteiner/Auer in Straube/Ratka/Rauter, UGB I4, §138 Rz12.

105 Fleischer, AG 2014, 109; ders, AG 2016, 190.

106 So wohl auch Koppensteiner/Auer in Straube/Ratka/Rauter, UGB I4, §138 Rz12.

107 Haberer, GesRZ2016, 96.

108 Fleischer (ZGR 1997, 368) spricht allgemein vom „Hin- und Herwandern des Blickes zwischen den beiden Nachbardisziplinen“ Gesellschaftsrecht und Betriebswirtschaftslehre; zustimmend Aschauer, Rechtsgeprägte Unternehmensbewertung, 73; allgemein zum Verhältnis von Rechtswissenschaft und Wirtschaftswissenschaften im Unternehmensrecht K. Schmidt, Rechtswissenschaft, 339ff.

109 Fleischer, AG 2016, 189f; ders, Unternehmensbewertung, 160f; ders, GmbHR 2023, 1014.

110 Fleischer, AG 2016, 190; Aschauer, Rechtsgeprägte Unternehmensbewertung, 72; V.Gass/F. Wirth, Wertkonzepte, 1057f; Klingelhöfer/Follert, Bestimmung der Angemessenheit, 1070, 1072 und 1074; Fleischer, GmbHR 2023, 1013.

111 OGH 11.11.1992, 1 Ob 644/92; RIS-Justiz RS0040668; Spitzer, ZZP 131 (2018), 30.

tag vorliegenden Erwartungen. Daraus folgt, dass jeder Bewertung eine Bandbreite immanent ist und der Bewerter mit erheblichem Schätzermessen umgehen muss.“ 112

Da also jede Unternehmensbewertung immer, und zwar methodisch notwendig, auf Prognosen, Annahmen und Vereinfachungen beruht,113 wird – auch im Hinblick auf die Kostenregelung des §225l AktG – davon gesprochen, dass bei einer Unternehmensbewertung eine Bandbreite „unvermeidlich“ ist.114 Winner hält dazu fest: „Die ‚richtige‘ Bewertung gibt es nicht; erzielbar ist nur eine Bandbreite (mehr oder weniger) plausibler Unternehmenswerte.“ 115

Daraus ist abzuleiten, dass eine Barabfindung, die innerhalb der aus der notwendigen Bandbreite einer Unternehmensbewertung resultierenden Unschärfe liegt, nicht als unangemessen qualifiziert werden kann, sondern als „angemessen“ zu bezeichnen ist.116 Das GesAusG stellt in §2 Abs1 auf eine „angemessene“ Barabfindung ab und nimmt damit die angesprochenen Unschärfen bewusst in Kauf.117

Nach überzeugender Ansicht kann daher nur von einer unangemessenen Barabfindung ausgegangen werden, wenn 1.) die zugrunde liegende Unternehmensbewertung nicht den Grundsätzen ordnungsgemäßer Unternehmensbewertung entspricht und 2.) sich daraus nach Ansicht des Gerichts Abweichungen um mehr als 10% von einer den Grundsätzen ordnungsgemäßer Unternehmensbewertung entsprechenden Unternehmensbewertung ergeben.118

Nur in Nuancen strenger äußert sich das OLG Frankfurt: „Grundsätzlich ist die Frage nach der Grenze, bis zu der eine Abweichung bei der Schätzung des Unternehmenswertes oder ... der Schätzung der Ausgleichszahlung noch als geringfügig angesehen werden kann und damit keine gerichtliche Korrektur der Kompensationsleistung erforderlich macht, nicht für alle Fälle einheitlich zu bestimmen, sondern obliegt einer einzelfallbezogenen Abwägung der Gesamtumstände ... Einen Rahmen der vorzunehmenden Abwägung bildet dabei einerseits, dass Abweichungen über 10% in aller Regel nicht mehr als geringfügig angesehen werden können ... Andererseits sind Abweichungen in einer Höhe von 1 – 2%, die regelmäßig auf Unterschiede bei der Rundung von in die Bewertung einfließenden

112 Aschauer, Unternehmensbewertung bei erbrechtlichen Bewertungsanlässen, 74.

113 Aschauer, Grundfragen der Unternehmensbewertung – Bewertungsverfahren und aktuelle Parameter, in Artmann/Rüffler/U. Torggler, Unternehmensbewertung und Gesellschaftsrecht (2014) 1 (2).

114 Obermaier, Kostenhandbuch3 (2018) Rz4.118.

115 Winner, Zum Umtauschverhältnis bei Verschmelzungen, in FS H. Torggler (2013) 1371 (1373); vgl auch Krejci, Unternehmensrecht5 (2013) 241; Ruthardt/M. Popp, AG 2020, 244 und 248; Artmann in Artmann/Karollus, AktG6, §52 Rz12; Rauter in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §75 Rz134; Zottl/Pendl, GesRZ2019, 222; Fleischer, GmbHR 2023, 1012; zur Bandbreite zulässiger konzerninterner Verrechnungspreise (Preisband) auch OGH 16.11.2012, 6 Ob 153/12m; Reich-Rohrwig, Unzulässige Einlagenrückgewähr im Spiegel der Rechtsprechung 2003 bis 2013, ecolex 2013, 940 (948f); Koppensteiner, Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung, GesRZ2014, 3 (7); ders, Investorenvereinbarungen, GesRZ2017, 6 (11 FN 71); sehr kritisch („Scheingenauigkeit vieler Bewertungsgutachten“) Haberer, GesRZ2016, 95.

116 Koch, AktG17, §305 Rz22; vgl auch Leuering/Rubner, NJW-Spezial 2019, 688.

117 H. Foglar-Deinhardstein/Molitoris/Hartig, GesRZ2020, 49; vgl auch Hartlieb/Zollner, Sanierungsfusionen, ecolex 2015, 970 (973); Bachner, Bewertungskontrolle bei Fusionen (2000) 19; Mollnhuber, Rechtsprechung zur Unternehmensbewertung im Spruchverfahren, GesRZ2020, 257 (259f); allgemein Lukas/Geroldinger, Scheingenauigkeit, 368.

118 OLG Wien 26.2.2021, 6 R 9/20t, unter Berufung auf Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung3, §225c AktG Rz17; H. Foglar-Deinhardstein/Molitoris/ Hartig, GesRZ2020, 49 und 52; Zottl/Pendl, GesRZ2019, 222; vgl auch H. FoglarDeinhardstein/Feldscher in Adensamer/Mitterecker, Gesellschafterstreit, Rz11/255; Wasmann, Zur Evaluation des Spruchverfahrens: Kein Abschaffungs- und überschaubarer Änderungsbedarf, AG 2021, 179 (187); tendenziell skeptisch zur Erheblichkeitsschwelle Mollnhuber, Umtauschverhältnis, 341ff.

Unternehmensbewertung

Parametern zurückzuführen sind, praktisch stets als geringfügig und damit nicht korrekturbedürftig einzustufen.“ 119

In der deutschen Rspr und Lehre gibt es eine starke Strömung, die Abweichungen von unter 5% für jedenfalls unbeachtlich hält.120 Das OLG München hat idS festgehalten, dass eine Abweichung von 9,45% deutlich über der Erheblichkeitsschwelle von 5% liegt und die ursprünglich gewährte Barabfindung daher nach den Umständen des Einzelfalles als unangemessen zu beurteilen sein kann.121

Weit großzügiger ist wohl die Rspr des OGH. So wurde etwa in der Entscheidung vom 17.12.2007, 2 Ob 236/07f, die Bejahung der Bindungswirkung des Schiedsgutachtens angesichts des weiten Ermessensspielraums bei der Ermittlung des angemessenen Hauptmietzinses sogar trotz einer Abweichung von 30% als im Einzelfall vertretbar angesehen.122 In der Praxis können mehrere Bewertungen ein und desselben Unternehmens auch um 50 bis 100% voneinander abweichen.123

Auch für das österreichische Recht passt daher ein Rechtssatz des OLG Zweibrücken: „In einem Spruchverfahren kann die Unangemessenheit der angebotenen Barabfindung nur festgestellt werden, wenn feststeht, dass der angebotene Abfindungsbetrag die Untergrenze des noch als angemessen zu bezeichnenden Bereichs unterschreitet. Eine solche Feststellung kann regelmäßig nicht getroffen werden, wenn und soweit das von dem (gerichtlich bestellten) sachverständigen Prüfer akzeptierte Bewertungsgutachten auf in der Wirtschaftswissenschaft anerkannten und in der Praxis gebräuchlichen Methoden beruht und diese fachgerecht und methodensauber umsetzt.“ 124

Ganz idS hat der BGH jüngst festgehalten: „Da jede Wertermittlung mit zahlreichen Prognosen, Schätzungen und methodischen Einzelentscheidungen verbunden ist, die jeweils nicht auf Richtigkeit, sondern nur auf Vertretbarkeit gerichtlich überprüfbar sind, kann keine Bewertungsmethode den Wert der Unternehmensbeteiligung exakt berechnen. Vielmehr kann jede Methode nur rechnerische Ergebnisse liefern, die Grundlage und Anhaltspunkt für die Schätzung des Gerichts nach §287 Abs.2, 1 [d]ZPO bilden ...“ 125 Insgesamt kann daher nach überzeugender Meinung nur von einer unangemessenen Barabfindung ausgegangen werden, wenn 1.) die zugrunde liegende Unternehmensbewertung nicht den Grundsätzen ordnungsgemäßer Unternehmensbewertung entspricht und 2.) sich daraus nach Überzeugung des Gerichts Abweichungen im mehr als marginalen Bereich, dh oberhalb einer Erheblichkeitsschwelle, von einer den Grundsätzen ordnungsgemäßer Unternehmensbewertung entsprechenden Unternehmensbewertung ergeben.

119 OLG Frankfurt 26.1.2015, 21 W 26/13, Rn 84.

120 ZB Koch, AktG17, §11 SpruchG Rz2: Geringfügigkeit bei Abweichung unter 5 bis 10%; offen Fleischer, GmbHR 2023, 1012: „gewisse Bandbreite von Werten“

121 OLG München 2.9.2019, 31 Wx 358/16, NJW-Spezial 2019, 687 (Leuering/Rubner); dazu Höfling, Die (un)mögliche Suche nach der Wahrheit bei der Unternehmensbewertung in Spruchverfahren, NZG 2020, 136.

122 Freilich reichte in einer anderen Entscheidung schon eine Abweichung von 3,8%, um ein Schiedsgutachten als unrichtig zu qualifizieren; vgl OGH 20.12.2018, 6 Ob 126/18z, GesRZ2019, 188 (H. Foglar-Deinhardstein/M. Kober) = GES2019, 22 (Fantur) = RWZ2019/16 (Wenger) = WBl 2019/86 (Kraus).

123 Vgl U. Torggler, Zur sog materiellen Beschlusskontrolle, insb bei der Umwandlung (Teil II), GES2006, 109 (115); Mollnhuber, Bericht über die Diskussion am Vormittag, in Artmann/Rüffler/U. Torggler, Unternehmensbewertung und Gesellschaftsrecht (2014) 39 (42).

124 OLG Zweibrücken 6.9.2016, 9 W 3/14, NZG 2017, 308; zur Geeignetheit des net asset value für vermögensverwaltende und Immobiliengesellschaften OLG München 12.7.2019, 31 Wx 213/17, NZG 2020, 22.

125 BGH 21.2.2023, II ZB 12/21; vgl auch Fleischer, GmbHR 2023, 1012.

Von einem Gutachten, das im Nachprüfungsverfahren eingeholt wird, kann somit nicht erwartet werden, dass es exakt den Wert der vom Hauptgesellschafter gewährten Barabfindung reproduziert; eine gewisse Abweichung ist aus methodischen Gründen zu erwarten und darf daher noch nicht zu einer Korrektur der Barabfindung führen,126 sondern muss vielmehr in deren Bestätigung münden.

3.3.2.OGH bestätigt angesichts methodischer Unschärfe den grobmaschigen Zweck des Nachprüfungsverfahrens

Da sich der Unternehmenswert nicht mathematisch exakt bestimmen lässt, beschränkt sich die gerichtliche Tätigkeit im Überprüfungsverfahren, wie der OGH herausgearbeitet hat, auf die Kontrolle der Plausibilität der Unternehmensbewertung und der daraus abgeleiteten Angemessenheit der Barabfindung.127 Dieser lapidare Rechtssatz, mit dem das Höchstgericht 2021 den Zweck des Nachprüfungsverfahrens auf eine Plausibilitätskontrolle zurückgeführt hat, ist besonders hellsichtig: Im Nachprüfungsverfahren kann und darf es nämlich mE nie um die Ermittlung des richtigen Unternehmenswerts als Selbstzweck und um jeden Preis gehen. 128 Jede Unternehmensbewertung beruht auf einer Vielzahl von Faktoren, die sich wiederum aus methodisch erforderlichen Prognosen, Annahmen und Vereinfachungen ergeben. Jegliche Änderung auch nur einzelner dieser Faktoren kann zu einem (möglicherweise sogar beträchtlich) geänderten Ergebnis führen. Daher ist es methodisch und mathematisch selbstverständlich, dass von der erneuten Begutachtung eines Unternehmenswerts durch einen anderen Sachverständigen nicht die exakte Reproduktion der Werte eines früheren Gutachtens erwartet werden kann. Wäre dies verlangt, könnte das Überprüfungsverfahren nie zu einem Ergebnis führen, weil jedes noch so sorgfältig erstellte Bewertungsgutachten in einer Endlosschleife immer wieder durch ein weiteres – genauso lege artis vorbereitetes – Gutachten widerlegbar wäre. Fördert daher die Plausibilitätskontrolle im Nachprüfungsverfahren lediglich marginale Differenzen innerhalb der Messtoleranz zutage,129 spricht dies bei richtiger Interpretation für und nicht gegen die Angemessenheit der ursprünglich festgesetzten Barabfindung.130 Ohnedies liefert eine Unternehmensbewertung nie einen exakten Wert, sondern immer eine Bandbreite (Preisband, Preisspanne, Schwankungsbreite, Toleranzgrenze): 131 Jeder Wert innerhalb einer solchen Bandbreite (auch an deren äußersten Rand) ist idR als angemessen zu erachten, sofern es nicht zu einer gezielten Diskriminierung

126 Zottl/Pendl, GesRZ2019, 222.

127 OGH 12.5.2021, 6 Ob 246/20z; ebenso OGH 6.8.2021, 6 Ob 113/21t; Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung3, §225c AktG Rz17; H. Foglar-Deinhardstein/ Molitoris/Hartig, GesRZ2020, 49f; H. Foglar-Deinhardstein/Aichinger, GesRZ2021, 246 (247f); Zottl/Kohlmaier, Verbriefte Nachbesserungsrechte in Barabfindungsverfahren, GesRZ2022, 201 (202); Fleischer, GmbHR 2023, 1012.

128 Fleischer, AG 2016, 193: „Das Spruchverfahren soll eine angemessene Abfindung ... sicherstellen und verfolgt nicht etwa den Nebenzweck, Nachlässigkeiten bei der Unternehmensbewertung zu sanktionieren.“

129 Zu Vorschlägen für die Ausmessung der Schwankungsbreite (Erheblichkeitsschwelle) H. Foglar-Deinhardstein/Molitoris/Hartig, GesRZ2020, 49f; H. Foglar-Deinhardstein/ Feldscher in Adensamer/Mitterecker, Gesellschafterstreit, Rz11/255.

130 H. Foglar-Deinhardstein, GesRZ2020, 362 (364).

131 Vgl zu Preisspannen bei Liegenschaftsbewertungen OGH 6.8.2021, 6 Ob 115/21m, EvBl 2022/11 (Painsi) = immolex 2021/202 (Plank) = ImmoZak 2022/11 (B. Dobler); dazu Kothbauer, Maklerhaftung für sorgfaltswidrige Verkehrswertermittlung, immolex 2021, 400; I. Vonkilch, Preisspannen bei der Liegenschaftsbewertung als haftungsrechtliche Herausforderung, Zak 2023, 48.

innerhalb der Bandbreite kommt. Ein Durchschnittswert kann zwar aus rechnerischen Gründen oder im Hinblick darauf, dass beim Squeeze-out oder bei sonstigen dominierten Transaktionen eben letztlich ein exakter Geldbetrag als Barabfindung festzulegen ist, ermittelt werden, ist aber nicht mit dem einzig richtigen Ergebnis zu verwechseln.132

Auch im Nachprüfungsverfahren kann und darf es daher nie um die Ermittlung des richtigen Unternehmenswerts um jeden Preis, sondern immer nur um die Überprüfung der Angemessenheit der Barabfindung gehen, wobei marginale Differenzen innerhalb der Messtoleranz unbeachtlich sind.133 Abweichungen innerhalb einer hinnehmbaren Bandbreite führen daher nicht zu einer Anhebung der Kompensation.134 Hinnehmbare Abweichungen sind – wie erwähnt – nach Teilen der Rspr und Lehre Abweichungen von bis zu 10%.135

Mit Mollnhuber ist idZ an ein Wort von Pinner vom 34. DJT 1926 zu erinnern, wonach „als erster Grund für den Gesetzgeber gelten“ müsse, „daß er nichts Unmögliches und nichts Unerträgliches verlangt.“ 136 Mit einer Richtigkeitskontrolle würde aber genau „etwas letztlich Unmögliches verlangt.“.137 Hingegen ist die vornehmste Aufgabe des Wirtschaftsprivatrechts nach U. Torggler, „nicht erst dem ‚pathologisch‘ arbeitenden Richter eine Diagnose ... zu ermöglichen, sondern den Beteiligten und eigentlichen Normadressaten eine ‚präventivmedizinische‘ Planung, die eine Rechtsverletzung vermeidbar oder wenigstens das Ergebnis eines Prozesses voraussehbar und diesen daher oft entbehrlich macht.“.138

VII.Zur Relevanz des Börsekurses 1.Vorbemerkung

Ein nach wie vor heiß diskutiertes Thema ist die Frage, wie sich bei börsenotierten Gesellschaften der Börsekurs zum Unternehmenswert verhält. Der OGH hat immer wieder ausgesprochen, dass der Börsekurs einer Aktie keine sicheren Schlüsse auf den Unternehmenswert und den objektiven Wert der Beteiligung zulässt.139

132 OLG Wien 26.2.2021, 6 R 9/20t, unter Berufung auf H. Foglar-Deinhardstein/Molitoris/ Hartig, GesRZ2020, 46; H. Foglar-Deinhardstein, GesRZ2020, 364; vgl auch ReichRohrwig, ecolex 2013, 948f; H. Foglar-Deinhardstein in H. Foglar-Deinhardstein, Verdeckte Gewinnausschüttung, Rz1/108; Bauer/Zehetner in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §82 Rz62; Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen der Kapitalerhaltung (2004) 123; Koppensteiner, GesRZ2014, 7; Karollus, Einlagenrückgewähr, 87f; Haberer in Haberer/Krejci, Konzernrecht (2016) Rz11.154; vgl weiters OGH 16.11.2012, 6 Ob 153/12 m; VwGH 30.5.1989, 88/14/0111; 10.5.1994, 90/14/0050; 27.7.1999, 94/14/0018; Krejci, Unternehmensrecht5, 241; Hlawati/Glas/H. Foglar-Deinhardstein/Aichinger, GesRZ2016, 31 FN 16; H. Foglar-Deinhardstein/Molitoris/Hartig, GesRZ2020, 49ff; Beiser, Verdeckte Gewinnausschüttungen im Licht der objektiven Äquivalenz des Gesellschaftsrechts – marktkonforme Leistungen versus offene oder verdeckte Ausschüttungen, ÖStZ2021, 285 (286f); Eckert/Schopper/Madari in Eckert/Schopper, AktG-ON (2021) §52 Rz31; H. Foglar-Deinhardstein/Feldscher, NZ2022, 176; Rüffler, Verstoß gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr: Jahresabschluss und Sanierung, GES2022, 373 (374); Eckert/Wöss, Sorgfaltspflichten bei der Konzernfinanzierung (ausgewählte Probleme), in Aschauer/Bertl/Eberhartinger/Eckert/Egger/ Hirschler/Hummel/Kalss/Kofler/Lang/Novotny-Farkas/Nowotny/Petutschnig/Riegler/ Rust/Schuch/Spies/Staringer, Niedrigverzinsung im Bilanz und Steuerrecht (2023) 71 (88); Fleischer, GmbHR 2023, 1012; allgemein Lukas/Geroldinger, Scheingenauigkeit, 377f.

133 H. Foglar-Deinhardstein, GesRZ2020, 364.

134 Vgl H. Foglar-Deinhardstein/Molitoris/Hartig, GesRZ2020, 48f; Wasmann, AG 2021, 187.

135 OLG Wien 26.2.2021, 6 R 9/20t, unter Berufung auf Kalss, Verschmelzung – Spaltung –Umwandlung3, §225c AktG Rz17; H. Foglar-Deinhardstein/Molitoris/Hartig, GesRZ 2020, 49 und 52; Zottl/Pendl, GesRZ2019, 222; vgl auch Wasmann, AG 2021, 187.

136 Mollnhuber, Umtauschverhältnis, 249.

137 Mollnhuber, Umtauschverhältnis, 249 FN 1692.

138 U. Torggler, Zur Verschwiegenheitspflicht entsendeter Aufsichtsratsmitglieder, in FS H. Torggler (2013) 1215 (1228f).

139 OGH 9.3.1999, 4 Ob 353/98k; 6.6.2001, 6 Ob 109/01z, ÖBA 2002, 135 (Kalss); dazu van Husen , Zwangsumwandlung von Partizipationskapital verfassungswidrig?

Zu unterscheiden sind folgende Fragen: 1.) Ist eine fundamentalanalytische Unternehmensbewertung entbehrlich, wenn der Unternehmenswert aus der Marktkapitalisierung erschlossen wird? 2.) Ist der Börsekurs ein Indikator für den Unternehmenswert? 3.) Bildet der Börsekurs die Untergrenze für eine angemessene Barabfindung beim Gesellschafterausschluss? 4.) Kann der Börsekurs herangezogen werden, um Aktien zu bewerten, die die zu bewertende Gesellschaft an einer dritten Gesellschaft hält?

2.Frage 1: Ermittlung des Unternehmenswerts über die Marktkapitalisierung?

2.1.Kurzer Überblick über die bisherige Diskussion Erfahrungsgemäß weicht bei börsenotierten Gesellschaften häufig der auf die einzelne Aktie entfallende, durch sachverständiges Gutachten ermittelte aliquote Unternehmenswert vom Aktienkurs an der Börse ab. Dies ist schon deswegen ökonomisch erwartbar, weil aus dem Preis einzelner Aktien oder Aktienpakete nicht ohne Weiteres auf den Gesamtwert des Unternehmens geschlossen werden kann140 und der Börsekurs unter gewöhnlichen Umständen – wegen der fehlenden Möglichkeit, auf Basis der einzelnen Aktie die Gesellschaft zu steuern – einen Minderheitsabschlag einpreisen sollte.141 Der Börsekurs spiegelt eben idR nicht den anteiligen Unternehmenswert wider, sondern die Bewertung der einzelnen Streu-

139 ecolex 2001, 839; Wenusch, Die Krux der Unternehmensbewertung und die Auswirkung auf die Rechtswissenschaft, GesRZ2001, 182; OGH 5.7.2001, 6 Ob 99/01d, ÖBA 2002, 135 (Kalss); 20.1.2009, 4 Ob 188/08p, ecolex 2009/274 (Horak) = MR 2009, 92 (R. Heidinger) = ÖBl-LS2009/158 (Thöni); dazu Knauder, Zu Fragen irreführender Werbung beim Vertrieb von Kalitalanlagen und daraus resultierender Schadenersatzansprüche (Teil I), ZFR 2009, 96; Wilhelm, Irreführende Werbung und ihre rechtsgeschäftlichen und Haftungsfolgen, ecolex 2009, 929; Leupold/Ramharter, Zum Verhältnis von irrtumsrechtlicher und schadenersatzrechtlicher Rückabwicklung bei Aufklärungspflichtverletzungen, ÖJZ2010, 807; Leupold, Schadenersatzansprüche der Marktgegenseite nach UWG, ÖBl 2010, 164; Koppensteiner, Zum lauterkeitsrechtlichen Adressatenleitbild bei der Bewerbung von Kapitalanlagen, RdW 2010, 132; Eilmansberger/Rüffler, Zum bei der Bewerbung von Kapitalanlagen maßgeblichen Verbraucherleitbild, RdW 2010, 319; Koppensteiner, Irreführung bei der Werbung für Kapitalanlagen, ÖBl 2016, 52; zu den preisbildenden Faktoren für den Preis bzw Kurs einer Aktie H. Foglar-Deinhardstein, Wurde das kalte Delisting kaltgestellt? NZ2017, 321 (328 FN 61); Rohregger/D. Wagner, Cum/ex – Das KEStKarussell, in Lewisch, Jahrbuch Wirtschaftsstrafrecht und Organverantwortlichkeit 2019 (2019) 127 (128f); Ruthardt/M. Popp, AG 2020, 244.

140 Koppensteiner in Kölner Komm AktG2, §305 Rz37: Börsekurs ist „von Außeneinflüssen abhängiger Maßstab“; Koppensteiner in Kölner Komm AktG3, §304 Rz50 und 55 sowie §305 Rz53: Aliquoter Unternehmenswert und Aktienwert wären „allenfalls dann identisch, wenn sämtliche Aktien gleichzeitig ohne Kursbeeinflussung an der Börse verkauft werden könnten. Das ist vollkommen unrealistisch.“; Spindler/ Klöhn, Ausgleich nach §304 AktG, Unternehmensbewertung und Art.14 GG, Der Konzern 2003, 511 (516f); Krejci, Unternehmenswert, 785: „Bewegungen auf dem Aktienmarkt hängen nicht selten von Umständen ab, die mit dem eigentlichen Wert des Unternehmens wenig zu tun haben.“; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung9 (2020) Rz1236; Großfeld, Unternehmens- und Anteilsbewertung im Gesellschaftsrecht4 (2002) 183; Ruthardt/M. Popp, AG 2020, 245f und 247; Schulte/Köller/Luksch, Eignung des Börsenkurses und des Ertragswerts als Methoden zur Ermittlung von Unternehmenswerten für die Bestimmung eines angemessenen Umtauschverhältnisses bei (Konzern-)Verschmelzungen, WPg 2012, 380 (384ff und 394); Koppensteiner, Abfindung bei Aktiengesellschaften und Verfassungsrecht, JBl 2003, 707 (711); Bertl/Schiebel, Unternehmensbewertung durch Typisierungen und nicht durch Objektivierungen, RWZ2004, 170 (174f); Winner, Wert und Preis, 463ff; A. Burger, Börsenkurse und angemessene Abfindung (2012) 240 und 278; ders, Keine angemessene Abfindung durch Börsenkurse bei Squeeze-out, NZG 2012, 281 (285ff); Zottl/Pendl, GesRZ2019, 223; Brugger, Unternehmenserwerb2 (2020) Rz7.14; H. Foglar-Deinhardstein, GesRZ2013, 167.

141 Winner, Wert und Preis, 467ff; ders, Wert und Preis im neuen Recht des Squeezeout, JBl 2007, 434 (439); Aschauer, Unternehmensbewertung beim Gesellschafterausschluss, 123 und 182f; Aschauer/Schiebel, RWZ2009, 309f; A. Burger, Börsenkurse, 278ff und 290; ders, Gleichbehandlung und Squeeze-out-Abfindung zum Börsenkurs, RdW 2012, 393 (397); ders, NZG 2012, 288f; Ruthardt/Hachmeister, Börsenkurs und/oder Ertragswert in Squeeze Out Fällen, NZG 2014, 455 (456); Hirschler, Spezialfragen der Unternehmensbewertung, in Artmann/Rüffler/U. Torggler, Unternehmensbewertung und Gesellschaftsrecht (2014) 13 (17f); vgl auch Brugger, Unternehmenserwerb2, Rz7.14 und 7.18; Ruthardt/M. Popp, AG 2020, 244; Böcking/ Rauschenberg in Fleischer/Hüttemann, Unternehmensbewertung2, Rz2.60.

Unternehmensbewertung

besitzanteile durch den Kapitalmarkt.142 „Ob und inwieweit der Börsenkurs im konkreten Fall dem fundamentalen bzw. inneren Wert der Aktie entspricht oder nach oben oder unten davon abweicht“, lasse sich daher nur „dadurch verifizieren, dass eine Bewertung nach dem Ertragswertverfahren (oder alternativ einem Discounted-Cashflow-Verfahren) vorgenommen wird.“ 143 Der Ertragswert sei daher als Referenzpunkt erforderlich, um die Aussagekraft eines Börsekurses einschätzen zu können.144

Von Kritikern einer Bewertung über den Börsekurs wird zusätzlich ins Treffen geführt, dass bei einem lege artis erstellten Unternehmensbewertungsgutachten dem sachverständigen Gutachter mehr Material zur Verfügung steht als dem Kapitalmarkt, nämlich insb Detailkenntnisse der unternehmensinternen Informationen, namentlich der unternehmenseigenen Planung. 145 Dieses unveröffentlichte Insiderwissen ist –anders als das Marktwissen – nicht allgemein zugänglich und daher im Börsekurs zwangsläufig nicht verarbeitet.146 Gerade bei Gesellschaften mit einem eher geringen Streubesitz ist davon auszugehen, dass zwischen Kernaktionären und Minderheitsgesellschaftern eine nennenswerte Informationsasymmetrie besteht, wobei der Börsekurs tendenziell gerade von jenen Aktionären beeinflusst wird, die nur eingeschränkten Informationszugang haben.147 Im Übrigen werden bei der Kursbildung einer Aktie die Entscheidungen rational handelnder mit den Entscheidungen nicht rational handelnder Marktteilnehmer aggregiert.148

Aus Sicht der Praxis gibt es freilich vielerlei Gründe, die dennoch für eine Bewertung, die sich verstärkt oder alleinig am Börsekurs und an der Marktkapitalisierung orientiert, und gegen die fundamentale Unternehmensbewertung anhand der Ertragswert-, der DCF-149 oder einer verwandten Methode sprechen können. Wie erwähnt, ist die Einholung eines derartigen fundamentalanalytischen Gutachtens teuer. Nebenbei bemerkt ist dieser Umstand den befassten Gerichten wohl nicht einmal unrecht, weil dadurch im Gerichtsverfahren die Kostenkeule geschwungen und der Vergleichsdruck erhöht werden kann. Weiters ist ein externes fundamentalanalytisches Bewertungsgutachten aufwendig und erfordert immer die Einbindung der zu bewertenden Gesellschaft, die in besonders praxisrelevanten Konstellationen (insb beim Squeeze-out) gar nicht Partei der angestrebten Transaktion ist. Jede Unternehmensbewertung nach einer Diskontierungsmethode muss sich nämlich notwendigerweise immer (auch) auf die Unternehmensplanung und die sonstigen An-

142 Referierend Fleischer, AG 2014, 111.

143 Ruthardt/M. Popp, AG 2020, 245f.

144 Ruthardt/M. Popp, AG 2020, 245f; dies, AG 2022, 356; aA Wasmann, AG 2023, 812f.

145 Zum Spannungsverhältnis zwischen Managementplanung und erwartungstreuer Planung sowie zur Rolle, die Szenario-Rechnungen sowie Simulations- und Sensitivitätsanalysen bei Überwindung dieses Spannungsverhältnisses spielen könnten, Patloch-Kofler/Keskin, RWZ2023, 331ff.

