Der Gesellschafter - Heft 1/2014

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43. Jahrgang / Februar 2014 / Nr. 1

Zeitschrift für Gesellschafts- und Unternehmensrecht Herausgegeben von Nikolaus Arnold und Susanne Kalss

GesRZ

Hans-Georg Koppensteiner Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung

Martin Trenker „Reflexvorteil“ und „Reflexschaden“ im Gesellschaftsrecht

Christoph Klampfl Fruchtgenuss an Gesellschaftsanteilen

Reinhold Beiser Verschmelzung zwischen Mutter und Tochter und Verbot der Einlagenrückgewähr

Der praktische Fall Liegenschaft für Unterhalt

Aus der aktuellen Rechtsprechung EuGH bestätigt Zulässigkeit der Emittentenhaftung gegenüber Aktionären OGH-Entscheidungen zum Gesellschafts- und Privatstiftungsrecht sowie zu zivil- und arbeitsrechtlichen Fragen

Unternehmensrecht aktuell Abgabenänderungsgesetz 2014 Schiedsrechts-Änderungsgesetz 2013 EU: Revision der Transparenz-Richtlinie

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Inhalt

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Inhalt

Impressum Periodisches Medienwerk: Der Gesellschafter – Zeitschrift für Gesellschafts- und Unternehmensrecht. „Der Gesellschafter“ ist zu zitieren: GesRZ Kalenderjahr,

SUSANNE KALSS

Editorial .......................................................................

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JULIA SCHULZ / MATTHIAS SCHIMKA

Unternehmensrecht aktuell ........................................

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HANS-GEORG KOPPENSTEINER

Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung ................

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MARTIN TRENKER

„Reflexvorteil“ und „Reflexschaden“ im Gesellschaftsrecht ..................................................

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Editorial ...............

SCHULZ / MATTHIAS

ganges möglich und müssen bis jeweils spätestens 30. November schriftlich erfolgen. Nachdruck – auch auszugsweise – ist nur mit ausdrücklicher Bewilligung des Verlages gestattet. Es wird darauf verwiesen. dass HANS-GEORG alle Angaben in dieser Fachzeitschrift trotz sorgfältiger

Unternehmensrec

Bearbeitung ohne Gewähr erfolgen und eine Haftung des Verlages, der Herausgeber oder der Autoren ausgeschlossen ist. Mit der Einreichung seines ManuskriptesMARTIN räumt der Autor dem Verlag für den Fall der Annahme das

KOPPENSTE

TRENKER

„Reflexvorteil“ un im Gesellschaftsre fentlichung in dieser Zeitschrift ein, einschließlich 23

des Rechts der Vervielfältigung in jedem technischen Verfahren (Druck, Mikrofilm etc.) und der Verbreitung

CHRISTOPH (Verlagsrecht) sowie der Verwertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen, des Rechts der Vervielfältigung auf Datenträgern jeder Art, der Spei-

KLAMPFL

Fruchtgenuss an G

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cherung in und der Ausgabe durch Datenbanken, der Verbreitung von Vervielfältigungsstücken an die REINHOLD Benutzer, der Sendung (§ 17 UrhG), sonstigen öffent-

BEISER

lichen Wiedergabe (§ 18 UrhG) sowie der öffentlichen Zurverfügungstellung, insbesondere über das Internet

Verschmelzung zw und das Verbot de

(§ 18a UrhG). Gemäß § 36 Abs. 2 UrhG erlischt die Ausschließlichkeit des eingeräumten Verlagsrechts mit Ablauf des dem Erscheinen des Beitrages folgenden

Der praktische Fall: Liegenschaft für Unterhalt (Stephan Probst) ............

KALSS

übertragbare, zeitlich und örtlich unbeschränkte ausschließliche Werknutzungsrecht (§ 24 UrhG) der Veröf-

REINHOLD BEISER

Verschmelzung zwischen Mutter und Tochter und das Verbot der Einlagenrückgewähr ..................

€ 144,30 inkl. MwSt., zzgl. Versandspesen. Preis des Einzelheftes: € 27,– inkl. 10 % MWSt., zzgl. Versandspesen. Unterbleibt die Abbestellung, so läuft das Abonnement um jeweils ein Jahr zu den jeweils gültigen Konditionen JULIA weiter. Abbestellungen sind nur zum Ende eines Jahr-

Kapitalaufbringun

CHRISTOPH KLAMPFL

Fruchtgenuss an Gesellschaftsanteilen ......................

Inhalt

Seite. Grundlegende Richtung: Diese Fachzeitschrift befasst sich mit Problemen auf allen Gebieten des Gesellschafts- und Unternehmensrechts anhand von Theorie und Praxis. Sie erscheint sechsmal jährlich, und zwar im Februar, April, Juni, August, Oktober und SUSANNE Dezember. Jahresabonnement 2014 Print & Online:

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Der praktische Fa

Kalenderjahres; dies gilt für die Verwertung durch Datenbanken nicht. ISSN 0250-6440 Herausgeber und Redaktion:

Liegenschaft für U

Rechtsanwalt Dr. Nikolaus Arnold,

Aus der aktuellen Rechtsprechung

1010 Wien, Wipplingerstraße 10 Univ.-Prof. Dr. Susanne Kalss, LL.M., 1020 Wien, Institut für Zivil- und Unternehmensrecht, WU, Welthandelsplatz 1

Aus der aktuel

EuGH Zulässigkeit einer Haftung der Emittentin gegenüber Aktionären ........

E-Mail: gesrz@lindeverlag.at

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OGH Anfechtung eines Generalversammlungsbeschlusses über die Entlastung ..............................................................................

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Stimmverbot bei getrennter Abstimmung über die Entlastung mehrerer selbständig vertretungsbefugter GesellschafterGeschäftsführer ....................................................................................

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Rechnungslegungspflicht von Personengesellschaften .......................

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Telefax als gültige Übermittlungsform einer Bürgschaftserklärung .....

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Auslegung des betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs iZm Geschäftsführern anderer Konzerngesellschaften .........................

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Privatstiftung: Unvereinbarkeit bei aufsichtsratsähnlichem Beirat ......

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Rezension ....................................................................

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Medieninhaber und Medienunternehmen:EuGH LINDE VERLAG Ges.m.b.H., A-1210 Wien, Scheydgasse 24 Telefon: 24 630 Serie Telefax: 24 630-23 DW E-Mail: office@lindeverlag.at http://www.lindeverlag.at

Zulässigkeit einer Haftun OGH

Anfechtung eines Genera über die Entlastung ...... Rechtsform der Gesellschaft: Ges.m.b.H. DVR 0002356

Sitz: Wien, Firmenbuchnummer 102235x

Stimmverbot bei getrenn

Firmenbuchgericht: Handelsgericht Wien, mehrerer selbständig ve ARA-Lizenz-Nr.: 3991 Gesellschafter: Axel Jentzsch, Mag. Andreas Jentzsch Geschäftsführer ............ Geschäftsführer: Mag. Andreas Jentzsch,

Dr. Oskar Mennel, Dipl.-Kfm. Eduard Müller Rechnungslegungspflich P. b. b. – Verlagspostamt 1210 Wien – Erscheinungsort Wien

Herstellung

Telefax als gültige Überm

Auslegung des betriebsv iZm Geschäftsführern an

Druckerei Hans Jentzsch & Co. GmbH.Privatstiftung: 1210 Wien, Scheydgasse 31, Tel.: 01/ 278 42 16-0; E-Mail: office@jentzsch.at

Unvereinb

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Editorial

Liebe Leserinnen und Leser! Für das Gesellschaftsrecht wird im Regierungsübereinkommen nur eine sehr vage Angabe gemacht: Modernisierung im Gesellschaftsrecht sowie der GesBR (ABGB 200+), Evaluierung GmbHG, Wahrung der Einheit von Sitz und Verwaltung bei grenzüberschreitenden Umwandlungen. Mehr hat die Regierung zum Gesellschaftsrecht nicht zu sagen, sie hat aber bereits gehandelt. Durch Art 24 des AbgÄG 2014 (3/ME 25. GP) sollen nunmehr die erst im Juli 2013 in Kraft getretenen Regelungen des GmbH-Rechts novelliert und die damalige Kurzsichtigkeit und Fehler ausgebessert werden. Vorweg: Inhaltlich ist dem Entwurf weitestgehend zuzustimmen, wird doch mit der Beibehaltung des Stammkapitals von 35.000 Euro sichergestellt, dass Alt- und Neu-GmbHs gleich behandelt werden und dass damit die steuerbegünstigte Entkapitalisierung durch steuerfreie Kapitalherabsetzung nicht mehr möglich ist. Genau dieser Mangel des GesRÄG 2013 wird nunmehr beseitigt. Ähnlich wie im deutschen Recht der Zusatz „Unternehmergesellschaft haftungsbeschränkt“ ein Signal an den Markt geben soll, dass es sich um eine nicht voll kapitalisierte GmbH handelt, wird der Rechtsverkehr die gründungsprivilegierten GmbHs, somit die, die mit geringem Kapital ausgestattet sind, von anderen GmbHs unterscheiden können. Sinnvollerweise sollten auch die 10.000 GmbHs, die seit Juli 2013 gegründet worden sind und weiter bestehen, nachträglich diesen Zusatz aufnehmen müssen, widrigenfalls hier wiederum eine unsachliche Differenzierung entstünde. Zudem ist der Eingriff in die Rechtsposition der 10.000 Alt-GmbHs mit der zusätzlichen Bezeichnungsverpflichtung nicht unverhältnismäßig. Die gestreckte Einzahlungsverpflichtung auf 17.500 Euro ist keine übermäßige Belastung. Teilt man den Betrag auf 10 Jahre auf, so kommt man auf eine notwendige Eigenkapitalbildung von 1.750 Euro pro Jahr. Dies sollte allen Gesellschaftern und Unternehmern möglich sein. Die „Ho-ruck“-Aktion der neuen Regierung kann nicht als Ausdruck der vielfach positiv beschriebenen Politik der kleinen Schritte der österreichischen Gesetzgebung im Gesellschaftsrecht durchgehen, die generell keine großen Würfe, sondern bedarfsorientiert angemessene Regelungen schuf (zum Begriff Kastner, Gesammelte Aufsätze [1982] 31 und 411; dazu auch Kalss/Burger/Eckert, Entwicklung des österreichischen Aktienrechts [2003] 42). Vielmehr ist diese Art der Gesetzgebung Abbild vollkommener Planlosigkeit, Kurzsichtigkeit und eng gefasster Klientelpolitik, ohne den Blick auf den Gesamtzusammenhang zu werfen. Sie zeigt auch die völlige Gleichgültigkeit gegenüber gesellschaftsrechtlichen Überlegungen und Wertungen und die Dominanz simpler fiskalpolitischer Überlegungen, im Konkreten Ausfall oder doch Generierung der Mindest-Körperschaftsteuer. Wenn Gesellschaftsrecht ausschließlich dazu degeneriert, als Instrument der Abgabenbeschaffung des Bundes herzuhalten, hat die Legistik ihre Aufgabe verfehlt. Dieses Hin und Her sollte den mit Gesellschaftsrecht Befassten vor Augen führen, wie die derzeit Verantwortlichen mit sachfremder Interessenverfolgung mit zentralen Gesetzen der österreichischen Rechtsund Wirtschaftsordnung umgehen. Dies ist aber ohnehin jedem mit Gesellschaftsrecht Befassten klar und disqualifiziert sich selbst. Viel spannender ist daher die Aufladung der offenen und offensichtlich noch mit wenigen Ideen gefüllten Phrase der Evaluierung des GmbH-Rechts. Dieser Auftrag im Regierungsübereinkommen ist auszufüllen. Ganz wesentlich sollte die Fortentwicklung und Modernisierung des GmbH-Rechts in Einklang mit der europäischen Rechtsentwicklung stehen, insb sollte auch von österreichischer Seite die Verabschiedung der Societas Privata Europaea (SPE) und der Einpersonenrichtlinie vorangetrieben werden, um für Unternehmen in Europa eine einfache, in allen Rechtsordnungen gleich ausgestaltbare Organisationsform zur Verfügung zu haben. Grenzüberschreitend tätige Unternehmen – und dies sind durchaus nicht nur „Multis“ mit Umsätzen von mehreren hundert Millionen Euro – könnten deutlich leichter eine gruppenweit einheitliche Struktur gestalten, ohne dass Gläubiger- und Gesellschafterinteressen beeinträchtigt werden. Abgesehen von der Notwendigkeit, die Rechtsentwicklung auf europäischer Ebene gerade auch im Bereich der privaten Kapitalgesellschaft voranzubringen, soll der österreichische Gesetzgeber vor allem auch am nationalen Gesetz arbeiten. Wichtige Regelungsbereiche sind etwa die Möglichkeit des Ausschlusses des Gesellschafters aus wichtigem Grund, Regelungen über den Rückerwerb eigener Anteile sowie die Einziehung von Geschäftsanteilen, Vereinfachungen bei der Kapitalerhöhung und schließlich auch die unterjährige Gewinnausschüttung, ähnlich wie sie im Aktienrecht gestattet ist. Mutiger, aber auch konsequenter wäre es, überhaupt darüber nachzudenken, die markante Linie zwischen GmbH und AG nicht zu zementieren, sondern zwischen privaten Kapitalgesellschaften zu ziehen, dh GmbH und private AG einerseits und börsenotierte AG andererseits. Damit wäre auch Raum dafür geschaffen, etwa für die private AG die Gestaltungsfreiheit auszubauen und dem GmbH-Recht anzunähern – nicht anzugleichen –, etwa mit Zustimmungsvorbehalten zugunsten der Hauptversammlung oder eingeschränkten Weisungsrechten. Die Legislative soll nunmehr die weit gefassten Vorhaben mit Leben erfüllen, die Legislative soll ihre Chance dann auch nützen dürfen. Wien, im Februar 2014

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Susanne Kalss

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Unternehmensrecht aktuell

Unternehmensrecht aktuell JULIA SCHULZ UND MATTHIAS SCHIMKA* Schiedsrechts-Änderungsgesetz 2013 *

Mit Stichtag 1.1.2014 ist das Bundesgesetz, mit dem das Schiedsverfahren in der Zivilprozessordnung und das Gerichtsgebührengesetz geändert werden (SchiedsrechtsÄnderungsgesetz 2013 – SchiedsRÄG 2013), BGBl I 2013/118, in Kraft getreten. Ziel der Gesetzesänderung ist die Erhöhung der Attraktivität des Schiedsortes Österreich. Der bisherige Rechtszug über drei Instanzen (vom LG über das OLG zum OGH) für das Verfahren über die Aufhebungsklage gegen einen Schiedsspruch wurde nach dem Vorbild anderer europäischer Rechtsordnungen verkürzt. Gem § 615 ZPO (neu) ist nunmehr erste und letzte Instanz der OGH.

Schwellenwerteverordnung 2012 – Verlängerung Mit Kundmachung am 9.9.2013 ist die Verordnung zur Änderung der Schwellenwerteverordnung 2012, BGBl II 2013/262, in Kraft getreten. Damit wurde die Schwellenwerteverordnung 2012 bis 31.12.2014 verlängert. Öffentliche Auftraggeber können daher ua weiterhin Aufträge im Bau-, Liefer- und Dienstleistungsbereich direkt vergeben, sofern der geschätzte Auftragswert 100.000 Euro nicht übersteigt. Abgabenänderungsgesetz 2014 Am 9.1.2014 wurde der Entwurf des AbgÄG 2014 veröffentlicht und zur Begutachtung versandt. Der Gesetzesentwurf sieht folgende Eckpunkte vor:  Nach geltender Rechtslage sind alle Gehaltszahlungen bei der steuerlichen Gewinnermittlung in voller Höhe abzugsfähig. Mit dem AbgÄG 2014 sollen Entgelte für Arbeits- und Werkleistungen, die 500.000 Euro pro Person und Wirtschaftsjahr übersteigen, vom Betriebsausgabenabzug ausgeschlossen werden.  Zur Geltendmachung des investitionsbedingten Gewinnfreibetrags sind nach derzeitiger Rechtslage Investitionen in bestimmte körperliche, abnutzbare Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens oder Investitionen in bestimmte Wertpapiere erforderlich. Künftig sollen Wertpapieranschaffungen nicht mehr als Grundlage für einen investitionsbedingten Gewinnfreibetrag herangezogen werden können.  Sonstige Bezüge, die bei oder nach Beendigung des Dienstverhältnisses anfallen (wie zB freiwillige Abfertigungen und Abfindungen), sollen insoweit mit dem Tarifsteuersatz versteuert werden, als sie insgesamt ein Viertel der laufenden Bezüge der letzten 12 Monate oder *

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Dr. Julia Schulz (ehemals Fragner) ist Mitarbeiterin der Oesterreichischen Nationalbank und externe Lehrbeauftragte am Institut für Zivil- und Unternehmensrecht der Wirtschaftsuniversität Wien. Mag. Matthias Schimka ist Rechtsanwaltsanwärter in Wien und externer Lehrbeauftragter am Institut für Zivil- und Unternehmensrecht der Wirtschaftsuniversität Wien.

das Dreifache der monatlichen Höchstbeitragsgrundlage gem § 108 ASVG übersteigen. Ausländische Körperschaften, die nicht in einem EU-Mitgliedstaat oder in einem Staat, mit dem eine umfassende Amtshilfe besteht, ansässig sind, sollen ab 1.3.2014 nicht mehr in eine österreichische Unternehmensgruppe aufgenommen werden können. Der Steuersatz des Sonderbeitrags zur Stabilitätsabgabe soll von 25 % auf 45 % des Stabilitätsabgabebetrags erhöht. Die Bemessungsgrundlage der Stabilitätsabgabe soll von einer Kombination aus Bilanzsumme und Derivatevolumen künftig auf eine Bemessungsgrundlage umgestellt werden, die ausschließlich von der Bilanzsumme abhängt. Ab dem 1.1.2016 soll die Gesellschaftsteuerpflicht für die Kapitalzuführung an inländische Kapitalgesellschaften und verdeckte Kapitalgesellschaften aufgehoben werden. Das Mindeststammkapital der GmbH soll wieder 35.000 Euro betragen. Es soll aber weiterhin möglich sein, eine GmbH mit finanziellen Mitteln von nur 5.000 Euro zu gründen. In den ersten 10 Jahren sollen die GmbH-Gesellschafter nur eine persönliche Haftung für weitere 5.000 Euro in Kauf nehmen müssen.

Die Begutachtungsfrist endete am 22.1.2014. Der Begutachtungsentwurf samt Materialien ist online abrufbar unter: https://www.bmf.gv.at/steuern/Abgabenaenderungsgesetz2014.html EU: Revision der Transparenz-Richtlinie Die Richtlinie 2013/50/EU, ABl L 294 vom 6.11.2013, S 13, mit der die bisherige Richtlinie 2004/109/EG geändert wurde, ist am 26.11.2013 in Kraft getreten. Die Transparenz-Richtlinie dient der Harmonisierung der Informationsanforderungen an Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind. Ua sind folgende Neuerungen vorgesehen:  Die Verpflichtung zur Vorlage von Zwischenmitteilungen entfällt. Den Mitgliedstaaten ist es auch nicht erlaubt, in ihren nationalen Rechtsvorschriften die Veröffentlichung von häufigeren regelmäßigen Finanzinformationen als Jahresfinanzberichten und Halbjahresfinanzberichten vorzuschreiben. Zusätzliche regelmäßige Finanzinformationen dürfen nur dann verlangt werden, wenn diese Verpflichtung keine erhebliche finanzielle Belastung darstellt und die verlangten zusätzlichen Informationen in einem angemessenen Verhältnis zu den Faktoren stehen, die zu Anlageentscheidungen beitragen.  Die Frist für die Veröffentlichung von Halbjahresfinanzberichten wird (von zwei) auf drei Monate nach Ende des Berichtszeitraums verlängert. Die Mitgliedstaaten haben die Richtlinie bis zum 26.11.2015 in nationales Recht umzusetzen.

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Kapitalgesellschaften

Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung HANS-GEORG KOPPENSTEINER*

Der vorliegende Beitrag1 diskutiert Gemeinsamkeiten und Unterschiede der gesellschaftsrechtlichen Regelungen zur Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung. I. Fragen

II. Normenzwecke

Die Regeln über Kapitalaufbringung und -erhaltung werden häufig als die zwei Seiten derselben Medaille bezeichnet. Offensichtlich richtig an dieser Metapher ist, dass es keinen Sinn hätte, die Aufbringung eines dem Grund- bzw Stammkapital entsprechenden Vermögens zu erzwingen, die Rückgewähr dieses Vermögens aber zu gestatten. Beide Regelungskomplexe sind daher funktional auf das Engste verklammert.2 Auf den ersten Blick könnte man deshalb meinen, dass der in beiden Zielrichtungen zentrale Vermögensbegriff identisch sein müsste. Wäre dies so, dann müsste man folgern, dass alles, was nicht einlagefähig ist (zB Dienstleistungen), auch nicht Gegenstand einer verbotenen Einlagerückgewähr3 sein könne. Das trifft nach allgemeiner Auffassung jedoch nicht zu. Im Kontext der Einlagenrückgewähr werden Kriterien für beachtlich gehalten oder jedenfalls diskutiert, die bei der Kapitalaufbringung keine Rolle spielen. Dazu gehören der Fremdvergleich, die betriebliche Rechtfertigung, die Sorgfalt eines ordentlichen Unternehmensleiters und die causa societatis. Auch die Rechtsfolgen divergieren, wenn Kapitalaufbringungsregeln unbeachtet geblieben sind oder Vermögen der Gesellschaft Gesellschaftern zugeflossen ist, ohne dass dies durch eine ordnungsgemäße Gewinnverteilung gedeckt ist. Die folgenden Überlegungen beschäftigen sich mit der Frage, ob solche Unterschiede sachlich gerechtfertigt sind und inwieweit sie sich in ein stimmiges Gesamtkonzept von Kapital und Vermögen der Kapitalgesellschaften einordnen lassen. Diese Aufgabe lässt sich nicht überzeugend bewältigen, ohne vorher die Normenzwecke zu klären, besser: die eigene Position im Meinungsstreit zu markieren. Im Schlussabschnitt des Beitrags werden Divergenzen der Rechtsfolgen gesetzwidrigen Verhaltens erörtert.

1. Kapitalaufbringung

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Dr. Hans-Georg Koppensteiner, LL.M. ist em. o. Univ.-Prof. für Österreichisches und Internationales Handels- und Wirtschaftsrecht sowie Bürgerliches Recht der Universität Salzburg. Frau Univ.-Prof. Dr. Eveline Artmann und Herr Univ.-Prof. Dr. Hanns F. Hügel haben eine frühere Version dieses Beitrags hilfreich kommentiert. Dafür möchte sich der Autor auch an dieser Stelle bedanken. Zu hier nur am Rande interessierenden Unterschieden (gegenständlicher vs wertmäßiger Schutz, registerrechtliche vs organschaftliche Prüfung) siehe J. Vetter, Schutz gegen Umgehung der Kapitalaufbringungsregeln bei der AG, in FS Hellwig (2010) 373 (381). Der Ausdruck ist ungenau, wie vielfach bemerkt (vgl Artmann in Jabornegg/ Strasser, AktG5 [2011] § 52 Rz 1). Denn verboten ist nicht nur die Rückgewähr des ursprünglich Eingebrachten oder dessen Wert. Ebenso steht es mit dem aus dem Steuerrecht stammenden Begriff „verdeckte Gewinnausschüttung“. Denn ein Verstoß kann auch vorliegen, wenn kein Gewinn zu verzeichnen ist. Mit Rücksicht auf einen tradierten Sprachgebrauch wird aber auch hier von „Einlagerückgewähr“ und dementsprechend von „Kapitalerhaltung“ auch dann die Rede sein, wenn eine verbotene Leistung nicht aus gebundenem Vermögen finanziert wird.

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Der Zweck der insoweit anwendbaren Regeln – hingewiesen sei auf Bewertungsvorschriften für Sacheinlagen, auf die Differenzhaftung bei Überbewertung, auf die Rechtsfolgen verdeckter Sacheinlagen – besteht darin, über die Gewährleistung realer Kapitalaufbringung zukünftige Gläubiger der Gesellschaft zu schützen. Das ist unstreitig.4 Häufig wird neben dem Schutz der Gläubiger als Normzweck auch jener der Gesellschafter (Aktionäre) genannt. Damit dürften aber die Vorschriften über die Festsetzung des Grund- bzw Stammkapitals in der Satzung, insb die Notwendigkeit gemeint sein, Sacheinlagen bzw Sachübernahmen bezüglich der Person des Schuldners, ihres Gegenstands und ihres Werts genau zu bezeichnen. Eines darüber hinausgehenden Schutzes bedürfen die Gründergesellschafter nicht. Er gehört nicht zum Normzweck der Bestimmung. Dass dies so ist, ergibt sich auch daraus, dass die Gesellschaft auf ihr zustehende Einlageforderungen auch dann nicht verzichten kann, wenn alle Gesellschafter das wollen (§ 60 AktG; § 63 Abs 3 GmbHG). Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass bei der Kapitalerhöhung unter Ausschluss des Bezugsrechts Gesellschafterinteressen durchaus eine Rolle spielen. Zulässig ist die Maßnahme nämlich nur, wenn sie den Wert der Anteile der nicht bezugsberechtigten Gesellschafter nicht verwässert. Dazu ist die Festsetzung eines Agios in Höhe der Differenz zwischen Vermögen der Gesellschaft und ihrem Grund- bzw Stammkapital erforderlich.5 Es handelt sich dabei um eine Konsequenz des Gleichbehandlungsgrundsatzes, also eines Prinzips, das für den Inhalt der Satzung nicht gilt. Das Diskriminierungsverbot bei der Kapitalerhöhung ist daher nicht geeignet, den ausschließlich gläubigerorientierten Normzweck der Kapitalaufbringungsregeln im Gründungsstadium zu falsifizieren. Das gesetzliche Mindeststammkapital war schon früher, ist jedenfalls aber nach seiner Reduktion auf nur noch 10.000 Euro kaum geeignet, die Durchsetzbarkeit von Forderungen gegen die Gesellschaft effektiv zu sichern. Man könnte deshalb behaupten, dass die Tiefe der Kluft zwischen Normzweck und Zielrealisierung in der Praxis diesen Zweck als absurd und daher falsch ausweist. Das Argument trifft indes nicht zu. Solange an der zwingend unbeschränkten Haftung von OG4

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Hüffer, AktG10 (2012) § 27 Rz 1; A. Arnold in Kölner Komm AktG3, § 27 Rz 4; Ettel in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2 (2012) § 20 Rz 1; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 (2007) § 6 Rz 3 und § 6a Rz 2. Zur AG etwa Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2, § 153 Rz 157 ff; zur GmbH zuletzt OGH 19.12.2012, 6 Ob 155/12f – jeweils mwN. Ist das Bezugsrecht nicht ausgeschlossen, hält der OGH in dieser Entscheidung die Festsetzung eines Agios im Allgemeinen für überflüssig, auch dann, wenn sich die Gesellschafter über die Kapitalerhöhung nicht einig sind (mit Recht kritisch dazu Reich-Rohrwig/Rizzi, Rücksichtslosigkeit bei der Kapitalerhöhung, ecolex 2013, 538).

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Kapitalgesellschaften Gesellschaftern festgehalten wird, ist es aus Gründen teleologischer Folgerichtigkeit unabweislich, Gläubiger einer Kapitalgesellschaft auf andere Weise zu sichern.6 Die Institution des Mindestkapitals nach österreichischem Recht beruht nach wie vor auf diesem Zusammenhang, wenn es ihn auch sehr unvollkommen zum Ausdruck bringt. Immerhin verbleibt ein Risikopuffer, der die Insolvenzwahrscheinlichkeit, namentlich wegen Anfangsverlusten, reduziert. Außerdem ist zu bedenken, dass niemand Geld, auch nicht 10.000 Euro, investiert, wenn er selbst nicht an den Erfolg des Unternehmens glaubt. Das gesetzliche Mindeststammkapital errichtet daher eine „Seriositätsschwelle“, schafft einen Vertrauenstatbestand, der aus der Sicht (zukünftiger) Gläubiger durchaus als positiv zu bewerten ist. 2. Kapitalerhaltung Nach allgemeiner Auffassung dienen die Vorschriften zur Erhaltung des Kapitals der Gesellschaft dem Schutz ihrer Gläubiger. Umstritten ist dagegen, ob darüber hinaus weitere Normenzwecke eine Rolle spielen. Unabhängig davon, wie eine korrekte Lösung auszusehen hat, empfiehlt es sich, zwischen dem Grund- bzw Stammkapital einschließlich gebundener, insb gesetzlicher Rücklagen, also dem Kern der Vermögensbindung (Vermögensbindung ieS) und dem Gegenwert freier Rücklagen (Vermögensbindung iwS) zu unterscheiden. 2.1. Entstehungsgeschichtlich steht fest, dass die Schmälerung kapitaldeckenden Vermögens durch gesellschafterbegünstigende Leistungen im Interesse des Gläubigerschutzes verboten wurde. Die Materialien zur Ursprungsfassung des GmbHG äußern sich dazu mit einer völlig eindeutigen Formulierung.7 Sie zitieren Art 216 AHGB und stellen damit klar, dass Gleiches auch für die AG zu gelten hat.8 Demensprechend ist auch das Gesetz gefasst. Nach § 52 Satz 1 AktG dürfen den Aktionären „die Einlagen nicht zurückgewährt werden“. Nach § 82 Abs 1 Satz 1 GmbHG können die Gesellschafter „ihre Stammeinlage nicht zurückfordern“. Wie wichtig dem Gesetzgeber die Sicherung eines kapitalentsprechenden Vermögens war, zeigt sich auch an § 83 Abs 2 GmbHG. Demnach haften die übrigen Gesellschafter subsidiär, wenn die Erstattung verbotener Leistungen weder von den Begünstigten noch den Geschäftsführern zu erlangen ist, aber nicht in Höhe der Leistung schlechthin, sondern nur „insoweit ... das Stammkapital vermindert ist“.9 6

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Der mit der Einführung der Unternehmergesellschaft in Deutschland hingenommene Systembruch ist wesentlich auf Einflüsse europarechtlicher Provenienz, namentlich die englische limited zurückzuführen. Die Überzeugungskraft dieses Gedankens ist indes zumindest zweifelhaft, ebenso wie die Existenz davon unabhängiger Sachgründe (vgl Koppensteiner, Kapital und Kapitalaufbringung aus rechtspolitischer Sicht, in Bachner, GmbH-Reform [2008] 97 [98 ff] mwA; Roth/ Altmeppen, GmbHG7 [2012] § 5a Rz 11). „Das Stammkapital als dauernder Grundstock der Gesellschaft und das einzige dem Zugriff der Gläubiger freigegebene Befriedigungsobjekt darf durch Zahlungen an die Gesellschafter nicht geschmälert werden“, zitiert nach Kalss/Eckert, Zentrale Fragen des GmbH-Rechts (2005) 635. Mit „Zahlungen“ sind wegen der Aussagelogik des Satzes vermögensreduzierende Leistungen jeder Art gemeint. Eine genaue Darstellung der historischen Entwicklung der Vermögensbindung findet sich bei GrossLangenhoff, Vermögensbindung im Aktienrecht (2013) 53. Wie hier zB Hügel, Der Drittvergleich in Gesellschafts- und Steuerrecht (in einem in Druck befindlichen Sammelband); Schön, Vermögensbindung und Kapitalschutz in der AG, in FS Röhricht (2005) 559 (562); Koppensteiner, Gruppenbesteuerung, Verlustvortrag und Gesellschaftsrecht, GES 2005, 404 (405) mwN; andere Akzente bei Bezzenberger, Das Kapital der Aktiengesellschaft (2005) 132, aber – soweit ersichtlich – ohne Konsequenzen für die Auslegung der relevanten Bestimmungen. Dazu zB Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3, § 83 Rz 1 und 14.

Weitere Normenzwecke sind nicht anzuerkennen.10 Das gilt zunächst für die Durchsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Er ist selbständiger Bestandteil des Gesellschaftsrechts. Zwar sind auch § 52 AktG bzw § 83 GmbHG geeignet, diesen Grundsatz zu gewährleisten. Aber das ist nur als Nebenfolge dieser Regeln, nicht als teleologieprägendes Element aufzufassen. Ebenso steht es mit der Informationsfunktion der Rechnungslegung. Gewiss gibt es diese Funktion, nicht aber Anhaltspunkte, die sie auch als Zweck der Kapitalerhaltungsregeln ausweisen würden.11 Ein Blick auf die amtliche Begründung zeigt, dass mehr oder anderes als Gläubigerschutz nicht gewollt war, jedenfalls nicht, soweit es um Absicherung eines kapitalentsprechenden Vermögens geht. Zu gesetzlichen Rücklagen (gebundenen Kapitalrücklagen) ist bemerkt worden, sie wirkten sich „bedingt“ gläubigerschützend aus. Denn sie dürften zur Deckung von Jahresfehlbeträgen oder Verlustvorträgen aufgelöst werden.12 Das überzeugt nicht. Denn die angesprochene Rücklagenverwendung wirkt sich auf die Aktivseite der Bilanz, also das Vermögen der Gesellschaft nicht unmittelbar aus. Bezüglich der gesetzlichen Rücklage wird darüber hinaus überwiegend angenommen, es bestehe eine Nachdotierungspflicht.13 2.2. Das Verbot verdeckter Einlagenrückgewähr gilt auch für den Gegenwert freier Rücklagen im Aktivvermögen der Gesellschaft.14 Denn Aktionäre bzw GmbH-Gesellschafter haben nach § 52 AktG bzw § 82 Abs 1 GmbHG nur Anspruch auf den Bilanzgewinn. Rücklagen müssen demnach aufgelöst werden, bevor sie ausgeschüttet werden können. Dass auch insoweit das Gläubigerschutzziel im Vordergrund steht, ergibt sich aus § 56 Abs 1 AktG. Demnach haften die Aktionäre den Gläubigern der Gesellschaft im Ausmaß von ihnen empfangener unzulässiger Leistungen der Gesellschaft.15 Diese Regel gilt ausnahmslos. Insb kommt es nicht darauf an, ob die AG auch nach solchen Leistungen noch über Vermögen verfügt, das das Grundkapital (plus gebundener Rücklagen) abdeckt. Im Recht der GmbH gibt es keine § 56 Abs 1 AktG entsprechende Vorschrift. Aber die dahinter stehende Regelungsidee – der Gläubigerschutz – ist auch dort beachtlich. Denn es ist nicht erkennbar, dass das Konzept der Vermögensbindung bei AG und GmbH unterschiedliche Prinzipien verwirklichen sollte. Wäre es anders, ließe sich wohl kaum erklären, dass Leistungen der Gesellschaft auch bei der GmbH nur aus dem Bilanzgewinn finanziert werden dürfen. Andererseits steht fest, dass die auch mit freien Rücklagen verbundene Förderung von Gläubigerinteressen nicht die gleiche sein kann wie jene, die mit dem Grund- bzw Stammkapital 10

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Nachweise dazu bei Koppensteiner, GES 2005, 405; ferner etwa Hügel, Drittvergleich; Koppensteiner, Über Zurechnungskriterien im Gesellschaftsrecht, in FS K. Schmidt (2009) 927 (937); ablehnend Artmann in Jabornegg/Strasser, AktG5, § 52 Rz 2 mit umfangreichen weiteren Nachweisen beider Auffassungen; gründliche Übersicht über Entwicklung und Stand der Diskussion bei Gross-Langenhoff, Vermögensbindung, 45 ff. Vgl Drygala in Kölner Komm AktG3, § 57 Rz 14; siehe noch unten FN 17. Schön, Vermögensbindung, 563. De lege lata gilt § 229 Abs 7 UGB. Dort ist von gebundenen Rücklagen die Rede, die nur zum Ausgleich eines ansonsten auszuweisenden Bilanzverlustes aufgelöst werden dürften. Zur (bejahten) Frage, ob das auch auf Verlustvorträge zu beziehen ist, siehe Hoffians/Ressler in Straube, UGB II3, § 229 Rz 38. Siehe Hoffians/Ressler in Straube, UGB II3, § 229 Rz 45. Freie Rücklagen sind augenfälligster pars pro toto für Rücklagen, zB solche aufgrund der Satzung, die zur Vermehrung des Bilanzgewinnes aufgelöst werden dürfen. Deswegen ist hier nur von ihnen die Rede. Näher dazu Artmann in Jabornegg/Strasser, AktG5, § 56 Rz 1. Gewiss sagt § 56 AktG selbst nicht, was unzulässig ist. Das ist wegen § 52 AktG aber auch nicht erforderlich.

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Kapitalgesellschaften (plus gebundener Rücklagen) verknüpft ist. Denn Gläubiger der Gesellschaft haben keinen Anspruch darauf, dass freie Rücklagen gebildet oder nicht wieder aufgelöst werden. Das Grund- bzw Stammkapital sichert ein bestimmtes Vermögensvolumen gegen den Zugriff der Gesellschafter. Für freie Rücklagen trifft dies nicht zu. Der Jahresabschluss zeigt indes, ob sich insoweit etwas geändert hat. Er ist öffentlich zugänglich und ermöglicht es den Gläubigern somit, sich auf die neue Lage einzustellen. Ob auch das noch als Normzweck des Verbots der Einlagenrückgewähr aufgefasst werden kann, ist umstritten,16 hauptsächlich deshalb, weil es nicht darum geht, die Regeln über die Kapitalaufbringung funktionstüchtig zu machen und auch ein entstehungsgeschichtlicher Nachweis nicht möglich ist. Aber das sollte nicht den Ausschlag geben. Denn die Ausgangsregel besteht, wie dargelegt, in einem dem Schutz der Gläubiger dienenden Verbot, das seine Verbindlichkeit erst dann einbüßt, wenn dies offenkundig gemacht wird. Die über die Publizität des Jahresabschluss gewährleistete Transparenz gehört daher, was die Auflösung freier Rücklagen angeht, in den teleologischen Zusammenhang des Verbots von Ausschüttungen außerhalb des Bilanzgewinnes.17 Kumulativ oder alternativ werden weitere Normenzwecke angeboten. Dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht dazu gehört, wurde schon dargetan. Das Gleiche gilt auch für Minderheitenschutz als Variante dieser Annahme,18 schon deshalb, weil Zuwendungen außerhalb der Gewinnverteilung auch bei Einpersonengesellschaften und dann verboten sind, wenn alle Gesellschafter konsentieren.19 Was die Wahrung von Organkompetenzen angeht, so wird wohl überwiegend angenommen, auch sie seien Bestandteil des Normzwecks.20 Entstehungsgeschichtlich spricht nichts dafür. Auch andere Argumente sehe ich nicht. Dass das Verbot verdeckter Einlagenrückgewähr faktisch dafür sorgt, dass die Ausschüttung des Jahresgewinnes kompetenz- und verfahrensgerecht erfolgt, reicht nicht.21 Man wird dies, wie häufig formuliert, 16

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Dagegen etwa Drygala in Kölner Komm AktG3, § 57 Rz 11 f; Schön, Vermögensbindung, 563 f; Bezzenberger, Kapital, 204 f; dafür Gross-Langenhoff, Vermögensbindung, 83 f. Nach Hügel (Drittvergleich) beruht die Unsicherheit darauf, dass nicht klar zwischen Kapitalschutz, bestehend aus Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung, einerseits und Vermögensbindung (freie Rücklagen) andererseits unterschieden wird. Im Unterschied zu den Regeln der ersten Kategorie (dort nur Gläubigerschutz) sollen jenen der zweiten weitere Zwecke innewohnen. Das sehe ich anders, wie sogleich deutlich werden wird. Hinzuzufügen ist, dass die Vermögensbindung selbstverständlich auch auf das Grund- bzw Stammkapital zu beziehen ist. Das sollte auch terminologisch berücksichtigt werden. Darin liegt kein Widerspruch zu der vorher aufgestellten Behauptung, die Informationsfunktion der Rechnungslegung sei nicht Normzweck auch der Kapitalerhaltungsregeln. Im hier interessierenden Zusammenhang geht es nämlich nicht um verbotene Zuwendungen schlechthin, sondern nur um solche, die als intransparente Auflösung freier Rücklagen in Erscheinung treten. Transparenz als ansonsten irrelevante Zulässigkeitsvoraussetzung sichert das Verbot ab. Im Übrigen ist zu beachten, dass der korrekte Ausweis einer unzulässigen Gesellschafterbegünstigung im Jahresabschluss nicht „heilend“ wirkt. Daraus ergibt sich, dass die Gewährleistung transparenter Rechnungslegung nicht als selbständiger Zweck der Vermögensbindung anerkannt werden kann. Dafür aber zB Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen der Kapitalerhaltung (2004) 99; Drygala in Kölner Komm AktG3, § 57 Rz 13; Wilhelmi, Der Grundsatz der Kapitalerhaltung im System des GmbH-Rechts (2001) 19. Dagegen von seiner Ausgangsprämisse aus konsequent, aber unhaltbar Drygala in Kölner Komm AktG3, § 57 Rz 19; siehe Artmann in Jabornegg/Strasser, AktG5, § 52 Rz 2; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3, § 82 Rz 15. Wie hier (in Anlehnung an Fleischer) Gross-Langenhoff, Vermögensbindung, 83, wo richtig bemerkt wird, das zwingende Vermögensbindungsprinzip könne nicht auf dem dispositiven Gleichbehandlungsgrundsatz beruhen. So zB Artmann in Jabornegg/Strasser, AktG5, § 52 Rz 2 mwN; ferner etwa Schön, Vermögensbindung, 565; Hüffer, AktG10, § 57 Rz 1. Wie hier wiederum Gross-Langenhoff, Vermögensbindung, 83: Ein Verstoß gegen die Kompetenzordnung werde durch die Schadenersatzpflicht des Vorstandes sanktioniert und (wichtiger) auch eine kompetenzrechtlich ordnungsgemäße Zustimmung der Hauptversammlung könne eine Einlagenrückgewähr nicht rechtfertigen.

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als mittelbare Konsequenz der gesetzlichen Regelung, nicht aber als Teilelement ihrer Teleologie aufzufassen haben. 2.3. Die Anerkennung unterschiedlicher Zwecke des Verbots der Einlagenrückgewähr, je nachdem, ob „gebundenes“ oder „freies“ Vermögen tangiert wird, führt entweder zu entsprechenden Differenzierungen auf der Rechtsfolgenseite22 oder nicht. Träfe Letzteres zu, könnte die Frage auf sich beruhen. Die andere Alternative – Gläubigerschutz nicht auch als ausschließliches Motiv des Rückgewährverbots über freie Rücklagen finanzierter Vermögensteile – hätte die Konsequenz, dass in jedem Einzelfall zu klären wäre, ob die gesellschafterbegünstigende Zuwendung ganz oder teilweise aus „freiem“ Vermögen finanziert wurde. Die damit verbundenen Komplikationen liegen auf der Hand. Denn zum Leistungszeitpunkt lässt sich wegen fast immer fehlender Bilanz zu diesem Zeitpunkt gar nicht ermitteln, welcher Vermögensteil den freien Rücklagen zuzuordnen ist. Wichtiger: Das Gesetz differenziert nicht, sondern qualifiziert jede Art verdeckter Ausschüttung als unzulässig. Das spricht sehr für einen einheitlichen Normzweck. Da dieser, was stamm- bzw grundkapitalentsprechendes Vermögen angeht, ganz eindeutig nur darin besteht, Gläubigerinteressen Rechnung zu tragen, sollte Gleiches auch für Vermögen der Gesellschaft akzeptiert werden, das damit nichts zu tun hat. 2.4. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass sich die Zwecke der Bestimmungen betreffend die Aufbringung des Kapitals und seine Erhaltung nicht unterscheiden. Beide Regelungskomplexe dienen dem Schutz künftiger oder vorhandener Gläubiger. Soweit die Einzelausgestaltung beider Vorschriftengruppen (auch als Konsequenz ihrer Interpretation) differiert, kann dies im Grundsätzlichen daher keine teleologischen Gründe haben, sondern muss aus spezielleren Gesichtspunkten ableitbar sein. III. Konkordanzen und Divergenzen 1. Kapitalaufbringung 1.1. Als Sacheinlage brauchbar sind nach § 20 Abs 2 AktG nur Vermögensgegenstände, deren wirtschaftlicher Wert feststellbar ist. Der Sinn dieser Regel ist klar. Ohne sie ließe sich nämlich nicht ermitteln, ob und wie die „Einlage“ dazu beiträgt, dass der Gesellschaft ein ihrem Grundkapital entsprechendes Vermögen zur Verfügung steht. Das verdeutlicht, dass der in § 20 Abs 2 AktG niedergelegte Grundsatz auch für die GmbH zu gelten hat. Es entspricht diesen Ausgangsfeststellungen, dass einlagefähig nur Vermögensgegenstände sind, die sich als Zugriffsobjekt für Gläubiger der Gesellschaft eignen. Sie müssen daher übertragbar, also verwertbar sein.23 Dagegen ist man heute wohl schon überwiegend der Ansicht, auf Aktivierungs22 23

Siehe Schön, Vermögensbindung, 566 ff; Drygala in Kölner Komm AktG3, § 57 Rz 19. Darüber ist man sich im Grundsatz einig; so etwa Heidinger/Schneider in Jabornegg/ Strasser, AktG5, § 20 Rz 13; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3, § 6 Rz 15; A. Arnold in Kölner Komm AktG3, § 27 Rz 43; Hügel, Verschmelzung und Einbringung (1993) 313. Einlagefähig sind indes auch Sachen bzw Rechte, die nur mit dem Unternehmen übertragen werden können (dazu Koppensteiner/Rüffler und Heidinger/Schneider, jeweils aaO). Dienstleistungen sind kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung nicht einlagefähig. Zur Problematik dieser Regel, insb dazu, wie es dennoch möglich ist, einen Inferenten als Geschäftsführer bzw Vorstand anzustellen, siehe Kersting, Dienstabreden über die Erbringung entgeltlicher Dienstleistungen durch einen Inferenten im GmbH-Recht, in FS Hopt (2010) 919 (922 ff).

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Kapitalgesellschaften fähigkeit in der Bilanz käme es nicht an.24 Das Gläubigerschutzziel verlange nur, dass der Vermögensgegenstand wirtschaftlich verwertbar sei. Dass demzufolge schon die Eröffnungsbilanz einen Verlust ausweisen könne, hält man für irrelevant. Die Frage – sie wird hauptsächlich am Beispiel obligatorischer Nutzungsrechte diskutiert25 – ist entgegen der hM im Ergebnis zu bejahen. Nach § 195 Satz 3, § 222 Abs 2 Satz 1 UGB hat der Jahresabschluss ein möglichst getreues Bild ua der Vermögenslage der Gesellschaft zu vermitteln. Ebendies gilt schon für die Eröffnungsbilanz.26 Das wirkt sich auf den im Übrigen unbestimmten Begriff des „Vermögensgegenstands“27 iSv § 196 Abs 1 UGB aus. Dieser Begriff müsste alles umfassen, was die Vermögenslage der Gesellschaft beeinflusst. Für einlagefähige Gegenstände – sie müssen bewertbar sein – trifft dies zu. Sie sind deshalb zu aktivieren. Ob etwas als Einlage in Betracht kommt, hängt demnach nicht von einer Ex-ante-Prüfung der Bilanzierungsfähigkeit ab, sondern es ist umgekehrt. Ein Gegenstand ist deshalb bilanzierungsfähig, weil er als Einlage taugt.28

Nutzungsmöglichkeit im Unternehmen resultiert demnach aus dem Going-concern-Prinzip (§ 201 Abs 1 Z 2 UGB) und stellt klar, dass unternehmensbezogen zu bewerten ist.32 Die genaue Bedeutung dieses Ansatzes im Zuge der Kapitalaufbringung ist allerdings unklar. Vor allem fragt sich, wie sie mit dem Gläubigerschutzziel in Einklang gebracht werden kann. Denn die Einlagefähigkeit eines Gegenstands richtet sich, wie dargelegt, danach, ob es sich um einen aus Sicht der Gesellschaft verwertbaren Vermögenswert handelt. Auf der Bewertungsebene müsste demnach auf Einzelveräußerungs-, also Zerschlagungswerte abgestellt werden. Nun darf Fortführung des Unternehmens nur zugrunde gelegt werden, solange dem nicht tatsächliche oder rechtliche Gründe entgegenstehen. Vorher darf darauf vertraut werden, dass die Gesellschaft ihre Verbindlichkeiten begleicht, sodass die Gläubiger nicht auf Vollstreckungsmaßnahmen angewiesen sind. Marktorientierte Einzelbewertung in der Gründungsphase ist demnach als Ausdruck besonderer Vorsicht, als Regel aufzufassen, die das Scheitern der Gesellschaft quasi antizipiert. Das Going-concern-Prinzip ist damit vereinbar.

1.2. Als Sacheinlagen eingebrachte Vermögensgegenstände sind bei Unanwendbarkeit von § 202 Abs 2 UGB „einzeln“, also jeder für sich zu bewerten (§ 201 Abs 2 Z 3 UGB). Maßgeblich ist grundsätzlich der Zeitwert (§ 202 Abs 1 UGB), also ein objektiver Maßstab. Das bedeutet, dass der Wert der Sacheinlage weder zu hoch noch zu niedrig angesetzt werden darf.29 Gegenstände des Anlagevermögens sind demnach mit den Kosten ihrer Wiederbeschaffung, bei Unmöglichkeit einer solchen mit dem Ertragswert anzusetzen. Für Umlaufvermögen kommt es auf den Veräußerungswert, bei der Überlassung von Nutzungsrechten auf die abgezinste Vergleichsmiete oder -pacht für den Nutzungszeitraum an.30 Nach § 202 Abs 1 UGB ist der Zeitwert nur mit der Einschränkung verbindlich, dass sich nicht aus der Nutzungsmöglichkeit im Unternehmen ein geringerer Wert ergibt. Damit scheint das Gesetz von der grundsätzlich marktorientierten Bewertungsmethode bei Sacheinlagen abzuweichen. Sieht man die Funktion dieser Bestimmung allerdings darin, möglicherweise überhöhte Anschaffungswerte des Einlegers zu kompensieren,31 dann trifft dies nicht zu. Die Relevanz der

2. Kapitalerhaltung

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Siehe Heidinger/Schneider in Jabornegg/Strasser, AktG5, § 20 Rz 13; Ettel in Doralt/ Nowotny/Kalss, AktG2, § 20 Rz 8; A. Arnold in Kölner Komm AktG3, § 27 Rz 44; wohl auch BGH 15.5.2000, II ZR 359/98, BGHZ 144, 290 – jeweils mit umfassenden Nachweisen beider Ansichten; dagegen etwa Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3, § 6 Rz 18 und 15. Näher dazu (mit Abgrenzungen) K. Schmidt, Gesellschaftsrecht4 (2002) 574. Siehe Ch. Nowotny in Straube, UGB II3, § 193 Rz 6 mwN. Zu beachten ist, dass das gleiche Wort auch in § 20 Abs 2 AktG vorkommt. Das muss allerdings nicht bedeuten, dass die Inhalte identisch sind. Wie hier Gelter, Kapitalerhaltung und internationale Rechnungslegung, GesRZ 2004, 177 (180 f); Ettel in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2, § 20 Rz 8; Reich-Rohrwig, GmbH-Recht I2 (1997) Rz 196; siehe auch Ch. Nowotny in Straube, UGB II3, § 196 Rz 11 und § 197 Rz 14, 17. Zur Bedeutung von Aktivierungsverboten (§ 197 Abs 2, § 203 Abs 5 UGB) siehe Hügel, Verschmelzung, 300 ff. Nach seiner Ansicht (aaO, 316 ff) sind die Kriterien der Aktivierungsfähigkeit von Sacheinlagen keine anderen als jene der Aktivierungsfähigkeit schlechthin. Das erscheint plausibel, müsste aber dazu führen, dass obligatorische Nutzungsrechte, sofern mit dem Unternehmen übertragbar, generell als aktivierungsfähig akzeptiert würden. Die vorher angeführten Aktivierungsverbote müssten dabei selbstverständlich beachtet werden. Siehe dazu Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3, § 6a Rz 6 f; Heidinger/Schneider in Jabornegg/Strasser, AktG5, § 20 Rz 21; Ettel in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2, § 20 Rz 11. Siehe Heidinger/Schneider in Jabornegg/Strasser, AktG5, § 20 Rz 22; Ettel in Doralt/ Nowotny/Kalss, AktG2, § 20 Rz 9; Hüffer, AktG10, § 27 Rz 20; A. Arnold in Kölner Komm AktG3, § 27 Rz 69; detaillierter Urnik/Urtz in Straube, UGB II3, § 204 Rz 19 ff. So Urnik/Urtz in Straube, UGB II3, § 202 Rz 17.

2.1. Gegenstand einer verbotenen Einlagenrückgewähr kann alles sein, was das Vermögen der Gesellschaft reduziert und den Gesellschafterempfänger bevorteilt. Dazu gehören ua Dienstleistungen gegen ein unangemessen niedriges oder zu hohes Entgelt, je nachdem, ob die Dienste von der Gesellschaft oder vom Gesellschafter stammen. Dienste sind kein tauglicher Einlagegegenstand. Dennoch besteht kein Widerspruch. Denn Bestandteil des Vermögens der (werbenden) Gesellschaft sind sämtliche Erfolgsfaktoren, darunter auch Ansprüche aus Arbeitsverträgen. Wenn solche Ansprüche durch Umleitung auf Gesellschafter zweckentfremdet werden, dann liegt deshalb eine Vermögensbeeinträchtigung vor, es sei denn, das Entgelt sei angemessen. Ferner: Es ist unbestritten, dass die Gesellschaft mit ihren Anteilsinhabern Verträge schließen kann, wie mit jedem anderen auch. Anstößig ist in solchen Fällen nicht der Vertragsgegenstand, sondern gegebenenfalls die für die Gesellschaft nachteilige Austauschrelation. Es geht also um eine in Geld messbare Vermögensminderung. Schließlich und ausschlaggebend: Die fehlende Sacheinlageneignung von Diensten erklärt sich daraus, dass sie aus dem Vermögen des Einbringenden nicht abgesondert werden können,33 somit nicht zur freien Verfügung der Gesellschaft stehen. Es ist dies ein Gesichtspunkt, der im Kontext der Kapitalerhaltung keine Rolle spielt. Auf den ersten Blick nicht evident ist, wie sich die aus den vorstehenden Überlegungen resultierende Unterschiedlichkeit des Vermögensbegriffes im Zusammenhang von Kapitalaufbringung einerseits, Kapitalerhaltung andererseits erklären lässt. Im Zuge der Kapitalaufbringung ist die Gesellschaft Empfängerin von Vermögensgegenständen gegen Gewährung von Anteilen, deren Summe dem Grund- bzw Stammkapital entsprechen muss. Aus Gründen des Gläubigerschutzes muss der Maßstab, der an Einlagefähigkeit und Bewertung von Sacheinlagen zu legen ist, ein strenger sein. Im Kontext 32 33

Kritisch Hügel, Umgründungsbilanzen (1997) Rz 1.26 ff. Siehe Heidinger/Schneider in Jabornegg/Strasser, AktG5, § 20 Rz 18; A. Arnold in Kölner Komm AktG3, § 27 Rz 66; Hüffer, AktG10, § 27 Rz 22.

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Kapitalgesellschaften der Kapitalerhaltung ist es umgekehrt. Es geht nicht darum, was die Gesellschaft empfängt, sondern darum, ob und was sie verliert. Das rechtfertigt einen weiten Vermögensbegriff, der im Grunde alles abzudecken hat, aus dem die Gesellschaft Vorteile ziehen kann, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sich das in der Bilanz reflektiert oder nicht. Dennoch wäre es falsch, daraus zu folgern, der mit den Kapitalerhaltungsregeln bewirkte Gläubigerschutz reiche weiter, sei intensiver als im Rahmen der Kapitalaufbringung. Es geht in beiden Fällen um ein Optimierungsproblem, das – weil von unterschiedlichen Parametern geprägt – sachgerecht auch unterschiedlich gelöst worden ist. 2.2. Eine unzulässige Zuwendung liegt unstreitig auch dann vor, wenn ein Vermögensgegenstand trotz in ihm steckender stiller Reserven zum Buchwert an einen Gesellschafter veräußert wird.34 Im Recht der Kapitalaufbringung sind demgegenüber nur bilanzielle Ansätze rechtserheblich. Wertungswidersprüchlich ist das aber nicht. Das folgt aus dem, was vorstehend zur unterschiedlichen Behandlung von Dienstleistungen überlegt wurde. 2.3. Ob § 52 AktG bzw § 82 GmbHG verletzt wurde, hängt nach in Österreich allgemeiner Auffassung von dem sog Drittvergleich, also davon ab, zu welchen Preisen ein Vermögensgegenstand auf dem Markt gehandelt wird. Insb kommt es darauf an, was die Gesellschaft für Objekte Dritten gegenüber verlangt oder bezahlt, die Gegenstand des Vertrages mit einem Gesellschafter sind.35 Soweit demnach die Marktverhältnisse ausschlaggebend sind, beruht Kapitalerhaltung auf denselben Grundsätzen wie das Kapitalaufbringungsrecht. Denn mit dem Zeitwert (Wiederbeschaffungswert bei Anlagevermögen, Einzelveräußerungswert bei Umlaufvermögen, im Wege des Fremdvergleichs bei Gebrauchsüberlassung) wird wiederum auf die Marktverhältnisse zu einem bestimmten Zeitpunkt verwiesen. Marktpreise iS eines exakt bezifferbaren Betrags gibt es nur auf in der Realität sehr selten vorkommenden vollkommenen Märkten. Deshalb wird zutreffend angenommen, dass der Drittvergleich ein Preisband berücksichtigen darf und muss.36 Das ist bei der Kapitalaufbringung aber auch nicht anders.37 Denn das „Preisband“ ergibt sich in beiden Fällen aus einem identischen Bewertungsproblem. Nach Auffassung des OGH hat sich der Drittvergleich auch darauf zu beziehen, ob das Geschäft mit einem Dritten überhaupt abgeschlossen worden wäre.38 Diese Aussage geht jedenfalls dann zu weit, wenn die Gesellschaft zB einen zurzeit nicht benötigten Vermögensgegenstand an einen Gesellschafter gegen angemessene Gegenleistung vermietet oder ver34

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Siehe nur Artmann in Jabornegg/Strasser, AktG5, § 52 Rz 16; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3, § 82 Rz 15 – jeweils mwN. StRspr; aus letzter Zeit OGH 13.9.2012, 6 Ob 110/12p, GesRZ 2013 38 (U. Torggler); Artmann in Jabornegg/Strasser, AktG5, § 52 Rz 12; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3, § 82 Rz 16. Der Drittvergleich hat keine selbständige Bedeutung, sondern ist nur Hilfskriterium für die Beantwortung der Frage, ob ein Gesellschaftergeschäft das Vermögen der Gesellschaft reduziert hat; vgl Koppensteiner, GES 2005, 407. Implizit OGH 16.11.2012, 6 Ob 153/12m, GesRZ 2013, 99 (Krejci), durch Billigung des von den Vorinstanzen aufgenommenen Sachverständigenbeweises; dazu (überzeugend) Reich-Rohrwig, Unzulässige Einlagenrückgewähr im Spiegel der Rechtsprechung 2003 bis 2013, ecolex 2013, 940 (948 f); vgl auch Flume, Marktkonformität? Überlegungen zur Durchführung des kapitalerhaltungsrechtlichen Fremdvergleichs, GES 2012, 71. Siehe zB A. Arnold in Kölner Komm AktG3, § 20 Rz 22. Siehe OGH 13.9.2012, 6 Ob 110/12p; 16.11.2012, 6 Ob 153/12m.