146 FAUB des IDW, Zur Bedeutung des Börsenkurses für die Abfindungsbemessung aus Sicht der wirtschaftswissenschaftlichen Theorie und Praxis, WPg 2021, 958; vgl auch Ruiz de Vargas, NZG 2021, 1008f; ders, NZG 2021, 1057f und 1061; ders, NZG 2023, 926 und 930; Ruthardt/M. Popp, AG 2020, 245f und 248; dies, Unternehmensbewertung im Spiegel der Rechtsprechung, AG 2021, 296 (299); AG 2022, 350f und 352; Ruthardt/Hachmeister, NZG 2014, 456f.

147 Ruthardt/M. Popp, AG 2020, 243; vgl auch Rabel, Börsenkurse und Angemessenheit des Umtauschverhältnisses bei Verschmelzungen, RWZ2020, 416 (419 und 425); Ruiz de Vargas, NZG 2023, 928; Ruthardt/Hachmeister, NZG 2014, 457; Haberer/ Purtscher, Unternehmensbewertung, 208; H. Foglar-Deinhardstein/Molitoris/Hartig, GesRZ2020, 44 FN 10.

148 Vgl Ruiz de Vargas, NZG 2021, 1007.

149 Das Kürzel „DCF“ steht für discounted cash flow

nahmen des Managements der jeweiligen Gesellschaft stützen.150 Dies ist auch vom Fachgutachten KFS/BW 1 genauso vorgesehen.151 Es bedarf im Übrigen wohl keiner näheren Ausführung, was es de facto für die nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich so wichtige Geheimhaltung bedeuten kann, wenn in einem Unternehmen unverhofft und ohne für die Mitarbeiter unmittelbar nachvollziehbaren Grund eine Bewertung durch externe Sachverständige eingeleitet wird. Trotz oder wegen ihrer Orientierung in die Zukunft ist die Erstellung einer fundamentalen Unternehmensbewertung auch langsam und gerät daher unschwer in Gefahr, durch aktuelle Entwicklungen überholt zu werden. Eine marktorientierte Bewertung anhand des Börsekurses kann mit signifikant niedrigeren Kosten und viel schneller durchgeführt werden als eine fundamentalanalytische Unternehmensbewertung.152 Und schließlich: Nicht anders als viele simpel gestrickte Praktikermethoden ist die fundamentale Unternehmensbewertung bekanntlich – wegen der vielen zu berücksichtigenden unsicheren Faktoren und der notwendigen modellhaften Vereinfachung von Komplexitäten – ohne größere Schwierigkeiten anzugreifen und auch lege artis leicht widerlegbar. Demgegenüber ist der Börsekurs einfach, kostengünstig und rasch für jedermann ermittelbar.153

Damit ist freilich nicht gesagt, dass die Bewertung auf Basis des durchschnittlichen Börsekurses notwendigerweise zu präziseren Ergebnissen führt als eine Fundamentalbewertung. „Die scheinbar höhere Präzision des Börsenwerts ist vielmehr dem Umstand geschuldet, dass das Berechnungsschema [durch Festlegung von Referenzzeitraum und Rückrechnungszeitpunkt] ... fest vorgegeben ist. ... Damit erweckt der Börsenwert den Anschein eines präzisen Schätzers, obwohl dies vielmehr auf die schematisierte Berechnungsweise zurückzuführen ist.“.154

2.2.Die aktuelle BGH-Rechtsprechung

Die Diskussion wird neuerdings im WCM-Fall durch den BGH befeuert, der in der Entscheidung vom 21.2.2023, II ZB 12/21, über die Angemessenheit von Umtauschverhältnis, Ausgleichszahlung und Barabfindung bei Abschluss eines Beherrschungsvertrages absprach. Eine Fundamentalbewertung des Unternehmens hatte nicht stattgefunden. Im Ergebnis hat der BGH dabei festgestellt, dass die marktorientierte Bewertungsmethode auch bei der Bemessung der angemessenen Barabfindung herangezogen werden kann und dass im zu entscheidenden Fall eine Ableitung des Umtauschverhältnisses und des Ausgleichs ausschließlich aus dem Börsekurs zulässig war.

Im Detail führte der BGH aus, die Angemessenheit der Abfindung iSv §305 dAktG könne auch anhand des Börsewerts der Gesellschaft bestimmt werden. Bei einem Aktientausch iSv §305 Abs3 Satz 1 dAktG gelte sodann beidseitig der jeweilige Börsekurs. Vorliegend habe das in der Instanz

150 Vgl Mollnhuber, Umtauschverhältnis, 264; Drescher in BeckOGK SpruchG, §8 Rz8.

151 KFS/BW 1, Rz51ff; vgl auch Patloch-Kofler/Keskin, RWZ2023, 331ff.

152 Fleischer, AG 2014, 111; vgl auch Ruiz de Vargas, NZG 2021, 1001ff; Seibt, EWiR 326 (327).

153 Adolff/Häller in Fleischer/Hüttemann, Unternehmensbewertung2, Rz18.73 und 18.76, siehe aber auch Rz21.19; Zottl/Kohlmaier, GesRZ2022, 202; Wasmann, AG 2023, 813.

154 Ruiz de Vargas, NZG 2021, 1060.

entscheidende OLG Frankfurt korrekterweise die beiden Börsekurse als Dreimonatsdurchschnittskurs, anknüpfend an den Auslöser der Bekanntmachung der Strukturmaßnahme Beherrschungsvertrag, gewählt. Die Wahl, welche von mehreren im konkreten Fall zulässigen Bewertungsmethoden am besten geeignet ist, den Unternehmenswert abzubilden, obliege als Teil der Tatsachenfeststellung dem Tatrichter. Dies gehe von der Erkenntnis aus, dass es keine optimale Bewertungsmethode gibt, welche ein exaktes Ergebnis liefern kann. Zudem böten jedwede Ergebnisse ohnehin nur einen Anhalt für eine nachfolgende Schätzung des Gerichts iSv §287 Abs2 dZPO.

Eine Schätzung auf Basis des Börsekurses eines Unternehmens müsse jedenfalls als geeignet angesehen werden, den Unternehmenswert und somit in der Folge den wahren Wert der Beteiligung der abzufindenden Aktionäre annähernd zu bestimmen. Weitere allgemein anerkannte Bewertungsmethoden seien idZ die Ertragswertmethode, das DCF-Verfahren sowie ausnahmsweise auch der Liquidationswert. Die Berücksichtigung des Börsewerts lege zugrunde, dass die Marktteilnehmer auf Basis aller zugänglichen Informationen und Informationsmöglichkeiten die Ertragskraft des Unternehmens, um dessen Aktien es geht, zutreffend bewerten und sich die Marktbewertung sodann im Börsekurs der Aktien niederschlägt. Nur wenn im konkreten Fall von der Möglichkeit einer effektiven Informationsbewertung durch die Marktteilnehmer nicht ausgegangen werden könne, sodass der Börsekurs keine verlässliche Aussage über den Verkehrswert der Unternehmensbeteiligung erlaubt, könne der Anteilswert nicht unter Rückgriff auf den Börsekurs ermittelt werden.155

Das erkennende Gericht müsse sich bei der Auswahl der Bewertungsmethode auch nicht sachverständig beraten lassen. Vielmehr genüge eine Darlegung des Gerichts, warum die gewählte Bewertungsmethode nach eigener Anschauung für geeignet gehalten wurde. Eine Unternehmensbewertung, die wie die Ertragswertmethode vornehmlich auf die künftig ausschüttbaren Ertragsüberschüsse abstellt und daher mit naturgemäß unsicheren Prognosen arbeiten muss, zeitige keine richtigeren Ergebnisse als der Börsekurs.

2.3.Reaktionen auf den BGH

Dieser schneidige BGH-Beschluss blieb naturgemäß nicht unbeantwortet. Der Fachausschuss für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (IDW) hat am 14.6.2023 mit einer Stellungnahme156 reagiert. In dieser Stellungnahme

155 Vgl ergänzend BGH 21.2.2023, II ZB 12/21, Rn 50 und 51: „Es kann deshalb allenfalls die methodische Entscheidung zur Ableitung des festen Ausgleichs aus dem Börsenwert eines Unternehmens ausgeschlossen sein, wenn anzunehmen ist, dass insofern ausschlaggebende unternehmensspezifische Daten von den Marktteilnehmern auf dem Kapitalmarkt nicht hinreichend verarbeitet worden sind. ... Der Rückgriff auf Börsenkurse scheidet ... dann aus, wenn ein funktionierender Kapitalmarkt nicht gegeben ist, also über einen längeren Zeitraum mit Aktien der Gesellschaft praktisch kein Handel stattgefunden hat bzw. eine Marktenge vorliegt ... Indizien für das Vorliegen einer Marktenge können dabei geringe Handelsvolumina, ein Handel nur an wenigen Börsentagen oder ein geringer Streubesitz der Aktien sein. An hinreichender Aussagekraft mangelt es Börsenkursen zudem, wenn unerklärliche Kursausschläge oder Kursmanipulationen vorliegen oder wenn kapitalmarktrechtliche Veröffentlichungspflichten nicht eingehalten wurden ...“

156 Online abrufbar unter https://www.idw.de/idw/themen-branchen/unternehmens bewertung-bwl/boersenkurse.html; kritisch zu dieser Stellungnahme Wasmann, AG 2023, 810ff.

weist der FAUB darauf hin, „dass es nicht sachgerecht ist, zur Bestimmung von Abfindungen und anderen Angemessenheitsprüfungen ausschließlich auf den Börsenkurs abzustellen, ohne eine Zukunftserfolgswertermittlung durchzuführen.“ Der vom BGH entschiedene Fall sei insoweit von Besonderheiten geprägt, als es um eine Abfindung in Aktien ging, die auf einem Umtauschverhältnis basierte, das „entsprechend dem kurz zuvor veröffentlichten Übernahmeangebot festgelegt wurde. Der konkret entschiedene Fall weist u.a. die folgenden wesentlichen Besonderheiten auf:

– Die beiden börsennotierten Unternehmen waren auf die Immobilienwirtschaft spezialisiert, die Zeitwerte der Assets (Immobilienwerte gemäß IFRS) waren öffentlich bekannt,

– die Anteile der danach beherrschten Aktiengesellschaft lagen bis kurz vor Bekanntmachung des Unternehmensvertrags in breitem Streubesitz,

– die Abfindung erfolgte in Aktien, d.h. es kam auf die Angemessenheit der Wertrelation an,

– die von dem entscheidenden Landgericht verwendete Relation der Börsenkurse war mit der Relation der gutachtlich ermittelten Ertragswerte nahezu identisch.“

Ergänzt werden kann noch, dass im WCM-Fall der Tatrichter den Börsewert lediglich als Kontroll-, aber nicht als Wertmaßstab verwendete, wobei die Abweichung zwischen Ertragswert und Börsewert mit 6,25% nur geringfügig über der in der deutschen Rspr anerkannten Bagatellgrenze von 5%157 lag.158

Diesen Spezifika stellt der FAUB die Merkmale der aus seiner Sicht typischen Abfindungsfälle gegenüber:

„Der typische Abfindungsfall ist nach den Erfahrungen des FAUB i.d.R. anders als der entschiedene Fall gelagert:

– Wertrelevante unternehmensinterne Informationen (z.B. mittel- und langfristige Unternehmensplanungen) sind dem Kapitalmarkt nicht bekannt und somit nicht im Börsenkurs reflektiert,

– empirische Untersuchungen zeigen, dass der Markt und die Börsenkurse kurzfristigen Stimmungen unterliegen und deshalb Börsenkurse den fundamentalen Unternehmenswert nicht widerspiegeln,

– abgefunden wird typischerweise in bar, d.h. es kommt auf die Angemessenheit des absoluten Werts an.“

„Vor diesem Hintergrund“ sei es nach Auffassung des FAUB weiterhin „geboten, eine fundamentale Unternehmensbewertung auf Basis mittel- und langfristiger Unternehmensplanungen sowie weiterer interner und externer wertrelevanter Informationen vorzunehmen. Da Börsenkurse und die ihnen zugrunde liegenden Marktinformationen und -erwartungen nur einen Teil der wertrelevanten Informationen umfassen, können sie eine fundamentale Unternehmensbewertung nicht ersetzen.“

Die Diskussion über die Möglichkeit einer Bewertung, die sich überwiegend oder ausschließlich an der Marktkapitalisierung einer börsenotierten Gesellschaft orientiert, ist also in Deutschland weiterhin voll im Gange. Freilich hat PatlochKofler mE zu Recht darauf hingewiesen, dass die an sich überaus kritische Stellungnahme des FAUB auch so gelesen werden könne, dass darin „erste (!) Kriterien, unter welchen ein

157 Siehe Pkt VI.3.3.1.

158 Ruiz de Vargas, NZG 2023, 928 und 930.

Unternehmensbewertung

Heranziehen des Börsenkurses als Unternehmenswert vertretbar sein könnte“, definiert werden.159

Diese vermittelnde Sichtweise passt sehr gut zum in Österreich veröffentlichten Aufruf von Rabel aus dem Jahr 2020: „Im Ergebnis ist zu konstatieren, dass auch in Österreich ein –wenngleich vermutlich nicht allzu breiter – Anwendungsbereich für die Ableitung von Umtauschverhältnissen allein aus Börsenkursen gegeben ist. ... die Betriebswirtschaftslehre [ist] gefordert, die Beurteilungskriterien für die Aussagekraft und Tauglichkeit von Börsenkursen zu verfeinern und dafür geeignete Messkonzepte weiterzuentwickeln. ... In einer sukzessiven Herabstufung der Anforderungen an die Aussagekraft von Börsenkursen aus verfahrensökonomischen Gründen läge aber jedenfalls der falsche Weg. Stattdessen sind fundierte Beurteilungskriterien vonnöten, anhand derer die Tauglichkeit der Börsenkapitalisierung einerseits und der ertragsorientierten Bewertung andererseits in der jeweils konkreten Bewertungssituation eingestuft werden können. Nur so kann sichergestellt werden, dass das von der Rechtsprechung geprägte Ziel des vollen wirtschaftlichen Ausgleichs erreicht wird.“.160

2.4.Aussagen des OGH

Solange diese Hausaufgaben noch nicht erledigt sind, bleibt es für Österreich aber vorerst bei der skeptischen Rspr des OGH: „... für die Kursentwicklung einer Aktie [sind] nicht nur der generelle Börsentrend, die allgemeine Wirtschaftslage und die Zinsentwicklung sowie die konkreten anläßlich der Veröffentlichung der Jahresabschlüsse bekanntgewordenen Daten der Gesellschaft, insbesondere deren Buchwert, sondern auch andere rationale und irrationale Gründe (so auch wie auch immer verbreitete Gerüchte) maßgeblich. Welche dieser Faktoren für die Kursentwicklung im Einzelfall maßgeblich sind, kann der einzelne – nicht professionelle – Anleger nie genau überblicken. Die Kursentwicklung läßt daher auch keine sicheren Schlüsse des einzelnen Anlegers auf Unternehmenswert und objektiven Wert seiner Beteiligung zu.“.161

„Dass der Börsekurs den wahren Wert des Unternehmens und der Beteiligung wiedergibt, ist eine Fiktion. Nach außergewöhnlichen Marktereignissen ‚erholen‘ sich die Kurse oft nur langsam und kehren erst nach längerer Zeit zu einer sich am Unternehmenswert orientierenden Einschätzung zurück.“ 162

„... dieser [der Börsekurs] muss nicht dem tatsächlichen Wert des Unternehmens ... entsprechen, sondern kann auch durch andere Faktoren beeinflusst werden. Dazu gehören etwa die allgemeine Einschätzung der Wirtschaftslage, irrationales Vertrauen oder Misstrauen in ein bestimmtes Unternehmen oder einen Geschäftszweig oder gezielte Beeinflussung der Kurse durch einzelne Investoren oder (wie anscheinend hier) durch die Gesellschaft selbst. Der Anleger hängt damit wie bei jeder anderen Investition in an der Börse gehandelte Unternehmensanteile von den ‚stark schwankenden Aktienmärkten‘ ab.“ 163

159 Patloch-Kofler, Der Börsenkurs als Unternehmenswert – aktuelle Entwicklung, LexisNexis Rechtsnews 34190 vom 27.6.2023; zu Kriterien der effektiven Informationsbewertung durch den Börsekurs Ruiz de Vargas, NZG 2023, 927f. Wasmann (AG 2023, 811) hingegen meint, dass idR der Börsekurs für die Unternehmensbewertung allein maßgeblich sei, soweit nicht ausnahmsweise gewisse Kriterien dagegensprächen.

160 Rabel, RWZ2020, 426; vgl auch Rabel, International Valuation Standards, 1105.

161 OGH 9.3.1999, 4 Ob 353/98k.

162 OGH 6.6.2001, 6 Ob 109/01z; ebenso OGH 5.7.2001, 6 Ob 99/01d.

163 OGH 20.1.2009, 4 Ob 188/08p.

3.Frage 2: Börsekurs als Wertindikator?

Als überwiegend anerkannt darf gelten, dass der anteilige Unternehmenswert im Zuge der gutachtlichen Feststellung auch durch den Börsekurs zu plausibilisieren ist.164 Bei der Beurteilung des Börsekurses ist keine Stichtagsbetrachtung, sondern eine Durchschnittsbetrachtung von sechs Monaten vorzunehmen, wobei die Referenzperiode mit dem Tag der Bekanntmachung der geplanten Strukturmaßnahme, also etwa des geplanten Gesellschafterausschlusses, endet.165

4.Frage 3: Börsekurs als Untergrenze der Barabfindung?166

4.1.Das OLG Wien auf den Spuren des BVerfG

In einer viel beachteten deutschen Leitentscheidung hat das BVerfG den Börsekurs als idR zu beachtende Untergrenze für die angemessene Barabfindung definiert. Dies wurde nach deutschem Verfassungsrecht dadurch begründet, dass dem einzelnen Aktionär – zum Ausgleich für den Eingriff in sein verfassungsrechtlich geschütztes Eigentum – mindestens der Preis zustehe, zu dem er die Aktie jederzeit frei veräußern könne; dieser sog Deinvestitionswert167 entspreche idR dem Börsekurs.168

Auch das OLG Wien hält demgemäß 2020 in der seiner Entscheidung zum Squeeze-out der BEKO Holding fest: „Der Börsenkurs bildet für [börsenotierte] Gesellschaften ... grundsätzlich die Untergrenze der Abfindung ... ausgeschlossenen Minderheitsgesellschaftern [gebührt] eine wirtschaftlich volle Entschädigung ... sie [sollen] den wirklichen oder wahren Wert der Unternehmensbeteiligung erhalten ..., welcher zumindest

164 KFS/BW 1, Rz17 und 150; FAUB des IDW, WPg 2021, 958ff; Großfeld/Egger/Tönnes, Unternehmensbewertung9, Rz109, 112, 1225f und 1250; Hüttemann in Fleischer/ Hüttemann, Unternehmensbewertung2, Rz1.63f; Böcking/Rauschenberg in Fleischer/ Hüttemann, Unternehmensbewertung2, Rz2.60; Kalss, Anlegerinteressen (2001) 519; G. E. Tichy, Zur aktuellen Diskussion über Unternehmenswert und Börsenkurswert, RWZ2000, 168 (168f und 171); Aschauer, Unternehmensbewertung beim Gesellschafterausschluss, 93 und 122; Kalss, Verschmelzung – Spaltung –Umwandlung3, §220 AktG Rz23, §220a AktG Rz15 und §2 GesAusG Rz14; Brugger, Unternehmenserwerb2, Rz7.19; Hügel/Aschauer, Pflichtteilsrecht, 284 und 286; Brix/Purtscher, Squeeze Out: Gesellschafterausschluss bei der Aktiengesellschaft, in Bertl/Hirschler/Aschauer, Handbuch Wirtschaftsprüfung (2019) 1581 (1598); Eckert/Schopper in Eckert/Schopper, AktG-ON, §220 Rz14; Aburumieh/ Adensamer/H. Foglar-Deinhardstein, Verschmelzung, Kap V.A Rz35; H. FoglarDeinhardstein/Aichinger, Angemessene Barabfindung beim Squeeze-out: OLG Wien fasst heiße Eisen an, GesRZ2021, 74 (76, 79 und 82); aA Gall/Potyka/Winner, Squeeze-out, Rz231; A. Burger, RdW 2012, 397ff; ders, NZG 2012, 285ff und 289; differenzierend Adolff/Häller in Fleischer/Hüttemann, Unternehmensbewertung2, Rz18.75f; für eine wechselseitige Plausibilisierung mit umgekehrter Akzentsetzung Ruthardt/M. Popp, AG 2020, 245f: „Ob und inwieweit der Börsenkurs im konkreten Fall dem fundamentalen bzw. inneren Wert der Aktie entspricht oder nach oben oder unten davon abweicht, lässt sich nur dadurch verifizieren, dass eine Bewertung nach dem Ertragswertverfahren (oder alternativ einem Discounted-Cashflow-Verfahren) vorgenommen wird. Mit anderen Worten ist der Ertragswert als Referenzpunkt erforderlich, um die Aussagekraft eines Börsenkurses einschätzen zu können.“

165 OLG Wien 1.10.2020, 6 R 78/20i ua; dazu H. Foglar-Deinhardstein/Aichinger, GesRZ2021, 74ff; OLG Linz 5.5.2021, 6 R 47/21f; Winner, Wert und Preis, 476; Gall/Potyka/Winner, Squeeze-out, Rz233; Aschauer/Schiebel, RWZ2009, 311; Mollnhuber, Umtauschverhältnis, 328; ders, GesRZ2020, 258f und 262f; Zottl/ Pendl, GesRZ2019, 223; H. Foglar-Deinhardstein/Aichinger, GesRZ2021, 77; Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung3, §2 GesAusG Rz14; zur Problematik des Transfers übernahmerechtlicher Wertungen ins Gesellschaftsrecht siehe FN 181, 206 und 215.

166 Zum Folgenden schon H. Foglar-Deinhardstein/Aichinger, GesRZ2021, 77ff und 82.

167 Zu den betriebswirtschaftlichen Grundlagen des Deinvestitionswerts Ruiz de Vargas, NZG 2021, 1006f.

168 BVerfG 27.4.1999, 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 = EWiR 1999, 751 (Neye) = JZ1999, 942 (Luttermann) = NZG 1999, 931 (Behnke); dazu Wilm, Abfindung zum Börsenkurs – Konsequenzen der Entscheidung des BVerfG, NZG 2000, 234; Großfeld, Börsenkurs und Unternehmenswert, BB 2000, 261; vgl auch Fleischer, AG 2014, 100; M. Popp/Ruthardt in Fleischer/Hüttemann, Unternehmensbewertung2, Rz12.4 und 12.178ff; Adolff/Häller in Fleischer/Hüttemann, Unternehmensbewertung2, Rz18.29ff, 18.41ff, 18.74f und 21.87; OLG Frankfurt 27.8.2020, 21 W 59/19, EWiR 2021, 107 (Döding/Wentz); Hasselbach/Stepper, Entwicklung des Übernahmerechts 2020, BB 2021, 771 (778).

demjenigen Preis entspricht, der bei einer freiwilligen Deinvestitionsentscheidung lukriert hätte werden können ... Aus Sicht des ausgeschlossenen Aktionärs ist es schlüssig, den Börsenkurs als Untergrenze für die ihm zu gewährende Abfindung heranzuziehen. Zu diesem Preis hätte er den Anteil am Markt veräußern können. ... Die Abfindung soll den Minderheitsaktionären zumindest jenen Wert ersetzen, der bei einer freien Deinvestitionsentscheidung am Markt realisiert werden könnte.“ 169

4.2.Diskussion der Ansicht des OLG Wien

Die – ersichtlich aus dem deutschen Verfassungsrecht rezipierte – Argumentation des OLG Wien klingt bestechend.170 Auch nach österreichischem Verfassungsrecht stellt sich das Thema, weil ein Squeeze-out nach hA als Eigentumsbeschränkung,171 nach abweichender Meinung als Enteignung172 einzustufen ist.

Dennoch ist der Böresekurs mE keine Untergrenze für die angemessene Abfindung.173 Die Identifikation von Deinvestitionswert und Börsekurs ist nämlich durch einen „logischen Bruch“ 174 gekennzeichnet:

 Zum einen: Wäre als Untergrenze ein bestimmter Tageskurs anzunehmen, läge dieser – da der relevante Bewertungsstichtag gem GesAusG der Tag der über den Squeezeout beschlussfassenden Gesellschafterversammlung ist –zum Zeitpunkt der ursprünglichen Festlegung der Barabfindung noch in der Zukunft; dies würde für alle am Squeeze-out Beteiligten zu beträchtlicher Unsicherheit angesichts einer unvorhersehbaren Untergrenze führen, zumal der aktuelle Kurs auch von kurzfristigen Investitions- oder Deinvestitionsentscheidungen der Anleger getrieben wird.175 Noch wichtiger ist aber, dass es für den einzelnen Aktionär realiter keinerlei Garantien gibt, tat-

169 OLG Wien 1.10.2020, 6 R 78/20i ua.

170 Für den Börsekurs als maßgebliche Untergrenze auch LG Wels 31.12.2020, 35 Fr 954/17m; grundsätzlich auch Hügel, Verschmelzung und Einbringung (1993) 200; Ch. Nowotny, Börsekurs und Unternehmenswert, RdW 1999, 761; Bachner, Bewertungskontrolle, 13; Koppensteiner, JBl 2003, 711f; Bertl/Schiebel, RWZ2004, 175; Winner, Wert und Preis, 469ff; Gall/Potyka/Winner, Squeeze-out, Rz232; Winner, JBl 2007, 439f; Aschauer/Schiebel, RWZ2009, 310f; Aschauer, Unternehmensbewertung beim Gesellschafterausschluss, 184ff; Winner, Bewertungsprobleme, 62f; Haberer/Purtscher, Unternehmensbewertung, 209f; Kalss, Verschmelzung –Spaltung – Umwandlung3, §2 GesAusG Rz14; offen OLG Linz 5.5.2021, 6 R 47/21f; Koppensteiner, Über den Rückzug von der Börse, RdW 2015, 549 (550 und 554); Fleischer, AG 2014, 111f; zweifelnd Rüffler, Lücken im Umgründungsrecht (2002) 95; Ruthardt/M. Popp, AG 2021, 299f. 171 VfGH 27.6.2018, G30/2017, VfSlg 20.268/2018 = GesRZ2018, 248 (Durstberger); dazu Riss/Winner/Wolfbauer, Squeeze-out: Am Ende geht’s ums Geld! ZFR 2018, 541; Gall, Zur Verfassungskonformität des Squeeze-out – das erste Erkenntnis des VfGH zum GesAusG, ZFR 2018, 544; Kalss/Deutsch, Der Gesellschafterausschluss auf dem Prüfstand des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes, ÖZW 2019, 26; VfGH 1.10.2019, G104/2019 ua; dazu H. Foglar-Deinhardstein, GesRZ2020, 364; OGH 26.8.2004, 6 Ob 132/04m, RWZ2004/80 (Wenger); Terlitza, Neues vom Squeeze-out: Die Vorgaben der Übernahme-Richtlinie und das Mindestbeteiligungserfordernis im spaltungsrechtlichen Überprüfungsverfahren, GES2005, 71; A. Aigner, Squeeze-out-Spaltung – Wird der VfGH die für die gerichtliche Überprüfung des Barabfindungsangebots vorgesehene Antragsschwelle zu Fall bringen? AnwBl 2005, 182; Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung3, Vor §§1 – 11 GesAusG Rz2; vgl auch A. Burger, Börsenkurse, 120; Ramesohl, Aktieneigentum, 25.

172 Winner, JBl 2007, 434ff; ders, Wert und Preis, 388.

173 So auch schon H. Foglar-Deinhardstein/Aichinger, GesRZ2021, 77ff; dies, GesRZ2021, 248; H. Foglar-Deinhardstein/Feldscher, NZ2022, 176; vgl auch Eckert/ Schopper in Eckert/Schopper, AktG-ON, §220 Rz14.

174 Ramesohl, Aktieneigentum, 167.

175 Vgl Koppensteiner in Kölner Komm AktG3, §305 Rz102; zum Einfluss kurzfristiger Anlageentscheidungen auf Kursverläufe Koppensteiner in Kölner Komm AktG3, §305 Rz54 FN 149. Freilich ist auch die sachverständige Begutachtung des Unternehmenswerts nicht davor gefeit, durch aktuelle Gegebenheiten überholt zu werden. Solche aktuellen Entwicklungen, die sich auf die Bewertung auswirken, müssen – sofern sie bis zum Bewertungsstichtag auftreten – noch vom Hauptgesellschafter und den Organen der Gesellschaft aufgegriffen werden; spätestens im Nachprüfungsverfahren werden sie jedenfalls eine Rolle spielen.

sächlich zum aktuellen Tageskurs veräußern zu können. Es ist nämlich keineswegs gesagt, dass neue Orders tatsächlich zum aktuellen Kurs ausgeführt werden können.176 Diese Unwägbarkeiten der Aktienmärkte sind im Übrigen allgemein bekannt und werden daher von jedem Anleger in Kauf genommen.177 Außerdem ist der Börsekurs zum Bewertungsstichtag bereits längst durch die Ankündigung des Squeeze-outs und die dadurch entfachte Abfindungsspekulation beeinflusst.178  Zum anderen ist nach hA aber ohnedies nicht auf einen Tageskurs, sondern auf einen Durchschnittskurs abzustellen.179 Auch das OLG Wien hält in der zitierten Entscheidung obiter fest, dass bei der Beurteilung des Börsekurses der Aktie der zu bewertenden Gesellschaft analog zu §26 ÜbG eine gewichtete Durchschnittsbetrachtung von sechs Monaten vorzunehmen sei, wobei die Referenzperiode mit dem Tag der Bekanntmachung des Squeezeouts ende.180 Dadurch würden Verzerrungen ausgefiltert, die ab Bekanntgabe der Transaktionsabsicht dadurch entstünden, dass bereits Zukunftserwartungen über die Barabfindung in den Börsekurs eingepreist werden, sodass ein selbstreferenzielles System entsteht.

Diese Methode der Bildung eines Durchschnittskurses mit Ausblendung der zirkulären Kurseinwirkungen der angekündigten Transaktion erscheint zwar allgemein für die Ermittlung eines angemessenen Preises durchaus passend,181 zieht aber dem Postulat des zu ersetzenden Börsekurses als Deinvestitionswert den Boden unter den Füßen weg: Außer durch bloßen Zufall kann selbstverständlich kein Aktionär seine Aktie(n) über die Börse zu einem historischen Durchschnittskurs verwerten; Aktien

176 Großfeld, BB 2000, 266; Obradović, Der Durchschnittskurs und seine Aussagekraft im Übernahmerecht, GesRZ2018, 4 (13ff); vgl auch Winner, Wert und Preis, 478; Ramesohl, Aktieneigentum, 167: „mangelnde Realisierbarkeit“ zum Börsekurs; A. Burger, Börsenkurse, 258. Zu bedenken ist auch, dass Aktien möglicherweise auch zu verschiedenen Uhrzeiten und an verschiedenen – allenfalls in mehreren Ländern und Währungsräumen gelegenen – Börsen gehandelt werden; vgl Ruthardt/ M.Popp, AG 2020, 244. Ganz allgemein zitiert J. W. Flume (Marktaustausch, 68) Mataja, nach dem „eine große Diskrepanz zwischen Marktpreisen und der praktischen Realisierbarkeit solcher Preise bestehen“ könne, weil „die Zugangsmöglichkeiten zu einem Markt preissensitiv seien.“

177 Vgl G. E. Tichy, RWZ2000, 171.

178 A. Burger, RdW 2012, 397ff; ders, NZG 2012, 286; vgl auch A. Burger, Börsenkurse, 275ff; H. Foglar-Deinhardstein, GES2018, 15f.

179 Winner, Wert und Preis, 473ff und 476f; Gall/Potyka/Winner, Squeeze-out, Rz232f; Aschauer, Unternehmensbewertung beim Gesellschafterausschluss, 184ff; Obradović, GesRZ2018, 5 und 8; Mollnhuber, GesRZ2020, 259; Kalss, Verschmelzung –Spaltung – Umwandung3, §2 GesAusG Rz14; vgl auch Koppensteiner in Kölner Komm AktG3, §305 Rz101f; Kalss, Anlegerinteressen, 519f.

180 OLG Wien 1.10.2020, 6 R 78/20i ua, Pkt5.4.1.; so auch Winner, Wert und Preis 476; Gall/Potyka/Winner, Squeeze-out, Rz233; Aschauer/Schiebel, RWZ2009, 311; Mollnhuber, Umtauschverhältnis, 328; Zottl/Pendl, GesRZ2019, 223; Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung3, §2 GesAusG Rz14.

181 Diese Methode kann mE grundsätzlich auch im Gesellschaftsrecht (zB kapitalerhaltungsrechtlich) unter Anlehnung an §26 ÜbG angewendet werden, wobei freilich im Gesellschaftsrecht Analogien zum kapitalmarktrechtlich-regulatorisch konzipierten Übernahmerecht mE nur mit äußerster Zurückhaltung zu ziehen sind; vgl näher Koppensteiner, JBl 2003, 710; Rüffler, Lücken, 94: „Übernahmerechtlichen und konzernvertraglichen Schutz miteinander zu vergleichen ..., hieße im Hinblick auf die unterschiedlichen Zielsetzungen und durchaus unterschiedliche Gefährdungen, denen die jeweils entsprechenden Normen steuern, Äpfel mit Birnen zu vergleichen.“; Ruthardt/M. Popp, AG 2020, 248; Ruiz de Vargas, NZG 2021, 1057f und 1062; H. Foglar-Deinhardstein, GesRZ2013, 166ff; E. Gruber/H. Foglar-Deinhardstein, Satzungsstrenge und neue Spielräume für „autonome“ Satzungsbestimmungen, GesRZ2014, 73 (75); H. Foglar-Deinhardstein/Trettnak, GesRZ2015, 99FN 3; zum Hintergrund von §26 ÜbG vgl Stellungnahme der ÜbK vom 8.1.2018, 2017/3/3-15, Wiener Privatbank SE; Diregger/Kalss/Winner, Das österreichische Übernahmerecht2 (2007) Rz306; Winner, Wert und Preis, 474; Mollnhuber, Umtauschverhältnis, 331 und 336f; H. Foglar-Deinhardstein, GES2018, 16; kritisch zur Maßgeblichkeit eines Durchschnittsbörsekurses Ruthardt/M. Popp , AG 2020, 244f.

Unternehmensbewertung

werden an der Börse zu aktuellen und weder zu Durchschnitts- noch zu historischen Kursen gehandelt.182 Gerade durch das Abstellen der hA auf einen Durchschnittskurs erweist sich somit die These vom notwendigen Ausgleich des Deinvestitionswerts in Gestalt des Börsekurses als selbst widersprüchliches Konzept: Der hypothetische Kurs am Bewertungsstichtag ohne Beeinflussung durch die Monate zuvor angekündigte Strukturmaßnahme ist nicht feststellbar; selbst wenn er feststellbar wäre, würde er keine Aussage darüber treffen, zu welchem Preis ein individueller Aktionär durch eine neue Order tatsächlich verkaufen könnte. Der Durchschnittskurs ist demgegenüber ein aus historischen Kursen abgeleiteter fiktiver Kurs, der den echten Deinvestitionswert noch weniger abbilden kann als ein Stichtagskurs. Der Durchschnittskurs ist nämlich nicht geeignet, einen Trend in der Kursentwicklung oder kursrelevante Ereignisse oder Informationen, die erst nach Ende der Durchrechnungsperiode, aber vor dem Bewertungsstichtag eintreten bzw publik werden und nichts mit dem Squeeze-out zu tun haben, abzubilden.183 Aus einer historischen lässt sich die zukünftige Kursentwicklung nicht erkennen.184 Das OLG Wien verweist in seiner BEKO Holding-Entscheidung auf Literaturmeinungen, nach denen bei Vorliegen außergewöhnlicher Ereignisse, die den Börsekurs beeinflussen, die angemessene Barabfindung auch unter dem Börsekurs liegen könne (als Beispiele führt die zitierte Literatur Währungskrisen, Kriegsausbrüche, den 11.9.2001 oder die Lehman-Pleite am 15.9.2008 an). Zu bedenken ist aber, dass ein Kursverfall nicht nur durch solche globale oder zumindest Regionen und Branchen übergreifende Krisen (etwa auch durch eine Pandemie oder durch Veränderungen der Konjunkturaussichten oder des allgemeinen Zinsniveaus), sondern genauso durch viel begrenztere Neuigkeiten verursacht werden kann; so etwa durch eine (echte oder angenommene) Branchenkrise oder auch schlicht durch neue Informationen (oder auch nur Gerüchte) zum Unternehmen selbst (neue Bilanzzahlen, eine ge scheitere Akquisition, eine gescheiterte Veräußerung, eine gescheiterte Produktentwicklung, Ausscheiden eines Vorstandsmitglieds, Verlust eines Großkunden, Haftungsfall, Verlust eines Gerichtsprozesses, Änderungen des regulatorischen Umfelds, [allenfalls auch unverschuldete] Verwicklung in einen Skandal, Aufdeckung von Schwächen in der Rechnungslegung [zB wegen interkultureller Übermittlungsprobleme], Übernahmespekulationen, Aktienrückerwerbsprogramm).185 Warum aber sollte im Falle einer

182 A. Burger, Börsenkurs, 254f. Richtigerweise wird daher auch von einer „fiktiven freien Deinvestitionsentscheidung“ (OLG München 5.5.2015, 31 Wx 366/13, EWiR 2015, 733 [Haßler] = BB 2015, 1586 [Schüler]), einem „fiktiven Deinvestitionswert“ (Obradović, GesRZ2018, 5 und 10) und einem „artifiziellen Wert, den die Minderheitsaktionäre als konkreten Kurs nicht hätten realisieren können“ (Mollnhuber, Umtauschverhältnis, 329), gesprochen. Ganz allgemein zitiert J. W. Flume (Marktaustausch, 68) Mataja, nach dem Marktpreise „aus in der Vergangenheit liegenden Abschlüssen rekonstruiert“ werden und daher nicht klar sei, „ob zu denselben Konditionen und Umfang auch Abschlüsse in der Zukunft möglich sein werden.“

183 Großfeld, BB 2000, 266; Koppensteiner in Kölner Komm AktG3, §305 Rz108f; Aschauer, Unternehmensbewertung beim Gesellschafterausschluss, 186 FN 725; A.Burger, Börsenkurse, 288; ders, RdW 2012, 398; ders, NZG 2012, 286.

184 Vgl G. E. Tichy, RWZ2000, 170.

185 Vgl Großfeld, BB 2000, 264 und 266; ders, Unternehmens- und Anteilsbewertung4, 190f; Koppensteiner in Kölner Komm AktG3, §305 Rz51; Krejci, Unternehmenswert

solchen Korrektur des Börsekurses der Minderheitsaktionär Anspruch auf Abfindung mindestens zum Schnitt des Börsekurses haben, der diese Informationen noch nicht verarbeitet hat und daher offensichtlich veraltet ist?186 Die Forderung nach einem Einfrieren des Durchschnittskurses zum Tag der Bekanntgabe des Squeezeouts, das die Kursbeeinflussung durch diese spezifische Ankündigung ausblenden will, belegt ja gerade, dass jederzeit – und daher auch nach Ende der Referenzperiode für den Durchschnittskurs – kursverändernde Ereignisse eintreten können. Im Übernahmerecht ist dies auch durch §26 Abs3 Z3 ÜbG anerkannt.187

 Zusammenfassend gibt es somit keine geeignete Methode, um einen objektiv-abstrakten Deinvestitionswert belastund nachprüfbar festzustellen. Ein postuliertes Prinzip, für das es keine praktische Methode der Umsetzung gibt, die im Einklang mit diesem Prinzip stünde, ist aber für die rechtliche Anwendung ungeeignet.188

 Zu bedenken ist schließlich, dass die Theorie vom zu ersetzenden Deinvestitionswert, der idR im Börsekurs verkörpert sein soll, auch in einem Spannungsverhältnis zur neueren Rspr des BVerfG steht, nach der zwar die allgemeine Verkehrsfähigkeit der Aktie Eigentumsbestandteil sei und damit verfassungsrechtlichen Schutz genieße, dies gelte nicht für wertbildende Faktoren (wie etwa die Zulassung der Aktien zum Börsehandel) gelte.189

Bemerkenswert ist idZ, dass – während die Abgeltung des idR durch den Börsekurs dargestellten Deinvestitionswerts in Deutschland durch das BVerfG verfassungsrechtlich in Stein gemeißelt ist – eine derartige verfassungsrechtliche Festlegung in Österreich nicht existiert: Der VfGH hat das deutsche Postulat vom Börsekurs als Untergrenze für die Barabfindung zwar vereinzelt zitiert, aber nicht übernommen. In allen indirekt oder direkt einschlägigen Erkenntnissen zu Fragen des Squeeze-outs und der gebührenden Kompensa-

185 785; Aschauer/Schiebel, RWZ2009, 311; A. Burger, Börsenkurse, 255ff und 259; ders, RdW 2012, 398; ders, NZG 2012, 286; Mollnhuber, Umtauschverhältnis, 327 FN 2214.

186 Vgl A. Burger, Börsenkurse, 256f; Ruiz de Vargas, NZG 2021, 1061. Aschauer/Schiebel (RWZ2009, 311) merken daher an, dass Änderungen der Wertverhältnisse, die nach der Ankündigung des Squeeze-outs, aber vor dem Bewertungsstichtag eintreten, eigentlich im Durchschnittskurs nachträglich noch berücksichtigt werden müssten, räumen aber ein, dass eine solche Berücksichtigung, die ja die Kurseinflüsse der Ankündigung des Squeeze-outs wiederum ausblenden müsste, erheblichen ökonomischen und rechtlichen Hindernissen begegnet. Zu bedenken ist, dass neue wertrelevante Informationen in einem Durchschnittskurs immer nur partiell aufgenommen werden; vgl A. Burger, NZG 2012, 286f.

187 Winner, Wert und Preis, 492; A. Burger, Börsenkurse, 38; vgl auch Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung3, §2 GesAusG Rz24 FN 93 und §7 GesAusG Rz34; Zollner in P. Huber, ÜbG2 (2016) §7 GesAusG Rz25; Kalss/Zollner, Squeezeout (2007) §7 GesAusG Rz38.

188 Vgl das von Fleischer (ZGR 1997, 378f) zitierte Wort von Mestmäcker, dass die Betriebswirtschaftslehre rechtliche Lösungen zwar nicht determinieren, ihnen aber äußere Grenzen setzen könne: So können bei Bewertungen nur Faktoren einfließen, die in monetäre Größen übersetz-, quantifizier- und messbar sowie als Information zugänglich sind. Allgemein zitiert Mollnhuber (Umtauschverhältnis, 249) ein Wort von Pinner vom 34. DJT 1926, wonach „als erster Grund für den Gesetzgeber gelten“ müsse, „daß er nichts Unmögliches und nichts Unerträgliches verlangt.“ Dazu passt der Rechtssatz, dass ein Aspekt der Rechtssicherheit auch die Rechtsklarheit ist und daher die Anwendung allzu komplexer Formeln wegen der Schwierigkeiten ihrer exekutiven Umsetzung die Grenze zulässiger Rechtsfortbildung durch das Gericht (Richterrecht) überschreiten kann; vgl OGH 28.6.2023, 6 Ob 178/22b, EvBl 2023/248 (Drobnik); dazu H. Foglar-Deinhardstein, Die FlexCo als flexible Gesellschafterin ihrer selbst, ÖJZ2023, 911. Zur rechtsdogmatischen Analyse gehört im Wirtschaftsprivatrecht auch die Suche nach Lösungen, die nicht nur lege artis begründet sind, sondern auch die Kontrollfrage nach der praktisch-planerischen Umsetzung bestehen; vgl U. Torggler, Verschwiegenheitspflicht, 1228.

189 BVerfG 11.7.2012, 1 BvR 3142/07 ua, BVerfGE 132, 99 = BB 2012, 2010 (Königshausen) = JZ2012, 1065 (Sanders) = ZIP 2012, 1402 (Schatz).

tion hat sich der VfGH vielmehr in kühler Zurückhaltung damit begnügt, immer nur zwei abstrakte Zulässigkeitskriterien zu formulieren, nämlich einerseits die Angemessenheit der Barabfindung und andererseits die Möglichkeit der Einleitung der gerichtlichen Nachprüfung durch jeden Ausgeschlossenen.190 Wie aber materiell die Angemessenheit der Kompensation zu ermitteln und nachzuprüfen ist, hat der VfGH immer offengelassen.

In einer Entscheidung zum Squeeze-out von Partizipationsscheininhabern hat er freilich als Pflock eingeschlagen, dass eine fixe Abfindung zu einem durchschnittlichen Börsekurs ohne Überprüfungsmöglichkeit in einem Gerichtsverfahren verfassungswidrig ist.191 Auch daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass der VfGH verfassungsrechtlich notwendig den Börsekurs als Untergrenze ansieht. Diese verfassungsrechtliche Rspr der großen Linien ist schon deswegen zu begrüßen, weil das Verfassungsrecht bei gesellschaftsrechtlichen Abfindungsansprüchen wirklich nur ein „Notventil“ sein sollte.192

In Österreich ist es daher weder verfassungsrechtlich erforderlich noch gesellschaftsrechtlich passend, den Börsekurs als absolute Untergrenze für die angemessene Barabfindung beim Squeeze-out anzunehmen. ME geglückte Kompromissformeln finden sich im Fachgutachten KFS/BW 1 und in der Habilitationsschrift von Kalss Kalss formuliert treffend: „Wenn eine ausreichende Liquidität ebenso zu bejahen ist wie eine angemessene Informationsversorgung und die Hintanhaltung kursmanipulativer Einflüsse, ... kann [der Börsekurs] als ein Anhaltspunkt für die Untergrenze zulässiger Betragsbestimmung angesehen werden.“ 193 Und das Fachgutachten KFS/BW 1 empfiehlt lakonisch: „Im Rahmen der Bewertung von Unternehmensanteilen börsennotierter Unternehmen ist zu beurteilen, inwieweit der Börsenkurs als Wertuntergrenze relevant ist.“ 194 Zu erwähnen ist in diesem Kontext nochmals der Squeeze-out der Minderheitsaktionäre der Austrian Airlines AG aus dem Jahr 2009. Damals wurde zur Relevanz des Börsekurses für die Höhe der angemessenen Barabfindung in den vorbereitenden Berichten des Vorstands und der Hauptaktionärin einerseits und des sachverständigen Prüfers andererseits195 festgehalten, dass der Börsekurs der gegenständlichen Aktie schon seit Längerem deutlich über ihrem wahren inneren Wert liege und durch den Privatisierungsauftrag der österreichischen Bundesregierung, die Bekanntgabe der Über-

190 VfGH 28.9.2002, G286/01, VfSlg 16.636/2002 = ÖBA 2003, 387 (E. Brandl) = ÖZW 2003, 12 (Pauger), mit Zitat aus BVerfG 27.4.1999, 1 BvR 1613/94; die Conclusio der Entscheidung ist aber lediglich, dass eine „angemessene“ Abfindung zu gewähren ist und eine gerichtliche Überprüfung der Angemessenheit möglich sein muss; VfGH 16.6.2005, G129/04 ua, VfSlg 17.584/2005 = ecolex 2005/288 (Reich-Rohrwig) = GES2005, 323 (Chvosta): „Dem Berechtigten muss ... der Weg zu einem Gericht offen stehen, das über die Angemessenheit der Entschädigung abschließend zu entscheiden hat ...“; VfGH 21.9.2011, G175/10, VfSlg 19.486/2011; 27.6.2018, G30/2017: „Soweit das Vermögensinteresse des Minderheitsgesellschafters betroffen ist, verlangen §1 Abs1 und §2 Abs1 GesAusG eine angemessene Barabfindung als Ausgleich für den Verlust der Beteiligung. Darüber hinaus gibt es nach dem GesAusG ein gerichtliches Überprüfungsverfahren, in dem die angemessene Barabfindung zu überprüfen ist ...“; VfGH 1.10.2019, G104/2019 ua; vgl auch Aschauer, Unternehmensbewertung beim Gesellschafterausschluss, 186f; A. Burger, Börsenkurse, 116ff, 129 und 131; ders, RdW 2012, 393ff; Hügel/Aschauer, Pflichtteilsrecht, 283; Kalss/Deutsch, ÖZW 2019, 31; H. Foglar-Deinhardstein/Molitoris/Hartig, GesRZ2020, 45.

191 VfGH 28.9.2002, G286/01; vgl auch Rüffler, Unternehmensbewertung, 50.

192 Fleischer, AG 2014, 110.

193 Kalss, Anlegerinteressen, 519 (Hervorhebung hinzugefügt); ebenso Kalss, ÖBA 2002, 140.

194 KFS/BW 1, Rz150 (Hervorhebung hinzugefügt).

195 Allgemein zur vorbereitenden Berichterstattung zum Squeeze-out H. Foglar-Deinhardstein/Hartig in Kalss/Frotz/Schörghofer, Handbuch, §31 Rz266ff und 275ff.

nahmeabsicht durch Lufthansa und durch die Veröffentlichung der Absicht, einen Squeeze-out durchzuführen, völlig gegen den Markttrend beeinflusst worden sei, sodass die Börsekurse für die Ermittlung der Barabfindung nicht zu berücksichtigen seien.196

Im Überprüfungs- und in einem Anfechtungsverfahren zu diesem Squeeze-out wurde dann versucht, eine Aussage des OGH dahin gehend herbeizuführen, dass die Barabfindung nicht unter dem Preis liegen dürfe, der im vorgelagerten Übernahmeangebot angeboten worden war. Dieser Preis war wegen der Preisbildungsregeln des §26 ÜbG wiederum an den durchschnittlichen Börsekurs der Austrian Airlines-Aktie gekoppelt gewesen.197 Der OGH verweigerte aber in beiden Verfahren eine derartige Aussage, und zwar im Überprüfungsverfahren aus formalen Gründen198 und im Anfechtungsverfahren mit dem lapidaren Hinweis, dass „im bloßen Umstand, dass die Barabfindung niedriger als der im Übernahmeverfahren gebotene Abfindungspreis festgesetzt wurde, ... kein Verstoß gegen [das Gleichbehandlungsgebot des] §47a AktG erblickt werden“ könne.199 Auch im Hinblick auf frühere kritische Aussagen des OGH zum Börsekurs als Wertmaßstab200 kann daraus zumindest der vorsichtige Schluss gezogen werden, dass die Begeisterung des OGH für die These vom Börsekurs als Untergrenze 2010 und 2013 offenbar nicht so groß war, dass er dieser Ansicht wenigstens ein bestätigendes obiter dictum in einer der beiden Austrian Airlines-Entscheidungen gewidmet hätte.

Sogar die ÜbK begegnet der Anknüpfung an den Börsekurs mit gewisser Skepsis. Beim Übernahmeangebot zur Vorbereitung eines Delisting hat die Preisbildung nach dem Wortlaut des Gesetzes an sich folgendermaßen zu erfolgen: Untergrenzen für den anzubietenden Übernahmepreis sind 1.) der beste Preis, den der Bieter selbst in den letzten 12 Monaten für die Aktie gezahlt hat, 2.) der durchschnittliche Börsekurs der letzten sechs Monate sowie 3.) der durchschnittliche gewichteten Börsekurs während der letzten fünf Börsetage vor Veröffentlichung der Delisting-Absicht. Weiters ist der so ermittelte Preis nach oben zu korrigieren, wenn die regulatorischen Preisregeln zu einem Angebotspreis führen würden, der offensichtlich unter dem tatsächlichen Unternehmenswert liegt. Aus Anlass des Übernahmeangebots von Ottakringer ist die ÜbK nunmehr – in Fortführung ihrer Porr-Stellungnahme201 – der Lehre gefolgt, die postuliert hatte, dass bei illiquiden Aktien die beiden an den Börsekurs anknüpfenden Preisuntergrenzen entfallen können.202 Gemäß

196 Gemeinsamer Bericht gem §3 Abs1 GesAusG vom 29.10.2009, S11f; vgl auch Bericht des sachverständigen Prüfers gem §3 Abs2 GesAusG vom 30.10.2009, S15.

197 Freiwilliges Übernahmeangebot zur Kontrollerlangung gem §25a ÜbG vom 27.2.2009, S18f.

198 OGH 11.10.2010, 6 Ob 186/10m.

199 OGH 31.1.2013, 6 Ob 210/12v.

200 OGH 9.3.1999, 4 Ob 353/98k; 6.6.2001, 6 Ob 109/01z; 5.7.2001, 6 Ob 99/01d; 20.1.2009, 4 Ob 188/08p.

201 Stellungnahme der ÜbK vom 6.11.2012, 2012/1/4-24, Porr; vgl auch P. Huber, Gedanken zum Sanierungsprivileg im österreichischen Übernahmerecht, in FS ReichRohrwig (2014) 35 (40); Eigner, Zum Preis des Pflichtangebots im Übernahmerecht, ÖBA 2013, 623 (633ff); Winner/S. Schulz, Aktuelle Entwicklungen im Übernahmerecht – M&A und die Krise, ÖBA 2010, 82 (83); von Falkenhausen, Flexibilität beim Preis des Pflichtangebots, NZG 2013, 409; Obradović, GesRZ2018, 4ff.

202 Fidler in Kalss/Oppitz/U. Torggler/Winner, BörseG – MAR (2019) §38 BörseG Rz122; Obradović, GesRZ2018, 16f; Diregger/Eigner, Das freiwillige Delisting vom Amtlichen Handel, ÖBA 2018, 850 (864); H. Foglar-Deinhardstein/Feldscher in Adensamer/Mitterecker, Gesellschafterstreit, Rz11/52.

Unternehmensbewertung

den Beschlüssen des 2. Senats der ÜbK zu 2023/2/5, Ottakringer Getränke AG, bildete – da dem Kurs der Ottakringer-Aktien aufgrund der Illiquidität keine Aussagekraft zukommt und die Bieter und die mit ihnen gemeinsam vorgehenden Rechtsträger innerhalb der vergangenen 12 Monate keine Aktien der Zielgesellschaft erworben hatten und somit auch keine Referenztransaktion vorlagen – allein der anteilige Unternehmenswert der Zielgesellschaft die Untergrenze für die Preise des Angebots. Der Unternehmenswert wurde durch einen von der ÜbK bestellten unabhängigen Sachverständigen ermittelt. Somit ist nach der Spruchpraxis der ÜbK der Börsekurs nicht einmal im Übernahmerecht immer als Untergrenze heranzuziehen.203

Auch die Preise aus Vorerwerben bilden mE keine absolute Untergrenze für die angemessene Barabfindung,204 zumal §1 GesAusG nicht an den Vorgaben der Übernahmerichtlinie205 zu messen ist206 und sich der Unternehmenswert zum Zeitpunkt des Squeeze-outs naturgemäß ganz anders darstellen kann als zum Zeitpunkt der Vortransaktion.207

5.Frage 4: Relevanz des Börsekurses von Aktien, die die zu bewertende Gesellschaft hält?

Nach den Bewertungsregeln des Fachgutachtens KFS/BW 1 ist nicht betriebsnotwendiges Vermögen gesondert zu bewerten und zum Barwert künftiger finanzieller Überschüsse aus dem Unternehmen zu addieren. Während also das betriebsnotwendige Vermögen einer Gesamtbewertung unterzogen wird, ist das nicht betriebsnotwendige Vermögen in einer Einzelbewertung zum Barwert der daraus resultierenden zukünftigen Nettozuflüsse anzusetzen, wobei der Liquidationswert des nicht betriebsnotwendigen Vermögens die Untergrenze bildet.208

Für die Bewertung eines Aktienpakets, das die zu bewertende Gesellschaft als Teil ihres nicht betriebsnotwendigen Vermögens hält, ist nach der Rspr des OLG Wien ein volumensgewichteter Durchschnittskurs von sechs Monaten heranziehen; die Referenzperiode soll aber hier – anders als bei der Ermittlung des relevanten Börsekurses der Aktien an der zu bewertenden Gesellschaft selbst209 – bis zum Bewertungsstichtag gem §2 GesAusG laufen, weil bei der Ankündigung des bevorstehenden Squeeze-outs bei der Obergesellschaft keine Auswirkung auf den Kurs der Untergesellschaft zu erwarten sei.210

Wie bereits an anderer Stelle dargestellt und begründet, wäre mE bei für die Gesellschaft wesentlichen Aktienpaketen auch eine (anteilige) Unternehmensbewertung der Betei-

203 Vgl Nutz/Petermair, WBl 2024, 9f.

204 So aber Told, Angemessene Barabfindung und zeitnahe Transaktionen, GES2022, 108.

205 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl L 142 vom 30.4.2004, S12.

206 Vgl OGH 23.4.2020, 6 Ob 56/20h.

207 Vgl H. Foglar-Deinhardstein, GesRZ2013, 166f; generell kritisch zur Berücksichtigung von außerbörslich für Gesellschaftsanteile gezahlten oder angebotenen Preisen, weil in diese subjektive Wertvorstellungen und Beweggründe einflössen, OLG Düsseldorf 28.11.2022, I-26 W 4/21 (AktE), NZG 2023, 1171; Fleischer, GmbHR 2023, 1014.

208 KFS/BW 1, Rz27f; vgl auch Kalss, JBl 1995, 437; Koppensteiner in Kölner Komm AktG3, §305 Rz82; Bachner, Bewertungskontrolle, 14; Gall/Potyka/Winner, Squeeze-out, Rz218; Szep in Artmann/Karollus, AktG6, §220 Rz12; Mollnhuber, GesRZ2020, 270; OLG Wien 1.10.2020, 6 R 78/20i ua.

209 Siehe Pkt VII.4.2.

210 OLG Wien 1.10.2020, 6 R 78/20i ua.

ligung vorzunehmen und ein etwaiger Paketzuschlag211 zu berücksichtigen.212

VIII.Zur Frage der mehrheitskonsensualen

Schätzung: Eine effiziente Methode zur Prüfung der Angemessenheit

Wie bereits an anderer Stelle213 argumentiert, kann die im Zuge des Nachprüfungsverfahrens in einem Teilvergleich festgelegte Nachzahlung mE im fortgesetzten Nachprüfungsverfahren gewürdigt werden und in die Prüfung der Angemessenheit der Barabfindung einfließen. Abhängig von der Teilnahmequote am Teilvergleich kann sich nämlich aus der erhöhten Barabfindung gemäß Teilvergleich ein bedeutsamer Fingerzeig auf die Angemessenheit ergeben. Ein multilateral verhandelter Teilvergleich wird allenfalls dem Gremium und dem Gericht sogar treffsicherere Indizien liefern als ein –schon aus methodischen Gründen – immer mit Unschärfen einhergehendes Bewertungsgutachten.214

Dass ein von einer übergroßen Mehrheit akzeptierter Vergleich gerade im Kontext eines Gesellschafterausschlusses bei der Angemessenheitsbeurteilung durchaus beachtlich ist, zeigt §7 Abs3 Satz 2 GesAusG; nach dieser (freilich übernahmerechtlich215 geprägten) Bestimmung ist bei einem Squeezeout, der auf ein Übernahmeangebot folgt, das hinsichtlich mehr als 90% der vom Angebot betroffenen Aktien angenommen wurde, zu vermuten, dass der im Übernahmeangebot bezahlte Preis als angemessene Barabfindung anzusehen ist.216 Eine Parallele ergibt sich auch zum für die Konzentrationsverschmelzung (merger of equals) entwickelten Verhandlungsmodell, dem gemäß ein in einem echten Verhandlungsprozess zwischen unverbundenen Gesellschaften und frei von Interessenkonflikten ermitteltes und von einer qualifizierten Mehrheit der Aktionäre mitgetragenes Umtauschverhältnis keiner (uneingeschränkten) Nachprüfung unterliegen soll.217 ME gibt es daher tragfähige rechtliche Gründe, bei der Überprüfung der Angemessenheit der Barabfindung eine mehrheitskonsensuale Schätzung zuzulassen, weil etwa in concrecto ein qualifizierter Mehrheitsvergleich stark für die Angemessenheit der im Vergleich festgelegten Barabfindung spricht.218

211 Vgl Brugger, Unternehmenserwerb2, Rz7.16; Aschauer/Schiebel, RWZ2009, 309; Hügel/Aschauer, Pflichtteilsrecht, 284 und 286; Aschauer, Unternehmensbewertung beim Gesellschafterausschluss, 123.

212 H. Foglar-Deinhardstein/Aichinger, GesRZ2021, 79f und 82.

213 H. Foglar-Deinhardstein/Feldscher, NZ2022, 176.

214 Gutachten des Gremiums zur Überprüfung des Umtauschverhältnisses gem §225g AktG vom 9.11.2018, Gr 2/16, unter Hinweis auf KFS/BW 1, Rz12 und 17; H. Foglar-Deinhardstein/Molitoris/Hartig, GesRZ2020, 50f; de lege ferenda für die Zulässigkeit des Mehrheitsvergleichs mit Inter-omnes-Wirkung Wasmann, AG 2021, 187.

215 Zu den unterschiedlichen Zielsetzungen von Gesellschafts- und Übernahmerecht vgl E. Gruber/H. Foglar-Deinhardstein, GesRZ2014, 75; H. Foglar-Deinhardstein/ Trettnak, GesRZ2015, 99 FN 3; siehe FN 181 und 206.

216 Winner, Wert und Preis, 530ff; Kalss/Winner, Ausgewählte gesellschaftsrechtliche Judikatur in Österreich und Deutschland im vergangenen Arbeitsjahr, GesRZ2013, 189 (197); Mollnhuber, Umtauschverhältnis, 368f; Zottl/Pendl, GesRZ2019, 228.

217 Hügel, Verschmelzung, 161 und 371f; Kalss/Winner, GesRZ2013, 196f; Aburumieh/Adensamer/H. Foglar-Deinhardstein, Verschmelzung, Kap V.A Rz37ff; Zottl/ Pendl, GesRZ2019, 224; vgl auch Mollnuber, Umtauschverhältnis, 344ff und 372ff, mit einem überzeugenden Vorschlag der Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen Verhandlungsmodell und der Daimler/Chrysler-Entscheidung (BVerfG 24.5.2012, 1 BvR 3221/10, BVerfGK 19, 415).

218 Referierend zur mehrheitskonsensualen Schätzung M. Arnold/Rothenburg in Fleischer/ Hüttemann, Unternehmensbewertung2, Rz33.61; vgl auch zum von einer qualifizierten Mehrheit mitgetragenen Verhandlungsergebnis bei der Konzentrationsverschmelzung Mollnuber, Umtauschverhältnis, 344ff und 372ff. In der Vorbereitung des AktRÄG 2019 wurde eine explizite gesetzliche Verankerung der Mehrheitsentscheidung im Nachprüfungsverfahren aus Zeitmangel nicht näher geprüft; vgl S.Bydlinski/Walser, Überblick über das Aktienrechts-Änderungsgesetz 2019, RWZ2020, 6 (10).