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pachtet, und zwar unabhängig davon, ob sie das Geschäft auch mit einem Dritten getätigt hätte.39 Schwieriger wird die Frage, wenn es um betriebsnotwendige Gegenstände (zB ein zu Expansionszwecken unentbehrliches Grundstück oder ein dringend benötigtes Patent) geht. Sofern dafür ein marktgerechtes Entgelt bezahlt wird und Ersatz nicht beschafft werden kann, darf das Geschäft, weil aus der Sicht der Geschäftsleiter pflichtwidrig, nicht abgeschlossen werden. Kapitalerhaltungsrechtlich ist demgegenüber zu beachten, dass – am Marktwert gemessen – nur ein ausgewogener Aktiventausch vorliegt. In der Einzelzwangsvollstreckung wäre im Normalfall nicht mehr zu erzielen. Vom Gesichtspunkt des Normzwecks – Gläubigerschutz – aus scheint der Wert des Gegenstands für die konkrete Gesellschaft also nicht bedeutsam zu sein. Letzten Endes trifft das aber doch wohl nicht das Richtige. Denn im hier interessierenden Zusammenhang ist – wie dargelegt – ein weiter Vermögensbegriff maßgeblich, der alle der Gesellschaft zur Verfügung stehenden Erfolgsfaktoren umfasst. Der Position des OGH kann deshalb nicht entgegengehalten werden, im Rahmen der Kapitalaufbringung dürfe ein Vermögensgegenstand (zB ein Grundstück) nicht höher als sein Marktwert angesetzt werden, weil er in der Hand der Gesellschaft diesem höheren Wert entspricht. Wie im Kontext von Dienstleistungen diskutiert, sind die Maßstäbe für die Ermittlung dessen, was die Gesellschaft zu empfangen hat, nicht dieselben wie für das, was sie verlieren kann.40 Sehr problematisch ist allerdings die Rechtsfolgenseite. Da sich der Rückgewähranspruch bei Austauschverträgen an sich nur auf den Ausgleich einer Wertdifferenz richtet, fragt sich, was in Fällen der hier interessierenden Art eigentlich geschuldet ist. Die Antwort wäre einfach, wenn es mit dem OGH dabei bliebe, verbotswidrige Verträge seien nichtig. Aber gerade das wird zunehmend abgelehnt.41 Kauft die Gesellschaft einem Gesellschafter Sachen ab, die sie entweder nicht braucht oder nur schlechter nutzen kann, als dies ihrem Marktwert entspricht, dann übernimmt sie das Weiterveräußerungsrisiko. Das muss sich im Kaufpreis reflektieren. Ist dies der Fall, dann scheitert der Vertrag nicht am Kapitalerhaltungsrecht.42 Das entspricht der für Einlagen geltenden Regel, wonach sich aus der Nutzungsmöglichkeit im Unternehmen ein im Verhältnis zum Zeitwert reduzierter Ansatz ergeben kann. Die Marktposition der Gesellschaft kann es ihr erlauben, höhere Preise durchzusetzen als andere Unternehmen. Ein solcher Spielraum muss auch dann genutzt werden, wenn mit einem Gesellschafter kontrahiert wird.43 Ansonsten hätte die Gesellschaft nämlich einen vermögenswerten Nachteil zu verbuchen. Die Parallelregelung bei der Kapitalaufbringung bestünde darin, eine Sache mit dem über den Marktwert hinausreichenden Wert anzusetzen, der sich aus der „Nutzungsmöglichkeit im Unternehmen“ gerade der in Gründung befindlichen Gesellschaft ergibt. Aber das ist unzulässig.44 39 40

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Näher dazu U. Torggler, GesRZ 2013, 43. Siehe oben unter Pkt III.1.2.; dort auch zum Verhältnis von Einzelbewertung und Going-concern-Prinzip. Siehe nur BGH 12.3.2013, II ZR 179/12, ZIP 2013, 819 (Pkt 14. ff); Gross-Langenhoff, Vermögensbindung, 99 ff. Zutreffend wiederum U. Torggler, GesRZ 2013, 43. Siehe Hügel, Drittvergleich; ferner auch Bezzenberger, Kapital, 221. Beispiel: Einbringung eines gerade auf den geplanten Produktionsprozess zugeschnittenes Patents.

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Kapitalgesellschaften Denn § 202 Abs 1 UGB verlangt zwar, dass ein unternehmensbezogener „Minderwert“ berücksichtigt wird, belässt es im Übrigen aber bei der Maßgeblichkeit des Zeitwerts. Diese Rechtslage ist als Ausdruck des Vorsichtsprinzips (§ 201 Abs 2 Z 4 UGB) aufzufassen. Im Recht der Kapitalerhaltung spielt dieser Gesichtspunkt keine Rolle. Bei Einlage von Betrieben bzw Teilbetrieben oder mittels Umgründung ist ein die Einzelposten der Bilanz übersteigender Ertragswert nach näherer Vorgabe von § 202 Abs 1, 2 und 3, § 203 Abs 5 UGB in der Bilanz des Erwerbers zu aktivieren. Auf den ersten Blick scheint dem eine andere Wertung zugrunde zu liegen wie jener des § 202 Abs 1 UGB. Ein Ertragswert muss aber objektiv vorliegen und aus (auch) auf Vergangenheitswerte gestützten plausiblen Prognosen ableitbar sein. Obwohl der Bewertungsvorgang dennoch nicht zu unbezweifelbaren Ergebnissen führt, lässt sich doch sagen, dass er, wenn sachgerecht durchgeführt, mit dem Vorsichtsprinzip vereinbar ist. Es handelt sich um einen Erfolgsfaktor, der zwar nicht als solcher, aber doch durch Veräußerung des Unternehmens (Betriebs, Teilbetriebs) oder Umgründung verwertbar ist, letzten Endes also doch einen „Zeitwert“ hat. Der Unterschied zu § 202 Abs 1 UGB hängt mit § 197 Abs 2 UGB zusammen. In Fällen einzeln eingebrachter Sachen darf ihre Wertsumme deshalb nicht mit einem Firmenwert addiert werden, weil dessen Existenz nicht oder jedenfalls viel weniger gesichert ist als bei „Einlage“ eines Unternehmens (Betriebs, Teilbetriebs). 2.4. In Rspr und Schrifttum ist überwiegend anerkannt, dass nicht zu Marktbedingungen abgeschlossene Verträge mit einem Gesellschafter zulässig sind, wenn es dafür eine betriebliche Rechtfertigung gibt.45 So darf einem Gesellschafter mehr als der Marktpreis bezahlt werden, wenn dies durch sonstige Vorteile kompensiert wird.46 Verkäufe unter dem im gewöhnlichen Geschäftsgang maßgeblichen Mindestpreis sind erlaubt, wenn es dafür einen besonderen Grund (zB Mengenrabatte, langfristige Abnahmeverpflichtung, Erschließung eines neuen Marktes, sonst unverkäufliche Restposten) gibt.47 Aus diesen Befunden folgt nicht, dass das Drittvergleichskonzept modifiziert würde.48 Denn das Postulat, einem einem Gesellschafter gewährten Vorteil müsse eine entsprechende Gegenleistung gegenüberstehen, besagt nichts anderes als die mit dem Drittvergleich ermittelte Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung. Bezüglich des Verhältnisses der betrieblichen Rechtfertigung zum Recht der Kapitalaufbringung kann daher auf vorher Ausgeführtes verwiesen werden. Nach verbreiteter Auffassung sollen Verträge mit Anteilsinhabern, die die Gesellschaft prima facie benachteiligen,

zulässig sein, wenn sie ein sorgfältiger Unternehmensleiter auch mit einem Dritten hätte abschließen dürfen.49 Ist das zu bejahen, dann ist das Geschäft auch betrieblich gerechtfertigt. Wegen dieser Interdependenz wird angenommen, dass der Sorgfaltsmaßstab als Gradmesser verdeckter Einlagenrückgewähr die betriebliche Rechtfertigung in sich trage.50 Ich plädiere für eine Umkehrung dieses Satzes oder (besser) dafür, den (un)sorgfältigen Geschäftsleiter als Kriterium einer verbotenen Zuwendung überhaupt aufzugeben. Denn klärungsbedürftig idZ ist stets, ob das Gesellschaftsvermögen geschmälert wurde. Der Sorgfaltsverstoß löst demgegenüber eine eigene Rechtsfolge, nämlich Schadenersatz aus. Zur Konkretisierung des kapitalerhaltungsrechtlichen Vermögensbegriffs ist er nicht geeignet.51 Denn der Normzweck besteht – wie dargelegt – darin, Gläubigerinteressen Rechnung zu tragen, also einen Teilaspekt des Außenverhältnisses zu regulieren. Geschäftsleiter sind demgegenüber der Gesellschaft, also im Innenverhältnis verpflichtet. Zwar gehört dazu auch die Pflicht, die rechtswidrige Verteilung von Gesellschaftsvermögen (§ 25 Abs 3 Z 1 GmbHG; § 84 Abs 3 Z 1 AktG) zu unterlassen. Aber worin dieses Vermögen besteht, kann nicht wiederum aus der Pflicht abgeleitet werden, Vermögen ohne Gewinnverteilungsbeschluss in der Gesellschaft zurückzuhalten. Die Gegenthese ließe sich nur mit einem Zirkelschluss begründen. Die betriebliche Rechtfertigung beruht – wie ausgeführt – auf derselben gedanklichen Grundlage wie der Drittvergleich, versagt daher, wenn Geschäfte zu beurteilen sind, die nur mit einem Gesellschafter abgeschlossen werden (Beispiel: nicht marktgängige Vorprodukte) oder gar nur in dieser Relation möglich sind (Beispiele: Konzernumlagen, Steuerausgleichsvereinbarungen im Rahmen der Gruppenbesteuerung). Daraus folgt indessen nicht, dass der Maßstab des sorgfältigen Geschäftsleiters im Zusammenhang dieser Fallgruppe unentbehrlich wäre. Denn zu prüfen ist wiederum, ob Leistung und Gegenleistung wertäquivalent sind. Zugrunde zu legen sind anerkannte Bewertungsmethoden,52 also wie sonst auch ein objektiver, in allen Fällen grundsätzlich gleicher Maßstab. Im Kontext der Kapitalaufbringung fragt, soweit ersichtlich, niemand danach, ob bei der Bewertung von Sacheinlagen sorgfältig vorgegangen wurde. Stellt sich nachträglich heraus, dass überbewertet wurde, dann greift die Differenzhaftung ein, und zwar unabhängig davon, weshalb der Fehler gemacht wurde.53 Das kann man als Bestätigung der hier zur Kapitalerhaltung vertretenen Ansicht bewerten, zumindest aber festhalten, dass, was die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters angeht, für Kapitalaufbringung und -erhaltung Gleiches gilt: In beiden Regelungszusammenhängen spielt sie keine Rolle.

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Siehe zB Saurer in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2, § 52 Rz 25 mit umfassenden weiteren Nachweisen; einschlägig insb OGH 1.12.2005, 6 Ob 271/05d, GesRZ 2006, 148 (weitere Fundstellen, teilweise mit Anm, bei Reich-Rohrwig, ecolex 2013, 942 FN 13). Überzeugend wird im Schrifttum (Hügel, Drittvergleich) darauf hingewiesen, dass nachteilskompensierende Vorteile wie im Steuerrecht zu quantifizieren sind. Siehe Artmann in Jabornegg/Strasser, AktG5, § 52 Rz 12. Siehe FN 46. Zutreffend Flume, GES 2012, 72 f; ebenso Gross-Langenhoff, Vermögensbindung, 95 ff mwN; siehe auch Rüffler, Konzernfinanzierung im Lichte des EKEG, in Kalss/ Rüffler, Eigenkapitalersatz (2004) 111 (126 f); anders anscheinend Karollus, Gedanken zur Finanzierung im Konzern und zur Reichweite des Ausschüttungsverbotes, ecolex 1999, 323 (324 ff); vgl Hügel (Drittvergleich) zur Praxis des OGH.

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Vgl Artmann in Jabornegg/Strasser, AktG5, § 52 Rz 11; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3, § 82 Rz 16 – jeweils mwN; lesens-, wenn auch nicht billigenswert ferner Bezzenberger, Kapital, 229. So Artmann in Jabornegg/Strasser, AktG5, § 52 Rz 13. So schon Koppensteiner, GES 2005, 407. Dem ließe sich entgegnen, dass ein Schaden ebenfalls eine Schmälerung des Gesellschaftsvermögens impliziert. Aber: Ob eine verdeckte Einlagenrückgewähr vorliegt, richtet sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses (so zB Artmann in Jabornegg/Strasser, AktG5, § 52 Rz 12). Der Schaden kann demgegenüber im Zeitablauf variieren, also größer oder kleiner sein als zur Zeit der Schadensverursachung. Näher, wenn auch nicht durchwegs überzeugend etwa Saurer in Doralt/Nowotny/ Kalss, AktG2, § 52 Rz 30 mwN. Näher zB Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3, § 10a Rz 4 ff.

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Kapitalgesellschaften 2.5. Vielfach wird das Verbot versteckter Zuwendungen davon abhängig gemacht, dass sie der Gesellschaftereigenschaft des Empfängers wegen, also causa societatis gewährt wurde.54 Ob das richtig ist oder nicht, könnte in folgenden Fällen den Ausschlag geben:  Auch einem sorgfältigen Geschäftsleiter wäre die Unausgewogenheit des Vertrages wegen dazu vorliegender Berechnungen oder Gutachten nicht erkennbar gewesen.55  Der Geschäftsleiter wusste nicht, dass er mit einem Gesellschafter kontrahierte.  Der begünstigte Gesellschafter hält eine Minibeteiligung, die es unwahrscheinlich macht, dass er ihretwegen begünstigt wurde.  Vertragspartner ist ein zukünftiger oder ausgeschiedener Gesellschafter. Im ersten, zweiten und dritten Fall ist eine Verbotsverletzung deshalb zu bejahen, weil das Gesellschaftsvermögen zugunsten eines Gesellschafters geschmälert wurde. Denn die Bestimmungen des § 52 AktG bzw § 82 GmbHG zielen nicht auf die Ahndung subjektiv vorwerfbarer Verhaltensweisen, sondern des Schutzes der Gläubiger wegen darauf, ungerechtfertigte Vermögensbewegungen zum Gesellschafter hin zu unterbinden.56 Für die korrekte Beurteilung dieser Fälle ist die Causa-societatis-Frage daher unerheblich. Was die Bevorteilung zukünftiger bzw ausgeschiedener Gesellschafter angeht, so lautet die relevante Frage, wer „näher dran“ ist, für Vermögensschmälerungen der Gesellschaft geradestehen zu müssen: die angesprochenen Personen oder die Gläubiger der Gesellschaft? Dass nur das Erste richtig sein kann, ergibt sich aus dem Normzweck. Eine darüber hinausreichende Begründung des Inhalts, die Zuwendung sei causa societatis motiviert gewesen, ist entbehrlich. Wollte man das Gegenteil annehmen, dann müssten auch die Fälle 1 bis 3 anders beurteilt werden als hier vertreten. Das halte ich für ausgeschlossen. Leistungen im Zuge der Kapitalaufbringung erfolgen selbstverständlich causa societatis. Aber der eigentliche Grund besteht nicht darin, die Gesellschaft selbst zu fördern, sondern darin, ihren Gläubigern ein haftendes Mindestvermögen zu sichern. Deswegen beinhaltet die Irrelevanz des Kriteriums im Kapitalerhaltungsrecht nicht nur keinen Widerspruch, sondern ist Konsequenz eines einheitlichen Normzwecks, dessen folgerichtige Realisierung wegen der Unterschiedlichkeit der Sachverhalte zu dementsprechend unterschiedlichen Folgerungen führt. IV. Rechtsfolgen Die Rechtsfolge inäquivalenter Austauschverträge zulasten der Gesellschaft führt im Ergebnis dazu, dass die Differenz auszu54

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Siehe Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3, § 82 Rz 15 und 18; Bezzenberger, Kapital, 232 ff; ferner die von Reich-Rohrwig (ecolex 2013, 940) zitierten OGH-Entscheidungen Nr 23 und 24; umfangreiche weitere Nachweise bei Saurer in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2, § 52 Rz 36 f; Artmann in Jabornegg/Strasser, AktG5, § 52 Rz 15, die selbst allerdings die Gegenauffassung vertritt; dagegen auch Kalss in Kalss/Nowotny/ Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht (2008) Rz 3/871; Gross-Langenhoff, Vermögensbindung, 97. Siehe Saurer in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2, § 52 Rz 37; Bezzenberger, Kapital, 234. Siehe Artmann in Jabornegg/Strasser, AktG5, § 52 Rz 15 mit Zitat von Koppensteiner/ Rüffler, Die Bestellung von Sicherheiten durch eine Kapitalgesellschaft für Verbindlichkeiten ihrer Gesellschafter (Teil I), GesRZ 1999, 86 (88).

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gleichen ist.57 Das korrespondiert mit der Differenzhaftung im Kapitalaufbringungsrecht, nicht aber damit, dass eine verdeckte Sacheinlage im Unterschied zum geltenden deutschen Recht nicht als (Teil-)Erfüllung der satzungsgemäß geschuldeten Bareinlage anerkannt wird.58 Das bedeutet mangels Heilung, dass der Gesellschafter noch einmal in voller Höhe leisten muss, und zwar in Geld. De lege ferenda sollte daher überlegt werden, ob auch verdeckte Sacheinlagen nicht besser (nur) mit einer Differenzhaftung sanktioniert werden sollten.59 V. Zusammenfassung in Thesen 1. Der Normzweck der Regeln über die Aufbringung und Erhaltung des Kapitals ist identisch. Er besteht ausschließlich im Schutz der Gläubiger. 2. Als Sacheinlagen kommen nur Vermögensgegenstände in Betracht, die bilanzierungsfähig sind. Was aktiviert werden kann, ist auch einlagefähig. 3. Gegenstand eines aus Kapitalerhaltungsgründen unzulässigen Vertrages kann jede vermögenswerte Position der Gesellschaft, darunter Dienstleistungen an einen Gesellschafter, sein. Dienste sind demgegenüber nicht einlagefähig. Der Unterschied erklärt sich daraus, dass es in diesem Fall darum geht, was der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen ist, im anderen darum, woraus sie Vorteile ziehen kann. Daraus ergeben sich unterschiedliche Vermögensbegriffe, die dem gemeinsamen Normzweck nicht widersprechen, sondern von ihm gefordert werden. 4. Dem kapitalerhaltungsrechtlichen Drittvergleich entspricht die Maßgeblichkeit des Zeitwerts bei der Kapitalaufbringung. Die Einbeziehung der Frage in diesen Vergleich, ob die Gesellschaft mit einem Dritten überhaupt kontrahiert hätte, impliziert entgegen dem ersten Anschein keinen Wertungswiderspruch zu den Kapitalaufbringungsregeln, sondern resultiert wiederum aus Unterschieden der relevanten Vermögensbegriffe. 5. Die „betriebliche Rechtfertigung“ des Kapitalerhaltungsrechts enthält gegenüber dem Drittvergleich kein zusätzliches Kriterium, sondern nur eine andere Formulierung. 6. Ob ein Gesellschaftergeschäft zulässig ist oder nicht, hängt nicht davon ab, ob es mit den Pflichten eines ordentlichen Geschäftsleiters vereinbar ist. Das ergibt sich ua daraus, dass dieses Kriterium auch bei der Kapitalaufbringung unerheblich ist. 7. Irrelevant ist ferner, ob ein Gesellschafter causa societatis begünstigt wurde. 8. Die Unwirksamkeit einer verdeckten Sacheinlage scheint nicht damit vereinbar zu sein, dass bei inäquivalenten Austauschgeschäften im Allgemeinen nur die Differenz auszugleichen ist. Die Frage bedarf weiterer Analyse. 57

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Die Frage, ob diese Rechtsfolge (auch) mit der vom OGH angenommenen (Teil-) Nichtigkeit des Vertrages zusammenhängt, ist umstritten (ausführlich dazu Artmann in Jabornegg/Strasser, AktG5, § 52 Rz 72 mit zahlreichen weiteren Nachweisen) und wegen einer diesbezüglichen Kehrtwendung des BGH (12.3.2013, II ZR 179/12) derzeit besonders aktuell. Nähere Überlegungen dazu sind hier entbehrlich. Siehe zB Ettel in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2, § 20 Rz 40. Die Antwort ist keineswegs selbstverständlich, auch aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen (dazu etwa Hüffer, AktG10, § 27 Rz 23 f), kann hier aber nicht weiter erörtert werden.

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Reflexvorteil und Reflexschaden

„Reflexvorteil“ und „Reflexschaden“ im Gesellschaftsrecht Zur Identifikation von Schuldner und Gläubiger beim gesetzlichen Schuldverhältnis MARTIN TRENKER*

Rechtsfähige Gesellschaften (Verbände)1 sind zwar per definitionem eigene Rechtsträger. Anders als die natürliche Person stehen diese jedoch im Eigentum2 anderer Personen, sodass Vor- und Nachteile, die dem Verband zugefügt werden, wirtschaftlich (auch) die Anteilseigentümer, die Gesellschafter, treffen. Den gesetzlichen Schuldverhältnissen, wie Schadenersatz, unrechtmäßiger Bereicherung oder nützlicher Geschäftsführung ohne Auftrag (im Folgenden: GoA), aber auch der Insolvenzanfechtung,3 liegen überaus weite Definitionen des jeweils anspruchsbegründenden Tatbestandselements, nämlich der Schädigung oder Bereicherung, zugrunde, sodass fraglich ist, ob auch die Vor- und Nachteile der Anteilseigentümer darunter zu subsumieren sind. Dieselbe Frage stellt sich in einem allgemeineren Kontext für die Reflexwirkungen der Schädigung/Begünstigung eines Schuldners auf dessen Gläubiger. Ausgehend von einer aktuellen Entscheidung des 6. Senats des OGH4 zum Bereicherungsanspruch unter mehreren Gesellschaftern einer GmbH wegen Zuwendungen an diese wird versucht, Grundlagen für eine schärfere dogmatische Abgrenzung von Anspruchsgläubiger und -schuldner im Rahmen gesetzlicher Schuldverhältnisse zu erarbeiten. I. Problemaufriss *1234 1. Anlass der Überlegungen: OGH 16.11.2012, 6 Ob 47/11x Der Sachverhalt in der E 6 Ob 47/11x betraf die Sanierung einer Tochtergesellschaft (T) der klagenden Muttergesellschaft (Kl): T wurde durch nicht im Gesellschaftsvertrag vorgesehene Nachschüsse,5 die von der Mehrheit der Gesellschafter der Kl aufgebracht wurden, vor der Insolvenz bewahrt. Nach dem Vorbringen der Kl wurde damit auch der Fortbestand der Muttergesellschaft, also ihre eigene wirtschaftliche Existenz „gerettet“, zumal diese wegen zahlreicher übernommener Haftungen gemeinsam mit der Tochter in die Insolvenz geschlittert wäre. Nach der erfolgreichen Sanierung erhob die Muttergesellschaft nach Abtretung behaupteter Ansprüche der nachschießenden Gesellschafter (es geht also materiell um Ansprüche der Gesellschafter) Bereicherungsansprüche auf Grundlage von § 1043 ABGB gegen jenen Gesellschafter, der sich geweigert hatte, den Beitrag der Sanierungslast zu tragen, der seinem Anteil entsprochen hätte. Der evidente wirtschaftliche Vorteil des Beklagten bestand insb darin, dass ihm von der sanierten GmbH ein Darlehen zurückgezahlt wurde; auch wurden offene Mietentgelte beglichen. Alternativ hätten die nachschießenden Gesellschafter auf eine Bereicherungsabschöpfung *

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MMag. Dr. Martin Trenker ist Universitätsassistent am Institut für Zivilgerichtliches Verfahren der Universität Innsbruck. Zu diesem Begriffsverständnis U. Torggler, Gesellschaftsrecht AT und Personengesellschaften (2013) Rz 59; ders in Straube, Fachwörterbuch zum Handels- und Gesellschaftsrecht (2005) 184; abweichend zB K. Schmidt, Gesellschaftsrecht4 (2002) § 7.I.1.b und § 7.I.2.a: „organisationsrechtliches Verhältnis, das keine Rechtsfähigkeit voraussetzt“. Zum weiten Eigentumsbegriff des ABGB siehe nur § 353 leg cit. Zur Einordnung dieses Rechtsinstituts als gesetzliches Schuldverhältnis siehe zB Koziol/Welser, Grundriss des bürgerlichen Rechts II13 (2007) 396. OGH 16.11.2012, 6 Ob 47/11x, GesRZ 2013, 153 (Koppensteiner) = GES 2013, 13 (Fantur) = RWZ 2013, 10 (Wenger). Die „Nachschüsse“ wurden durch den Verzicht der Gesellschafter auf Darlehensforderungen und Ansprüche auf Mietzahlungen aufgebracht, was aber wertungsmäßig keinen ausschlaggebenden Unterschied zur Nachzahlung liquider Mittel macht.

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zielen können, weil der Wert des Geschäftsanteils ihres Mitgesellschafters gesteigert wurde, womit das Problem eine noch allgemeinere Dimension erlangt. Das Ergebnis eines „mittelbaren Profits“ der Anteilseigentümer „hinter“ dem Verband tritt nämlich prinzipiell bei jeder Vermögensverschiebung zugunsten des Verbands ein. Es stellt sich also dieselbe Frage wie in folgendem, auf das Wesentliche reduzierten Beispielsfall: Können die Gesellschafter Athos und Porthos gegen ihren Mitgesellschafter Aramis Ansprüche aufgrund ungerechtfertigter Bereicherung geltend machen, wenn sie mit ihren privaten Mitteln freiwillig die Sanierung der gemeinsamen Musketier-GmbH ermöglichen? Der OGH wies das Klagebegehren ab, weil eine nachträgliche Ausgleichspflicht dem Gesellschaftsvertrag widerspreche, der eine Pflicht zur Beteiligung an Sanierungsmaßnahmen gerade nicht vorsah. Eine Nachschusspflicht, auf die dieses Konstrukt zumindest im Ergebnis hinausläuft, müsse nämlich gem § 72 Abs 1 GmbHG im Gesellschaftsvertrag verankert sein.6 Das zwischen den Gesellschaftern bestehende Vertragsverhältnis lasse für die Anwendung von § 1043 ABGB keinen Raum.7 Dem OGH ist im Ergebnis zuzustimmen, die Begründung bedarf jedoch noch weitergehender Präzisierung. Zunächst erscheint es nicht restlos überzeugend, dass der OGH im Anschluss an Krejci .8 und unter Verweis auf die allgemein hM,9 dass ein Vertragsverhältnis zwischen Verkürztem und Bereichertem einen Verwendungsanspruch ausschließt, gerade wegen der fehlenden Regelung im Gesellschaftsvertrag einen 6

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Insoweit unstrittig, EBRV 236 BlgHH 17. Session, 81; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 (2007) § 72 Rz 6; Trenker in U. Torggler, GmbHG (2014) § 72 Rz 5. RIS-Justiz RS0020101 mit Beisatz T6. Krejci, Verweigerter Nachschuss und § 1043 ABGB, RdW 2011, 261 (263 f). Allgemein Koziol in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB3 (2010) § 1041 Rz 11; Rummel in Rummel, ABGB3, § 1041 Rz 9; Lurger in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01 (2012) § 1041 Rz 14, Vor §§ 1431 – 1435 Rz 16.

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Reflexvorteil und Reflexschaden Anspruch verneint.10 Denn der Nichtregelung von Nachschusspflichten kommt mE trotz §§ 72 ff GmbHG kein Erklärungswert hinsichtlich bereicherungsrechtlicher Ansprüche zu, wenngleich die dieser Bestimmung zugrunde liegende Wertung im Ergebnis sehr wohl entscheidungswesentlich ist (unten Pkt III.3.). Eine simple Modifikation des Sachverhalts zeigt ferner, dass die Begründung auf einer allgemeineren Ebene ansetzen muss. Würde die Sanierung nämlich (auch) von außenstehenden Dritten, etwa einzelnen Gläubigern finanziert, hilft ein Rückgriff auf die (fehlende) Regelung im Gesellschaftsvertrag nicht weiter. Zwischen Gläubigern und den sanierungsunwilligen Gesellschaftern besteht nämlich zweifellos keine vertragliche Beziehung, die einem derartigen Anspruch entgegenstehen könnte. Daher kann die Begründung des OGH auch keine Antwort darauf geben, ob zB der Gesellschafter Aramis bei Zuschüssen11 des Großgläubigers d’Artagnan im Zuge einer außergerichtlichen Sanierung an die GmbH einem Anspruch nach § 1043 ABGB ausgesetzt wäre.12 Die im vorliegenden Fall vom Kläger angeführten Vorteile des Beklagten, nämlich die Ermöglichung der Tilgung seines (Eigenkapital ersetzenden) Darlehens und der offenen Mieten, sind typische Vorteile eines (Dritt-)Gläubigers, sodass sich ferner folgende Frage stellt: Kann auch der Gläubiger d’Artagnan Bereicherungsansprüchen ausgesetzt sein, weil er aus der Verbesserung der Bonität seines Schuldners profitiert, wenn sich seine Befriedigungsaussichten und damit der „Wert“ seiner Forderung erhöht hat? 2. Rechtfertigung der Vermögensverschiebung im dreipersonalen Verhältnis In der Begründung zur E 6 Ob 47/11x wurde mE nicht hinreichend darauf eingegangen, dass sich der vorliegende Fall nicht wesensmäßig vom Problem der sog Versionsklage unterscheidet. Da es sich beim Verband um ein eigenes Zurechnungssubjekt handelt, war nämlich eine Vermögensverschiebung im dreipersonalen Verhältnis betroffen. Für Verwendungsansprüche gem § 1041 ABGB ist seit jeher Gegenstand heftiger Kontroversen, ob und inwieweit ein Rechtsgrund zwischen zwei Beteiligten auch Bereicherungsansprüche gegen Dritte ausschließt.13 Genau diese Problematik ist im vorliegenden Fall gegeben, weil die „Nachschüsse“ der Gesellschafter im Wege des Verzichts auf offene Forderungen gegenüber der GmbH keineswegs rechtsgrundlos geleistet wurden. Der zugrunde liegende Rechtsgrund könnte in einer Schenkung erblickt werden, weil den Gesellschaftern keine Gegenleistung zukommt. Aufgrund ihres erheblichen Eigeninteresses ist ein animus donandi freilich kaum zu unterstellen

ist, weshalb es vorzugswürdig ist, als Titel für den Eigentumserwerb der Gesellschaft die sog causa societatis .14 heranzuziehen (§ 1181 ABGB analog).15 An der Maßgeblichkeit dieser Problematik für den vorliegenden Fall ändert es auch nichts, dass es sich um einen Anspruch gem § 1043 ABGB handelt. Denn dieser wird als ein Unterfall des Verwendungsanspruchs gesehen16 und für eine unterschiedliche Behandlung des vorliegenden Problemkomplexes sind – wie der 6. Senat in vergleichbarem Zusammenhang selbst hervorhebt17 – keine Gründe ersichtlich. Nach der Rspr führt ein die Vermögensverschiebung rechtfertigendes Vertragsverhältnis stets zum Ausschluss von Verwendungsansprüchen und zwar auch gegenüber Dritten.18 Von der hL wird dagegen wegen der grundsätzlich zu beachtenden Relativität schuldrechtlicher Beziehungen zu Recht differenziert: Auf den Punkt gebracht sind demnach mE Verwendungsansprüche nur auszuschließen, soweit das Vertragsverhältnis und das darauf basierende Handeln des Verkürzten so zu interpretieren ist, dass dieser – im Falle von synallagmatischen Verträgen – das Risiko der Nichtzahlung durch seinen Vertragspartner in Kauf nimmt.19 Umgelegt auf die vorliegende Konstellation, in der die sanierungswilligen Gesellschafter Athos und Porthos causa societatis leisten, also ohne unmittelbaren Anspruch auf eine Gegenleistung, ist entscheidend, dass sie ausschließlich in der Hoffnung auf die „Rettung“ ihres Anteils geleistet haben. Mit anderen Worten: Es ging um die Aussicht auf zukünftige Gewinn-/Liquidationsauszahlungen. Eine Art „Ausfallshaftung“ des sanierungsunwilligen Mitgesellschafters Aramis oder gar des profitierenden Gläubigers d’Artagnan würde der Interessenlage dagegen nicht gerecht, und zwar auch nicht im Fall der erfolgreichen Sanierung. Denn die nachschießenden Gesellschafter mussten – wie der OGH zu Recht hervorhebt20 – wissen, dass ihre Mitgesellschafter nach der Wertung von §§ 72 ff GmbHG davor zu schützen sind, abgesehen von ihrer Einlageleistung noch weitere liquide Mittel in die Hand zu nehmen (dazu ausführlich unten Pkt III.3.). Eine bewusste Einlassung auf die Gefahr des „Trittbrettfahrens“ ist sogar umso mehr anzunehmen, als die Gesellschafter – wie Krejci .21 und Schopper .22 zutreffend hervorheben – eben nicht die Möglichkeit eines Eigenkapital ersetzenden Darlehens oder der Vereinbarung von Sondervorteilen für den Fall der gelungenen Sanierung gewählt haben. Geschweige denn haben sie den wohl effektivsten Weg beschritten, den mittelbaren Profit der sanierungsunwilligen Gesellschafter auszuschließen, nämlich eine (vereinfachte) Kapitalherabsetzung unter gleichzeitiger Kapitalerhöhung (= Kapitalschnitt).23 Dadurch würde nämlich im Falle der drohenden 14

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Vgl insoweit zutreffend Rüffler/Vonkilch, Bereicherungsausgleich bei assymetrischer Gesellschaftssanierung, ecolex-Script 2011, 1 (5 f). Auch diese dürften freilich regelmäßig im Wege bloßer Verzichtsleistungen erfolgen. Zu erwägen wäre freilich, ob zwischen Gläubigern und Gesellschaftern überhaupt eine für § 1043 ABGB erforderliche Gefahrengemeinschaft bestand (so Rüffler/Vonkilch, ecolex-Script 2011, 7 FN 55). Da die Insolvenz der Gesellschaft für beide Gruppen einen – wenn auch unterschiedlich hohen – Ausfall bedeuten würde und die Sanierung daher auch „einen größeren Schaden“ für beide abwenden würde, spräche vieles dafür, dies zu bejahen (vgl Krejci, RdW 2011, 266, der allerdings im Ergebnis auch wegen der ansonsten bestehenden Uferlosigkeit der Ansprüche bereits eine Gefahrengemeinschaft unter den Gesellschaftern verneint; dieser Gefahr ist indes mE bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals des „Vorteils“ zu begegnen [unten Pkt III.3.]). Dazu zB RIS-Justiz RS0028179; OGH 11.5.1955, 3 Ob 91/55; 19.11.1974, 4 Ob 200/74; 28.4.1999, 7 Ob 102/99x uam; Apathy, Der Verwendungsanspruch (1988) 81; F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts (1996) 264 (insb 272 f); Wilburg, Die „Subsidiarität“ des Verwendungsanspruches, JBl 1992, 545; vgl bereits Wilburg, Die Lehre von der ungerechtfertigten Bereicherung (1934) 60.

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Vgl Thiery, Nachschüsse, Zuschüsse und eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen in der GmbH-Bilanz, in FS Frotz (1993) 841 (849) zum Rechtsgrund für Nachschüsse gem § 72 GmbHG. Damit ist freilich nicht gesagt, dass diese Leistung nicht auch wie eine Schenkung der Annahme durch die Gesellschaft bedürfte. Rummel in Rummel, ABGB3, § 1043 Rz 7; Apathy in Schwimann, ABGB3, § 1043 Rz 1; Koziol in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB3, § 1043 Rz 2; Lurger in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01, § 1043 Rz 1. OGH 16.11.2012, 6 Ob 47/11x, Pkt 2. RIS-Justiz RS0028179, zB OGH 11.5.1955, 3 Ob 91/55; 19.11.1974, 4 Ob 200/74; 28.4.1999, 7 Ob 102/99x; zustimmend Rummel in Rummel, ABGB3, § 1041 Rz 10. Lurger in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01, § 1041 Rz 17; ausführlich idS auch Apathy, Verwendungsanspruch, 81 ff; F. Bydlinski, System, 276 ff. OGH 16.11.2012, 6 Ob 47/11x, Pkt 8. Krejci, RdW 2011, 264. Schopper in Jabornegg/Strasser, AktG5 (2011) § 49 Rz 44 aE. Dazu ausführlich Reich-Rohrwig, Sanierung durch vereinfachte Kapitalherabsetzung und -erhöhung, GesRZ 2001, 69; zur Zustimmungspflicht einzelner Gesellschafter kraft Treuepflicht BGH 20.3.1995, II ZR 205/94, NJW 1995, 1739 (Girmes).

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Reflexvorteil und Reflexschaden Insolvenz der Anteil des sanierungsunwilligen Gesellschafters quasi auf null reduziert, wenn er sich weigert, bei der anschließenden Kapitalerhöhung mitzuziehen. Die causa societatis für Zuwendungen einzelner Gesellschafter an den Verband ist daher zureichender Rechtsgrund für einen Ausschluss der Inanspruchnahme der mittelbar begünstigten Gesellschafter und Gläubiger. Es ist somit mE dogmatisch weniger die Rechtsbeziehung zwischen den Gesellschaftern, die einem Anspruch gem § 1043 ABGB entgegensteht, als vielmehr jene zwischen den sanierenden Gesellschaftern und der begünstigten Gesellschaft.24 3. Genereller Ausschluss der Ersatzpflicht für Reflexvorteile? Bereits angedeutet wurde, dass der vorliegende Sachverhalt Anlass zu weitergehenden, noch allgemeineren Überlegungen bietet. So ist zu untersuchen, was in jenen Konstellationen zu gelten hat, in denen auch der Rechtsgrund für die Vermögensverschiebung zugunsten des Verbands fehlt, also zB Produktionsmaschinen und -mittel von Rochefort ohne Rechtsgrund (versehentlich) für den Betrieb der GmbH verwendet wurden. In diesem Fall können sich die mittelbar bereicherten Gesellschafter Athos, Porthos und Aramis sowie der Großgläubiger der Musketier-GmbH d’Artagnan nicht mehr auf die auch ihren Vorteil rechtfertigende causa im Verhältnis des Verkürzten zum begünstigten Verband berufen. Dasselbe muss zumindest nach hM gelten, wenn der Rechtsgrund zwischen Rochefort und der GmbH erst nachträglich, zB durch Irrtumsanfechtung, wegfällt. Die Rspr geht nämlich davon aus, dass das Bestehen einer Leistungskondiktion gegen den (ehemaligen) Vertragspartner Verwendungsansprüche gegen Dritte nicht ausschließt, jedenfalls soweit ein Vertrag mit Wirkung ex tunc aufgehoben wurde.25 Eine Leistungskondiktion ist in diesen Fällen gem §§ 1431 ff ABGB von vornherein zu verneinen, weil eine Leistung eine zweckgerichtete Vermögensvermehrung durch (bewusste)26 Zuwendung erfordert27 und daher nur gegen denjenigen zulässig ist, dem die Leistung nach der beabsichtigten Zweckbeziehung zuzurechnen ist.28 Dementsprechend kommt bei der irrtümlichen Zahlung an die Gesellschaft eine Leistungskondiktion gem § 1431 ABGB gegen einen Gesellschafter nicht in Betracht. Dagegen legt eine nur am Wortlaut orientierte Auslegung der §§ 1041, 1043 ABGB das Verständnis nahe, dass auch mittelbar begünstige Gesellschafter und Gläubiger bereiche24

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Dies ist freilich nicht so zu verstehen, dass Vertragsbeziehungen zwischen zwei Beteiligten Ansprüche in jedem Drei-Personen-Verhältnis ausschließen würden. Beauftragt etwa ein Miteigentümer einen Werkunternehmer zur Vornahme von Reparaturen, die auch anderen Miteigentümern zugutekommen, schließt der Werkvertrag Ansprüche zwischen den Miteigentümern nicht aus (vgl OGH 18.2.1959, 2 Ob 56/59; 13.7.1989, 8 Ob 37/88). In dieser Konstellation ist der Werkvertrag zwar kausal für die Vermögensverschiebung zwischen den Miteigentümer, stellt aber gerade keinen Rechtsgrund für den Vorteil der anderen Miteigentümer im Verhältnis zum auftraggebenden Mitunternehmer dar. OGH 28.7.1998, 1 Ob 353/97m; ausführlich Lurger in Kletečka/Schauer, ABGBON1.01, § 1041 Rz 19. Berechtigte Kritik an diesem Kriterium, weil jede zweckgerichtete Zuwendung bewusst erfolgt, Schwab in MünchKomm BGB V6 (2013) § 812 Rz 41; kritisch hinsichtlich des Kriteriums der Zweckgerichtetheit Spielbüchler, Die Leistungskondiktion im System der kausalen Übereignung, JBl 2001, 38; ebenso Kerschner, Zum Leistungsbegriff im österreichischen Bereicherungsrecht, JBl 2013, 409. Rummel in Rummel, ABGB3, Vor § 1431 Rz 7; Mader in Schwimann, ABGB3, Vor §§ 1431 ff Rz 7. RIS-Justiz RS0033737, zB OGH 9.3.2006, 6 Ob 29/06t; 8.7.2009, 7 Ob 123/09b; Mader in Schwimann, ABGB3, Vor §§ 1431 ff Rz 26; Koziol in Koziol/Bydlinski/ Bollenberger, ABGB3, Vor §§ 1431 – 1437 Rz 3; Lurger in Kletečka/Schauer, ABGBON1.01, Vor §§ 1431 – 1437 Rz 5; vgl auch bereits zu einem ähnlichen Problem Wilburg, Lehre, 113.

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rungsrechtlich zur Rückzahlung verpflichtet sind. Denn nach der „eigenthümlichen Bedeutung“ der Worte (§ 6 ABGB) ist kaum zweifelhaft, dass Gesellschafter/Gläubiger einen entsprechenden „Vorteil “ (§ 1043 ABGB) erlangen bzw die Mittel der Sanierenden zu ihrem „Nutzen“ (§ 1041 ABGB) verwendet wurden, soweit der Verband aus der Verwendung einer fremden Sache bereichert ist. Das muss insb gelten, wenn man – wie bisweilen vertreten wird29 – von einer extensiven Auslegung dieser Tatbestandsmerkmale ausgeht und damit den Kreis der Bereicherungsschuldner weit zieht.30 Dies stünde auch im Einklang mit der von der Rspr zunehmend herangezogenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise.31 Dennoch vertritt Schopper .32 gerade im vorliegenden Zusammenhang, dass indirekte Vorteile („Reflexvorteile“) nach § 1043 ABGB nicht ersatzfähig sind. Im Folgenden wird zu zeigen sein, dass diese Ansicht zutrifft und eine Haftung für die dargestellten Reflexvorteile mit gesetzlichen Wertungen unvereinbar wäre und auch in einem Spannungsverhältnis zum spiegelbildlichen Problem stünde, nämlich der Ersatzfähigkeit von Reflexschäden. Zuvor ist noch eine terminologische Klarstellung geboten. 4. Definition der Reflexschäden und -vorteile Jhering.33 hat in seiner grundlegenden Untersuchung zur Reflexwirkung diese sehr treffend als „eine durch besondere Verhältnisse bedingte und ausschließlich durch sie herbeigeführte ökonomisch vorteilhafte oder nachtheilige Folge einer in der Person des Einen eingetretenen Thatsache für eine dritte Person“ definiert. Die der vorliegenden Arbeit zugrunde zu legende Umschreibung ist aber insofern enger, als sie sich einerseits darauf beschränkt, Vorteile oder Schäden zu betrachten, die aufgrund eines relativen Rechtsverhältnisses34 zu einem anderen Rechtsträger eintreten. Zweitens muss dieses Verhältnis so beschaffen sein, dass sich der Vor- oder Nachteil des Dritten zwangsläufig aus dem Vor- oder Nachteil des einen ergibt und sich auch darin erschöpft. Ein Reflexvorteil ist demnach ein ökonomischer Vorteil, der allein aus der Vermögensvermehrung beim unmittelbar Bereicherten resultiert und wegen der relativen Beziehung zu diesem zwangsläufig eintritt. II. Keine Ersatzfähigkeit bloßer Reflexschäden 1. Regelmäßig fehlender Rechtswidrigkeitszusammenhang Aufschlussreich ist zunächst ein Blick auf die Rechtslage bei einer Schädigung der Gesellschaft: Diese Konstellation ist nämlich gewissermaßen die Kehrseite der Medaille des bisher 29

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Ausdrücklich dafür Lurger in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01, § 1041 Rz 9; vgl auch Apathy in Schwimann, ABGB3, § 1041 Rz 4 („Verbesserung der Verhältnisse“); Rummel in Rummel, ABGB3, § 1041 Rz 5, wonach der Nutzen in der Ersparnis von Aufwendungen liegen oder sogar nicht vermögensrechtlicher Natur sein kann, solange er in Geld messbar ist. Apathy, Verwendungsanspruch, 74 („jeder andere, der unberechtigt aus der fremden Sache Nutzen gezogen hat“) und 77 („soweit mehrere Personen ... sonst Nutzen ziehen, haften alle dem Verkürzten“). Vgl nur OGH 21.3.2013, 5 Ob 18/13b (Mietrecht); 27.5.2004, 6 Ob 52/04x (Insolvenzanfechtung); RIS-Justiz RS0030206 (Schadenersatz); kritisch allerdings jüngst, mE in casu zu Recht OGH 19.3.2013, 4 Ob 232/12i (Unternehmereigenschaft eines Gesellschafters). Schopper in Jabornegg/Strasser, AktG5, § 49 Rz 44. Jhering, Die Reflexwirkungen oder die Rückwirkung rechtlicher Thatsachen auf dritte Personen, JherJB 10 (1871), 245 (284 f). Damit sollen vor allem Vorteile ausgeklammert werden, die sich aus rein faktischen Begebenheiten ergeben. Weniger ist damit eine scharfe Abgrenzung von dinglichen Ansprüchen bezweckt. Ob ein Gläubiger zB auch ein dingliches Pfandrecht erworben hat, ändert dementsprechend idR nichts an der Betrachtung (vgl unten Pkt III.4.4.).

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Reflexvorteil und Reflexschaden dargestellten Problems, geht es doch darum, dass jeder Schaden der Gesellschaft zwangsläufig einen anteiligen Schaden ihrer Gesellschafter darstellt. Zum einen verliert ihr Geschäftsanteil an Wert, zum anderen werden sie mittelbar insofern geschädigt, als sich ihr potenzieller Gewinnanspruch bzw ihre potenzielle Liquidationszahlung vermindert. Solche Schäden sind zwar zweifellos unter den weiten Schadensbegriff des ABGB zu subsumieren, weil nach hM jeder Zustand einen Schaden darstellt, an dem ein geringeres rechtliches Interesse als am bisherigen besteht.35 Dennoch ist weitestgehend unstrittig, dass (Kapital-)Gesellschaftern grundsätzlich36 kein Schadenersatzanspruch aufgrund der Schädigung des Gesellschaftsvermögens zusteht.37 Die in der Lehre angeführten Begründungen hierfür sind unterschiedlich, laufen im Kern aber auf Folgendes hinaus: Die Anerkennung des Verbands als selbständiges Zurechnungssubjekt bedingt die Qualifikation derartiger Reflexschäden als bloß mittelbare oder reine (bloße) Vermögensschäden. Während die Beschädigung eines PKW der Gesellschaft durch Kardinal Richelieu somit eine Schädigung der Musketier-GmbH in ihrem absolut geschützten Eigentumsrecht ist,38 ist die damit verbundene Minderung des Werts des Geschäftsanteils von Athos, Porthos und Aramis lediglich ein reiner Vermögensschaden. Für dessen Ersatzfähigkeit fehlt es aber zum einen regelmäßig an einer ausreichenden Grundlage39 und zum anderen am erforderlichen Rechtswidrigkeitszusammenhang, wie Reischauer.40 und U. Torggler.41 konstatieren.42 Jene Bestimmungen, die dem Schutz des Eigentums oder sonstiger verletzter Güter der Gesellschaft dienen, haben nämlich mE ebenso wenig den Zweck, die dahinterstehenden Gesellschafter zu schützen wie sonstige, bloß schuldrechtlich mit dem Verband in Verbindung stehende Personen.43 Der Reflexschaden eines Gesellschafters unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht wesensmäßig von der Schädigung eines gewöhnlichen Gläubigers durch die (unmittelbare) Schädigung seines Schuldners. Auch hier führt, wie bspw in den berühmten Stromkabelfällen,44 die Schädigung einer eigenständigen Person zwar zu einem Nachteil für einen Dritten, indem durch die schädigende Handlung

der vertragsgemäße Anspruch des Gläubigers beeinträchtigt wird. Wie nicht zuletzt aus § 1327 ABGB abgeleitet wird,45 bietet das ABGB jedoch keine Grundlage für die Ersatzfähigkeit solcher mittelbarer oder bloßer Vermögensschäden, die zu einem uferlosen Kreis der Ersatzberechtigten führen würde. Dies gilt erst recht für jene Fälle, in denen eine Schädigung eines Schuldners lediglich dazu führt, dass dessen Gläubigern ein verminderter Haftungsfonds zur Verfügung steht. Andernfalls wären auch die speziellen gesellschaftsrechtlichen Gläubigerschutzbestimmungen nach § 10 Abs 6 GmbHG, § 25 Abs 5, 7, § 84 Abs 5 Satz 3 AktG überflüssig.46 Dies gilt mE entgegen der Ansicht des BGH47 auch, wenn ein Gesellschafter (freiwillig) den Schaden gegenüber der Gesellschaft ersetzt; unberührt bleibt diesfalls selbstverständlich ein Bereicherungsanspruch des Gesellschafters gegen den insofern bereicherten Schädiger gem § 1042 ABGB. Ein Anspruch eines reflexartig Geschädigten ergibt sich auch nicht allein daraus, dass von der Gesellschaft keine Rechtsverfolgung zu erwarten ist.48 Dogmatisch davon zu trennen ist die Frage, ob dem einzelnen Gesellschafter nicht für Ansprüche mitgliedschaftlicher Natur, also insb bei Schädigung durch Mitgesellschafter oder (Gesellschafter-)Geschäftsführer, die actio pro socio als Individualrecht zu gewähren ist. Von vornherein kommt dies nur bei einer Schädigung durch intranei, also Mitgesellschafter oder (Gesellschafter-)Geschäftsleiter, in Betracht. Die Möglichkeit der actio pro socio ist im Personengesellschaftsrecht zu bejahen,49 im Kapitalgesellschaftsrecht aber spätestens seit dem IRÄG 1997 wegen der Miteinbeziehung von Ansprüchen gegen Mitgesellschafter in § 48 GmbHG, § 134 AktG abzulehnen.50 Auf die darin normierten Minderheitsrechte sind die Kapitalgesellschafter somit beschränkt. Gläubigern verbleibt die Möglichkeit der Pfändung und Überweisung zur Einziehung; selbst nach eingetretener Verjährung ist zumindest eine Anfechtung der unterlassenen Geltendmachung nach § 7 AnfO bzw § 36 IO denkbar.51

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Ausnahmsweise können indes auch die Voraussetzungen für eine Haftung für reine Vermögensschäden der Gesellschafter bzw der erforderliche Rechtswidrigkeitszusammenhang gegeben sein: Zu denken ist namentlich an die Übertretung eines Schutzgesetzes (§ 1311 ABGB), das (auch) die Gesellschafter in seinen Schutzbereich miteinbezieht.52 Im Grundsatz anerkannt ist auch die Haftung für reine Vermögens-

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RIS-Justiz RS0022537, zB OGH 10.9.2012, 10 Ob 88/11f; vgl auch RIS-Justiz RS0022477; kritisch Reischauer in Rummel, ABGB3, § 1293 Rz 1; antikritisch Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht I3 (1997) Rz 2/1 f; G. Kodek in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.00 (2010) § 1293 Rz 2. Siehe sogleich im Fließtext. OGH 20.11.1991, 1 Ob 617/91; 22.12.1994, 2 Ob 591/94; 2.10.2002, 9 Ob 208/02g; 18.3.2003, 10 Ob 4/03s; RIS-Justiz RS0029390; RS0059432 mit Beisatz T1; U. Torggler, Zum deliktischen Schutz der Mitgliedschaft(-srechte), JBl 2003, 747 (750 f); ders, Gesellschaftsrecht, Rz 480 ff; Kastner/Doralt/Nowotny, Grundriß des österreichischen Gesellschaftsrechts5 (1990) 241 und 395 FN 196; Reich-Rohrwig, GmbHRecht I2 (1997) Rz 2/503 ff; Harrer in Schwimann, ABGB3, § 1295 Rz 152; Kalss in MünchKomm AktG3, § 117 Rz 98; G. Kodek in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.00, § 1295 Rz 82; Ch. Nowotny in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2 (2012) § 84 Rz 23; RG 21.9.1938, II 183/37, RGZ 158, 248; BGH 4.3.1985, II ZR 271/83, NJW 1985, 1777; 11.7.1988, II ZR 243/87, NJW 1988, 2794; Habersack, Die Mitgliedschaft – subjektives und „sonstiges“ Recht (1996) 154 (insb 158); Baums, Ersatz von Reflexschäden in der Kapitalgesellschaft, ZGR 1987, 554 (557); Mertens, Schadensfragen im Kapitalgesellschaftsrecht, in FS Lange (1992) 561 (570); Spindler in MünchKomm AktG3, § 117 Rz 52 uvm. Reischauer in Rummel, ABGB3, § 1332 Rz 24; OGH 24.6.1997, 1 Ob 152/97b; vgl auch noch zum Charakter der Mitgliedschaft als (eingeschränkt) absolut geschütztes Rechtsgut unten Pkt II.2. bei und in FN 54 ff. RIS-Justiz RS0022813, zB OGH 26.11.1992, 1 Ob 601/92; Koziol, Haftpflichtrecht I3, Rz 4/36. Reischauer in Rummel, ABGB3, § 1295 Rz 7 und 26. U. Torggler, Gesellschaftsrecht, Rz 480 (Schutzbereich der übertretenen Norm). Vgl in Deutschland ausdrücklich § 117 Abs 1 Satz 2 dAktG. Vgl Koziol, Haftpflichtrecht I3, Rz 8/39 f; Karner in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB3, § 1295 Rz 13. Siehe dazu die Nachweise in FN 43.

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2. Ausnahmsweise Anspruch auf Leistung ins Gesellschaftsvermögen

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Statt vieler Danzl, Mittelbare Schäden im Schadenersatzrecht, ZVR 2002, 363 (364); Koziol, Haftpflichtrecht I3, Rz 12/80 und 13/2; Reischauer in Rummel, ABGB3, § 1295 Rz 26; aA Kramer, Der überflüssige, „mittelbare“ Schade, ZVR 1971, 141. G. Frotz, Grundsätzliches zur Haftung von Gesellschaftsorganen und für Gesellschaftsorgane, GesRZ 1982, 98. BGH 10.11.1986, II ZR 140/85, NJW 1987, 1077; ebenso Baums, ZGR 1987, 559. AA LG Hamburg 11.7.1997, 324 O 69/96, WM 1998, 497. ZB Jabornegg/Artmann in Jabornegg/Artmann, UGB I2 (2010) § 114 Rz 23 und § 108 Rz 11 mwN. Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3, § 48 Rz 16 mwN; nunmehr auch U. Torggler, Treuepflichten im faktischen GmbH-Konzern (2007) 122 FN 698a; ders, JBl 2003, 757; aA Harrer, Haftungsprobleme bei der GmbH (1990) 213; Hadding, Zur Einzelklagebefugnis des Gesellschafters einer GmbH nach deutschem und österreichischem Recht, GesRZ 1984, 32 (42 f). Vgl Rebernig in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze, § 36 KO Rz 11. Bayer, Aktionärsklagen de lege lata und de lege ferenda, NJW 2000, 2609 (2610); Spindler in MünchKomm AktG3, § 93 Rz 273 ff; allgemein OGH 20.5.1992, 1 Ob 562/92; 26.11.1992, 1 Ob 601/92; RIS-Justiz RS0022813.

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Reflexvorteil und Reflexschaden schäden bei absichtlicher, sittenwidriger Schädigung der Gesellschafter (§ 1295 Abs 2 ABGB).53 Aus der Qualifikation der Mitgliedschaft als eigenständiges subjektives Recht54 ist ein Ersatzanspruch des einzelnen Gesellschafters ferner abzuleiten, wenn ein Eingriff in die absolut geschützte Rechtszuständigkeit, etwa durch Verfügung über eine fremde Mitgliedschaft,55 oder ein rechtswidriger Eingriff in einzelne Mitgliedschaftsrechte vorliegen. Der Schutzbereich der Mitgliedschaft ist freilich überaus umstritten.56 Dieses Problem kann und muss im vorliegenden Rahmen aber nicht näher thematisiert werden, weil die konkret maßgebliche Einschränkung weitestgehend unumstritten ist, dass allein eine Schmälerung des Werts der Mitgliedschaft durch eine bloße Verringerung des Gesellschaftsvermögens nicht anspruchsbegründend ist.57 Einer solchen Ersatzpflicht steht nämlich die mit der Selbständigkeit von Verbänden eng zusammenhängende Trennung zwischen dem Gesellschafts- und Gesellschaftervermögen entgegen. Erblickte man demgegenüber in jeder Schädigung der Gesellschaft zugleich einen ersatzfähigen Schaden der Gesellschafter, würde die Anspruchsgeltendmachung durch die Gesellschafter zu einer Aushöhlung des Gesellschaftsvermögens führen, die der Zweckwidmung dieses Vermögens widerspräche. Denn ähnlich wie bei einer Gesamtgläubigerschaft58 ist es naheliegend, dass die Entschädigung der Gesellschafter den Ersatzanspruch der Gesellschaft (anteilig) kürzen würde.59 Im obigen Beispiel (Pkt II.1.) könnten dementsprechend Athos, Porthos oder Aramis anteiligen Wertersatz für den beschädigten PKW nur zulasten der Musketier-GmbH erlangen, die die Eigentümerin des PKW ist. Dies steht aber evident im Widerspruch zur Trennung der Vermögenssphären zweier Rechtssubjekte und führt zu einer Ungleichbehandlung der Gesellschafter. Im Kapitalgesellschaftsrecht kommt hinzu, dass ein dadurch ermöglichter verdeckter Vermögensabzug dem Grundsatz der Kapitalerhaltung (§ 82 GmbHG; § 52 AktG) widerspricht. Aus der Vermögenszuordnung zur Gesellschaft und der damit verbundenen Vermögensbindung resultiert im Übrigen auch die Erkenntnis, dass ein – aufgrund rechtswidrigen Eingriffs in sein Mitgliedschaftsrecht oder sonstiges Vermögen ausnahmsweise – ersatzberechtigter Gesellschafter nur Ersatz53

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Fleischer in MünchKomm GmbHG II (2012) § 43 Rz 338; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG19 (2010) § 43 Rz 64 – jeweils mwN; vgl allgemein OGH 20.5.1992, 1 Ob 562/92; Reischauer in Rummel, ABGB3, § 1295 Rz 81 und § 1332 Rz 24. Soweit § 100 AktG als spezielle Ausprägung von § 1295 Abs 2 ABGB anzusehen ist, geht der OGH (22.12.1994, 2 Ob 591/94) wohl vom Gegenteil aus. Wenn sich der Vorsatz konkret auf die Schädigung der Gesellschafter erstreckt, sprechen mE indes die besseren Gründe für eine Anspruchsberechtigung des geschädigten Aktionärs, womit freilich noch nichts über die Art der Ersatzleistung gesagt ist (dazu sogleich im Fließtext). Ausführlich Habersack, Mitgliedschaft, 21 ff. U. Torggler, JBl 2003, 749 f; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3, § 75 Rz 4. Siehe dazu zB U. Torggler, JBl 2003, 750 ff; Habersack, Mitgliedschaft, 258 ff; Mertens, Deliktsrecht und Sonderprivatrecht – Zur Rechtsfortbildung des deliktischen Schutzes von Vermögensinteressen, AcP 178 (1978), 227; ders in Hachenburg, GmbHG (1992) § 43 Rz 104 ff; K. Schmidt, Die Vereinsmitgliedschaft als Grundlage von Schadensersatzansprüchen, JZ 1991, 157; zum Meinungsstand ausführlich U. Torggler, JBl 2003, 747 f; Bayer, NJW 2000, 2612 bei und in FN 43 f; Spindler in MünchKomm AktG3, § 93 Rz 267 ff. U. Torggler, JBl 2003, 751; Reich-Rohrwig, GmbH-Recht I2, Rz 2/503; Bayer, NJW 2000, 2612; Spindler in MünchKomm AktG3, § 93 Rz 268 sowie allgemeiner die Nachweise unter FN 37. Eine „echte“ Gesamtgläubigerschaft ist nicht gegeben, zumal diese eine ausdrückliche Vereinbarung voraussetzt (zB Perner in Klang, ABGB3, § 892 Rz 1, 6). Vgl Gamerith in Rummel, ABGB3, § 892 Rz 1; G. Kodek in Kletečka/Schauer, ABGBON1.00, § 892 Rz 1.

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leistung an die Gesellschaft verlangen kann,60 soweit ihn kein über den Schaden der Gesellschaft hinausgehender unmittelbarer Vermögensnachteil trifft.61 Trotz der lediglich anteiligen Schädigung kann der Gesellschafter allerdings diesfalls den gesamten Gesellschaftsschaden zugunsten der Gesellschaft einfordern.62 Nur so wird nämlich sein Schaden vollständig ausgeglichen, weil ihm auch die Ersatzleistung nur aliquot zugutekommt. Dogmatisch resultiert dies aus dem Vorrang der Naturalrestitution (§ 1323 ABGB). Dieser ist nach hM63 nämlich insoweit zwingend, als durch das von der Rspr 64 ansonsten gewährte Wahlrecht zwischen Geldersatz und Naturalrestitution nicht in berechtigte Interessen des Schädigers eingegriffen werden darf. Dies wäre aber der Fall, weil der Schädiger – will man nicht in den aufgezeigten Konflikt mit dem Kapitalerhaltungsgrundsatz und der Gleichbehandlung der Gesellschafter geraten – durch Leistung an den Gesellschafter nicht von seiner Ersatzpflicht gegenüber dem Verband befreit werden könnte und daher zweimal leisten müsste. Als Zwischenergebnis bleibt jedenfalls festzuhalten, dass wirtschaftliche Nachteile einer Person, die sich bloß aus der Verletzung der Rechtsgüter eines anderen Rechtsträgers ergeben, idR nicht ersatzfähig sind. Die Beachtung des verbandsrechtlichen Trennungsprinzips führt nämlich dazu, dass es regelmäßig am erforderlichen Rechtswidrigkeitszusammenhang bzw einer Grundlage für den Ersatz reiner Vermögensschäden mangelt. Selbst wenn dies ausnahmsweise nicht der Fall sein sollte, kann der Gesellschafter nur Naturalrestitution durch Leistung ins Gesellschaftsvermögen verlangen. Das gilt mE grundsätzlich auch im Recht der OG und KG, wobei allerdings die Besonderheit zu beachten ist, dass die Verletzung von Sozialpflichten zwar auch rechtswidrig gegenüber den Mitgesellschaftern ist, aber ohnehin mittels actio pro socio geltend gemacht werden kann. 3. Exkurs: Ersatzfähiger Reflexschaden bei Kartellrechtsverstößen? Bevor nun zum Problem der Reflexvorteile zurückzukehren ist, sei noch ein Wort zum Schadenersatzanspruch aus Kartellrechtsverstößen erlaubt: Auch hier gelten mE die genannten Einschränkungen für Reflexschäden. Dies ist deshalb bemerkenswert, weil der EuGH aus dem primärrechtlichen Effektivitätsprinzip ableitet, dass „jedermann“ Ersatz des Schadens verlangen kann, der ihm aus kartellrechtlich verbotenen Verhaltensweisen entstanden ist.65 Entgegen einem streng wörtlichen Verständnis ist „jedermann“ mE aber wohl 60

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U. Torggler, JBl 2003, 752; ders, Gesellschaftsrecht, Rz 482; BGH 10.11.1986, II ZR 140/85, WM 1987, 13; 22.10.1984, II ZR 2/84, NJW 1985, 1900; 5.6.1975, II ZR 23/74, BGHZ 65, 15; Baums, ZGR 1987, 558; Raiser, Das Recht der Gesellschafterklagen, ZHR 153 (1989), 1 (10); Bayer, NJW 2000, 2610; Fleischer in Spindler/ Stilz, AktG2 (2010) § 93 Rz 323. OGH 22.12.1994, 2 Ob 591/94; G. H. Roth/Fitz, Leviathan und der Kleinaktionär, RdW 1985, 99; Kastner/Doralt/Nowotny, Gesellschaftsrecht5, 395 FN 196; U. Torggler, JBl 2003, 752; ders, Gesellschaftsrecht, Rz 482. U. Torggler, JBl 2003, 752 f; Baums, ZGR 1987, 559; Brandes, Ersatz von Gesellschafts- und Gesellschafterschaden, in FS Fleck (1988) 13 (16 ff); vgl BGH 5.6.1975, II ZR 23/74. RIS-Justiz RS0053254 mit Beisatz T2, zB OGH 12.10.2004, 1 Ob 264/03k; Trenker, Die hypothetische Alternativveranlagung, ÖJZ 2013, 5 (10); Hinteregger in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01, § 1323 Rz 9. RIS-Justiz RS0112887, zB OGH 3.11.2005, 6 Ob 180/05x; 21.12.1999, 4 Ob 343/99s. EuGH 13.7.2006, verb Rs C-295/04 bis C-298/04, Manfredi, Rn 60; 20.9.2001, Rs C-453/99, Courage und Crehan, Rn 26; kritisch dazu aus kompetenzrechtlicher Sicht zB Meesen, Überdehnung des europarechtlichen Effektivitätsgrundsatz in Courage und Manfredi, in FS Loewenheim (2009) 505.

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Reflexvorteil und Reflexschaden nicht schrankenlos weit zu interpretieren,66 sondern zumindest für jene Fälle einzuschränken, in denen die Effektivität des Unionsrechts nicht beeinträchtigt wird. Gerade wenn es sich um Schäden handelt, die bloß die Folge der Schädigung eines selbständigen Rechtsträgers sind, wird die Präventivwirkung der Ersatzpflicht insoweit nicht gefährdet, als der Kartellant ohnehin vom unmittelbar Geschädigten zur Haftung herangezogen werden kann. Der Schaden des Gesellschafters resultiert auch nicht daraus, dass er selbst in irgendeiner Weise, sei es als Verbraucher oder Unternehmer, in jenem wirtschaftlichen Betätigungsfeld aufgetreten ist, das vom Kartellrechtsverstoß betroffen war. Selbst wenn man entgegen der hier vertretenen Ansicht Gesellschafter als wirtschaftliche Eigentümer des geschädigten Rechtsträgers in den Schutzbereich der Art 101 ff AEUV miteinbeziehen wollte, kann der Gesellschafter nur Leistung an die Gesellschaft verlangen: Erstens ist die dogmatische Rechtfertigung hierfür, nämlich die Anerkennung der Eigenständigkeit von Verbänden, auch europarechtlich verankert, bspw durch Art 11 f der aktuellen67 Publizitätsrichtlinie 2009/ 101/EG. Zweitens hat der EuGH selbst als haftungsbegrenzendes Element der „Jedermann-Rspr“ das Bereicherungsverbot des Geschädigten anerkannt.68 Genau dies wäre bei einer doppelten Schadensliquidation durch die Gesellschaft und ihre Gesellschafter der Fall. Erwachsen daher der MusketierGmbH durch unzulässige Preisabsprachen von Kardinal Richelieu und Lady de Winter Gewinneinbußen, steht der Ersatzanspruch mE allein der Musketier-GmbH zu; selbst wenn man aber der Ansicht ist, dass die Effektivität des Unionsrechts durch die mangelnde Aktivlegitimation reflexartig geschädigter Gesellschafter ungebührlich beeinträchtigt würde, können Athos, Porthos oder Aramis lediglich Leistung an die Musketier-GmbH fordern. III. Keine Ersatzpflicht wegen Erlangung bloßer Reflexvorteile 1. Betroffene Rechtsinstitute: Bereicherungsrecht, Geschäftsführung ohne Auftrag, Insolvenzanfechtung Aufbauend auf den vorstehenden Ausführungen ist die Brücke vom „Reflexschaden“ zum „Reflexvorteil“ im Bereicherungsrecht einfach zu schlagen. Auch hier kann zunächst festgehalten werden, dass es der Systematik des Bereicherungsrechts sowie dem allgemeinen Rechtsgefühl widerspräche, den Verkürzten mehrfach zu „entschädigen“, indem ein und derselbe Vorteil sowohl vom unmittelbar als auch vom mittelbar Begünstigten abgeschöpft würde. Fraglich ist nur, ob dem Verkürzten ein Wahlrecht zustehen soll, ob dieser die unmittelbar bereicherte Musketier-GmbH oder die dahinterstehenden Anteilsinhaber Athos, Porthos und Aramis belangen kann. Mit anderen Worten: Es geht darum, ob Gesellschaft und Gesellschafter – zumindest im Ausmaß der Bereicherung des einzelnen Anteilsinhabers – Gesamtschuldner iSd §§ 888 ff ABGB69 sind. 66

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So auch bereits Eilmansberger, Schadenersatz wegen Kartellverstoßes: Zum EuGHUrteil Courage – Crehan, ecolex 2002, 28 (30). Vgl früher Art 11 der Publizitätsrichtlinie 68/151/EWG. EuGH 13.7.2006, verb Rs C-295/04 bis C-298/04, Manfredi, Rn 94; dazu etwa Weyer, Schadenersatzansprüche gegen Private kraft Gemeinschaftsrecht, ZEuP 2003, 318 (340). Nach hM ist dafür nicht einmal Voraussetzung, dass die Verpflichtung auf einem gemeinsamen Rechtsgrund basiert; OGH 18.4.1989, 4 Ob 539/89; Gamerith in Rummel, ABGB3, § 896 Rz 1 mwN; aA Perner in Klang, ABGB3, § 888 Rz 10.

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Die aufgezeigte Problematik stellt sich aber nicht bloß im Bereicherungsrecht, sondern ist auf weitere gesetzliche Schuldverhältnisse übertragbar. Zunächst drängt sich eine Parallele zur nützlichen GoA (§ 1037 ABGB) auf, beruht doch auch dieses Rechtsinstitut auf bereicherungsrechtlichen Gedanken.70 Dies zeigt sich deutlich daran, dass der Aufwandersatzanspruch des Geschäftsführers ohne Auftrag einen „Vorteil “ des vermeintlichen Geschäftsherrn voraussetzt und mit dessen Höhe auch begrenzt ist.71 Daher hängt es von der Definition des „Vorteils“ iSd § 1037 ABGB maßgeblich ab, ob auch der aus der Begünstigung einer anderen Person resultierende Vermögenszuwachs die Ersatzpflicht eines reflexartig Begünstigten begründen kann.72 Repariert also Rochefort ohne vertragliche Verpflichtung das Geschäftsgebäude der Musketier-GmbH, ist fraglich, ob ihm Athos, Porthos und Aramis für die daraus resultierende Wertsteigerung ihres Geschäftsanteils haften. Ganz allgemein ist diese Frage bei der Anwendung all jener Bestimmungen zu beantworten, die explizit einen Ausgleichsanspruch anordnen, der auf dem Rechtsgedanken des Verbots ungerechtfertigter Bereicherung basiert (zB §§ 331, 336, 379, 415 Satz 2, §§ 416 ff ABGB). Aber auch außerhalb des ABGB stellt sich die vorliegende Problematik, wenn man auf die Kriterien blickt, die einen Anfechtungsgegner für die Insolvenzanfechtung gem §§ 27 ff IO identifizieren. Im Anfechtungsrecht fehlt zwar entgegen der insoweit irreführenden Marginalrubrik zu § 38 IO eine Definition des Anfechtungsgegners; dennoch ist die Ansicht weit verbreitet, dass als Anfechtungsgegner grundsätzlich jedermann in Betracht kommt, der aus der anfechtbaren Handlung einen Vermögensvorteil erlangt hat bzw zu dessen Gunsten eine Rechtshandlung vorgenommen wurde.73 Das Tatbestandsmerkmal des Vermögensvorteils wird weit gezogen, sodass auch mittelbare Vorteile ausreichend sein sollen.74 Wiederum stellt sich besonders im Verbandsrecht die Frage, ob dies auch für Vorteile gelten kann, die lediglich zwangsläufige Folge der wirtschaftlichen Verflechtung des ins Auge gefassten Anfechtungsgegners mit den Vermögensverhältnissen des unmittelbar Begünstigten sind. Sind also Athos, Porthos und Aramis oder gar der Gläubiger d’Artagnan potenzielle Anfechtungsgegner, wenn Lady de Winter in den letzten zwei Jahren vor Insolvenzeröffnung der Musketier-GmbH ihr Sparbuch schenkt (§ 29 IO)? Im Anfechtungsrecht weist die Problematik insofern eine zusätzliche Dimension auf, als anders als im Bereicherungsrecht neben dem „Vorteil“ weitere, regelmäßig subjektive Tatbestandsmerkmale für die Anwendung der §§ 27 ff IO erforderlich sind; daher dürfte es keine Seltenheit sein, dass die erforderlichen Anspruchsvoraussetzungen zwar nicht bei der Gesellschaft, aber unter 70

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Meissel, Geschäftsführung ohne Auftrag (1993) 207; Apathy in Schwimann, ABGB3, § 1035 Rz 2; Lurger in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01, § 1035 Rz 3; vgl bereits Zeiller, Commentar über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch III (1812) § 1041 Anm 2. OGH 11.12.2006, 7 Ob 247/06h; Rummel in Rummel, ABGB3, § 1037 Rz 5; Koziol in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB3, § 1037 Rz 3; vgl auch RIS-Justiz RS0019828 (zu § 1097 ABGB). Vgl aber noch unten Pkt III.2. zur fehlenden Qualifikation des Geschäfts als solches der einzelnen Gesellschafter. RIS-Justiz RS0064554, zB OGH 25.2.1988, 7 Ob 723/87; Albert Ehrenzweig, Kommentar zur Anfechtungsordnung und zu den Anfechtungsnormen der Konkursordnung (1916) 373; König, Die Anfechtung nach der Konkursordnung4 (2009) Rz 4/2; dazu Trenker, Insolvenzanfechtung gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen (2012) 43. Albert Ehrenzweig, Anfechtungsordnung, 373 f; Bartsch/Pollak, Konkursordnung, Ausgleichsordnung, Einführungsverordnung und Geschäftsaufsichtsgesetz I3 (1937) § 28 Anm 6; wN bei König, Anfechtung4, Rz 4/2; siehe freilich nunmehr König, Die Anfechtung im Insolvenzverfahren5 (2014) Rz 4/3.

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Reflexvorteil und Reflexschaden Umständen bei einzelnen Gesellschaftern erfüllt sind. Denn das Wissen der Gesellschaft ist mit dem ihrer Gesellschafter keineswegs zwangsläufig identisch.75 2. Kein „Geschäft“ der Gesellschafter iSd §§ 1035 ff ABGB Der Begriff des Reflexvorteils wird in Lehre und Rspr soweit ersichtlich kaum behandelt. Bisweilen wird das Kriterium des Reflexvorteils im Recht der GoA zur Abgrenzung zwischen Eigen- und Fremdgeschäft verwendet.76 Nach hM setzt ein fremdes Geschäft voraus, dass die Handlung einer fremden Wirtschaftssphäre zuzuordnen ist.77 Dies sei insb nach Meissel.78 bei bloßen Reflexvorteilen nicht gegeben. Diese Ausführungen sind insofern von Relevanz, als auch für das vorliegende Problem im Kontext der GoA die Abgrenzung von Geschäftssphären erforderlich ist. Es geht zwar nicht darum, ob überhaupt ein fremdes Geschäft vorliegt. Relevant ist aber, wessen fremdes Geschäft geführt wird. Auch wenn es zur Sphärenabgrenzung unerlässlich ist, subjektive Kriterien auf Seiten des Geschäftsführers zu berücksichtigen (zB beim Kauf einer Sache für einen anderen), ist diese Abgrenzung nach hA primär objektiv zu ziehen.79 Das ist jedenfalls bei der nützlichen GoA überzeugend, weil § 1037 ABGB aufgrund seiner bereicherungsrechtlichen Ausrichtung nicht darauf abstellt, wem der Vorteil nach Auffassung des Geschäftsführers zukommen soll, sondern wer tatsächlich von der Geschäftsführung profitiert hat. Von Teilen der Lehre80 wird zutreffend auf das Abgrenzungskriterium der Rechtszuständigkeit als Umschreibung der endgültigen Zuordnung der vermögensmehrenden oder -mindernden Auswirkungen des Geschäfts abgestellt. Bei einer konsequenten Trennung von Gesellschafts- und Gesellschaftervermögen bzw Gläubigerund Schuldnervermögen bleibt nach diesem Abgrenzungskriterium kein Raum für einen Anspruch aus §§ 1035 ff ABGB gegen Gesellschafter oder Gläubiger, die bloß aus der Wertsteigerung des Gesellschafts-/Schuldnervermögens profitieren. Denn der Vorteil ist entweder der Rechtszuständigkeit der Gesellschaft oder ihrer Gesellschafter zuzuordnen. Auch wenn Rochefort eigentlich beabsichtigt, den befreundeten Gesellschaftern Athos, Porthos und Aramis einen Dienst zu erweisen, indem er das Gebäude der Musketier-GmbH repariert, ist folglich mE nur Letztere ersatzpflichtig gem §§ 1035 ff ABGB. 3. Keine Ersatzpflicht für Reflexvorteile Lässt sich aus der Dogmatik zur GoA somit ein Ausschlusskriterium für die genannten Reflexvorteile finden, ist neben der bereits erwähnten unmittelbar einschlägigen Stellungnahme von Schopper.81 in der bereicherungsrechtlichen Lehre 75

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ZB Hirte in Uhlenbruck, InsO13 (2010) § 130 Rz 57; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG19, § 35 Rz 151; ausführlich zur Wissenszurechnung im Anfechtungsrecht speziell iZm Gesellschafterwissen Trenker, Insolvenzanfechtung, 89 ff (insb 100 ff). Meissel, Geschäftsführung, 60 f; BGH 3.3.2009, XI ZR 41/08, NJW 2009, 1879 mwN; OLG Düsseldorf 24.5.2006, IV-U (Kart) 22/05; Seiler in MünchKomm BGB IV6 (2012) § 677 Rz 40; Gehrlein in Bamberger/Roth, Beck’scher Online-Kommentar BGB28 (2013) § 677 Rz 12; vgl auch Fötschl, Zur Ausgleichsfähigkeit von Kosten eines Vorprozesses, ÖJZ 2004, 781 (784); Wollschläger, Die Geschäftsführung ohne Auftrag (1976) 62 und 189. Stanzl in Klang, ABGB IV/12 (1968) 890; Rummel in Rummel, ABGB3, § 1037 Rz 3. Meissel, Geschäftsführung, 60 f. Vgl Meissel, Geschäftsführung, 62 ff; Lurger in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01, § 1035 Rz 5; Fikentscher, Schuldrecht8 (1992) Rz 930. Meissel, Geschäftsführung, 62 f; Wollschläger, Geschäftsführung, 52 ff; Fikentscher, Schuldrecht8, Rz 930 – jeweils mwN. Siehe oben bei und in FN 32.

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(zum deutschen Recht) lediglich auf eine Einschränkung des Anwendungsbereichs von § 812 BGB hinzuweisen. Demnach müsse zwischen dem Vermögensopfer des Verkürzten und dem Vorteil des Bereicherten ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen, weil ansonsten die Gefahr uferloser bereicherungsrechtlicher Haftungsansprüche bestehe.82 Das Erfordernis der Unmittelbarkeit zwischen Aufopferung und Vermögensvorteil wird zwar in Österreich abgelehnt;83 für die hier zu behandelnden Reflexvorteile eines Gesellschafters oder Gläubigers ergibt sich jedoch aus gesetzlichen Wertungen das Ergebnis, dass mittelbare Vorteile nicht ersatzfähig sind, wenn sie bloß aus der Rechtsbeziehung zum unmittelbar Begünstigten resultieren: Im Gesellschaftsrecht gebietet dies insb das vom 6. Senat des OGH zutreffend hervorgehobene telos von § 72 GmbHG, § 147 AktG bzw die im gesamten Gesellschaftsrecht subsidiär anwendbare (§ 1216 ABGB)84 Bestimmung des § 1189 Satz 1 ABGB.85 Nachschusspflichten müssen im Gesellschaftsvertrag ausdrücklich vorgesehen sein, eine nachträgliche Einführung bedarf der Zustimmung sämtlicher Gesellschafter (§ 50 Abs 4 GmbHG; § 147 AktG).86 Ergebnis und zugleich Zweck der Regelung ist, dass kein Gesellschafter ohne seine Einwilligung zur Aufbringung neuen Kapitals verhalten werden kann. Dies trägt ebenso wie die Pflicht zur anteiligen Festlegung des Umfangs der Nachschusspflicht gem § 72 Abs 2 GmbH dem Bedürfnis der Gesellschafter nach der Vorhersehbarkeit des künftigen Aufwands liquider Mittel Rechnung.87 Genau dieses Schutzbedürfnis würde konterkariert, wenn man Gesellschafter bereicherungsrechtlich zum Rückersatz verpflichtet, obwohl sie nur aus der Wertsteigerung ihres Anteils profitieren.87a Die resultierenden Liquiditätsprobleme wären evident, hätten Athos, Porthos und Aramis bei einem Wertzufluss an die Musketier-GmbH von 1 Mio Euro eine der Wertsteigerung ihres Anteils entsprechende Summe in Geld aufzubringen. Besonders bei Kapitalgesellschaften können sie sich wegen des Kapitalerhaltungsgrundsatzes auch nicht problemlos aus diesem bedienen, also die Bereicherung der Gesellschaft quasi abschöpfen, um ihr Liquiditätsdefizit zu füllen.88 Im Personengesellschaftsrecht dürfte einem Gesellschafter, der den unberechtigten Vorteil der Gesellschaft ausgleicht, zwar nachträglich unter Umständen ein Ersatzanspruch gegen diese gem § 110 UGB zustehen. Dennoch hätte er den erforderlichen Betrag zunächst vorzuschießen. Die reflexartig begünstigten Gesellschafter wären sohin mitunter genötigt, ihren Anteil zu verkaufen, um ihre berei82

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Wendehorst in Beck’scher Online-Kommentar BGB26, § 812 Rz 151; Schwab in MünchKomm BGB V6, § 812 Rz 300. Eingehend bereits Wilburg, Lehre, 108 ff (insb 114); vgl auch F. Bydlinski, System, 264; kritisch zum deutschen Recht iZm der Eingriffskondiktion Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung (1983) § 7.I.2. ErlRV 1058 BlgNR 22. GP, 37; U. Torggler, Abschied vom Handelsrecht? (2005) 30; Artmann in Jabornegg/Artmann, UGB I2, Vor § 105 Rz 3; Wittmann-Tiwald in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01, § 1216 Rz 1 f. Jabornegg/Resch in Schwimann, ABGB3, § 1189 Rz 1; Wittmann-Tiwald in Kletečka/ Schauer, ABGB-ON1.01, § 1189 Rz 1; vgl auch ErlRV 1058 BlgNR 22. GP, 38 zur Aufhebung von Art 7 Nr 2 Abs 4 EVHGB. EBRV 236 BlgHH 17. Session, 82; Reich-Rohrwig, GmbH-Recht (1983) 606; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3, § 72 Rz 9; Trenker in U. Torggler, GmbHG, § 72 Rz 5. EBRV 236 BlgHH 17. Session, 82; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3, § 72 Rz 3; daher gilt zumindest das Gebot einer Begrenzung in absoluter Höhe mE auch für syndikatsvertraglich vereinbarte Nachschusspflichten (Trenker in U. Torggler, GmbHG, § 72 Rz 6; strenger Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3, § 72 Rz 6; aA Haberer, Zwingendes Kapitalgesellschaftsrecht [2009] 369). AA Koppensteiner, GesRZ 2013, 156. Vgl Trenker, Insolvenzanfechtung, 123 f.

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Reflexvorteil und Reflexschaden cherungsrechtliche Rückersatzpflicht finanzieren zu können. Gerade aus dem der E 6 Ob 47/11x zugrunde liegende Sachverhalt wird die Gefahr deutlich, dass vermögende Mitgesellschafter in Extremfällen einzelne Gesellschafter auf diesem Wege sogar zum Ausscheiden aus der Gesellschaft zwingen könnten, was ebenfalls gegen die Ersatzpflicht für Reflexvorteile spricht. Gegenteiliges lässt sich auch § 1189 Satz 2 ABGB nicht entnehmen, wenngleich dort bei der Gefahr der Zweckvereitelung die Weigerung zur Beteiligung an einem Nachschuss einen Ausschlussgrund darstellt. Erstens ist die Bestimmung nämlich nur im Notfall, also bei drohender Zweckvereitelung anwendbar. Zweitens sind selbst in diesem Stadium die Interessen der Sanierungswilligen aber mE ausreichend durch die Möglichkeit des „Kapitalschnitts“ gewahrt (oben Pkt I.2.), sodass sich die subsidiäre Anwendung des überschießenden Normgehalts auf andere Gesellschaftsformen verbietet.89 Dadurch dass Gesellschaftern keine jederzeitige Zugriffsmöglichkeit auf das Gesellschaftsvermögen zusteht, ist auch nicht gesichert, dass die Wertsteigerung überhaupt jemals beim vermeintlich bereicherten Gesellschafter „ankommt“, sofern der Gesellschafter seinen Anteil nicht sofort verkauft. Denn die eingetretene Wertsteigerung im Gesellschaftsvermögen kann ja vor einer allfälligen Gewinnausschüttung wieder durch (frühere oder neue) Verluste aufgezehrt werden. In dieser Konstellation bestünde bei Kapitalgesellschaftern und Kommanditisten folglich auch ein Widerspruch zum Konzept der beschränkten Haftung (§ 171 UGB; § 61 Abs 2 GmbHG; § 48 AktG; vgl auch § 168 Abs 2 UGB). Umgekehrt kommt es durch die hier vertretene Lösung einer ausschließlichen Haftung der unmittelbar bereicherten Gesellschaft zu keiner unbilligen Privilegierung der Gesellschafter. Denn durch die Inanspruchnahme der Gesellschaft werden ohnedies auch deren mittelbare Vorteile abgeschöpft. Schließlich ist auch die regelmäßig auszuschließende Ersatzfähigkeit von Reflexschäden (oben Pkt II.) zumindest ein Indiz gegen die Ersatzpflicht bei Reflexvorteilen, zumal dies eine schwer zu rechtfertigende Schlechterstellung der Gesellschafter darstellen würde. Aus alledem ergibt sich daher mE die gesetzliche Wertung, dass die Wertsteigerung des Gesellschaftsanteils durch einen Vermögenszufluss an die Gesellschaft keinen Nutzen iSd § 1041 ABGB oder Vorteil iSd § 1043 ABGB darstellt. Auch (vgl oben Pkt I.2.) aus diesem Grund wurde die Klage in der E 6 Ob 47/11x folglich zu Recht abgewiesen. Für die „Bereicherung“ eines Gläubigers durch die Vergrößerung seines Haftungsfonds durch eine Vermögenssteigerung bei seinem Schuldner kann nichts anderes gelten. Dies ergibt sich zwanglos aus einem Größenschluss zur Rechtslage im Gesellschaftsrecht, weil ein Gläubiger noch viel weniger zur Aufbringung von Vermögen verpflichtet werden kann, wenn und weil noch nicht einmal seine Forderung befriedigt wurde. Soweit ersichtlich wurde Derartiges in der Literatur auch noch nie behauptet. Im anfechtungsrechtlichen Schrifttum wurde das Problem erstmals von Kalss/Eckert .90 erkannt, die einer Inanspruch-

nahme von Gesellschaftern für Zuwendungen an die Gesellschaft das Trennungsprinzip entgegengehalten haben. Auch mE sprechen, wie an anderer Stelle dargelegt,91 die soeben angestellten Überlegungen maßgeblich dafür, dass die herrschende Definition des Anfechtungsgegners (oben Pkt III.1.) dahingehend einzuschränken ist, dass Reflexvorteile keine ausreichende Grundlage für die Qualifikation als Schuldner gem § 38 IO bieten. Dafür spricht zusätzlich, dass § 38 Abs 2 IO ohnedies unter gewissen Voraussetzungen einen Anspruch gegen Rechtsnachfolger des primären Anfechtungsgegners kennt. Denn daraus lässt sich mE die Wertung ableiten, dass es für die Haftung als Anfechtungsgegner erforderlich ist, dass der anfechtbar übertragene Vermögensgegenstand unmittelbar ins Vermögen einer Person gelangt ist. Würden auch mittelbare Zuflüsse ausreichen, um eine Person als primären Anfechtungsgegner zu qualifizieren, wäre § 38 Abs 2 IO überflüssig. Zusammengefasst rechtfertigt der mittelbare Vorteil, der allein aus dem Vermögenszufluss an eine andere Person abgeleitet wird, weder eine Inanspruchnahme als Bereicherungsschuldner gem §§ 1041, 1043 ABGB noch als Anfechtungsgegner gem §§ 27 ff IO. 4. Exkurs: Ersatzpflicht für unmittelbare Vorteilszuwendung als „Rechtsnehmer“? 4.1. Problemaufriss Die Trennung der Vermögenssphären verhindert also, dass ein Wert im Vermögen einer Gesellschaft bzw eines Schuldners auch unmittelbar dessen Gesellschaftern bzw Gläubigern zugutekommt. Weil es ihnen – wie insb aus § 72 GmbHG, § 1189 ABGB und § 147 AktG hervorgeht – nicht zuzumuten ist, für Vorteile bereicherungsrechtlich aufzukommen, die nicht unmittelbar in ihre Vermögenssphäre bzw Verfügungsmacht gelangt sind, ist eine bereicherungs-/anfechtungsrechtliche Rückersatzpflicht ausgeschlossen. Ganz losgelöst von den bisher erwähnten Problemfällen könnte allerdings eine differenzierende Betrachtung geboten sein, wenn sich der Reflexvorteil nachträglich in einen unmittelbaren wandelt. Dies könnte sich bei ursprünglich nur mittelbar begünstigten Gesellschaftern durch Dividendenausschüttung, bei Gläubigern durch exekutive Verwertung vollziehen. Wenn der Gläubiger d’Artagnan etwa exekutiv auf jene Produktionsmaschine zugreift, die Rochefort mit erheblichem Aufwand als Geschäftsführer ohne Auftrag repariert hat, oder wenn diese Maschine an Athos, Porthos oder Aramis als Sachdividende ausgeschüttet wird, stellt sich die Frage, ob diese (nachträglich) einem Anspruch von Rochefort gem §§ 1035 ff oder § 1041 ABGB ausgesetzt sind. Der Fall der Ausschüttung als Sachdividende ist freilich nur eine Ausprägung des allgemeinen Problems der Ausdehnung der Ersatzpflicht auf Einzelrechtsnachfolger. Es gilt also im Folgenden, die Reichweite der Einschränkung der Ersatzfähigkeit von Reflexvorteilen auszuloten bzw den Adressatenkreis der Schuldner bei nachträglicher Vermögensverschiebung für die betroffenen gesetzlichen Schuldverhältnissen abzugrenzen. 4.2. Anfechtungsrechtliche Lösung: § 38 Abs 2 IO

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Vgl U. Torggler, Gesellschaftsrecht, Rz 128, der diese Möglichkeit sogar im unmittelbaren Anwendungsbereich von § 1189 Satz 2 ABGB als vorrangig ansieht. Kalss/Eckert, Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht, in G. Kodek/Konecny, Insolvenz-Forum 2007 (2008) 65 (85); siehe auch Rebernig/Schmidsberger, Zur Anfechtung von Kapitalmaßnahmen und Umgründungsvorgängen im Insolvenzverfahren, GES 2009, 182 (185).

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Im Anfechtungsrecht findet sich für diese Problemfälle die bereits erwähnte Regelung des § 38 Abs 2 IO: Derjenige, der 91

Trenker, Insolvenzanfechtung, 121 ff; zustimmend König, Anfechtung5, Rz 4/3.

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Reflexvorteil und Reflexschaden das der Masse entgangene Vermögensobjekt als Einzelrechtsnachfolger des primären Anfechtungsgegners erworben hat, ist zur Herausgabe verpflichtet, wenn er die Umstände der Anfechtbarkeit kannte oder kennen musste oder er unentgeltlich erworben hat. Das kann mE auch auf Gesellschafter zutreffen, die eine anfechtbar übertragene Sache als Sachdividende erlangen.92 Im Regelfall der Gelddividende ist eine Anfechtung indes mE ausgeschlossen;93 wurde der anfechtbar übertragene Vermögenswert nämlich bereits im Gesellschaftsvermögen vermischt (§ 371 Fall 1 ABGB), kann ein Gesellschafter nicht mehr als Rechtsnachfolger iSd § 38 Abs 2 IO identifiziert werden (dazu noch unten Pkt III.4.3.).94 Für den Fall des exekutiven Zugriffs ist zwar zu konstatieren, dass ein betreibender Gläubiger nicht Einzelrechtsnachfolger wird, weil er die Sache lediglich verwertet. § 38 Abs 2 IO ist folglich wohl nicht unmittelbar,95 aber mE zumindest analog anwendbar.96 Denn auch hier wendet sich der betreibende Gläubiger Vermögen unmittelbar zu, das haftungsrechtlich der Insolvenzmasse zuzuordnen ist. Auch bereitet die Zuordnung des Erlöses zum anfechtbar übertragenen Vermögensgegenstand anders als bei Ausschüttung einer Gelddividende keine Probleme. Gründe für eine Besserstellung des betreibenden Gläubigers gegenüber dem Gläubiger, dem die Sache erfüllungshalber überlassen wird, sind dagegen nicht ersichtlich. Überschreibt Lady de Winter daher der MusketierGmbH in Benachteiligungsabsicht kurz vor Insolvenzeröffnung ihr Grundstück, wird auch der Gläubiger der MusketierGmbH d’Artagnan zum Anfechtungsgegner, wenn er die exekutive Versteigerung der Liegenschaft betreibt und aus dem Erlös befriedigt wird, jedenfalls sofern er die verwerflichen Umstände der Übertragung kannte oder kennen musste. Nach Henckel .97 ist die Kenntnis nicht einmal erforderlich, weil der betreibende Gläubiger in seinem Vertrauen auf den Zugriff des anfechtbar erlangten Vermögens per se keinen Schutz genieße. Die strengen Voraussetzungen von § 38 Abs 2 IO eröffnen allerdings gerade im Gesellschaftsrecht die Möglichkeit, die Musketier-GmbH quasi als „unwissenden Mittelsmann“98 zu missbrauchen, um die dahinterstehenden, bösgläubigen Gesellschafter Athos, Porthos und Aramis anfechtungsfrei zu begünstigen. Denn eine Anfechtung gem § 38 Abs 2 IO kommt nur in Betracht, wenn die Anfechtung gegenüber dem unmittelbaren Erwerber statthaft ist, wofür idR entsprechende subjektive Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sein müssen. Mit der hM lässt sich in dieser Sonderkonstellation jedoch argumentieren, dass ein einheitlicher Gesamtvorgang gegeben ist, der von den Parteien beabsichtigt war. In diesem Fall ist derjenige, der nur über den „Umweg“ eines Mittels92 93

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Trenker, Insolvenzanfechtung, 121. Ebenso König, Anfechtung4, Rz 4/11 zur Ausschüttung in der Privatstiftung; aA Riedmann, Privatstiftung und Schutz der Gläubiger des Stifters (2004) 156; insoweit undifferenziert auch Csoklich, Zugriff auf Vermögen der Privatstiftung durch Gläubiger der Stifter und Begünstigten, ÖBA 2008, 416 (424). König, Anfechtung4, Rz 4/11; Hirte in Uhlenbruck, InsO13, § 145 Rz 18. Koziol/Bollenberger in Bartsch/Pollak/Buchegger, Insolvenzgesetze I4 (2000) § 38 KO Rz 8 FN 30; vgl auch König, Anfechtung4, Rz 4/11. Im Ergebnis wohl auch Kirchhof in MünchKomm InsO II3 (2013) § 145 Rz 21; Henckel in Jaeger, InsO IV (2008) § 145 Rz 31 (Erwerb eines Pfändungspfandrechts oder exekutiven Befriedigungsrechts). Henckel in Jaeger, InsO IV, § 145 Rz 31; im Ergebnis ebenso Kirchhof in Münch Komm InsO II2 (2008) § 145 Rz 30; vgl allerdings nunmehr Kirchhof in Münch Komm InsO II3, § 145 Rz 30. Siehe dazu bereits oben Pkt III.1. bei und in FN 75.

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manns erwirbt, so zu behandeln, als hätte der Schuldner direkt an ihn geleistet.99 Auf das Bereicherungsrecht oder das Recht der GoA ist die Norm des § 38 Abs 2 IO nicht analog anwendbar. Denn einerseits wären die zusätzlichen Voraussetzungen der Kenntnis von der Anfechtbarkeit bzw der Unentgeltlichkeit des Erwerbs im Bereicherungsrecht und der GoA völlig systemfremde Anspruchsvoraussetzungen. Andererseits rechtfertigen diese Tatbestandsmerkmale sowie die Ausnahmesituation der Insolvenzeröffnung weitergehende Eingriffe in an sich schützenswerte Rechtspositionen des Rechtsnehmers. 4.3. Verwertung/Erwerb einer fremden Sache Wie in anderen Fällen, wo gesetzliche Regelungen fehlen, liefert die Judikatur eine für das vorliegende Problem bemerkenswerte Fallgruppe, bei der ein Gläubiger nach erfolgreicher Zwangsvollstreckung einem Verwendungsanspruch ausgesetzt ist. Dies betrifft die Fälle der sog abgeirrten Exekution, bei der ein Gläubiger auf eine schuldnerfremde Sache greift:100 Lässt d’Artagnan also die wertvolle Brosche im Besitz seiner Schuldnerin, der Musketier-GmbH, versteigern, obwohl Lady de Winter die wahre Eigentümerin ist, macht er sich rückersatzpflichtig nach § 1041 ABGB. Dabei ist sein Nutzen allein in der Erlangung des Verkaufserlöses zu erblicken, der an die Stelle der (unsicheren) Forderung rückt; ob der Gläubiger auch aus dem (eigentlichen) Vermögen des Schuldners Befriedigung erlangen hätte können, ist nach hM nicht ausschlaggebend.101 Die Ansicht der Judikatur ist mE zutreffend, lässt sich gegen den Bereicherungsanspruch doch nicht das bestehende Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner einwenden.102 Dieses ist zwar ausreichender Rechtsgrund dafür, dass überhaupt Exekution geführt wird, nicht aber für einen Eingriff in das Eigentumsrecht des durch die abgeirrte Exekution verkürzten Dritten. Die berechtigten Interessen des Gläubigers bleiben ebenso gewahrt: Soweit er zur Rückzahlung gem § 1041 ABGB verpflichtet wird, lebt seine Forderung wieder auf, weil die Erfüllung wegen des ihr anhaftenden Rechtsmangels als bloße Scheinzahlung nicht schuldbefreiend wirkt.103 Umgekehrt kann der Verkürzte alternativ freilich auch den Schuldner in Anspruch nehmen, 99

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BGH 10.1.2002, IX ZR 61/99, NJW 2002, 1342; Kirchhof in MünchKomm InsO II3, § 129 Rz 68 mwN; speziell zur vorliegenden Konstellation Trenker, Insolvenzanfechtung, 125; vgl auch Koziol/Bollenberger in Bartsch/Pollak/Buchegger, Insolvenzgesetze I4, § 38 KO Rz 10. OGH 24.5.1934, 2 Ob 296/34; 2.9.1987, 3 Ob 77/87; 4.12.1984, 5 Ob 599/84; RISJustiz RS0003329; RS0001054; Wilburg, Lehre, 159 ff; Koziol/Welser, Bürgerliches Recht II13, 287. Ebenfalls ausgesetzt ist der befriedigte Gläubiger dem Anspruch eines vorrangigen Hypothekargläubigers, der aus formalen Gründen bei der Meistbotsverteilung nicht zum Zug gekommen ist (RIS-Justiz RS0118558, zB OGH 6.4.2006, 6 Ob 54/06v). Die Problematik ist mE auch bei der Verteilung des Erlöses aus der Insolvenzmasse gleich zu beurteilen: Wird die Sache eines Dritten in der Insolvenz veräußert und die Masse an die Gläubiger verteilt, hat der wahre Eigentümer nach Schlussverteilung (§ 136 IO) Anspruch auf (quotenmäßigen) Rückersatz des Veräußerungserlöses gegenüber den befriedigten Insolvenzgläubigern. Die versäumte Möglichkeit der (Ersatz-)Aussonderung gem § 44 IO steht diesem Anspruch mE ebenso wenig entgegen wie die unterlassene Exszindierungsklage gem § 37 EO des von der abgeirrten Exekution betroffenen Dritten (so OGH 4.12.1984, 5 Ob 599/84; Apathy in Schwimann, ABGB3, § 1041 Rz 21; Rummel in Rummel, ABGB3, § 1041 Rz 8). OGH 24.5.1934, 2 Ob 296/34; Rummel in Rummel, ABGB3, § 1041 Rz 8; Lurger in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01, § 1041 Rz 11; differenzierend Wilburg, Lehre, 160 ff. Ebenso Lurger in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01, § 1041 Rz 20; abweichend Stanzl in Klang, ABGB IV/12, 915 f. So bereits Wilburg, Lehre, 160; offenlassend OGH 24.5.1934, 2 Ob 296/34; siehe zur vergleichbaren Problematik bei anfechtbarer Schuldtilgung Koziol, Grundlagen und Streitfragen der Gläubigeranfechtung (1991) 67; Paulus, Sinn und Formen der Gläubigeranfechtung, AcP 155 (1956), 277 (335 FN 101).

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Reflexvorteil und Reflexschaden der diesfalls insofern bereichert ist, als sich die Tilgung seiner Schuld doch als (endgültig) schuldbefreiend herausstellt.104 Selbstredend wirkt die Erfüllung der Verpflichtung des Schuldners gegenüber dem Verkürzten nämlich für die Verpflichtung des befriedigten Gläubigers schuldbefreiend, weil der Verkürzte andernfalls doppelt kompensiert würde (vgl bereits oben Pkt III.1.). Mit der „abgeirrten Exekution“ vergleichbar ist die Rechtslage beim rechtsgeschäftlichen Erwerb einer fremden Sache. Hier kann der verkürzte Eigentümer allerdings alternativ zu Bereicherungsansprüchen gegenüber dem Erwerber ohnedies die rei vindicatio (§ 366 ABGB) erheben, sofern dieser nicht gutgläubig (§ 367 ABGB) Eigentum erworben hat. Da ein gutgläubiger Eigentumserwerb auch Verwendungsansprüche aus diesem Erwerb ausschließt,105 stellt sich die Frage nach Bereicherungsansprüchen in praxi daher nur, wenn der Erwerber die Sache nicht gutgläubig erworben hat und im Zeitpunkt der Inanspruchnahme bereits wiederum weiterveräußert hat, eine Vindikation also aussichtslos wäre. Da der Erwerber in dieser Konstellation aus der Veräußerung einer fremden Sache profitiert, muss er – abhängig von seiner Redlichkeit – dem wahren Eigentümer den Veräußerungserlös bzw den höchsten am Markt erzielbaren Preis106 herausgeben.107 Es wäre auch wertungswidersprüchlich, wenn zwar die Sache gem § 366 ABGB, nicht aber deren Verkaufserlös an den wahren Eigentümer weiterzuleiten hätte. Mit anderen Worten: Der bloße Weiterverkauf ist nicht geeignet, jene Rechtsfortwirkung zu beenden, die § 1041 ABGB als dogmatische Grundlage dient.108 Im Ergebnis kann der wahre Eigentümer bei einer Veräußerungskette also wählen, welchen der Vormänner des aktuellen Besitzers er nach § 1041 ABGB in Anspruch nehmen will, sofern er nicht ohnedies beim Besitzer vindiziert. Dies gilt mE auch im Gesellschaftsrecht: Wird Athos eine Sache ausgeschüttet, die nicht im Eigentum der MusketierGmbH, sondern von Lady de Winter steht, ist er einem Vindikations- und allfälligen Verwendungsanspruch der wahren Eigentümerin ausgesetzt, sofern er die Sache bereits an d’Artagnan weiterveräußert hat. Die maßgebliche Einschränkung, dass kein Gutglaubenserwerb gem § 367 ABGB vorliegen darf, spielt in dieser Konstellation keine Rolle, weil es beim Gewinnbezug einer fremden Sache mE stets am Kriterium der Entgeltlichkeit fehlt. Der Gewinnanteilsbezug ist zwar nicht per se unentgeltlich, so etwa nicht im Kontext des § 29 IO,109 weil dieser im Ergebnis als Gegenleistung für die seinerzeitige 104

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Rechtskonstruktiv problematisch ist, dass die Bereicherung des Schuldners erst in dem Moment eintritt, in dem er seiner bereicherungsrechtlichen Rückersatzpflicht bereits nachgekommen ist und sich damit zugleich endgültig von der ursprünglichen Verbindlichkeit gegenüber dem betreibenden Gläubiger befreit hat. Es wäre aber mE nicht interessengerecht und prozessökonomisch unvernünftig, diesem den Einwand der mangelnden Bereicherung zu gewähren und den Verkürzten daher auf die Inanspruchnahme des betreibenden Gläubigers zu verweisen, der seinerseits nochmals beim Schuldner Exekution führen müsste. Abhilfe schafft daher die fingierte Annahme einer schuldbefreienden Wirkung der abgeirrten Zwangsvollstreckung; nichts anderes dürfte wohl letztlich mit dem Begriff der „Scheinzahlung“ gemeint sein. RIS-Justiz RS0020076, zB OGH 28.6.1988, 4 Ob 569/88; Wilburg, Lehre, 48; Apathy in Schwimann, ABGB3, § 1041 Rz 16; Leupold in Klang, ABGB3, § 367 Rz 89. RIS-Justiz RS0020150 mit Beisatz T3 bis T6, zB OGH 16.2.1982, 4 Ob 406/81; Koziol in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB3, § 1041 Rz 15; Lurger in Kletečka/ Schauer, ABGB-ON1.01, § 1041 Rz 23 ff. Vgl Apathy in Schwimann, ABGB3, § 1041 Rz 21. Ausführlich Wilburg, Lehre, 27 ff; F. Bydlinski, System, 240 ff; Koziol in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB3, § 1041 Rz 2. Ausführlich dazu Trenker, Insolvenzanfechtung, 255 ff.

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Einlage gesehen werden kann. Diese fungiert bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise aber maximal für jene Ausschüttungen als Gegenleistung, die aus dem Gesellschaftsvermögen stammen, nicht jedoch für fremde Sachen. Der Gesellschafter ist dementsprechend nicht in gleicher Weise schutzwürdig wie eine Person, die wegen ihres berechtigten Vertrauens auf das Eigentum des Veräußerers ihre Gegenleistung erbringt. Auch der Gutglaubensschutz gem § 83 Abs 1 Satz 2 GmbHG, § 56 Abs 3 AktG, § 168 Abs 2 UGB steht der Inanspruchnahme durch den Verkürzten nicht entgegen, weil dieser nur im Verhältnis zur Gesellschaft wirkt. Bei genauerer Betrachtung handelt es sich beim Erwerb bzw bei der Verwertung einer fremden Sache allerdings um gar kein Problem des Reflexvorteils. Da die Sache nie wirksam in die Rechtszuständigkeit der Gesellschaft bzw des Schuldners gelangt ist, erlangt der Gesellschafter ebenso wie der betreibende Gläubiger überhaupt erst durch (irrtümliche) Ausschüttung bzw Verwertung der Sache einen Vorteil, der allein vom absolut geschützten Eigentumsrecht des Verkürzten abgeleitet wird. Es liegt daher nur eine scheinbare Einschränkung der mangelnden Ersatzpflicht für Reflexvorteile vor. Anderes gilt, wenn die Gesellschaft als Mittelsmann bereits zuvor originär Eigentum erworben hat. Dies spielt namentlich beim Erwerb vertretbarer Sachen kraft Vermischung (§ 371 Fall 1 ABGB), insb von Geld und Inhaberpapieren,110 eine besondere Rolle.111 Erwirbt die MusketierGmbH zB rechtsgrundlos 5.000 Euro von d’Artagnan und wird das Geld im Vermögen der GmbH vermischt, aber anschließend derselbe Betrag an Athos ausgeschüttet, besteht kein Verwendungsanspruch gegenüber dem Gesellschafter. Erstens fehlt es nämlich bereits an der Identifizierbarkeit des Vermögensgegenstands (vgl bereits oben Pkt III.4.2.). Ebenso gut könnten die betroffenen 5.000 Euro ja auch an andere Gesellschafter ausgeschüttet oder als Gewinnrücklage in der GmbH thesauriert worden sein. § 1041 ABGB beruht – wie erwähnt112 – auf dem Rechtsfortwirkungsgedanken und gewährt dem Verkürzten darauf aufbauend ein Wertverfolgungsrecht, das folglich seine natürliche Grenze dort findet, wo nicht mehr eruiert werden kann, wem der konkrete Wert zugekommen ist. Zweitens hat Athos gar keinen Vorteil aus der Verwendung einer Sache von d’Artagnan gezogen. Als das Vermögen an Athos ausgeschüttet wurde, ist d’Artagnans Eigentum bereits gem § 371 Fall 1 ABGB an die Musketier-GmbH übergegangen. Die sachenrechtliche Wertung des Eigentumsübergangs schlägt insoweit auch auf das Bereicherungsrecht durch. Für die Weiterveräußerung einer gem § 367 oder § 371 Fall 2 ABGB gutgläubig erworbenen Sache resultiert dies a maiore ad minus zwanglos daraus, dass nicht einmal den gutgläubigen Erwerber selbst Ersatzpflichten treffen.113 Dass dagegen im Fall der Vermischung gem § 371 Fall 1 ABGB d’Artagnan gegenüber der Musketier-GmbH Rückersatzansprüche wegen 110

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Eccher in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB3, § 371 Rz 1; vgl auch Koziol/Welser, Grundriss des bürgerlichen Rechts I13 (2006) 336, die sogar eine teleologische Reduktion befürworten. Vgl bereits oben Pkt III.4.2. Oben bei und in FN 108. Zu § 367 ABGB siehe oben bei und in FN 105; zu § 371 ABGB zB OGH 15.9.1987, 4 Ob 569/87; Holzner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01, § 371 Rz 5; Leupold in Klang, ABGB3, § 371 Rz 42.

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Reflexvorteil und Reflexschaden ungerechtfertigter Bereicherung zustehen (vgl § 416 ABGB),114 rechtfertigt freilich auch keine Ausdehnung der Rückersatzpflicht auf den jeweiligen Rechtsnachfolger oder einen betreibenden Gläubiger. Die gegenteilige Ansicht würde auf eine „Verdinglichung“ des schuldrechtlichen Anspruchs hinauslaufen, die mit der Relativität des Forderungsrechts nicht vereinbar ist und den Zweck von § 371 Fall 1 ABGB, nämlich die Gewährleistung von Verkehrssicherheit,115 konterkarieren würde. Als Faustregel gilt daher: Wer vom wahren Eigentümer erwirbt, kann sich dadurch keinem Verwendungsanspruch eines Dritten aussetzen. Die durch § 1041 ABGB bewirkte Rechtsfortwirkung endet also bei jener Person, in deren Vermögen die ursprüngliche Rechtszuständigkeit verloren gegangen ist. 4.4. Verwertung/Erwerb einer durch fremden Aufwand im Wert gesteigerten Sache Aufbauend auf diesen Ausführungen ist auch der eingangs geschilderte Fall zu lösen, dass Rochefort rechtsgrundlos wertsteigernde Aufwendungen für eine Sache der MusketierGmbH tätigt, die anschließend an ihre Gesellschafter ausgeschüttet oder zugunsten des Gläubigers d’Artagnan verwertet wird. Auch in dieser Konstellation trifft es zwar zu, dass die Gesellschafter ebenso wie sonstige zukünftige Einzelrechtsnachfolger einen Vorteil aus dem Aufwand von Rochefort ziehen und daher potenziell als Schuldner gem § 1037 oder § 1041 ABGB in Betracht kommen. Wiederum liefe die Inanspruchnahme eines Rechtsnachfolgers des ursprünglich bereicherten Eigentümers jedoch auf eine systemwidrige Verdinglichung des schuldrechtlichen Verwendungsanspruchs des Verkürzten hinaus. Auch ist zu bedenken, dass zumindest im Fall eines entgeltlichen Erwerbs die Wertsteigerung bereits im Kaufpreis berücksichtigt wurde. Folglich ist grundsätzlich nur derjenige rückersatzpflichtig, der im Zeitpunkt der Aufwendung als Eigentümer unmittelbar von der Wertsteigerung profitiert hat. So hat es bereits Zeiller .116 treffend auf den Punkt gebracht: „Ein dritter Empfänger einer Sache, worauf jemand anderer als der Ueberträger einen Aufwand gemacht hat, haftet für den Aufwand nicht.“ Entgegen einem obiter dictum des OGH aus 1883 sind auch beschränkt dinglich Berechtigte nicht als Bereicherungsschuldner anzusehen; dies gilt auch, wenn ihr absolutes Recht bereits im Zeitpunkt der Aufwendung bestand. Das Höchstgericht hatte ausgesprochen, dass bei Aufwendungen auf eine verpfändete Sache auch der Pfandgläubiger,117 der die Vorteile für sich in Anspruch nimmt, Schuldner eines Verwendungsanspruchs sein könne.118 Dies ist mE nicht überzeugend. Zunächst besteht kein schutzwürdiges Interesse des Aufwandersatzberechtigten, neben dem primär bereicherten Eigentümer weitere Personen in Anspruch zu nehmen. Ferner zeigt gerade das Beispiel des Pfandrechts, dass kein Grund besteht, den dinglich gesicherten Gläubiger schlechter zu behandeln 114

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Spielbüchler in Rummel, ABGB3, § 371 Rz 2; Holzner in Kletečka/Schauer, ABGBON1.01, § 371 Rz 5; Leupold in Klang, ABGB3, § 371 Rz 43. Ausführlich zum Normzweck Leupold in Klang, ABGB3, § 371 Rz 23. Zeiller, Commentar III, § 1041 Anm 4. Anders gelagert sind freilich jene Fälle, in denen es um Verwendungsansprüche aufgrund unrichtiger Verteilung des Erlöses aus einer Zwangsversteigerung zwischen mehreren Hypothekargläubigern geht; dazu OGH 28.1.2004, 3 Ob 86/03y; 27.5.1986, 5 Ob 1521/86. OGH Nr 11014, GlU 9600, 441.