Nicht übersehen werden darf dabei mE, dass das Überprüfungsverfahren gem §6 GesAusG iVm §§225c ff AktG ja nicht der Überprüfung der Unternehmensbewertung – als eine Art Selbstzweck – dient, sondern nur, aber immerhin der Überprüfung der Angemessenheit der Barabfindung. Gerade angesichts eines von einer sehr großen Mehrheit akzeptierten Vergleichsangebots sollte es dem Gericht und dem von ihm befassten Sachverständigen daher offenstehen, die Angemessenheit auf Basis einer mehrheitskonsensualen Schätzung zu überprüfen.219 Dies muss nach zustimmungswürdiger Meinung vor allem dann gelten, „wenn der Verfahrensaufwand, der mit einer Fortsetzung des ... [Verfahrens] verbunden wäre, zu dem voraussichtlichen Erkenntnisgewinn, der aus einer weiteren Vertiefung der vorliegenden Wertgutachten zu erwarten ist, in keinem angemessenen Verhältnis steht. Dies wird jedenfalls immer dann der Fall sein, wenn die vom opponierenden Antragsteller aufgeworfenen Restfragen lediglich im Wege einer Neubegutachtung geklärt werden können. ... Ob der Teilvergleich darüber hinaus auch als Grundlage für die gerichtliche Schätzung der angemessenen Kompensation herangezogen werden darf, muss maßgeblich davon abhängen, welcher Verfahrensaufwand mit einer weiteren Fortsetzung des ... [Verfahrens] verbunden wäre. Jedenfalls die Anordnung einer Neubegutachtung wird in derartigen Fällen stets unverhältnismäßig sein.“.220

Zu bedenken ist, dass auch die noch so häufige Wiederholung der Überprüfung der Bewertung nie zu einem letztgültigen Ergebnis führen kann: Bei der Bestimmung des quotalen Unternehmenswerts ist klar, dass „es allein um eine Approximation unter Gebrauch eines insgesamt höchst unvollkommenen Arsenals von Bewertungsinstrumenten gehen kann, eine Punktlandung also unmöglich ist.“.221

Dazu passt auch, dass in der deutschen Rspr und Literatur wiederholt festgehalten wird, dass Aufwand, Kosten und Dauer eines Überprüfungsverfahrens immer in einem angemessenen Verhältnis zum (seriös erwartbaren) Erkenntnisgewinn stehen müssen. So sprach das OLG Stuttgart aus: „Die Grundlagen der Schätzung im Spruchverfahren müssen methodensauber, aber mit verfahrensökonomisch vertretbarem Aufwand geschaffen werden.“ 222

Bemerkens- und bedenkenswert sind auch die dahin gehenden Äußerungen des BGH:

„Einer Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens bedarf es im Spruchverfahren ... nur, wenn das Gericht streitige Punkte nicht aus eigener Sachkunde beurteilen kann und eine Begutachtung gegenüber den bereits vorliegenden Daten einen Erkenntnisgewinn bringt ...“ 223

„Insbesondere wenn ein Spruchverfahren zu dem Zeitpunkt, zu dem die neue Berechnungsweise bekannt und anerkannt wird, bereits länger andauert, ist der Gewinn an Genauigkeit gegen den weiteren verfahrensrechtlichen und zeitlichen Aufwand abzuwägen. Die Grundlagen der Schätzung müssen im

219 Vgl auch – schon zur früheren deutschen Rechtslage vor §11a SpruchG – Drescher in Spindler/Stilz, AktG4 (2019) §11 SpruchG Rz11: „Das Gericht kann aber das Vergleichsergebnis als angemessene Kompensation festsetzen ...“

220 Deiß, Die Festsetzung der angemessenen Kompensation im Wege einer „mehrheitskonsensualen Schätzung“ im Spruchverfahren, NZG 2013, 1382 (1384f).

221 Adolff/Häller in Fleischer/Hüttemann, Unternehmensbewertung2, Rz21.89.

222 OLG Stuttgart 20.8.2018, 20 W 1/13, NZG 2019, 145; vgl auch Lukas/Geroldinger, Scheingenauigkeit, 371 und 380.

223 BGH 21.2.2023, II ZB 12/21 (Hervorhebung hinzugefügt).

Spruchverfahren zwar methodensauber, aber mit verfahrensökonomisch vertretbarem Aufwand geschaffen werden ...“.224

„Zudem gilt, dass jede in die Zukunft gerichtete Prognose, insbesondere die der Ertragswertmethode eigene Beurteilung künftiger Erträge, ihrer Natur nach mit Unsicherheiten behaftet ist. Vor diesem Hintergrund ist es zur Berechnung des vollen Ausgleichs nicht geboten, eine auf zutreffender Tatsachengrundlage beruhende, vertretbare Prognose durch eine andere, ebenfalls notwendigerweise nur vertretbare, zu ersetzen ... Erst recht ist es nicht geboten, zur Bestimmung des ‚wahren‘ Werts der Unternehmensbeteiligung stets jede denkbare Methode der Unternehmensbewertung heranzuziehen und die Abfindung nach dem Meistbegünstigungsprinzip zu berechnen ...“ 225

Der deutsche Gesetzgeber hat daher jüngst in §11a SpruchG zur Klarstellung ausdrücklich anerkannt, dass eine mehrheitskonsensuale Schätzung im Nachprüfungsverfahren berücksichtigungswürdig ist: „Einigen sich der Antragsgegner, die gemeinsamen Vertreter und eine Mehrheit von Antragstellern, die mindestens 90 Prozent des von sämtlichen Antragstellern gehaltenen Grund- oder Stammkapitals umfasst, auf eine bestimmte Kompensation, so kann das Gericht deren Höhe im Rahmen seiner Schätzung berücksichtigen.“.226

IX.Zusammenfassung in Thesen

1. Das Spannungsfeld zwischen Klarheits- und Komplexitätsfalle stellt sich für den Juristen gleichermaßen dramatisch wie für den Unternehmensbewerter, ist aber auch für beide wohl überhaupt erst der Grund ihrer Existenz.

2. Seriöse Unternehmensbewertungen liefern keine Punktlandungen, sondern können solche einwertigen Festlegungen (Punktwerte), die manchmal wirtschaftlich, bilanziell, rechtlich oder steuerlich erforderlich sind, nur mit einer Bandbreite untermauern oder – sofern der Punktwert außerhalb der Bandbreite (allenfalls zuzüglich einer Erheblichkeitsgrenze) liegt – widerlegen.

3. Die Wertbestätigung am Markt durch reale Transaktionen unter fremden Dritten im redlichen Geschäftsverkehr aus der näheren Vergangenheit geht der gutachtlichen Wertermittlung grundsätzlich vor.

4. Bei dominierten Transaktionen haben die Anteilseigner Anspruch auf Abgeltung des vollen wirtschaftlichen Werts ihrer Anteilsrechte durch volle Abbildung des objektivierten Verkehrswerts.

5. Zumindest bei AGs hat sich die Rspr dahin gehend festgelegt, dass die angemessene Abgeltung durch eine abgeleitete (indirekte, mittelbare) Anteilsbewertung zu ermitteln ist.

6. Auch bei der indirekten Anteilsbewertung sind Differenzierungen, die sich aus Sonderrechten und Anteilsgattungen ergeben, zu berücksichtigen.

7. Bei der Unternehmensbewertung sind nur solche Schadenersatzansprüche zwingend zu berücksichtigen, die vom Schuld-

224 BGH 29.9.2015, II ZB 23/14.

225 BGH 21.2.2023, II ZB 12/21.

226 Vgl Löbbe, Die grenzüberschreitende Umwandlung nach dem UmRUG, ZHR 187 (2023), 498 (521); Wollin, Zur Reform des Vergleichs im Spruchverfahren, AG 2022, 474 (478f).

Unternehmensbewertung

ner nicht bestritten oder durch ein Gericht rechtskräftig festgestellt worden und darüber hinaus auch einbringlich sind.

8. Nicht jede Unternehmensbewertung bei dominierten Transaktionen muss durch einen externen sachverständigen Gutachter erfolgen. Die Einholung eines externen Gutachtens ist insb dann nicht geboten, wenn der notwendige Sachverstand ohnedies unternehmensintern vorliegt.

9. Das Fachgutachten KFS/BW 1 ist selbst keine Rechtsvorschrift, aber bei der Unternehmensbewertung durch Wirtschaftstreuhänder zu beachten. Soweit freilich das Gesetz zwingende Vorgaben für die aus einem spezifischen Anlass durchzuführende Unternehmensbewertung enthält, gingen diese im Falle eines Widerspruchs naturgemäß den fachgutachtlichen Regeln vor. Die privatrechtliche Vereinbarung über die Anwendung bestimmter Bewertungsmethoden und Berechnungsverfahren geht ebenfalls dem Fachgutachten KFS/BW 1 vor, soweit diese Vereinbarung in den Gutachtensauftrag einfließt und der Vereinbarung keine zwingenden rechtlichen Regeln und Bewertungsziele entgegenstehen.

10. Es besteht nach wie vor der Wunsch, dass der Gesetzgeber dem Gremium gem §225g AktG bei nächster Gelegenheit seine Befugnis zur Gutachtenserstattung zurückgibt.

11. Eine rechtlich vorgeschriebene Methode der Unternehmensbewertung gibt es grundsätzlich nicht. Das Recht gibt aber – insb bei dominierten Transaktionen – das jeweilige Bewertungsziel vor. Die gewählte Bewertungsmethode und die innerhalb einer Methode gewählten Berechnungsverfahren müssen für die rechtlichen Bewertungsziele adäquat sein (Normzweckadäquanz). Diese Normzweckadäquanz muss mE sowohl rechtlich als auch wirtschaftswissenschaftlich gewahrt sein (Methode des Pendelblicks).

12. Eine Abgeltung bei einer dominierten Transaktion, die innerhalb der aus der notwendigen Bandbreite einer Unternehmensbewertung resultierenden Unschärfe liegt, kann nicht als unangemessen qualifiziert werden, sondern ist als „angemessen“ zu bezeichnen.

13. Von einer unangemessenen Barabfindung kann nur ausgegangen werden, wenn 1.) die zugrunde liegende Unternehmensbewertung nicht den Grundsätzen ordnungsgemäßer Unternehmensbewertung entspricht und 2.) sich daraus nach Ansicht des Gerichts Abweichungen um mehr als 10% von einer den Grundsätzen ordnungsgemäßer Unternehmensbewertung entsprechenden Unternehmensbewertung ergeben.

14. Da sich der Unternehmenswert nicht mathematisch exakt bestimmen lässt, beschränkt sich die gerichtliche Tätigkeit im Überprüfungsverfahren auf die Kontrolle der Plausibilität der Unternehmensbewertung, wobei marginale Differenzen innerhalb der Messtoleranz unbeachtlich sind.

15. Um im Einzelfall bei einer börsenotierten Gesellschaft die im Börsekurs abgebildete Marktkapitalisierung anstelle einer fundamentalen Bewertung als Unternehmenswert heranziehen zu können, wären fundierte und anerkannte Beurteilungskriterien notwendig, anhand derer die Tauglichkeit der Börsekapitalisierung als Bewertungsmaßstab in der konkreten Bewertungssituation eingestuft werden könnte.

16. Der anteilige Unternehmenswert einer börsenotierten Gesellschaft ist im Zuge der gutachtlichen fundamentalanalytischen Bewertung jedenfalls auch durch den Börsekurs zu plausibilisieren.

17. Der Börsekurs ist mE keine absolute Untergrenze für die angemessene Abgeltung bei dominierten Transaktionen. Die Wirkung des Börsekurses als Untergrenze ist in Österreich weder verfassungsrechtlich erforderlich noch gesellschaftsrechtlich passend.

18 Auch Preise aus Vorerwerben bilden mE keine absolute Untergrenze für die angemessene Abgeltung.

19. Für die Bewertung eines Pakets von börsenotierten Aktien, das die zu bewertende Gesellschaft als Teil ihres nicht betriebsnotwendigen Vermögens hält, zieht das OLG Wien einen volumensgewichteten Durchschnittskurs von sechs Monaten bis zum Bewertungsstichtag heran. ME wäre bei für die Gesellschaft wesentlichen Aktienpakten auch eine (anteilige) Unternehmensbewertung der Beteiligung vorzunehmen und ein etwaiger Paketzuschlag zu berücksichtigen.

20. Die im Nachprüfungsverfahren in einem Teilvergleich festgelegte Nachzahlung kann im fortgesetzten Überprüfungsverfahren gewürdigt werden und in die Prüfung der Angemessenheit der Barabfindung einfließen. Abhängig von der Teilnahmequote am Teilvergleich kann sich aus der erhöhten Barabfindung gemäß Teilvergleich ein bedeutsamer Fingerzeig auf die Angemessenheit ergeben. Es gibt gute rechtliche Gründe, bei der Überprüfung der Angemessenheit der Barabfindung eine mehrheitskonsensuale Schätzung durch das Gericht zuzulassen, weil etwa in concreto ein qualifizierter Mehrheitsvergleich stark für die Angemessenheit der im Vergleich festgelegten Barabfindung spricht.

X.Schluss

Die Unternehmensbewertung ist – jedenfalls bei dominierten Transaktionen – eine Querschnittsmaterie zwischen Betriebswirtschaftslehre sowie Gesellschafts- und Umgründungsrecht. Sie sträubt sich daher – ihrer Natur gemäß – gegen eine endgültige rechtliche Beschreibung.

Ich schließe daher mit Bertolt Brecht: „Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“ 227

227 Brecht, Der gute Mensch von Sezuan (1964) 144.

Tagungsbericht zum 4. Österreichischen Vereinsrechtstag

FELIX JÖCHL / KATHARINA REICHSÖLLNER*

Am 10.11.2023 veranstalteten Univ.-Prof. Dr. Alexander Schopper (Universität Innsbruck) und Univ.Prof. DDr. Arthur Weilinger (Universität Wien) den 4. Österreichischen Vereinsrechtstag an der Universität Innsbruck. Die diesjährige Veranstaltung widmete sich aktuellen Themen aus Wissenschaft und Praxis (von der virtuellen Mitgliederversammlung nach dem VirtGesG bis zu verbraucherrechtlichen Herausforderungen für Vereinsorgane bei der Änderung von Verträgen).

* I.Virtuelle Mitgliederversammlungen

Univ.-Ass. Dr. Alexander Wimmer eröffnete die Vormittagssession und referierte unter dem Vorsitz von Schopper zu virtuellen Mitgliederversammlungen nach dem neuen VirtGesG. Dazu stellte er zunächst die Vorgeschichte des VirtGesG vor und erläuterte die verschiedenen Formen der virtuellen Versammlung, namentlich die einfache virtuelle Versammlung, die moderierte virtuelle Versammlung und die hybride Versammlung. Anschließend legte Wimmer dar, welche Voraussetzungen für eine virtuelle Mitgliederversammlung gegeben sein müssen (von einer Bestimmung in der Satzung über die Wahl des Versammlungsformats bis hin zur Einberufung). Als Nächstes ging er auf eventuelle Anfechtungsrisiken von Beschlüssen aufgrund der Wahl des Versammlungsformats ein. Ebenfalls behandelte der Vortragende verschiedene Punkte zur Durchführung der Versammlung, speziell den unter Umständen erforderlichen Versammlungsleiter. Schließlich thematisierte er die Rechte eines Vereinsmitglieds in einer (virtuellen) Versammlung und die Folgen technischer Störungen während einer virtuellen Versammlung.

II.Verantwortlichkeit von Rechnungsprüfer und (gesetzlichem) Abschlussprüfer

Den nächsten Vortrag hielt der Präsident der Kammer der Steuerberater:innen und Wirtschaftsprüfer:innen Mag. Herbert Houf zu Rechnungsprüfern und (gesetzlichen) Abschlussprüfern in Vereinen und deren Verantwortlichkeit. Den Vorsitz hatte Weilinger inne. Der Vortragende stellte zunächst die Stellung der Rechnungs- und Abschlussprüfer dar, wann diese zu bestellen sind und welche Aufgaben sie treffen. Ob Rechnungs- oder Abschlussprüfer zu bestellen sind, richtet sich nach den Größenmerkmalen des Vereins. Im nächsten Schritt ging der Vortragende auf die Größenmerkmale und die daran knüpfenden Rechnungslegungspflichten von Vereinen ein. Zudem wurde erläutert, welche Personen als Rechnungsoder Abschlussprüfer infrage kommen und wie diese bestellt werden. Danach besprach der Vortragende die Aufgaben der Rechnungsprüfer und die Frage, nach welchen Standards diese Aufgaben wahrgenommen werden müssen. Auch behandelte Houf die Aufgaben des (gesetzlichen) Abschlussprüfers. Schließlich erörterte der Vortragende die Verant-

* Mag. Felix Jöchl und Mag. Katharina Reichsöllner sind Universitätsassistent am Institut für Unternehmens- und Steuerrecht der Universität Innsbruck.

wortlichkeit der Prüfer. Hervorgehoben wurde vom Vortragenden, dass in der Praxis das Amt des Rechnungsprüfers häufig ehrenamtlich übernommen wird, dieser Umstand aber nichts an der Haftung ändert.

III.Einstweiliger Rechtsschutz im Verein

Nach einer Kaffeepause sprach RA Dr. Gerhard Jöchl als Letzter in der Vormittagssession unter dem Vorsitz von Hofrat Hon.Prof. Dr. Christoph Brenn, LL.M. zum Thema „Auseinandersetzung im Verein – Abhilfe durch einstweiligen Rechtsschutz?“. Zunächst ging der Vortragende auf die Notwendigkeit einer internen Streitschlichtung ein und erläuterte, wann es sich um Vereinsstreitigkeiten handelt. Vereinsstreitigkeiten liegen vor, wenn sie ihren Ursprung in der Vereinsmitgliedschaft haben. Der Vortragende wies darauf hin, dass der ordentliche Rechtsweg erst nach Ablauf von sechs Monaten ab Anrufung der Schlichtungsstelle offensteht und somit das durchzusetzende Recht gefährdet sein könnte. In der Folge erläuterte Jöchl Möglichkeiten der vorläufigen Anspruchssicherung, insb die sog Regelungsverfügung gem §381 Z2 EO. Anschließend besprach der Vortragende Fälle aus der Rechtsprechung (zB zur Behinderung bei der Ausübung von Mitgliedschaftsrechten oder dem Zwangsabstieg eines Fußballvereins). IdZ wurde ebenfalls thematisiert, dass Regelungsverfügungen immer wieder dazu führen, dass einer endgültigen Entscheidung vorgegriffen wird.

IV.Verbraucherrechtliche Herausforderungen für Vereinsorgane bei der Gestaltung und Änderung von Verträgen

Die Nachmittagssession des 4. Österreichischen Vereinsrechtstages wurde mit dem Vortrag von Univ.-Ass. Dr. Markus Edelsbrunner zum Thema „Verbraucherrechtliche Herausforderungen für Vereinsorgane bei der Gestaltung und Änderung von Verträgen“ eröffnet, der auf der jüngst abgeschlossenen Dissertation des Vortragenden zum Thema „Vertragsänderungen im Massengeschäft per Zustimmungsfiktionsklausel“ beruhte. Den Vorsitz übernahm Schopper. Zunächst beantwortete Edelsbrunner die Frage, in welchen Fällen Vereine als Unternehmer nach §1 Abs1 KSchG anzusehen sind, und ging dabei konkret auf die einzelnen dafür zu erfüllenden Voraussetzungen ein. Die Sonderbestimmung zu Vereinen in §1 Abs5 KSchG wurde als Nächstes thematisiert. Im Wesent-

lichen erstreckt diese den Anwendungsbereich des I. und II. Hauptstücks des KSchG auf den Beitritt und die Mitgliedschaft bei Vereinen, sofern die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

Anschließend bettete der Vortragende die Zustimmungsfiktionsklausel gem §6 Abs1 Z2 KSchG in einen vereinsrechtlichen Kontext. Insb thematisierte er deren Anwendbarkeit bei befristeten Verbraucherrechten sowie die formalen Voraussetzungen der Klauselgestaltung und die Umsetzung der damit verbundenen Hinweispflicht. Edelsbrunner führte seinen Vortrag mit Preisänderungsklauseln gem §6 Abs1 Z5 KSchG fort. Hier sei insb zwischen Preisgleitklauseln und Preisanpassungsklauseln zu unterscheiden und die zeitlichen Grenzen gem §6 Abs2 Z4 KSchG seien zu beachten. Ferner legte der Vortragende die Voraussetzungen wirksamer Preisänderungsklauseln dar, wobei laut Edelsbrunner insb der Aufnahme einer Verpflichtung der Entgeltsenkung iSd Symmetriegebots und der sachlichen Rechtfertigung der Preisänderung besondere Bedeutung zukomme.

V.Weitere „Probleme“ der Vereinsmitgliedschaft

Beim nächsten Vortrag von Ass.-Prof. MMag. Dr. Mathias Walch, LL.M. (Yale) mit dem Titel „Ausgewählte Probleme der Vereinsmitgliedschaft“ hatte RA Dr. Thomas Höhne den Vorsitz inne. Der Vortragende eröffnete mit Ausführungen zum Erwerb der Vereinsmitgliedschaft und thematisierte im Zuge dessen das Problem der Doppelmitgliedschaft im Verein. Die Rechte und Pflichten im Verein wurden als Nächstes behandelt. Bei Letzteren wurde insb eine mögliche Pflicht zur Übernahme eines Amtes hervorgehoben, während sich der Vortragende hinsichtlich der Rechte von Vereinsmitgliedern mit dem Stimmrecht, dem Recht, Beschlüsse anzufechten, sowie Informationsrechten befasste.

Im Speziellen hob Walch das Recht zur Wahl des Vorstands hervor, welches typischerweise die Mitgliederversammlung innehat. Hierbei gäbe es verschiedene Konstellationen, wie eine solche Wahl ausgestaltet sein könne. So könne man jedem Mitglied eine Stimme geben und jene Mitlieder, welche die meisten Stimmen erhalten haben, der Reihe nach als gewählt ansehen. Die mögliche Folge eines solchen Wahlmodus sei aber, dass keine ausreichende Zahl an Personen gewählt wird. Abhilfe könne man schaffen, indem man jedem Mitglied nicht nur eine, sondern Stimmen in Anzahl der zu

wählenden Personen zuteilt. Abschließend wurde im Vortrag Walchs der Verlust der Vereinsmitgliedschaft Thema. IdZ hob der Vortragende anhand eines aktuellen Beispielfalles den Ausschluss eines Vereinsmitglieds, das zugleich Teil des Vereinsvorstands ist, hervor. Probleme können dabei insb entstehen, wenn die Statuten vorsehen, dass ein Vorstandsmitglied zwingend dem Verein angehören muss.

VI.Strafrechtliche Haftungsrisiken für Vereinsorgane

Nach einer stärkenden Kaffeepause hielt Univ.-Prof. Dr. Klaus Schwaighofer den letzten Vortrag des 4. Vereinsrechtstages zum Thema „Strafrechtliche Haftungsrisiken für Vereinsorgane“ unter dem Vorsitz von RA Dr. Hubert Stanglechner. Zunächst wurde vom Vortragenden der im Verein besonders häufig herangezogene Tatbestand der Untreue beleuchtet. Als mögliche Tatbestände, denen bei einem Verein ebenfalls besondere Relevanz zukommt, nannte Schwaighofer die Veruntreuung sowie den Betrug. Besonders Letzterer sei streng von der Untreue abzugrenzen: Weise der Vereinsvorstand bspw einen Mitarbeiter zu einer dem Vereinszweck widerstrebenden Zahlung an, liege Untreue vor, weil die für den Betrug erforderliche Täuschung einem Mitarbeiter gegenüber, dem keine Prüfpflicht zukommt, ausscheide.

Zudem komme beim Verein auch Kridadelikten (wie der betrügerischen Krida und der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen) sowie Bilanzdelikten eine gewisse Bedeutung zu. Bei Unfällen bei Vereinsveranstaltungen oder an Örtlichkeiten, für die der Verein verantwortlich ist, stellen auch Delikte gegen Leib und Leben ein gewisses Haftungsrisiko dar. So können bspw mangelnde Sicherheitsvorkehrungen bei Veranstaltungen unter Umständen den Tatbestand der (grob) fahrlässigen Körperverletzung oder der fahrlässigen Tötung erfüllen. Der Sorgfaltsmaßstab dürfe hier jedoch nicht überspannt werden. Zuletzt wies Schwaighofer noch auf ein allfälliges Tätigkeitsverbot für Vereine gem §220b StGB infolge bestimmter strafbarer Handlungen (wie Sexualdelikten gegen Minderjährige) hin.

VII.Ausblick

Der 5. Österreichische Vereinsrechtstag wird am 12.11.2024 an der Universität Wien stattfinden.

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Aus der aktuellen Rechtsprechung*

Die zivilrechtliche Judikatur wird von Dr. Georg Nowotny, Senatspräsident des OGH, bearbeitet.

GmbH & Co KG

Maklerprovision von (kapitalistischer) KG, wenn Provisionszahlung verbotene Einlagenrückgewähr ist?

§6 MaklerG

§§82 und 83 GmbHG

1. Wird über Vermittlung des Maklers zwar nicht die (das hauptsächliche Gesellschaftsvermögen darstellende) Liegenschaft veräußert, sondern werden im Rahmen eines share deal sämtliche Gesellschaftsanteile veräußert, so liegt ein zweckgleichwertiges Geschäft iSd §6 Abs3 MaklerG vor.

2. In einem solchen Fall (eines share deal) stellt die Provisionszahlungspflicht der kapitalistischen KG für die Abtretung der Gesellschaftsanteile – isoliert betrachtet –eine verbotene Einlagenrückgewähr dar.

3. Das Verbot der Einlagenrückgewähr kann auch einem Dritten entgegengehalten werden, wenn dieser entweder kollusiv gehandelt hat oder wenn sich ihm der Verstoß gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr geradezu „aufdrängen“ musste oder er davon positive Kenntnis hatte (Fortschreibung der Rspr).

4. Konnte der Makler im Zeitpunkt des Abschlusses des Alleinvermittlungsauftrags keine Kenntnis von einer weiteren Ausgestaltung eines allfälligen share deal und von darin enthaltenen allfälligen weiteren Vereinbarungen haben, so kann dem Provisionsanspruch der in der Provisionszahlungspflicht der Gesellschaft liegende Verstoß gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr nicht erfolgreich entgegengehalten werden.

5. Die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen der anspruchshindernden Tatsachen betreffend die Nichtigkeit eines Vertrages wegen Verstoßes gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr nach §82 GmbHG trifft denjenigen, der sich auf diese Nichtigkeit beruft.

OGH 17.5.2023, 6 Ob 24/23g (OLG Wien 1 R 128/22h; HG Wien 34 Cg 4/22b)

[1] Die Cousins F. und O. G. (in der Folge: Cousins) waren ursprünglich die beiden einzigen Kommanditisten der erstbeklagten KG sowie die beiden einzigen Gesellschafter der zweitbeklagten GmbH, die die einzige Komplementärin der Erstbeklagten ist. Die Cousins waren auch einzelvertretungsbefugte Geschäftsführer der Zweitbeklagten.

[2] F. G. beschloss, den gesamten Betrieb der Erstbeklagten samt deren Liegenschaft zu verkaufen. Er suchte den Geschäftsführer der klagenden Immobilienmaklerin auf. Die beiden besprachen, dass die Klägerin sowohl für die Veräußerung der Liegenschaft samt Betriebsgelände und darauf befindlicher Halle als auch für den Verkauf des Unternehmens als solchen mitsamt der Halle oder der Veräußerung im Rahmen eines share deal die vereinbarte Provision erhalten solle.

[3] Am 30.8.2019 schloss die Erstbeklagte mit der Klägerin einen schriftlichen Alleinvermittlungsauftrag über die Vermittlung des Verkaufs der Betriebsliegenschaft samt der darauf befindlichen Halle. Als Provision wurden 3% zuzüglich 20% Umsatzsteuer vereinbart. Von einem Verkauf des Unternehmens als solchen mitsamt der Halle oder der Veräußerung im Rahmen eines share deal ist in diesem Alleinvermittlungsauftrag nicht die Rede.

[4] In der Folge inserierte die Klägerin die Liegenschaft auf der Website willhaben.at. Am 10.2.2020 trat ein Mitarbeiter der A. GmbH (in der Folge: Erwerberin) mit der Klägerin aufgrund dieses Inserats telefonisch in Kontakt. Im Rahmen eines daraufhin abgeschlossenen Vermittlungsauftrags zwischen der Erwerberin und der Klägerin übermittelte diese das Exposé mitsamt näheren Informationen zum Objekt.

[5] Bei einem Treffen am 17.7.2020 erklärten die Geschäftsführer der Erwerberin gegenüber der Erstbeklagten, dass sie auch an deren Unternehmen Interesse hätten. Nach weiteren Treffen und Gesprächen traten die Cousins schließlich im Dezember 2020 sowohl ihre Kommanditanteile an der Erstbeklagten als auch ihre Geschäftsanteile an der Zweitbeklagten an die Erwerberin ab. Die Erstbeklagte blieb Eigentümerin ihres hauptsächlichen Vermögenswerts, also der Liegenschaft samt darauf befindlicher Halle.

[6] Im Zuge der Vertragsgespräche zu diesem Abtretungsvertrag wurde von Beginn an über die Problematik einer möglichen Verpflichtung zur Provisionsleistung an die Klägerin gesprochen. Für den Fall der Zahlungsaufforderung der Klägerin wurde im Abtretungsvertrag ausdrücklich vereinbart, dass die Erwerberin die Vermittlungsprovision zur Gänze bestreiten müsse.

[7] Die Klägerin begehrt mit ihrer Stufenklage die Verurteilung der Beklagten zur ungeteilten Hand, 1.) der Klägerin binnen 14 Tagen über den Verkauf der Kommanditanteile an der Erstbeklagten und über den Verkauf der Anteile an deren Komplementärin, der Zweitbeklagten, samt allenfalls weiteren von der Erwerberin übernommenen Verpflichtungen und geldwerten Lasten sowie allfälligen Haftungsübernahmen Rechnung zu legen und den vereinbarten Gesamtkaufpreis bzw Gesamtabtretungspreis sowie das Datum des Zuflusses an die Verkäufer bekannt zu geben und 2.) der Klägerin den sich aufgrund der Rechnungslegung ergebenden Provisionsbetrag in Höhe von 3% zuzüglich 20% Umsatzsteuer samt Verzugszinsen gem §456 UGB zu bezahlen, wobei die genaue ziffernmäßige Festsetzung des Zahlungsbegehrens bis zur gemäß Pkt1.) des Urteilsspruchs erfolgten Rechnungslegung vorbehalten bleibe. Die Klägerin habe gegenüber der Erstbeklagten als Vertragspartnerin des Alleinvermittlungsauftrags einen Provisionsanspruch in Höhe von 3% zuzüglich Umsatzsteuer des Kaufpreises bzw des Transaktionsgegenwerts aus ihrer Vermittlungstätigkeit. Die Erstbeklagte gebe ihr trotz wiederholter Aufforderung die Bemessungsgrundlage zur Ermittlung der Höhe des Provisionsanspruchs nicht bekannt. Bei Vertragsabschluss sei ausdrücklich über die Möglichkeit der Veräußerung der gegenständlichen Liegenschaft entweder in Form der Veräußerung des gesamten Unternehmens (samt der gegenständlichen Liegenschaft) oder des Verkaufs der Liegenschaft aus dem Unternehmen heraus gesprochen worden. Auch die Anteilsveräußerung sei vom Maklervertrag gedeckt. Die Liegenschaft sei das einzige asset der Erstbeklagten, weshalb die Veräußerung in Form der Anteilsabtretung ein zweckgleichwertiges Geschäft zur sachenrechtlichen Übertragung der Liegenschaft sei, zu dem es ausschließlich auf Basis der verdienstlichen und kausalen Tätigkeit der Klägerin gekommen sei. Die Cousins hätten als Parteien des Abtretungsvertrages über die notwendigen Informationen zur Berechnung des Provisionsanspruchs verfügt. Deren Wissen sei beiden Beklagten zurechenbar. Die Zweitbeklagte hafte als Komplementärin der Erstbeklagten für deren Verbindlichkeiten.

[8] Die Beklagten wendeten mangelnde Passivlegitimation ein, weil sie nicht Parteien des Abtretungsvertrages gewesen seien. Da es nicht zu einem Liegenschaftsverkauf laut Maklervertrag durch die Erstbeklagte gekommen sei, sondern zu einer Anteilsübertragung hinsichtlich sämtlicher Kommanditanteile, sei der vermögenswerte Vorteil aus der Anteilsübertragung nicht bei der Erstbeklagten, sondern bei den Cousins als deren vormaligen Kommanditisten eingetreten. Die Bezahlung der Provision durch die Erstbeklagte verstieße daher gegen das analog anzuwendende Verbot der Einlagenrückgewähr nach §82 GmbHG. Die

*Die zivilrechtliche Judikatur wird von Dr. Georg Nowotny, Senatspräsident des OGH, bearbeitet.

Judikatur

Klägerin sei nicht mit der Vermittlung von Unternehmenskäufen oder Anteilskäufen betraut gewesen, sodass es sich bei dem zwischen der Erwerberin und der Zweitbeklagten geschlossenen Abtretungsvertrag auch um kein zweckgleichwertiges Geschäft handle. Von einem Immobilienmaklervertrag sei die Vermittlung einer Erwerbsgelegenheit betreffend einen Unternehmensübergang im Allgemeinen nicht umfasst. Eine solche ergebe sich auch nicht aus dem Inhalt des gegenständlichen Maklervertrages.

 [9] Das Erstgericht gab mit Teilurteil dem Rechnungslegungsbegehren statt. ...

 [10] Das Berufungsgericht wies das gesamte Klagebegehren ab. Vom vereinbarten Vertragsgegenstand des Alleinvermittlungsauftrags sei von Anfang an (auch) eine Veräußerung der Liegenschaft samt Betriebsgebäude und darauf befindlicher Halle im Rahmen eines share deal mitumfasst gewesen. In dieser Konstellation sei jedoch die Leistung einer Provision nicht im wirtschaftlichen Interesse der Erstbeklagten, sondern ausschließlich der Anteilsveräußerer (der Cousins) gelegen. Diese hätten sich für die Vermittlung ihrer Kommanditanteile an der Erstbeklagten sowie ihrer Gesellschaftsanteile an der Zweitbeklagten die Zahlung einer Provision erspart, die sie hätten zahlen müssen, wenn sie die Klägerin im eigenen Namen mit der Vermittlung dieser Anteile beauftragt hätten. Die Verpflichtung der Erstbeklagten, auch im Falle der Veräußerung der Liegenschaft im Rahmen eines share deal der Klägerin als „Dritter“ die vereinbarte Provision zu zahlen, falle damit grundsätzlich unter das (auf die Erstbeklagte als kapitalistische KG analog anzuwendende) Verbot des §82 Abs1 GmbHG. Das Geschäft halte keinem Fremdvergleich statt. Aus den Gesprächen zwischen F. G. und dem Geschäftsführer der Klägerin vor Abschluss des Alleinvermittlungsauftrags habe Letzterer gewusst, dass die Erstbeklagte auch im Falle eines dieser keinen wirtschaftlichen Vorteil bringenden share deal die Provision zahlen müsse. Die Klägerin habe daher positive Kenntnis jener Umstände, die den Verstoß gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr begründeten, gehabt. Zumindest aber habe sich dem Geschäftsführer der Klägerin der diesbezügliche Verdacht eines solchen Verstoßes offenbar aufdrängen müssen. Die Beklagten könnten daher die wegen des Verstoßes gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr vorliegende Nichtigkeit der Provisionsvereinbarung für den share deal der Klägerin als Dritter entgegenhalten, weshalb schon deshalb keine Pflicht zur Zahlung der Provision bestehe. Es könne daher dahingestellt bleiben, ob der letztlich abgeschlossene Abtretungsvertrag ein zweckgleichwertiges Geschäft iSd §6 Abs3 MaklerG darstelle.

 Der OGH gab der Revision der Klägerin Folge und stellte das Teilurteil des Erstgerichts wieder her.

Aus den Entscheidungsgründen des OGH:

1. Zweckgleichwertiges Geschäft iSd §6 Abs3 MaklerG [12] 1.1. Das vertragsgemäß zu vermittelnde Geschäft, nämlich der Verkauf der Liegenschaft, ist nicht zustande gekommen. Es stellt sich daher die Frage, ob im tatsächlich zustande gekommenen Abtretungsvertrag ein zweckgleichwertiges Geschäft iSd §6 Abs3 MaklerG vorliegt, das die Provisionspflicht der Erstbeklagten auslösen kann. Das Erstgericht hat dies bejaht; das Berufungsgericht hat diese Frage ausgehend von seiner Rechtsansicht für unerheblich gehalten und daher nicht behandelt. Die Klägerin bejaht die Frage auch in der Revision zumindest implizit durch die Zitierung dieser Gesetzesbestimmung; die Beklagten bestreiten dies – wenngleich unsubstanziiert – in der Revisionsbeantwortung.

[13] 1.2. Nach §6 Abs3 MaklerG hat der Makler auch dann Anspruch auf Provision, wenn aufgrund seiner Tätigkeit zwar nicht das vertragsgemäß zu vermittelnde Geschäft, wohl aber

ein diesem nach seinem Zweck wirtschaftlich gleichwertiges Geschäft zustande kommt.

[14] 1.3. Die „Zweckgleichwertigkeit“ darf nie abstrakt bestimmt werden, sondern muss konkret mit Blick auf den infrage stehenden Vermittlungsauftrag beurteilt werden. Bei Abweichung des tatsächlich abgeschlossenen Geschäfts vom zunächst formulierten Vermittlungsziel ist also stets zu prüfen, ob nicht schon nach der (vom jeweiligen Empfängerhorizont aus ermittelten) Parteienabsicht Provisionspflicht besteht und damit eine „Zweckgleichwertigkeit“ angenommen werden kann. Führt die einfache Vertragsauslegung nicht weiter, dann ist im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung zu fragen, was redliche Parteien vereinbart hätten, wenn sie den nicht bedachten Fall berücksichtigt hätten, bzw was nach der Übung des redlichen Verkehrs als ergänzende Regelung angenommen werden muss (4 Ob 1575/92; RIS-Justiz RS0029698 [T3]). Eine Provisionspflicht ist dann zu bejahen, wenn das abgeschlossene Geschäft nach den Umständen des Einzelfalles für denvom Geschäftsherrn angestrebten Zweck gleichwertig ist (4Ob 220/01h).

[15] 1.4. Wendet man diese Grundsätze hier an, so liegt im Abtretungsvertrag ein zweckgleichwertiges Geschäft mit dem beabsichtigten Liegenschaftsverkauf. Dafür spricht schon, dass die Vertreter der Streitteile im Vorfeld des schriftlichen Alleinvermittlungsauftrags von der Provisionszahlungspflicht auch iZm der (von ihnen einem Liegenschaftsverkauf offenbar gleichgehaltenen) „Veräußerung im Rahmen eines share deal“ sprachen. Auch objektiv betrachtet kommt der Abtretungsvertrag wirtschaftlich einer Liegenschaftsveräußerung insofern gleich, als die Liegenschaft der hauptsächliche Vermögenswert der Erstbeklagten ist und aufgrund des Abtretungsvertrages die wirtschaftliche Verfügungsgewalt über die Liegenschaft von den Cousins (als vormaligen Gesellschaftern beider Beklagten) zur Erwerberin überging.

[16] 1.5. Da somit die Klägerin den Anspruch auf die Provision (vorbehaltlich der nachstehenden Ausführungen zur verbotenen Einlagenrückgewähr unter Pkt3.) schon nach §6 Abs3 MaklerG erworben hat, erübrigen sich weitere Überlegungen zu §15 MaklerG.

2. Verdienstlichkeit

[17] Nach den Feststellungen trat die Erwerberin mit der Klägerin aufgrund des Inserats in Kontakt, was zumindest mitkausal für den Abtretungsvertrag war. Dies genügt für das Entstehen des Provisionsanspruchs (RIS-Justiz RS0062800).

3. Verbotene Einlagenrückgewähr

[18] 3.1. Seit der Grundsatzentscheidung 2 Ob 225/07p judiziert der OGH in stRspr, dass auch bei einer KG, bei der kein unbeschränkt haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist, die Vorschriften über das Verbot der Einlagenrückgewähr gem §82 Abs1 und §83 Abs1 GmbHG auf die KG im Verhältnis zu ihren Kommanditisten analog anzuwenden sind (RIS-Justiz RS0123863). Ebenso erstreckt sich die analoge Anwendung der Kapitalerhaltungsvorschriften auch auf Zuwendungen der KG an Gesellschafter der KomplementärGmbH, die gleichzeitig Kommanditisten der KG sind (6 Ob 198/15h; RIS-Justiz RS0123863 [T3]). Aufgrund der hier vorliegenden Beteiligungen ist daher im Verhältnis der Cou-

sins zu den Beklagten das Verbot der Einlagenrückgewähr (analog) anzuwenden.

[19] 3.2. Zunächst ist die Beurteilung des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden, dass die Provisionszahlungspflicht der Erstbeklagten für die Abtretung der Gesellschaftsanteile an beiden Beklagten – isoliert betrachtet – eine verbotene Einlagenrückgewähr darstellt: Nach der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise ist den Cousins ein Vermögensvorteil in Form des Leistungsversprechens der Erstbeklagten durch Übernahme der Provisionsverpflichtung für ihren Anteilsverkauf zugekommen, während sich ein daraus resultierender Vorteil der Erstbeklagten nicht erschließt. Dem Sachverhalt sind auch keinerlei Anhaltspunkte zu entnehmen, die die rechtliche Beurteilung eines positiven Fremdvergleichs bzw einer betrieblichen Rechtfertigung ermöglichen würden (vgl dazu etwa Bauer/Zehetner in Straube/ Ratka/Rauter, GmbHG, §82 Rz127).

[20] 3.3. Wenngleich sich das Verbot der Einlagenrückgewähr in erster Linie an die Gesellschaft richtet, kann es aber auch einem Dritten entgegengehalten werden, wenn dieser entweder kollusiv gehandelt hat oder wenn sich ihm der Verstoß gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr geradezu „aufdrängen“ musste oder er davon positive Kenntnis hatte (vgl 6Ob 232/16k; RIS-Justiz RS0105536 [T12]). Diese für Kreditinstitute als Dritte aufgestellten Grundsätze gelten auch für Dritte, die für andere Ansprüche als Kredite Sicherheiten empfangen (6 Ob 89/20m). Es ist entgegen der Ansicht der Klägerin kein Grund ersichtlich, warum diese Grundsätze nicht auch für den hier vorliegenden Fall einer Zahlungspflicht (statt einer Sicherheitenbestellung) der Gesellschaft gegenüber der Klägerin als Dritter gelten sollten.

[21] 3.4. Dem vorliegenden Sachverhalt lassen sich jedoch –entgegen der Meinung des Berufungsgerichts – derartige Anhaltspunkte einer Kenntnis oder Evidenz der Klägerin vom Verstoß der Provisionsvereinbarung gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr nicht entnehmen. Vielmehr steht lediglich fest, dass im Vorfeld des Alleinvermittlungsauftrags verschiedene Varianten der Veräußerung der Liegenschaft, darunter auch ein share deal, besprochen wurden. Im dann abgeschlossenen Alleinvermittlungsauftrag ist von einem share deal dann aber nicht mehr die Rede. Die Klägerin konnte im maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des Alleinvermittlungsauftrags (9 Ob 25/08d, Pkt II.2.3.; RIS-Justiz RS0105537 [T5]; 7 Ob 35/10p, Pkt1.2. ff; 6 Ob 29/11z) keine Kenntnis von einer weiteren Ausgestaltung eines allfälligen share deal und von darin enthaltenen allfälligen weiteren Vereinbarungen (zB über die interne Kostentragung betreffend die Provision) haben, die unter Umständen die Provisionszahlungspflicht durch die Erstbeklagte als nicht gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr verstoßend gestalten könnten (vgl 4 Ob 2078/96h: „angemessene Gegenleistung“). Hier ist idZ auf die im Abtretungsvertrag vereinbarte Kostentragungspflicht betreffend die Provision durch die Erwerberin für den Fall der Anspruchsstellung durch die Klägerin hinzuweisen.

[22] 3.5. Eine allgemeine Erkundigungs- und Prüfpflicht der Bank bzw eines sonstigen Dritten (vgl 6 Ob 89/20m), wie hier

der Klägerin, besteht nicht für alle Fälle denkmöglicher Einlagenrückgewähr, sondern ist nur dort zu fordern, wo sich der Verdacht schon so weit aufdrängt, dass er nahezu einer Gewissheit gleichkommt (vgl RIS-Justiz RS0105537 [T4]). In jenen Fällen, in denen das Vorliegen einer betrieblichen Rechtfertigung schon bei erstem Anschein plausibel erscheint und in denen keine Verdachtsmomente gegeben sind, die den Kreditgeber am Vorliegen einer betrieblichen Rechtfertigung zweifeln lassen müssten, besteht kein weiterer Überprüfungsbedarf in diese Richtung; schon von vornherein hoch verdächtige Fälle lösen hingegen Erkundigungspflichten aus (7Ob 35/10p, Pkt2.1.; RIS-Justiz RS0105537 [T6]). Auch dafür, dass der vorliegende Fall für die Klägerin „hoch verdächtig“ war und sie daher weiter prüfen bzw nachfragen hätte müssen, bieten die Feststellungen keinen Anhaltspunkt.

[23] 3.6. Soweit die Beklagten in der Revisionsbeantwortung unter Hinweis auf die entsprechenden Ausführungen des Berufungsgerichts meinen, die Klägerin habe sonstige Vorteile der Erstbeklagten aus ihrer Übernahme der Provisionspflicht nicht behauptet, verkennen sie die Behauptungs- und Beweislast: Die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen der anspruchshindernden (vgl RIS-Justiz RS0106638; RS0109832) Tatsachen betreffend die Nichtigkeit eines Vertrages wegen Verstoßes gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr nach §82 GmbHG trifft nicht die Klägerin, sondern vielmehr die Beklagten (7 Ob 99/22t, Pkt1.1.).

[24] Die Beklagten brachten in ihrer Klagebeantwortung lediglich vor, die Klägerin müsse sich die Nichtigkeit zurechnen lassen, zumal sie nach ihrem Vorbringen in Kenntnis von den wesentlichen Umständen im Hinblick auf das Verbot der Einlagenrückgewähr sei. Dies trifft aber weder anhand des klägerischen Vorbringens noch des festgestellten Sachverhalts zu.

[25] Des Weiteren argumentieren die Beklagten zirkulär, der Klägerin sei schon aufgrund der Vertragslage bekannt, dass sie bei einem Verkauf der Anteile an den Beklagten keinen vertraglichen oder sonstigen Anspruch gegen diese habe bzw haben könne, weil ein solcher gegen zwingende gesetzliche Bestimmungen verstieße. Dies sagt aber noch nichts zur Frage der Zurechenbarkeit aus.

[26] Auf eine weiters behauptete ablehnende Haltung der Beklagten, mit der der Klägerin der Verstoß spätestens, jedenfalls aber mit Erhalt der Klagebeantwortung bewusst werden hätte müssen, kommt es im Hinblick auf den maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des Alleinvermittlungsauftrags (vgl Pkt3.4.) nicht an.

[27] Weiteres Vorbringen zur Kenntnis der Klägerin von einem allfälligen Verstoß gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr oder zu Umständen, die eine Erkundigungspflicht der Klägerin (vgl Pkt3.5.) auslösen hätten können, haben die Beklagten nicht erstattet.

[28] 4. Zusammengefasst bestehen der Provisionsanspruch der Klägerin dem Grunde nach und somit auch das Rechnungslegungsbegehren zu Recht, weshalb das Teilurteil des Erstgerichts wiederherzustellen war.

5.

Anmerkung:

Die GmbH & Co KG hatte mit einer Immobilienmaklerin (Klägerin) für den Verkauf der Betriebsliegenschaft samt Halle einen Alleinvermittlungsauftrag abgeschlossen. Der vermittelte Interessent erwarb aber in der Folge nicht die Liegenschaft allein, sondern gleich die GmbH & Co KG selbst. Aus einem beabsichtigten asset deal wurde also ein share deal. Die Maklerin klagte (mit einer Stufenklage) ihren Provisionsanspruch ein (KG als Erstbeklagte, GmbH als Zweitbeklagte). Eingewandt wurde seitens der beklagten Gesellschaften ua, dass es sich bei einer Zahlung der Provision durch die GmbH & Co KG um eine verbotene Einlagenrückgewähr handeln würde (§§82 und 83 GmbHG) und dass die sich daraus ergebende Nichtigkeit auch zulasten Dritter (hier: der Maklerin) durchschlagen würde.

Vorgelagert (und auch nachgelagert) ist hier zu prüfen, ob ein Provisionsanspruch überhaupt dem Grunde nach zusteht. Denn die Liegenschaft als solche wurde ja nicht verkauft:

Gem §6 Abs3 MaklerG hat der Makler auch dann Anspruch auf die Provision, wenn aufgrund seiner Tätigkeit zwar nicht das vertragsgemäß zu vermittelnde Geschäft, wohl aber ein diesem nach seinem Zweck wirtschaftlich gleichwertiges Geschäft (zweckgleichwertiges Geschäft) zustande kommt. Dies wurde hier bejaht, zumal die Liegenschaft das hauptsächliche Gesellschaftsvermögen bildete. Ginge man hingegen von einem Ausbleiben des Vermittlungserfolgs aus, wäre noch zu prüfen gewesen, ob zulässigerweise eine Vereinbarung getroffen worden war, wonach eine Provision auch für diesen Fall zu zahlen wäre. Gem §15 MaklerG ist dies für bestimmte Fälle zulässig (Provisionsvereinbarungen für Fälle fehlenden Vermittlungserfolgs). So kann der Anfall einer Provision gem §15 Abs1 MaklerG für folgende Fälle vereinbart werden:

 falls das im Maklervertrag bezeichnete Geschäft wider Treu und Glauben nur deshalb nicht zustande kommt, weil der Auftraggeber entgegen dem bisherigen Verhandlungsverlauf einen für das Zustandekommen des Geschäfts erforderlichen Rechtsakt ohne beachtenswerten Grund unterlässt (Z1 leg cit),

 falls mit dem vom Makler vermittelten Dritten ein anderes als ein zweckgleichwertiges Geschäft zustande kommt, sofern die Vermittlung des Geschäfts in den Tätigkeitsbereich des Maklers fällt (Z2 leg cit),

 falls das im Maklervertrag bezeichnete Geschäft nicht mit dem Auftraggeber, sondern mit einer anderen Person zustande kommt, weil der Auftraggeber dieser die ihm vom Makler bekannt gegebene Möglichkeit zum Abschluss mitgeteilt hat oder das Geschäft nicht mit dem vermittelten Dritten, sondern mit einer anderen Person zustande kommt, weil der vermittelte Dritte dieser die Geschäftsgelegenheit bekannt gegeben hat (Z3 leg cit), oder

 falls das Geschäft nicht mit dem vermittelten Dritten zustande kommt, weil ein gesetzliches oder ein vertragliches Vorkaufs-, Wiederkaufs- oder Eintrittsrecht ausgeübt wird (Z4 leg cit).

Im gegenständlichen Fall wurde der Provisionsanspruch aber ohnehin schon gem §6 Abs3 MaklerG (zweckgleichwertiges Geschäft) bejaht.

Dennoch hat die GmbH & Co KG keinen Vorteil aus der Transaktion, denn nicht sie verkauft etwas, sie wird vielmehr selbst verkauft. Der Vorteil realisiert sich also auf der Gesellschafterebene. Dies indiziert einen Verstoß gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr. Auf den zweiten Blick erkennt man aber, dass die GmbH & Co KG gem §6 Abs3 MaklerG oder allenfalls §15 MaklerG ohnehin provisionszahlungspflichtig gewesen wäre. Sie zahlt also nicht etwas, was die Gesellschafter schulden, sondern tatsächlich etwas, was sie unter Zugrundelegung der Rechtslage (MaklerG) selbst schuldet. Die Gesellschafter sind auch nicht Vertragspartei des Alleinvermittlungsauftrags. Der Umstand, dass die ursprünglich beabsichtige Transaktion dann doch so nicht verwirklicht wurde, macht den Vertragsabschluss (Alleinvermittlungsauftrag) durch die Gesellschaft nicht unzulässig. Der Vertragsabschluss war korrekt. Die Zahlungspflicht für die Gesellschaft ergibt sich in der Folge aus dem MaklerG. ME liegt gar kein Verstoß gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr vor. Zwischen der Gesellschaft und

den Gesellschaftern könnten sich aber in weiterer Folge allenfalls bereicherungsrechtliche Fragen stellen (darauf soll hier aber nicht weiter eingegangen werden).

Allerdings: Wenn von Anfang an von den Gesellschaftern in Wahrheit ein share deal geplant gewesen sein sollte, spräche dies sehr wohl für einen Verstoß. Denn dann hätte man in Wahrheit von Anfang an versucht, unzulässigerweise eine die Gesellschafterebene treffende Zahlungspflicht auf die Gesellschaftsebene zu verlagern. Hier wurde auch tatsächlich im Vorfeld die Möglichkeit eines share deal ventiliert, im Alleinvermittlungsauftrag schlägt sich dies aber dann nicht nieder. Offenbar war doch realistischerweise nur an einen asset deal gedacht.

Geht man (wie hier die Gerichte, aber entgegen der hier vertretenen Meinung) vom Vorliegen eines Verstoßes aus (und findet sich auch keine betriebliche Rechtfertigung [zB das Gewinnen von für die Gesellschaft strategisch wichtigen Gesellschaftern]), so ist in einem nächsten Schritt zu prüfen, ob man die Nichtigkeit auch Dritten (hier: der Maklerin) entgegenhalten kann. Das Verbot der Einlagenrückgewähr kann auch einem Dritten entgegengehalten werden, wenn dieser entweder kollusiv gehandelt hat oder wenn sich ihm der Verstoß gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr geradezu „aufdrängen“ musste oder er davon positive Kenntnis hatte (stRspr; vgl OGH 25.6.1996, 4 Ob 2078/96h; 12.11.1996, 4 Ob 2328/ 96y; 26.6.2001, 1 Ob 290/00d; 27.9.2001, 6 Ob 287/00z; 1.12.2005, 6Ob 271/05d; 24.10.2006, 10 Ob 16/06k; 29.5.2008, 2 Ob 225/07p; 5.8.2009, 9 Ob 25/08d ua; 29.9.2010, 7 Ob 35/10p; 14.9.2011, 6 Ob 29/11z; 20.3.2013, 6 Ob 48/12w; 17.7.2013, 3 Ob 50/13v; 15.12.2014, 6 Ob 14/14y; 26.7.2016, 9 ObA 69/16m; 22.12.2016, 6 Ob 232/16k; 29.3.2017, 6 Ob 48/17b; 29.8.2017, 6 Ob 114/17h; 17.1.2018, 6 Ob 199/17h; 20.12.2018, 6 Ob 195/18x; 2.5.2019, 17 Ob 5/19p; 25.6.2020, 6 Ob 89/20m; 23.6.2021, 6 Ob 61/21w; 14.9.2021, 6 Ob 26/21y; 22.12.2021, 6 Ob 89/21p; 25.1.2023, 6 Ob 31/22k; siehe auch Bauer/Zehetner in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §82 Rz88). Dazu der OGH: Konnte der Makler im Zeitpunkt des Abschlusses des Alleinvermittlungsauftrags keine Kenntnis von einer weiteren Ausgestaltung eines allfälligen share deal und von darin enthaltenen allfälligen weiteren Vereinbarungen (Kostentragungspflichten) haben, so kann dem Provisionsanspruch der in der Provisionszahlungspflicht der Gesellschaft liegende Verstoß gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr nicht erfolgreich entgegengehalten werden. Dies war im gegenständlichen Fall sichtlich so. Die Maklerin war nicht in die weiteren Verhandlungen (Deal-Umstrukturierung) eingebunden; daher wohl auch die Notwendigkeit einer Stufenklage. Die diesbezüglichen Ausführungen des OGH deuten übrigens ebenfalls in die Richtung, dass der ursprüngliche Vertragsabschluss korrekt war. Erst die nach Tätigwerden des Maklers erfolgte Änderung der Transaktionsstruktur wirft Probleme auf.

Die Frage des Durchschlagens auf die Maklerin wurde vom Berufungsgericht noch anders beurteilt: Aus dem Umstand, dass es davor doch zumindest Gespräche vor Abschluss des Alleinvermittlungsauftrags gegeben hatte, in denen auch die Möglichkeit eines share deal besprochen worden war, leitete es sogar positive Kenntnis jener Umstände ab, die den Verstoß gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr begründeten. Zumindest hätte sich dem Geschäftsführer der Klägerin der diesbezügliche Verdacht eines solchen Verstoßes offenbar aufdrängen müssen. Die Beklagten könnten daher die wegen des Verstoßes gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr vorliegende Nichtigkeit der Provisionsvereinbarung für den share deal der Klägerin als Dritter entgegenhalten, weshalb schon deshalb keine Pflicht zur Zahlung der Provision bestünde. Freilich (und dies spricht dann wohl doch etwas mehr für die Position des OGH): Die Variante des share deal fand keinen Eingang in den (schriftlichen) Alleinvermittlungsauftrag.

Zutreffend sind auch die Ausführungen des OGH zur Beweislast: Es wird (unter Bezugnahme auf Vorjudikatur, namentlich OGH 24.8.2022, 7 Ob 99/22t) klargestellt, wen die Behauptungsund Beweislast trifft: Denjenigen, der sich auf die Nichtigkeit beruft; das wären hier die beklagten Parteien, also die GmbH und die KG.

Und der praktische Rat an Makler: Ist auch ein share deal im Bereich des Möglichen, sollte man den Vermittlungsauftrag zusätzlich

auch (für den Fall eines share deal) mit den Gesellschaftern abschließen.

Hon.-Prof. DDr. Jörg Zehetner ist Rechtsanwalt in Wien.

Kapitalgesellschaften

Abberufungsklage betreffend GmbH-GesellschafterGeschäftsführer: Einheitliche Streitpartei?

§16 Abs2 GmbHG

§§117 und 127 UGB

§14 ZPO

Nach den Grundsätzen der Entscheidung des verstärkten Senats des OGH vom 27.4.2001, 1 Ob 40/01s (für eingetragene Personengesellschaften), sind auch für die Abberufung des Gesellschafter-Geschäftsführers einer GmbH die Beklagten als einheitliche Streitpartei iSd §14 ZPO anzusehen.

OLG Wien 17.7.2023, 33 R 69/23v (rechtskräftig; LG Krems an der Donau 33 Cg 44/22m)

Der Kläger ist selbständig vertretungsbefugter Geschäftsführer und Gesellschafter (zu 30%) der ... GmbH (in der Folge: Gesellschaft). Der erste Beklagte ist kollektivvertretungsbefugter Geschäftsführer der Gesellschaft und ebenfalls Gesellschafter (zu 20%). Weitere Gesellschafter sind der zweite Beklagte (zu 1%) und die dritte Beklagte (zu 49%).

Der Kläger begehrt vom zweiten Beklagten und der dritten Beklagten, in die Abberufung des ersten Beklagten als Geschäftsführer der Gesellschaft einzuwilligen, sowie die Abberufung des ersten Beklagten als Geschäftsführer der Gesellschaft mit Rechtskraft des Urteils und Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht. Er begründet dies im Wesentlichen mit den Abberufungsgründen der Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung sowie der groben Pflichtverletzung iSv §117 Abs1 und §127 UGB. Der erste Beklagte verfüge über keinerlei Ausbildung oder sonstige Befähigung, die ihn zur Führung der Geschäfte der Gesellschaft qualifiziere. Er zeige auch kein Interesse an der Geschäftsführung und sei lediglich „auf dem Papier“ Geschäftsführer. Als Gesellschafter habe er seine Stimme treuwidrig abgegeben und versuche, durch grob unrichtige, massive anrührige Behauptungen den Kläger zu diskreditieren, woraus existenzgefährdende wirtschaftliche Nachteile für die Gesellschaft resultieren könnten. Darüber hinaus habe er geschäftsinterne vertrauliche Unterlagen und Informationen Dritten zugänglich gemacht.

Der erste und der zweite Beklagte wandten zusammengefasst ein, die geltend gemachten Abberufungsgründe lägen nicht vor. Das diesbezügliche Vorbringen des Klägers sei unsubstanziiert und frei erfunden.

Die dritte Beklagte beteiligte sich nicht am Verfahren. Sie erstattete weder eine Klagebeantwortung noch nahm sie an der vorbereitenden Tagsatzung vom 2.2.2023 teil.

 Über Antrag des Klägers erließ das Erstgericht am 13.2.2023 das angefochtene Versäumungsurteil, mit dem es die dritte Beklagte schuldig erkannte, in die Abberufung des ersten Beklagten als Geschäftsführer der Gesellschaft einzuwilligen, und sie zum anteiligen Kostenersatz an den Kläger verpflichtete. In rechtlicher Hinsicht folgerte es, es liege zwar ein einheitlicher Streitgegenstand, aber keine einheitliche Streitpartei aufseiten der Beklagten vor. Die Klagebeantwortung des ersten und des zweiten Beklagten wirke damit nicht für die dritte Beklagte, die daher säumig sei.

 Das Berufungsgericht gab der Berufung der ersten und zweiten beklagten Partei Folge, hob das Versäumungsurteil auf und verwies die Rechtssache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Aus der Begründung des OLG Wien:

1. Zentrale Frage sowohl für die Zulässigkeit des Rechtsmittels als auch dafür, ob das Erstgericht berechtigt war, ein Versäumungsurteil (nur) gegen die dritte Beklagte zu erlassen, ist, ob die drei Beklagten eine einheitliche Streitpartei iSd §14 ZPO bilden. Eine solche liegt vor, wenn die Wirkung des zu fällenden Urteils sich kraft der Beschaffenheit des streitigen Rechtsverhältnisses oder kraft gesetzlicher Vorschrift auf sämtliche Streitgenossen erstreckt. Wann das der Fall ist, ergibt sich aus dem materiellen Recht (vgl Perner, Die notwendige Streitgenossenschaft an der Schnittstelle von Zivilund Prozessrecht, RdW 2010, 77).

Bei einer einheitlichen Streitpartei wirkt die Prozesshandlung eines Streitgenossen auch für alle anderen, sodass es kein Versäumungsurteil gegen einzelne Säumige gibt und ein einzelner Streitgenosse seinen Anspruch weder wirksam anerkennen noch sich vergleichen kann (Fucik in Rechberger/ Klicka, ZPO5, §14 Rz6 mwN). Wird dennoch ein Versäumungsurteil erlassen, kann es (auch) von den anderen Streitgenossen bekämpft werden, weil nicht auszuschließen ist, dass es deren Rechtsstellung beeinträchtigt (Schneider in Fasching/Konecny, Ziviprozessgesetze3, §14 ZPO Rz111).