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als unbesicherte Gläubiger, die zwar kein dingliches Recht innehaben, aber durch Zugriff auf das Vermögen in weiterer Folge in gleichem Maße von der Vermögenssteigerung profitieren. In gleicher Weise unsachlich wäre es, den Inhaber einer Servitut schlechter zu stellen als einen bloß schuldrechtlich Nutzungsberechtigten, obwohl beide gleichermaßen begünstigt werden. Aus § 6 Abs 2 BauRG ergibt sich lediglich eine Ausnahme für das Baurecht: Hier ist nur der Bauberechtigte, nicht auch der Eigentümer der Liegenschaft, als Schuldner des Ersatzanspruchs anzusehen, soweit sich der Vorteil auf das errichtete Bauwerk bezieht. Der Fruchtnießer haftet dagegen allenfalls dem Eigentümer im Innenverhältnis (§ 512 Satz 2 und 3; § 514 ABGB [analog]).119 Abweichend vom bisher Gesagten geht der OGH davon aus, dass dem gutgläubigen Besitzer ein Aufwandersatzanspruch gem § 331 ABGB, der zutreffend als Unterfall von § 1041 ABGB gesehen wird,120 gegenüber dem jeweiligen Eigentümer zukomme; es sei also irrelevant, ob dieser die Sache vor oder nach Vornahme der Investition erworben hat.121 Überträgt die Musketier-GmbH also mittels Besitzanweisung d’Artagnan das Eigentum an ihrem PKW, der sich noch im Besitz des gutgläubigen Rochefort befindet, stehen diesem seine Aufwandersatzansprüche gegenüber d’Artagnan zu, obwohl er die Reparaturen bereits vor dem Eigentumsübergang vorgenommen hat. Dies korrespondiert zwar mit der ausdrücklichen Anordnung des § 999 Abs 2 BGB in Deutschland, lässt sich aus dem Wortlaut von § 331 ABGB aber keineswegs ableiten. Für diese Auffassung sprechen mE dennoch gute Gründe,122 weil der Besitzer nicht durch Verkauf der Sache um seine durch das Retentionsrecht gem § 471 ABGB vermittelte „reale Sicherheit“123 gebracht werden soll.124 Freilich stehen d’Artagnan gegenüber der Musketier-GmbH unter Umständen Gewährleistungsansprüche zu, sofern er die Ersatzansprüche nicht gekannt hat (§ 929 ABGB analog). Jedenfalls handelt es sich im skizzierten Beispiel um eine Ausnahmekonstellation, in der einem besonderen Schutzbedürfnis Rechnung getragen wird. Folglich ist die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines Rechtsnachfolgers gem § 331 ABGB abzulehnen, wenn dieses Schutzbedürfnis entfällt.125 Dies gilt insb, wenn sich der Auf119

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Vgl RIS-Justiz RS0111162; OGH 24.11.1998, 1 Ob 127/98b; Koch in Koziol/Bydlinski/ Bollenberger, ABGB3, § 512 Rz 1. Spielbüchler in Rummel, ABGB3, § 371 Rz 1; G. Kodek in Klang, ABGB3, § 331 Rz 1; offenkundig ist auch hier die Nähe zur nützlichen GoA (siehe bereits Zeiller, Commentar III, § 1037 Anm 1), was aber insofern keinen Widerspruch bedeutet, als auch § 1037 und § 1041 ABGB auf demselben Rechtsgedanken beruhen (vgl oben Pkt III.1.). OGH 29.5.2001, 4 Ob 114/01w. Zustimmend auch Holzner, JBl 2002, 789 (793); G. Kodek in Klang, ABGB3, § 331 Rz 13; Lurger in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01, § 371 Rz 4; Grüblinger in Schwimann/ Kodek, ABGB4, § 331 Rz 2. Vgl die Gesetzesmaterialien zu § 999 BGB bei Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich III (1899) 685. Aus einem Größenschluss zu § 367 Abs 2 ABGB folgt mE zwar, dass ein gutgläubiger „lastenfreier“ Erwerb auch im Kontext des § 331 ABGB theoretisch denkbar ist. Solange die Sache aber noch im Besitz des Ersatzberechtigten steht, ist der wahre Eigentümer mE nicht als dessen Vertrauensmann (vgl allgemein Holzner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01, § 367 Rz 11) anzusehen. Andernfalls würde das Retentionsrecht des Besitzers wiederum ausgehöhlt. Beim Erwerb im Rahmen einer Zwangsversteigerung steht dem Besitzer dagegen kein Aufwandersatzanspruch gegen den Rechtsnachfolger mehr zu, wenn er die Sache nach § 327 EO herausgegeben hat, ohne auf sein Zurückbehaltungsrecht zu beharren (siehe dazu sogleich im Fließtext). Bei der Versteigerung einer unbeweglichen Sache ist ein Aufwandersatzanspruch gegen den gutgläubigen (vgl OGH 31.1.1979, 1 Ob 757/78) Erwerber ohnehin bereits aufgrund eines Größenschlusses zu § 170a Z 1 EO ausgeschlossen (vgl auch § 93 Abs 2 dZVG). So wird auch für § 999 Abs 2 BGB eine restriktive Auslegung befürwortet (zB Gursky in Staudinger, BGB16, § 999 Rz 14).

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Reflexvorteil und Reflexschaden wandersatzberechtigte der Sache vor dem Zeitpunkt der Rechtsnachfolge begibt, ohne seine Ansprüche geltend zu machen. Dementsprechend ist in Deutschland sogar ausweislich der Materialien126 anerkannt, dass die Wiedererlangung der Sache vor Rechtsnachfolge den besonderen Sukzessionsschutz gem § 999 Abs 2 BGB ausschließt.127 Ebenso ist dem unredlichen Besitzers dieses Privileg mE zu verwehren. Dafür spricht auch, dass § 336 ABGB pauschal die Geltung der Regeln über die nützliche GoA anordnet, der Vorteil aber ausschließlich der Sphäre jener Person zuzuordnen ist, die im Zeitpunkt der Geschäftsführung Eigentümer ist (vgl oben Pkt III.2.). Diskutabel erscheint es ferner, analog zu den Fällen der Schadensverlagerung/Drittschadensliquidation128 einen Bereicherungsanspruch gegen den Käufer der im Wert gesteigerten Sache zuzulassen, auch wenn er mangels Durchführung des Verpflichtungsgeschäfts noch nicht Eigentümer der Sache geworden ist. Nimmt Rochefort seine Aufwendungen daher erst vor, nachdem die Sache von der Musketier-GmbH an Porthos verkauft, aber noch nicht übergeben wurde, wird eine Ersatzpflicht von Porthos der Interessenlage besser gerecht. Denn er allein profitiert von der Wertsteigerung des Kaufgegenstands, weil keine Grundlage für eine nachträgliche Anpassung des Kaufpreises besteht und die Musketier-GmbH gar nicht bereichert ist. Auch bei der Gewinnausschüttung ist es – bereits aus Gründen der Kapitalerhaltung (§ 82 GmbHG; § 57 AktG) – vorzugswürdig, dass nach beschlossener, aber vor vollzogener Ausschüttung einer Sachdividende129 der begünstigte Gesellschafter ersatzpflichtig wird, sofern in diesem Stadium wertsteigernde Aufwendungen getätigt werden. Eine alternative Inanspruchnahme der Musketier-GmbH ist diesfalls abzulehnen, weil diese gar nicht mehr bereichert ist.

handelt sich beim Ersatzanspruch aber wie bei sonstigen Forderungen um Gesamthandforderungen der Gesellschaft.131 Auch wenn zwischen Kapital- und Personengesellschaften nicht zu differenzieren ist, spielt die Frage nach einer bereicherungsrechtlichen Rückersatzpflicht der Gesellschafter bei persönlich haftenden Personengesellschaftern – abgesehen von der Verjährungsprivilegierung des ausgeschiedenen Gesellschafters gem § 160 UGB – insoweit nur eine untergeordnete Rolle, als deren Haftung für Gesellschaftsverbindlichkeiten reicht. Denn Komplementäre bzw OG-Gesellschafter können gem § 128 (iVm § 161 Abs 2) UGB ohnehin in voller Höhe, Kommanditisten gem § 171 Abs 1 UGB im Umfang ihrer noch nicht durch Einlageleistung abgedeckten Haftsumme in Anspruch genommen werden. Deshalb ist es grundsätzlich unerheblich, ob der Verkürzte auch einen unmittelbaren Anspruch gegen die Gesellschafter hat. Anders verhält es sich lediglich, wenn der Bereicherungsanspruch einem Mitgesellschafter zusteht: Handelt es sich nämlich – was wohl denkbar ist – um einen Sozialanspruch, so haftet ihm nach hM ausschließlich die Gesellschaft;132 auch als gewöhnlicher Drittgläubiger muss er sich primär an die Gesellschaft halten.133 Im Übrigen sind im Anfechtungsrecht Konstellationen denkbar, in denen eine unmittelbare Haftung der persönlich haftenden Personengesellschafter von entscheidender Bedeutung ist, nämlich wenn ausnahmsweise134 zwar beim Gesellschafter, nicht aber bei der Gesellschaft die erforderlichen subjektiven Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Auch hier kommt eine Haftung indes – wie gezeigt135 – nur in Betracht, wenn sich nachweisen lässt, dass die Zuwendung von vornherein an den Gesellschafter geplant war.

IV. Rechtsformübergreifender Ansatz

Eine Klarstellung ist in Bezug auf Alleingesellschafter zu treffen. Während sich die Frage im Personengesellschaftsrecht nicht stellt, weil es keine Ein-Personen-OG/-KG gibt (§ 142 UGB), wäre es durchaus erwägenswert, die bisherigen Einschränkungen der Geltendmachung von Reflexvorund -nachteilen im Kapitalgesellschaftsrecht auch auf EinPersonen-Gesellschaften zu übertragen. Grundsätzlich gilt die Trennung zwischen Gesellschaftsund Gesellschaftersphäre jedoch auch im Verhältnis eines Verbands zu seinem einzigen Anteilsinhaber. Denn die invol-

Die bisherigen Ausführungen sind rechtsformübergreifend zu verstehen. Auch wenn bisweilen vornehmlich mit dem nur im Kapitalgesellschaftsrecht existenten Verbot der Einlagenrückgewähr argumentiert wurde, würde die Missachtung des Trennungsprinzips auch im Personengesellschaftsrecht bei Reflexvorteilen zu Liquiditätsproblemen und bei Reflexschäden zu einem Widerspruch zur Zweckwidmung des Vermögens und der Gefahr der Ungleichbehandlung der Gesellschafter führen. Voraussetzung ist allerdings die Trennung der Vermögenssphären, also Rechtsfähigkeit der Gesellschaft. Bei der GesBR, bei der Zuwendungen an die Gesellschaft direkt ins Miteigentum der Gesellschafter übergehen,130 sind Letztere selbstverständlich unmittelbare Schuldner aus Bereicherungs-, GoAund Anfechtungsrecht. Beim umgekehrten Fall der Schädigung von Eigentum des „Gesellschaftsvermögens“ der GesBR kommt nur eine Geltendmachung durch die Gesellschafter in Frage. Es 126 127

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Mugdan, Materialien III, 685. Gursky in Staudinger, BGB16, § 999 Rz 15 mwN; Fritzsche in Beck’scher OnlineKommentar BGB28, § 999 Rz 9. Dazu RIS-Justiz RS0022608; zB OGH 26.6.1991, 2 Ob 37/91; 24.3.1994, 2 Ob 21/94; Lukas, Von liquidierbaren Drittschäden, anzurechnenden Vorteilen und unechten Gesamtschulden (Teil I), JBl 1996, 481 (484 ff); G. Kodek in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.00, § 1295 Rz 45 uvm. Nochmals zu betonen ist, dass die Ausschüttung einer Sachdividende praktisch den Ausnahmefall darstellt. ZB Jabornegg/Resch in Schwimann, ABGB3, § 1175 Rz 20; Grillberger in Rummel, ABGB3, § 1175 Rz 23 und § 1183 Rz 4.

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V. Keine Ausnahme für Alleingesellschafter

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HM, zB RIS-Justiz RS0017330; RS0017326; U. Torggler, Die MitunternehmerGesBR nach geltendem und künftigem Recht, JBl 2011, 353 (356); Trenker in U. Torggler, UGB (2013) § 178 Rz 6 mwN. Schauer in Kalss/Nowotny/Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht (2008) Rz 2/490; G. H. Roth/Fitz, Unternehmensrecht2 (2006) Rz 105; Koppensteiner/ Auer in Straube, UGB I4, § 128 Rz 21 mwN; abweichend U. Torggler, Gesellschaftsrecht, Rz 613 (subsidiärer, anteiliger Regress). Koppensteiner/Auer in Straube, UGB I4, § 128 Rz 21; U. Torggler, Gesellschaftsrecht, Rz 613; Jabornegg/Artmann in Jabornegg/Artmann, UGB I2, § 128 Rz 41; Duursma/ Duursma-Kepplinger/M. Roth, Handbuch zum Gesellschaftsrecht (2007) Rz 670. Wegen des Prinzips der Selbstorganschaft ist zumindest bei jenen Gesellschaftern, die nicht von der Geschäftsführung ausgeschlossen sind, eine Wissenszurechnung zwar wohl zumeist, aber nicht jedenfalls geboten. Entgegen der hM (RIS-Justiz RS0009172, zB OGH 8.10.1987, 6 Ob 602/87; 11.10.1990, 6 Ob 19/90; 1.7.1970, 7 Ob 117/70 [die beiden letzteren Entscheidungen zur Prokura]; Iro, Banken und Wissenszurechnung, ÖBA 2001, 3 [21]; Artmann in Jabornegg/Artmann, UGB I2, § 125 Rz 8 uam) findet eine Zurechnung der Kenntnisse jener Geschäftsführer, die an der anfechtbaren Handlung völlig unbeteiligt waren, mE nämlich weder eine Deckung im Gesetz noch ist sie mit den wertungsmäßigen Grundlagen der Wissenszurechnung bei arbeitsteiligen Organisationen vereinbar (ausführlich Trenker, Insolvenzanfechtung, 92 ff mwN; ebenso Reich-Rohrwig, GmbH-Recht I2, Rz 2/195; Duursma/Duursma-Kepplinger/M. Roth, Gesellschaftsrecht, Rz 639). Siehe oben Pkt III.4.2. bei und in FN 99.

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Reflexvorteil und Reflexschaden vierten Interessen an einer Gesellschaft erschöpfen sich nicht in jenen des Alleingesellschafters, sondern es sind insb auch die Belange der Gesellschaftsgläubiger zu berücksichtigen. Die Geltendmachung von Reflexschäden durch den Alleingesellschafter auf eigene Rechnung stünde dementsprechend weiterhin im Widerspruch zum Verbot der Einlagenrückgewähr (§ 82 GmbHG; § 52 AktG). Denn diese zwingende Schranke ist auch für Alleingesellschafter beachtlich.136 Freilich dürften sich die Konstellationen häufen, in denen der Schädiger auch gegenüber dem Alleingesellschafter rechtswidrig handelt und dieser daher aus eigenem Recht legitimiert ist, Leistung an die Gesellschaft zu verlangen (vgl oben Pkt II.2.). Der Abschöpfung eines Reflexvorteils stehen zwar keine zwingenden Gesetzesbestimmungen entgegen. Doch sind auch für den Alleingesellschafter Liquiditätsprobleme denkbar, die sich aus dessen Inanspruchnahme für Vorteile der Gesellschaft ergeben. Denn soweit kein ausschüttungsfähiger Gewinn vorhanden ist, kann er sich den Vermögensvorteil nicht zuwenden; ist das Stammkapital aufgezehrt, ist gar zweifelhaft, ob er überhaupt (jemals) von der Bereicherung des Verbands profitiert, weil vorrangig die Gläubiger zu befriedigen sind. Eine unmittelbare Haftung des Gesellschafters für die Bereicherung „seiner“ Gesellschaft geriete demnach jedenfalls im Falle einer bestehenden Unterbilanz mit dem Konzept der Haftungsbeschränkung (§ 61 Abs 2 GmbHG) in Widerspruch. Auch in zeitlicher Hinsicht sind Zahlungsschwierigkeiten möglich, weil es überaus zweifelhaft ist, ob der Alleingesellschafter jederzeit eine Zwischenbilanz aufstellen und sich einen entsprechenden „Zwischengewinn“ nach Belieben unterjährig ausschütten kann.137 Es zeigt sich daher mE, dass sich die Interessenlage nicht entscheidend von jener bei Mehr-Personen-Gesellschaften unterscheidet. Die Wertung von § 61 Abs 2 GmbHG, § 72 GmbHG, dass kein Gesellschafter gezwungen werden kann, über seine Einlage hinaus private Mittel zuzuschießen, steht somit auch einer Qualifikation des reflexartig bereicherten Alleingesellschafters als Schuldner gem §§ 1035 ff, 1041, 1043 ABGB entgegen. VI. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse Das verbandsrechtliche Trennungsprinzip und die damit verbundene Abgrenzung der Vermögenssphäre des Verbands von der seiner Mitglieder bedürfen in der Dogmatik gesetzlicher Schuldverhältnisse besonderer Berücksichtigung, wobei grundsätzlich weder zwischen Ein- und Mehr-Personen-Gesellschaften oder den unterschiedlichen (rechtsfähigen) Gesellschaftsformen zu differenzieren ist. Ein Reflexschaden eines Gesellschafters oder Gläubigers eines Verbands, also ein Schaden, der zwangsläufig aus einer mit der Schädigung der Gesellschaft verbundenen Minderung des Gesellschaftsvermögens resultiert, ist regelmäßig mangels 136

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Karollus, Einlagenrückgewähr und verdeckte Gewinnausschüttung im Gesellschaftsrecht, in Leitner, Handbuch verdeckte Gewinnausschüttung (2010) 9 (30); G. Kodek, Einlagenrückgewähr – ausgewählte neuere Judikatur, in Konecny, Insolvenz-Forum 2010 (2011) 187; Köppl in U. Torggler, GmbHG, § 82 Rz 11. Siehe OGH 26.1.2006, 6 Ob 184/05k, wo eine nachträgliche beliebige Bildung eines Rumpfgeschäftsjahrs gerade wegen der Gefahr von Gewinnausschüttungen zu möglichst günstigen Zeitpunkten für die Gesellschafter für unzulässig gehalten wird.

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rechtswidrigen Eingriffs in die Sphäre des Gesellschafters – und erst Recht in die des Gesellschaftsgläubigers – nicht ersatzfähig. Selbst wenn diese Voraussetzung ausnahmsweise gegeben wäre, kann der Gesellschafter wegen der Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens gem § 1323 ABGB nur im Wege der Naturalrestitution Leistung an die Gesellschaft verlangen. Die genannten Einschränkungen gelten trotz der Formulierung durch den EuGH, wonach „jedermann“ Ersatz seines Schadens verlangen kann, auch bei kartellrechtlichen Verstößen im Anwendungsbereich des Unionsrechts. Umgekehrt ist das Trennungsprinzip auch für Reflexvorteile im Rahmen der Identifikation des Schuldners wegen ungerechtfertigter Bereicherung, einer nützlichen GoA oder einer der Insolvenzanfechtung unterliegenden Handlung maßgeblich. Soweit im Bereicherungsrecht ein Rechtsgrund gegenüber der Gesellschaft vorhanden ist, kann dieser unter Umständen auch die Vermögensverschiebung zugunsten einzelner Gesellschafter rechtfertigen. Im Übrigen führt die bloße Steigerung des Anteilswerts, die sich aus der Zuwendung an die Gesellschaft ergibt, nicht zur bereicherungs- oder anfechtungsrechtlichen Rückersatzpflicht einzelner Gesellschafter. Dies wäre mit der Wertung von § 72 GmbHG, § 147 AktG und § 1189 Satz 1 ABGB unvereinbar, dass die Verpflichtung zur Aufwendung weiterer Mittel stets der Zustimmung jedes einzelnen Gesellschafters bedarf. Da die Gesellschafter nämlich keine unmittelbare Verfügungsmacht über das Vermögen der Gesellschaft haben, führte ein bereicherungsrechtlicher Rückersatz zu vergleichbaren Liquiditätsproblemen wie bei einer Nachschusspflicht. A maiore ad minus muss dies erst recht für Gläubiger gelten, die mittelbar von der Bonitätssteigerung ihres Schuldners profitieren. Im Recht der GoA ergibt sich dasselbe Ergebnis dogmatisch bereits daraus, dass kein Geschäft vorliegt, das der Sphäre des einzelnen Gesellschafters zuzuordnen wäre, wenn sich der nützliche Aufwand auf Vermögen bezieht, das der Rechtszuständigkeit der Gesellschaft zugehört. Auch die nachfolgende unmittelbare Inanspruchnahme des Vorteils im Wege der Dividendenausschüttung oder Verwertung des Vermögenswerts ändert daran grundsätzlich nichts. Sofern die unmittelbar bereicherte Gesellschaft bzw der Schuldner bereits durch originären Erwerb Eigentümer der Sache geworden ist, ist ein Anspruch des ursprünglichen Eigentümers gegen den Rechtsnachfolger oder Gläubiger nicht gegeben. Ist der Verkürzte im Zeitpunkt der Verwendung weiterhin Eigentümer, ist der betreibende Gläubiger bei einer abgeirrten Exekution zwar ebenso wie der Gesellschafter, der eine fremde Sache als Dividende ausgeschüttet erhalten und anschließend weiterveräußert hat, Bereicherungsschuldner. Es handelt sich dabei aber um kein Problem des Reflexvorteils, sondern die Folge aus einem unmittelbaren Eingriff in eine absolut geschützte Rechtsposition. Tätigt eine Person rechtsgrundlos Aufwendungen auf eine fremde Sache, ist nur der gegenwärtige Eigentümer Bereicherungsschuldner, nicht aber dessen Rechtsnachfolger oder ein Gläubiger, der exekutiv auf die Sache zugreift. Eine Ausnahme besteht zur Sicherung des Zurückbehaltungsrechts des redlichen Besitzers bei Ansprüchen gem § 331 ABGB.

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Fruchtgenuss

Fruchtgenuss an Gesellschaftsanteilen CHRISTOPH KLAMPFL*

Die folgende Darstellung setzt sich mit den grundlegenden Voraussetzungen, Rechtsfolgen und Gestaltungsmöglichkeiten des Fruchtgenusses am Gesellschaftsanteil auseinander, legt mögliche Konfliktlinien offen und gibt Handlungsempfehlungen für die Praxis. I. * Einleitung Der Fruchtgenuss an Gesellschaftsanteilen hat in der Praxis eine hohe Bedeutung,1 ein wichtiger Anwendungsbereich liegt in Gestaltungsmöglichkeiten für die Unternehmensnachfolge, bei der Fruchtgenussrechte zu Versorgungszwecken und zur Befriedigung von Pflichtteilsansprüchen durch Begründung zu Lebzeiten oder durch Verfügungen von Todes wegen eingeräumt werden.2 Die Besonderheiten des Fruchtgenusses an einem Gesellschaftsanteil sind die dingliche Rechtsgemeinschaft,3 die zwischen Gesellschafter und Fruchtnießer begründet wird, und die Trennung von Vermögenssubstanz und Nutzung, dh von Einflussnahme und Entscheidungsfindung einerseits und dem Anspruch auf vermögensrechtliche Vorteile andererseits.4 Im Zusammenspiel mit mehreren Beteiligten (belasteter Gesellschafter, Fruchtnießer, Gesellschaft, sonstige Gesellschafter) sowie verschiedenen relevanten Regelungssystemen (Fruchtgenussabrede, Gesellschaftsvertrag, Syndikatsvertrag, Zivilrecht, Gesellschaftsrecht) ergeben sich zahlreiche Fragen. II. Inhalt, Gegenstand und Abgrenzungen Fruchtgenuss gem § 509 ABGB ist das dingliche Recht auf Nutzung einer fremden Sache unter Schonung der Substanz und kann sowohl an körperlichen Sachen als auch an Rechten, insb auch an Gesellschaftsanteilen oder an Unternehmen, begründet werden.5 Der Gesellschafter bleibt rechtlicher Eigentümer des Anteils, dh Gesellschafter der Gesellschaft,6 der Fruchtnießer wird wirtschaftlicher Eigentümer des Anteils.7 Zu unterscheiden8 ist der Fruchtgenuss am Gesellschaftsanteil vom Fruchtgenuss an den übertragbaren, vermögenswerten Ansprüchen des Gesellschafters, dh insb an den Ansprüchen auf Gewinn und Liquidationserlös („Ertragsfruchtgenuss“9 oder „verdeckter Fruchtgenuss“10), sowie vom Fruchtgenuss am Einzelunternehmen.11 *

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Mag. Christoph Klampfl, LL.M. (London) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zivil- und Unternehmensrecht der Wirtschaftsuniversität Wien. K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 8. Vgl Kalss/Probst, Familienunternehmen (2013) § 21 Rz 69; OGH 9.7.1997, 3 Ob 47/97a; Giller in Gruber/Kalss/Müller/Schauer, Erbrecht und Vermögensnachfolge (2010) § 19 Rz 27. Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 60. Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 70; Frotz, Der Fruchtgenuß an Personengesellschaftsanteilen, GesRZ 1990, 34 (35). Hofmann in Rummel, ABGB3, § 509 Rz 1 f; Memmer in Kletečka/Schauer, ABGBON1.00, § 509 Rz 4; Schwimann/Kodek, ABGB4, § 509 Rz 2; Frotz, GesRZ 1990, 34. Rauter in Straube, GmbHG, § 75 Rz 40 und § 80 Rz 16. Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 68. Verdeckter Fruchtgenuss und Fruchtgenuss am Einzelunternehmen werden in diesem Beitrag nicht näher behandelt. Haslinger, Zuwendungsfruchtgenuß an Unternehmensanteilen, ecolex 1996, 622. Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 108. K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 9; siehe dazu im Detail Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 20 ff.

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Der verdeckte Fruchtgenuss wird – bei Personengesellschaften auch ohne besondere Verfügungsbefugnis über den Anteil und bei Kapitalgesellschaften unabhängig von Verfügungsbeschränkungen – an den übertragbaren Ansprüchen, die dem Gesellschafter aufgrund seiner Gesellschafterstellung zustehen, begründet. Dem Fruchtnießer stehen nur die Zinsen aus diesen Erträgen (Gewinn, Liquidationserlös), die in diesem Fall die belastete Substanz darstellen, als Früchte zu.12 Beim Fruchtgenuss am Einzelunternehmen wird das Unternehmen dem Fruchtnießer – einer Unternehmenspacht vergleichbar – zur tatsächlichen Unternehmensführung überlassen, dh, der Fruchtnießer betreibt das Unternehmen als Unternehmer.13 Gestaltungsalternativen, mit denen zum Fruchtgenuss wirtschaftlich vergleichbare Zwecke verfolgt werden können, sind die Unterbeteiligung an einem Gesellschaftsanteil sowie Treuhandverhältnisse, die durch entsprechende Gestaltung des Treuhandvertrages zwischen Treuhänder und Treugeber eine Fruchtgenussfunktion erfüllen („Nutzungstreuhand“14).15 In diesen Fällen kann auch von einem Fruchtgenuss „im wirtschaftlichen Sinne“ gesprochen werden.16 Die Unterbeteiligung ist im Gegensatz zum Fruchtgenuss keine dingliche Belastung des Gesellschaftsanteils, sondern eine GesBR als Innengesellschaft zwischen dem Anteilseigner und dem Unterbeteiligten als wirtschaftlichen Fruchtnießer mit dem typischen Zweck der gemeinsamen Finanzierung und Nutzung des Gesellschaftsanteils.17 Bei der Nutzungstreuhand wird der Gesellschaftsanteil in das rechtliche Eigentum des Treuhänders übertragen, der gegenüber der Gesellschaft und den anderen Gesellschaftern als neuer Gesellschafter auftritt und alle Gesellschafterrechte im eigenen Namen ausübt. Im Innenverhältnis ist der Treuhänder verpflichtet, diese Rechte nur als Fruchtnießer zu nutzen, sodass das Treuhandverhältnis funktional einem Fruchtgenuss entspricht.18 Der übertragende Gesellschafter ist Treugeber und kann vereinbarungswidriges Verhalten des Treuhänders schuldrechtlich sanktionieren.19 Wirtschaftlich liegt daher ein Fruchtgenuss vor, rechtstechnisch aber eine fiducia bzw „Vollrechtstreuhand“20.21 12 13

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Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 65. Kalss/Schauer/Winner, Allgemeines Unternehmensrecht (2011) Rz 2/24; K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 9. K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 12, 40 und 47. Unterbeteiligung und Treuhandverhältnisse werden in diesem Beitrag nicht näher behandelt. K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 10. K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 11 und § 230 Rz 194, 196. K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 40. K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 12 und 47; Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 54 ff. Gruber, Treuhandbeteiligung an Gesellschaften (2001) 4. K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 47.

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Fruchtgenuss Sowohl die Unterbeteiligung als auch die Treuhandkonstruktion vermeiden durch die klare dingliche Zuteilung des Gesellschaftsanteils (Eigentum beim Gesellschafter bzw beim Treuhänder) die Fragen zu den Rechten von Gesellschafter und Fruchtnießer beim Fruchtgenuss. Sie haben aber umgekehrt den Nachteil, dass jeweils einer der Beteiligten (Unterbeteiligter und Treugeber) eine unsichere, da nur schuldrechtliche Position innehat. Der Fruchtgenuss am Gesellschaftsanteil ist zwischen der Unterbeteiligung und der Treuhand einzuordnen und hebt sich von diesen Gestaltungsmöglichkeiten durch die Dinglichkeit der Rechte beider unmittelbar Beteiligter ab. Der Fruchtnießer hat ein dingliches Recht am Gesellschaftsanteil bzw an der Mitgliedschaft in der Gesellschaft. Der Fruchtnießer hat daher eine absolute, Dritten gegenüber geschützte Rechtsstellung, kann unmittelbar das Recht auf Nutzung geltend machen und ist nicht auf schuldrechtliche Ansprüche gegen den belasteten Gesellschafter beschränkt.22 III. Zulässigkeit des Fruchtgenussrechts an einem Gesellschaftsanteil 1. Allgemeines Als Wirksamkeitsvoraussetzung für die Begründung eines Fruchtgenussrechts an einem Gesellschaftsanteil wird grundsätzlich dessen Übertragbarkeit genannt,23 die aufgrund einer Per-se-Übertragbarkeit (Kapitalgesellschaften) oder einer entsprechenden gesellschaftsvertraglichen Ausgestaltung bzw eines Gesellschafterbeschlusses im Einzelfall (Personengesellschaften) bestehen kann. Die Zulässigkeit der Begründung von Fruchtgenussrechten an Gesellschaftsanteilen, dh insb an Anteilen von Personengesellschaften,24 GmbHs25 und AGs26 ist unbestritten.27 Nach deutschem Recht wird gem § 1068 BGB der Fruchtgenuss („Nießbrauch“) an Rechten ausdrücklich gestattet und die sinngemäße Anwendung der Bestimmungen für den Sachnießbrauch angeordnet. Bei Ausgestaltung als übertragbares Mitgliedschaftsrecht ist die Begründung eines Fruchtgenussrechts auch an einer stillen Beteiligung oder Unterbeteiligung zulässig.28 Das strikte Abstellen auf die Übertragbarkeit als Wirksamkeitsvoraussetzung in der deutschen Literatur ist durch die Regelung in § 1069 Abs 2 BGB zu erklären, in dem angeordnet wird, dass ein Nießbrauch an einem „nicht übertragbar[en]“ Recht nicht begründet werden kann.29 In Österreich besteht keine entsprechende Regelung. Ausgehend davon, dass die Einräumung eines Fruchtgenussrechts eine dingliche 22 23

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Frank in Staudinger, BGB, Vor §§ 1068 – 1084 Rz 3. Frank, Der Nießbrauch an Gesellschaftsanteilen, MittBayNot 2010, 96; ders in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 48; K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 25. Artmann in Jabornegg/Artmann, UGB I2 (2010) § 124 Rz 9; Frotz, GesRZ 1990, 34; siehe die deutsche Rspr in Frank, MittBayNot 2010, 96 FN 8; ders in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 57 mwN (auch BGH-Rspr); K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 14. Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 94; K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 25. Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 108. Koch in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB3 (2010) § 509 Rz 2; Memmer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01, § 509 Rz 4; Spath in Schwimann/Kodek, ABGB4, § 509 Rz 2. K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 32. Frank in Staudinger, BGB, § 1069 Rz 21.

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Belastung, aber gerade keine Übertragung ist, ist in Österreich für die Beurteilung der Möglichkeit zur Fruchtgenussrechtsbegründung zu unterscheiden. Zu vergleichen ist die notwendige Differenzierung mit der Unterscheidung zwischen einem Veräußerungs- und einem Belastungsverbot gem § 364c ABGB, wonach ein Veräußerungsverbot zwar im Zweifel auch ein Belastungsverbot beinhaltet und ein Belastungsverbot auch ein Veräußerungsverbot beinhalten kann, die zugrunde liegende vertragliche Vereinbarung aber die tatsächliche Reichweite des Verbots bestimmt und unterschiedlich gestaltet sein kann.30 Bei grundsätzlicher Übertragbarkeit des Gesellschaftsanteils ist im Zweifel von der Wirksamkeit einer Fruchtgenussrechtsbegründung auszugehen, da die Zulässigkeit des stärkeren Eingriffs in die Rechtsposition und auch in den Gesellschafterverband, dh der Übertragung des Eigentums und des Gesellschafterwechsels, die Zulässigkeit eines geringeren Eingriffs, dh der bloßen Belastung ohne Gesellschafterwechsel, impliziert.31 Andererseits könnte trotz Zulässigkeit einer Anteilsübertragung im Gesellschaftsvertrag geregelt sein, dass die Fruchtgenussrechtseinräumung nicht möglich ist. Umgekehrt ist bei Unübertragbarkeit des Gesellschaftsanteils im Zweifel davon auszugehen, dass – vergleichbar zu einem Veräußerungsverbot gem § 364c ABGB, das im Zweifel ein Belastungsverbot enthält32 – auch die Einräumung eines Fruchtgenussrechts nicht zulässig ist. Es kann auch der Fall vorliegen, dass zwar die Übertragbarkeit des Gesellschaftsanteils ausgeschlossen ist, durch gesellschaftsvertragliche Regelung oder Gesellschafterbeschluss aber ausdrücklich die Einräumung eines Fruchtgenussrechts möglich ist. Es kommt daher nicht auf die Übertragbarkeit des Gesellschaftsanteils an, sondern auf eine – zumindest – den Fruchtgenuss erfassende Verfügungsbefugnis des Gesellschafters, die im Zweifel in der Befugnis zur freien Übertragung enthalten ist. 2. Personengesellschaften Bei Personengesellschaften kann die Zulässigkeit einer Fruchtgenussbestellung im Gesellschaftsvertrag festgelegt sein oder für den konkreten Einzelfall die Zustimmung der Gesellschafter eingeholt werden.33 Liegt keine derartige gesellschaftsrechtliche Grundlage vor, kann ein Fruchtgenussrecht nicht wirksam an einem Personengesellschaftsanteil begründet werden. Die „gesetzliche Vinkulierung“ bei Personengesellschaften verhindert daher nicht nur die Übertragung, sondern auch die Belastung mit dinglichen Rechten.34 Fehlt die erforderliche gesellschaftsvertragliche Regelung bzw Zustimmung, kann die Vereinbarung eines Fruchtgenussrechts zur Begründung einer Unterbeteiligung in Rechtsform einer (Innen-)GesBR führen.35 30

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Holzner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01, § 364c Rz 4; Oberhammer in Schwimann/Kodek, ABGB4, § 364c Rz 12; Spielbüchler in Rummel, ABGB3, § 364c Rz 3. Siehe für Personengesellschaften Frotz, GesRZ 1990, 36; Frank, MittBayNot 2010, 97. Holzner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01, § 364c Rz 4; Oberhammer in Schwimann/Kodek, ABGB4, § 364c Rz 12; Spielbüchler in Rummel, ABGB3, § 364c Rz 3; OGH 2.3.1927, 1 Ob 96/27, SZ 9/58. Koppensteiner/Auer in Straube, UGB I4, § 124 Rz 4; Schauer in Kalss/Nowotny/ Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht (2008) Rz 2/600; Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 48; K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 16. Koppensteiner/Auer in Straube, UGB I4, § 124 Rz 3 f. Vgl Artmann in Jabornegg/Artmann, UGB I2, § 124 Rz 5; OGH 20.4.1949, 1 Ob 178/49.

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Fruchtgenuss Die gesellschaftsrechtliche Zulassung von Verfügungsmöglichkeiten über die Gesellschaftsanteile kann – iSd obigen Darstellung – unterschiedlich gestaltet werden, zB die Fruchtgenusseinräumung ausdrücklich zulassen, aber die Veräußerung weiterhin ausschließen. Die undifferenzierte Zulassung der „Übertragbarkeit“ führt aufgrund eines Größenschlusses im Zweifel zur Wirksamkeit der Fruchtgenussrechtseinräumung.36 Für die – in der Praxis für die Pflichtteilsdeckung oder sonstige Versorgung eines Hinterbliebenen verwendete – letztwillige Einräumung eines Fruchtgenussrechts am Anteil einer Personengesellschaft durch Vermächtnis besteht neben der Frage einer ausreichenden Verfügungsbefugnis des Gesellschafters ein zusätzliches Problem: Der Tod des OGGesellschafters und Komplementärs führt gem § 131 Z 4 UGB grundsätzlich zur Auflösung der Gesellschaft, sodass das Vermächtnis zwar noch erfüllt werden kann, sich die Gesellschaft aber mit dem Tod in Auflösung befindet und der Fruchtgenuss daher nach der Abwicklung nur am Liquidationserlös bzw nach einem Fortsetzungsbeschluss der übrigen Gesellschafter am Abfindungsanspruch37 fortgesetzt werden kann. Die letztwillige Einräumung eines Fruchtgenussrechts am Gesellschaftsanteil selbst setzt daher voraus, dass – neben der Verfügungsbefugnis zur Fruchtgenusseinräumung – einerseits der Weiterbestand der Gesellschaft, andererseits der Verbleib des Nachlasses bzw des Erben im Gesellschafterverband durch entsprechende gesellschaftsvertragliche Gestaltung in Form einer (gegebenenfalls qualifizierten) Nachfolgeklausel38 gesichert ist. 3. Kapitalgesellschaften Anteile an Kapitalgesellschaften (GmbH, AG, SE) sind grundsätzlich – sowohl unter Lebenden als auch von Todes wegen39 – frei übertragbar und können daher Gegenstand von Fruchtgenussrechten sein.40 Das Bestehen eines Fruchtgenussrechts bildet weder eine Mitberechtigung an einem Geschäftsanteil gem § 80 GmbHG41 noch eine Rechtsgemeinschaft iSv § 63 AktG, da in diesen Fällen eine dingliche Miteigentumsgemeinschaft vorausgesetzt wird.42 Fraglich ist, ob Beschränkungen der Übertragbarkeit von Kapitalgesellschaftsanteilen, dh insb die Vinkulierung von GmbH-Anteilen gem § 76 Abs 2 GmbHG und Namensaktien gem § 62 Abs 2 AktG, oder Aufgriffsrechte für den Übertragungsfall auch durch die angestrebte Einräumung eines Fruchtgenussrechts ausgelöst werden.43

In diesen Fällen kommt es wiederum auf die Auslegung der jeweiligen gesellschaftsvertraglichen Klausel an, dh, ob im konkreten Fall nur bzw auch der Fruchtgenuss als dingliche Belastung – und nicht (nur) die Übertragung des Gesellschaftsanteils auf einen neuen Gesellschafter – erfasst sein soll. Im Zweifel sind zum Schutz des Gesellschafterverbands derartige Beschränkungen, die sich auf die Übertragung beziehen, auch auf die Fruchtgenussbestellung anzuwenden.44 Eine Differenzierung im Gesellschaftsvertrag ist möglich, dh, eine Vinkulierungs-/Aufgriffsrechtsklausel kann die Übertragung der Mitgliedschaft erfassen, die Fruchtgenusseinräumung aber ausdrücklich von ihrem Anwendungsbereich ausnehmen, oder umgekehrt speziell auf den Fall der Fruchtgenussrechtseinräumung abstellen und die Übertragung unbeschränkt zulassen.45 IV. Einräumung des Fruchtgenussrechts an einem Gesellschaftsanteil Für die rechtswirksame Einräumung des Fruchtgenussrechts als dingliches Recht sind nach sachenrechtlichen Grundsätzen ein Verpflichtungs- und ein Verfügungsgeschäft erforderlich.46 Dazu dienen die (formlose) Fruchtgenussvereinbarung einerseits und ein Publizitätsakt durch Mitteilung an die Gesellschaft, Übermittlung der Vereinbarung an diese oder bei verbrieften Anteilen auch durch Übergabe andererseits.47 Nach deutschem Recht gem § 1069 Abs 1 BGB sind für die Nießbrauchsbegründung an Rechten dieselben Regeln wie bei einer Vollrechtsbegründung zu beachten. In Österreich besteht keine derartige Regelung, daher ist für die Begründung eines Fruchtgenussrechts an einem GmbH-Anteil die Notariatsaktsform nicht erforderlich.48 Bei Personengesellschaften49 und der GmbH50 sind die Gesellschafter im Firmenbuch einzutragen, bei AGs kommt es grundsätzlich zu keiner Eintragung der Gesellschafter, im Fall einer Einpersonen-AG wird nur der Vollrechtsträger (Alleinaktionär) eingetragen.51 Mangels Gesellschafterstellung ist der Fruchtnießer nicht im Firmenbuch einzutragen.52 Die Eintragungspflicht im Aktienbuch für Namensaktien gilt grundsätzlich nur für den Aktionär, dh für den rechtlichen Eigentümer und nicht einen möglichen wirtschaftlichen Eigentümer.53 Allerdings ist gem § 61 Abs 1 Z 3 AktG verpflichtend eine Kontoverbindung, auf die „sämtliche Zahlungen zu leisten sind“, in das Aktienbuch einzutragen. Da der Fruchtnießer einen unmittelbaren Anspruch gegen die 44 45

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Frotz, GesRZ 1990, 36; Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 63; in diese Richtung auch K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 16. Vgl Schauer in Gruber/Kalss/Müller/Schauer, Erbrecht, § 31 Rz 16. Vgl Schauer in Gruber/Kalss/Müller/Schauer, Erbrecht, § 31 Rz 33 ff. Da der Gesellschaftertod nicht zur Auflösung einer Kapitalgesellschaft führt, besteht nicht dieselbe „Vermächtnisproblematik“ wie bei Personengesellschaften. Rauter in Straube, GmbHG, § 75 Rz 40; Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 81 f. Rauter in Straube, GmbHG, § 80 Rz 16. Haberer/Zehetner in Jabornegg/Strasser, AktG5 (2011) § 63 Rz 10; Kalss in Doralt/ Nowotny/Kalss, AktG2 (2012) § 63 Rz 1. Vinkulierung erfasst auch Fruchtgenussrechtseinräumung: Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 81; für Deutschland (§ 1069 Abs 2 BGB): Frank, MittBayNot 2010, 97; ders in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 94; Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1068 Rz 50.

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K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 25. Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 94; siehe auch Rauter in Straube, GmbHG, § 76 Rz 70. Frotz, GesRZ 1990, 35; Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 66. Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 77; Rauter in Straube, GmbHG, § 80 Rz 16; Koppensteiner/Auer in Straube, UGB I4, § 124 Rz 5; Schauer in Kalss/Nowotny/ Schauer, Gesellschaftsrecht, Rz 2/599. Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 81; Rauter in Straube, GmbHG, § 80 Rz 16; aA Haslinger, ecolex 1996, 625 (notarielle Beurkundung). Artmann in Jabornegg/Artmann, UGB I2, § 106 Rz 19; Jabornegg/Artmann in Jabornegg/Artmann, UGB I2, § 162 Rz 9. Petrasch/Verweijen in Straube, GmbHG, § 11 Rz 27. Geist in Jabornegg/Strasser, AktG5, § 35 Rz 4. Frotz, GesRZ 1990, 39; Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 83; Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1068 Rz 83 f; K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 16; aber nach deutschem Recht nach der Rspr zumindest möglich: OLG Stuttgart 28.1.2013, 8 W 25/13, NZG 2013, 432 (zur Eintragungsfähigkeit des Nießbrauchs an einem Kommanditanteil). Haberer/Zehetner in Jabornegg/Strasser, AktG5, § 61 Rz 29.

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Fruchtgenuss Gesellschaft erwirbt (siehe Pkt V.1.2.), ist er in das Aktienbuch einzutragen, damit die Gesellschaft mit befreiender Wirkung an ihn leisten kann.54 V. Rechtsfolgen des Fruchtgenussrechts ohne Zusatzvereinbarungen Die Rechtsbeziehungen in der Gesellschaft werden durch die Einräumung eines Fruchtgenussrechts an einem Gesellschaftsanteil komplexer. Der Fruchtnießer steht einerseits mit dem belasteten Gesellschafter in einer bilateralen Rechtsbeziehung. Aufgrund des Charakters des Gesellschaftsanteils als Mitgliedschaft in der Gesellschaft bestehen aber auch Rechtsbeziehungen des Fruchtnießers zur Gesellschaft und zu den anderen Gesellschaftern. 1. Fruchtnießer und Gesellschaft 1.1. Mitverwaltungsrechte Für die Auswirkung der Einräumung eines Fruchtgenussrechts an einem Gesellschaftsanteil auf die Mitverwaltungsrechte des Gesellschafters bestehen in der Lehre unterschiedliche Auffassungen: Vertreten werden der Verbleib der Verwaltungsrechte beim Gesellschafter, der Übergang der Rechte auf den Fruchtnießer, die Aufspaltung der Rechte nach sachlichen Kriterien sowie die gemeinschaftliche Ausübung der Verwaltungsrechte.55 Die Rspr hat sich dazu noch nicht abschließend geäußert, der BGH56 hat die Zuständigkeit des Gesellschafters zur Stimmrechtsausübung für Grundlagenbeschlüsse bestätigt, das OLG Stuttgart57 erwähnt in seiner Entscheidung über die grundsätzliche Eintragungsfähigkeit eines Nießbrauchs am Kommanditanteil in das deutsche Handelsregister dem Nießbraucher zustehende Verwaltungsrechte, ua das Stimmrecht in „laufenden Angelegenheiten“. Richtigerweise verbleiben die mit der Gesellschafterstellung verbundenen Verwaltungsrechte aufgrund der fortgesetzten Eigentümerstellung des Gesellschafters, die durch den Fruchtgenuss nur belastet wird, weiterhin beim Gesellschafter. Diese Rechte stellen keine Nutzung des Gesellschaftsanteils dar, auf die der Fruchtnießer einen Anspruch hätte. Auch die mangelnde Praktikabilität und Rechtssicherheit einer Aufspaltung oder gemeinschaftlichen Ausübung der Verwaltungsrechte sprechen für diese Lösung. Die mit der Mitgliedschaft in der Gesellschaft verbundenen Mitverwaltungsrechte – insb Stimmrecht, Teilnahmerecht an Gesellschafterversammlungen, Widerspruchs- und Anfechtungsrecht für Gesellschafterbeschlüsse – werden daher alleine durch den Gesellschafter ausgeübt.58

Bei Personengesellschaften ist zu beachten, dass dem Fruchtnießer weder Geschäftsführungs- noch Vertretungsbefugnis zukommen. Der Fruchtnießer hat eine einem nicht geschäftsführungsbefugten Kommanditisten vergleichbare Rechtsstellung, unabhängig davon, ob die Gesellschaft eine OG oder KG ist.59 Die Frage einer Geschäftsführungs- bzw Vertretungsbefugnis stellt sich bei Kapitalgesellschaften grundsätzlich nicht, da in Kapitalgesellschaften der Grundsatz der Drittorganschaft gilt und mit der Gesellschafterstellung daher keine Organfunktion unmittelbar verbunden ist.60 Bei einer GmbH kann der Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag als Geschäftsführer bestellt werden bzw ihm ein Sonderrecht auf Geschäftsführung eingeräumt werden.61 Dieses im Gesellschaftsvertrag eingeräumte Recht steht aber nur dem Gesellschafter zu.62 1.2. Anspruch auf Gewinn Der Fruchtnießer hat einen unmittelbaren Anspruch gegen die Gesellschaft auf den entnahmefähigen Gewinn, den der belastete Anteil entsprechend Gesetz und Gesellschaftsvertrag bzw Gesellschafterbeschluss gewährt.63 Bei Personengesellschaften handelt es sich um den entnahmefähigen Gewinn auf Basis der Unternehmensbilanz unter Bindung an Gesellschaftsvertrag und Gesellschafterbeschlüsse.64 Der Fruchtnießer hat keinen Anspruch auf den vollen Bilanzgewinn, sondern nur auf den Teil, der nach den gesellschaftsvertraglichen Regelungen oder Vorgaben durch Gesellschafterbeschluss, zB über die Bildung von Rücklagen und Gewinnvorträgen, zur Ausschüttung bestimmt wird.65 Einen Ausgleichanspruch für Teile des Bilanzgewinns, die entweder nicht oder erst nach Beendigung des Fruchtgenusses ausgeschüttet werden, hat der Fruchtnießer – ohne entsprechende Zusatzvereinbarung in der Fruchtgenussabrede – nicht.66 Umgekehrt stehen Erträge, die aufgrund einer Auflösung von Rücklagen oder Gewinnvorträgen aus der Zeit vor Einräumung des Fruchtgenusses ausgeschüttet werden, dem Fruchtnießer zu. Entscheidend ist nicht, wann die Erträge erwirtschaftet werden, sondern ob sie während des aufrechten Fruchtgenusses durch Gesellschafterbeschluss zu entnahmefähigem Gewinn gemacht werden.67 Außerordentliche Erträge aus der Auflösung stiller Reserven durch Veräußerung von Anlagevermögen stehen dem Gesellschafter zu, da es sich dabei um eine Auskehr von Substanz und nicht von „Früchten“ der Beteiligung handelt.68 59 60

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Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 94; zumindest für Eintragungsfähigkeit Haberer/Zehetner in Jabornegg/Strasser, AktG5, § 61 Rz 29; Frank, MittBayNot 2010, 98. Vgl Frank, MittBayNot 2010, 99; ders in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 72; Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1068 Rz 69; K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 21 – jeweils mwN; aktuell zB für Übergang auf Fruchtnießer Wedemann, NZG 2013, 1281 (1284 ff). BGH 9.11.1998, II ZR 213/97, NZG 1999, 150. OLG Stuttgart 28.1.2013, 8 W 25/13. Frotz, GesRZ 1990, 39; Frank, MittBayNot 2010, 99; ders in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 72 mwN (Personengesellschaften), Rz 97 f (GmbH), Rz 120 und 123 (Anfechtungsrecht); Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 99; Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1068 Rz 81 f; K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 21, 27 und 31.

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Frank, MittBayNot 2010, 97; ders in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 90. Rieder/Huemer, Gesellschaftsrecht3 (2013) 46; Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht7 (2012) § 1 Rz 1.4. Straube/Ratka/Stöger/Völkl in Straube, GmbHG, § 15 Rz 31; Ratka in Straube, GmbHG, § 16 Rz 22. Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 99; Straube/Ratka/Stöger/Völkl in Straube, GmbHG, § 15 Rz 31. Frotz, GesRZ 1990, 34; Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 90. Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 79; Frotz, GesRZ 1990, 34; Frank, MittBayNot 2010, 100; Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 91; Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1068 Rz 50; K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 18. Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 79; Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1068 Rz 50 und 52. Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 80; Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1068 Rz 50; K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 18. Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1068 Rz 59; aA Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 81. Frank in Staudinger, BGB, Anhang zu §§ 1068, 1069 Rz 81; Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1068 Rz 53 und 58.

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Fruchtgenuss Allerdings stehen dem Fruchtnießer die Nutzungen, dh die Zinsen aus diesen außerordentlichen Erträgen zu.69 In Kapitalgesellschaften gelten für die Gewinnansprüche des Fruchtnießer dieselben Grundsätze wie in Personengesellschaften. Der Fruchtnießer hat einen Anspruch auf die nach dem Gewinnverwendungsbeschluss der Gesellschafter ausschüttungsfähige Gewinnquote bzw Dividende, dh auf den dem belasteten Gesellschaftsanteil entsprechenden Anteil am Bilanzgewinn, der nicht durch Gesetz, Gesellschaftsvertrag oder Gesellschafterbeschluss von der Gewinnausschüttung ausgeschlossen ist.70 Der Fruchtnießer hat auch Anspruch auf den Gewinn, der aus der Auflösung von Rücklagen oder Gewinnvorträgen herrührt, solange der Gewinnverwendungsbeschluss auf die Zeit des Bestehens des Fruchtgenusses entfällt. Das gilt daher für den Fall, dass die Gewinnvorträge bzw Rücklagen vor Einräumung des Fruchtgenussrechts entstanden sind.71 Nach Untergang des Fruchtgenusses ausgeschüttete Gewinnvorträge oder Rücklagen, die während aufrechtem Fruchtgenuss gebildet worden sind, stehen hingegen dem Gesellschafter zu und es besteht kein Ausgleichsanspruch des Fruchtnießers.72 Bei der AG hat der Fruchtnießer auch Anspruch auf eine Vorabdividende gem § 53 Abs 2 AktG,73 eine Vorzugsdividende gem § 12a Abs 1 AktG74 und eine Zwischendividende gem § 54a AktG.75 Endet der Fruchtgenuss während des laufenden Geschäftsjahrs, hat der Fruchtnießer Anspruch auf den aliquoten Anteil am noch auszuschüttenden Gewinn.76 Vergütungen für Nebenleistungspflichten gem § 50 iVm § 55 AktG bzw § 8 iVm § 82 Abs 4 GmbHG fallen nicht dem Fruchtnießer zu, sondern als Entgelt dem leistungserbringenden Gesellschafter.77 Der Anspruch des Fruchtnießers entsteht als unmittelbarer Leistungsanspruch gegen die Gesellschaft mit Gewinnverwendungsbeschluss in General- bzw Hauptversammlung und für eine Zwischendividende mit den entsprechenden Beschlüssen78 von Vorstand und Aufsichtsrat.79 Bei Personengesellschaften entsteht der Leistungsanspruch mit Feststellung des Jahresabschlusses.80 Die Gesellschaft befreit sich mit Leistung an den Fruchtnießer von ihrer Zahlungspflicht, was die Kenntnis der Gesellschaft vom Fruchtgenuss voraussetzt.81 IdR ist dieser der Gesellschaft bereits bei der Begründung des Fruchtgenuss69

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Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 81; Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1068 Rz 55; Schön, Der Nießbrauch am Geschäftsanteil, ZHR 158 (1994), 229 (245). Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 103 und 110; Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1068 Rz 62; K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 26 und 30. Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 103; ders, MittBayNot 2010, 101; Fricke, Der Nießbrauch an einem GmbH-Geschäftsanteil, GmbHR 2008, 739 (742 f); Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 92. Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 103. Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 110; Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1068 Rz 62. Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1068 Rz 62. Siehe FN 74. Siehe FN 74. Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 110; Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1068 Rz 62. Dazu Saurer in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2, § 54a Rz 16. Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 103; Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 92 f. Artmann in Jabornegg/Artmann, UGB I2, § 121 Rz 8; Schauer in Kalss/Nowotny/ Schauer, Gesellschaftsrecht, Rz 2/385. Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 94.

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rechts bekannt gegeben worden (siehe Pkt IV.). Sollte dies ausnahmsweise nicht der Fall sein, gilt die Zahlung an den Gesellschafter als schuldbefreiend und hat der Fruchtnießer nur einen Ausgleichsanspruch gegen den Gesellschafter.82 Möglich sind Vereinbarungen zwischen Gesellschafter und Fruchtnießer über die genaue Auf- bzw Zuteilung der Gewinne, zB kann ein bestimmter Verteilungsschlüssel83 oder eine Quote für die Fruchtziehung durch den Fruchtnießer festgelegt werden (Quotenfruchtgenuss).84 Verluste haben nur mittelbar durch Minderung des Gewinns Einfluss auf den Fruchtnießer, eine unmittelbare Haftung85 des Fruchtnießers oder eine Verlustbeteiligung bestehen nicht.86 Wertsteigerungen des Anteils (Veräußerungs- und Kursgewinne) gehören dem Gesellschafter.87 1.3. Auskunftsrecht Aufgrund seiner unmittelbaren Rechtsbeziehung zur Gesellschaft hat der Fruchtnießer ein eigenes Auskunftsrecht gegen die Gesellschaft, funktional beschränkt auf Informationen zum Ertrag der Beteiligung.88 Der Fruchtnießer kann daher Auskünfte zur Bildung des ausgeschütteten Bilanzgewinns (zB über Rücklagen und Gewinnvorträge)89 sowie zu Fälligkeit und Höhe der Zahlungen, auf die er einen direkten Anspruch gegen die Gesellschaft hat, verlangen. Das Auskunftsrecht des Fruchtnießers dient dazu, ihn in die Lage zu versetzen, seine Leistungsansprüche auf die ihm zustehenden Nutzungen gegen die Gesellschaft wahrnehmen und durchsetzen zu können. In der AG ist das Auskunftsrecht – wie für den Gesellschafter auch – auf die Ausübung in der Hauptversammlung gem § 118 AktG beschränkt. Das bedeutet, dass dem Fruchtnießer ein auf den sachlich entsprechenden Tagesordnungspunkt (Gewinnverwendungsbeschluss gem § 104 Abs 2 Z 2 AktG) beschränktes Teilnahmerecht an der Hauptversammlung zukommen muss.90 Die mitgliedschaftlichen Informationsrechte des Gesellschafters bleiben unberührt.91 2. Fruchtnießer und belasteter Gesellschafter 2.1. Interessenwahrungspflicht Zwischen Fruchtnießer und Gesellschafter des belasteten Gesellschaftsanteils entsteht mit Begründung des Fruchtgenussrechts ein gesetzliches Schuldverhältnis.92 82 83 84 85

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Vgl Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 103. Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 96. K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 8. Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 91; K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor 230 Rz 24. Frank, MittBayNot 2010, 101; K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 23. Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 111; Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 97; Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1068 Rz 64; Rauter in Straube, GmbHG, § 80 Rz 16; K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 30. Frotz, GesRZ 1990, 38; Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 74 und 98; Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 102 f; K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 21 und 27; Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1068 Rz 82; differenzierend Hillmann in MünchKomm GmbHG, § 51a Rz 21; Römermann in Michalski, GmbHG2 (2010) § 51a Rz 63. Vgl E. Gruber in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2, § 104 Rz 42 f. Vgl Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 103; wegen „praktischer Unzuträglichkeiten“ gegen Auskunftsrecht bei AG K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 31; Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1068 Rz 82. M. Doralt in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2, § 118 Rz 29; Kubis in MünchKomm AktG3, § 131 Rz 10. Frank in Staudinger, BGB, Vor §§ 1030 ff Rz 6; Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1068 Rz 17, 86.