2. Tatsächlich macht der Kläger mit seiner Klage zwei unterschiedliche Ansprüche geltend: Einerseits einen Gestaltungsanspruch auf Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis nach §117 UGB und der Vertretungsmacht nach §127 UGB, andererseits begehrt er die Zustimmung der übrigen Gesellschafter zur Abberufung. Nach nunmehr hL und Rspr (vgl die Nachweise bei Enzinger in Straube/Ratka/Rauter, UGB I4, §117 Rz49) sind diese Verfahren jedenfalls bei Personengesellschaften als einheitlicher Prozess mit einem einheitlichen Streitgegenstand zu führen, bei dem der sich weigernde Gesellschafter als Mitbeklagter (mit einem eigenständigen Klagebegehren) geklagt werden kann. Zwar gelangt Enzinger an einer anderen – vom Erstgericht zitierten – Fundstelle (Rz54) zur Ansicht, es liege zwar ein einheitlicher Streitgegenstand, nicht aber eine einheitliche Streitpartei vor. Er begründet diese Meinung aber weder näher noch belegt er sie durch Fundstellen, worauf die Berufung zutreffend hinweist. Sie widerspricht auch der von ihm zuvor referierten Entscheidung eines verstärkten Senats des OGH 1 Ob 40/01s (WBl 2001/288 [Aicher]). Das Berufungsgericht vermag sich daher dieser Ansicht nicht anzuschließen. Vielmehr ist – jedenfalls bei Personengesellschaften – mit der Entscheidung des verstärkten Senats davon auszugehen, dass die auf Zustimmung in Anspruch genommenen Gesellschafter mit dem Entziehungsbeklagten eine notwendige Streitgenossenschaft bilden.

3.1. Fraglich ist somit lediglich, ob sich diese für eine Personengesellschaft etablierte Rspr auch auf das GmbH-Recht, in dem §§117 und 127 UGB entsprechend der Verweisung in §16 Abs2 GmbHG sinngemäß anzuwenden sind, übertragen lässt. In der Literatur wird dies unterschiedlich beantwortet, überwiegend aber bejaht (vgl dazu die Nachweise bei Zib in U.Torggler, GmbHG [2014] §16 Rz37; Ch. Nowotny in Kalss/ Nowotny/Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht2 [2017] Rz4/166); rezente höchstgerichtliche Rspr dazu liegt nicht vor. Die vom Kläger in der Berufungsbeantwortung zitierten

Entscheidungen 1 Ob 611/91 und 7 Ob 559/91, nach denen die Zustimmungs- und die Entziehungsbeklagten keine einheitliche Streitpartei bilden, sind vor der Entscheidung des verstärkten Senats 1 Ob 40/01s ergangen, der von den in den zitierten Entscheidungen genannten Grundsätzen ausdrücklich – jedenfalls für Personengesellschaften – abgegangen ist.

3.2. Soweit insb Koppensteiner (Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3, §16 Rz22; Koppensteiner/Auer in Straube/Ratka/Rauter, UGB I4, §127 Rz6) die gegenteilige Ansicht auf den Wortlaut des §16 Abs2 Satz 3 GmbHG stützt, wonach nur jene Gesellschafter, die gegen die Abberufung des Geschäftsführers gestimmt haben, auf Zustimmung geklagt werden müssen, so betrifft diese Bestimmung nur die Abberufung eines Fremdgeschäftsführers, nicht aber die eines Gesellschafter-Geschäftsführers wie hier vorliegend. Dessen Abberufung ist in §16 Abs2 Satz 2 GmbHG geregelt. Im Gegensatz zur Klage nach letztgenannter Bestimmung ist die Klage nach Satz 3 keine Rechtsgestaltungsklage der Gesellschafter gegen den Geschäftsführer, sondern (nur) eine Klage gegen jene Gesellschafter, die der Abberufung nicht zugestimmt haben (Ratka in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §16 Rz54). Der Gesetzgeber wollte hier offensichtlich bewusst eine Unterscheidung treffen (kritisch Zib in U. Torggler, GmbHG, §16 Rz39), sodass sich die Wertungen des Satzes 3 nicht zwingend auf jene des Satzes 2 übertragen lassen.

3.3. Das Berufungsgericht schließt sich daher (wie auch bereits das OLG Graz zu 3 R 49/16z bei einem gleich gelagerten Sachverhalt) der Meinung an, dass der vom verstärkten Senat des OGH vorgegebene Weg auch für die Abberufung des Gesellschafter-Geschäftsführers einer GmbH zu beschreiten ist und die Beklagten daher als einheitliche Streitpartei iSd §14 ZPO anzusehen sind.

4. Die Klagebeantwortung des ersten und des zweiten Beklagten wirkte somit auch für die dritte Beklagte; eine Säumnis und damit die Voraussetzung für die Erlassung eines Versäumungsurteil lagen nicht vor. ...

5. und 6. ...

Anmerkung:

Die Entscheidung betrifft die in der Literatur seit Längerem kontrovers diskutierte und von der Judikatur bislang durchaus unterschiedlich beantwortete Frage, wie in einem Abberufungsprozess eines GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführers nach §16 Abs2 Satz1 und 2 GmbHG („Ein Geschäftsführer kann aus einem wichtigen Grund durch gerichtliche Entscheidung abberufen werden. Ist er zugleich Gesellschafter, so sind die §117 Abs.1 und §127 UGB sinngemäß anzuwenden.“) mit einem bei der Abberufung untätigen (bzw widerstrebenden) Gesellschafter prozessual umzugehen ist. Bei der Abberufung des Fremdgeschäftsführers trifft Satz 3 leg cit durch die Formulierung „Sonst ...“ (wenn es also nicht um die Abberufung des Gesellschafter-Geschäftsführers geht) die Anordnung, dass nur jene Gesellschafter, die nicht für die Abberufung des Geschäftsführers gestimmt haben, (individuell) auf Zustimmung geklagt werden können, also ein Prozess in Form einer Zustimmungsklage geführt werden kann, der – im Erfolgsfall – einen Beschluss herbeiführt (siehe auch Zib in U. Torggler, GmbHG [2014] §16 Rz38: „Beschlussmodell“). Hinsichtlich der Abberufung des Gesellschafter-Geschäftsführers verweist Satz 2 leg cit auf die „sinngemäße“ Anwendung des Personengesellschaftsrechts. Daraus wird in zwei in der vorliegenden Entscheidung zitierten älteren Entscheidungen auch für die GmbH gefolgert, dass in einem (wenn auch

einheitlichen) Gestaltungsprozess über die Abberufung des Gesellschafter-Geschäftsführers dem Abberufungsbegehren sämtliche Gesellschafter zuzustimmen haben (Argumentation aus §117 Abs1 und §127 UGB: auf Antrag „aller übrigen Gesellschafter“), da tatsächlich zwei unterschiedliche Dinge begehrt werden: einerseits ein Gestaltungsanspruch auf Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis und andererseits ein aus der Treuepflicht entspringender Anspruch auf Zustimmung der Mitgesellschafter zur Abberufung eines Geschäftsführers, der hierfür einen wichtigen Grund gesetzt hat (dazu etwa N. Arnold/Pampel in Gruber/Harrer, GmbHG2 [2018] §16 Rz54). Für das Personengesellschaftsrecht (OG bzw KG) hat die im Leitsatz erwähnte Entscheidung des verstärkten Senats des OGH vom 27.4.2001, 1 Ob 40/01s, diesbezügliche Meinungsverschiedenheiten jedoch dahin gehend entschieden, dass ein einziger Abberufungsprozess mit einheitlichem Streitgegenstand zu führen ist und diejenigen Gesellschafter, die am Prozess nicht teilnehmen (wie hier die Drittbeklagte) oder dagegenstimmen (wie hier der Erstund Zweibeklagte), als Mitbeklagte in Anspruch zu nehmen sind (notwenige Streitgenossenschaft iSd §14 ZPO) und das Urteil nur für und gegen alle gleich lauten kann. Das Beschlussmodell der (individuellen) Zustimmungsklage ist also nur für die Abberufung des Fremdgeschäftsführers maßgeblich.

Kleiner, aber feiner Unterschied (der in den Gesetzeskommentaren nicht immer in der erforderlichen Klarheit zum Ausdruck kommt): Das Urteil zu einer (isolierten) Zustimmungsklage kann nur vom betreffenden Gesellschafter bekämpft werden, das Urteil gegen eine Streitgenossenschaft von allen Gesellschaftern (die ja notwendigerweise in den Prozess einbezogen sind). Da sich das OLG Wien dem von der E 1 Ob 40/01s vertretenden Modell der notwendigen Streitgenossenschaft anschließt, musste entsprechend kein gesondertes Versäumungsurteil gegen die untätige Mitgesellschafterin erlassen werden, sondern sie wäre einfach als Streitpartei in den Prozess einzubeziehen und damit zu laden gewesen. Dem ist beizupflichten. Die Lösung der notwendigen Streitgenossenschaft hat zunächst das Argument für sich, dass die Frage, ob ein „wichtiger Grund“ vorliegt, in einer Personengesellschaft nicht anders als in einer GmbH zu beantworten ist. Hier passt die „sinngemäße“ Anwendung des OG- bzw KG-Modells also (vgl zum Ganzen auch Eckert, Die Abberufung des GmbH-Geschäftsführers [2003] 97). Zudem: Da die Mitgesellschafter von der Untätigkeit bzw Nichtzustimmung eines Gesellschafters naturgemäß betroffen sind, ist es nur konsequent, ihnen auch korrespondierende Rechtsmittel in die Hand zu geben. Zudem dient es sicherlich der Prozessökonomie, wenn über das Vorliegen eines „wichtigen Grundes“ einheitlich und nicht isoliert voneinander entschieden wird (idS auch Zib in U. Torggler, GmbHG, §16 Rz37), geht es doch beim für die Abberufung erforderlichen „wichtigen Grund“ im Kern um das Gleiche wie bei der Zustimmungsklage gegen den widerstrebenden Gesellschafter: Denn wer die Zustimmung zur Abberufung aus wichtigem Grund verweigert (Abberufungsklage), verhält sich im Regelfall auch treuwidrig (Zustimmungsklage).

Nicht beantwortet werden von der vorliegenden Entscheidung freilich die mannigfachen Einwände der Lehre gegen die Differenzierung der beiden Verfahren je nach Gesellschafter-Geschäftsführer und Fremdgeschäftsführer. Kritisiert wurde ua, dass ein Eingriff in die Satzung (und allein das rechtfertigt ja die Einbeziehung aller Gesellschafter in den Prozess) eigentlich nur dann vorliege, wenn im Abberufungsprozess gegen einen mit Sonderrecht ausgestatteten Geschäftsführer vorgegangen werde, während bei einem bloß gesellschaftsvertraglich bestellten Geschäftsführer (dies ist ein formeller Satzungsbestandteil) eine umfassende Interessenabwägung wie im Personengesellschaftsrecht, in die alle Gesellschafter einzubinden sind, gerade nicht erforderlich sei. Der Fall des bloßen Gesellschafter-Geschäftsführers sei somit eher der Abberufung eines Fremdgeschäftsführers gleichzusetzen, weshalb diesbezüglich eher dem Beschlussmodell (Zustimmungsklage) gefolgt werden solle, denn „sinngemäße“ Anwendung bedeute eben eine Offenheit „für eine Einbindung in ein abweichendes Umfeld“ (U.Torggler, GesRZ2007, 129). Und das „Umfeld“ des GmbH-Rechts ist durchaus abweichend, ist es doch von Mehrheitsentscheidungen statt vom Einstimmigkeitsprinzip geprägt; zudem ist die Abberufung in der GmbH

als Individualrecht des Gesellschafters zu qualifizieren (siehe etwa Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 [2007] §16 Rz22): Warum in der GmbH alle Gesellschafter unbedingt vollzählig in den Gerichtssaal zu zwingen sind, obgleich die Satzung (sollte nicht ausnahmsweise ein Sonderrecht infrage stehen) unberührt bleibt, ist nicht wirklich einsichtig. Harrer (Die Abberufung des Geschäftsführers nach §16 Abs2 GmbHG, WBl 1987, 113) ging in einer frühen Kritik sogar noch weiter und vertrat, dass diesfalls generell ein Mehrheitsbeschluss ausreichend sein müsse (was die Zustimmungspflicht aller Gesellschafter infrage stelle); es sei, so Harrer, ein Wertungswiderspruch, dass die einfache Mehrheit einen Geschäftsführer zwar abberufen könne, jedoch nicht einmal eine qualifizierte Mehrheit imstande wäre, eine gerichtliche Abberufung durchzusetzen. Freilich hätte dies hier auch nicht weitergeholfen, da der Kläger über keine solche Mehrheit verfügt hat.

Die vorliegende Entscheidung ist somit zwar eine wichtige Klarstellung für die Praxis (bei der Abberufung des GesellschafterGeschäftsführers ist fortan von einer notwendigen Streitgenossenschaft auszugehen), klärt aber freilich nicht alle Wertungswidersprüche der gerichtlichen Abberufung des GmbH-Geschäftsführers. Doch das ist weder der Rspr noch der Rechtswissenschaft anzulasten, sondern sollte vielmehr den Gesetzgeber beschäftigen, der im Rahmen der aktuellen gesellschaftsrechtlichen Reformen nahezu seine gesamte Energie darauf verwendet, die Wünsche der sog Start-up- und Gründerszene zu erfüllen, es dabei aber verabsäumt, die für die gesamte Volkswirtschaft bei Weitem bedeutendste Rechtsform wenigstens ebenso – wo „der Schuh drückt“ – an die Bedürfnisse der Zeit anzupassen und Klarstellungen vorzunehmen. Damit wäre auch den neuen FlexCos gedient, die ganz überwiegend auf GmbH-Recht aufbauen.

Ratka

Univ.-Prof. DDr. Thomas Ratka, LL.M. ist stellvertretender Dekan der Fakultät für Wirtschaft und Globalisierung sowie Leiter des Departments für Rechtswissenschaften und Internationale Beziehungen der Universität für Weiterbildung Krems.

Genossenschaften

Unwirksame Bestimmungen im Genossenschaftsvertrag

§5a Abs2 Z1, §§11, 27 und 76 GenG

§§3 und 28 SCEG

Art1 und 14 SCE-VO

1. Eine Reduktion der Haftung unter die Grenzen des §76 GenG durch die Satzung kommt auch für (bloß) investierende Mitglieder iSd §5a Abs2 Z1 GenG nicht in Betracht. Die Satzungsautonomie greift nach dem klaren Wortlaut des §76 GenG betreffend sämtliche Geschäftsanteile eines Genossenschafters lediglich hinsichtlich einer Erhöhung, nicht aber einer Verringerung der Haftsumme.

2. Zwar kann die Satzung auf eine wirtschaftliche oder gesellschaftliche Inhomogenität der Mitglieder reagieren und unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes etwa Mehrstimmrechte oder auch ein Nebeneinander von Einstimm- und Mehrstimmrechten vorsehen. Eine Statutenbestimmung, wonach Inhabern von Geschäftsanteilen einer bestimmten Gattung von vornherein kein Stimmrecht zukommt, ist jedoch unzulässig.

OGH 30.8.2023, 6 Ob 246/22b (OLG Wien 6 R 189/22s; LG Wiener Neustadt 1 Fr 3785/22x)

[1] Im Firmenbuch ist ... die D. eG [in der Folge: Genossenschaft bzw Antragstellerin] eingetragen. Die Genossenschaft beantragte die Eintragung

– der Änderung der Satzung in §§3, 8, 9, 11, 15, 16, 22a, 28a, 28b, 28c, 33, 35, 37 und 42 und – der Änderung unter „Geschäftsanteil/Haftung“ auf

„Mitglieder der Kurien 1 bis 3 haften mit dem Geschäftsanteil und dem Einfachen ihres Geschäftsanteils, Mitglieder der Kurie 4 haften nur mit der Höhe des ersten gezeichneten Geschäftsanteils. Durch die Beteiligung mit weiteren investierenden Geschäftsanteilen tritt eine Erhöhung der Haftsumme nicht ein.“;

– die Eintragung der von April 2022 bis Juni 2022 durchgeführten Revision für 2020 und 2021.

[2] In der ordentlichen Generalversammlung vom 25.6.2022 sei eine Satzungsänderung in den betreffenden Bestimmungen beschlossen worden. Mitglieder der in §3 der Satzung neu geschaffenen Kurie 4 würden gem §15 der Satzung nur mit der Höhe des ersten gezeichneten Geschäftsanteils nachhaften. Durch die Beteiligung mit weiteren investierenden Geschäftsanteilen werde die Haftsumme nicht erhöht.

[3] Das Erstgericht ... teilte mit, in §15 Abs2 der Satzung widerspreche die vorgelegte Satzungsänderung §76 GenG; dies sei abzuändern. Weiters sei §33 Abs2 der geänderten Satzung unzulässig, weil jedem Genossenschafter eine Stimme zukommen müsse; dies und die damit zusammenhängenden Paragrafen seien abzuändern.

[4] Die Genossenschaft erklärte dazu, den investierenden Mitgliedern kämen (nur) mangels besonderer Regelung dieselben Rechte (zB Teilnahmerecht an der Generalversammlung, Stimmrecht) und Pflichten (Einlagenleistung, Nachschussverpflichtung etc) zu wie den förderbaren Mitgliedern. Regelungen zu Stimmrechtsbeschränkungen für investierende Mitglieder fänden sich im GenG nicht; die nähere Ausgestaltung bleibe daher der Satzung überlassen. Zum Stimmrecht scheine dies im Lichte der drohenden Interessenkonflikte zwingend geboten und sei vom Gesetzgeber im Rahmen der europäischen Genossenschaft in §28 Abs2 SCEG sogar zwingend vorgesehen. Die Einführung investierender Mitglieder nach §5a GenG solle die Generierung von Eigenkapital für die Genossenschaft erleichtern. Ohne die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung scheine es unmöglich, investierende Mitglieder zu generieren. Die in der Generalversammlung vom 25.6.2022 beschlossene Klausel sei zulässig.

[6] Mit Generalversammlungsbeschluss vom 25.6.2022 wurden die Satzungsänderungen beschlossen wie in der vorgelegten Satzungsgegenüberstellung ersichtlich, welche vom Erstgericht zum Bestandteil (der Feststellungen) des angefochtenen Beschlusses erklärt wurde.

[7] Darunter sind (unterstrichen dargestellt) folgende Änderungen gegenüber der vorherigen Satzung vom 29.11.2020:

„§3. Voraussetzung und Erwerb der Mitgliedschaft

(2) Die Mitglieder der Genossenschaft werden in folgende Kurien eingeteilt:

d) Kurie 4/Investierende Mitglieder: Personen, die für die Nutzung oder Erbringung der Dienste der Genossenschaft nicht infrage kommen, jedoch dennoch die Genossenschaft unterstützen möchten, können investierende Mitglieder werden. Mitglieder der Genossenschaft können gleichzeitig sowohl der Kurie 4 als auch einer der drei anderen Kurien angehören.

§9. Rechte der Mitglieder

(2) Mitglieder, die nur der Kurie 4 angehören, haben das Recht,

2. an der Generalversammlung teilzunehmen, wobei ihnen nur bei Beschlussfassungen im Zusammenhang mit der Wahl der Beiratsmitglieder (§28a) und über die Aufnahme von Drittmitteln über 30.000€ (§37 Abs4) ein Antrags-, und Stimmrecht zukommt;

3. bei Anträgen auf Einberufung von Generalversammlungen in Bezug auf Beschlussfassungen über die Aufnahme von Drittmitteln über 30.000€ (§37 Abs4) mitzuwirken (§29 Abs2 Z2 und §31 Abs2);

§15. Haftung

(1) Im Falle des Konkurses oder der Liquidation der Genossenschaft haftet jedes Mitglied außer mit seinen Geschäftsanteilen noch mit einem weiteren Betrag in der Höhe derselben.

Judikatur

(2) Mitglieder der Kurie 4 haften nur mit der Höhe des ersten gezeichneten investierenden Geschäftsanteils. Durch die Beteiligung mit weiteren investierenden Geschäftsanteilen tritt eine Erhöhung der Haftsumme nicht ein.

§33. Stimmrecht

(1) Jedes Mitglied hat in der Generalversammlung eine Stimme in jener Kurie, der es angehört.

(2) Mitglieder, die nur der Kurie 4 angehören, sind vom Stimmrecht in der Generalversammlung ausgeschlossen. Hiervon ausgenommen ist das Stimmrecht gemäß §37 Abs4. Die weiteren Regelungen zur Ausübung des Stimmrechts gelten sinngemäß. ...“

 [10] Das Erstgericht ... wies den auf die Eintragung –der Satzungsänderungen vom 29.6.2022 (Änderung der Satzung in §§3, 8, 9, 11, 15, 16, 22a, 28a, 28b, 28c, 33, 35, 37 und 42) und –der Änderung unter „Geschäftsanteile/Haftung“ auf „Mitglieder der Kurien 1 bis 3 haften mit dem Geschäftsanteil und dem Einfachen seines Geschäftsanteils, Mitglieder der Kurie 4 haften nur mit der Höhe des ersten gezeichneten Geschäftsanteils. Durch die Beteiligung mit weiteren investierenden Geschäftsanteilen tritt eine Erhöhung der Haftsumme nicht ein.“ gerichteten Teil des Antrags ab. ...

 [11] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. ...

 Der OGH gab dem Revisionsrekurs der Genossenschaft nicht Folge.

Aus der Begründung des OGH:

[14] 1. Eine Reduktion der Haftung unter die Grenzen des §76 GenG durch die Satzung kommt auch für (bloß) investierende Mitglieder iSd §5a Abs2 Z1 GenG nicht in Betracht:

[15] 1.1. Gem §11 GenG darf der Genossenschaftsvertrag von den Bestimmungen des GenG nur abweichen, soweit dies ausdrücklich vom Gesetz zugelassen ist.

[16] 1.2. Mit dem GenRÄG 2006, BGBl I 2006/104, stellte der österreichische Gesetzgeber klar, dass Personen, die für die Nutzung oder Produktion der Güter und die Nutzung oder Erbringung der Dienste der Genossenschaft nicht infrage kommen, als investierende (nicht nutzende) Mitglieder im Genossenschaftsvertrag zugelassen werden können (§5a Abs2 Z1 GenG; ErlRV 1421 BlgNR 22. GP, 23). Auch vor dieser expliziten Regelung konnten nach hA bloß investierende Personen bereits Mitglieder einer Genossenschaft werden (Astl/ Steinböck in Dellinger, GenG2, §5a Rz6; Dellinger, Was bringt das GenRÄG 2006? ecolex 2006, 570 [571]). Entgegen den Ausführungen des Revisionsrekurses kann den Gesetzesmaterialien zum GenRÄG 2006 aber nicht entnommen werden, dass der Gesetzgeber durch die Klarstellung hinsichtlich der (ohnedies bereits) möglichen Aufnahme investierender Mitglieder beabsichtigt hätte, die Rechtsstellung und Pflichtenlage dieser Mitglieder völlig deckungsgleich mit der SCEVO (Verordnung [EG] Nr1435/2003 des Rates vom 22.7.2003 über das Statut der Europäischen Genossenschaft [SCE], ABl L 207 vom 18.8.2003, S1) in das österreichische Recht übertragen zu wollen. Vielmehr kommt in den Erläuterungen deutlich zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber (neben der in der Verordnung geschaffenen Möglichkeit [Art14 Abs1 SCEVO], für eine SCE mit Sitz in Österreich bloß investierende Mitglieder vorzusehen [§3 SCEG]) klarstellen wollte, dass schon vor dem GenRÄG 2006 die Möglichkeit bestand, nach

dem GenG auch bloß investierende Personen als Mitglieder vorzusehen. Es handelt sich bei §5a Abs2 Z1 GenG demnach nicht um eine „Nachbildung“ des Verordnungsmodells einer investierenden Mitgliedschaft. Vor diesem Hintergrund und angesichts des Umstands, dass anlässlich des GenRÄG 2006 eine Änderung des §76 GenG iS einer Art1 Abs2 Unterabs 3 Satz 1 SCE-VO entsprechenden Regelung auch für bloß investierende Mitglieder nicht vorgenommen wurde, kann dem Gesetzgeber aber weder eine Regelungslücke unterstellt noch ein Anwendungsfall einer teleologischen Reduktion erblickt werden.

[17] 1.3. Gem §76 GenG haftet jedes Mitglied einer mit beschränkter Haftung errichteten Genossenschaft im Falle des Konkurses oder der Liquidation für deren Verbindlichkeiten, insofern der Gesellschaftsvertrag nicht einen höheren Haftungsbetrag festsetzt, nicht nur mit seinen Geschäftsanteilen, sondern auch noch mit einem weiteren Betrag in der Höhe derselben. Diese Bestimmung regelt zwingend (§11 GenG) das Minimum der Haftsumme der Genossenschafter (Keinert, Österreichisches Genossenschaftsrecht [1988] Rz35; vgl OGH 6.8.1907, AC 2718). Die Satzungsautonomie greift nach dem klaren Wortlaut des §76 GenG betreffend sämtliche Geschäftsanteile eines Genossenschafters lediglich hinsichtlich einer Erhöhung, nicht aber einer Verringerung der Haftsumme. [18] 1.4. Der geänderte §15 Abs2 der Satzung sieht aber nunmehr vor, dass investierende Mitglieder „nur mit der Höhe des ersten gezeichneten investierenden Geschäftsanteils [haften]. Durch die Beteiligung mit weiteren investierenden Geschäftsanteilen tritt eine Erhöhung der Haftsumme nicht ein.“

[19] Da die Deckungspflicht betraglich nach oben mit der Haftsumme begrenzt ist und nur im Falle eines Konkurses oder einer Liquidation der Genossenschaft besteht (vgl Dellinger in Dellinger, GenG2, §76 Rz2f), kann §15 Abs2 der Satzung nur als speziellere Regelung gegenüber Abs1 für investierende Mitglieder im Konkurs- oder Liquidationsfall verstanden werden (zur Auslegung der Satzungen von Genossenschaften allgemein RIS-Justiz RS0008835). Im Ergebnis würde daher damit geregelt, dass ein Genossenschafter Geschäftsanteile mit beschränkter Haftung und solche mit Geschäftsanteilshaftung (vgl §2 Abs3 und §86a GenG) hielte.

[20] 1.5. Zutreffend hat daher das Rekursgericht erkannt, dass diese Satzungsbestimmung in Widerspruch zu §76 GenG tritt.

[21] 1.6. IdS sind – wie schon das Rekursgericht dargelegt hat – auch die Ausführungen Dellingers (in Dellinger, GenG2, §76 Rz3) zu verstehen, wonach die Nachschusspflicht iS einer den Gleichbehandlungsgrundsatz beachtenden Staffelung bei Erwerb mehrerer Geschäftsanteile differenziert werden könne. Während §121 Satz 3 dGenG auch eine Satzungsregelung zulässt, dass durch die Beteiligung mit weiteren Geschäftsanteilen eine Erhöhung der Haftsumme nicht eintritt, hält Dellinger Geschäftsanteile ohne Nachschusspflicht explizit für ausgeschlossen und verweist hierzu als abweichende Regelung auf Art1 Abs2 Satz 3 SCE-VO (Dellinger in Dellinger, GenG2, §76 Rz3), sodass entgegen der Ansicht des Revisionsrekurses auch diese Literaturmeinung nicht für die Zulässigkeit der gegenständlichen Satzungsregelung angeführt werden kann.

[22] Die Argumentation, wonach ohne Haftungsbeschränkung faktisch keine investierenden Mitglieder generiert werden könnten, greift insofern zu kurz, als auch §76 GenG eine Staffelung der Haftung zulässt, sofern das gesetzliche Minimum gewahrt bleibt (vgl Ch. Nowotny in Kalss/Nowotny/ Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht2, Rz5/47; Kastner, Österreichisches Genossenschaftsrecht, in Patera, Handbuch des österreichischen Genossenschaftswesens [1986] 117 [140]). Im Übrigen wäre auch nicht ersichtlich, inwiefern eine von §76 GenG abweichende Bestimmung im deutschen Genossenschaftsrecht Auswirkungen auf die Zulässigkeit inländischer Genossenschaftsverträge zeitigen soll.

[23] 2. Eine Statutenbestimmung, wonach investierenden Mitgliedern iSd §5a Abs2 Z1 GenG von vornherein kein Stimmrecht zukommt, ist unzulässig:

[24] 2.1. Gem §27 Abs1 GenG werden die Rechte, welche den Genossenschaftern in Angelegenheiten der Genossenschaft, insb in Beziehung auf die Führung der Geschäfte, die Einsicht und Prüfung der Bilanz und die Bestimmung der Gewinnverteilung zustehen, von der Gesamtheit der Genossenschafter in der Generalversammlung ausgeübt. Gem Abs2 hat hierbei jeder Genossenschafter eine Stimme, wenn nicht der Genossenschaftsvertrag etwas anderes festsetzt.

[25] 2.2. Aus der zwingenden Bestimmung des §27 Abs1 GenG hat die Rspr abgeleitet, dass jedem Genossenschafter das Stimmrecht zukommen muss (OGH 6.6.1906, AC 2579; 23.4.1907, AC 2639), wenn auch allenfalls mediatisiert durch gewählte Abgeordnete bzw Delegierte (vgl ZBl 1914/439; nunmehr §27 Abs3 GenG [vgl W. Jud, Grenzen der Disposition über Stimmrecht und Beschlusserfordernisse in der Generalversammlung der Genossenschaft, in GedS Schönherr, 181). Eine Statutenbestimmung, wonach Inhabern von Geschäftsanteilen einer bestimmten Gattung von vornherein kein Stimmrecht zukommt, ist unzulässig (OGH 6.6.1906, AC 2579).

[26] 2.3. Nach hA gibt es kein Mitgliedschaftsrecht ohne Stimmrecht (Ch. Nowotny in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht2, Rz4/101; Astl/Steinböck in Dellinger, GenG2, §5 Rz76; Keinert, Genossenschaftsrecht, Rz292). Zwar kann die Satzung auf eine wirtschaftliche oder gesellschaftliche Inhomogenität der Mitglieder reagieren und unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes etwa Mehrstimmrechte oder auch ein Nebeneinander von Einstimm- und Mehrstimmrechten vorsehen. Auch in diesem Fall ist aber der gänzliche Ausschluss der Inhaber bestimmter Kategorien (Gattungen) von Geschäftsanteilen vom Stimmrecht unzulässig (W. Jud, Grenzen, 183).

[27] 2.4. Diese Rechtslage steht daher einer vom Revisionsrekurs als erforderlich erachteten Regelung nicht entgegen, nach der in der Satzung – unter Beachtung des §27 GenG –das Stimmrecht der investierenden Mitglieder und der förderbaren Mitglieder unterschiedlich ausgestaltet wird, etwa um eine Entfremdung von den genossenschaftlichen Prinzipien zu vermeiden, indem der Förderzweck gegenüber den Interessen einer kapitalanlageorientierten Mehrzahl von investierenden (nicht förderbaren) Mitgliedern in den Hintergrund tritt (vgl Astl/Steinböck in Dellinger, GenG2, §5a Rz8).

Nur ergänzend ist anzumerken, dass die Satzung in ihrem §33 schon bisher eine Stimmgewichtung der verschiedenen „Kurien“ (§3 Abs2 der Satzung) vorsah.