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Fruchtgenuss Dem Fruchtnießer steht im Innenverhältnis gegenüber dem Gesellschafter ein Anspruch auf Schutz seiner Interessen bei Ausübung der Mitverwaltungsrechte zu, dh, der Gesellschafter ist iS einer Interessenwahrungspflicht an die Interessen des Fruchtnießers gebunden als Ausgleich dafür, dass die Mitverwaltungsrechte beim Gesellschafter verbleiben.93 Den Gesellschafter trifft diese Interessenwahrungspflicht auch und gerade bei der Ausübung seines Stimmrechts zu Beschlüssen über die Gewinnausschüttung. In diesen Fällen kann es leicht zu einem Interessenkonflikt zwischen möglichst hoher Gewinnausschüttung (Fruchtnießerinteresse) und Thesaurierung von Gewinnen (Gesellschafterinteresse) kommen. Der Gesellschafter ist nicht verpflichtet, auf eine möglichst umfassende Gewinnausschüttung hinzuwirken, da das Gesellschaftsinteresse vorgeht.94 Der Gesellschafter muss sich jedoch für eine angemessene Gewinnausschüttung unter Bildung von – nur – angemessenen Gewinnvorträgen/Rücklagen einsetzen.95 Verletzt bzw droht der Gesellschafter seine Interessenwahrungspflicht gegenüber dem Fruchtnießer zu verletzen, stehen diesem klagweise durchsetzbare Ansprüche auf Unterlassung, Schadenersatz .96 sowie auf entsprechend interessenwahrende Stimmabgabe des Gesellschafters bei Beschlussfassungen zu.97 Für – schuldlos seitens des Gesellschafters – nicht ausgeschüttete Gewinne hat der Fruchtnießer keinen Ausgleichsanspruch, weil er sonst mehr Rechte als der Gesellschafter selbst hätte.98 Wenn daher gegen die Stimme des Gesellschafters, dh gegen sein Bemühen um eine angemessene Gewinnausschüttung und Verhinderung einer unangemessen hohen Gewinnthesaurierung Beschlüsse in der Gesellschaft gefasst werden und auf diese Weise zurückgehaltene Gewinne auch bis zum Ende des Fruchtgenusses nicht ausgeschüttet werden, hat der Fruchtnießer keinen Ausgleichsanspruch gegen den Gesellschafter, da der Fruchtnießer andernfalls mehr bekommen würde, als der Gesellschafter selbst mit seiner Gesellschafterstellung erwirken konnte.99 2.2. Mitwirkung des Fruchtnießers an der Stimmabgabe des Gesellschafters § 1071 BGB sieht für das deutsche Recht ausdrücklich ein Mitwirkungsrecht des Fruchtnießers bei außergewöhnlichen Maßnahmen vor, die zu einer Aufhebung oder Änderung des Anteils mit Beeinträchtigung des Fruchtgenusses, dh zu einem maßgeblichen Eingriff in die Rechtsposition des Fruchtnießers führen. Der Fruchtnießer hat in diesen Fällen ein Zustimmungsrecht, das nach dem Wortlaut des § 1071 BGB ausdrücklich mit der Unwirksamkeit der entsprechen93

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Frotz, GesRZ 1990, 39; Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 100 und 122; ders, MittBayNot 2010, 99; Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 101; Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1068 Rz 86. Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 91; Frank, MittBayNot 2010, 100; ders in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 79. Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 100. Frotz, GesRZ 1990, 39; Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 105; Haslinger, ecolex 1996, 623. Vgl zur Klage auf treuepflichtkonforme Stimmabgabe Doralt/Winner in Doralt/ Nowotny/Kalss, AktG2, § 47a Rz 46. Vgl Frank, MittBayNot 2010, 100; ders in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 79. Vgl Frank, MittBayNot 2010, 101; ders in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 80.

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den Maßnahme sanktioniert ist.100 Die überwiegende Lehre in Deutschland bezieht diese Unwirksamkeit nur auf das Innenverhältnis, dh die Maßnahme ist nur im Verhältnis zwischen Rechteinhaber und Fruchtnießer unwirksam.101 Trotz Fehlens einer vergleichbaren Regelung ist nach österreichischem Recht aus der dinglichen Berechtigung und daher absolut geschützten Rechtsstellung des Fruchtnießers ein Zustimmungsrecht zu solchen gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen abzuleiten, die zu einer Aufhebung oder wesentlichen Änderung des Gesellschaftsanteils und damit zum Untergang oder zu einer strukturellen Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeit des Fruchtgenussrechts führen.102 Dazu gehören insb Änderungen des Gesellschaftsvertrages bzw der Satzung, die das Nutzungsrecht des Fruchtnießers beeinträchtigen, zB Änderungen des Gewinnverteilungsschlüssels,103 die Einziehung104 von Gesellschaftsanteilen bzw Aktien oder die Auflösung105 der Gesellschaft. Auch für ordentliche Kapitalerhöhungen ist dem Fruchtnießer ein Zustimmungsrecht zu gewähren. Aufgrund der Nichterstreckung des Fruchtgenussrechts auf die neuen Anteilsteile (siehe dazu Pkt VI.) führt die ordentliche Kapitalerhöhung dazu, dass der relative Anteil des Fruchtnießers am ausgeschütteten Bilanzgewinn geringer wird. Sein Nutzungsrecht wird „verwässert“, auch wenn der Gesellschafter von einem bestehenden Bezugsrecht Gebrauch macht und selbst keine Anteilsverwässerung erleidet.106 Das Zustimmungsrecht des Fruchtnießers hat aufgrund der dinglichen Belastung des Gesellschaftsanteils absolute Wirkung.107 Verneint man eine solche, besteht in diesen Fällen kein Unterschied zwischen der dinglichen Belastung durch Fruchtgenuss und der schuldrechtlichen Unterbeteiligung oder Treuhand am Gesellschaftsanteil. Allerdings führt die fehlende oder verweigerte Zustimmung des Fruchtnießers nur zur Unwirksamkeit der konkreten Rechtshandlung des Gesellschafters. Für eine gesellschaftsrechtliche Maßnahme, an der als mehrseitiges Rechtsgeschäft nicht nur der Gesellschafter, sondern die Gesellschafter als Gesellschafterversammlung durch Beschlussfassung beteiligt sind, kommt dem Zustimmungsrecht keine absolute Wirkung zu, dh, die mangelnde Zustimmung des Fruchtnießers hindert die Maßnahme nicht unmittelbar. Der Fruchtnießer kann nicht mehr Rechte haben als der Gesellschafter selbst, der die Maßnahme auch nicht direkt iS eines Vetorechts verhindern kann.108 100

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Frank, MittBayNot 2010, 100; ders in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 76 und 101; K. Schmidt (in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 22 und 28) erwähnt Unwirksamkeit der Maßnahme aber nicht direkt. Frank in Staudinger, BGB, § 1071 Rz 2; Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1071 Rz 12. Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 104; siehe auch Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 76 und 101; K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 22. Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 76; K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 22. Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 101; Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1071 Rz 4. Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 76; Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1071 Rz 4. Vgl Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2, § 149 Rz 83; Zollner in Doralt/ Nowotny/Kalss, AktG2, § 174 Rz 75. Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 104; Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 76 und 101; K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 22; Sandhaus, Der Nießbrauch an Gesellschaftsanteilen bei Verschmelzung, Spaltung und Formwechsel (2007) 66; Schön, ZHR 158 (1994), 266 ff. Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 76.

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Fruchtgenuss Handelt es sich um gesellschaftsrechtliche Maßnahmen durch Beschlussfassung, führt die fehlende oder verweigerte Zustimmung des Fruchtnießers daher nur zur Unwirksamkeit der Stimmabgabe des Gesellschafters mit den daraus folgenden gesellschaftsrechtlichen Konsequenzen. Bei Kapitalgesellschaften bildet die Bindung des Gesellschafters an das Zustimmungsrecht des Fruchtnießers kein Stimmverbot iSv § 125 AktG, sondern eine Stimmrechtsschranke wie die Treuepflicht, die zu einer Inhaltskontrolle der Stimmabgabe des Gesellschafters führt.109 Der Gesellschafter ist bei fehlender Zustimmung des Fruchtnießers grundsätzlich dazu verpflichtet, gegen die entsprechende gesellschaftsrechtliche Maßnahme zu stimmen, da nur dadurch das dingliche Recht des Fruchtnießers geschützt werden kann. Stimmt der Gesellschafter für die Maßnahme, ist seine Stimmabgabe wie bei einer Treuepflichtverletzung analog zu § 125 AktG nichtig und darf nicht mitgezählt werden.110 Wird die Stimme doch mitgezählt und führt dies kausal zu einem fehlerhaften Beschlussergebnis, dh, wäre der Beschluss ohne Stimme des Gesellschafters nicht zustande gekommen, handelt es sich um einen Verfahrensmangel, der zur Anfechtbarkeit des Beschlusses führt.111 Wäre der Beschluss auch ohne Stimme des Gesellschafters zustande gekommen, ist der Beschluss nicht anfechtbar.112 Da dem Fruchtnießer das Anfechtungsrecht nicht zukommt113 und auch der Gesellschafter mangels Widerspruchs nicht zur Anfechtung legitimiert ist, wird es jedoch nur in seltenen Fällen erfolgreich zu einer Anfechtung kommen. Der Fruchtnießer bleibt daher idR auf seine Schadenersatzansprüche gegen den Gesellschafter aufgrund schuldhafter Verletzung der Interessenwahrungspflicht verwiesen. Die Schadenersatzansprüche bestehen auch nur dann, wenn das Fehlverhalten des Gesellschafters tatsächlich kausal war, dh, der Beschluss mit der Gegenstimme des Gesellschafters nicht zustande gekommen wäre. Gilt bei Abstimmungen in Personengesellschaften das Einstimmigkeitsprinzip, führt die Unwirksamkeit der Stimmabgabe des Gesellschafters dazu, dass der Gesellschafterbeschluss nicht wirksam gefasst werden kann und die Maßnahme nicht zustande kommt.114 Wird von dem Einstimmigkeitsprinzip abgewichen, ist zu unterscheiden: Wäre der Beschluss auch ohne die Stimme des Gesellschafters zustande gekommen, bleibt der Beschluss wirksam bestehen, andernfalls ist er nichtig.115 2.3. Mitwirkung des Fruchtnießers an sonstigen Maßnahmen des Gesellschafters Einseitige Rechtshandlungen des Gesellschafters, die nicht die Teilnahme an einer Beschlussfassung darstellen, aber zum Untergang oder zu einer maßgeblichen Beeinträchtigung des Fruchtgenussrechts führen, bedürfen für ihre Wirksamkeit

ebenfalls der Zustimmung des Fruchtnießers. Dazu zählt insb die ordentliche Kündigung bei einer Personengesellschaft.116 Ein überwiegendes, rechtfertigendes Interesse des Gesellschafters an der Rechtshandlung, zB die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Gesellschaftsverhältnisses, kann den Fruchtnießer zur Zustimmung verpflichten.117 Die Ausübung oder Veräußerung des Bezugsrechts bei ordentlichen Kapitalerhöhungen fallen nicht unter das Zustimmungsrecht des Fruchtnießers,118 da die Beeinträchtigung des Fruchtgenussrechts aufgrund der Kapitalerhöhung unabhängig von einer Bezugsrechtsausübung des Gesellschafters eintritt. Die Übertragung des Gesellschaftsanteils ist mangels Änderung von Bestand und Nutzungsmöglichkeit des Fruchtgenussrechts ebenfalls nicht zustimmungspflichtig.119 Für gesellschaftsrechtliche Maßnahmen, die wie ein Gesellschafterausschluss nur ohne Beteiligung des belasteten Anteilsinhabers durch die anderen Gesellschafter vorgenommen werden können, steht dem Fruchtnießer kein Zustimmungsrecht zu, da er kein dingliches Recht an den Anteilen der anderen Gesellschafter hat.120 2.4. Auskunftsanspruch Neben seinem Auskunftsanspruch gegen die Gesellschaft (siehe bereits Pkt V.1.3) steht dem Fruchtnießer aus seinem gesetzlichen Schuldverhältnis zum Gesellschafter auch ein Auskunftsanspruch gegen diesen zu. Der Gesellschafter hat den Fruchtnießer über die Entscheidung zur Gewinnausschüttung sowie über alle gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen zu informieren, zu denen dem Fruchtnießer ein Zustimmungsrecht zusteht, sodass dieser seine Rechte geltend machen kann.121 2.5. Gesellschafterpflichten Die Gesellschafterpflichten (Einlagepflicht, Nachschüsse) treffen nur den Gesellschafter.122 Bei Personengesellschaften liegt die persönliche Haftung für Gesellschaftsverbindlichkeiten ausschließlich beim Gesellschafter.123 3. Fruchtnießer und Gesellschaft sowie Gesellschafter insgesamt 3.1. Treuepflicht Zentrale Frage für die Rechtsbeziehung des Fruchtnießers zur Gesellschaft und zu den Gesellschaftern ist, ob ihn eine Treuepflicht analog zur Treuepflicht der Gesellschafter treffen kann.124 Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht verpflichtet Gesellschafter insb bei der Stimmrechtsausübung zu einer 116

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Vgl Schmidt-Pachinger in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2, § 125 Rz 7. Vgl Doralt/Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2, § 47a Rz 45; Diregger in Doralt/ Nowotny/Kalss, AktG2, § 195 Rz 37. Diregger in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2, § 195 Rz 55 und 67 f. Siehe FN 111. Diregger in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2, § 196 Rz 10; Enzinger in Straube, GmbHG, § 41 Rz 58. Jabornegg/Artmann in Jabornegg/Artmann, UGB I2, § 119 Rz 28; Schauer in Kalss/ Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht, Rz 2/283 und 2/287. Siehe FN 114.

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Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 76 und 101; Frotz, GesRZ 1990, 40; Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1071 Rz 4. Vgl Frotz, GesRZ 1990, 40; Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 101. Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2, § 153 Rz 24. Vgl Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1068 Rz 39 und § 1071 Rz 3. Vgl Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 77; Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1071 Rz 3. Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1068 Rz 87. Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 107; K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 27. Frotz, GesRZ 1990. 40; Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1068 Rz 67; K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 24. Vgl Doralt/Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2, § 47a Rz 35.

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Fruchtgenuss

Bei nomineller Kapitalerhöhung (Kapitalgesellschaften) bzw Erhöhung der Kapitalanteile aus nicht entnommenen Gewinnanteilen (Personengesellschaften), dh bei Kapitalerhöhungen aus Gesellschaftsmitteln, gehören die neuen Anteile dem Gesellschafter, aber der Fruchtgenuss erstreckt sich auch auf die neuen Anteile, da diese aus der Substanz der belasteten Anteile gebildet werden, sodass Gewinne daraus dem Frucht-

nießer zustehen.131 Bei Personengesellschaften132 sowie GmbHs133 erstreckt sich der Fruchtgenuss aufgrund der – gesellschaftsrechtlich zwingenden – Einheitlichkeit der Gesellschaftsanteile ipso iure auf den entsprechend dem nominellen Kapitalbetrag erweiterten Anteilsteil. Bei AGs ist umstritten, ob es zu einer Ipso-iure-Erstreckung des Fruchtgenusses auf die Gratisaktien kommt oder nur ein schuldrechtlicher Anspruch des Fruchtnießers gegen den Gesellschafter auf Einräumung des Fruchtgenussrechts auf die neuen Anteile besteht.134 Da den Anteilen bei der nominellen Kapitalerhöhung keine Vermögensleistung des Aktionärs gegenübersteht und die Anteilsrechte proportional nach der bisherigen Beteiligungsquote zugeteilt werden, ist von einer Ipso-iure-Erstreckung des Fruchtgenussrechts auf die neuen Aktien auszugehen.135 Das Bezugsrecht sowie neue Anteile aufgrund ordentlicher Kapitalerhöhungen, dh Kapitalerhöhungen unter Leistung neuer Einlagen, stehen dem Gesellschafter zu.136 Das Fruchtgenussrecht erstreckt sich bei einer ordentlichen Kapitalerhöhung gerade nicht auf die so entstehenden Anteile (Anteilsteile), da in diesen Fällen der Gesellschafter mit neuen Mitteln (Einlagen) neue – unbelastete – Substanz schafft.137 Bei Personengesellschaften und GmbHs erstreckt sich das Fruchtgenussrecht wegen der Einheitlichkeit der Gesellschaftsanteile zwar auch auf den erweiterten Anteilsteil, es entsteht aber ein Quotenfruchtgenussrecht mit verhältnismäßiger Aufteilung des Gewinns zwischen Gesellschafter und Fruchtnießer, je nach Ausmaß der Kapitalerhöhung.138 Bei Aktien stellt sich mangels Einheitlichkeit des „Anteils“ des Aktionärs dieses Problem nicht, dh, die neu erworbenen Aktien sind unbelastet. Eine uneinheitliche Stimmabgabe (split voting) in der Hauptversammlung ist gem § 12 Abs 1 Satz 3 AktG zulässig139 und kann in diesem Fall geboten sein, da ein Teil des Aktienpakets der Interessenwahrungspflicht gegenüber dem Fruchtnießer und dem Zustimmungsrecht unterliegt, ein Teil hingegen nicht. Gleiches muss für Bezugsrechte des Aktionärs auf Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen sowie Genussrechte gem § 174 AktG gelten. Aktien, die durch Ausübung von Wandlungsrechten oder durch Optionsanleihen erworben werden, stehen aufgrund des Erwerbs unter Einsatz neuer Mittel dem Aktionär allein zu und das Fruchtgenussrecht des

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angemessenen Berücksichtigung der Interessen der Gesellschaft und der übrigen Gesellschafter.125 Aufgrund des Verbleibs des Stimmrechts beim Gesellschafter könnte gefolgert werden, dass den Fruchtnießer gerade keine Treuepflicht trifft. Allerdings hat der Fruchtnießer mit seinem absolut wirkenden Mitwirkungsrecht an der Stimmabgabe des Gesellschafters für bestimmte Maßnahmen (siehe Punkt V.2.) einen direkten Einfluss auf die Willensbildung der Gesellschaft. Der Fruchtnießer unterliegt daher für die Ausübung seines Zustimmungsrechts analog der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht, wenn auch der Gesellschafter im konkreten Fall verpflichtet ist.126 Ist eine zustimmungspflichtige Maßnahme entsprechend dieser Treuepflicht zu setzen, hat der Fruchtnießer daher seine Zustimmung zu erteilen. 3.2. Verbot der Einlagenrückgewähr und EKEG als relevante Grenzen? Für Leistungen der Gesellschaft an den Fruchtnießer ist schließlich das Verbot der Einlagenrückgewähr zu beachten, da der Fruchtnießer für die Nutzung des Gesellschaftsanteils eine eigentümergleiche Stellung hat und daher als faktischer Gesellschafter anzusehen ist.127 Aus diesem Grund sollte der Fruchtnießer dem Gesellschafter auch für das EKEG gleichgestellt sein,128 unabhängig von einer möglichen Einbeziehung als Nichtgesellschafter mit tatsächlich ausgeübtem, beherrschendem Einflusses auf die Gesellschaft gem § 5 Abs 1 Z 3 EKEG.129 Kredite, die ein Fruchtnießer der Gesellschaft in der Krise gewährt, sind daher Eigenkapital ersetzend und lösen die Rechtsfolgen nach dem EKEG aus (Rückzahlungssperre).130 VI. Auswirkungen gesellschaftsrechtlicher Maßnahmen auf den Fruchtgenuss 1. Kapitalerhöhung

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Siehe im Detail Doralt/Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2, § 47a Rz 26 ff (Rz 37 ff). Im Grundsatz bejahend, aber die Treuepflicht auch des Gesellschafters für diese Fälle ausschließend Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1068 Rz 87; für Treuepflicht des „mittelbaren Aktionärs“ Doralt/Winner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2, § 47a Rz 35; Cahn/v. Spannenberg in Spindler/Stilz, AktG2 (2010) § 53a Rz 47. Saurer in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2, § 52 Rz 45; Bauer/Zehetner in Straube, GmbHG, § 82 Rz 79; Bayer in MünchKomm AktG3, § 57 Rz 60; Henze in Großkomm AktG4, § 57 Rz 84; Fastich in Baumbach/Hueck, GmbHG20 (2013) § 30 Rz 28; Heidinger in Michalski, GmbHG2, § 30 Rz 119; einschränkend Cahn/v. Spannenberg in Spindler/Stilz, AktG2, § 57 Rz 71; aA Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG7 (2012) § 30 Rz 66; Ekkenga in MünchKomm GmbHG, § 30 Rz 163. Für generelle Gleichstellung Habersack, Die Erstreckung des Rechts der Gesellschafterdarlehen auf Dritte, insbesondere im Unternehmensverbund, ZIP 2008, 2385 (2388); Hirte, Die Neuregelung des Rechts der (früher: kapitalersetzenden) Gesellschafterdarlehen durch MoMiG, WM 2008, 1429 (1431); vorsichtig K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 24 und 27; differenzierend Baumbach ua in Baumbach/Hueck, GmbHG20, Anh zu § 30 Rz 46; gegen Gleichstellung Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG7, § 32a aF Rz 183. Dazu Schopper in Schopper/Vogt, EKEG (2003) § 5 Rz 63 ff; Ch. Nowotny in Kalss/ Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht, Rz 4/454 ff. Dazu Ch. Nowotny in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht, Rz 4/478 ff.

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Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 87 und 114; Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1068 Rz 42 und 44; K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 17, 26 und 30. Artmann in Jabornegg/Artmann, UGB I2, § 105 Rz 66; Schauer in Kalss/Nowotny/ Schauer, Gesellschaftsrecht, Rz 2/122. Reich-Rohrwig, GmbH-Recht (1983) 512; Ettmayer/Lahnsteiner in Straube, GmbHG, § 3 KapBG Rz 15; Ch. Nowotny in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht, Rz 4/311; Rauter in Straube, GmbHG, § 75 Rz 30. Vgl Frank, MittBayNot 2010, 101; für schuldrechtlichen Anspruch Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 114; für Ipso-iure-Erstreckung Lutter in Kölner Komm AktG3, § 186 Rz 17; Wiedemann in Großkomm AktG4, § 186 Rz 9a. Nagele/Lux in Jabornegg/Strasser, AktG5, § 5 KapBG Rz 2; Winner in Doralt/ Nowotny/Kalss, AktG2, § 3 KapBG Rz 32. Frank, MittBayNot 2010, 101; ders in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 105 und 113; Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 98; Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1068 Rz 43; K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 26 und 30. Frank, MittBayNot 2010, 101 mwN; ders in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 87; K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 17. Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 70 und 87; Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1068 Rz 42. Schmidt-Pachinger in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2, § 12 Rz 20.

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Fruchtgenuss Fruchtnießers erstreckt sich daher weder automatisch noch über einen schuldrechtlichen Anspruch darauf. Vereinbarungen zwischen Gesellschafter und Fruchtnießer über eine Erstreckung des Fruchtgenussrechts auch auf neue Anteile aus ordentlichen Kapitalerhöhungen sind zulässig.140 2. Übertragung des Anteils Bei der Übertragung des Gesellschaftsanteils an einen Dritten bleibt der Fruchtgenuss als dingliche Belastung bestehen.141 Bei Kapitalgesellschaften gilt dies auch für den Fall des Erwerbs eigener Anteile gem § 65 AktG und § 81 GmbHG durch die Gesellschaft.142 Ein gutgläubiger lastenfreier Erwerb ist grundsätzlich nicht möglich,143 mangels Eintragung des Fruchtnießers in das Firmenbuch ist der Vertrauensschutz gem § 15 UGB aus der Publizität des Firmenbuchs nicht anwendbar. Bei Inhaberpapieren (Inhaberaktien) ist ein gutgläubiger lastenfreier Erwerb hingegen gem § 371 ABGB (bzw § 367 ABGB)144 möglich.145 Allerdings ist dies mit dem GesRÄG 2011 und der damit verbundenen Einschränkung der Ausgabe von Inhaberaktien nur noch von geringer praktischer Relevanz.146 3. Untergang des Anteils Bei Untergang des Gesellschaftsanteils erstreckt sich das Fruchtgenussrecht grundsätzlich auf das Surrogat des Gesellschaftsanteils, dh etwa auf die Barabfindung, den Liquidationserlös oder einen anderen Gesellschaftsanteil.147 Dem Fruchtnießer stehen die Früchte (Zinsen) daraus zu. Wird die Gesellschaft aufgelöst, stehen die Liquidationsquote gem § 212 AktG bzw § 91 GmbHG und der Liquidationsanteil gem § 155 UGB dem Gesellschafter zu, der Fruchtgenuss erstreckt sich darauf als Surrogat.148 Kommt es zur Auskehr von Substanz des Gesellschaftsanteils, dh zu einer Auflösung stiller Reserven bei Personengesellschaften oder zu einer ordentlichen Kapitalherabsetzung bei Kapitalgesellschaften,149 setzt sich das Fruchtgenussrecht an den ausgezahlten Beträgen fort. Bei den Umgründungsvorgängen Verschmelzung und Spaltung sowie Umwandlungen nach dem UmwG treten neu erworbene Anteile bzw Barabfindungen an die Stelle des untergegangenen Anteils.150 Scheidet der Gesellschafter durch Kündigung 140 141

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K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 26 und 30. Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 68; Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1068 Rz 38; K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 28. Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1068 Rz 39; vgl auch Kalss in Doralt/Nowotny/ Kalss, AktG2, § 65 Rz 155; Löwisch in MünchKomm GmbHG, § 33 Rz 68. Holzner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.00, § 367 Rz 2; Ch. Nowotny in Kalss/ Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht, Rz 4/307; Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 68. Aufgrund der gegenüber § 371 ABGB strengeren Voraussetzungen ohne praktische Bedeutung; vgl dazu Iro, HaRÄG: Irrwege beim lastenfreien Erwerb kraft guten Glaubens, RdW 2006, 675 (677). Schopper in Jabornegg/Strasser, AktG5, § 10 Rz 46; Holzner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01, § 371 Rz 3 f und § 367 Rz 2, 11; Spielbüchler in Rummel, ABGB3, § 371 Rz 4; Micheler in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2, § 10 Rz 1. Vgl Micheler in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2, § 10 Rz 6 ff. Frank, MittBayNot 2010, 100; ders in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 69. Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 88, 103 und 112; Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1068 Rz 47 und 65; aA Frotz, GesRZ 1990, 40; K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 19, 26 und 30, die die Erstreckung des Fruchtgenussrechts davon abhängig machen, ob dies dem Parteiwillen nach der zugrunde liegenden Fruchtgenussabrede oder den Interessen der Beteiligten entspricht. Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 115. Frank, MittBayNot 2010, 102; ders in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 104 und 115; Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1068 Rz 46.

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oder Ausschluss aus einer Personengesellschaft bzw durch Ausschluss nach dem GesAusG aus einer AG oder GmbH aus, erstreckt sich das Fruchtgenussrecht auf die Abfindung.151 Gleiches gilt für das Einziehungsentgelt152 bei der Einziehung von Aktien gem § 192 AktG.153 Umstritten ist, ob sich der Fruchtgenuss in dinglicher Surrogation automatisch an dem Surrogat fortsetzt oder ob der Fruchtnießer nur einen schuldrechtlichen Anspruch auf Einräumung des Fruchtgenussrechts am Surrogat hat.154 Für eine automatische Erstreckung des Fruchtgenussrechts spricht, dass sich die Ansprüche auf den Liquidationserlös, die ausgekehrte Substanz etc unmittelbar aus der belasteten Mitgliedschaft ergeben und daher unmittelbar vom Fruchtgenuss umfasst sind.155 Zu einer dinglichen Surrogation kommt es jedenfalls, wenn diese durch eine besondere gesetzliche Regelung angeordnet ist.156 Für Verschmelzungen, Spaltungen und formwechselnde Umwandlungen zwischen AG und GmbH ist in § 14 Abs 2 Z 3 Satz 2 SpaltG, der auf Verschmelzungen analog anzuwenden ist,157 und in §§ 241, 250 AktG die dingliche Surrogation geregelt, sodass das Fruchtgenussrecht in diesen Fällen an den neu erworbenen bzw umgewandelten Anteilen und möglichen Zuzahlungen automatisch weiterbesteht.158 Bei einer Kaduzierung gem § 58 AktG und § 66 GmbHG geht der Gesellschaftsanteil zwar nicht unter, da die Gesellschaft aber für diesen Fall der Einlagensäumnis ein gesetzlich begründetes, ursprüngliches Verwertungsrecht an dem Gesellschaftsanteil hat, erlischt das Fruchtgenussrecht mangels Surrogat sogar ersatzlos.159 Abweichende Vereinbarungen zwischen Gesellschafter und Fruchtnießer können für diese gesellschaftsrechtlichen Vorgänge auch andere Rechtsfolgen, zB einen Anspruch auf Abfindung gegen den Gesellschafter, vorsehen. Aufgrund der Unsicherheit über die dingliche Surrogation ist eine Regelung der Rechtsfolgen in der Fruchtgenussabrede zu empfehlen. VII. Gestaltungsmöglichkeiten für eine stärkere Mitwirkung des Fruchtnießers Für einen stärkeren Einfluss des Fruchtnießers auf die Mitverwaltung in der Gesellschaft stehen Gestaltungsmöglichkei151

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Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 88; Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1068 Rz 40; Hüffer, AktG10 (2012) § 327e Rz 4; Singhof in Spindler/Stilz, AktG2, § 327e Rz 8. Bachner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2, § 192 Rz 9. Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 104; Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1068 Rz 41 und 66. Vgl Ebbing in Michalski, GmbHG2, § 15 Rz 196; Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 88 und 104; Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1068 Rz 40 f, 47 und 65; Reichert/Weller in MünchKomm GmbHG, § 15 Rz 345; K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 19, 26 und 30 – jeweils mwN. Die Diskussion in Deutschland dreht sich primär um die analoge Anwendung von § 1075 BGB (automatische Erstreckung) oder von § 1079 BGB (schuldrechtlicher Anspruch), wobei das ABGB keine entsprechenden Regelungen hat. So Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1068 Rz 47; siehe auch Reich-Rohrwig, GmbH-Recht, 636 (zum Pfandrecht). Vgl zum Pfandrecht allgemein Hofmann in Rummel, ABGB3, § 457 Rz 6; Hinteregger in Schwimann/Kodek, ABGB4, § 457 Rz 14; Koziol/Welser, Grundriss des bürgerlichen Rechts I13 (2006) 403: Ohne besondere gesetzliche Anordnung keine dingliche Surrogation, sondern nur Anspruch auf Neubestellung des Pfandrechts; siehe auch Rauter in Straube, GmbHG, § 76 Rz 270 ff. Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung2 (2010) § 225a AktG Rz 109; Szep in Jabornegg/Strasser, AktG5, § 225a Rz 33. Kalss, Verschmelzung2, § 225a AktG Rz 109 und § 14 SpaltG Rz 87 f; Zollner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2, § 241 Rz 14 f und § 250 Rz 13. Artmann in Jabornegg/Strasser, AktG5, § 58 Rz 16; Csoklich in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2, § 58 Rz 10; Schopper in Straube, GmbHG, § 66 Rz 50; Pohlmann in MünchKomm BGB6, § 1068 Rz 41.

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Fruchtgenuss ten in zwei von der Wirkungsrichtung unterschiedlichen Stufen zur Verfügung: 1. Bindung im Innenverhältnis Zum einen können schuldrechtliche Bindungen des Gesellschafters im Innenverhältnis zum Fruchtnießer vereinbart werden, die den Gesellschafter zu einem Verhalten verpflichten, das im Einzelfall über die dieser dinglichen Rechtsgemeinschaft immanenten Interessenwahrungspflicht hinausgeht. Gestaltungsmöglichkeiten sind insb Weisungs- und Zustimmungsrechte (Stimmbindungsvereinbarung) des Fruchtnießers zur Ausübung von Mitverwaltungsrechten durch den Gesellschafter, zB zu Gewinnausschüttungsbeschlüssen,160 oder eine allgemeine Pflicht zum Bemühen um eine maximale Gewinnausschüttung.161 Die schuldrechtliche Bindung eines Gesellschafters an einen Nichtgesellschafter ist gesellschaftsrechtlich zulässig, da der Fruchtnießer ganz nahe der Gesellschaft und in unmittelbarer Rechtsbeziehung zur Gesellschaft steht.162 Die Wirkung derartiger Vereinbarungen betrifft jedoch nur das Innenverhältnis zwischen Gesellschafter und Fruchtnießer. Es entsteht keine Bindung der anderen Gesellschafter, von denen bzw von deren wirtschaftlichen Entscheidung im Rahmen der Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft der Fruchtnießer abhängig ist. Andere Vereinbarungen im Innenverhältnis können zB eine Ausgleichspflicht des Gesellschafters für thesaurierte Gewinne vorsehen, die während aufrechten Fruchtgenusses nicht zur Ausschüttung kommen.163 2. Bevollmächtigung und Übertragung Die andere Möglichkeit besteht darin, dem Fruchtnießer – im Rahmen der jeweiligen gesellschaftsrechtlichen Grenzen – mit Wirkung für das Außenverhältnis, dh gegenüber der Gesellschaft bzw den anderen Gesellschaftern die Ausübung von Mitverwaltungsrechten zu gestatten. Dies kann entweder durch Bevollmächtigung oder durch Übertragung der entsprechenden Mitverwaltungsrechte, insb des Stimmrechts, erreicht werden. Bei Kapitalgesellschaften ist die Erteilung einer Stimmrechtsvollmacht unter Einhaltung der entsprechenden Voraussetzungen gem §§ 113 f AktG bzw § 39 Abs 3 GmbHG ohne Weiteres zulässig164 und umfasst auch alle sonstigen in der Gesellschafterversammlung geltend zu machenden Rechte (insb Rede-, Auskunfts-, Antrags- und Widerspruchsrecht).165 Zu beachten ist, dass der für die Anfechtung eines Gesellschafterbeschlusses erforderliche Widerspruch zwar durch den Stimmrechtsbevollmächtigten erhoben werden kann, diesem aber das eigentliche Anfechtungsrecht nicht zusteht, 160 161 162

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Vgl Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 100. Frank, MittBayNot 2010, 100. Diregger/M. Tichy in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2, § 121 Rz 67 f (Zulässigkeit wohl zu bejahen; „materielle“ Gesellschafterstellung). Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 80. Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 73 und 102. Bachner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2, § 113 Rz 10; S. Bydlinski/Potyka in Jabornegg/Strasser, AktG5, § 113 Rz 2 f.

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dh, die Anfechtungsklage kann ausschließlich vom Gesellschafter erhoben werden.166 Das Innenverhältnis zwischen Gesellschafter und bevollmächtigtem Fruchtnießer ist grundsätzlich frei gestaltbar. Im Zweifel ist eine Stimmrechtsvollmacht zwar im Interesse des Gesellschafters auszuüben, aber das gilt gerade nicht in den Fällen, in denen das wirtschaftliche Interesse und Risiko – zumindest zu einem großen Teil – beim Stimmrechtsbevollmächtigten selbst liegt.167 Bei Personengesellschaften wird eine Stimmrechtsbevollmächtigung oder auch eine Befugnis zur Geschäftsführung168 an Dritte nur mit Zulassung im Gesellschaftsvertrag bzw mit Zustimmung aller Gesellschafter im Einzelfall zugelassen.169 Sowohl bei Kapitalgesellschaften.170 als auch bei Personengesellschaften.171 gilt das „Abspaltungsverbot“, nach dem die Übertragung von Mitverwaltungsrechten (Stimm-, Teilnahme-, Informations-, Einberufungs-, Anfechtungsrecht) an Dritte – auch mit gesellschaftsvertraglicher Regelung oder Zustimmung aller Gesellschafter – grundsätzlich unwirksam ist. Die Umdeutung einer demnach unzulässigen Stimmrechtsübertragung in eine Stimmrechtsvollmacht erscheint jedoch möglich.172 Aufgrund der dinglichen Rechtsgemeinschaft zwischen Gesellschafter und Fruchtnießer ist jedoch bei gesellschaftsvertraglicher Zulassung sowie bei Zustimmung durch Gesellschafterbeschluss die Übertragbarkeit von Mitverwaltungsrechten (insb Stimm- und Teilnahmerecht) auf den Fruchtnießer zu bejahen, ohne dass dies dem Abspaltungsverbot widerspricht.173 Insb kann unter diesen Voraussetzungen bei Personengesellschaften auch eine Geschäftsführungs(mit)befugnis eingeräumt werden (wie bei einem Kommanditisten), aufgrund der dinglichen Berechtigung des Fruchtnießers liegt kein Verstoß gegen das Prinzip der Selbstorganschaft vor.174 Die Geschäftsführungsbefugnis des Fruchtnießers kann aber nicht weiter gehen als jene des Gesellschafters. Wesentlicher Unterschied zwischen einer Bevollmächtigung zur Ausübung von Mitverwaltungsrechten und einer Übertragung ist, dass bei der Bevollmächtigung ein jederzeitiger Widerruf durch den belasteten Gesellschafter möglich ist und dieser von der Ausübung des Rechts nicht ausgeschlossen ist.175 166

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Diregger in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2, § 196 Rz 10; Strasser in Jabornegg/Strasser, AktG5, § 196 Rz 2; Enzinger in Straube, GmbHG, § 41 Rz 58. Bachner in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2, § 113 Rz 12. Schauer in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht, Rz 2/316. Jabornegg/Artmann in Jabornegg/Artmann, UGB I2, § 119 Rz 39; Schauer in Kalss/ Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht, Rz 2/265; Hopt in Baumbach/Hopt, HGB35 (2012) § 119 Rz 21; Enzinger in MünchKomm HGB3, § 119 Rz 19. Rauter in Straube, GmbHG, § 75 Rz 70; Enzinger in Straube, GmbHG, § 39 Rz 18 f; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 (2007) § 39 Rz 12; Schmidt-Pachinger in Doralt/ Nowotny/Kalss, AktG2, § 12 Rz 12 ff (Rz 14); Schopper in Jabornegg/Strasser, AktG5, § 12 Rz 16; Haslinger, ecolex 1996, 625; K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 27. Schauer in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht, Rz 2/602; Jabornegg/Artmann in Jabornegg/Artmann, UGB I2, § 119 Rz 40; U. Torggler/H. Torggler in Straube, HGB I3 (2003) § 109 Rz 24. K. Schmidt in MünchKomm HGB3, Vor § 230 Rz 27; Hopt in Baumbach/Hopt, HGB35, § 109 Rz 17 und § 119 Rz 19. Schauer in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht, Rz 2/601; Frank, MittBayNot 2010, 99; ders in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 60, 73 und 102; Baumbach/Hopt, HGB35, § 119 Rz 20; Ulmer/Schäfer in MünchKomm BGB5, § 717 Rz 12; vgl auch Jabornegg/Artmann in Jabornegg/Artmann, UGB I2, § 119 Rz 40 (zur Unterbeteiligung, die sogar nur schuldrechtlichen Charakter hat). Frank, MittBayNot 2010, 99; ders in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 75; Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 102. Ulmer/Schäfer in MünchKomm BGB5, § 717 Rz 9.

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Fruchtgenuss 3. Rechtsfolgen Bei der Bevollmächtigung und der Übertragung von Mitverwaltungsrechten auf den Fruchtnießer kommt es zu einer Verlagerung des Einflusses in der Gesellschaft vom Gesellschafter auf den Fruchtnießer, der daher bei Ausübung dieser Rechte der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht unterliegt.176 Durch die Verschiebung des Einflusses in der Gesellschaft auf den Fruchtnießer kann es auch zu einem Machtwechsel innerhalb der Gesellschaft kommen, der sowohl gesetzliche, zB gem § 12a Abs 3 MRG,177 wie auch vertragliche Rechtsfolgen (Change-of-control-Klauseln) auslösen kann. Hinzuweisen ist auf mögliche ertragsteuerrechtliche Konsequenzen der unterschiedlichen Ausgestaltung des Fruchtgenussrechts. Der Grad an Einfluss des Fruchtnießers entscheidet über die steuerliche Zurechnung des wirtschaftlichen Eigentums und der Einkünfteerzielung, sodass insb die Ausübung des Stimmrechts durch den Fruchtnießer zu einer Zurechnung der Einkünfte bei diesem führen kann.178 VIII. Gestaltungsvarianten Die Praxis hat viele Gestaltungsformen des Fruchtgenussrechts am Gesellschaftsanteil entwickelt. Insb in folgenden Punkten kann der Fruchtgenuss den Anforderungen des Einzelfalles angepasst werden: Abhängig davon, ob der Gesellschafter einem anderen ein Fruchtgenussrecht an seinem Gesellschaftsanteil einräumt oder den Gesellschaftsanteil unter Vorbehalt eines Fruchtgenussrechts an den anderen überträgt, ist zwischen Zuwendungs- und Vorbehaltsfruchtgenuss zu unterscheiden.179 Diese Vorgangsweisen sind in der Praxis jeweils für unterschiedliche Verwendungszwecke heranzuziehen, unterscheiden sich aber nicht in den dadurch begründeten Rechtsverhältnissen zwischen Gesellschafter, Fruchtnießer und Gesellschaft. Beim Vorbehaltsfruchtgenuss ist zu beachten, dass dieser mit einem Gesellschafterwechsel unter Anwendung der entsprechenden gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen (Notariatsakt und Firmenbucheintragung bei GmbHs etc) verbunden ist. Eine mögliche Gestaltungsvariante ist die Kombination des (vorbehaltenen) Fruchtgenussrechts mit einem „Zwerganteil“, mit dem Einflussrechte wie zB Mehrstimmrechte, Vetorechte, Geschäftsführungsrechte etc verbunden werden können.180 Je nach Gesellschaftsform gilt für diese Variante jeweils ein unterschiedlicher Gestaltungsraum (zB keine Mehrstimmrechte in AGs181). Varianz liegt schließlich darin, entweder dem Gesellschafter iSd gesetzlichen Grundmodells den Einfluss in der Gesellschaft zu belassen (vgl Pkt V.) oder den Einfluss dem Fruchtnießer durch Ermächtigung zur Ausübung der Mitverwaltungsrechte einzuräumen (vgl Pkt VII.).

Zum Zweck der Aufteilung des aufgrund des Gesellschaftsanteils zustehenden Gewinns kann ein Quotenfruchtgenuss bzw „geteilter Fruchtgenuss“182 begründet werden. Das Fruchtgenussrecht bezieht sich in diesem Fall kraft Vereinbarung nur auf eine Quote des belasteten Gesellschaftsanteils. Dies bedarf – auch bei Unteilbarkeit des Anteils – keiner besonderen Genehmigung.183 Das Fruchtgenussrecht erlischt gem § 529 Satz 1 ABGB grundsätzlich mit dem Tod des Berechtigten.184 Die Beendigung kann aber dem verfolgten Zweck angepasst und das Fruchtgenussrecht daher als „abreifendes“185 Recht ausgestaltet werden, das bei Erreichen eines bestimmten Ausschüttungswerts, einer sonstigen auflösenden Bedingung oder Befristung erlischt.186 Das Fruchtgenussrecht kann gem § 529 Satz 2 ABGB ausdrücklich auf die Erben oder die Familie des Berechtigten ausgedehnt werden.187 Die Ausdehnung auf die Erben bezieht sich aber nur auf die ersten gesetzlichen Erben188 und bei der Ausdehnung auf die Familie ist die Grenze des analog anzuwendenden § 612 ABGB zu beachten.189 Daher kann das Fruchtgenussrecht an einem Gesellschaftsanteil, der wesentlichen Einfluss auf die Geschäftsführung gewährt, nur an einen, das Fruchtgenussrecht an sonstigen Gesellschaftsanteilen nur an höchstens zwei zum Anordnungszeitpunkt noch nicht Gezeugte gehen. Wird das Fruchtgenussrecht mehreren Berechtigten (zB Geschwistern) eingeräumt, kommt es beim Tod eines Einzelnen im Zweifel nicht zum Erlöschen, sondern zur Anwachsung des Fruchtgenussrechts an die übrigen Berechtigten.190 IX. Einsatzbereiche In der Praxis wird der Fruchtgenuss insb als wichtiges Element einer geordneten Unternehmensnachfolge verwendet. Zu diesem Zweck kann ein Fruchtgenussrecht zur Befriedigung von Pflichtteilsansprüchen dienen.191 Das Fruchtgenussrecht kann entweder bereits zu Lebzeiten des Übergebers als Vorschuss oder Vorempfang gem §§ 788 f ABGB oder als sonstige Schenkung gem § 785 ABGB eingeräumt und dann auf den Pflichtteil angerechnet werden, oder von Todes wegen als Vermächtnis oder als Schenkung auf den Todesfall gem § 956 Satz 2 ABGB auf den Pflichtteil gem § 787 Abs 1 ABGB eingerechnet werden. Das Fruchtgenussrecht kann – im Gegensatz zum dinglichen Gebrauchsrecht192 – vom Berechtigten an einen Dritten ohne Zustimmung des Gesellschafters übertra182 183 184 185 186

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Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 101; vgl Doralt/Winner in Doralt/ Nowotny/Kalss, AktG2, § 47a Rz 35; Cahn/v. Spannenberg in Spindler/Stilz, AktG2, § 53a Rz 47. OGH 10.2.2004, 5 Ob 262/02v. Im Detail J. Lehner/Ph. Gruber, Ertragsteuerliche Behandlung von Fruchtgenussrechten, ecolex 2013, 65; Haslinger, ecolex 1996, 622 ff. Haslinger, ecolex 1996, 622; Kalss in Gruber/Kalss/Müller/Schauer, Erbrecht, § 32 Rz 45. Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 111. Schmidt-Pachinger in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG2, § 12 Rz 4 und 36; Schopper in Jabornegg/Strasser, AktG5, § 12 Rz 45 f.

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Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 110. Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 94. Memmer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01, § 529 Rz 3. Kalss in Gruber/Kalss/Müller/Schauer, Erbrecht, § 32 Rz 47. Memmer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01, § 527 Rz 3; Koch in Koziol/Bydlinski/ Bollenberger, ABGB3, §§ 527, 528 Rz 1. Hofmann in Rummel, ABGB3, § 529 Rz 1; Koch in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB3, § 529 Rz 2. Memmer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01, § 529 Rz 8. Hofmann in Rummel, ABGB3, § 529 Rz 1; Memmer in Kletečka/Schauer, ABGBON1.01, § 529 Rz 8. Memmer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01, § 529 Rz 6; Hofmann in Rummel, ABGB3, § 529 Rz 1; Koch in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB3, § 529 Rz 2. OGH 15.10.1998, 6 Ob 189/98g (für Unterbeteiligung zur Pflichtteilsdeckung); Bittner/Hawel in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01, § 774 Rz 2; Giller in Gruber/Kalss/ Müller/Schauer, Erbrecht, § 19 Rz 31; Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 192; Schauer, Ist das Pflichtteilsrecht noch zeitgemäß? (Teil II), NZ 2001, 77 (80); siehe auch Nemeth in Schwimann/Kodek, ABGB4, § 774 Rz 3 (unter der Bedingung der Verfügbarkeit über das Fruchtgenussrecht); aA Welser in Rummel, ABGB3, § 774 Rz 4. Memmer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01, § 485 Rz 10.

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Fruchtgenuss gen werden,193 sodass der Pflichtteilsberechtigte das Recht gegebenenfalls unmittelbar verwerten kann. Unabhängig von Pflichtteilsansprüchen kann das Fruchtgenussrecht zur Versorgung einerseits des Übergebers, der sich aus dem Unternehmen zurückzieht und seine Gesellschaftsanteile bereits zu Lebzeiten an einen Nachfolger überträgt, andererseits zur Versorgung des Partners und sonstiger Angehöriger, die nicht als Nachfolger eine unmittelbare Gesellschafterstellung erlangen sollen, dienen.194 Durch stufenweise Anpassung der Aufteilung von Einflussrechten zwischen dem Übergeber und dem Übernehmer kann eine strukturierte Unternehmensübergabe durchgeführt werden. So kann zB von der Zurückbehaltung eines Zwerganteils mit originär mitgliedschaftlichen Rechten und Stimmrechtsvollmachten über die Ausübung bestimmter, mittels Fruchtgenussabrede vorbehaltener Mitwirkungsrechte durch Stimmrechtsvollmacht hin zu einem Rückzug auf die gesetzlich vorgegebene Position des Fruchtnießers mit beschränktem Einfluss ein stufenweiser Übergang der Unternehmerposition vom Übergeber auf den in das Unternehmen hineinwachsenden Übernehmer erreicht werden.195 Wenn die Versorgung durch Fruchtgenusseinräumung erst mit dem Tod des Übergebers oder sonst zu einem späteren Zeitpunkt eintreten soll, ist oft noch gar nicht klar, auf welche Rechtsform (Einzelunternehmen, Personen-/Kapitalgesellschaft) sich der Fruchtgenuss beziehen wird.196 Auf die dadurch möglicherweise erforderliche Flexibilität ist bei der Gestaltung der entsprechenden Anordnungen und von Gesellschaftsverträgen zu achten. Aufgrund des Zwecks des Fruchtgenussrechts, regelmäßig Erträge für den Fruchtnießer zu generieren, eignet es sich auch für sonstige Anwendungsfälle, in denen periodische Geldbeträge über einen gewissen Zeitraum gezahlt werden sollen, daher zB im Rahmen von Unterhaltsvereinbarungen. X. Konfliktpotenziale und Gestaltungsempfehlungen Um mögliche Konfliktlinien zu erkennen, sind die Interessensphären der Beteiligten offenzulegen: Der Fruchtnießer ist an einer maximalen Gewinnausschüttung für die aufrechte Dauer seines Rechts interessiert, der Gesellschafter hingegen an einer möglichst hohen Gewinnthesaurierung und Wertsteigerung seines Anteils, da er an den laufenden Ausschüttungen grundsätzlich nicht partizipiert. Die restlichen Gesellschafter können – je nach konkret vorliegender Gesellschaft – unterschiedliche Interessen im Spannungsfeld zwischen Thesaurierung und Ausschüttung verfolgen, im Vordergrund steht das Unternehmenswohl, dh ein nachhaltiger Unternehmenserfolg und der langfristige Unternehmenserhalt.197 Weitere Interessen sind das Interesse grundsätzlich aller Beteiligten an der Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit der Gesellschaft, das Interesse der Gesellschafter an einem geschlossenen Personenkreis für Entscheidungen und Informationen, die die Gesellschaft betreffen, und das Interesse 193

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Koch in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB3, § 509 Rz 6; Memmer in Kletečka/ Schauer, ABGB-ON1.01, § 485 Rz 9; Spath in Schwimann/Kodek, ABGB4, § 509 Rz 6. Frank, MittBayNot 2010, 96; ders in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 47. Vgl Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 85, 111 f. Frank in Staudinger, BGB, Anh zu §§ 1068, 1069 Rz 62. Vgl Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 72 ff.

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von Gesellschafter wie auch Fruchtnießer am eigenen möglichst starken und unabhängigen Einfluss auf die Verwaltung der Gesellschaft durch Ausübung der Mitverwaltungsrechte. Die aus dieser Vielfalt entstehenden Interessengegensätze sind dem Fruchtgenuss aufgrund der Trennung von Substanz und Nutzung immanent und daher unvermeidlich, sie sollten daher, insb wenn der Fruchtgenuss Kernelement eines so umfassenden und wichtigen Prozesses wie der Unternehmensnachfolge ist, den Beteiligten jedenfalls offengelegt werden. Der zentrale Konflikt zwischen Ausschüttung und Thesaurierung kann durch Vereinbarung eines Aufteilungsschlüssels bzw eines Quotenfruchtgenusses zwischen Gesellschafter und Fruchtnießer entschärft werden, sodass beide Teile ein Interesse an angemessenen Ausschüttungen haben.198 Parallel zu den miteinander gegebenenfalls in Konflikt tretenden Interessen der Beteiligten sind die möglichen Kollisionen von Rechtspflichten zu beachten. Zu diesem Zweck sind drei Hauptfälle zu unterscheiden:  In dem Fall, dass keine Zusatzvereinbarungen zwischen Gesellschafter und Fruchtnießer vorliegen, kann es keinen Konflikt zwischen der allgemeinen Interessenwahrungspflicht des Gesellschafters gegenüber dem Fruchtnießer und seinen Pflichten aus dem Rechtsverhältnis zur Gesellschaft und den anderen Gesellschaftern aus Gesellschaftsvertrag und Gesetz geben, da die Interessenwahrungspflicht nur innerhalb der Grenzen – insb der Treuepflicht – bestehen kann, die auch für den Gesellschafter aus seiner Mitgliedschaft resultieren. Gegenüber Pflichten des Gesellschafters aus einem Syndikatsvertrag kann es zu Pflichtenkollisionen kommen (zB mit einer syndikatsvertraglich vereinbarten Ausschüttungspolitik).  Sind in der Fruchtgenussabrede erweiterte Interessenwahrungspflichten bzw interne Rechte des Fruchtnießers (Zustimmungs- bzw Weisungsrechte) vereinbart, können die korrespondierenden Pflichten des Gesellschafters mit seinen Pflichten aus Gesellschaftsvertrag und Gesetz (gesellschaftsrechtliche Treuepflicht), gegebenenfalls auch mit Pflichten aus einem Syndikatsvertrag kollidieren.  Liegt aufgrund Bevollmächtigung oder Übertragung der Einfluss auf die Verwaltung beim Fruchtnießer, unterliegt dieser auch der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht (vgl unter Pkt VII.). Problematisch kann in diesem Fall ein Syndikatsvertrag sein, dem der Fruchtnießer nicht beigetreten ist und der daher bei Ausübung der Einflussrechte auch nicht daran gebunden ist. Die Kollision von Rechtspflichten aus Fruchtgenussabrede, Gesellschaftsvertrag, Gesetz und Syndikatsvertrag kann nur durch präzise inhaltliche Abstimmung dieser einzelnen Instrumente vermieden werden. Ein anderes Problem kann sich ergeben, wenn der Gesellschafter den Anteil in Einzelrechtsnachfolge an einen Dritten abtritt, aber die Fruchtgenussabrede nicht auf den Erwerber überträgt, sodass der Fruchtnießer abseits von möglichen Schadenersatzansprüchen gegen den Altgesellschafter keine Durchsetzungsmöglichkeit seiner – vereinbarungsgemäß 198

Vgl Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 96.

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Jahresinhaltsverzeichnis_2014.fm Seite I Freitag, 7. Februar 2014 9:49 09

Inhaltsverzeichnis 2013

GesRZ

Inhaltsverzeichnis 2013 der Zeitschrift für Gesellschafts- u. Unternehmensrecht

Der Abhandlungen Chronologisch geordnet

Seite

Hans-Georg KOPPENSTEINER: Ausschluss und Austritt bei der GmbH...............................

4

Ulrich TORGGLER: Zur Konzernhaftung nach österreichischem Recht ............

11

Julia NICOLUSSI: Der Stimmrechtsverlust als neue Sanktion der Beteiligungspublizität ............................................................................... 20

Gesellschafter

Julia NICOLUSSI: „Kaltes“ Delisting als Konsequenz der Verschmelzung zweier Aktiengesellschaften.................................................. 124 Daniela WEBER-REY: Der Aufsichtsrat in der europäischen Perspektive .............. 134 Christian WIRTHENSOHN: Die Regelung der schriftlichen Beschlussfassung im Gesellschaftsvertrag der GmbH...................................... 139 Heinz KEINERT / Elisabeth Maria KEINERT: Pflicht zur Offenlegung bereits des ungeprüften Jahresabschlusses von gemeinnützigen Bauvereinigungen und Genossenschaften? ........................................................ 144

Josef BAUMÜLLER: Neuerungen in der Corporate-Governance-Berichterstattung über Vorstandsbezüge – und was davon zu erwarten ist.......................................................................

28

Stephan BRIEM: Die Rechtsnatur der Verjährungsbestimmung des § 275 Abs 5 UGB.............................................................................

Michael GRUBER / Martin AUER: Die Verschwiegenheitspflicht der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder einer nicht börsenotierten AG...... 173

34

Johannes ZOLLNER / Zurab SIMONISHVILI: Verwässerungsschutz im Verschmelzungsrecht .................. 182

68

Susanne KALSS / Martin WINNER: Ausgewählte gesellschaftsrechtliche Judikatur in Österreich und Deutschland im vergangenen Arbeitsjahr ................... 189

Viktoria ROBERTSON: Gesellschaftsrechts-Änderungsgesetz 2013 – eine „kleine“ GmbH-Reform ............................................... Martin OPPITZ: Die „Risikogeneigtheit“ von Wertpapieren – Chimäre oder Irrtumskriterium?.........................................

71

Harald BAUM: Vertragsfreiheit im Investmentrecht? ..................................

78

Christian ZOIDL: Organmitglieder begünstigter juristischer Personen im Anwendungsbereich der Unvereinbarkeitsbestimmungen des PSG .......................................................

Susanne KALSS: Die mangelnde Anwendbarkeit der laesio enormis auf einen Aufgriffspreis im Gesellschaftsvertrag eines Familienunternehmens ........................................................ 244

88

Thomas HÖHNE: Der Verein – ein Fall für die Kernbereichslehre?.................

94

Eveline ARTMANN: Zur Haftung des Abschlussprüfers, insbesondere zur Verjährung ...................................................................... 250

Susanne KALSS / Stephan PROBST: Familienunternehmen – eine erste Vermessung ................. 115

Christoph WIESMAYR: Die „Risikogeneigtheit“ von Wertpapieren ......................... 256

Heinrich FOGLAR-DEINHARDSTEIN / Thomas TRETTNAK: Cross-Border Merger aus Deutschland nach Österreich bei weiterbestehendem Listing............................................. 198

I


Jahresinhaltsverzeichnis_2014.fm Seite II Freitag, 7. Februar 2014 9:49 09

Inhaltsverzeichnis 2013 Vedran OBRADOVIĆ: Anteilsübertragung bei nicht verhältniswahrender Abspaltung ............................................................................ 270 Holger FLEISCHER / Elke HEINRICH: Alte und neue Hürden für Anfechtungskläger im Aktien- und GmbH-Recht.............................................. 311 Philip AUMÜLLNER: Rechtsfolgen bei Verstoß gegen die Auskunftspflicht des Kommanditisten............................................................. 319 Sebastian REITER: Unternehmens- und Berufsschutz durch nacheheliche Aufteilung.............................................................................. 324

Autoren Alphabetisch geordnet

Seite(n)

Peter APATHY....................................................................... 211 Nikolaus ARNOLD................................... 64, 65, 169, 303, 305 Eveline ARTMANN ................................................ 55, 250, 361 Claudio ARTURO................................................................. 98 Martin AUER ........................................................................ 173 Philip AUMÜLLNER............................................................ 318 Alexander R. P. BABINEK.................................................... 371 Harald BAUM ....................................................................... 78 Josef BAUMÜLLER .............................................................. 28 Wilhelm BIRNBAUER ......................................................... 352 Daniel BRÄUNLICH............................................................ 302 Stephan BRIEM .................................................................... 34 Rupert BRIX ......................................................................... 332 Christopher CACH............................................................... 310 Georg ECKERT..................................................................... 291 Michael ENZINGER............................................................. 152 Holger FLEISCHER.............................................................. 311 Heinrich FOGLAR-DEINHARDSTEIN..................... 166, 198 Julia FRAGNER .......................................................... 3, 67, 171 Stephan FROTZ .................................................................... 331 Michael GRUBER ................................................................. 173 Friedrich HARRER............................................................... 363 Elke HEINRICH ................................................................... 311 Alexander HOFMANN ........................................................ 240 Thomas HÖHNE............................................................ 94, 367 Klaus JENNEWEIN ...................................................... 280, 342 Susanne KALSS................ 1, 103, 112, 113, 115, 172, 189, 203, ............................................................... 241, 244, 317, 344, 346 Thomas KAPS....................................................................... 302 Elisabeth Maria KEINERT ............................................. 57, 144 Heinz KEINERT ..................................................... 57, 144, 341 Hans-Georg KOPPENSTEINER...................................... 4, 155 Sixtus-Ferdinand KRAUS..................................................... 293 Heinz KREJCI ....................................................................... 100 Peter KUNZ .......................................................................... 109 Thomas LIRK........................................................................ 109

II

Wilhelm MILCHRAHM....................................................... 288 Gerald MOSER ..................................................................... 223 Julia NICOLUSSI ................................................... 20, 124, 308 Christian NOWOTNY.......................................................... 161 Vedran OBRADOVIĆ .......................................................... 270 Martin OPPITZ ................................ 50, 71, 172, 197, 323, 345 Stephan PROBST .......................................................... 115, 276 Thomas RAUBAL ................................................................. 112 Johannes REICH-ROHRWIG.............................................. 159 Sebastian REITER................................................................. 324 Viktoria ROBERTSON ......................................................... 68 Martin SCHAUER ................................................................ 295 Matthias SCHIMKA ........................... 3, 67, 171, 284, 304, 307 Alexander SCHOPPER......................................................... 216 Florian SCHUHMACHER................................................... 293 Julia SCHULZ ............................................................... 304, 307 Zurab SIMONISHVILI ........................................................ 182 Dieter SPRANZ..................................................................... 228 Viktor THURNHER ............................................................. 232 Ulrich TORGGLER........................................................... 11, 43 Martin TRENKER .......................................................... 61, 297 Thomas TRETTNAK............................................................ 198 Manfred UMLAUFT............................................................. 355 Daniela WEBER-REY ........................................................... 134 Christoph WIESMAYR......................................................... 256 Martin WINNER .................................................................. 189 Christian WIRTHENSOHN ................................................ 139 Christian ZOIDL .................................................................. 88 Johannes ZOLLNER .................................................... 107, 182

Judikatur Nach Sachgebieten geordnet

Seite(n)

AAB § 8 Abs 4 ................................................................................

52

ABGB § 6 .......................................................................................... 233 § 9 .......................................................................................... 233 § 879 .............................................................................. 230, 356 § 914 ...................................................................................... 233 §§ 922 ff................................................................................. 156 §§ 934 f .................................................................................. 362 § 1017 ............................................................................ 230, 356 § 1043 .................................................................................... 153 § 1051 .................................................................................... 362 § 1210 .................................................................................... 151 § 1295 ............................................................................ 219, 222 § 1323 .................................................................................... 209 § 1331 .................................................................................... 209 § 1432 .................................................................................... 353 § 1437 .................................................................................... 362 § 1489 .................................................................................... 52


Jahresinhaltsverzeichnis_2014.fm Seite III Freitag, 7. Februar 2014 9:49 09

Inhaltsverzeichnis 2013 AktG § 27 Abs 2 .............................................................................. 108 § 42 ........................................................................................ 44 § 44 ........................................................................................ 44 § 45 ........................................................................................ 44 § 47a ...................................................................................... 212 § 49 ........................................................................................ 212 § 50 ........................................................................................ 212 § 52 ................................................................................ 230, 356 § 56 ........................................................................................ 230 § 62 ........................................................................................ 212 § 107 Abs 3 ............................................................................ 162 § 114 .............................................................................. 219, 222 § 118 ...................................................................................... 162 § 130 ...................................................................................... 111 § 195 Abs 4 ............................................................................ 162 § 199 ...................................................................................... 212 § 260 ...................................................................................... 56

IESG § 1 Abs 6 ................................................................................ 296 KMG § 11 ........................................................................................

§ 22 ........................................................................................ 111 § 25 Abs 2 .............................................................................. 103 § 26 Abs 3 .............................................................................. 98 § 62 Abs 2 .............................................................................. 108

44

KO § 31 Abs 1 ..............................................................................

AußStrG

58

MRG § 1 Abs 4 ................................................................................ 286 § 12a ...................................................................................... 294 § 16 ........................................................................................ 286 Notariatsaktsgesetz

EKEG § 5 ..........................................................................................

§ 50 Abs 4 .............................................................................. 153 § 52 ........................................................................................ 160 § 53 ........................................................................................ 160 § 61 ................................................................................ 219, 222 § 72 ........................................................................................ 153 § 75 ........................................................................................ 209 § 76 ................................................................................ 156, 224 § 82 .................................... 38, 99, 219, 222, 230, 286, 290, 356 § 83 .................................................................................. 38, 230 § 88 ........................................................................................ 111 § 107 ...................................................................................... 111

58

§ 1 Abs 1 ................................................................................ 353

FBG

PSG

§ 3 Abs 2 ................................................................................ 168 § 10 ......................................................................... 64, 103, 290 § 19 ................................................................................. 98, 111

§ 3 Abs 3 ................................................................................ 64 § 5 .......................................................................................... 103 § 9 Abs 2 ........................................................................ 101, 368 § 10 Abs 2 .............................................................................. 368 § 14 ................................................................................ 101, 299 § 15 Abs 1 .............................................................................. 299 § 17 ........................................................................ 110, 111, 233 § 19 ................................................................................ 108, 110 § 20 ................................................................................ 101, 110 § 21 Abs 4 .............................................................................. 233 § 22 Abs 1 .............................................................................. 233 § 27 ........................................................................ 103, 299, 368 § 31 ........................................................................................ 101 § 33 Abs 3 .............................................................................. 103

GenG § 22 ........................................................................................

56

GesAusG § 1 Abs 1 ................................................................................ 162 § 3 Abs 5 ................................................................................ 162 § 6 .......................................................................................... 162 GmbHG § 2 .......................................................................................... 283 § 4 .......................................................................................... 233 § 5 .......................................................................................... 352 § 14 Abs 2 .............................................................................. 233 § 15a ...................................................................................... 111 § 20 Abs 2 .............................................................................. 233 § 23 ........................................................................................ 224 § 25 .................................................................................. 99, 233 § 34 ................................................................................ 219, 222 § 35 Abs 1 ...................................................................... 219, 222 § 37 ........................................................................................ 111 § 38 Abs 4 ...................................................................... 162, 222 § 39 ........................................................................................ 219 § 41 ................................................................ 160, 162, 219, 222 § 45 ........................................................................................ 101 § 49 Abs 2 .............................................................................. 290

RL 2008/94/EG Art 12..................................................................................... 296 UGB § 1 Abs 2 ................................................................................ 291 § 29 ........................................................................................ 168 § 142 ...................................................................................... 353 § 189 Abs 1 ............................................................................ 291 § 221 ............................................................................... 56, 291 § 275 .................................................................................. 44, 52 § 276 ...................................................................................... 233 §§ 277 ff.......................................................................... 56, 291 § 280a .................................................................................... 168 § 283 ........................................................................ 56, 240, 372

III


Jahresinhaltsverzeichnis_2014.fm Seite IV Freitag, 7. Februar 2014 9:49 09

Inhaltsverzeichnis 2013 VerG § 5 Abs 2 ................................................................................ § 7 .......................................................................................... § 9 .......................................................................................... § 21 Abs 4 .............................................................................. § 23 ........................................................................................

364 364 364 364 291

WGG § 7 .......................................................................................... § 23 ........................................................................................ § 27 Abs 1 .............................................................................. § 28 Abs 3 .............................................................................. § 39 Abs 3 ..............................................................................

56 56 56 56 56

ZPO §§ 35 ff................................................................................... § 50 Abs 2 .............................................................................. § 357 ...................................................................................... § 359 ...................................................................................... § 405 ...................................................................................... Nach Geschäftszahlen geordnet

224 111 224 224 224 Seite

OGH 1 Ob 35/12x........................................................................... 1 Ob 198/12t ......................................................................... 3 Ob 79/12g........................................................................... 3 Ob 50/13v........................................................................... 4 Ob 18/13w.......................................................................... 5 Ob 91/12m ......................................................................... 5 Ob 136/12d ........................................................................ 6 Ob 47/11x........................................................................... 6 Ob 25/12p .......................................................................... 6 Ob 48/12w.......................................................................... 6 Ob 62/12d .......................................................................... 6 Ob 100/12t ......................................................................... 6 Ob 102/12m ....................................................................... 6 Ob 110/12p ........................................................................ 6 Ob 135/12i ......................................................................... 6 Ob 137/12h ........................................................................

IV

52 151 58 356 364 294 156 153 224 230 98 219 64 38 233 56

6 Ob 149/12y......................................................................... 6 Ob 153/12m ....................................................................... 6 Ob 155/12f ......................................................................... 6 Ob 157/12z ......................................................................... 6 Ob 164/12d ........................................................................ 6 Ob 209/12x......................................................................... 6 Ob 210/12v......................................................................... 6 Ob 235/12w........................................................................ 6 Ob 236/12t ......................................................................... 6 Ob 244/12v......................................................................... 6 Ob 17/13p .......................................................................... 6 Ob 28/13f ........................................................................... 6 Ob 30/13z ........................................................................... 6 Ob 42/13i............................................................................ 6 Ob 64/13z ........................................................................... 6 Ob 66/13v........................................................................... 8 Ob 100/12g......................................................................... 8 ObS 2/13x........................................................................... 8 Ob 20/13v........................................................................... 10 Ob 88/11f .........................................................................

108 99 160 103 368 101 162 290 291 209 222 212 352 299 362 353 283 296 286 44

OLG Wien 4 R 66/12y ............................................................................. 4 R 134/12y ........................................................................... 4 R 137/12i ............................................................................ 4 R 175/12b ........................................................................... 4 R 278/12x ........................................................................... 28 R 212/11v ......................................................................... 28 R 9/12t .............................................................................. 28 R 45/12m .......................................................................... 28 R 56/12d ........................................................................... 28 R 66/12z............................................................................ 28 R 84/12x ........................................................................... 28 R 89/12g ........................................................................... 28 R 94/12t ............................................................................ 28 R 108/12a.......................................................................... 28 R 133/12b ......................................................................... 28 R 142/12a.......................................................................... 28 R 143/12y ......................................................................... 28 R 180/12i .......................................................................... 28 R 199/12h .........................................................................

240 240 372 168 372 110 110 168 111 168 111 168 111 110 111 111 111 111 111


gesrz_01-2014.fm Seite 35 Freitag, 7. Februar 2014 10:11 10

Rezension über das gesetzlich vorgesehene Maß hinaus geschützten – Interessen gegenüber dem neuen Gesellschafter hat. Um Konflikte und Rechtsunsicherheiten bei der Mitverwaltung in der Gesellschaft zu vermeiden, empfiehlt sich eine genaue Regelung über die Aufteilung der Mitverwaltungsrechte, insb des Stimmrechts, zwischen Gesellschafter und Fruchtnießer. Auch die Auswirkungen gesellschaftsrechtlicher Vorgänge (Kapitalmaßnahmen, Umgründungen, Auflösung, Veräußerung etc) auf Bestand, Gegenstand und Umfang des Fruchtgenussrechts sollten im Vorhinein vereinbart werden.199 Bereits im Gesellschaftsvertrag sowie in Syndikatsverträgen soll auf die Möglichkeit der Begründung von Fruchtgenussrechten Rücksicht genommen und insb festgelegt werden, ob Vinkulierungsklauseln und Aufgriffsrechte (Kapitalgesellschaft) oder die Zulassung der Übertragbarkeit (Personengesellschaft) sich auch auf Fruchtgenussrechte beziehen.

2. Abseits unterschiedlicher gesellschaftsrechtlicher Beschränkungen bestehen keine strukturellen Unterschiede zwischen dem Fruchtgenuss an Anteilen von Kapitalgesellschaften und Anteilen von Personengesellschaften.

XI. Zusammenfassung

6. Aufgrund der Vielzahl möglicher gesellschaftsrechtlicher Vorgänge, der unterschiedlichen Interessen der Beteiligten und des gleichzeitigen Wirkens verschiedener Pflichtensysteme (Gesellschaftsvertrag, Syndikatsvertrag, Fruchtgenussabrede) sind zum Zweck der Konfliktvermeidung die Festlegung der entsprechenden Rechtsfolgen, die Offenlegung der Einzelinteressen sowie eine sorgfältige Abstimmung der entsprechenden Regelungswerke empfohlen.

1. Die Einräumung von Fruchtgenussrechten an Anteilen von Kapital- und Personengesellschaften ist unter der Voraussetzung der gesellschaftsrechtlichen, (zumindest) den Fruchtgenuss erfassenden Verfügungsbefugnis möglich. 199

Vgl Kalss/Probst, Familienunternehmen, § 21 Rz 76.

3. Fruchtgenussrechte an Gesellschaftsanteilen sind ein wichtiges Gestaltungsinstrument in der Praxis zu Zwecken der Versorgung und Anspruchsbefriedigung (Unternehmensnachfolge, Erbrecht, Unterhaltsrecht). 4. Grundsätzlich verbleibt der Einfluss auf die Verwaltung ausschließlich beim Gesellschafter, den als Ausgleich eine Interessenwahrungspflicht trifft; der Fruchtnießer verfügt über ein Auskunftsrecht gegen die Gesellschaft und eine beschränkte Zustimmungsbefugnis. 5. Es kann eine weitergehende Pflichtenbindung des Gesellschafters im Innenverhältnis vereinbart werden oder dem Fruchtnießer können mit Wirkung für das Außenverhältnis Einflussrechte durch Bevollmächtigung oder Übertragung zur Ausübung überlassen werden.

Rezension Gläubigerschutz bei Umwandlungen Von Dr. Magdalena HABSBURG-LOTHRINGEN, 264 Seiten, Preis € 68,–, Linde Verlag, Wien 2013.

In ihrer nunmehr in Buchform erschienenen Dissertation nimmt sich Madgalena Habsburg-Lothringen eines Themas an, zu dem eine (monographische) Darstellung bislang gefehlt hat, nämlich der Besonderheiten des Gläubigerschutzes bei Umwandlungen nach dem UmwG. Im ersten Kapitel des Buchs gibt Habsburg-Lothringen einen Überblick über die im UmwG geregelten übertragenden Umwandlungen. Daran schließt ein weiteres einführendes Kapitel mit der Überschrift „Vorbemerkungen zum Gläubigerschutz“ an. Im Hauptteil des Werks findet der Leser eine eingehende Untersuchung des Gläubigerschutzregimes bei (übertragenden) Umwandlungen. Begonnen wird die Untersuchung mit den sog „umgründungsspezifischen Gläubigerschutzmechanismen“. Hierzu zählt die Autorin zunächst den Sicherstellungsanspruch nach § 226 AktG, die in den §§ 227 ff AktG geregelte Schadenersatzpflicht der Verwaltungsträger sowie die Ausschüttungssperre nach § 235 Z 3 UGB. Breiten Raum nimmt schließlich das Thema „Kapitalentsperrung“ ein, also die Frage nach den gebotenen

1/2014

Vorsorge- und Ausgleichsmaßnahmen, wenn im Zuge einer Umgründung gebundenes in an die Gesellschafter ausschüttbares Kapital umgewandelt wird. Habsburg-Lothringen spricht sich – mangels planwidriger Gesetzeslücke im verschmelzungs- bzw umwandlungsrechtlichen Gläubigerschutz – zwar generell gegen das Erfordernis ausgleichender Maßnahmen aus, setzt sich in ihrer Arbeit aber dennoch sehr ausführlich mit ihnen auseinander. Nach Ansicht des OGH und der überwiegenden Lehre regeln die §§ 226 ff AktG den Gläubigerschutz bei Umgründungen nicht abschließend. Das vorliegende Buch untersucht deshalb in seinem abschließenden Kapitel die Auswirkungen des Verbots der Einlagenrückgewähr, des Sittenwidrigkeitsverbots und der Bestimmungen über die Dotierung gebundener Rücklagen auf Umwandlungen. Wer sich in Wissenschaft oder Praxis mit Umgründungen befasst, dem sei die Lektüre dieser Monographie empfohlen. Sie bietet eine umfassende und sehr lesenswerte Untersuchung des Gläubigerschutzes bei Umgründungen im Allgemeinen und bei Umwandlungen nach dem UmwG im Besonderen. Paul Schörghofer

35


gesrz_01-2014.fm Seite 36 Freitag, 7. Februar 2014 10:11 10

Umgründungen

Verschmelzungen zwischen Mutter und Tochter und das Verbot der Einlagenrückgewähr Konzernverschmelzungen im Licht des Gesellschaftsrechts und der Ertragsteuern REINHOLD BEISER*

Werden im Zuge von Verschmelzungen stille Reserven, ein Umgründungsmehrwert und/oder ein Firmenwert nach § 202 UGB aktiviert, um einen Fusionsverlust auszugleichen, stellt sich die Frage, inwieweit ein Schuldnerwechsel durch Verschmelzen von Mutter und Tochter dem Verbot der Einlagenrückgewähr widerspricht. Die Ausschüttungssperre nach § 235 Z 3 UGB ist de lege ferenda zu erweitern, um eine umgründungsbedingte Aufwertung mit nachfolgender Ausschüttung zu verhindern. I. Ein Ausgangsfall

– Die Hälfte der Anschaffungskosten der M für die 100 % Beteiligung an der T sind linear auf 15 Jahre verteilt als „Firmenwert“ bei der M abschreibbar (Firmenwertabschreibung nach § 9 Abs 7 KStG).4 – Gewinne und Verluste der M und T können ertragsteuerwirksam saldiert werden. Das bedeutet im Beispielsfall: Die Verluste der M aus der Fremdfinanzierung des Beteiligungserwerbs und aus der Firmenwertabschreibung können mit Gewinnen der T ertragsteuerwirksam saldiert werden: 1,5 Mio Euro Finanzierungsverlust und 1 Mio Euro Firmenwertabschreibung = 2,5 Mio Euro Verlust der M senken so den ertragsteuerpflichtigen Gewinn in der Unternehmensgruppe. Bis zu einem Gewinn von 2,5 Mio Euro der T wird somit die Körperschaftsteuer auf die Mindestkörperschaftsteuer von T und M (= 2 x 500 Euro jährlich = 1.000 Euro jährlich) gesenkt.

*

Das Management (drei natürliche Personen A, B, C) einer operativ tätigen (betriebsführenden) GmbH T möchte diese um 30 Mio Euro von den bisherigen Gesellschaftern erwerben. Ein Vergleich eines Direkterwerbs oder eines Erwerbs über eine Holding-GmbH zeigt ertragsteuerrechtlich folgendes Bild: 1. Direkterwerb durch natürliche Personen Kaufen die drei natürlichen Personen A, B, C je ein Drittel der GmbH um 10 Mio Euro und verwenden sie dazu einen Bankkredit von je 10 Mio Euro zu 5 % Schuldzinsen jährlich = 500.000 Euro Fremdfinanzierungskosten jährlich, so greift auf Ebene der drei Gesellschafter das Abzugsverbot für diese Fremdfinanzierungskosten nach § 20 Abs 2 iVm § 27a EStG.1 Ausschüttungen der GmbH an die drei Gesellschafter A, B, C lösen jeweils 25 % KESt (mit Endbesteuerungswirkung und Splittingeffekt) aus.2 2. Erwerb über eine Holding-GmbH

3. Zwischenergebnis

Erwerben A, B, C über eine gemeinsame Holding-GmbH M (zB jeder zahlt bar 10.000 Euro auf eine Stammeinlage von je 10.000 Euro ein) und erwirbt diese Holding-GmbH M 100 % der operativ tätigen GmbH T um 30 Mio Euro zur Gänze fremdfinanziert, so zeigt sich ertragsteuerrechtlich folgendes Bild:  Die Schuldzinsen von 1,5 Mio Euro jährlich sind nach § 11 Abs 1 Z 4 KStG abzugsfähige Betriebsausgaben der M.  Ausschüttungen der T an M sind nach § 94 Z 2 EStG von der KESt befreit und nach § 10 KStG bei der M körperschaftsteuerfrei.  Eine Unternehmensgruppe nach § 9 KStG3 bringt zwei weitere große Vorteile in der Ertragsbesteuerung:

Der Erwerb über eine Holding-GmbH ist ertragsteuerrechtlich vorteilhafter als ein Direkterwerb der drei natürlichen Personen.5

*

1

2 3

Univ.-Prof. Dr. Reinhold Beiser lehrt am Institut für Unternehmens- und Steuerrecht der Universität Innsbruck. Im Fall einer Option zur Regelbesteuerung nach § 27a Abs 5 EStG ist ein Schuldzinsenabzug in verfassungskonformer Reduktion des Abzugsverbots auf Fälle einer effektiven Anwendung des linearen Steuersatzes nach § 27a oder § 30a EStG aufgrund des Sachlichkeitsgebots (Art 7 B-VG; objektives Nettoprinzip als Ordnungsprinzip) zulässig; siehe dazu Beiser, Die Ertragsbesteuerung von Immobilien im Lichte des Gleichheitssatzes, SWK 18/2012, 826 (826 f); ders, Die neue Immobilienbesteuerung i. d. F. AbgÄG 2012 (SWK-Spezial, Jänner 2013) Rz 72. Siehe dazu Beiser, Steuern11 (2013) Rz 59 ff und 97. Siehe dazu Beiser, Steuern11, Rz 334 ff.

36

II. Die Aktivierung von Umgründungsmehrwerten und Firmenwerten nach § 202 Abs 2 UGB 1. Der Fusionsverlust Die Bilanz der M zeigt nach dem Erwerb der T stark vereinfacht folgendes Bild:

4 5

Aktiva

Passiva

30 Mio Euro Beteiligung T 30.000 Euro Bank

30.000 Euro Nennkapital 30 Mio Euro Bankverbindlichkeit

30.030.000 Euro

30.030.000 Euro

Siehe dazu Beiser, Steuern11, Rz 352. Siehe dazu auch Beiser, Casebook Steuern (2011) Beispiel 95 (S 63 bis 65); vgl auch OGH 20.3.2013, 6 Ob 48/12w: 25 % KESt belasten Ausschüttungen an natürliche Personen; Ausschüttungen an eine Holding-GmbH sind dagegen ertragsteuerfrei.

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Umgründungen Werden M und T in einer solchen Ausgangslage verschmolzen, resultiert aus dem Untergang der Beteiligung an der T ein Verschmelzungsverlust von – 30 Mio Euro Aufwand aus dem Buchwertabgang der Beteiligung an T + 30.000 Euro Bankguthaben = 29.070.000 Euro. Die Verschmelzungsrichtung spielt dabei keine Rolle: Ob M auf T (downstream) oder T auf M (upstream) verschmolzen wird, die Beteiligung der M an T geht unter. In Summe werden also bei beiden Fusionsvarianten 30 Mio Euro Kreditverbindlichkeit und 30.000 Euro Bankguthaben der M mit dem Vermögen der T verschmolzen. 2. Umgründungsmehrwert und Firmenwert nach § 202 UGB Um den Verlust aus dem Buchwertabgang „eigener oder untergehender Anteile“ auszugleichen, können nach § 202 Abs 2 Z 2 und 3 UGB ein „Umgründungsmehrwert“ (in Höhe vorhandener stiller Reserven „des übertragenen Vermögens“) und (für den darüber hinausgehenden Fehlbetrag) ein „Firmenwert“ (= künftig erhoffte Gewinne)6 aktiviert werden.7 2.1. Downstream-Verschmelzung Bei einer Downstream-Verschmelzung überträgt die Mutter M ihr Vermögen auf ihre Tochter T. Ein Umgründungsmehrwert und/oder Firmenwert ist deshalb nach § 202 Abs 2 Z 2 und 3 UGB nur aktivierbar, soweit er im von der Mutter M übertragenen Vermögen Deckung findet. Im Eingangsbeispiel hat die Mutter M kein Vermögen, das eine Aktivierung nach § 202 Abs 2 Z 2 und 3 UGB ermöglicht. Der Ausweis eines Fusionsverlusts ist somit in einem solchen Fall zwingend. 2.2. Upstream-Verschmelzung Überträgt die Tochter T ihr Vermögen auf die Mutter M, so können nach § 202 Abs 2 Z 2 und 3 UGB ein Umgründungsmehrwert und ein Firmenwert im übertragenen Vermögen der T aktiviert werden, soweit entsprechende stille Reserven und Gewinnchancen nachweisbar sind. 3. Die Ausschüttungssperre nach § 235 Z 3 UGB Die Ausschüttungssperre nach § 235 Z 3 UGB bindet Kapitalrücklagen aus einer Aktivierung eines Umgründungsmehrwerts und/oder Firmenwerts nach § 202 Abs 2 UGB und lässt eine Ausschüttung an die Gesellschafter nicht zu. III. Das Verbot der Einlagenrückgewähr 1. Der Schutz der Gläubiger Was die Gesellschafter in Nennkapital oder gebundene Kapitalrücklagen (in Form von Geld- oder Sacheinlagen) in die Gesellschaft eingebracht haben, ist grundsätzlich auf Dauer

gebunden. Das Verbot der Einlagenrückgewähr nach §§ 52 und 56 AktG sowie §§ 82 f GmbHG sichert so Nennkapital und gebundene Kapitalrücklagen als Deckungsfonds der Gesellschaftsgläubiger.8 2. Downstream-Verschmelzung Wird die Mutter M mit einem Fusionsverlust auf ihre Tochter T verschmolzen, werden die Gläubiger der T geschädigt, soweit die T aus der Verschmelzung mit der M mehr Verbindlichkeiten (Schulden) als Aktiva übernehmen muss. Das verstößt gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr, sofern M und T nicht über ausreichend ausschüttbare Gewinne (Bilanzgewinn + freie Gewinn- und Kapitalrücklagen) zur Deckung des Fusionsverlustes verfügen.9 3. Upstream-Verschmelzung Überträgt die Tochter T ihr Vermögen auf die Mutter M, so verlieren die Gläubiger der untergehenden T ihren Haftungsfonds im Umfang des Verschmelzungsverlusts. Soweit der Fusionsverlust durch ausschüttbare Gewinne der T gedeckt ist, müssen die Gläubiger mit einer Gewinnausschüttung der T und der damit verbundenen Minderung der Eigenkapitalausstattung der T rechnen. Soweit der Fusionsverlust dagegen nicht durch ausschüttbare Gewinne der T gedeckt ist, liegt eine verbotene Einlagenrückgewähr vor: Die Gläubiger der T dürfen darauf vertrauen, dass nur ausschüttbare Gewinne das Eigenkapital der T mindern. Die Rücklagen aus der Aktivierung eines Umgründungsmehrwerts und/oder Firmenwerts nach § 202 Abs 2 UGB10 in der Schlussbilanz der übertragenden T sind jedoch nach § 235 Z 3 UGB mit einem Ausschüttungsverbot belegt und stehen somit zur Deckung eines Verlusts ihrer Gesellschafterin M nicht zur Verfügung. Die Fusion verstößt nur dann nicht gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr, soweit der Fusionsverlust durch frei ausschüttbare Gewinne der M und T gedeckt ist. Kann ein Fusionsverlust aus frei ausschüttbaren Gewinnen (Bilanzgewinn, freie Gewinn- und Kapitalrücklagen) der M und T gedeckt werden, werden die Gläubiger nicht in ihrem Vertrauen auf die gesetzlich gesicherte Eigenkapitalbasis enttäuscht, weil die Gläubiger einer Kapitalgesellschaft mit einer Ausschüttung von Gewinnen und freien Rücklagen rechnen müssen. 4. Ergebnis Soweit der fusionsbedingte Verlust aus dem Untergang der Beteiligung der Mutter M an ihrer Tochter T durch ausschüttbare Gewinne (Bilanzgewinn + freie Gewinn- und Kapitalrücklagen) der M und T ausgeglichen werden kann, wird bei der Downstream-Verschmelzung und bei der Upstream-Verschmelzung nicht gegen das Verbot einer Einlagenrückgewähr (§§ 52 und 56 AktG; §§ 82 f GmbHG) verstoßen. Für einen nach § 202 Abs 2 UGB aktivierten Umgründungsmehr8

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Siehe dazu Beiser, Steuern11, Rz 202; G. Mayr, Gewinnrealisierung im Steuerrecht und Handelsrecht (2001) 164, 179 und 185. Siehe dazu Beiser, Die Ausschüttungssperre für umgründungsbedingte Kapitalrücklagen – Redaktionsversehen des Gesetzgebers oder fehlerhafte Auslegung? GesRZ 2005, 3; Schimpl, Kapitalerhaltung und Gewinnausschüttung bei Einbringungen (2011) 65 (Einbringungen downstream) und 179 ff (Einbringungen upstream); Kaufmann, Downstream-Abspaltung der Beteiligung an der Tochtergesellschaft in die Tochtergesellschaft, ÖStZ 2009, 202.

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Siehe dazu umfassend Karollus, Einlagenrückgewähr und verdeckte Gewinnausschüttung im Gesellschaftsrecht, in Leitner, Handbuch verdeckte Gewinnausschüttung (2010) 9; Schimpl, Kapitalerhaltung, 29 ff. Schimpl, Kapitalerhaltung, 80 ff und 85 f. Bei der Upstream-Verschmelzung werden zwar keine neuen Anteile gewährt, bei der aufnehmenden M gehen jedoch iSd § 202 Abs 2 Z 2 UGB die Anteile an der T unter. Schimpl (Kapitalerhaltung, 65 ff) verneint dagegen im Anschluss an HübnerSchwarzinger/Wiesner (Umgründungslexikon [2005] 247) die Aktivierung eines Umgründungsmehrwerts oder Firmenwerts.

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Umgründungen wert und/oder Firmenwert greift jedoch das Ausschüttungsverbot nach § 235 Z 3 UGB. IV. Tageswerte nach § 202 Abs 1 UGB 1. Downstream-Verschmelzung Wird die Mutter auf ihre Tochter verschmolzen (downstream), so kann dies als Einlage der Gesellschafter der Mutter in die Tochter iSd § 202 Abs 1 UGB gesehen werden.11 Das Vermögen (Aktiva und Passiva), das von der Mutter auf die Tochter übergeht, kann somit mit dem Tageswert (= Teilwert)12 angesetzt werden. Stille Reserven und ein allfälliger Firmenwert im Betriebsvermögen der Mutter können so anlässlich der Einlage in die Tochter aktiviert werden. Mangels Nennkapitalerhöhung (Ausgabe neuer Anteile) an der aufnehmenden Tochter greift eine Kapitalbindung nach § 229 UGB nicht. Die Ausschüttungssperre nach § 235 Z 3 UGB ist nach ihrem Wortlaut und Sinn nur dann anzuwenden, wenn im Fall einer Fortführung der Buchwerte nach § 202 Abs 2 Z 1 UGB eine Gegenleistungslücke iSd § 202 Abs 2 Z 2 und 3 UGB durch die Aktivierung eines Umgründungsmehrwerts und/ oder Firmenwerts geschlossen wird.13 Der OGH hat im Anlassfall 6 Ob 103/03w das Greifen der Ausschüttungssperre nach § 235 Z 3 UGB zu Recht bejaht.14 Eine analoge Anwendung der Ausschüttungssperre nach § 235 Z 3 UGB auf alle umgründungsbedingten Aufwertungen (nach § 202 Abs 1 und 2 UGB und auch auf Umgründungen ohne Ausgabe neuer Anteile) ist nach Wortlaut und Sinn nicht zulässig.15 2. Upstream-Verschmelzung Eine Upstream-Verschmelzung (Verschmelzung der Tochter auf die Mutter) ist jedenfalls nicht als eine Einlage iSd § 202 Abs 1 UGB zu qualifizieren.16 Überträgt die Tochter ihr Vermögen auf die Mutter (upstream), liegt in wirtschaftlicher Betrachtung eine Ausschüttung der Tochter an die Mutter vor. Sachdividenden sind auf Basis der Verkehrswerte anzusetzen: Nach dem gesellschaftsrechtlichen Verbot der Einlagenrückgewähr (§§ 52 und 56 AktG; §§ 82 f GmbHG) sind nur offene Gewinnausschüttungen zulässig. Das zwingt zum Ansatz von Sachdividenden auf Basis des Verkehrswerts (Fremdvergleichspreises): Wird eine Sache zum Buchwert ausgeschüttet, liegt in der Differenz zum Fremdvergleichspreis (Verkehrswert; market value) eine verdeckte Gewinnausschüttung.17 11

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Ludwig/Strimitzer in Hirschler, Bilanzrecht (2010) § 202 Rz 6 ff; Ludwig in Zib/ Dellinger, Großkommentar UGB III/1 (2013) § 202 Rz 11 ff; Konezny in U. Torggler, UGB (2013) § 202 Rz 6 ff. Zur Begriffsidentität des unternehmensrechtlichen Tageswerts mit dem Teilwert iSd § 12 BewG und des § 6 Z 1 EStG siehe W. Doralt, Der Teilwert als Anwendungsfall des Going-Concern-Prinzips, in Raupach, Werte und Wertermittlung im Steuerrecht (1984) 141. Beiser, GesRZ 2005, 3 ff. OGH 11.9.2003, 6 Ob 103/03w (zu § 235 Z 3 HGB); dazu Beiser, GesRZ 2005, 5 f. Im Anlassfall (OGH 11.9.2003, 6 Ob 103/03w) ist ein Umgründungsmehrwert von 6,4 Mio Euro aktiviert worden, um aus einer Sachgründung nach § 6a Abs 2 GmbHG zur Fortführung eines seit mehr als fünf Jahren bestehenden Unternehmens alle Anteile der aufnehmenden GmbH zu erhalten. Weninger (in U. Torggler, UGB, § 235 Rz 5 mwN zu Pro und Kontra im Schrifttum) will dagegen aus der E 6 Ob 103/03w eine Bindung sämtlicher umgründungsbedingter Kapitalrücklagen unabhängig von einer Aufwertung ableiten. Weninger in U. Torggler, UGB, § 235 Rz 4. Zur objektiven Inäquivalenz und zum Drittvergleich als Gegenbeweis siehe Karollus, Einlagenrückgewähr, 45 ff; Schimpl, Kapitalerhaltung, 31 ff (Äquivalenzprinzip und Drittvergleich).

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Ist ein Betrieb Gegenstand einer Sachausschüttung, so decken sich Verkehrswert (Fremdvergleichspreis) und Unternehmenswert. Das ermöglicht eine Aufwertung des übertragenen Vermögens der T auf Tageswerte und die Aktivierung eines Firmenwerts der T bei der übernehmenden Mutter bei einer Upstream-Verschmelzung. Die wirtschaftliche Sicht einer Upstream-Verschmelzung als „Sachausschüttung“ (der T an M) ermöglicht also eine Aufwertung auf Basis der Fremdvergleichspreise. Das entspricht im Ergebnis einem step-up nach § 202 Abs 1 UGB (Aktivierung der Tageswerte und eines Firmenwerts). § 202 Abs 2 UGB ermöglicht dagegen als lex specialis eine Fortführung der Buchwerte bei Umgründungen. V. De lege ferenda: Bindung umgründungsbedingter Aufwertungsgewinne De lege ferenda ist eine Kapitalbindung in allen Fällen, in denen stille Reserven, ein Umgründungsmehrwert oder ein Firmenwert im Zuge einer Umgründung realisiert werden, sinnvoll: Eine Aufwertung (ein step-up auf Tageswerte/Teilwerte) mit nachfolgender Ausschüttung der Aufwertungsgewinne untergräbt das Vertrauen jener Gläubiger, die nicht nur auf das Nennkapital und gebundene Rücklagen vertrauen, sondern ihre Geschäftsbeziehung auch auf Ertragswerte (= Firmenwert) und stille Reserven gründen. Eine Ausschüttung aus einem umgründungsbedingten step-up ist einer Gewinnrealisierung am Markt nicht gleichzuhalten: Konzernverschmelzungen sind durch die gesellschaftsrechtlich enge Verbindung zwischen Mutter und Tochter und somit societatis causa bedingt. Eine fremdübliche (einem Drittvergleich entsprechende) Markttransaktion findet nicht statt. Eine Bindung der Aufwertungsgewinne aus Umgründungen ist somit sachlich geboten. De lege ferenda ist die Wendung „unter Ansatz des beizulegenden Wertes gemäß § 202 Abs. 2 Z 1“ in § 235 Z 3 UGB zu streichen.18 Umgründungsbedingte Aufwertungsgewinne aus der Aufwertung auf Tageswerte oder aus der Aktivierung von Umgründungsmehrwerten und Firmenwerten sind dann für Ausschüttungen gesperrt. Eine Verminderung der Eigenkapitalbasis durch einen umgründungsbedingten stepup mit nachfolgender Ausschüttung ist dann nicht mehr zulässig. VI. Unternehmensgruppe statt Fusion Der Erwerb über eine Holding-GmbH in Kombination mit einer Gruppenbesteuerung nach § 9 KStG bietet massive Ertragsteuervorteile.19 Eine Verschmelzung von Mutter und Tochter (upstream oder downstream) ist ertragsteuerrechtlich in solchen Fällen idR nicht zu empfehlen.20 VII. Ergebnis 1. Bei der Downstream-Verschmelzung (Verschmelzung der Mutter auf die Tochter) und bei der Upstream-Verschmel18 19 20

So bereits Schimpl, Kapitalerhaltung, 141 f. Siehe dazu Pkt I.2. und Beiser, Casebook Steuern, Beispiel 95 (S 63 bis 65). Zur „Nacherfassung“ einer Firmenwertabschreibung nach § 9 Abs 7 KStG im Fall eines umgründungsbedingten Untergangs der abgeschriebenen Beteiligung (zB durch Fusion) siehe Urtz in Achatz/Kirchmayr, KStG (2011) § 9 Rz 499 ff; Stefaner/ Weninger in Lang/Schuch/Staringer, KStG (2009) § 9 Rz 204.

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Der praktische Fall zung (Verschmelzung der Tochter auf die Mutter) ist ein Verstoß gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr auszuschließen, soweit der Fusionsverlust aus dem Buchwertabgang der Beteiligung an der Tochter in frei ausschüttbaren Gewinn- und Kapitalrücklagen der Mutter und Tochter gedeckt ist. 2. Der Erwerb einer operativ tätigen („betriebsführenden“) Tochtergesellschaft über eine Holding-GmbH (statt über einen Direkterwerb durch natürliche Personen) bietet in Kombination mit einer Gruppenbesteuerung nach § 9 KStG große Ertragsteuervorteile:  Ausschüttungen der Tochter an die Mutter sind nach § 94 Z 2 EStG von der KESt befreit und nach § 10 KStG bei der Mutter körperschaftsteuerfrei.  Die Mutter kann Schuldzinsen aus einer Fremdfinanzierung des Erwerbs der Beteiligung an der Tochter nach § 11 Abs 1 Z 4 KStG ertragsteuerwirksam abziehen.  Die Mutter kann bis zur Hälfte der Anschaffungskosten der Beteiligung an der Tochter linear auf 15 Jahre verteilt einen „Firmenwert“ nach § 9 Abs 7 KStG abschreiben.  Die Verluste der Mutter (zB aus der Firmenwertabschreibung und aus dem Schuldzinsenabzug) kürzen im Rahmen der Gruppenbesteuerung von Mutter und Tochter nach § 9 KStG die steuerpflichtigen Gewinne.

3. Die Ertragsteueroptimierung über eine Unternehmensgruppe nach § 9 KStG spricht idR gegen eine Verschmelzung von Mutter und Tochter. 4. Eine umfassende Bindung von umgründungsbedingten Aufwertungsgewinnen ist de lege ferenda im Anschluss an Schimpl .21 durch die Streichung der Wortfolge „unter Ansatz des beizulegenden Wertes gemäß § 202 Abs. 2 Z 1“ in § 235 Z 3 UGB zu erreichen. Das verhindert eine umgründungsbedingte Aufwertung (ohne Realisierung am Markt) mit nachfolgender Ausschüttung. Umgründungen sind durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst (erfolgen societatis causa). Umgründungsbedingte Aufwertungen erfahren somit nicht dieselbe Marktbestätigung (Markttransparenz) wie eine Gewinnrealisierung (§ 201 Abs 2 Z 4 UGB) durch Leistungen an Dritte: Eine Gewinnrealisierung auf Basis tatsächlich erzielter („realisierter“) Marktpreise ist nicht mit den Unsicherheiten und Unwägbarkeiten einer Unternehmensbewertung (Erfolgsprognosen für die Zukunft; Kapitalisierung künftig ausschüttbarer Gewinne) verbunden. Eine Ausschüttungssperre für Aufwertungsgewinne aus Umgründungen schafft ein Gegengewicht gegenüber Tages- und Firmenwerten, die zwar iS einer Unternehmensbewertung vertretbar kalkuliert (berechnet), jedoch nicht am Markt realisiert worden sind. 21

Schimpl, Kapitalerhaltung, 141 f.

Liegenschaft für Unterhalt STEPHAN PROBST*

In unserer Rubrik „Der praktische Fall“ werden konkrete Fallgestaltungen, die nicht gerichtsanhängig wurden, aufbereitet und diskutiert. Damit kommen wir dem vielfach an uns herangetragenen Wunsch nach, auch solche Fälle zu besprechen, die noch nicht Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen waren. Wir hoffen, damit auch einen Beitrag zur Streitvermeidung zu leisten. Es handelt sich um anonymisierte Fälle; gleichwohl verwenden wir, um die Lebensnähe der Darstellung zu erhöhen und die Lesbarkeit zu erleichtern – anstelle der sonst üblichen Kürzel –, frei gewählte Namen. Die Fälle wurden zum Teil bereits als praktische Fallbeispiele in Workshops oder Universitätsseminaren diskutiert und sollen nun den interessierten Leserinnen und Lesern dieser Zeitschrift zugänglich gemacht werden.1 I. *1 Sachverhalt Wolfgang Mayer (V) ist in dritter Generation Unternehmer; er führt das Einzelhandelsunternehmen „Mayer Elektronik“ und ist mit Frau DI Dr. Eva Mayer (M) seit 1959 verheiratet. Das Ehepaar Mayer hat einen im Jahr 1961 geborenen Sohn Dieter (S). Die Familie lebt in der M gehörenden großen Wohnung, die unentgeltlich von M zur Verfügung gestellt wird. M erhält von ihrem Ehemann ein Taschengeld von 500 Euro im Monat, was in etwa der Hälfte der angemessenen Miete entspricht. M lebt in den ersten Jahrzehnten ihrer Ehe sehr sparsam und leistet sich gelegentlich Opernbesuche von ihrem eigenen geerbten Geld. *

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Dr. Stephan Probst ist Universitätslektor und Rechtsanwalt in Wien. Er berät Familienunternehmen rechtlich und unternehmerisch. Gerne nehmen wir auch praktische Anregungen und neue Fälle auf.

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Der Sohn soll das Unternehmen übernehmen und hat zu diesem Zweck zwei einschlägige Studien abgeschlossen. Seit 1990 arbeitet er als angestellter Juniorchef im Betrieb; sein Einkommen beträgt rund 50 % des kollektivvertraglichen Mindestlohns. Das Unternehmen läuft gut und erzielt seit Jahrzehnten in etwa gleichmäßig hohe Gewinne, die an den Unternehmenseigner V ausgeschüttet werden. Der durchschnittliche Jahresgewinn beträgt netto 200.000 Euro. Aus der Vermietung des Zinshauses hat V weitere Erträge von durchschnittlich 100.000 Euro. Im Jahr 1979, nach einigen Diskussionen über Unterhaltsansprüche, überträgt V seiner Ehefrau zur Abgeltung aller vergangenen und auch zukünftigen Unterhaltsansprüche das mit hohem Aufwand vollständig renovierte und gut verwaltete Zinshaus im 8. Wiener Gemeindebezirk in Ring-Nähe. Das

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Der praktische Fall Haus hat zum Zeitpunkt der Übertragung einen Wert von 3 Mio Euro und aufgrund der Renovierung einen erhöhten Jahresertrag von 150.000 Euro nach Steuern. M hat iZm der Liegenschaftsschenkung im Jahr 1979 auf Wunsch von V einen Pflichtteilsverzicht abgegeben. Aufgrund einiger Änderungen in der Produktpalette (1995), die der Sohn alleine zu verantworten hat, bleibt die Ertragslage des Unternehmens bis 2010 nahezu unverändert. Als der Sohn im Jahr 2008 Investitionen zur nachhaltigen Sicherung der Ertragssituation vorschlägt, wird ihm mitgeteilt, dass die laufenden Erträge und Rücklagen, die V aus dem Unternehmen hatte, aufgrund besonders unglücklicher Investitionsentscheidungen in hochspekulative Veranlagungen nicht mehr vorhanden sind und daher die erforderlichen Mittel nicht zur Verfügung stehen; die Kreditfinanzierung der notwendigen Investitionen wird aufgrund der veralteten Produktionsanlagen von den Banken abgelehnt. Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn verschlechtert sich ab dem Jahr 2008 dramatisch, weil der Sohn den Vater Spielleidenschaft und unsinnige „Zockerei“ am Aktienmarkt vorwirft. Im Übrigen verlangt S von seinem Vater ein im Verhältnis zu seiner Verantwortung und zu seinem Erfolg stehendes angemessenes Gehalt und die Zahlung der Differenz zum kollektivvertraglichen Mindestentgelt über die letzten drei Jahre. Der Vater weigert sich, das Gehalt anzuheben und die Ansprüche des Sohnes anzuerkennen, dies mit dem Hinweis, dass der Sohn undankbar sei und ohnedies Alleinerbe werde. Ab 2010 macht das Unternehmen nur Verluste. Ende 2013 stirbt der Vater. Tatsächlich ist der Sohn als Alleinerbe eingesetzt; er tritt das Erbe an, muss aber zur Kenntnis nehmen, dass das Unternehmen aufgrund unterlassener Investitionen liquidiert wird und tatsächlich nichts mehr wert ist. Da M immer zu ihrem Mann gehalten hat, ist auch ihr Verhältnis zum Sohn über die letzten Jahre immer schlechter geworden. Der Sohn hat daher kein Problem, seine Mutter finanziell in Anspruch zu nehmen. Dies insb deshalb, weil sich die Liegenschaft, die der Mutter 1979 übertragen wurde, sehr gut entwickelt und mittlerweile einen Wert von 12 Mio Euro hat. II. Lösungsskizze 1. Folgende Themenkreise sind zu behandeln:  Pflichtteilsanspruch des Sohnes dem Grunde nach;  Höhe (Quote) des Pflichtteilsanspruchs;  Bemessungsgrundlage für Pflichtteilsansprüche;  rechtliche Qualifizierung der Übertragung der Liegenschaft – Auswirkung des Unterhaltsanspruchs der Ehefrau und Mutter;  Prüfung der Auswirkungen des Pflichtteilsverzichts der Ehefrau und Mutter;  Pflichtteilsanspruch des Sohnes – Anrechnung des Vorerwerbs der Mutter. 2.1. Gem § 762 ABGB hat V seine Kinder und seine Ehefrau in der letzten (letztwilligen) Anordnung zu bedenken. Dies ist im gegenständlichen Fall nur teilweise passiert. Der Sohn wurde als „Alleinerbe“ bedacht; die Ehefrau hat keine letzt-

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willigen Zuwendungen erhalten und wurde auch nicht als Erbin eingesetzt. 2.2. Der Ehefrau gebührt gem § 765 ABGB die Hälfte dessen, was ihr nach dem gesetzlichen Erbrecht (ein Drittel) zugefallen wäre, sohin ein Sechstel des Nachlasses. Da der Nachlass keinen aktiven Wert hat, erübrigt sich eine Diskussion über einen Nachlasspflichtteil. Wesentlich ist hingegen, dass dem Sohn grundsätzlich ein Drittel und der Witwe ein Sechstel (jeweils die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs) des Nachlasses aus dem Pflichtteilsregime zukommen müssten. 2.3. Da kein Aktivnachlass gegeben ist, sind allfällige Vorschenkungen an Noterben (Pflichtteilsberechtigte) zu untersuchen. Die Ehefrau des Verstorbenen hat immerhin im Jahr 1979 eine schon damals wertvolle Liegenschaft übertragen erhalten. In diesem Vertrag ist ausdrücklich festgehalten, dass die Übertragung der Liegenschaft „gegen Verzicht auf vergangene und zukünftige Unterhaltsansprüche“ erfolgt. 2.4. Um das Rechtsgeschäft rechtlich qualifizieren zu können (Kauf, gemischte Schenkung, Schenkung), ist zu überprüfen, ob und in welchem Ausmaß damals tatsächlich Unterhaltsansprüche bestanden haben. Die Witwe hat seit Beginn der Ehe die Familienwohnung zur Verfügung gestellt und einen im Hinblick auf die Einkommenssituation ihres Mannes vernachlässigbare Unterstützung für Wohnung und Haushalt erhalten. Nach dem Sachverhalt hat sie kein eigenes Einkommen und lebt de facto von ihren eigenen Ersparnissen. Daher ist eine relevante Unterhaltszahlung nicht festzustellen. Das bedeutet, dass ihr verstorbener Ehemann damals zu Unterhaltszahlungen verpflichtet gewesen wäre. Unterstellt man eine vereinfachte Berechnungsmethodik,2 wonach dem nicht verdienenden Ehepartner ein Drittel des Einkommens des Ehepartners zusteht, so sind dies (unter Außerachtlassung der geringen Leistungen für die Wohnung bis 1979) Forderungen in einer Höhe von rund 2 Mio Euro. Die Berechnung: 100.000 Euro/Jahr (ein Drittel von 300.000 Euro) x 20 Jahre.3 Ein Verjährungsthema stellt sich insofern nicht, als der Verstorbene schon 1979 ausdrücklich alle vergangenen Unterhaltsansprüche (und auch die zukünftigen) abgelten wollte, und nicht lediglich Ansprüche aus den vergangenen drei Jahren. Sohin standen im Jahr 1979 aushaftende Unterhaltsansprüche im Betrag von 2 Mio Euro dem Wert der Liegenschaft im Betrag von 3 Mio Euro gegenüber. Die Liegenschaft wurde daher von der Ehefrau jedenfalls zu zwei Dritteln käuflich, also in einem synallagmatischen Austauschverhältnis, erworben. Zu untersuchen ist daher die Frage, ob auch dem zugunsten des Ehemannes verbleibenden Restbetrag von 1 Mio Euro eine Gegenleistung oder ein Anspruch der Ehefrau (zB künftiger Unterhalt) gegenübersteht. Der unmittelbar vor der Liegenschaftsübertragung vereinbarte Pflichtteilsverzicht gegenüber ihrem Ehemann ist im Vertrag nicht thematisiert. Daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Liegenschaftsübertragung in einer bestimmten Höhe als Gegenleistung für den Pflichtteilsverzicht angesehen werden kann. Im Übrigen ist die Frage nach 2 3

OGH 26.9.1991, 8 Ob 635/90; 24.9.2003, 9 Ob 99/03d. OGH 26.9.1991, 8 Ob 635/90.

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Der praktische Fall einer allfälligen Entgeltlichkeit des Pflichtteilsverzichts berechnungstechnisch von keiner Bedeutung, weil auch im Fall der Entgeltlichkeit des Pflichtteilsverzichts dies bei der Berechnung der Bemessungsgrundlage von Pflichtteilen unberücksichtigt bleibt.4 Da die Ehefrau bei der Liegenschaftsübertragung 1979 auch auf zukünftigen Unterhalt gegenüber ihrem Mann verzichtet hat, ist diese Vereinbarung zu prüfen. Gem § 94 Abs 3 ABGB kann auf Unterhaltsansprüche nicht im Voraus verzichtet werden.5 Der Zweck dieser Regelung liegt darin, nicht auf einen Anspruch verzichten zu können, weil zukünftige Entwicklungen idR nicht absehbar sind und vermieden werden soll, dass Personen, die die Tragweite der Erklärung nicht beurteilen können, übervorteilt werden. Ein Verzicht für die Zukunft ist nur dann wirksam, wenn die verzichtende Person aufgrund ihrer eigenen Vermögenssituation jedenfalls in der Lage ist, den eigenen Unterhalt angemessen zu bestreiten.6 Das wird hier bei einem Einkommen von 150.000 Euro wohl anzunehmen sein. Da aber ein derart genereller Verzicht für die Zukunft nicht wirksam vereinbart werden kann, wäre zu überlegen, ob durch das tatsächliche „Nicht-Geltend-Machen“ von Unterhaltsansprüchen sukzessive das laufende Differenzentgelt abgeschichtet werden könnte. Eine eindeutige diesbezügliche Judikatur ist nicht vorhanden, wiewohl seitens der Rspr immer wieder betont wird, dass auch konkludente Verzichte auf vergangenen Unterhalt möglich sind.7 Einer generell anwendbaren Methodik der Anrechnung von Zahlungen auf zukünftige Unterhaltsansprüche wird wohl skeptisch zu begegnen sein, weil dies allenfalls als Umgehung der Schutznorm des § 94 Abs 3 letzter Satz ABGB gesehen werden könnte oder bestimmten Einzelfallkonstellationen nicht gerecht würde. Betrachtet man die Situation der Unterhaltsverpflichtung nach der Liegenschaftsschenkung, wird offensichtlich, dass aufgrund der jährlichen Erträge aus der geschenkten Liegenschaft (150.000 Euro) im Verhältnis zu den Erträgnissen aus dem Unternehmen allenfalls keine weiteren relevanten Unterhalts(ergänzungs)ansprüche der Ehefrau entstehen. Nach der „Grundregel“, dass bei Eheleuten, die beide verdienen, die Einkommen zusammenzuzählen sind und dem weniger gut verdienenden Eheteil 40 %8 zustehen, ergibt sich im konkreten Fall kein Differenzbetrag aus der Unterhaltszahlungsverpflichtung (350.000 Euro x 0,4 = 140.000 Euro). Das bedeutet, dass ab 1979 wechselseitig von keiner relevanten Ausgleichszahlungsverpflichtung auszugehen ist, wenn man davon absieht, dass bei der negativen Ertragslage des Unternehmens ab 2010 wohl eine Unterhaltsleistung zugunsten des Ehemannes entstanden ist. Aufgrund der geänderten Ertragssituation aus den Erwerbsquellen ändert sich auch die Rechtslage für den Unterhalt vollkommen. Der Betrag von 1 Mio Euro, der als Differenzbetrag seit dem Jahr 1979 als „geschenkter Teil“ Bestand hat, wäre grund-

sätzlich für die Bemessung eines Schenkungspflichtteilsanspruchs heranzuziehen. Da die Ehefrau und nunmehrige Witwe aber vor Liegenschaftsübertragung auf ihren Pflichtteilsanspruch verzichtet hat, stellt sich die Frage, ob der Pflichtteilsverzicht vor der gemischten Schenkung im Jahr 1979 allenfalls eine Umgehung der unbefristeten Anrechnung von Schenkungen an einen Pflichtteilsberechtigten9 darstellen könnte. Nach § 785 Abs 3 ABGB bleiben Schenkungen ua dann unberücksichtigt, wenn sie früher als zwei Jahre vor dem Tod des Erblassers an nicht pflichtteilsberechtigte Personen gemacht wurden. Verzichtet sohin ein pflichtteilsberechtigter Geschenknehmer auf seinen Pflichtteil und ist er daher im Zeitpunkt des Erbanfalls nicht mehr pflichtteilsberechtigt, so schließt dies die unbefristete Anrechnung grundsätzlich aus und es gilt die Zweijahresfrist, außer der Verzicht auf den Pflichtteil ist als rechtsmissbräuchlich einzustufen.10 Rechtsmissbrauch liegt hier nicht vor, weil das Unternehmen des nunmehr verstorbenen Ehemannes zum damaligen Zeitpunkt jährlich 200.000 Euro an Gewinnen abgeworfen hat, was zweifelsfrei beweist, dass das Unternehmen einen wohl noch höheren Wert als die geschenkte Liegenschaft hatte, jedenfalls aber leicht in der Lage war, den zum damaligen Zeitpunkt zu errechnenden Pflichtteil abzudecken. Es war 1979 für M keineswegs absehbar, dass Jahrzehnte später unterlassene Investitionen und die risikoreiche Veranlagungen des V zu einem kompletten Vermögensausfall führen könnten. Ein Rechtsmissbrauch kann auch deshalb nicht erkannt werden, weil es die Forderung von V an M war, den Verzicht abzugeben. Daraus folgt, dass auch keine Gesetzesumgehung vorliegen kann.11 Da aufgrund der Ertragslage des Unternehmens im Jahr 1979 und der damaligen Vermögensverhältnisse des nunmehr Verstorbenen eine rechtsmissbräuchliche Ausnutzung des Pflichtteilsverzichts nicht ersichtlich war, zumal die Übergabe der Liegenschaft überwiegend in Entsprechung einer Verpflichtung zur Bezahlung von Unterhalt vollzogen wurde, ist der Differenzbetrag von 1 Mio Euro aufgrund des Ablaufs von mehr als zwei Jahren nicht mehr zu berücksichtigen. Wenn der Sohn sohin einen Anspruch geltend macht, beschränkt sich dieser auf nicht bezahlte Unterhaltsansprüche des Ehemannes gegenüber seiner Frau, die aufgrund der Gewinnsituation nach 2010 bis zu seinem Tod entstanden sind. Die Größenordnung des Unterhaltsanspruchs bemisst sich in diesem Fall mit einem Drittel des Ertrags von M (aus der Hausvermietung) der vergangenen drei Jahre (rund 150.000 Euro). Daher wird S auch nicht Pflichtteilsansprüche geltend machen, sondern vergangene Unterhaltsforderungen12 des V gegenüber seiner Frau, die ihm als eingeantworteten Erben zustehen. 9 10

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Kogler, Der Erbverzicht (2013) 150. Ua OGH 18.12.2003, 8 Ob 119/03p. EFSlg 28.601; EFSlg 47.458. OGH 29.3.2006, 3 Ob 31/05p. OGH 26.9.1991, 8 Ob 635/90; 14.12.2005, 7 Ob 191/05x.

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Vgl § 785 Abs 3 ABGB. OGH 24.7.2013, 9 Ob 47/13x. Vgl OGH 4.10.2011, 10 Ob 86/11m; ablehnend Welser, der dem Gesetzgeber vorschlägt, die Anrechnung von Schenkungen zugunsten Pflichtteilsberechtigter unbefristet vorzusehen (Welser, Die Reform des österreichischen Erbrechts [2009] 136; Umlauft, Die Anrechnung im Pflichtteilsrecht, iFamZ 2011, 282 [284]). Vgl. § 99 ABGB.

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Judikatur

Aus der aktuellen Rechtsprechung* Kapitalmarkt EuGH bestätigt Zulässigkeit einer Haftung der Emittentin gegenüber Aktionären Richtlinie 77/91/EWG Richtlinie 2009/101/EG 1. Die Art 12, 15, 16, 18, 19 und 42 der Zweiten Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 13.12.1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 48 Abs 2 EGV im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, in der durch die Richtlinie 92/101/EWG des Rates vom 23.11.1992 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die im Rahmen der Umsetzung der Richtlinien – 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.11.2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, – 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.12.2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG – und 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28.1.2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch) zum einen die Haftung einer AG als Emittentin gegenüber einem Erwerber von Aktien dieser Gesellschaft wegen Verletzung von Informationspflichten gemäß den genannten Richtlinien vorsieht und zum anderen die Verpflichtung der AG beinhaltet, aufgrund dieser Haftung dem Erwerber den dem Erwerbspreis der Aktien entsprechenden Betrag zurückzuzahlen und die Aktien zurückzunehmen. 2. Die Art 12 und 13 der Richtlinie 2009/101/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.9.2009 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 48 Abs 2 EGV im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten, sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die rückwirkende Aufhebung eines Aktienankaufsvertrages vorsieht. 3. Die Art 12, 15, 16, 18, 19 und 42 der Zweiten Richtlinie 77/91/EWG in der durch die Richtlinie 92/101/EWG geänderten Fassung sowie die Art 12 und 13 der Richtlinie 2009/101/EG sind dahin auszulegen, dass die Haftung gemäß der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung nicht zwangsläufig auf den Wert der Aktien beschränkt ist, der sich im Fall einer börsenotierten Gesellschaft nach dem Börsekurs der Aktien im Zeitpunkt der Erhebung des Anspruchs bestimmt.