[28] 2.5. Es wurde bereits dargelegt, dass schon vor dem GenRÄG 2006 die Möglichkeit bestand, nach dem GenG auch bloß investierende Personen als Mitglieder vorzusehen, und es sich bei §5a Abs2 Z1 GenG nicht um eine „Nachbildung“ einer investierenden Mitgliedschaft iSd SCE-VO handelt (oben Pkt1.2.). Die Ausführungen in den Erläuterungen zu §28 Abs2 SCEG (ErlRV 1421 BlgNR 22. GP, 22) beziehen sich auf eine SCE mit Sitz in Österreich. Daraus kann für die oben erörterte und insoweit unverändert gebliebene Rechtslage nach dem GenG, auf die die Erläuterungen ohnehin nicht eingehen, nichts gewonnen werden. Davon, dass aus den zitierten Materialien eine (rückwirkende) authentische Interpretation (vgl dazu 2 Ob 41/19x, Pkt5.3.; RIS-Justiz RS0008799 [T3]; RS0008905 [T3]) des GenG abzuleiten wäre, wie der Revisionsrekurs offenbar im Auge hat, kann somit keine Rede sein.

[29] 2.6. Die gegenständlich vorgesehenen Satzungsbestimmungen, die den investierenden Mitgliedern nur bei Beschlussfassungen iZm der Wahl der Beiratsmitglieder und der Aufnahme von Drittmitteln über 30.000€ ein Stimmrecht einräumen, widersprechen daher §27 Abs1 GenG.

[30] 3. Eine Teileintragung der weiteren Satzungsänderungen war nicht vorzunehmen:

[31] 3.1. Nach der Rspr des OGH kommt zwar eine teilweise Stattgebung eines Firmenbucheintragungsbegehrens in Betracht, wenn klargestellt ist, dass die Partei auch eine teilweise Stattgebung anstrebt. Ist allerdings nur eine einheitliche Eintragung möglich, weil die einzelnen Eintragungstatbestände in einem untrennbaren Zusammenhang stehen, so ist nach dem Grundsatz der „Einheitlichkeit des Firmenbuchgesuchs“ das Firmenbuchgesuch insgesamt abzuweisen, wenn auch nur einem Begehren ein – nicht behebbares bzw trotz Aufforderung nicht verbessertes – Hindernis entgegensteht (6 Ob 187/17v, Pkt4.1.). Dabei ist eine objektive Betrachtung zur Trennbarkeit anzustellen (vgl 6 Ob 213/16s; 6 Ob 122/16h).

[32] 3.2. Bereits das Erstgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass gegenständlich die gesamte Satzungsänderung die Einführung einer „Kurie“ (Gattung) finanzierender Mitglieder im Wesentlichen (nahezu) ohne Stimmrecht und ohne Nachschusspflicht zum Ziel hat und alle geänderten Satzungsbestimmungen diesbezüglich ineinandergreifen. Sie gestaltet somit bei objektiver Betrachtung sachlich eine einheitliche, untrennbare Materie.

[33] 3.3. Wie die Vorinstanzen richtig erkannt haben, kommt daher im vorliegenden Fall eine Teileintragung nur der weiteren Satzungsänderungen, ohne die vorgesehene Stimmrechts- und Haftungsbeschränkung, nicht in Betracht.

Anmerkung:

1. Vorbemerkung

In der der vorliegenden Entscheidung zugrunde liegenden Firmenbuchsache hatte die Generalversammlung einer Genossenschaft eine Satzungsänderung beschlossen, die einerseits einen weitgehenden Ausschluss des Stimmrechts für „investierende Mitglieder“ festlegte und andererseits vorsah, dass „investierende Mitglieder“ nur

Judikatur

mit der Höhe des „ersten gezeichneten investierenden Geschäftsanteils“ haften und dass durch die Beteiligung eines „investierenden Mitglieds“ mit weiteren investierenden Geschäftsanteilen keine Erhöhung der Haftsumme eintritt. „Investierende Mitglieder“ wurden durch die Satzungsänderung einer „Kurie 4/Investierende Mitglieder“ zugeordnet, wobei die Zuordnung ausdrücklich festhält, dass „Mitglieder der Genossenschaft ... gleichzeitig sowohl der Kurie 4 als auch einer der drei anderen Kurien angehören“ können. Aus dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt geht nicht eindeutig hervor, ob die beschlossene Satzungsänderung erstmals iSd §5a Abs2 Z1 GenG „investierende Mitglieder“, nach der gesetzlichen Regelung also „Personen, die für die Nutzung oder Produktion der Güter und die Nutzung oder Erbringung der Dienste der Genossenschaft nicht in Frage kommen“, zugelassen hat oder ob dies in der Satzung schon vorher vorgesehen war. Entscheidungsrelevant war das allerdings nicht.

Der OGH befasst sich in seinem Beschluss (nur) mit der Zulässigkeit des angestrebten Stimmrechtsausschlusses und der beabsichtigten Haftungsbeschränkung. Auf das sich aus der Kurienzuordnung ergebende Thema, ob investierende Mitglieder einer Genossenschaft zugleich auch deren nutzende Mitglieder (im Folgenden: ordentliche Mitglieder) sein können, also Mitglieder, deren Erwerb oder Wirtschaft die Genossenschaft im Wesentlichen zu fördern hat (vgl §1 Abs1 GenG), geht der OGH nicht ein. Das ist verständlich, beurteilt der OGH doch sowohl den Stimmrechtsausschluss als auch die Haftungseinschränkung im konkreten Fall als genossenschaftsrechtlich unzulässig, weshalb er schon deshalb die Abweisung des Antrags der Genossenschaft auf Eintragung der Satzungsänderung durch das Erstgericht unter Heranziehung des Grundsatzes der „Einheitlichkeit des Firmenbuchgesuchs“ bestätigt. Aus Sicht von Lehre und Praxis wäre es allerdings ein Gewinn gewesen, hätte sich der OGH auch dieser dritten Frage angenommen, die der entscheidungsgegenständliche Sachverhalt aufwirft. Sie ist nämlich – zumindest von der Rspr – nicht geklärt. Die Frage hängt untrennbar damit zusammen, welche Anforderung §5a Abs2 Z1 GenG an die Eigenschaften einer (natürlichen oder juristischen) Person als investierendes Mitglied stellt, dh mit anderen Worten: an die entsprechende Aufnahmefähigkeit (siehe Pkt4. der vorliegenden Entscheidungsanmerkung).

2. Stimmrechtsausschluss

Die gesetzliche Regelung des investierenden Mitglieds einer Genossenschaft im GenG ist dürftig. Sie beschränkt sich darauf, mit §5a Abs2 Z1 GenG die Möglichkeit der Zulassung solcher Mitglieder durch den Genossenschaftsvertrag vorzusehen. Die Bestimmung wurde mit dem GenRÄG 2006, BGBl I 2006/104, in das GenG eingefügt. §5a Abs2 Z1 GenG hat mit der hM die Rechtslage allerdings nicht geändert; schon vor seinem Inkrafttreten war es danach zulässig und auch üblich, durch entsprechende Gestaltung der Satzung Personen als investierende Mitglieder in die Genossenschaft aufzunehmen. (Astl/Steinböck in Dellinger, GenG2 [2014] §5a Rz6). Konkrete Anwendungsfälle waren und sind zB die Unterstützung einer in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratenen Genossenschaft, so etwa durch eine Sektoreinrichtung, die Investitionsgeschäftsanteile zeichnet, oder die Notwendigkeit der Besetzung von Vorstand oder Aufsichtsrat der Genossenschaft mit Personen von außen, die allerdings aufgrund des Grundsatzes der Selbstorganschaft zuvor Genossenschafter werden müssen.

Darüber hinausgehende Regelungen, auf die der OGH in seiner Entscheidung hätte zurückgreifen können, bietet das GenG nicht. Im Gegensatz zum deutschen GenG enthält es insb keine Bestimmungen

 zu besonderen Aufnahmevoraussetzungen für investierende Mitglieder, so etwa zu einer zusätzlichen Zustimmung der Generalversammlung zur Aufnahme konkreter Personen, um einer Überfremdung der Genossenschaft entgegenzuwirken (vgl §8 Abs2 Satz 3 dGenG),

 zum Stimmrecht investierender Mitglieder und dessen Ausschließbarkeit (vgl §8 Abs2 Satz 2 dGenG),

 zu Einflussbeschränkungen bei Ausübung des Stimmrechts durch investierende Mitglieder in der Generalversammlung (vgl §8 Abs2 Satz 2 dGenG) oder

 zur Begrenzung der Aufsichtsratsmandatszahl zulasten investierender Mitglieder (vgl §8 Abs2 letzter Satz dGenG, den Teile der deutschen Lehre analog auf den Vorstand der Genossenschaft anwenden wollen; vgl Zabel, Investierende Mitglieder im Sinne des Genossenschaftsgesetzes, NZG 2019, 813 [817]).

Weder das österreichische noch das deutsche GenG sehen im Übrigen ausdrücklich vor, dass bei der Eintragung des Genossenschafters in das Genossenschaftsregister zu vermerken ist, ob es sich um ein ordentliches oder ein investierendes Mitglied handelt. Ungeachtet all dessen weist (auch) die österreichische Lehre auf die strukturellen Unterschiede zwischen den ordentlichen und den investierenden Mitgliedern einer Genossenschaft und das sich daraus ergebende Spannungsverhältnis hin, dem das deutschen GenG durch die zitierten Bestimmungen ausdrücklich Rechnung trägt (Astl/ Steinböck in Dellinger, GenG2, §5a Rz6). So heben schon Hofinger/ Zawischa (Das Genossenschaftsrechts-Änderungsgesetz 2006, GewGen 1/2007, 30) und W. Jud (in Beuthien/W. Jud, GenRÄG 2006 [2007] 25 [26f und 31f]) aus Anlass der Aufnahme des §5a Abs2 Z1 in das GenG zu Recht hervor, dass der Förderzweck einer Genossenschaft und dessen Erfüllung durch die Aufnahme investierender Mitglieder nicht beeinträchtigt werden oder gar in den Hintergrund treten dürfen. Diese Gefahr folgt daraus, dass investierende Mitglieder in erster Linie renditeorientiert, dh an einer möglichst hohen Verzinsung ihrer Veranlagung interessiert sind, während es ordentlichen Mitgliedern primär um die Förderung ihres Erwerbs und ihrer Wirtschaft geht. Der Interessengegensatz zwischen ordentlichen und investierenden Mitgliedern kann damit zu erheblichen Konflikten in der Genossenschaft führen, obwohl auch investierende Mitglieder den genossenschaftlichen Förderzweck der konkreten Genossenschaft grundsätzlich zu respektieren haben (Zabel, NZG 2019, 816).

Vor diesem Hintergrund fordert die österreichische Lehre, jedenfalls bei Mehrstimmrechten, einen adäquaten Schutz der ordentlichen Mitglieder durch entsprechende Gestaltung der Satzung, so etwa in Anlehnung an die Schutzbestimmungen des deutschen GenG dadurch, dass Grundsatzbeschlüsse und Satzungsänderungen von investierenden Mitgliedern nicht verhindert werden können (Astl/Steinböck in Dellinger, GenG2, §5a Rz8), oder durch Einschränkung des passiven Wahlrechts investierender Mitglieder. Mit den Stimmrechtsbeschränkungen gemeint sein dürften iSd deutschen Lehre zu §8 dGenG Satzungsregelungen dahin gehend, dass investierende Mitglieder gegen die Gesamtheit aller ordentlichen Mitglieder keine Entscheidung herbeiführen oder gegen diese Gesamtheit einen Grundsatzbeschluss oder eine Satzungsänderung verhindern können (Pöhlmann/Fandrich/Bloehs, GenG4 [2012] §8 Rz13; Zabel, NZG 2019, 816). Denkbar wäre es auch, die Zahl investierender Mitglieder im Verhältnis zur Zahl ordentlicher Mitglieder in der Satzung zu begrenzen. All das setzt mE voraus, dass im Genossenschaftsregister trotz fehlender Erwähnung der Status des jeweiligen Mitglieds vermerkt wird.

Der dargelegte Zugang zum Problem einer möglichen Beeinträchtigung des Förderzwecks der Genossenschaft durch die Interessen investierender Mitglieder über vorbeugende Satzungsregelungen ist dem Genossenschaftsrecht nicht fremd. Sieht die Satzung einer Genossenschaft abweichend von §27 Abs2 GenG Mehrstimmrechte (zB abhängig von der Inanspruchnahme der Förderleistungen der Genossenschaft) vor, so ist vollkommen anerkannt, dass dennoch der genossenschaftliche Gleichbehandlungsgrundsatz gewahrt werden muss und dass daher bei der Festlegung des Mehrstimmrechts unverhältnismäßige Gewichtungen unzulässig sind (Astl/ Steinböck in Dellinger, GenG2, §5 Rz76f); zur Vermeidung dessen kann die Satzung etwa Stimmrechtsbeschränkungen festlegen. In dieselbe Richtung zielt die statutarische Beschränkung von Stimmrechtsvollmachten zur Ausübung des Stimmrechts in Generalversammlungen oder zur Vertretung von Minderheitsgenossenschaftern im Aufsichtsrat der Genossenschaft.

Auch wenn der dogmatische Ansatz der Lehre vor dem Hintergrund des Schweigens des österreichischen Gesetzgebers schlüssig ist, kann er doch erhebliche Regelungsschwierigkeiten in der Praxis, dh bei der konkreten Ausgestaltung der Satzung, hervorrufen, und zwar nicht nur im Verhältnis ordentlicher Mitglieder zueinander,

sondern erst recht im Verhältnis zwischen ordentlichen und investierenden Mitgliedern. Man denke nur an die häufig dürftige Generalversammlungspräsenz ordentlicher Mitglieder und an die genossenschaftliche Wartestunde (vgl §§31 und 32 GenG). Sieht die Satzung der Genossenschaft Mehrstimmrechte vor, was bei Vorhandensein investierender Mitglieder der Regelfall sein wird, so wird man regelmäßig nicht umhinkönnen, zumindest das Gesamtausmaß der Stimmrechte investierender Mitglieder zu begrenzen. Ganz idS begründen die Erläuterungen zum deutschen Gesetz zum Bürokratieabbau und zur Förderung der Transparenz bei Genossenschaften, dBGBl I 2017, 2434, mit der die Möglichkeit eines Ausschlusses des Stimmrechtes investierender Mitglieder durch die Satzung in das deutsche GenG eingeführt wurde, die einschneidende Gesetzesänderung mit der Unpraktikabilität von (ausgleichenden) Satzungsregelungen und einem daraus resultierenden Bedürfnis der Praxis (nach Rechtssicherheit [Anm des Verfassers]; vgl BT-Drucks 18/11506, S25, online abrufbar unter https://dserver. bundestag.de/btd/18/115/1811506.pdf). Mit diesem Befund des deutschen Gesetzgebers ist der Verfasser der Satzung einer österreichischen Genossenschaft, in die investierende Mitglieder aufgenommen werden sollen, in Österreich jedenfalls bis heute konfrontiert. Das wird wohl auch der Grund dafür gewesen sein, warum man im konkreten Fall versucht hat, das Stimmrecht investierender Mitglieder in der Generalversammlung auf die Wahl von Beiratsmitgliedern und die Aufnahme von Drittmitteln in größerem Umfang zu beschränken und ansonsten generell auszuschließen – ein verständlicher, aber untauglicher Ansatz. Dem OGH ist nämlich uneingeschränkt beizupflichten. Ohne ausdrückliche Grundlage im GenG kann die Satzung das Stimmrecht investierender Mitglieder nicht ausschließen. Ergänzend zu der vom OGH zitierten österreichischen Rspr und Literatur sei darauf hingewiesen, dass diese Rechtsauffassung der deutschen hM zu §8 iVm §43 Abs3 Satz 1 dGenG vor der Novelle des Jahres 2017 entspricht (vgl statt vieler nur Pöhlmann/Fandrich/Bloehs, GenG4, §8 Rz13). Auch die Ausführungen des OGH zu der von der Revisionswerberin als geboten dargestellten Orientierung an §28 Abs2 SCEG überzeugen.

Die österreichische Praxis muss daher weiter mit dem oben dargelegten diffizilen Regelungsproblem leben und umgehen.

3. Nachschusspflicht

Auch in Bezug auf die Ablehnung der mit der Satzungsänderung angestrebten Differenzierung der Nachschusspflicht der Genossenschafter überzeugt die vorliegende Entscheidung. Diese Nachschusspflicht ist bei Genossenschaften mit beschränkter Haftung eine nach §76 GenG nur im Falle der Auflösung und des Konkurses eingreifende Verpflichtung des Genossenschafters, seiner Genossenschaft dann, wenn deren Vermögen zur Deckung der Genossenschaftsverbindlichkeiten nicht ausreicht, einen (zusätzlichen) Haftungsbetrag in Höhe seiner Geschäftsanteilseinlagen oder eines in der Satzung festgelegten darüber hinausgehenden Betrags zu leisten (Dellinger in Dellinger, GenG2, §76 Rz2f). Statutenbestimmungen oder Generalversammlungsbeschlüsse, die die Genossenschafter zur Deckung von Verlusten der Genossenschaft außerhalb einer Auflösung oder eines Konkurses verpflichten, sind nach der Rspr unzulässig (OGH 24.4.1906, AC 2572; 22.10.1907, AC 2665). Eine Abstufung des Ausmaßes der Nachschusspflicht iS einer Staffelung beim Erwerb mehrerer bzw weiterer Geschäftsanteile durch die Satzung ist zwar möglich, die konkrete Regelung hat allerdings den Gleichbehandlungsgrundsatz zu wahren. Gestaltet die Satzung die Haftung (so etwa für zusätzliche Geschäftsanteile, die gezeichnet werden) unterschiedlich hoch aus, muss dies daher für jeden Genossenschafter gleichermaßen gelten. Anders als §121 Satz 3 dGenG erlaubt es das österreichische GenG nicht, die zusätzliche Haftung bei Zeichnung weiterer Geschäftsanteile zur Gänze auszuschließen. Des Weiteren enthält das GenG auch für diesen Bereich keine Bestimmung, die es gestattet, in der Satzung einer Genossenschaft mit beschränkter Haftung die Haftung ordentlicher Mitglieder und investierender Mitglieder voneinander abweichend zu regeln. Mit dem OGH und mit Dellinger (in Dellinger, GenG2, §76 Rz3) bieten ferner die Gesetzesmaterialien zum GenRÄG 2006 (ErlRV 1421

BlgNR 22. GP, 23) und der Wortlaut des §5a Abs2 Z1 GenG keinen Anhaltspunkt dafür, dass es dem Gesetzgeber der GenGNovelle des Jahres 2006 darum gegangen sein könnte, mit der angeführten Bestimmung im Bereich der Haftung die Regelung des Art1 Abs2 Satz 3 SCE-VO (Verordnung [EG] Nr1435/2003 des Rates vom 22.7.2003 über das Statut der Europäischen Genossenschaft [SCE], ABl L 207 vom 18.8.2003, S1) in das GenG allgemein zu übernehmen. Für ordentliche Mitglieder und für investierende Mitglieder darf die Satzung daher keine unterschiedlichen Haftsummen festlegen.

4. Voraussetzung für eine Aufnahme als investierendes Mitglied Optimal wäre es gewesen, wenn der OGH auch zur Zulässigkeit der in der Generalversammlung beschlossenen Regelung des §3 Abs2 litd letzter Satz der Satzung ausdrücklich Stellung genommen hätte. Wie bereits ausgeführt, können danach „Mitglieder der Genossenschaft ... gleichzeitig sowohl der Kurie 4. als auch einer der drei anderen Kurien angehören.“ Die Unzulässigkeit der Bestimmung setzt voraus, dass ein und dieselbe Person sowohl ordentliches als auch investierendes Mitglied sein, dh, ordentliche Geschäftsanteile und zugleich Investitionsgeschäftsanteile halten kann. Astl/Steinböck (in Dellinger, GenG2, §5a Rz5) halten das bei Fehlen einer untersagenden Satzungsbestimmung für zulässig. Mir scheint das zweifelhaft zu sein. Die Aufnahme als investierendes Mitglied setzt zumindest den subjektiven Willen der betreffenden Person voraus, von der Genossenschaft nicht gefördert zu werden. Ein Abstellen auf eine objektive Förderunfähigkeit würde in der Praxis jedenfalls dann Probleme hervorrufen, wenn die Satzung zu den näheren Fördervoraussetzungen schweigt (Astl/Steinböck in Dellinger, GenG2, §5a Rz5; Zabel, NZG 2019, 814). Die angeführten Autoren bringen dazu übereinstimmend das Beispiel einer Kreditgenossenschaft, bei der theoretisch jede Person förderfähig ist, weshalb es keine investierenden Mitglieder einer solchen Genossenschaft geben könnte. Die Anknüpfung an den subjektiven Willen spricht jedoch gegen die Zulässigkeit einer Doppelmitgliedschaft. Erhärtet wird das durch die Definition investierender Mitglieder in §5a Abs2 Z1 GenG. Schließlich fragt sich, wie die Stimmrechtseinschränkungen, die die Lehre in Österreich bei Mehrstimmrechten für investierende Mitglieder zur Bewältigung potenzieller Interessenkonflikte mit den ordentlichen Mitgliedern als geboten erachtet, umgesetzt werden könnten, wenn ein und dieselbe Person das Stimmrecht als investierendes Mitglied und als ordentliches Mitglied ausübt. Daher meine ich, dass die besseren Gründe gegen die Zulässigkeit einer solchen Doppelmitgliedschaft sprechen. Ob das auch der OGH so sieht, wissen wir nach der vorliegenden Entscheidung leider (noch) nicht.

Stephan Frotz

Dr. Stephan Frotz ist Rechtsanwalt in Wien.

Vereine

Zur Nichtigkeit von Beschlüssen von Vereinsorganen

§3 Abs2 und §7 VerG

1. Die Wahl des Vorstands eines Vereins durch dessen Mitgliederversammlung ist als Beschluss eines Vereinsorgans nach §7 VerG zu qualifizieren.

2. §7 VerG differenziert zwischen anfechtbaren Beschlüssen, die vorerst gültig sind und erst mit Rechtskraft des über die Anfechtungsklage befindenden Gerichtsurteils vernichtet werden, und von Anfang an nicht gültig zustande gekommenen und daher rechtsunwirksamen („nichtigen“) Beschlüssen.

3. Nur gravierende Verstöße gegen das Gesetz oder die guten Sitten bewirken die Nichtigkeit des Beschlusses; ansonsten liegt lediglich Anfechtbarkeit vor.

4. Absolute Nichtigkeit begründet es, wenn einem Vereinsmitglied ohne Anhörung wesentliche Mitgliedschaftsrechte

Judikatur

entzogen werden, weil dies einen Verstoß gegen Art6 EMRK darstellt.

5. Nichtigkeit begründet die Beschlussfassung durch ein nach der Kompetenzverteilung des Vereins nicht zuständiges Vereinsorgan.

6. Mehrere Mängel der Beschlussfassung sind in einer Gesamtbetrachtung zu werten und können, mögen sie auch für sich allein gesehen nur Anfechtbarkeit begründen, Nichtigkeit bewirken.

OGH 27.6.2023, 4 Ob 22/23y (LG Wiener Neustadt 58 R 110/22g; BG Mödling 4 C 970/21g)

[1] Die ordentlichen Mitglieder des erstklagenden Verbands sind selbständige, behördlich nicht untersagte Vereine mit ihren Einzelmitgliedern. So war der ... Club ... im Jahr 2021 Mitglied des Erstklägers. Dieser Verein („Club“) beschloss auf seiner Generalversammlung vom 8.4.2021, sich mit Stichtag 1.6.2021 aufzulösen. Weiters wurde beschlossen, dass sämtliche Mitgliedschaften mit 31.12.2021 auslaufen. Am 21.6.2021 fand eine Generalversammlung des Erstklägers statt, zu dessen Tagesordnung ua die Neuwahl des Vorstands gehörte. Vom bisherigen Vorstand war dafür zeitgerecht ein Wahlvorschlag erstattet worden (Wahlvorschlag 1), welcher als Präsidentin die Erstbeklagte, als Schatzmeister den Zweitbeklagten und als einfaches Vorstandsmitglied den bisherigen Präsidenten vorsah. Von einem Mitgliedsverein wurde ein weiterer Wahlvorschlag eingebracht (Wahlvorschlag 2), welcher als Präsidenten den Zweitkläger und als Schriftführerin die Drittklägerin vorsah. Zum Zeitpunkt der Einreichung des Wahlvorschlags war die Drittklägerin Mitglied des zuvor genannten „Clubs“. Der die Generalversammlung leitende bisherige Präsident des Erstklägers ließ über beide Wahlvorschläge abstimmen, erklärte jedoch bereits vor der Wahl, dass der Wahlvorschlag 2 ungültig sei, weil er nicht vollständig sei, zumal die in diesem Wahlvorschlag als Schriftführerin vorgesehene Drittklägerin keinem Verein angehöre, der aktives Mitglied des Erstklägers sei, da sich dieser Verein (der „Club“) freiwillig aufgelöst habe, wobei seine Rechtspersönlichkeit für die Dauer der Liquidation zwar weiter bestehe, aber auf die zum Zweck der Liquidation erforderlichen Rechte und Pflichten beschränkt sei. Da die Kandidatur eines Vereinsmitglieds für die Wahl der Organe des Erstklägers nicht als Liquidationszweck anzusehen sei, sei der Wahlvorschlag 2 unvollständig und damit ungültig. Die Wahl ergab 140 Stimmen für den Wahlvorschlag 1 und 150 Stimmen für den Wahlvorschlag 2. Der Vorsitzende erklärte danach die für den Wahlvorschlag 2 abgegebenen Stimmen für ungültig. Am 2.7.2021 brachten (ua) die drei Kläger einen Schlichtungsantrag beim Schiedsgericht des Erstklägers ein. Dieses sprach dem Erstkläger die Aktivlegitimation ab und wies die Anträge der weiteren Antragsteller (darunter der Zweit- und die Drittklägerin), die Wahl der Vereinsfunktionäre gemäß Wahlvorschlag 2 zu bestätigen und festzustellen, dass Wahlvorschlag 1 durch die Generalversammlung nicht gewählt worden sei, ab.

[2] Mit der gegenständlichen Klage begehren die Kläger zusammenfassend, die Beklagten mögen es unterlassen, a) Mitgliedern des „Clubs“ die Ausübung ihrer über diesen begründeten Mitgliedschaftsrechte beim Kläger abzusprechen, b) an (vermeintlichen) Beschlussfassungen im Vorstand des Klägers mitzuwirken und solche Beschlüsse umzusetzen, c) die gemäß Wahlvorschlag 2 gewählten Vorstandsmitglieder von der Nutzung der Homepage oder des Büros des Erstklägers auszuschließen und/oder d) überhaupt als (vermeintliche) Präsidentin und/oder Vorstandsmitglieder aufzutreten und/oder sonstige Handlungen unter Berufung auf diese Funktion(en) zu setzen. Die Drittklägerin sei bis Ende 2021 Mitglied des „Clubs“ und damit passiv wahlberechtigt gewesen. Der Wahlvorschlag 2 sei daher rechtswirksam für die Funktionsperiode von vier Jahren gewählt worden.

[3] In der Folge dehnten der Zweitkläger und die Drittklägerin die Klage um ein weiteres Unterlassungsbegehren aus, welches nicht Gegenstand dieses Revisionsverfahrens ist.

[4] Die Beklagten wandten die mangelnde Bevollmächtigung des Erstklägers zur Klagsführung ein sowie ein fehlendes Rechtsschutz-

bedürfnis von Zweitkläger und Drittklägerin. Selbst mit einem klagestattgebenden Urteil könne das von Klagsseite verfolgte Rechtsschutzziel nicht erreicht werden, wenn es nur zugunsten des Zweitklägers und der Drittklägerin persönlich ergehe.

 [5] Das Erstgericht sprach mittels Teilurteils über das (oben wiedergegebene) ursprüngliche Klagebegehren ab. Es wies insoweit die Klage des Erstklägers zurück und hinsichtlich Zweitkläger und Drittklägerin ab. Pkt a) des Klagebegehrens sei schon mangels rechtlichen Interesses abzuweisen, weil der „Club“ seit 1.1.2022 keine Mitglieder mehr habe. Im Übrigen läge, selbst wenn der Ausschluss des Wahlvorschlags 2 satzungswidrig gewesen wäre, kein derart grober Verstoß gegen Statutenvorschriften vor, der eine Nichtigkeit des Beschlusses begründen würde. Es liege ein bloß anfechtbarer Beschluss der Generalversammlung vor. Dieser sei bis zur rechtskräftigen Erledigung eines allfälligen Anfechtungsprozesses weiter wirksam. Die weiteren Unterlassungsansprüche des Zweitklägers und der Drittklägerin bestünden daher nicht zu Recht.

 [6] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung ... Da der Präsident im Rahmen seiner Vorsitzführung in der Generalversammlung – und damit als dazu berufenes Organ – gehandelt habe und sich die Nichtigkeit grundsätzlich auf gravierende Fälle fehlerhafter Beschlüsse beschränke, weil derartig klare Gesetzesverstöße oder Verstöße gegen die guten Sitten vorliegen müssten, dass nicht einmal der Anschein rechtmäßigen Handelns gewahrt sei, sei dieser Beschluss mangels bisheriger erfolgreicher Anfechtung wirksam. Damit sei die Erstbeklagte zum maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz Präsidentin des Erstklägers gewesen, weshalb das Klagebegehren b) bis d) nicht berechtigt sei. Daraus folge auch, dass weder Zweitkläger noch Drittklägerin gesetzliche Vertreter des Erstklägers seien, sodass die Klage hinsichtlich des Erstklägers zurückzuweisen sei. [7] Gegen die Abweisung der Unterlassungsbegehren b) bis d) richtet sich die Revision des Zweitklägers und der Drittklägerin ...  Der OGH gab der Revision nicht Folge.

Aus den Entscheidungsgründen des OGH:

[9] 1.1. Die Wahl des Vorstands eines Vereins durch dessen Mitgliederversammlung ist als Beschluss eines Vereinsorgans nach §7 VerG zu qualifizieren, zumal der vereinsrechtliche Beschlussbegriff sehr weit auszulegen ist und §7 VerG sich auf Beschlüsse aller Vereinsorgane bezieht (10 Ob 36/07b; 6Ob 15/17z).

[10] 1.2. Der Leiter der Generalversammlung ist nicht bloß Moderator, der Diskutanten das Wort erteilt. Seine Aufgabe (und Pflicht) ist es, dafür zu sorgen, dass die Tagesordnung sachgerecht abgearbeitet wird. Zur Erreichung dieser Ziele hat er auch alle Befugnisse, die er dafür braucht. Dabei obliegt ihm die Eröffnung und Schließung der Versammlung, welche er erforderlichenfalls auch unterbrechen – nicht aber vertagen –kann. Da es seine Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass die Tagesordnung abgearbeitet wird, kann er weder einzelne Tagesordnungspunkte fallen lassen noch die Versammlung vor Erledigung aller Punkte schließen. Seine Aufgabe ist es auch, ordnungsgemäß eingebrachte Anträge zur Abstimmung zu bringen; keinesfalls kann er willkürlich entscheiden, über einen Antrag nicht abstimmen zu lassen. Unbenommen bleibt ihm aber, dafür zu sorgen, dass Anträge den dafür relevanten Tagesordnungspunkten zugeordnet werden ( Höhne/Jöchl in Höhne/Jöchl/Lummerstorfer , Das Recht der Vereine6 , Rz1203).