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EuGH 19.12.2013, Rs C-174/12, Alfred Hirmann gegen Immofinanz AG (Vorabentscheidungsersuchen des HG Wien)

Aus dem Urteil des EuGH: ... Zur ersten und zur zweiten Frage 22. Mit seiner ersten und seiner zweiten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art 12, 15, 16, 18, 19 und 42 der Zweiten Richtlinie dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die im Rahmen der Umsetzung der Prospekt-, der Transparenz- und der Marktmissbrauchsrichtlinie zum einen die Haftung einer AG als Emittentin gegenüber einem Erwerber von Aktien dieser Gesellschaft wegen Verletzung von Informationspflichten gemäß den genannten Richtlinien vorsieht und zum anderen die Verpflichtung der AG beinhaltet, aufgrund dieser Haftung dem Erwerber den dem Erwerbspreis der Aktien entsprechenden Betrag zurückzuzahlen und die Aktien zurückzunehmen. 23. Ziel der Bestimmungen der Zweiten Richtlinie, auf die in den ersten beiden Fragen Bezug genommen wird, ist es im Wesentlichen, die Erhaltung des Kapitals von AGs und die Gleichbehandlung der Aktionäre sicherzustellen. 24. und 25. ... 26. Was darüber hinaus das Ziel der Gleichbehandlung der Aktionäre angeht, müssen die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten nach Art 42 der Zweiten Richtlinie für deren Anwendung die Gleichbehandlung der Aktionäre sicherstellen, die sich in denselben Verhältnissen befinden. 27. Sowohl nach ihrem Wortlaut als auch nach ihrem Zweck sollen die in den beiden vorstehenden Randnummern genannten Bestimmungen nur die rechtlichen Beziehungen zwischen der Gesellschaft und ihren Aktionären regeln, die sich ausschließlich aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben und nur das Innenverhältnis der Gesellschaft betreffen. 28. Folglich können die in Rede stehenden Bestimmungen der Zweiten Richtlinie, wie Herr Hirmann, die österreichische und die portugiesische Regierung sowie die Europäische Kommission geltend machen, einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die den Grundsatz aufstellt, dass eine emittierende Gesellschaft wegen der Verbreitung unrichtiger Angaben unter Verstoß gegen das Kapitalmarktrecht haftet und aufgrund dieser Haftung dem Erwerber den dem Erwerbspreis der Aktien entsprechenden Betrag zurückzahlen und die Aktien zurücknehmen muss. 29. Bei einer solchen Fallgestaltung ergibt sich die Haftung der betreffenden Gesellschaft gegenüber den Anlegern, die auch ihre Aktionäre sind, wegen der von ihr vor oder beim Erwerb ihrer Aktien begangenen Unregelmäßigkeiten nämlich nicht aus dem Gesellschaftsvertrag und betrifft nicht allein das * Die zivilrechtliche Judikatur wird von Frau Dr. Brigitte Schenk, Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes, bearbeitet.

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Judikatur Innenverhältnis der Gesellschaft. Es handelt sich dabei um eine Haftung, die aus dem Aktienankaufsvertrag resultiert. 30. Des Weiteren ist zu dem in Art 42 der Zweiten Richtlinie verankerten Grundsatz, wonach die Aktionäre gleich zu behandeln sind, festzustellen, dass sich Aktionäre, denen wegen einer von der Gesellschaft vor oder beim Erwerb ihrer Aktien begangenen Pflichtwidrigkeit ein Schaden entstanden ist, nicht in derselben Lage befinden wie Aktionäre derselben Gesellschaft, deren Rechtsstellung von dieser Pflichtwidrigkeit nicht berührt ist. 31. Gerade deshalb darf eine Gesellschaft nach Art 20 Abs 1 Buchst d der Zweiten Richtlinie ua aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung eigene Aktien erwerben. Bei einem solchen Erwerb kann nicht davon ausgegangen werden, dass er die Herabsetzung des Gesellschaftskapitals oder die künstliche Erhöhung des Aktienkurses zum Ziel hat. 32. Eine Zahlung, die eine Gesellschaft an einen Aktionär wegen von ihr vor oder beim Erwerb ihrer Aktien begangener Unregelmäßigkeiten vornimmt, stellt demnach keine Kapitalausschüttung iSv Art 15 der Zweiten Richtlinie dar und unterliegt somit nicht den Bedingungen dieses Artikels. 33. Das Vorbringen von Immofinanz in der mündlichen Verhandlung, wonach Art 15 der Zweiten Richtlinie einer zivilrechtlichen Haftungsklage eines Anlegers gegen eine Gesellschaft entgegenstehe, die ihn durch die Verbreitung irreführender Angaben getäuscht habe, kann daher nicht durchgreifen. 34. Auch der Fall, dass eine Gesellschaft die Aktien eines Anlegers, der diese auf der Grundlage unrichtiger Angaben, deren Verbreitung die Gesellschaft zu vertreten hat, erworben hatte, zurücknimmt, kann nicht in den Anwendungsbereich von Art 18 der Zweiten Richtlinie fallen. Ein solcher Erwerb eigener Aktien durch die Gesellschaft ergibt sich aus der gesetzlichen Verpflichtung, dem geschädigten Anleger Schadensersatz zu leisten; eine derartige Verpflichtung liegt außerhalb der ratio legis von Art 18. 35. ... 36. Nach Art 6 Abs. 1 der Prospektrichtlinie stellen die Mitgliedstaaten insb sicher, dass zumindest der Emittent für die in einem Prospekt enthaltenen Angaben haftet. 37. Darüber hinaus stellen die Mitgliedstaaten gem Art 7 der Transparenzrichtlinie sicher, dass die Verantwortung für die in dieser Richtlinie vorgeschriebene Zusammenstellung und Veröffentlichung der Informationen zumindest beim Emittenten liegt. Nach Art 17 Abs 1 dieser Richtlinie muss der Emittent allen Aktionären, die sich in der gleichen Lage befinden, die gleiche Behandlung sicherstellen. 38. Eine nationale Regelung, die die Haftung einer AG als Emittentin von Wertpapieren gegenüber einem Anleger bei Verletzung ihrer Informationspflichten vorsieht, genügt den Anforderungen von Art 6 Abs 1 der Prospektrichtlinie und von Art 7 der Transparenzrichtlinie, ohne dass der in Art 17 Abs 1 der letztgenannten Richtlinie verankerte Grundsatz der Gleichbehandlung in Frage gestellt würde.

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39. Außerdem stellen die Mitgliedstaaten insb nach Art 25 Abs. 1 der Prospektrichtlinie, Art 28 Abs 1 der Transparenzrichtlinie und Art 14 Abs 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie, die ähnlich formuliert sind, unbeschadet ihres Rechts, strafrechtliche Sanktionen zu verhängen, im Einklang mit ihrem innerstaatlichen Recht sicher, dass bei Verstößen gegen die gemäß diesen Richtlinien erlassenen Vorschriften gegen die verantwortlichen Personen geeignete Verwaltungsmaßnahmen ergriffen oder Verwaltungssanktionen verhängt werden können, wobei diese Maßnahmen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen. 40. Zwar beziehen sich Art 28 Abs 1 der Transparenzrichtlinie und Art 14 Abs 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie – anders als Art 25 Abs 1 der Prospektrichtlinie – nicht ausdrücklich auf die zivilrechtlichen Haftungsvorschriften der Mitgliedstaaten, doch hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass, was die Zuerkennung von Schadensersatz und die eventuelle Gewährung von Strafschadensersatz betrifft, die Bestimmung der Kriterien für die Ermittlung des Umfangs des Schadensersatzes in Ermangelung einschlägiger Unionsvorschriften Aufgabe des innerstaatlichen Rechts des einzelnen Mitgliedstaates ist, wobei der Äquivalenz- und der Effektivitätsgrundsatz zu beachten sind (vgl entsprechend Urteile vom 13.7.2006, verb Rs C-295/04 bis C-298/04, Manfredi ua, Rn 92, sowie vom 6.6. 2013, Rs C-536/11, Donau Chemie ua, Rn 25 bis 27). 41. Nach alledem verfügen die Mitgliedstaaten somit vorbehaltlich der Beachtung des Unionsrechts über einen weiten Spielraum bei der Wahl der Sanktionen für Verstöße emittierender Gesellschaften gegen ihre Verpflichtungen aus den genannten Richtlinien. 42. Daraus folgt auch, dass die Wahl der zivilrechtlichen Abhilfemaßnahme bei einer Haftung des Aktien-Emittenten Sache der Mitgliedstaaten ist. 43. Im vorliegenden Fall stellen die zivilrechtlichen Haftungsvorschriften nach der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung eine angemessene Abhilfe für den dem Anleger entstandenen Schaden sowie die Verletzung der Informationspflicht des Emittenten dar. Außerdem sind sie geeignet, Emittenten davon abzuhalten, Anleger in die Irre zu führen. 44. Die Einführung solcher Haftungsvorschriften hält sich somit im Rahmen des den Mitgliedstaaten zustehenden Gestaltungsspielraums und verstößt nicht gegen das Unionsrecht. 45. Auf die erste und die zweite Frage ist daher zu antworten, dass die Art 12, 15, 16, 18, 19 und 42 der Zweiten Richtlinie dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die im Rahmen der Umsetzung der Prospekt-, der Transparenz- und der Marktmissbrauchsrichtlinie zum einen die Haftung einer AG als Emittentin gegenüber einem Erwerber von Aktien dieser Gesellschaft wegen Verletzung von Informationspflichten gemäß den genannten Richtlinien vorsieht und zum anderen die Verpflichtung der AG beinhaltet, aufgrund dieser Haftung dem Erwerber den dem Erwerbspreis der Aktien entsprechenden Betrag zurückzuzahlen und die Aktien zurückzunehmen.

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Judikatur 46. bis 48. ... Zur vierten Frage 49. Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art 12 und 13 der Richtlinie 2009/101/EG dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die rückwirkende Aufhebung des Aktienankaufsvertrages vorsieht. 50. In Art 12 Abs 1 Buchst a und b der Richtlinie 2009/101/EG sind die Bedingungen, unter denen die Nichtigkeit von Gesellschaften durch gerichtliche Entscheidung ausgesprochen werden kann, abschließend aufgeführt. Gem Art 12 Abs 2 können Gesellschaften abgesehen von den Nichtigkeitsfällen nach Abs 1 aus keinem Grund inexistent, absolut oder relativ nichtig sein oder für nichtig erklärt werden. 51. Art 13 der Richtlinie 2009/101/EG legt ua die Folgen dieser Nichtigkeit fest. 52. Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung stellt den Grundsatz auf, dass eine emittierende Gesellschaft wegen der Verbreitung unrichtiger Angaben unter Verstoß gegen das Kapitalmarktrecht haftet und aufgrund dieser Haftung verpflichtet ist, dem Erwerber den dem Erwerbspreis der Aktien entsprechenden Betrag zurückzuzahlen und die Aktien zurückzunehmen. 53. Diese Regelung soll ua sicherstellen, dass der Geschädigte in die Lage zurückversetzt wird, in der er sich vor der schädigenden Handlung befand, indem zum einen dem Erwerber der für den Erwerb der Aktien entrichtete Betrag zuzüglich Zinsen zurückgezahlt werden muss und zum anderen diese Aktien wie die übrigen Aktien im Kapital der betreffenden Gesellschaft verbleiben müssen. 54. Daraus folgt, dass Vorschriften über die Haftung von Gesellschaften wegen Verstoßes gegen bestimmte kapitalmarktrechtliche Vorschriften keinerlei Bezug zu den Verfahren über die Nichtigkeit von Gesellschaften haben, wie sie sich aus den Art 12 und 13 der Richtlinie 2009/101/EG ergeben. 55. Da die im Ausgangsverfahren in Rede stehende rückwirkende Aufhebung des Aktienankaufsvertrages nicht die Nichtigkeit der Gesellschaft zur Folge haben kann, sind die Art 12 und 13 der Richtlinie 2009/101/EG für die vierte Frage des vorlegenden Gerichts somit unerheblich. 56. Das vorlegende Gericht fragt sich insb, ob im vorliegenden Fall die mit dem Urteil E. Friz begründete Rspr herangezogen werden kann. 57. In diesem Urteil hatte der Gerichtshof über die Vereinbarkeit einer nationalen Regelung, die an den Widerruf des Beitritts eines Verbrauchers zu einem Immobilienfonds in Form einer Personengesellschaft lediglich Ex-nunc-Wirkungen knüpfte, mit der Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20.12.1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (ABl L 372, S 31) zu entscheiden. 58. Der Gerichtshof hat in Rn 44 des Urteils E. Friz darauf hingewiesen, dass der durch die Richtlinie 85/577/EWG garantierte Verbraucherschutz nicht absolut ist, und dann in Rn 50

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dieses Urteils entschieden, dass diese Richtlinie einer mit Exnunc-Wirkung ausgesprochenen Aufhebung des Vertrages nicht entgegensteht. 59. Hierzu ist festzustellen, dass der dem Urteil E. Friz zugrunde liegende Sachverhalt mit dem des Ausgangsverfahrens nicht vergleichbar war. 60. In der dem Urteil E. Friz zugrunde liegenden Rechtssache beruhte der Widerruf des für den Beitritt zu einem Immobilienfonds unterzeichneten Vertrages durch den Verbraucher nämlich nicht auf einem pflichtwidrigen Verhalten des Vertragspartners, sondern allein auf der Ausübung eines allen Verbrauchern in Art 5 Abs 1 der Richtlinie 85/577/EWG eingeräumten Rechts, Verträge zu widerrufen, die bei einem Besuch eines Gewerbetreibenden in ihrer Wohnung abgeschlossen wurden. 61. Vor diesem Hintergrund konnte der Gerichtshof in den Rn 46 bis 48 des Urteils E. Friz davon ausgehen, dass die Richtlinie 85/577/EWG der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regel nicht entgegenstand, da diese entsprechend den allgemeinen Grundsätzen des Zivilrechts für einen vernünftigen Ausgleich und eine gerechte Risikoverteilung zwischen den einzelnen Beteiligten sorgen sollte. Im Übrigen hatte der Gerichtshof bereits entschieden, dass sich sowohl aus Sinn und Zweck als auch aus dem Wortlaut einiger Bestimmungen dieser Richtlinie ergibt, dass für den Verbraucherschutz bestimmte Grenzen gelten (vgl Urteil vom 10.4.2008, C-412/06, Hamilton, Rn 39 und 40). 62. Im Ausgangsverfahren steht hingegen fest, dass die Aufhebung des Aktienankaufsvertrages allein auf von der emittierenden Gesellschaft begangenen Unregelmäßigkeiten beruht, durch die dem Erwerber ein Schaden entstanden ist. In diesem Fall ist es nicht gerechtfertigt, das im Urteil E. Friz angeführte Kriterium eines vernünftigen Ausgleichs und einer gerechten Risikoverteilung zwischen den einzelnen Beteiligten als Maßstab für die Beurteilung der Vereinbarkeit einer nationalen Vorschrift mit dem Unionsrecht heranzuziehen. 63. Deshalb ist auf die vierte Frage zu antworten, dass die Art 12 und 13 der Richtlinie 2009/101/EG dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die rückwirkende Aufhebung eines Aktienankaufsvertrages vorsieht. Zur fünften Frage 64. Mit seiner fünften Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art 12, 15, 16, 18, 19 und 42 der Zweiten Richtlinie sowie die Art 12 und 13 der Richtlinie 2009/101/EG dahin auszulegen sind, dass die Haftung gemäß der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung auf den Wert der Aktien beschränkt ist, der sich im Fall einer börsenotierten Gesellschaft nach dem Börsekurs der Aktien im Zeitpunkt der Erhebung des Anspruchs bestimmt. 65. Was erstens die Art 12 und 13 der Richtlinie 2009/101/EG betrifft, genügt der Hinweis, dass der Gerichtshof in Rn 54 des vorliegenden Urteils festgestellt hat, dass Vorschriften über die Haftung von Gesellschaften wegen Verstoßes gegen

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Judikatur bestimmte kapitalmarktrechtliche Vorschriften keinerlei Bezug zu den Verfahren über die Nichtigkeit von Gesellschaften aufweisen. 66. Daraus ergibt sich, dass diese Artikel, die nur die Nichtigkeit des Gesellschaftsvertrages betreffen, für die Beurteilung der Frage des Umfangs der Haftung solcher Gesellschaften nicht relevant sind. Ihre Auslegung kann keinesfalls das Vorbringen von Immofinanz stützen, wonach die Haftung der Gesellschaft im Ausgangsverfahren unbedingt auf den Wert ihrer Aktien zu beschränken sei, der sich im Fall einer börsenotierten Gesellschaft nach dem Börsekurs der Aktien im Zeitpunkt der Erhebung des Anspruchs bestimme. 67. Was zweitens die Art 12, 15, 16, 18, 19 und 42 der Zweiten Richtlinie angeht, so konnte aufgrund ihrer Auslegung durch den Gerichtshof im Rahmen der ersten beiden Vorlagefragen in Rn 28 des vorliegenden Urteils festgestellt werden, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen können, die den Grundsatz aufstellt, dass eine emittierende Gesellschaft für die Verbreitung unrichtiger Angaben unter Verstoß gegen das Kapitalmarktrecht haftet und aufgrund dieser Haftung dem Erwerber den dem Erwerbspreis der Aktien entsprechenden Betrag zurückzahlen und die Aktien zurücknehmen muss. 68. Außerdem ist der Gerichtshof in Rn 44 des vorliegenden Urteils zu dem Ergebnis gelangt, dass sich die Einführung solcher zivilrechtlicher Haftungsvorschriften im Rahmen des den Mitgliedstaaten nach der Prospekt-, der Transparenzund der Marktmissbrauchsrichtlinie zustehenden Gestaltungsspielraums hält und nicht gegen das Unionsrecht verstößt. 69. Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die Wahl zwischen zivilrechtlichen Haftungsvorschriften, nach denen dem Erwerber ein dem Kaufpreis der Aktien entsprechender Betrag zuzüglich Zinsen zurückzuzahlen ist, und Vorschriften, die die Haftung auf die Zahlung des Aktienpreises im Zeitpunkt der Erhebung des Schadensersatzanspruchs beschränken, in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt. 70. Nach alledem ist auf die fünfte Frage zu antworten, dass die Art 12, 15, 16, 18, 19 und 42 der Zweiten Richtlinie sowie die Art 12 und 13 der Richtlinie 2009/101/EG dahin auszulegen sind, dass die Haftung gemäß der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung nicht zwangsläufig auf den Wert der Aktien beschränkt ist, der sich im Fall einer börsenotierten Gesellschaft nach dem Börsekurs der Aktien im Zeitpunkt der Erhebung des Anspruchs bestimmt. Anmerkung: Mit der vorliegenden EuGH-Entscheidung liegt ein bislang fehlender Baustein zur Frage des Verhältnisses von Anlegeransprüchen wegen der Verletzung der Prospektpflicht zum Verbot der Einlagenrückgewähr vor. Damit kann nun ein Schlussstrich unter diese alte und entscheidende Frage (siehe nur Krejci, Anlegerschutz des Aktionärs, Kapitalerhaltung und fehlerhafte AG, GesRZ 2011, 193; Diregger, GesRZ 2011, 258) gezogen werden. Vorangegangen waren dieser Entscheidung eine heftig geführte Diskussion in der Literatur, die wohl von den konkreten, nunmehr gerichtlich entschiedenen Fällen motiviert war (vgl nur Gruber, Kapitalmarktinformationshaftung der Aktiengesellschaft und Kapitalerhaltungsgrundsatz, JBl 2007, 2 und 90; ders, Prospekthaftung

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der AG versus Kapitalerhaltung, GesRZ 2010, 73; Rüffler, Haftung für fehlerhafte Kapitalmarktinformation und Kapitalerhaltung in der AG, in FS Straube [2009] 113; ders, Kapitalmarkthaftung und Verbot der Einlagenrückgewähr – eine Replik, GES 2010, 4; ders, Gesellschaftsrecht und Kapitalmarktrecht – über eine schwierige Beziehung, ÖBA 2011, 699; Eckert, Emittentenhaftung für fehlerhafte Kapitalmarktinformation und aktienrechtliche Kapitalerhaltung, GesRZ 2010, 88; Karollus, Nochmals: Haftung für fehlerhafte Kapitalmarktinformationen und Kapitalerhaltung in der AG, ZFR 2010, 50; ders, Neues zur Prospekthaftung, ÖBA 2011, 450; Krejci, GesRZ 2011, 193 ff; Told, Prospekthaftung versus Kapitalerhaltung bei Kapital- und Personengesellschaften, GesRZ 2011, 346; U. Torggler, Emittentenhaftung: Roma locuta und alle Fragen offen, ecolex 2011, 1121; Graf, OGH verteidigt Prospekthaftung, ecolex 2011, 599; Völkl, Anlegerschutz: OGH macht’s einfach(er), WBl 2011, 474; Kalss/U. Torggler, Kapitalmarkthaftung und Gesellschaftsrecht [2013]), und zwei Urteile des OGH (OGH 30.3.2011, 7 Ob 77/10i, GesRZ 2011, 251 [Diregger]; 15.3.2012, 6 Ob 28/12d, GesRZ 2012, 252 [Schuhmacher]). Im Ergebnis erkannten beide Urteile einen Vorrang von Schadenersatzansprüchen aufgrund der Verletzung kapitalmarktrechtlicher Informationspflichten vor dem gesellschaftsrechtlichen Verbot der Einlagenrückgewähr an, wie dies die ältere Literatur auch schon vertreten hat (Kalss, Anlegerinteressen [2001] 220; Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen der Kapitalerhaltung [2004] 364; Rüffler in FS Straube, 124 f). Zur europarechtlichen Dimension war damit wenig gewonnen. Die Frage, ob bereits auf unionsrechtlicher Ebene ein Vorrang einer der beiden Pflichten besteht, die durch die Kapitalrichtlinie 77/91/EWG einerseits und die Prospektrichtlinie 2003/71/EG andererseits auch europarechtlich vorgegeben waren, musste letztlich vom EuGH geklärt werden (zur europarechtlichen Dimension vgl Karollus, ÖBA 2011, 453; G. H. Roth, Kapitalerhaltung versus Prospekthaftung: Die europäischen Richtlinien, JBl 2012, 73; Rüffler, Haftung für Kapitalmarktinformationen nach OGH 7 Ob 77/10i, in Kalss/U. Torggler, Kapitalmarkthaftung und Gesellschaftsrecht [2013] 1 [8 ff]; ferner Fleischer/Schneider/Thaten, Kapitalmarktrechtlicher Anlegerschutz versus aktienrechtliche Kapitalerhaltung, NZG 2012, 801). Der EuGH stellte nun fest, dass europarechtliche Vorgaben der Anordnung zivilrechtlicher Haftungsansprüche der Aktionäre gegenüber der Emittentin bei Verletzung der Prospektpflicht durch die Mitgliedstaaten nicht entgegenstehen. In wesentlichen Aspekten deckt sich die Begründung des EuGH mit jener des OGH (siehe Rüffler in Kalss/U. Torggler, Kapitalmarkthaftung, 8 ff; Schuhmacher, GesRZ 2012, 257 [258]; eine andere Entscheidung erwartend G. H. Roth, JBl 2012, 86). Die Ansprüche eines Anlegers wegen der Verletzung der Prospektpflicht durch die Gesellschaft stehen iZm dem Aktienkaufvertrag und liegen daher nicht ausschließlich im Innenverhältnis der Gesellschaft. Die Zahlung von Schadenersatzansprüchen aufgrund der Verletzung der Prospektpflicht ist daher nicht ausschließlich in der Gesellschafterstellung des Aktionärs begründet und somit nicht als eine Leistung causa societatis zu qualifizieren. Das entspricht der Argumentationslinie des OGH (30.3.2011, 7 Ob 77/10i; 15.3.2012, 6 Ob 28/12d). Aufgrund der größeren Abstraktheit der Bestimmungen der Richtlinien war eine Interpretation des EuGH, die die Anordnung von Haftungsansprüchen gegenüber der Emittentin auf nationaler Ebene ausschließt, letztlich nicht zu erwarten (Schuhmacher, GesRZ 2012, 258). Die Frage liegt darin, ob Art 15 der Kapitalrichtlinie tatsächlich auch verdeckte Ausschüttungen erfasst oder ob auf europäischer Ebene verdeckte Vermögensauskehrungen schlicht nicht geregelt werden (so etwa Rüffler in Kalss/U. Torggler, Kapitalmarkthaftung, 10; G. H. Roth, JBl 2012, 81 f; vgl ferner Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht4 [2011] 160, die zwar aus teleologischen Gründen die Erfassung verdeckter Ausschüttungen bejahen, aber sie gleichzeitig als sehr strittig bezeichnen; ähnlich Fleischer/ Schneider/Thaten, NZG 2012, 804). Die Ansicht der beschränkten Reichweite ist überzeugend. In der Gleichbehandlung von Aktionären und sonstigen Anlegern, wie etwa Inhabern von Schuldverschreibungen und Genussberechtigten, liegt sowohl auf europäischer als auch nationaler Ebene in der Frage der Haftungs-

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Judikatur ansprüche bei der Verletzung prospektrechtlich gebotener Informationspflichten ein entscheidender Hinweis, dass diese Haftungsansprüche ihren Ursprung nicht primär in der Gesellschafterstellung des Aktionärs, sondern im – rechtsformunabhängigen – Erwerbsgeschäft haben (Told, GesRZ 2011, 350; Rüffler in FS Straube, 124 f; ders, GES 2010, 7 f; aA Gruber, GesRZ 2010, 73 ff). Der EuGH hält weiters fest, dass Art 18 der Kapitalrichtlinie einem Erwerb eigener Aktien nicht entgegensteht. Den für einen zulässigen Erwerb erforderlichen Grund erkennt das Gericht in der gesetzlichen Verpflichtung, Schadenersatz zu leisten, und ein entsprechender Erwerb fällt daher nicht in den Regelungszweck von Art 18 leg cit. Ein Verstoß gegen das aktienrechtliche Gleichbehandlungsgebot liegt nicht vor, weil in der Pflichtwidrigkeit bei der Prospekterstellung eine Differenzierungsgrundlage für die unterschiedliche Behandlung der Aktionäre gegeben ist, je nachdem, ob sie geschädigt wurden oder nicht (vgl auch Rüffler in Kalss/U. Torggler, Kapitalmarkthaftung, 8; Fleischer/Schneider/Thaten, NZG 2012, 806 f; aA Eckert, GesRZ 2010, 95). Allen getäuschten Aktionären steht es frei, ihre Ansprüche geltend zu machen und insofern die Gleichbehandlung selbst herzustellen. Gegenüber den anderen, nicht geschädigten Aktionären besteht hingegen keine Gleichheit, sodass eine sachlich gerechtfertigte Differenzierung möglich ist. Die Einwerbung des Geldes hingegen beruht auf dem Verstoß europarechtlicher Vorgaben und zur Tragung entsprechender Verluste sind in erster Linie die Aktionäre zum Zeitpunkt des Entstehens dieser Haftungsansprüche berufen (Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht2 [2011] Rz 343). Die in Österreich vertretene Auffassung, die Interessen der geschädigten Anleger seien primär dadurch zu wahren, dass eine unmittelbare Haftung der mit der Prospekterstellung befassten Organe angeordnet werde (Karollus, ZFR 2010, 56 f), teilt der EuGH nicht. Die Ausführungen zur Prospektrichtlinie betonen vielmehr, dass die Mitgliedstaaten bei der Festlegung bestimmter Sanktionen für die Verletzung der durch kapitalmarktrechtliche Richtlinien vorgegebenen Informationspflichten einen weiten Ermessensspielraum genießen. Jedenfalls kann auch eine Haftung der Emittentin vorgesehen werden, die sie verpflichtet, einen dem Erwerbspreis entsprechenden Betrag zurückzuzahlen und die Aktien zurückzunehmen. Das Urteil stellt klar, dass die Art 12 und 13 der Publizitätsrichtlinie 2009/101/EG einer möglichen Haftung nicht entgegenstehen. Die dort abschließend geregelten Tatbestände, die – gerichtlich ausgesprochen – zu einer Nichtigkeit der Gesellschaft führen, sind nicht auf Fälle anzuwenden, in denen im Rahmen von Haftungsansprüchen der Erwerbspreis gegen die Rücknahme der Aktien vergütet wird. Diese Rückabwicklung des Aktienkaufs bewirkt keinesfalls die Nichtigkeit der Gesellschaft. Insofern etabliert der EuGH keine den nationalen Vorstellungen in Österreich und Deutschland vergleichbare „Lehre vom fehlerhaften Verband“ auf unionsrechtlicher Ebene (dazu Rüffler in Kalss/U. Torggler, Kapitalmarkthaftung, 11; Fleischer/Schneider/Thaten, NZG 2012, 807 f; Eckert, GesRZ 2012, 199; Gruber, JBl 2007, 91 ff; ders, GesRZ 2010, 81 ff). Die Rspr im Urteil E. Friz (EuGH 15.4.2010, Rs C-215/08) erklärte der EuGH auf den vorgelegten Sachverhalt nicht anwendbar. Im Urteil E. Friz hat der EuGH festgestellt, dass eine nationale Bestimmung, die dem Widerruf eines Verbrauchers vom Beitritt zu einem in Form einer Personengesellschaft geführten Immobilienfonds lediglich Ex-nunc-Wirkung einräumt, nicht gegen die Verbraucherschutzrichtlinie 85/577/EWG verstößt. Der dort festgelegte Verbraucherschutz ist nicht absolut und erlaubt es dem nationalen Gesetzgeber im Rahmen einer dem vernünftigen Interessenausgleich und der gerechten Risikoverteilung zwischen den Beteiligten dienenden Regelung, Einschränkungen des Verbraucherschutzes vorzunehmen. Da im Ausgangsfall der Rücktritt seinen Grund aber ausschließlich in durch die Emittentin begangenen Unregelmäßigkeiten hat, die dem Anleger einen Schaden verursacht haben, ist es im gegebenen Zusammenhang weder für eine gerechte Risikoverteilung noch für einen vernünftigen Interessenausgleich notwendig, die Rechte des Anlegers einzuschränken. Im Ergebnis steht daher das Urteil E. Friz einer rückwirkenden Aufhebung des Aktienkauf-

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vertrages iZm der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen nicht entgegen (vgl Rüffler in Kalss/U. Torggler, Kapitalmarkthaftung, 12). Ergänzend hält der EuGH fest, dass die Höhe der Ansprüche der Anleger nicht notwendigerweise mit dem Börsekurs der Aktien zum Zeitpunkt der Erhebung der Ansprüche begrenzt ist. Eine Regelung, die der Emittentin für die Verbreitung unrichtiger Angaben, die gegen kapitalmarktrechtliche Vorgaben verstoßen, eine Haftung und im Rahmen dieser die Verpflichtung auferlegt, gegen Rückübertragung der Aktien den dem Erwerbspreis entsprechenden Betrag zurückzuzahlen, kann daher unter Wahrung der Unionsrechtskonformität von den Mitgliedstaaten vorgesehen werden. Mangels Entscheidungsrelevanz für den Sachverhalt des Vorlagefalles nicht beantwortet hat der EuGH die Frage, ob die Insolvenz der Emittentin Auswirkungen auf die Prospekthaftungsansprüche haben könnte und diesfalls solche Ansprüche nachrangig gegenüber sonstigen Gläubigeransprüchen wären. Diese Frage harrt damit nach wie vor ihrer Beantwortung und eine Entscheidung darüber wird wohl durch die nationalen Gerichte zu treffen sein (ausdrücklich offenlassend OGH 15.3.2012, 6 Ob 12/28d). Die Frage ist auch in der Literatur strittig (für die Nachrangigkeit Kalss, Anlegerinteressen, 221; Trenker, Nachrangigkeit kapitalmarktrechtlicher Ansprüche in der Insolvenz, ÖBA 2013, 187; Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht I [2005] § 11 Rz 47 und FN 116; Doralt/Winner in MünchKomm AktG3, § 57 Rz 264; dagegen Told, Noch offene Fragen zur Geltendmachung von Prospekthaftungsansprüchen nach 6 Ob 28/12d? GES 2012, 333; Rüffler in Kalss/U. Torggler, Kapitalmarkthaftung, 12 ff). Bei Heranziehung des § 57a Abs 1 IO, der dem EKEG unterstehende Rückzahlungsansprüche bestimmter kreditgebender Gesellschafter gegenüber Gläubigeransprüchen als nachrangig erklärt, als mögliche Analogiebasis ist Zurückhaltung geboten. Das EKEG adressiert qualifiziert beteiligte Gesellschafter, deren Risiko bei einer Sanierung nicht auf die Gesellschaftsgläubiger überwälzt werden soll und die deshalb einer Finanzierungsfolgenverantwortung unterliegen (Rüffler in Kalss/U. Torggler, Kapitalmarkthaftung, 13; Told, GES 2012, 336). Bejaht man die Anwendung von § 57a Abs 1 IO hingegen auf sämtliche Aktionäre, die einen Schadenersatzanspruch wegen Verletzung der Prospektpflicht geltend machen (so Trenker, ÖBA 2013, 189 ff), so lässt sich das nur schwer mit der nunmehr gefestigten Qualifikation ebendieser Ansprüche als Drittgläubigeransprüche vereinbaren (Told, GES 2012, 337). Offen lässt der EuGH die Frage, ob die Haftungsansprüche der Gläubiger auf die frei ausschüttbaren Rücklagen begrenzt sind, wie das in der Literatur vertreten (Kalss, Anlegerinteressen, 221; Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht I, § 11 Rz 47; Doralt/ Winner in MünchKomm, AktG3 § 57 Rz 261; Eckert, GesRZ, 2010, 95), vom OGH aber letztlich abgelehnt wurde (OGH 15.3.2012, 6 Ob 28/12d). Zumindest mit der zuletzt in der Literatur (G. H. Roth, JBl 2012, 82) vertretenen möglichen Grundlage einer entsprechenden Haftungsbegrenzung in Art 22 der Kapitalrichtlinie beschäftigt sich der EuGH in der Entscheidung nicht. Der EuGH dürfte somit im Ergebnis die Ansicht teilen, dass Art 22 im gegebenen Zusammenhang nicht einschlägig sei, da die Befriedigung von Prospekthaftungsansprüchen einen gem Art 20 bereits nicht in den Anwendungsbereich von Art 19 fallenden Erwerb darstellt und deshalb nicht auf freie Mittel beschränkt ist (Rüffler in Kalss/ U. Torggler, Kapitalmarkthaftung, 9, insb FN 39; Eckert, GesRZ 2012, 199; ders, GesRZ 2010, 94). Das ergangene Urteil des EuGH bestätigt die Unionsrechtskonformität der Anerkennung von Prospekthaftungsansprüchen gegenüber der Emittentin. Nun ist offen, ob aus rechtspolitischen Gründen vom Gesetzgeber Klarstellungen folgen werden. Eine völlige Umkehrung der mittlerweile gefestigten Rspr durch den Gesetzgeber ist wohl ausgeschlossen und wäre auch kaum sachgerecht (vgl auch Kalss, Gedanken zu einer Neuregelung der Haftung für Kapitalmarktinformationen, in Kalss/U. Torggler, Kapitalmarkthaftung und Gesellschaftsrecht [2013] 123 [132]). Denkbar wäre aber jedenfalls, eine eindeutige Rechtsgrundlage zu schaffen, die die Nachrangigkeit solcher Ansprüche im Insolvenzfall anordnet. Ebenso könnte versucht werden, durch gesetzgeberische Initiativen einen Inter-

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Judikatur essenausgleich zwischen den unterschiedlichen Aktionärsgruppen herzustellen, um unter diesen Gruppen eine sachgerechte Rechtslage zu schaffen (vgl Kalss in Kalss/U. Torggler, Kapitalmarkthaftung, 123 ff; Doralt/Winner in MünchKomm AktG3, § 57 Rz 259). Lukas Eder Mag. Lukas Eder ist Universitätsassistent am Institut für Zivil- und Unternehmensrecht der Wirtschaftsuniversität Wien.

Kapitalgesellschaften Anfechtung eines Generalversammlungsbeschlusses über die Entlastung § 35 Abs 1 und § 41 GmbHG Der Entlastungsbeschluss ist (nur dann) anfechtbar, wenn die Entlastung der Geschäftsführer wegen der Schwere der Pflichtwidrigkeit unvertretbar ist oder eine schwerwiegende Schädigung der Gesellschaft oder ihrer Gesellschafter durch Organmitglieder vorliegt. OGH 28.8.2013, 6 Ob 22/13y (OLG Innsbruck 1 R 212/12d; LG Innsbruck 69 Cg 56/11a) Der Kläger und zwei weitere Gesellschafter sind mit je einem Drittel an der beklagten GmbH beteiligt. Gegenstand des Unternehmens ist die Vornahme von Leasinggeschäften aller Art, die Beteiligung an anderen Unternehmen gleicher oder ähnlicher Art sowie die Verwaltung von Beteiligungen an solchen Unternehmen. Die Beklagte wird durch zwei gemeinsam vertretungsbefugte Geschäftsführer vertreten. Der Gesellschaftsvertrag sieht keine vom Beteiligungsverhältnis abweichenden Stimmrechte bei Entlastung der Geschäftsführer und keine über das Gesetz hinausgehende Beschränkung der Befugnisse der Geschäftsführer durch Gesellschafterbeschluss vor. Die Beklagte stand ab 1989 in regem Geschäftskontakt mit der Firmengruppe I./R. Im Juli 2009 meldeten zunächst die I. GmbH und in der Folge weitere Unternehmen der Gruppe wie auch die beiden Unternehmer selbst Konkurs an. Aus Sicht der Beklagten waren Außenstände in mehrstelliger Millionenhöhe vorhanden. Aufgrund der Wirtschaftskrise und der besonders schlechten wirtschaftlichen Lage im Speditionsgewerbe war im Sommer 2009 der Markt für (gebrauchte) LKW übersättigt. Eine Aussonderung mit anschließender Verwertung der von der Beklagten finanzierten Leasing-LKW wäre deshalb mit großen finanziellen Einbußen für die Beklagte verbunden gewesen. Um die Verluste bei sofortiger Verwertung der Leasing-LKW-Züge zu vermeiden und um das Know-how sowie die guten Kundenkontakte der ansonsten frei werdenden Mitarbeiter der Gruppe für die Beklagte nutzen zu können, beschlossen deren Geschäftsführer eine vorübergehende Beteiligung an einer Auffanggesellschaft für die in Insolvenz gegangene I./R.-Gruppe. Sie waren der Meinung, dass ihre Vorgangsweise vom Gesellschaftsvertrag gedeckt ist, und holten keinen Gesellschafterbeschluss ein. Das finanzielle Engagement der Gesellschaft war nur als vorübergehende Überbrückungslösung gedacht, um die Verlustrisiken infolge unwirtschaftlicher Verwertungen zu minimieren. Die in der Folge abgeschlossenen Optionsvereinbarungen mit M. R. und Dr. H. O. enthielten deren Berechtigungen und (zum Teil) Verpflichtungen zur Übernahme von Aktienpaketen der Auffanggesellschaft im Ausmaß von 51 % bzw 49 %; schließlich wurden auch 51 % der Aktien veräußert. Jedenfalls bis März 2012 musste der Kläger aufgrund dieser Handlungen der Geschäftsführer keine Minderung seiner Gewinnausschüttungen hinnehmen. Konkret ging es dabei um die D. AG und deren 100%ige Tochter T. GmbH als operativ tätige Gesellschaft. Die Geschäftsführer entschlossen sich, rund 1 Mio Euro an Eigenkapital für den Erwerb von 99 % der Aktien der D. AG aufzuwenden. Die Beklagte überwies 999.000 Euro als Kaufpreis für 99 % der Aktien und die durchzuführende Kapitalerhöhung um 900.000 Euro an die D. AG und übernahm Haftungen in Höhe von 500.000 Euro für die T. GmbH, um Betriebsmittelkredite zu

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besichern, die LKW mit Kreditkarten zur Abdeckung von Maut und Treibstoffkosten ausstatten zu können und eine ausreichende Mobilität der Leasingfahrzeuge gewährleisten zu können. In einer am 29.9.2009 unterfertigten „Optionsvereinbarung“ verpflichtete sich M. R. gegenüber der Beklagten, über deren Aufforderung 51 % der nach der durchzuführenden Kapitalerhöhung vorhandenen Aktien im Gesamtwert von 510.000 Euro binnen zwei Monaten nach Aufforderung zu einem Kaufpreis von 561.000 Euro unter Anrechnung eines Agios von 10 % anzukaufen. Sollten zum Zeitpunkt der Übernahme des Aktienpakets Haftungen der Beklagten für die D. AG vorhanden sein, war M. R. verpflichtet, diese Haftungen in dem Verhältnis zu übernehmen, das dem der übernommenen Aktien zum gesamten Aktienkapital der D. AG entspricht; in diesem Umfang war für eine Haftungsfreistellung der Beklagten zu sorgen. Eine weitere von der Beklagten und Dr. H. O. am 21.10.2009 unterfertigte Option räumte der Beklagten das unwiderrufliche Recht ein, Aktien im Umfang von 51 % des Kapitals der D. AG, soweit sich diese zum Zeitpunkt der Annahme des Angebots in ihrem Besitz befinden, zu einem Preis von 110 % des Nennwerts anzukaufen; sollte dieses Angebot nach dem 30.6.2010 angenommen werden, waren zusätzlich zum Agio 5 % Zinsen auf das Nominale zu bezahlen. Dr. H. O. wurde ein Optionsrecht auf die restlichen 49 % der Aktien eingeräumt, dies immer in dem Umfang, als sich die Aktien zum Zeitpunkt der Annahme noch im Besitz der Beklagten befinden. Am 21.7.2010 gewährte die Beklagte der D. AG zur Betriebsmittelfinanzierung ein – als kurzfristige Übergangsfinanzierung gedachtes – Gesellschafterdarlehen in der Höhe von 300.000 Euro. Vereinbart wurde eine Rückzahlung in 30 monatlichen Raten in Höhe von jeweils 10.000 Euro beginnend mit 1.8.2010 und eine kontokorrentmäßige Verzinsung ab 21.7.2010 mit 5 % jährlich; Verzugszinsen oder Terminverlust wurden hingegen nicht vereinbart. Auch die Entscheidung über die Gewährung dieses Gesellschafterdarlehens wurde bei der Beklagten intern durch die beiden Geschäftsführer ohne Einbindung der Gesellschafter und ohne Gesellschafterbeschluss getroffen. Das Darlehen haftete per 31.12.2010 – nachdem lediglich eine Rate bezahlt worden war – mit 299.124,21 Euro, per 31.3.2011 mit 302.863,26 Euro aus. In weiterer Folge wurden die Grundlagen für den operativen Betrieb der T. GmbH geschaffen. Die T. GmbH übernahm per 1.10.2009 alle noch vorhandenen Österreichgeschäfte der I. GmbH. Die bereits ursprünglich vereinbarte beidseitige Unkündbarkeit der Leasingverträge für eine Dauer von 24 Monaten wurde bei einer Vertragsverlängerung um weitere 12 Monate verlängert. Für die von der T. GmbH durchgeführte Reparatur und Wartung wurden der Beklagten als Eigentümerin dieser Fahrzeuge Rechnungen über 232.800 Euro und über 102.000 Euro gelegt. Diese Rechnungen wurden von der Beklagten auch bezahlt bzw mit Rückständen verrechnet. Durch diese Maßnahme wurde eine längere Nutzungsdauer erreicht. Per Juli 2011 wiesen die von der Beklagten der T. GmbH über Leasingverträge zur Verfügung gestellten Fahrzeuge einen Barwert von 1.843.941,78 Euro auf. Die Beklagte erwarb mit eigenen Mitteln die ehemalige Betriebsliegenschaft der I. GmbH aus der Konkursmasse zum Schätzwert von 2,8 Mio Euro. Die Geschäftsführer der Beklagten beabsichtigten, aus dieser Liegenschaft nach Abstoßen von 51 % der Aktien der D. AG eine Leasingimmobilie zu machen. Das Schätzgutachten im Konkursverfahren wies für diese Liegenschaft einen Monatsertrag von rund 17.000 Euro aus. Die Beklagte vereinbarte mit der T. GmbH einen Monatsmietzins von 10.000 Euro ab Mai 2010 und von 12.000 Euro ab Juni 2011, jeweils exklusive Betriebskosten. Die Beklagte lukrierte aus der Vermietung dieser Liegenschaft nach Abzug der Refinanzierungskosten einen Gewinn von 50.000 Euro. Zu einem nicht näher feststehenden Zeitpunkt vor März 2012 wurden 51 % der von der Beklagten gehaltenen Aktien der D. AG um rund 580.000 Euro an die T. B. GmbH verkauft. Der Kläger musste bis März 2012 wegen der dargestellten Geschäfte und Vereinbarungen keine Verminderung der Gewinnausschüttungen hinnehmen. Bei der Generalversammlung der Beklagten vom 3.5.2011 wurde zu Tagesordnungspunkt 3. zur Diskussion gestellt und im Generalversammlungsprotokoll ordnungsgemäß festgehalten: „KR U. [ein Drittelgesellschafter] stellt den Antrag, den Geschäftsführern die Entlastung für ihre Tätigkeit für die Geschäftsjahre endend mit

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Judikatur 30.6.2010 und 31.122010 zu erteilen. KR U. und die B. SE [zwei Drittelgesellschafter] stimmen für den Antrag, P. H. [der Kläger] stimmt dagegen. Der Vorsitzende stellt fest, dass mehrheitlich ein Beschluss auf Entlastung der Geschäftsführer für die genannten Geschäftsjahre zustande gekommen ist. P. H. [der Kläger] erhebt Widerspruch gegen diesen Beschluss.“ Der Kläger begehrt die Nichtigerklärung dieses Beschlusses. Die Geschäftsführer hätten Handlungen vorgenommen bzw Aktivitäten gesetzt, die zulasten der Gesellschaft und der Gesellschafter gegangen seien; diesen sei ein Schaden von mehreren 100.000 Euro entstanden. Die Geschäftsführer hätten pflichtwidrig, sorgfaltswidrig und schadensträchtig gehandelt. Die Beklagte bestritt diese Vorwürfe.  Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.  Das Berufungsgericht erklärte den Beschluss der Generalversammlung für nichtig.  Der OGH stellte die abweisende Entscheidung des Erstgerichts wieder her.

Aus den Entscheidungsgründen des OGH: 1. Nach § 35 Abs 1 Z 1 3. Fall GmbHG unterliegt die Entlastung der Geschäftsführer einer GmbH der Beschlussfassung der Gesellschafter. Unter Entlastung ist dabei die einseitige Erklärung der Gesellschaft zu verstehen, mit der sie ihre Geschäftsführer von Schadenersatzansprüchen befreit, die aus deren Verstößen erwachsen können (9 ObA 105/92, EvBl 1993/24; 9 ObA 302/92; 9 ObA 101/99i; 9 ObA 149/08i). 2. Nach hA (vgl etwa Reich-Rohrwig, Das österreichische GmbH-Recht [1983] 326; Enzinger in Straube, GmbHG [2008] § 35 Rz 44 – jeweils mwN) ist der Entlastungsbeschluss eine Ermessensentscheidung der Gesellschafter. Der Beschluss ist daher nicht schon deshalb anfechtbar, weil die Entlastung wegen einer Pflichtwidrigkeit des Geschäftsführers hätte verweigert werden können, wohl aber dann, wenn ein missbräuchliches Stimmverhalten der Mehrheit vorliegt, so etwa bei einer Kollusion zwischen der Mehrheit und dem Geschäftsführer, oder wenn die Entlastung wegen der Schwere der Pflichtwidrigkeit unvertretbar ist. Anfechtbar ist der Entlastungsbeschluss vor allem auch in denjenigen Fällen, in denen die Gesellschafter kraft Treuepflicht verpflichtet gewesen wären, einen Beschluss nach § 35 Abs 1 Z 6 GmbHG zu fassen, wenn die Entlastung trotz statutenwidriger Geschäftsführung, nicht vollständiger Vorlage der Unterlagen oder unvollständiger Auskünfte über die Geschäftsführung erteilt wird oder wenn der Verzicht auf Ersatzansprüche gegen die Organmitglieder unternehmerisch nicht vertretbar ist, also insb bei schwerwiegenden Schädigungen der Gesellschaft oder ihrer Gesellschafter durch Organmitglieder. Aus diesem Grund vertritt die Kommentarliteratur zur vergleichbaren Bestimmung des § 46 dGmbHG die Auffassung, dass eine Anfechtung wegen inhaltlicher Mängel des Entlastungsbeschlusses angesichts des weiten Ermessens der Gesellschafter nur selten Erfolg haben werde, hätten doch insb im Rahmen der Würdigung der unter Umständen einen Pflichtverstoß begründenden Tatsachen die Gesellschafter einen weiten Beurteilungsspielraum; anfechtbar seien demnach grundsätzlich nur Beschlüsse, die an schwerwiegenden Inhaltsmängeln leiden (K. Schmidt in Scholz, GmbHG [2007] § 46 Rz 99; Liebscher in MünchKomm GmbHG [2012] § 46 Rz 155).

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3. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen wollten die beiden Geschäftsführer der beklagten Gesellschaft, die im Übrigen der Auffassung waren, ihr Vorgehen sei vom Gesellschaftsvertrag gedeckt, durch Beteiligung der Gesellschaft an einer Auffanggesellschaft für die I./R.-Gruppe nach deren Insolvenz die Realisierung von Verlusten bei sofortiger Verwertung der Leasing-LKW-Züge vermeiden und das Knowhow sowie die guten Kundenkontakte der ansonsten frei werdenden Mitarbeiter der Gruppe für die beklagte Gesellschaft nutzen. Das finanzielle Engagement der Gesellschaft war jedoch nur als vorübergehende Überbrückungslösung gedacht, um die Verlustrisiken infolge unwirtschaftlicher Verwertungen zu minimieren. Tatsächlich enthielten auch die in der Folge abgeschlossenen Optionsvereinbarungen mit M. R. und Dr. H. O. deren Berechtigungen und (zum Teil) Verpflichtungen zur Übernahme von Aktienpaketen der Auffanggesellschaft im Ausmaß von 51 % bzw 49 %; schließlich wurden auch 51 % der Aktien veräußert. Jedenfalls bis März 2012 musste der Kläger aufgrund dieser Handlungen der Geschäftsführer keine Minderung seiner Gewinnausschüttungen hinnehmen. Ausgehend von diesen Feststellungen ist die erfolgte Entlastung der Geschäftsführer mangels grober Pflichtwidrigkeit und schwerwiegender Schädigung der Gesellschaft durch die Gesellschafter durchaus vertretbar gewesen; eine missbräuchliche Ausübung des Stimmrechts liegt nicht vor. Auf die Frage, ob die Geschäftsführer mit ihrem Vorgehen überhaupt gegen § 35 Abs 1 Z 7 GmbHG verstoßen haben, kommt es dann aber nicht mehr an. Anmerkung: Die Anfechtung der erfolgten oder verweigerten Entlastung von Organen ist sowohl bei der GmbH als auch bei der AG streitträchtig. Wie die Sachverhalte vieler Entscheidungen der jüngeren Zeit belegen, geht es dabei oft weniger um die Beseitigung des Entlastungsbeschlusses und der mit dem Beschluss einhergehenden Wirkungen. Sehr häufig werden mit dem Beschluss andere Interessen verfolgt. Die hier zu besprechende Entscheidung des OGH lässt solches vermuten: Dem in der Klage des Minderheitsgesellschafters behaupteten Schaden von mehreren hunderttausend Euro steht die Feststellung des Gerichts gegenüber, dass der Kläger im fraglichen Zeitraum keinerlei Schmälerung seines Gewinnanspruchs hinnehmen hat müssen. Die zu besprechende Entscheidung ist inhaltlich richtig, schlüssig begründet und trägt damit zur Weiterentwicklung des GmbHRechts bei, insb was das Problem von Ermessensentscheidungen betrifft. Diese bislang in der höchstrichterlichen Judikatur nicht behandelte Frage ist nunmehr iSd herrschenden und vom OGH zitierten österreichischen und deutschen Literatur beantwortet: Die Entlastung ist als Billigung der Geschäftsführung eine Ermessensentscheidung, die nur bei Missbrauch der Mehrheitsmacht bekämpft werden kann. Trotzdem regt die Entscheidung zum Nachdenken an. Dies betrifft zunächst die rechtsdogmatische Einordnung des Entlastungsbeschlusses: Ältere Ansichten neigen zu einer rechtsgeschäftlichen Deutung, insb als negatives Schuldanerkenntnis (zB Gellis/Feil, GmbHG6 [2006] § 35 Rz 8). Diese Betrachtungsweise ist überholt, weil sie mit rechtsgeschäftlichen Grundsatzprinzipien nur schwer in Einklang zu bringen ist und bei Inhaltsmängeln wie zB Irrtum zu sachwidrigen oder nur schwer begründbaren Ergebnissen über die Anwendung der einschlägigen Vorschriften des ABGB und deren Verhältnis zu § 41 GmbHG führt. Das jüngere gesellschaftsrechtliche Schrifttum hat sich daher ganz überwiegend dem Vertrauensschutzgesichtspunkt zugewendet und betrachtet die Entlastung unter dem Aspekt des geschaffenen Vertrauenstatbestandes (grund-

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Judikatur legend K. Schmidt, ZGR 1978, 432; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 [2007] § 35 Rz 19; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG20 [2013] § 46 Rz 26; Roth/Altmeppen, GmbHG6 [2009] § 46 Rz 25; Lutter/ Hommelhoff, GmbHG17 [2009] § 46 Rz 14; K. Schmidt in Scholz, GmbHG II10 [2007] § 46 Rz 91; Koppensteiner in Rowedder/SchmidtLeithoff, GmbHG5 [2013] § 46 Rz 34; Hüffer in Ulmer/Habersack/ Winter, GmbHG II [2006] § 46 Rz 61; Ch. Nowotny, Anspruch auf Entlastung bei der GmbH? RdW 1986, 263; Wünsch, Gedanken zur Klage auf Entlastung der GmbH-Organe, in FS Fasching [1988] 534; abweichend Barner, Die Entlastung als Institut des Verbandsrechts [1991] 71). Dieser Ansicht sollte gefolgt werden, weil sie sich an der Funktion der Entlastung orientiert und nicht auf bedenkliche rechtsgeschäftliche Konstruktionen zurückgreifen muss (Enzinger in Straube, GmbHG, § 35 Rz 33). Ein weiteres besonders dornenvolles Gebiet ist die Frage der Entlastungswirkungen. Nach hM und stRspr hat die Entlastung Präklusionswirkung bezüglich der nachträglichen Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen. Allerdings bemüht sich die hM in sehr einzelfallbetrachtender Weise, trotz Entlastungsbeschluss die Geltendmachung von Ersatzansprüchen zuzulassen. Dabei wird auf die Erkennbarkeit des Schadens, die Verheimlichung oder unvollständige Information abgestellt, womit ein weites Feld für Billigkeitslösungen eröffnet wird (zur Darstellung der hM vgl Enzinger in Straube, GmbHG, § 35 Rz 39 sowie die kritischen Anmerkungen dazu in Rz 40). Vielleicht sollte der OGH bei nächster Gelegenheit diese viel grundsätzlichere Fragestellung aufgreifen, weil auch herrschende Meinungen nicht in Stein gemeißelt sind. Entscheidend ist, ob die Ausgangslage bei der GmbH und der AG tatsächlich so unterschiedlich ist, dass die Frage der Entlastungswirkung unterschiedlich zu beantworten wäre. Letzthin geht es um die Frage, ob das gesetzliche Haftungskonzept der Organverantwortlichkeit durch großzügige Zulassung von Ermessensentscheidungen konterkariert wird. Wenn man mit dem OGH für die Entlastung einen weiten Ermessenspielraum annimmt, sollte man ihn von der Enthaftungswirkung entkoppeln. Die rechtsdogmatische Einordnung als (bloß) äußeren Vertrauenstatbestand würde dies nahelegen und vielfältige Versuche überflüssig machen, die Entlastungswirkung durch einschränkende Bedingungen wieder auf das zurückzuführen, was sie ureigentlich ist, nämlich die pauschale Billigung der Geschäftsführung seitens der Gesellschafter. Michael Enzinger Ao. Univ.-Prof. Dr. Michael Enzinger ist Rechtsanwalt in Wien.