[11] 1.3. Die Aufgaben der Organe müssen in den Statuten ihre Deckung finden (§3 Abs2 VerG). Dies betrifft auch das „Leitungsorgan“, welches zur Führung der Vereinsgeschäfte und zur Vertretung des Vereins nach außen ermächtigt ist (§5 Abs1 VerG). Wie genau diese Kompetenzen (insb des Vorsitzenden in der Generalversammlung) beschaffen sein müssen, regelt das Gesetz nicht und lässt dabei den Vereinsgründern eine sehr weitgehende Autonomie bei der Ausgestaltung der Statuten (vgl ErlRV 990 BlgNR 21. GP, 23 und 25). Diesen kommt demnach größte Bedeutung zu.

[12] 1.4. Im gegenständlichen Fall normiert §9 Abs16 der Statuten, dass der Präsident den Vorsitz in der Generalversammlung führt. Gem Abs6 können Anträge zur Generalversammlung nur Vereine nach §4 Abs2 der Statuten (ordentliche Mitglieder) stellen. Gem Abs7 sind Anträge, die Wahlvorschläge betreffend den Vorstand enthalten, nur dann gültig und zur Abstimmung zu bringen, wenn sie einen vollständigen Vorstand iSd §11 Abs1 der Statuten (Präsident, zwei Vizepräsidenten, Schriftführer und Schatzmeister) beinhalten.

[13] 1.5. Es ist somit Aufgabe des Vorsitzenden der Generalversammlung, Wahlvorschläge nach den oben wiedergegebenen Satzungsbestimmungen zu bewerten und für gültig oder ungültig zu erklären. Dabei handelt es sich um den Beschluss eines Vereinsorgans nach §7 VerG.

2.1. §7 VerG lautet wie folgt: „Beschlüsse von Vereinsorganen sind nichtig, wenn dies Inhalt und Zweck eines verletzten Gesetzes oder die guten Sitten gebieten. Andere gesetz- oder statutenwidrige Beschlüsse bleiben gültig, sofern sie nicht binnen eines Jahres ab Beschlussfassung gerichtlich angefochten werden. Jedes von einem Vereinsbeschluss betroffene Vereinsmitglied ist zur Anfechtung berechtigt.“

[14] 2.2. §7 VerG differenziert somit zwischen anfechtbaren Beschlüssen, die vorerst gültig sind und erst mit Rechtskraft des über die Anfechtungsklage befindenden Gerichtsurteils vernichtet werden, und von Anfang an nicht gültig zustande gekommenen und daher rechtsunwirksamen („nichtigen“) Beschlüssen (RIS-Justiz RS0121262). Der Beschluss eines Vereinsorgans kann auch wegen der Art seines Zustandekommens gegen die guten Sitten verstoßen und deshalb nichtig sein, enthält doch §7 VerG keine Beschränkung auf eine inhaltliche Sittenwidrigkeit des Beschlusses eines Vereinsorgans (RIS-Justiz RS0123632). Dabei sind Beschlüsse nichtig, wenn dies Inhalt und Zweck eines verletzten Gesetzes oder die guten Sitten gebieten. Andere gesetz- oder statutenwidrige Beschlüsse bleiben gültig, sofern sie nicht binnen eines Jahres ab Beschlussfassung gerichtlich angefochten werden. [15] 2.3. Zwar entspricht §7 VerG hinsichtlich der Differenzierung zwischen nichtigen und anfechtbaren Beschlüssen den auf Beschlüsse der Hauptversammlung beschränkten §§195ff AktG, von einer expliziten Auflistung der Nichtigkeitsgründe wurde im VerG allerdings abgesehen. Insofern obliegt den Gerichten die Konkretisierung, wann Nichtigkeit bzw (bloße) Anfechtbarkeit eines Beschlusses vorliegt. Übereinstimmung herrscht in Lehre und Rspr darüber, dass nur gravierende Verstöße gegen das Gesetz oder die guten Sitten

die Nichtigkeit des Beschlusses bewirken; ansonsten liegt lediglich Anfechtbarkeit vor. Die Rspr nimmt die Nichtigkeit eines Beschlusses grundsätzlich lediglich dort an, wo ein derart klarer Gesetzesverstoß oder Verstoß gegen die guten Sitten vorliegt, dass nicht einmal der Anschein eines gesetzesmäßigen Verhaltens gewahrt ist ( Fuhrmann in Schopper/Weilinger, VerG, §7 Rz15f).

[16] 2.4.1. Als nichtig wurde etwa der Beschluss zur Wahl zum Leitungsorgan des Vereins durch dessen Mitgliederversammlung erachtet, zu der beinahe die Hälfte der stimmberechtigten Mitglieder nicht eingeladen wurden (10 Ob 36/ 07b).

[17] 2.4.2. Hingegen begründet nicht jede Art von Einberufungsmängeln (wie der bloße Verstoß gegen das Erfordernis der rechtzeitigen Bekanntgabe der Tagesordnungspunkte) Nichtigkeit. Gerade im Bereich der Verfahrensvorschriften ist eine Differenzierung geboten. Daher liegt bloße Anfechtbarkeit eines satzungsändernden Beschlusses und der auf Grundlage der Satzungsänderung durchgeführten Neuwahl des Vorstands vor (1 Ob 32/10b).

[18] 2.4.3. Absolute Nichtigkeit begründet es allerdings, wenn einem Vereinsmitglied ohne Anhörung wesentliche Mitgliedschaftsrechte entzogen werden, weil dies einen Verstoß gegen Art6 EMRK darstellt (4 Ob 150/07y).

[19] 2.4.4. Nichtigkeit begründet die Beschlussfassung durch ein nach der Kompetenzverteilung des Vereins nicht zuständiges Vereinsorgan (6 Ob 168/18a).

[20] 2.4.5. Mehrere Mängel der Beschlussfassung sind in einer Gesamtbetrachtung zu werten und können, mögen sie auch für sich allein gesehen nur Anfechtbarkeit begründen, Nichtigkeit bewirken (4 Ob 109/15f).

[21] 3.1. Im vorliegenden Fall erfolgte die Beschlussfassung durch das zuständige Vereinsorgan, nämlich den Vorsitzenden der Generalversammlung. Der Inhalt seines Beschlusses betraf die Gültigkeit des Wahlvorschlags 2. Diesbezüglich war die Frage zu beurteilen, ob der Wahlvorschlag iSv §11 Abs1 der Statuten vollständig und daher gültig war, was wiederum davon abhing, ob die Drittklägerin Mitglied eines Vereins war, der wiederum Mitglied beim erstklagenden Verband war. Der Beurteilung des Vorsitzenden der Generalversammlung, wonach die Rechtspersönlichkeit des „Clubs“, dem die Drittklägerin angehörte, auf die zum Zweck der Liquidation erforderlichen Rechte und Pflichten beschränkt sei und die Kandidatur eines Vereinsmitglieds für die Wahl der Organe des Erstklägers nicht als Liquidationszweck anzusehen sei, könnte etwa entgegengehalten werden, dass die Mitgliedschaft der Drittklägerin im „Club“ auch im Stadium der Liquidation unverändert aufrecht bestanden habe und durch die Liquidation nicht eingeschränkt gewesen sei, sodass ihr Aufscheinen im Wahlvorschlag 2 diesen nicht unvollständig und ungültig gemacht habe.

[22] 3.2. Es sind daher durchaus Argumente gegen den Beschluss des Vorsitzenden der Generalversammlung denkbar; allerdings ist auch dessen Beurteilung, die auf die Rechtsfähigkeit des „Clubs“ abstellt, nicht derart grob unrichtig, dass daraus eine Nichtigkeit des Beschlusses folgt. Es ist auch

Judikatur

weder ein Inhalt und Zweck eines verletzten Gesetzes ersichtlich, der die Nichtigkeit des Beschlusses gebieten würde, noch lässt sich dies aus den guten Sitten zwingend erschließen. Vielmehr liegt bloß eine anfechtbare Beurteilung vor. Daraus folgt keine Nichtigkeit des Beschlusses iSv §7 VerG. Die Vorinstanzen haben den Beschluss auf Ungültigerklärung des Wahlvorschlags 2 daher zu Recht als bloß anfechtbar und nicht als nichtig beurteilt. Mangels Anfechtung dieses Beschlusses geht somit das Klagebegehren ins Leere.

4.

Hinweis:

Zu dieser Entscheidung erscheint in der nächsten Ausgabe ein Besprechungsaufsatz von Heinz Keinert.

Privatstiftungen

Zur Rekurslegitimation von Begünstigten im Verfahren nach §17 Abs5 PSG

§17 Abs5 PSG

§2 Abs1 Z3 und §62 AußStrG

1. Bloße Reflexwirkungen genügen für eine unmittelbare Beeinflussung und damit für die Begründung einer materiellen Parteistellung nicht.

2. Begünstigte einer Privatstiftung, die nicht nachvollziehbar aufzeigen, inwiefern iZm Zivilprozessen, in denen sie nicht Partei sind, oder durch die bloße Mandatierung und diesbezügliche Genehmigung seitens des Stiftungsvorstands eine unmittelbare Beeinflussung ihrer Rechtsstellung stattfinden sollte, haben im Verfahren nach §17 Abs5 PSG demnach keine Parteistellung.

OGH 30.8.2023, 6 Ob 118/23f (OLG Wien 6 R 64/23k; HG Wien 75 Fr 47640/22a)

[1] Im Firmenbuch ist ... die Privatstiftung L. (im Folgenden: Privatstiftung) eingetragen. Die Antragsteller sind die jeweils mit einem weiteren Vorstandsmitglied vertretungsbefugten Mitglieder des Stiftungsvorstands. Die Privatstiftung ist Alleingesellschafterin einer GmbH (Tochtergesellschaft). Deren jeweils selbständig vertretungsbefugte Geschäftsführer sind der Drittantragsteller und der Viertantragsteller.

[2] Der Drittantragsteller und Dr. M. S. sind jeweils selbständig vertretungsbefugte Geschäftsführer und Gesellschafter einer Rechtsanwalts-GmbH.

[3] Die Antragsteller beantragten die Feststellung, dass weder der zwischen der Tochtergesellschaft und der Rechtsanwalts-GmbH bestehende Mandatsvertrag noch die Genehmigung des Stiftungsvorstands zum Abschluss dieses Mandatsvertrages einer gerichtlichen Genehmigung bedürfen. Hilfsweise beantragten sie gem §17 Abs5 PSG die gerichtliche Genehmigung des genannten Mandatsvertrages sowie der Genehmigung des Stiftungsvorstands zum Abschluss dieses Mandatsvertrages.

[4] Die Rechtsanwalts-GmbH habe mit der Privatstiftung einen Mandatsvertrag über die laufende rechtliche Beratung und Vertretung für anhängige und künftige Rechtsfälle abgeschlossen; dieser Mandatsvertrag sei vom Erstgericht genehmigt worden. Die RechtsanwaltsGmbH habe auch mit der Tochtergesellschaft einen identen Mandatsvertrag abgeschlossen. Der Abschluss des Mandatsvertrages mit der Tochtergesellschaft sei auf deren Seite von sämtlichen Geschäftsführern und aufseiten der Privatstiftung mit Beschluss des Stiftungsvorstands von sämtlichen Vorstandsmitgliedern genehmigt worden. Dennoch sei die Tochtergesellschaft als Klägerin in zwei vor dem LGZ Wien gegen den Nachlass der Stifters geführten Zivilprozessen aufgefordert worden,

die Genehmigung des Mandatsvertrages durch alle übrigen Stiftungsvorstände sowie durch das Firmenbuchgericht nachzuweisen. Eine solche Genehmigung nach §17 Abs5 PSG sei nach Ansicht der Antragsteller für den Abschluss des Mandatsvertrages durch die Tochtergesellschaft nicht erforderlich. Die Antragsteller hätten daher aufgrund der genannten gerichtlichen Aufträge ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung, dass der Abschluss des Mandatsvertrages zwischen der Tochtergesellschaft und der Rechtsanwalts-GmbH keiner solchen Genehmigung bedürfe. Sollte man zu Unrecht davon ausgehen, dass §17 Abs5 PSG direkt oder analog auf diesen Mandatsvertrag anzuwenden sei, wäre er zu genehmigen.

[5] In ihrer Stellungnahme erklärten die Einschreiter, sie seien Begünstigte der Privatstiftung, und beantragten, die Anträge der Vorstandsmitglieder zurück- bzw abzuweisen.

 [6] Das Erstgericht wies den (Haupt-)Antrag auf Feststellung zurück und genehmigte in Stattgebung des Eventualantrags den Mandatsvertrag zwischen der Tochtergesellschaft und der RechtsanwaltsGmbH sowie die Genehmigung des Stiftungsvorstands zum Abschluss dieses Mandatsvertrages.

 [7] Das Rekursgericht wies den gegen den Genehmigungsbeschluss gerichteten Rekurs der Einschreiter mangels Parteistellung und Rechtsmittellegitimation zurück. Aufgrund des Rekurses der Antragsteller änderte es die erstgerichtliche Entscheidung ab und stellte entsprechend dem (Haupt-)Antrag fest, dass weder der Mandatsvertrag noch die Genehmigung des Stiftungsvorstands einer gerichtlichen Genehmigung gem §17 Abs5 PSG bedürfen.

 Der OGH wies den Revisionsrekurs der Einschreiter zurück.

Aus der Begründung des OGH:

[10] 1. Wem in Verfahren die Parteistellung oder die Rechtsmittellegitimation abgesprochen wird und dessen Rechtsmittel dementsprechend zurückgewiesen wurde, der ist grundsätzlich legitimiert, die Überprüfung dieser Rechtsansicht im Rechtsmittelweg zu verlangen (RIS-Justiz RS0006793 [T6]). Der Revisionsrekurs der Einschreiter ist daher nicht schon mangels Rechtsmittellegitimation zurückzuweisen (vgl 6 Ob 144/22b, Pkt1.).

[11] 2. Als „Revisionsrekurs“ erfasst §62 AußStrG alle Rekurse gegen „im Rahmen des Rekursverfahrens ergangene“ Beschlüsse des Rekursgerichts (RIS-Justiz RS0120565 [T1]). Ein Zurückweisungsbeschluss ist daher nur unter den Voraussetzungen des §62 AußStrG, also bei Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage, anfechtbar (6 Ob 144/22b, Pkt2.; vgl RIS-Justiz RS0120565 [T12]). Eine solche zeigen die Einschreiter allerdings nicht auf.

[12] 3.1. Im Verfahren ist nicht strittig, dass die Einschreiter aktuell Begünstigte der Privatstiftung sind.

[13] 3.2. Nach stRspr steht ein Rekursrecht im Verfahren außer Streitsachen (zur Anwendung des AußStrG bei einem Antrag auf Genehmigung eines Rechtsgeschäfts nach §17 Abs5 PSG siehe §40 PSG; RIS-Justiz RS0120843 [T1 und T2]) nur demjenigen zu, dessen rechtlich geschützte Interessen durch den angefochtenen Beschluss beeinträchtigt worden sind (RIS-Justiz RS0006641). Ob eine rechtlich geschützte Stellung beeinflusst wird, ergibt sich aus dem materiellen Recht und hängt vom Zweck des konkreten Verfahrens ab (vgl RIS-Justiz RS0123027 [T5]). Unmittelbar beeinflusst ist eine Person dann, wenn die in Aussicht genommene Entscheidung Rechte oder Pflichten dieser Person ändert, ohne

dass noch eine andere Entscheidung gefällt werden muss (6Ob 100/22g, Pkt1.2.; vgl RIS-Justiz RS0123028). Wie schon das Rekursgericht dargelegt hat, erfasst §2 Abs1 Z3 AußStrG weder die wirtschaftliche noch die ideelle Betroffenheit noch eine Reflexwirkung einer Entscheidung (RIS-Justiz RS0123028 [T7]). Auch eine Reflexwirkung, die etwa dadurch entsteht, dass eine andere Person Rechte erwirkt, die etwa den eigenen Haftungsfonds schmälern, stellt keine unmittelbare Beeinflussung iSd §2 Abs1 Z3 AußStrG dar (RIS-Justiz RS0120841).

[14] 3.3. Gem §17 Abs5 PSG bedürfen im Falle, dass die Privatstiftung keinen Aufsichtsrat hat, Rechtsgeschäfte der Privatstiftung mit einem Mitglied des Stiftungsvorstands der Genehmigung aller übrigen Mitglieder des Stiftungsvorstands und des Gerichts. Die Zustimmung des Stifters vermag die Genehmigung durch das Gericht nicht zu ersetzen (6 Ob 151/ 20d, Pkt2.11.). Nach dem klaren und eindeutigen Wortlaut der Bestimmung sind weder dieser noch ein Begünstigter zur Genehmigung berufen (6 Ob 58/11i).

[15] 3.4. Normzweck der Bestimmung ist, dass die Gefahr der Schmälerung des Stiftungsvermögens durch kollusiv handelnde Vorstandsmitglieder verhindert werden soll (6 Ob 35/ 18t, Pkt2.2.).

[16] 3.5. Unterfällt ein Rechtsgeschäft der Genehmigungspflicht nach §17 Abs5 PSG, dann darf dieses vom Gericht nur genehmigt werden, wenn der Abschluss im Interesse der Privatstiftung liegt und somit deren Wohl entspricht. Das Genehmigungsverfahren nach §17 Abs5 PSG ist jenem nach §167 Abs3 ABGB vergleichbar (6 Ob 35/18t, Pkt2.3.; RIS-Justiz RS0121199 [T1]), in dem grundsätzlich nur dem betroffenen Pflegebefohlenen Parteistellung zukommt (vgl RIS-Justiz RS0123647). Daher ist etwa der (potenzielle) Vertragspartner der Privatstiftung im Genehmigungsverfahren nach §17 Abs5 PSG nicht Beteiligter (6 Ob 109/18z; RIS-Justiz RS0121199 [T1]).

[17] 3.6. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist ein Mandatsvertrag zwischen der Tochtergesellschaft der Privatstiftung und der Rechtsanwalts-GmbH.

[18] Das Rekursgericht war der Ansicht, dieser Vertrag berühre die Rechtsstellung der Einschreiter als Begünstigte nicht. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass die Privatstiftung und ihre Tochtergesellschaft, vertreten durch diese Rechtsanwalts-GmbH, als Klägerinnen in zwei Zivilprozessen gegen die Verlassenschaft nach dem Stifter aufträten. Das Interesse der Einschreiter „als Erbansprecher und Pflichtteilsberechtigte“ am Ausgang der Zivilprozesse sei ein rein wirtschaftliches.

[19] Diese Beurteilung findet Deckung in den erörterten Rechtsprechungsgrundsätzen.

[20] 3.7. Eine aus dem Gesetz oder der Stiftungserklärung erwachsende Rechtsposition der Begünstigten, die durch den Mandatsvertrag unmittelbar berührt würde, ist weder erkennbar noch legt der Revisionsrekurs eine solche dar. Mit seinem bloßen Verweis auf einen „Stifterwillen“, ohne diesen in irgendeiner Weise näher zu konkretisieren, vermag er keine aufzugreifende Fehlbeurteilung des Rekursgerichts aufzuzeigen.

[21] Vor dem Hintergrund, dass bloße Reflexwirkungen für eine unmittelbare Beeinflussung und damit für die Begründung einer materiellen Parteistellung nicht genügen, vermögen die Rechtsmittelwerber auch nicht nachvollziehbar aufzuzeigen, inwiefern iZm den beiden Zivilprozessen, in denen sie gar nicht Partei sind, durch die bloße Mandatierung und diesbezügliche Genehmigung seitens des Stiftungsvorstands eine unmittelbare Beeinflussung ihrer Rechtsstellung stattfinden sollte (vgl zur fehlenden Parteistellung selbst des Prozessgegners im Verfahren über die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung einer Klage RIS-Justiz RS0049028; RS0006247).

4.

[23] 5. Die Kostenentscheidung gründet auf §40 PSG iVm §78 AußStrG (vgl 6 Ob 35/12i). Zwar ist das Revisionsrekursverfahren gegen die Zurückweisung eines Rekurses im Außerstreitverfahren einseitig (RIS-Justiz RS0120614). Hier hat das Rekursgericht aber – aufgrund des Rekurses der Antragsteller –auch in der Sache entschieden, weshalb in dritter Instanz bei abweichender Ansicht des OGH zur Rechtsmittellegitimation der Einschreiter auch aufgrund deren Revisionsrekurses eine sofortige Sachentscheidung erfolgen hätte können (vgl 2 Ob 75/18w, Pkt III.2.; RIS-Justiz RS0007037 [T10]). Dementsprechend enthielten der Revisionsrekurs und dessen Beantwortung auch Ausführungen zur Sache, sodass die Revisionsrekursbeantwortung der Antragsteller zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig und daher zu honorieren war.

Anmerkung:

1. Allgemeines

Der gegenständliche Entscheidung liegen zwei für die Stiftungspraxis relevante Themenbereiche zugrunde, nämlich einerseits die Frage, ob bzw inwiefern auch Begünstigten der Privatstiftung im Verfahren nach §17 Abs5 PSG ein rechtliches Interesse bzw eine Rechtsmittellegitimation zukommt, und andererseits inwiefern auch Rechtsgeschäfte mit Beteiligungsgesellschaften der Privatstiftung der gerichtlichen Genehmigungspflicht unterliegen.

Der Entscheidung liegt folgender Sacherhalt zugrunde: Sowohl die Privatstiftung als auch deren 100%ige Tochtergesellschaft hatten mit einer Rechtsanwalts-GmbH einen Mandatsvertrag über die laufende rechtliche Beratung und Vertretung abgeschlossen. Der Abschluss des Mandatsvertrages mit der Tochtergesellschaft wurde auf Ebene der Tochtergesellschaft von sämtlichen Geschäftsführern und auf Ebene des Stiftungsvorstands von sämtlichen Vorstandsmitgliedern genehmigt. Ein Mitglied des Stiftungsvorstands ist zugleich Geschäftsführer der Tochtergesellschaft und Geschäftsführer der Rechtsanwalts-GmbH. Im gerichtlichen Genehmigungsverfahren vertraten die Begünstigten die Auffassung, dass eine gerichtliche Genehmigung erforderlich sei; dem stand die gegenteilige Rechtsauffassung der Antragsteller und Vorstandsmitglieder der Privatstiftung gegenüber.

Zu beiden Fragen lag bis dato keine höchstgerichtliche Rspr vor. Die erste Frage, ob Begünstigten eine Rekurslegitimation im Verfahren nach §17 Abs5 PSG zukommt, hat der 6. Senat nunmehr für den gegenständlichen Fall ausdrücklich verneint.

2. Zur Frage der Rekurslegitimation von Begünstigten im Verfahren nach §17 Abs5 PSG Konkret zu beurteilen war, ob im Verfahren außer Streitsachen (Verfahren über einen Antrag auf Genehmigung nach §17 Abs5 PSG) bereits eine (bloße) Reflexwirkung, die etwa dadurch entstehe, dass eine andere Person Rechte erwirkt, die den eigenen Haftungsfonds schmälern, eine unmittelbare Beeinflussung iSd §2

Judikatur

Abs1 Z3AußStrG darstelle und sohin ein rechtliches Interesse der Einschreiter (hier: der Begünstigten der Privatstiftung) berühre.

Im gegenständlichen Fall war der Alleinstifter bereits verstorben und die Tochtergesellschaft der Privatstiftung führte gegen den Nachlass des Stifters mehrere Zivilprozesse. Die Begünstigten waren nicht Partei dieser Verfahren; behauptet wurde jedoch ein rechtliches Interesse im Verfahren nach §17 Abs5 PSG.

Der erkennende Senat folgte der Rechtsansicht der Antragsteller und Vorstandsmitglieder und verneinte im gegenständlichen Fall ein rechtliches Interesse der Begünstigten unter Verweis auf die stRspr (RIS-Justiz RS0120841). Der 6. Senat bestätigt damit die bisherige Rspr, wonach bereits nach dem klaren Wortlaut der Bestimmung des §17 Abs5 PSG weder ein Stifter noch ein Begünstigter zur Genehmigung nach §17 PSG berufen sind (OGH 24.11.2011, 6Ob 58/11i); auch sind allfällige potenzielle Vertragspartner im Genehmigungsverfahren nach §17 Abs5 PSG nicht Beteiligte eines solchen Genehmigungsverfahrens (OGH 28.6.2018, 6 Ob 109/18z, GesRZ2018, 350 [Babinek]; RIS-Justiz RS0121199).

Die Entscheidung macht deutlich, dass der Abschluss eines Mandatsvertrages zwischen der Tochtergesellschaft der Stiftung und der Rechtsanwalts-GmbH die Rechtsstellung der Begünstigten nicht berühre. Vielmehr handle es sich um ein lediglich wirtschaftliches Interesse der Einschreiter als Erbansprecher bzw Pflichtteilsberechtige am Ausgang der anhängigen Zivilprozesse.

Dem erkennende Senat ist beizupflichten, dass bloße Reflexwirkungen für eine unmittelbare Beeinflussung und damit für die Begründung einer materiellen Parteistellung nicht genügen.

Die Entscheidung des OGH ist konsistent und deckt sich mit der bisherigen stRspr. Wie der OGH zutreffend festhielt, vermochten „die Rechtsmittelwerber nicht nachvollziehbar aufzuzeigen, inwiefern iZm den anhängigen Zivilprozessen, in denen sie gar nicht Partei sind, durch die bloße Mandatierung und diesbezügliche Genehmigung seitens des Stiftungsvorstands eine unmittelbare Beeinflussung ihrer Rechtsstellung stattfinden sollte“

Anders zu beurteilen wäre der Sachverhalt unter Umständen gewesen, wenn die Einschreiter eine unmittelbare Beeinflussung ihrer Rechtsstellung etwa qua Parteistellung in einem anhängigen Verfahren nachweisen hätten können und nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch unmittelbares Interesse am Feststellungsbegehren vorgelegen wäre.

Für die Praxis bedeutet dies, dass Begünstigten idR keine Rechtsmittellegitimation iZm dem Genehmigungsverfahren nach §17 Abs5 PSG zukommen wird.

3. Zur Frage der analogen Anwendung des §17 Abs5 PSG auf Rechtsgeschäfte zwischen einem Vorstandsmitglied und der Beteiligungsgesellschaft der Privatstiftung Nicht entscheidungsgegenständlich war die Frage, ob für den abgeschlossenen Mandatsvertrag zwischen Rechtsanwalts-GmbH und Tochtergesellschaft der Privatstiftung überhaupt eine Genehmigung iSd §17 Abs5 PSG einzuholen wäre. Hierzu wurden in der Vergangenheit unterschiedliche Rechtsmeinungen vertreten. Seitens der hA wird eine analoge Anwendung auf den vorliegenden Sachverhalt aber ausdrücklich verneint (N.Arnold, PSG4 [2022] §17 Rz92a; ders, GesRZ2012, 273 [mit einem Überblick zum Meinungsstand]; eine analoge Anwendung verneinend Ch. Nowotny, Insichgeschäfte bei der Privatstiftung, ecolex-Script 2007/36; Csoklich, Rechtsgeschäfte mit und Vergütung von Vorstandsmitgliedern, ZfS2006, 97 [100]; Kalss, Vortragsunterlagen Kathrein & Co. vom 23.10.2008; Murko/Zollner, PSR 2012/9; eine analoge Anwendung bejahend insb R. Briem, In-sich-Geschäfte nach §17 Abs5 PSG , ZUS2012, 60 [65]).

Zuletzt sprach sich auch Sottner (NZ2023/214) in seiner Besprechung der gegenständlicher Entscheidung unter Verweis auf R.Briem (ZUS2012, 65) für eine analoge Anwendung aus, sofern die Interessen der Tochtergesellschaft nicht durch einen unbefangenen Geschäftsführer vertreten werden können. Nach dieser Auffassung sind Interessenkollisionen bei einem Vertragsabschluss zwischen einem Stiftungsvorstandsmitglied und einem von der Stiftung beherrschten Beteiligungsunternehmen primär über das Gesellschaftsrecht aufzulösen. Die gesellschaftsrechtlichen Wertungen zur Auflösung derartiger Interessenkollisionen könnten jedoch wieder zur privatstiftungsrechtlichen Frage der Anwendbarkeit des §17 Abs5 PSG führen.

Folgt man Ch. Nowotny (ecolex-Skript 2007/36), so ist §17 Abs5 PSG nicht auf Rechtsgeschäfte zwischen einer 100%igen Tochtergesellschaft der Privatstiftung und den Vorstandsmitgliedern der Privatstiftung analog anwendbar: Vielmehr ist §17 Abs5 PSG entsprechend seinem Wortlaut auf Geschäfte beschränkt, die unmittelbar das Stiftungsvermögen betreffen. Eine analoge Anwendung auf den Beteiligungsbereich sei nicht angebracht und eine Gesetzeslücke liege nicht vor. Murko/Zollner (PSR 2012/9) sehen vor diesem Hintergrund für eine analoge Anwendung des §17 Abs5 PSG keinen Raum. Vielmehr sind nach diesen bei Rechtsgeschäften zwischen der 100%igen Tochtergesellschaft und einem Mitglied des Stiftungsvorstands, insb bei Erteilung von Mandatsverträgen, die allgemein zivilrechtlichen Regelungen über das In-sichGeschäft ausreichend. Dieser Auffassung folgt bereits Lauss (Rahmenbedingungen für Stiftungsvorstandsmitglieder: Unvereinbarkeit bei Vertretung eines Begünstigten, Genehmigungsbedürftigkeit der Doppelvertretung, Parteistellung im Verfahren, in Eiselsberg, Jahrbuch Stiftungsrecht 2010 [2010] 139 [150ff]).

Legt man den gegenständlichen Sachverhalt der oben angeführten Frage zugrunde, so zeigt sich, dass sich am ursprünglichen Normzweck des §17 Abs5 PSG nichts ändern kann. Vom Wortlaut des §17 Abs5 PSG sind nämlich Rechtsgeschäfte mit der Beteiligungsgesellschaft der Privatstiftung (bewusst) nicht erfasst. Vielmehr beschränkt sich die Genehmigungspflicht nach §17 Abs5 PSG auf Geschäfte, die unmittelbar das Stiftungsvermögen betreffen (ErlRV 1132 BlgNR 18. GP, 27). Dazu führt auch der erkennende Senat aus, dass Normzweck der Bestimmung eben ist, dass die Gefahr der Schmälerung des Stiftungsvermögens durch kollusiv handelnde Vorstandsmitglieder verhindert werden soll.

Im Abschluss eines fremdüblichen Beratervertrages für die laufende rechtliche Beratung und Vertretung der Tochtergesellschaft (wie im gegenständlichen Fall) kann daher unter diesen Gesichtspunkten idR kein iSd obigen Ausführungen verpöntes das Stiftungsvermögen schmälerndes Rechtsgeschäft bzw Motiv erblickt werden.

Anders gewendet: Eine Risikoverwirklichung könnte allenfalls nur dann erblickt werden, wenn mit dem Beratungsauftrag auch allfällige Investmententscheidungen verbunden sind, welche wiederum unmittelbare Auswirkung auf das Vermögen der Privatstiftung hätten oder die Stiftung etwa als Bürge und Zahler einer Schuld für Verbindlichkeiten der Tochtergesellschaft hinzutritt. Diesfalls wäre aber die Ebene eines üblichen anwaltlichen Beratungsauftrags für laufende Angelegenheiten verlassen. Im Ergebnis kommt es auf eine Einzelfallbeurteilung an, wobei für Rechtsgeschäfte, die keine (wirtschaftliche) Risikoverwirklichung von Geschäften der Privatstiftung darstellen, iSd obigen Ausführungen die allgemein geltenden Regeln für In-sich-Geschäfte und Doppelvertretung mE ausreichend sind (Lauss, Rahmenbedingungen, 150ff; OGH 12.1.2012, 6 Ob 101/11p).

Alexander Babinek

Dr. Alexander Babinek, MBL, MSc. ist Rechtsanwalt in Wien.

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