* Stimmverbot bei getrennter Abstimmung über die Entlastung mehrerer selbständig vertretungsbefugter GesellschafterGeschäftsführer §§ 25, 35 Abs 1 Z 1 und § 39 Abs 4 GmbHG 1. Bei getrennter Abstimmung über die Entlastung selbständig vertretungsbefugter Gesellschafter-Geschäftsführer gem § 35 Abs 1 Z 1 GmbHG dürfen grundsätzlich auch die anderen Organmitglieder ihr Stimmrecht nicht ausüben. 2. Das Stimmverbot des § 39 Abs 4 GmbHG kommt bei der Abstimmung über die Entlastung eines Mitgeschäftsführers nur dann nicht zum Tragen, wenn ausnahmsweise nicht einmal eine Billigung des Verhaltens des betreffenden Gesellschafter-Geschäftsführers durch den abstimmenden Mitgesellschafter in Rede steht. OGH 28.8.2013, 6 Ob 88/13d (OLG Graz 4 R 214/12s; LG Klagenfurt 21 Cg 199/11s) Die beklagte GmbH ist seit 30.12.1988 im Firmenbuch eingetragen. Ihr Stammkapital beträgt 500.000 Schilling. Stichtag für den Jahresabschluss ist der 31.10. An der Gesellschaft sind der Kläger und Dr. A. B. mit einer Stammeinlage von jeweils 200.000 Schilling (jeweils 40 %) sowie KR

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H. S. und Mag. M. V. S. mit je 50.000 Schilling (jeweils 10 %) beteiligt. Jeweils selbständig vertretungsbefugte Geschäftsführer der Gesellschaft sind die Gesellschafter KR H. S. (seit 30.12.1988) und Dr. A. B. (seit 27.4.2005). In der ordentlichen Generalversammlung der beklagten Partei vom 14.9.2011 wurde über Antrag des Vorsitzenden Dr. H. F. einstimmig – mit Zustimmung des Klägers – beschlossen, getrennte Abstimmungen über die Entlastung der Geschäftsführer für die jeweiligen Geschäftsjahre durchzuführen. Bei den Abstimmungen über die Entlastung des Geschäftsführers KR H. S. unter anderem für die Geschäftsjahre 2005/2006, 2007/2008, 2008/2009 und 2009/2010 stimmte Dr. A. B. als Gesellschafterin im eigenen Namen und im Vollmachtsnamen für Mag. M. V. S. jeweils für die Entlastung, der Kläger stimmte jeweils dagegen. KR H. S. enthielt sich als Gesellschafter bei den Abstimmungen über seine Entlastung der Stimme. Nach der Abstimmung stellte der Vorsitzende jeweils fest, dass der Antrag auf Entlastung des Geschäftsführer KR H. S. mit den erforderlichen Mehrheiten angenommen ist. Der Rechtsvertreter des Klägers erklärte dagegen jeweils Widerspruch zu Protokoll wegen Gesellschaftsvertrags- bzw Rechtswidrigkeit. Der Kläger begehrt, die in der Generalversammlung der beklagten Partei vom 14.9.2011 gefassten Beschlüsse, KR H. S. als Geschäftsführer für die Geschäftsjahre 2003/2004, 2004/2005, 2005/2006, 2007/2008, 2008/2009 und 2009/2010 die Entlastung zu erteilen, für nichtig zu erklären, in eventu festzustellen, dass die Beschlüsse auf Entlastung des Geschäftsführers nichtig seien. Mit Schriftsatz vom 12.4.2012 schränkte er das Klagebegehren auf die Geschäftsjahre 2005/2006, 2007/2008, 2008/2009 und 2009/2010 ein. Die Beschlüsse seien gesetzwidrig zustande gekommen, weil die Gesellschafter-Geschäftsführerin Dr. A. B. entgegen dem Verbot der Stimmrechtsausübung gem § 39 Abs 4 GmbHG an den Abstimmungen über die Entlastung des Geschäftsführers KR H. S. teilgenommen habe. Das Stimmrechtsverbot gelte sowohl bei einer Gesamtentlastung als auch bei Einzelentlastungen eines anderen Mitglieds desselben Organs. Der Kläger habe der getrennten Abstimmung über die Entlastung nur zugestimmt, weil er der Ansicht gewesen sei, dass das Stimmrechtsverbot auch bei Einzelentlastungen bestehe. Aufgrund der gesetzwidrig abgegebenen Stimme von Dr. A. B. ergebe sich keine Mehrheit für eine Entlastung des Geschäftsführers KR H. S. In der Generalversammlung seien zahlreiche nicht zuordenbare, auch private Rechnungen und Beschaffungen der klagsgegenständlichen Geschäftsjahre, insb auch im Hinblick auf die operativ tätige KG, besprochen worden, die die Geschäftsführer entgegen den im Gesellschaftsvertrag verankerten Abstimmungsquoren in die Buchhaltung aufgenommen hätten. Die Geschäftsführer hätten sich geweigert, die in Frage gestellten Rechnungen und Posten aufzuklären. Die beklagte Partei wandte – soweit im Revisionsverfahren relevant – ein, Dr. A. B. sei als Gesellschafter-Geschäftsführerin zwar bei ihrer eigenen Entlastung, nicht jedoch bei der Entlastung des zweiten selbständigen Geschäftsführers vom Stimmrecht ausgeschlossen. Dies betreffe sie nicht unmittelbar. § 39 Abs 4 GmbHG enthalte nur ein Stimmrechtsverbot iZm einer Vorteilszuwendung im eigenen oder fremden Namen. Gegen dieses Verbot sei nicht verstoßen worden. Die angefochtenen Beschlüsse bezögen sich nicht unmittelbar auf die mitstimmende selbständig vertretungsbefugte Geschäftsführerin. Für diese liege auch aus diesem Grund kein Stimmrechtsverbot vor. Der Versuch des Klägers, ein Stimmrechtsverbot per analogiam zu konstruieren, sei unzulässig. Die vom Kläger zitierte Rechtsmeinung sei zwar auf kollektiv vertretungsbefugte Gesellschafter-Geschäftsführer, nicht aber auf jeweils selbständig vertretungsbefugte Gesellschafter-Geschäftsführer anzuwenden.  Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.  Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil im klagsstattgebenden Sinn ab.  Der OGH gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.

Aus den Entscheidungsgründen des OGH: 1. und 2. ... 3. Nach § 36 Abs 2 GmbHG hat mindestens einmal jährlich eine Generalversammlung stattzufinden. Beschlüsse über die

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Judikatur Entlastung der Geschäftsführer sind in den ersten acht Monaten jedes Geschäftsjahres für das abgelaufene Geschäftsjahr zu fassen (§ 35 Abs 1 Z 1 GmbHG). Die angefochtenen Entlastungsbeschlüsse für die Geschäftsjahre 2005/2006, 2007/2008, 2008/2009 und 2009/2010 wurden (erst) am 14.11.2011 gefasst. Dem Klagebegehren ist aber nicht bereits aufgrund des Verstoßes gegen § 35 Abs 1 Z 1, § 36 Abs 2 GmbHG stattzugeben. Die zitierten Bestimmungen sind nämlich – ungeachtet der Haftung der Geschäftsführer für den der Gesellschaft daraus entstandenen Schaden (§ 25 GmbHG) – nicht als „zwingende Vorschriften“ iSd § 41 Abs 1 Z 2 GmbHG zu qualifizieren. Auch nach Ablauf der Frist des § 35 Abs 1 Z 1 GmbHG ist es noch möglich, wirksame Beschlüsse zu fassen. Eine spätere Beschlussfassung macht den Gesellschafterbeschluss weder nichtig noch anfechtbar (OLG Wien 1 R 120/08m; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3, § 35 Rz 5; Enzinger in Straube, GmbHG, § 35 Rz 5). 4.1. Stimmverbote sollen funktionell die verbandsinterne Willensbildung schützen, Schutzobjekt sind daher sowohl die Gesellschaft selbst als auch die Mitgesellschafter, nicht aber Dritte wie etwa Gläubiger der Gesellschaft (Enzinger, aaO, § 39 Rz 73). § 39 Abs 4 GmbHG verweigert demjenigen, der durch die Beschlussfassung von einer Verpflichtung befreit oder dem ein Vorteil zugewendet werden soll, sowohl im eigenen als auch im fremden Namen ein Stimmrecht. Das Gleiche gilt für eine Beschlussfassung, welche die Vornahme eines Rechtsgeschäfts mit einem Gesellschafter oder die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits zwischen ihm und der Gesellschaft betrifft. Die Bestimmung umschreibt Fälle der Interessenkollision zwischen Gesellschaft und Gesellschafter. Sie zu neutralisieren, ist Zweck der Vorschrift. Dieser lässt sich in zwei Unterzwecke aufspalten: Zum einen geht es um eine Variation der Regeln über das In-sich-Geschäft, zum anderen um die Durchsetzung des Gedankens, dass niemand Richter in eigener Sache sein soll (6 Ob 49/09p mwN; 6 Ob 139/06v; Koppensteiner/Rüffler, aaO, § 39 Rz 31 mwN; Enzinger, aaO, § 39 Rz 72, 92 mwN). Der Stimmrechtsausschluss eines Gesellschafters bewirkt, dass der Beschluss mit der Mehrheit der übrigen an der Abstimmung teilnehmenden Gesellschafter gefasst werden kann (RIS-Justiz RS0059874 [T2]). 4.2. Nach herrschender Rspr und Lehre erfasst § 39 Abs 4 GmbHG auch den Entlastungsbeschluss. Die Entlastung iSd § 35 Abs 1 Z 1 GmbHG ist Bestandteil der allgemeinen Aufsicht der Gesellschafter über die Geschäftsführer (Enzinger, aaO, § 35 Rz 32). Mit der Entlastung der Geschäftsführer billigen die Gesellschafter deren Amtsführung für die Dauer der Entlastungsperiode und sprechen das Vertrauen für die zukünftige Geschäftsführung aus. Zugleich bringen sie zum Ausdruck, dass zumindest nach Ansicht der für die Entlastung stimmenden Gesellschafter keine Ersatzansprüche gegen die Geschäftsführer bestehen (Enzinger, aaO, § 35 Rz 31; Koppensteiner/Rüffler, aaO, § 35 Rz 17; Heidinger, GesRZ 1997, 238). Die Befreiung bezieht sich auf solche Schadenersatzansprüche, die die Gesellschaft bei sorgfältiger Prüfung aller vorgelegten und vollständigen Unterlagen erkennen konnte. Ersatzansprüche gegen den Geschäftsführer können nach der Entlastung nur noch geltend gemacht werden, wenn sie aus den vorgelegten Unterlagen nicht erkennbar waren oder wenn

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die Unterlagen unvollständig waren (7 Ob 143/10w; 9 ObA 149/08; RIS-Justiz RS0060019; RS0060007; RS0060000; OLG Wien 1 R 120/08m). Der Entlastungsbeschluss betrifft somit massiv die Interessen des zu entlastenden Geschäftsführers. 4.3. Der geschäftsführende Gesellschafter einer GmbH darf zwar bei der Feststellung der Bilanz und des Geschäftsberichts, auch wenn ihn selbst betreffende Bemängelungen erhoben sind, mitstimmen, er besitzt aber jedenfalls kein Stimmrecht für den Beschluss, der ihm als Geschäftsführer die Entlastung ausspricht (6 Ob 49/09p; 6 Ob 139/06v; 1 Ob 573/85; 1 Ob 775/81; RIS-Justiz RS0049411; Koppensteiner/ Rüffler, aaO, § 39 Rz 40 mwN). Wird über die Entlastung des gesamten Organs – aller Geschäftsführer gemeinsam – abgestimmt (Gesamtentlastung), sind alle Gesellschafter, die dem Organ angehören, vom Stimmrecht ausgeschlossen (Enzinger, aaO, § 35 Rz 42 mwN; Koppensteiner/Rüffler, aaO, § 39 Rz 40). Das Gleiche gilt für die deutsche Rechtslage. Diese ist mit dem österreichischen Gesellschaftsrecht durchaus vergleichbar. § 47 dGmbHG umfasst ausdrücklich jenen Fall, dass ein Gesellschafter durch die Beschlussfassung entlastet werden soll (vgl K. Schmidt in Scholz, GmbHG10, § 46 Rz 97; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG18, § 47 Rz 77). 4.4. Es gibt aber die Möglichkeit, anstelle der Entlastung des gesamten Organs („der Geschäftsführung“) – wie hier – über die Entlastung einzelner Organmitglieder – getrennt – zu beschließen (Enzinger, aaO mwN; Koppensteiner/Rüffler, aaO, § 35 Rz 17). Die hier relevante Frage, ob das Stimmverbot bei getrennter Abstimmung über die Entlastung selbständig vertretungsbefugter Gesellschafter-Geschäftsführer gem § 35 Abs 1 Z 1 GmbHG nur für den jeweils zu entlastenden Geschäftsführer gilt oder auch die anderen Organmitglieder ihr Stimmrecht nicht ausüben dürfen, hat der OGH noch nicht entschieden. 5.1. Das OLG Wien bejahte das Stimmverbot eines kollektiv vertretungsbefugten Gesellschafter-Geschäftsführers bei der Abstimmung über die Entlastung des anderen GesellschafterGeschäftsführers jedenfalls dann, wenn beiden Geschäftsführern eine gemeinschaftliche Pflichtverletzung vorgeworfen wird bzw sich daraus eine potenzielle Solidarhaftung ergeben könnte (OLG Wien 1 R 120/08m; RIS-Justiz RW0000432). 5.2. Im österreichischen Schrifttum sind die Ansichten darüber kontroversiell. Neumayr (JBl 1990, 273) lehnt ein Stimmverbot des Geschäftsführers (auch) bei einer ihn betreffenden Entlastung ab, weil ein Entlastungsbeschluss keine rechtlichen Wirkungen entfalte und somit kein Grund bestehe, weshalb ein betroffener Gesellschafter nicht mitstimmen solle. Allerdings geht Neumayr (aaO, 282) davon aus, dass die Entlastung keinerlei Verzichtswirkung entfalte. Diese Prämisse trifft jedoch nach der Rspr des OGH nicht zu (RIS-Justiz RS0060019). 5.3. Demgegenüber vertritt Ch. Nowotny (RdW 1990, 2) die Position, alle „Organkollegen“ seien aufgrund ihrer gemeinsamen Verantwortung mittelbar betroffen, sodass ein Stimmrechtsausschluss vorliege. In diese Richtung tendieren auch Koppensteiner/Rüffler (GmbH3, § 39 Rz 40), wonach bei der Einzelentlastung „im Grundsatz“ alle geschäftsführenden Gesellschafter kein Stimmrecht hätten, und Enzinger (in

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Judikatur Straube, GmbHG, § 39 Rz 95 und 108), der sich insb dann für ein Stimmverbot aller Mitglieder der Geschäftsführung ausspricht, wenn über einen bestimmten Zeitraum oder die Entlastung der „Geschäftsführung“ entschieden wird. Ob eine Einzelentlastung oder Gesamtentlastung beschlossen werden soll, sei nicht entscheidend. Nur wenn über einzelne Maßnahmen zu befinden sei und eine gemeinschaftliche Verantwortung der Übrigen von vorneherein ausscheide, treffe das Stimmverbot nur den Betreffenden. 5.4. Auch Heidinger (GesRZ 1997, 237) bejaht einen Stimmrechtsausschluss aller Geschäftsführer nicht nur bei einer Gesamtentlastung, sondern auch bei der Einzelentlastung mit der Begründung, dass selbst bei strikter Ressortaufteilung der Geschäftsführer ein unteilbarer Bereich an zwingenden Mindest-, insb Überwachungspflichten verbleibe. Daraus resultiere eine potenzielle Solidarhaftung der Geschäftsführer. Die unter den Geschäftsführern regelmäßig herrschende Solidarität bei der Abstimmung über einen Organkollegen lasse stets einen Interessenkonflikt befürchten. 5.5. Nach Vavrovsky (GES 2009, 135) sei in einem Beweisverfahren zu prüfen, ob zu erwarten sei, dass sich der abstimmende Geschäftsführer bei einem gegen ihn und seinen Mitgeschäftsführer gerichteten Vorwurf weitgehend von eigenen Interessen werde leiten lassen und die Interessen der Gesellschaft hintanstellen werde. 5.6. Nach Koppensteiner (WBl 2013, 61 [63]) ist ein Gesellschafter-Geschäftsführer auch dann nicht stimmberechtigt, wenn über die Entlastung eines anderen zu beschließen ist. Der Grund bestehe darin, dass andernfalls mittelbar auch die eigene Wahrnehmung des Amts gebilligt werde. 5.7. Zur vergleichbaren Bestimmung des § 114 Abs 5 AktG idF vor dem AktRÄG 2009, BGBl I 2009/71 (nunmehr § 125 AktG idF BGBl I 2009/71), vertrat Strasser, dass das Stimmverbot bei mehreren der AG solidarisch verpflichteten Aktionären nur den betreffe, der aus der Haftung entlassen werden soll (Strasser in Jabornegg/Strasser, AktG4, § 114 Rz 22). S. Bydlinski/ Potyka hingegen differenzieren, ob die Schuldbefreiung des Aktionärs zugleich das Erlöschen der Verbindlichkeit eines anderen mithaftenden Aktionärs bedeuten würde (so zB bei der Bürgschaft § 1363 ABGB), und sprechen sich in diesem Fall für ein Stimmverbot aus (S. Bydlinski/Potyka in Jabornegg/ Strasser, AktG II5, § 125 Rz 6). 6.1. In Deutschland ist in § 47 Abs 4 dGmbHG der Stimmrechtsausschluss eines Gesellschafters, der durch die Beschlussfassung entlastet werden soll, ausdrücklich normiert. Nach Zöllner greift der Stimmrechtsausschluss auch bei Einzelentlastung für jedes Mitglied des Gremiums (Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG [2013] § 47 Rz 77). 6.2. Nach anderer Ansicht soll der Stimmrechtsausschluss dann nicht greifen, wenn der abstimmende Gesellschafter von der Beschlussfassung materiell nicht betroffen ist. Allerdings sei der Unterschied zur erstgenannten Ansicht nur theoretisch. Eine Einzelentlastung komme nämlich nur in Betracht, wenn über einzelne Maßnahmen einzelner Geschäftsführer beschlossen werde, bei denen der andere nicht einmal durch stillschweigende Zustimmung mitgewirkt habe (K. Schmidt in Scholz, GmbHG [2007] § 46 Rz 97).

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6.3. Auch nach Drescher (in MünchKomm GmbHG [2012] § 47 Rz 141 ff) ist für den Stimmrechtsausschluss eine gemeinschaftliche Betroffenheit erforderlich. Diese dürfe nicht nur ins Blaue hinein behauptet sein, könnte doch der Minderheitsgesellschafter andernfalls schon durch eine bloße Behauptung die Mitwirkungsrechte der Mitgesellschafter beschneiden, sondern müsse ernsthaft in Frage stehen. 6.4. Nach der Rspr des BGH ist ein Gesellschafter auch dann von der Abstimmung ausgeschlossen, wenn Beschlussgegenstand ein pflichtwidriges Unterlassen eines Mitgeschäftsführers ist, das beiden als Geschäftsführer aufgrund übereinstimmender Verhaltensweisen in gleicher Weise angelastet wird. Dies gilt auch dann, wenn beide das Unterlassen von Maßnahmen nicht miteinander abgestimmt haben (BGH 7.2.2012, II ZR 230/09; BGH 4.5.2009, II ZR 169/07). Hingegen hat der BGH in einer anderen Entscheidung für den Fall, dass dem abstimmenden Gesellschafter eine ganz andersartige als die zu beurteilende Pflichtverletzung des Gesellschafter-Geschäftsführers angelastet wird, nämlich ein Kompetenzverstoß des Gesellschafter-Geschäftsführers einerseits und ein Aufsichtsversäumnis des anderen Gesellschafters andererseits, mangels einer gemeinsam begangenen Pflichtverletzung ein Stimmverbot verneint (BGH 4.5.2009, II ZR 166/07). 7. Der OGH schließt sich der hA an. Demnach kommt das Stimmrechtsverbot des § 39 Abs 4 GmbHG bei der Abstimmung über die Entlastung eines Mitgeschäftsführers nur dann nicht zum Tragen, wenn ausnahmsweise nicht einmal eine Billigung des Verhaltens des betreffenden GesellschafterGeschäftsführers durch den abstimmenden Mitgesellschafter in Rede steht. Im vorliegenden Fall geht es um einen Beschluss, mit dem die Entlastung des Mitgeschäftsführers für einen vier Geschäftsjahre umfassenden Zeitraum erteilt wurde. Während des gesamten Zeitraums war die mitstimmende Gesellschafterin auch Geschäftsführerin. Auch eine – im vorliegenden Fall nicht behauptete – Arbeitsaufteilung zwischen mehreren Geschäftsführern bewirkt nicht, dass ein Geschäftsführer sich nur noch auf sein eigenes Arbeitsgebiet beschränken darf und sich um die Tätigkeit der anderen Geschäftsführer nicht mehr zu kümmern braucht. Auch bei einer – zulässigen – Geschäftsverteilung obliegt jedem Geschäftsführer die Pflicht zur Überwachung der anderen Geschäftsführer. Von den jedem Geschäftsführer obliegenden gesetzlichen zwingenden Pflichten kann eine interne Geschäftsverteilung niemals befreien. Dazu gehören die Pflicht der Geschäftsführer, für die Führung der erforderlichen Bücher der Gesellschaft Sorge zu tragen, sowie die Pflichten zur Aufstellung des Jahresabschlusses (§ 222 UGB) und zur rechtzeitigen Anmeldung eines Insolvenzverfahrens nach § 69 Abs 4 IO (RIS-Justiz RS0023825; Torggler in Straube, GmbHG, § 20 Rz 7, § 21 Rz 4, 9 und 16; Reich-Rohrwig in Straube, GmbHG, § 25 Rz 181). Im Hinblick auf die auch bei Ressortverteilung verbleibende gemeinschaftliche Verantwortung von Geschäftsführern und den Umstand, dass hier die Entlastung nicht für einzelne Maßnahmen, sondern sämtliche Handlungen inner-

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Judikatur halb eines vierjährigen Zeitraums erteilt wurde, ist daher von einem Ausschluss vom Stimmrecht auszugehen. Anmerkung: Gewiss besteht von Seiten der Rechtsanwender oftmals das Bedürfnis, bei Zweifelsfragen klare Schwarz-Weiß-Vorgaben der Höchstgerichte zu erhalten. Das wäre mit Sicherheit auch in Bezug auf die Frage von Stimmverboten bei getrennter Abstimmung über die Entlastung mehrerer selbständig vertretungsbefugter Gesellschafter-Geschäftsführer der Fall gewesen. Den Meinungsstand zu dieser Frage hat der OGH in seiner Entscheidung vom 28.8.2013, 6 Ob 88/13d, übersichtlich zusammengefasst. Die Bandbreite des Meinungsstands reicht von einer pauschalen Ablehnung der Anwendbarkeit des Stimmverbots auf Entlastungsbeschlüsse allgemein bis zum Stimmrechtsausschluss für jeden Gesellschafter-Geschäftsführer auch bei Einzelentlastung anderer Mitglieder des Gremiums, unabhängig von deren Vertretungsbefugnis. Dem Wunsch einer klaren Aussage darüber konnte der OGH in der besprochenen Entscheidung nicht nachkommen. In Anbetracht des Normzwecks des Stimmverbots nach § 39 Abs 4 GmbHG ist das nur allzu verständlich. Durch das Stimmverbot sollen ganz allgemein Interessenkonflikte zwischen Gesellschaft und Gesellschafter neutralisiert werden. Ob derartige Interessenkonflikte bestehen, ist freilich immer für den Einzelfall zu klären. Der E 6 Ob 88/13d sind aber dennoch wertvolle Grundsätze zu entnehmen: So bestätigt der OGH zunächst unter Verweis auf seine bereits zuvor ergangene Judikatur unmissverständlich, dass Entlastungsbeschlüsse sehr wohl rechtliche Wirkung iS einer Verzichtswirkung entfalten, also geradezu „massiv die Interessen des zu entlastenden Geschäftsführers“ betreffen. An einer grundsätzlichen Anwendbarkeit des Stimmverbots nach § 39 Abs 4 GmbHG auf Entlastungsbeschlüsse kann somit kein Zweifel bestehen. Der OGH geht aber – in Anbetracht des Normzwecks richtigerweise – nicht so weit, den Stimmrechtsausschluss auch bei Einzelentlastung auf jedes Mitglied der Geschäftsführung auszudehnen. Klargestellt wird, dass ein Stimmrecht für GesellschafterGeschäftsführer selbst bei Einzelentlastung eines Mitglieds der Geschäftsführung, das vom Entlastungsbeschluss nicht unmittelbar betroffen ist, nur die Ausnahme sein kann. Eine „Umgehung“ des Stimmverbot bei Gesamtentlastung des Geschäftsführungsorgans durch Einzelentlastung der jeweiligen Mitglieder dieses Organs ist daher ausgeschlossen. Der OGH umschreibt aber auch das Kriterium für den Fall, dass ein Stimmverbot ausnahmsweise nicht zur Anwendung gelangt: Nur wenn nicht einmal eine Billigung des Verhaltens des betreffenden Gesellschafter-Geschäftsführers durch den abstimmenden Geschäftsführer in Rede steht, soll ein Stimmrecht zustehen. In Anbetracht der unstrittigen „Kardinalpflichten“ der Geschäftsführer dürfte dieser Fall freilich äußerst selten auftreten. Nikolaus Vavrovsky Dr. Nikolaus Vavrovsky ist Rechtsanwalt in Wien.

Rechnungslegung Eintragung des Bilanzstichtags – Rechnungslegungspflicht von Personengesellschaften – unternehmerische Tätigkeit § 1 Abs 2, § 189 Abs 1, § 221 Abs 5 und § 277 UGB Eine GmbH & Co KG, deren wirtschaftliche Tätigkeit allein in der Vermietung einer Liegenschaft mit einem oder zwei Mietverträgen besteht, übt keine die Rechnungslegungspflicht begründende unternehmerische Tätigkeit aus. OGH 28.8.2013, 6 Ob 112/13h (OLG Wien 28 R 62/13p; LG Korneuburg 28 Fr 6756/12y)

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Im Firmenbuch des Erstgerichts ist seit 18.9.2002 eine GmbH & Co KG eingetragen. Ihr Geschäftszweig umfasst die Liegenschaftsverwaltung. Unbeschränkt haftende Gesellschafterin ist eine seit 24.1.2002 im Firmenbuch eingetragene Beteiligungs-GmbH, deren Geschäftszweig die Vermögensanlage und den Handel umfasst. Kommanditisten sind eine Privatstiftung und Mag. A. B.; Gesellschafter der Komplementär-GmbH sind die Privatstiftung und die A. & K. B. OEG; Geschäftsführer ist Mag. A. B. Das Erstgericht kündigte zunächst mit Beschluss vom 30.7.2010 an, den Bilanzstichtag mit 31.12. ins Firmenbuch einzutragen. Als die KG mitteilte, dass ihre einzige Tätigkeit in der „Vermietung einer kleinen Liegenschaft mit zwei langfristigen Mietverträgen“ und einer jährlichen Gesamtmiete von 33.513 Euro (monatlich 2.793 Euro) liege, sie somit keine „unternehmerische Tätigkeit“ betreibe, nahm das Erstgericht von seinem Vorhaben Abstand. In der Folge forderte es die Gesellschaft auf, den Bilanzstichtag zur Eintragung anzumelden, und kündigte die amtswegige Eintragung des Bilanzstichtags mit 31.12. an, sollte sich die KG nicht fristgerecht äußern. Die KG brachte vor, sie übe keine unternehmerische Tätigkeit aus. Die Gesellschaft habe nur „einen einzigen“ Mietvertrag geschlossen, weitere Tätigkeiten würden weder ausgeübt noch geplant. Selbst wenn man alle in Frage kommenden Gesellschaften zusammenzählte, käme man auf insgesamt lediglich vier Mietverträge und bliebe damit immer noch deutlich unter dem Richtwert von fünf Mietverträgen.  Das Erstgericht ordnete daraufhin die Eintragung des Stichtags für den Jahresabschluss mit 31.12. an. Zur Begründung verwies es auf die OGH-Entscheidung 6 Ob 203/11p.  Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung.  Der OGH gab dem Revisionsrekurs der Gesellschaft Folge und hob den erstgerichtlichen Beschluss ersatzlos auf.

Aus der Begründung des OGH: 1. Personengesellschaften sind – abgesehen vom Überschreiten bestimmter Umsatzschwellenwerte (§ 189 Abs 1 Z 2 iVm Abs 2 UGB) – nur rechnungslegungspflichtig, wenn sie unternehmerisch tätig sind und keine natürliche Person als persönlich haftenden Gesellschafter haben (§ 189 Abs 1 Z 1 UGB). Entscheidend ist damit, ob die Revisionsrekurswerberin „unternehmerisch tätig“ ist. 2.1. „Unternehmen“ ist nach § 1 Abs 2 UGB und § 1 Abs 2 Satz 1 KSchG jede auf Dauer angelegte Organisation selbständiger wirtschaftlicher Tätigkeit, mag sie auch nicht auf Gewinn gerichtet sein. Dabei reicht es aus, wenn aufgrund der Umstände die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass eine bestimmte Tätigkeit als unternehmerisch zu qualifizieren ist. Diesfalls ist es Sache des Handelnden, jene Umstände darzutun, die die unternehmerische Qualifikation ausschließen (Schauer, Die unternehmerisch tätige Personengesellschaft zwischen Rechnungslegungsrecht und Immobilienrecht, wobl 2013, 1 [7]). 2.2. Die bloße Verwaltung und Nutzung des Gesellschaftsvermögens wird grundsätzlich nicht als unternehmerische Tätigkeit angesehen (Artmann in Jabornegg/Artmann, UGB2, § 105 Rz 37; Schauer in Kalss/Nowotny/Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht, Rz 2/111; Krejci in Krejci, Reform-Kommentar, § 105 UGB Rz 46; Schiebel-Six in Straube, UGB II3, § 189 Rz 25 mwN). 3. Nach der Rspr zum KSchG liegt im Fall der Vermietung ein Unternehmen vor, wenn die Beschäftigung von dritten Personen (zB Hausbesorger), das Vorliegen einer Mehrzahl dauernder Vertragspartner (Mehrzahl von Mietverträgen, die

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Judikatur eine nach kaufmännischen Grundsätzen geführte Buchhaltung erfordert) bestehen und sohin die Einschaltung von anderen Unternehmen oder Erfüllungsgehilfen erforderlich ist und auch längerfristige Vertragsbindungen bestehen (RISJustiz RS0065317). Ein privater Hauseigentümer wird nach dieser Rspr noch als Verbraucher angesehen, wenn in seinem Haus nicht mehr als fünf Mietgegenstände in Bestand gegeben werden (RIS-Justiz RS0065317 [T1]; 7 Ob 78/10m, JBl 2010, 578; 5 Ob 155/10w, wobl 2011, 50).

gemeinheit nicht zu folgen. Diese Argumentation läuft darauf hinaus, dass jede wirtschaftliche Tätigkeit einer Personengesellschaft iSd § 189 Abs 1 Z 1 UGB regelmäßig rechnungslegungspflichtig wäre, ohne dass es auf das vom Gesetzgeber ausdrücklich aufgestellte Tatbestandsmerkmal der unternehmerischen Tätigkeit ankäme. Auch die bloße Vermögensverwaltung führt aber zwangsläufig zu einem Auftreten im Rechtsverkehr, ohne dass deshalb bereits unternehmerisches Handeln vorläge.

4. Der OGH hat in der E 6 Ob 203/11p (JAB 2011/2012, 229 [Rauter] = GesRZ 2012, 266 [Schenk/Linder] = AnwBl 2003, 7 [Saurer]; dazu auch Schauer, aaO) iZm einer Immobiliengesellschaft ausgesprochen, eine auf Dauer angelegte Organisation selbständiger wirtschaftlicher Tätigkeit liege bereits in dem Umstand, dass zur Ausübung dieser Tätigkeit eine eigene Kapitalgesellschaft, die Komplementär-GmbH, gegründet worden sei. Die unternehmerische Tätigkeit sei aber auch deshalb zu bejahen, weil die Gesellschaft die Akquisition und den Verkauf mehrerer Liegenschaften beabsichtige. Dies und die Suche nach geeigneten Mietern erfordere üblicherweise eine erhebliche Organisation selbständiger wirtschaftlicher Tätigkeit.

6.2. Zudem führt die Rechtsansicht des Rekursgerichts – wie dieses in seinem Zulassungsausspruch selbst einräumt – dazu, dass die Kriterien für die Beurteilung des Vorliegens unternehmerischer Tätigkeit von der jeweiligen Rechtsform des Betreibers abhängt. Demgegenüber normiert jedoch § 189 Abs 1 Z 1 UGB mit dem Abstellen auf die unternehmerische Tätigkeit ein selbständiges, von der Rechtsform des Betreibers unabhängiges Tatbestandsmerkmal.

5. Diese Kriterien sind im vorliegenden Fall jedoch nicht erfüllt: 5.1. Anders als in dem vom OGH in der E 6 Ob 203/11p beurteilten Fall deckt sich im vorliegenden Fall der Geschäftszweig der zu beurteilenden KG (Liegenschaftsverwaltung) nicht mit jenem der Komplementär-GmbH (Vermögensanlage und Handel). Aus diesem Grund kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Komplementär-GmbH gegründet wurde, um die Tätigkeit der KG auszuüben, worin nach der zitierten Entscheidung ein erhöhter Organisationsgrad läge. Der bloße Umstand, dass die Komplementär-GmbH einige Monate vor der KG gegründet wurde, ist demgegenüber nicht entscheidend. 5.2. Im konkreten Fall gibt es auch keine Anhaltspunkte, dass die KG neben der Vermietung einer Liegenschaft mit einem (so die Äußerung ON 3) oder zwei (so die Äußerung im Verfahren 28 Fr 3503/10x des Erstgerichts) Mietverträgen weitere Tätigkeiten entfaltet oder auch nur planend vorbereitet. Die diesbezüglichen Angaben der Revisionsrekurswerberin wurden von den Tatsacheninstanzen nicht in Zweifel gezogen. 6.1. Entgegen der Rechtsansicht des Rekursgerichts kann die bloße Verwendung der Rechtsform der Personengesellschaft iZm wirtschaftlicher Tätigkeit allein noch nicht die Rechnungslegungspflicht begründen, stellt der Gesetzgeber im § 189 Abs 1 Z 1 UGB doch nicht auf die „wirtschaftliche Tätigkeit“, sondern auf die „unternehmerische“ Tätigkeit ab. Ebenso wenig ist das bloße Auftreten im Rechtsverkehr entscheidend, steht dieses doch allen Personengesellschaften offen, ohne dass dies nach dem klaren Wortlaut des § 189 UGB zwingend stets zur Rechnungslegungspflicht führte. Auch der Rechtsansicht des Rekursgerichts, dass dann, wenn sich die dahinterstehenden Gesellschafter einer Rechtsform bedienen, die ihnen eine Haftungsbeschränkung ermöglicht, die „Organisation“ dieser Haftungsbeschränkung der wirtschaftlichen Tätigkeit zuzurechnen sei, ist in dieser All-

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Anmerkung: 1. Gem § 189 Abs 1 Z 1 Fall 2 UGB unterliegen Personengesellschaften ohne natürliche Personen als Vollhafter (sog kapitalistische oder verdeckte Personengesellschaften; vgl dazu Schauer, Die unternehmerisch tätige Personengesellschaft zwischen Rechnungslegungsrecht und Immobilienrecht, wobl 2013, 1 [2]) einer schwellenwertunabhängigen Rechnungslegungspflicht, sofern sie unternehmerisch tätig sind (vgl etwa Hilber in U. Torggler, UGB [2013] § 189 Rz 8; Schiebel/Six in Straube, UGB II3, § 189 Rz 25; Bruckner, Die GmbH & Co KG und ihre Gesellschafter im Ertragsteuerrecht, in GedS W.-D. Arnold [2011] 263 [279]; Schönbauer/Puchinger, Vom HGB zum UGB: Rechnungslegungspflicht von OG und KG, FJ 2008, 170 [170 f] – jeweils mwN). Im Zentrum der vorliegenden Entscheidung steht die Frage, ob die Vermietung einer Liegenschaft die unternehmerische Tätigkeit einer GmbH & Co KG und damit deren Rechnungslegungspflicht begründet. 2. Für die Beurteilung des Vorliegens einer unternehmerischen Tätigkeit iSd § 189 Abs 1 Z 1 2. Fall UGB knüpft der OGH zu Recht an den Unternehmensbegriff des § 1 Abs 2 UGB bzw KSchG an (vgl dazu Schauer, wobl, 2013, 2 ff, der zutreffend aufzeigt, dass das Tatbestandsmerkmal der unternehmerischen Tätigkeit keiner unionsrechtlichen Auslegung bedarf; vor dem Hintergrund seiner Ausführungen kann die Einschränkung der Rechnungslegungspflicht in § 189 Abs 1 Z 1 Fall 2 UGB auf unternehmerisch tätige Personengesellschaften mE nicht als Verstoß gegen die Bilanzrichtlinie [Richtlinie 78/660/EWG idgF] gewertet werden; aA Kraus/Schuhmacher, GesRZ 2013, 293 [294]; ferner Ch. Nowotny in Straube, UGB II3, § 221 Rz 12; offenlassend Diregger/Eckert, RdW 2013, 579 [586]). 3. Im Anschluss an eine vorangegangene Entscheidung zu einem vergleichbaren Sachverhalt (vgl OGH 16.2.2012, 6 Ob 203/11p, GesRZ 2012, 266 [kritisch Schenk/Linder] = JAP 2011/2012, 229 [kritisch Rauter] = ecolex 2012/168 [Wilhelm] = AnwBl 2013, 7 [kritisch Saurer]; vgl dazu ferner Schauer, wobl 2013, 1 ff) stellt der OGH im vorliegenden Judikat aber nicht auf die von der einschlägigen (KSchG-)Rspr (vgl RIS-Justiz RS0065317; vgl dazu ferner Schauer, wobl 2013, 5; Vonkilch, Immobilienvermietung als Herausforderung für den Unternehmerbegriff, in FS Iro [2013] 247 [252 ff]) herausgearbeiteten Kriterien ab, die auf das Vorliegen von Unternehmereigenschaft (iSd § 1 Abs 2 KSchG) bei natürlichen Personen als Bestandgeber schließen lassen (wie etwa die Beschäftigung von dritten Personen [Hausbesorger], eine Mehrzahl von Mietverträgen, die eine nach kaufmännischen Grundsätzen geführte Buchhaltung erfordert). Was den OGH im konkreten Fall dazu bewogen hat, bleibt mangels Begründung offen. Auf die in der E 6 Ob 203/11p für die Unübertragbarkeit der Grundsätze der zitierten (KSchG-)Rspr auf Personengesellschaften vertretene Argumentationslinie (die in der Literatur zu Recht kritisiert wurde; vgl etwa Schauer, wobl 2013,

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Judikatur 5 f), wonach eine Personengesellschaft keine natürliche Person sei und zudem mangels Privatlebens nicht privat vermieten könne, wird in der vorliegenden Entscheidung nicht Bezug genommen (vgl Rauter, Errettung der GmbH & Co KG vor der „Formunternehmerschaft“? JAP 2013/2014, 98 [99]; Motal, ecolex 2014, 45 [47]). Das Höchstgericht stellt an anderer Stelle des hier gegenständlichen Judikats aber ausdrücklich klar, dass nicht jedes Auftreten einer Personengesellschaft im Rechtsverkehr, sondern nur deren unternehmerisches Handeln die Rechnungslegungspflicht nach § 189 Abs 1 Z 1 UGB auslöst. Vor diesem Hintergrund kann mE wohl davon ausgegangen werden, dass der OGH – anders als in der E 6 Ob 203/11p – inzident die Privatsphäre von Personengesellschaften anerkennt. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass der 3. Senat des OGH Gegenteiliges vertritt und die Grundsätze der (KSchG)-Rspr für natürliche Personen als Bestandgeber sehr wohl auch auf juristische Personen anwendet (vgl OGH 18.4.2012, 3 Ob 34/12i [zur Beurteilung der unternehmerischen Vermietungstätigkeit eines Vereins]; vgl dazu auch Wrann, Die Immobilienprivatstiftung – Unternehmer oder Konsument? PSR 2013, 12 [13]). 4. Wie im Judikat 6 Ob 203/11p ist für das Höchstgericht im gegenständlichen Fall insb entscheidungserheblich, ob zur Ausübung der Tätigkeit der zu beurteilenden KG eine Komplementärgesellschaft mit gleichem Geschäftszweig wie jener der KG gegründet wurde. In diesem Fall läge ein erhöhter Organisationsgrad und damit ein Indiz für das Vorliegen einer unternehmerischen Tätigkeit der KG vor. Diese Argumentationslinie ist mE nur schwer nachvollziehbar, zumal die Gründung einer Komplementär-GmbH wohl kein Hinweis für eine unternehmerische Aktivität der zu beurteilenden KG sein kann (vgl Hilber in U. Torggler, UGB, § 189 Rz 8 FN 7; kritisch dazu auch Suesserott/U. Torggler in U. Torggler, UGB, § 1 Rz 13; Schauer, wobl 2013, 6; Schenk/Linder, GesRZ 2012, 269; Saurer, AnwBl 2013, 7; vgl ferner Kraus/Schuhmacher, GesRZ 2013, 293 f). Auch kann eine allfällige Unternehmereigenschaft eines Gesellschafters ebenso wenig automatisch auf die zu beurteilende Personengesellschaft durchschlagen, wie Gesellschafter nur kraft Zugehörigkeit zu einer unternehmerisch tätigen Gesellschaft selbst als Unternehmer qualifiziert werden können (vgl Schauer in Kalss/Nowotny/Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht [2008] Rz 2/128 mwN; ferner OGH 19.3.2013, 4 Ob 232/12i, ÖBA 2013, 663 [Weber]). Ob eine unternehmerische Tätigkeit vorliegt, ist vielmehr ausschließlich anhand der von der Personengesellschaft konkret ausgeübten Tätigkeit zu prüfen (vgl Schenk/Linder, GesRZ 2012, 269). Die Beweislast dafür, dass keine unternehmerische Tätigkeit vorliegt, trifft nach Ansicht des OGH (unter Anschluss an Schauer, wobl, 2013, 7) aber in jedem Fall den jeweils Handelnden. Matthias Schimka Mag. Matthias Schimka ist Rechtsanwaltsanwärter in Wien und externer Lehrbeauftragter am Institut für Zivil- und Unternehmensrecht der Wirtschaftsuniversität Wien.

Zivilrechtliche Fragen Telefax als gültige Übermittlungsform einer Bürgschaftserklärung §§ 883, 886 und § 1346 Abs 2 ABGB §§ 13 und 114 AktG §§ 25b ff KSchG 1. Gem § 1346 Abs 2 ABGB ist für die Gültigkeit des Bürgschaftsvertrages erforderlich, dass die Verpflichtungserklärung des Bürgen „schriftlich abgegeben“ wird. Die Schriftform erfasst alle Bürgschaftsarten, daher auch Subbürgschaften. 2. Eine vom Bürgen eigenhändig unterschriebene Bürgschaftserklärung, die er dem Gläubiger per Telefax übermittelt, erfüllt die Voraussetzungen des Formgebots des § 1346 Abs 2 ABGB.

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OGH 31.7.2013, 9 Ob 41/12p (OLG Wien 16 R 73/12s; LG Wiener Neustadt 23 Cg 100/07z) Die E. A. C. (im Folgenden: E.) mit Sitz in den Vereinigten Arabischen Emiraten betrieb einen gepachteten Steinbruch in Dubai. Die Zweit- bis Fünftbeklagten sind Gesellschafter der E., der Erstbeklagte ist mittelbar an ihr beteiligt. Da die geplanten Investitionen der E. einen Finanzierungsbedarf von mehr als 11 Mio Euro ergaben und eine Aufbringung dieser Summe allein über Darlehensgeber nicht realistisch erschien, wurde am 18.4.2005 die W.-GmbH gegründet, die als Leasinggesellschaft Maschinen ankaufen und der E. verleasen sollte. An der W.-GmbH waren mehrere Gesellschafter, ua die Erstklägerin und der Zweitkläger zu je 25 %, beteiligt. Im April 2005 nahm die W.-GmbH einen Kredit über 4,6 Mio Euro bei der R.-Bank auf, mit dem der Maschinenankauf finanziert wurde. Sämtliche Maschinen wurden an die E. verleast. Infolge von Zahlungsschwierigkeiten der E. für die ersten Leasingraten musste die W.-GmbH bei der R.-Bank für die Rückzahlung der Darlehensraten einen Aufschub bis Juli 2006 erwirken. Aufgrund der geringen Produktion hatte die E. im Dezember 2005 eine Finanzierungslücke in Bezug auf die quartalsmäßig zu zahlende Pacht an den Steinbruchverpächter. Ein weiterer Liquiditätsbedarf von 600.000 Euro wurde notwendig. E. schlug vor, dass die W.-GmbH neuerlich einen Kredit aufnimmt und der E. zur Verfügung stellt, wobei sämtliche Gesellschafter der E. die persönliche Haftung für diesen Kredit übernehmen sollten. Die W.-GmbH nahm den Kredit mit einer Laufzeit bis 30.8.2006 auf. Zur Besicherung wurden eine Wechselbürgschaft der W.-GmbH über die Gesamtsumme sowie mit Datum 2.1.2006 Wechselbürgschaften der vier Gesellschafter der W.-GmbH über jeweils 150.000 Euro errichtet. Am 2. und 4.1.2006 überwies die W.-GmbH jeweils einen Betrag von 200.000 Euro aus dem R.-Bank-Kredit auf das Treuhandkonto der E. Nach einem Schreiben eines Gesellschafters der W.-GmbH vom 23.1.2006, dass ein Notariatsakt mit relativ hohen Kosten verbunden wäre und der einfachere Weg eine Haftungserklärung sei, unterzeichneten drei Gesellschafter der E. (Dritt-, Viert- und Fünftbeklagter) jeweils eine „Schulderklärung und Teilbürgschaft“. In der Folge lag der Tagesausstoß des Steinbruchs unterhalb des Break-even-Punkts. Es kam daher im zweiten Quartal 2006 zu einem neuerlichen Pachtzinsrückstand. Der restliche noch bei der W.-GmbH erliegende Teilbetrag des 600.000-Euro-Kredits sollte verwendet werden. Die Gesellschafter der W.-GmbH machten die Auszahlung dieses Betrags von der Abgabe einer Subbürgschaft des Erst- und Zweitbeklagten abhängig, die noch nicht unterzeichnet hatten. Dr. T., der sämtliche Anteile der E. treuhändig hielt, teilte die Sachlage dem Erst- und dem Zweitbeklagten Anfang Mai 2006 telefonisch mit. Das Geld könne der E. unter der von den Klägern geäußerten Bedingung der Übernahme von Subbürgschaften durch den Erst- und Zweitbeklagten sofort zur Verfügung gestellt werden. Dem Zweitbeklagten wurde auch mitgeteilt, dass Schadenersatzforderungen gegen ihn möglich seien, wenn er die Subhaftungserklärung nicht abgebe, weil sie vereinbart gewesen sei. Ein Kaufinteressent sei vorhanden. Es sei aber notwendig, das Unternehmen und insb den Pachtvertrag fortzuführen. Am 5.5.2006 unterfertigte der Erstbeklagte ein an die Gesellschafter der W.-GmbH gerichtetes Schreiben, dass er die Subbürgschaft entsprechend seiner Beteiligung übernimmt, sofern die Geldmittel anschließend zur umgehenden Tilgung verwendet werden. Dieses Schreiben übermittelte der Erstbeklagte per Fax. Auch der Zweitbeklagte unterschrieb ein im Wesentlichen gleichlautendes Schreiben und übermittelte es per Fax. Die Urkunde selbst wurde nicht an die Gesellschafter der W.-GmbH übermittelt; der Verbleib der Originalurkunde konnte nicht festgestellt werden. In der Folge wurde der Betrag von 160.000 Euro in bar nach Dubai gebracht, in die Landeswährung gewechselt und am 6.5.2006 dem Verpächter des Steinbruchs als Pachtzins überreicht. Da trotz Aufforderung durch die R.-Bank weder die W.-GmbH noch deren Kreditversicherung Zahlung leistete, nahm die R.-Bank die Kläger sowie die beiden anderen Gesellschafter der W.-GmbH als Bürgen in Anspruch. Mit Schreiben vom 2.3.2007 teilte der Klagevertreter den Gesellschaftern der E. mit,

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Judikatur dass die R.-Bank die Kläger zur Zahlung aus der Wechselbürgschaft in Anspruch genommen habe. Somit werden nun die Subbürgen zur Zahlung aufgefordert.  Das Erstgericht führte in der Sache aus, eine durch Telefax übermittelte Bürgschaftserklärung sei formunwirksam, selbst dann, wenn die der Fernkopie als Grundlage dienende Urkunde die eigenhändige Unterschrift des Erklärenden trage. Die Bürgschaftserklärung des Erstbeklagten sei daher ungültig.  Das Berufungsgericht bestätigte teilweise das Ersturteil, teilweise änderte es dieses ab. Zur Übermittlung der Bürgschaftserklärung per Telefax erklärte es, dass die Erklärung des Zweitbeklagten nicht dem Formgebot des § 1346 Abs 2 ABGB entsprochen habe. Die Berufung des Zweitbeklagten auf die Formungültigkeit sei auch nicht rechtsmissbräuchlich. Zwar könne eine absichtliche Vereitelung der Form sittenwidrig sein und zum Ersatz des Vertrauensschadens verpflichten. Darauf hätten sich die Kläger aber nicht berufen. Die Revision sei hinsichtlich des Zweitbeklagten mangels neuerer Rspr zu einem allfälligen Schadenersatzanspruch bei Vorliegen einer formungültigen Bürgschaftserklärung zulässig. Der OGH habe auch zur Kritik eines Großteils der Lehre an der Rspr zur Formungültigkeit einer per Telefax erklärten Bürgschaft noch nicht Stellung nehmen können.  Der OGH gab den Revisionen der Kläger statt.

Aus den Entscheidungsgründen des OGH: I.1. Die Kläger meinen zu den Subbürgschaftserklärungen des Erst- und des Zweitbeklagten, dass sie nach hL auch per Telefax formwirksam abgegeben werden können. Zur Erfüllung des Warnzwecks der Form sei nicht auf den Zugang des Originals abzustellen. Die Berufung des Erstbeklagten auf die Formunwirksamkeit erfolge auch rechtsmissbräuchlich, weil ihm die Umstände seiner Haftung genau bekannt gewesen seien und er nun versuche, sich ihr zu entziehen. ... I.2. Dass sich der Zweitbeklagte – entgegen seiner erstinstanzlichen Erklärung – erst in seiner Berufung auf die allfällige Formunwirksamkeit seiner Bürgschaftserklärung berief, begründete keinen Verstoß gegen das – auch amtswegig wahrzunehmende (Pimmer in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze 2, § 482 ZPO Rz 29; Kodek in Rechberger, ZPO 3, § 482 Rz 8) und gegebenenfalls noch im Revisionsverfahren aufgreifbare (siehe RIS-Justiz RS0112213; RS0110304 [T1] = 9 ObA 326/98a) – Neuerungsverbot, weil damit keine Einrede iSd § 482 Abs 1 ZPO geltend gemacht wird. ... I.3. Die Wirksamkeit der Haftungserklärung des Erst- und des Zweitbeklagten schon mit dem Argument zu bejahen, dass die Berufung auf die Formunwirksamkeit der Subbürgschaftserklärungen jedenfalls rechtsmissbräuchlich wäre, kommt hier nicht in Frage: Soll die Formvorschrift in ihrer Bedeutung nicht ausgehöhlt werden, kann ein Formmangel nur ausnahmsweise wegen unzulässiger Rechtsausübung als unbeachtlich angesehen werden, weil das allgemeine Interesse an der Einhaltung des Formzwangs der Vertragstreue vorgeht (siehe RIS-Justiz RS0070844). Aus der bloßen Nichteinhaltung des Formgebots für eine Bürgschaftsverpflichtung kann daher noch keine Haftung des Erklärenden abgeleitet werden. Richtig ist zwar, dass eine sittenwidrige absichtliche Vereitelung der Form oder eine arglistige Irreführung des Vertragspartners über die Erforderlichkeit der Form den Einwand des Rechtsmissbrauchs begründen könnte (Gamerith in Rummel, ABGB3,

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§ 1346 Rz 8 mwN). Entsprechende Umstände gehen aus dem festgestellten Sachverhalt selbst unter Berücksichtigung dessen, dass der Zweitbeklagte Rechtsanwalt ist, aber nicht hervor, zumal die Bürgschaftserklärungen einer Rechtsanwaltskanzlei gefaxt wurden. ... I.4. ... I.5. Gem § 1346 Abs 2 ABGB ist für die Gültigkeit des Bürgschaftsvertrages erforderlich, dass die Verpflichtungserklärung des Bürgen „schriftlich abgegeben“ wird. Die Schriftform erfasst alle Bürgschaftsarten, daher auch Subbürgschaften (siehe nur P. Bydlinski in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB3, § 1346 Rz 12). Die Reichweite des Formgebots richtet sich dabei nach seinem Formzweck (vgl allgemein P. Bydlinski in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB3, § 886 Rz 2; Rummel in Rummel, ABGB3, § 886 Rz 1). I.6. Unstrittig ist, dass der Zweck der – mit der III. Teilnovelle eingeführten – Schriftform der Bürgschaft in ihrer Warnfunktion liegt („um das Unheil leichtsinniger Garantieübernahmen auch nur einigermaßen einzudämmen“; siehe Langrod, Die dritte Teilnovelle zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch nebst zweiter Teilnovelle [1916] 193). ... I.7. In der Rspr wurde die Frage, ob eine per Telefax abgegebene Bürgschaftserklärung dem Schriftformgebot des § 1346 Abs 2 ABGB genügt, in der E 1 Ob 515/95 (Bürgenhaftung eines Geschäftsführers für Mietzinsrückstände der GmbH) im Wesentlichen unter Berufung auf die E 5 Ob 535/85 = SZ 58/85 und 1 Ob 525/93 = EvBl 1994/86 verneint. ... I.8. Der Gesetzgeber hat in jüngerer Zeit den Schutz des Bürgen vor Übereilung insofern ausgeweitet, als die bis zum HaRÄG, BGBl I 2005/125, bestehende Formfreiheit der Bürgschaftserklärung eines Vollkaufmanns durch ersatzlose Streichung des § 350 HGB zugunsten der allgemeinen Formpflicht nach § 1346 Abs 2 ABGB abgeschafft wurde. Eine qualifizierte elektronische Signatur wurde für privat („außerhalb ihrer gewerblichen, geschäftlichen oder beruflichen Tätigkeit“) abgegebene Bürgschaftserklärungen zunächst als nicht dem Schriftformgebot des § 1346 Abs 2 ABGB genügend angesehen (§ 4 Abs 2 Z 4 SigG idF BGBl I 2001/152). Das Manko des fehlenden Übereilungsschutzes wurde mit BGBl I 2005/164 dadurch beseitigt, dass eine mit qualifizierter elektronischer Signatur abgegebene Privatbürgschaftserklärung nunmehr dann dem Schriftlichkeitsgebot des § 1346 Abs 2 ABGB entspricht, wenn sie die Erklärung eines Rechtsanwalts oder eines Notars enthält, dass er den Bürgen über die Rechtsfolgen seiner Verpflichtungserklärung aufgeklärt hat (RV 1169 BlgNR 22. GP, 42: „hinreichender Übereilungsschutz“). Beide Änderungen klären jedoch nicht, ob dem Schriftformerfordernis des § 886 ABGB als solchem („Unterschrift der Parteien“) und dem Übereilungsschutz des § 1346 Abs 2 ABGB auch durch ein Telefax entsprochen werden kann. I.9. In der Lehre hat sich Wilhelm bereits 1990 unter dem Aspekt der leichteren Fälschbarkeit eines Telefax gegen die Wirksamkeit einer Telefaxbürgschaft ausgesprochen. Die Schriftform sollte „über all den Warn-, Übereilungsschutz-, Beweissicherungs-, Gläubigerschutz- und Publikationszwecken“ nach ihrem ersten und wichtigsten Zweck jeden Zweifel daran ausschließen, dass die Erklärung wirklich von dem

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Judikatur stamme, von dem sie zu stammen vorgebe (Wilhelm, Telefax: Zugang, Übermittlungsfehler und Formfragen, ecolex 1990, 208; siehe auch ecolex 1996, 448, Anm zu 1 Ob 620/95). ... Demgegenüber haben sich namhafte Stimmen ablehnend zur E 1 Ob 515/95 geäußert und sich in Differenzierung der Formvorschrift nach einer möglichen Echtheitsprüfung durch den Empfänger und der Warnfunktion für den Bürgen für die Wirksamkeit einer Telefaxbürgschaft ausgesprochen. ... I.10. Nach deutscher Rspr gilt eine per Telefax abgegebene Bürgschaftserklärung nicht als iSd § 766 BGB „schriftlich erteilt “ (BGH 28.1.1993, IX ZR 259/91, BGHZ 121, 224). Soweit ersichtlich, wurde diese Rspr in jüngerer Zeit aber keiner weiteren Prüfung unterzogen. I.11. Der OGH kann sich der überwiegenden Kritik der Lehre nicht verschließen: Tatsächlich steht das Argument der Fälschungsanfälligkeit eines Telefax in keinem inneren Zusammenhang mit dem Zweck des Formgebots, den Bürgen von einer übereilten Haftungserklärung zu warnen. Eine Echtheitsprüfung durch den Empfänger wäre idR auch nur möglich, wenn ihm die Originalunterschrift des Bürgen zu Vergleichszwecken zur Verfügung steht. Das kann im Geschäftsverkehr im Allgemeinen aber nicht vorausgesetzt werden. Zudem ist auch eine Zeichnung des Vertreters mit dem Namen des Vertretenen erlaubt (Rummel in Rummel, ABGB3, § 886 Rz 5 mwN). Die Führung des Nachweises, dass Inhalt und Unterschrift einer per Telefax übermittelten Bürgschaftserklärung vom belangten Bürgen stammen, obliegt unter prozessualen Aspekten im Bestreitungsfall ohnedies dem Gläubiger als demjenigen, der sich darauf beruft. Wird aber die Abgabe einer per Fax erklärten Bürgschaft vom Bürgen gar nicht bestritten, kann es auf die Frage des Nachweises einer solchen Bürgschaftserklärung nicht mehr ankommen. Dass die per Fax übermittelten Subbürgschaftserklärungen von den Subbürgen tatsächlich eigenhändig unterfertigt und somit iSd § 886 ABGB schriftlich errichtet wurden, steht im Revisionsverfahren nicht weiter in Frage. Augenmerk verdient daher, dass § 1346 Abs 2 ABGB zur Wahrung der Schriftform neben der „Schriftlichkeit“ auch das „Abgeben“ der unterzeichneten Bürgschaftserklärung durch den Bürgen verlangt. Der Vorgang der Abgabe ist vom schriftlichen Abfassen des Willens des Bürgen zu unterscheiden, weil er nicht auf das Zustandekommen dieses Willens, sondern auf dessen Übermittlung an den Gläubiger gerichtet ist. Für sie ist es erforderlich, dass sich der Bürge der in der Bürgschaftsurkunde verkörperten Willenserklärung gegenüber dem Gläubiger entäußert. Ob die Abgabe der Bürgschaftserklärung zwingend mit der Entäußerung des Originals der Urkunde zu verbinden ist oder auch per Fax erfolgen kann, ist nach dem Zweck des Formgebots danach zu beurteilen, ob die Faxübermittlung eine mit der Übergabe/Versendung des Originals gleichwertige Warnung des Bürgen bewirkt. Zwar mag es insb im privaten Rechtsverkehr, in dem per Telefax getätigte Geschäftsabschlüsse in der Dimension einer Bürgschaftserklärung nicht als geschäftsüblich angesehen werden können, für den Erklärenden psychologisch einen Unterschied machen, ob er das Original „aus der Hand“ gibt oder die Sendetaste am Fax-

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gerät betätigt. Dieses Moment allein rechtfertigt es jedoch nicht, einer vom Bürgen unterschriebenen und dem Gläubiger gefaxten Bürgschaftserklärung die Wirksamkeit zu versagen, weil er sich auch in diesem Fall seiner Erklärung willentlich so entäußert, dass er ohne sein weiteres Zutun mit ihrem Zugang beim Empfänger rechnen muss. Nicht anders als beim Versenden eines Poststücks hat seine Erklärung damit aber „endgültig“ seinen Machtbereich verlassen. Diese Erwägung führt aber dazu, dass eine schriftliche, dh eigenhändig vom Bürgen unterschriebene Verpflichtungserklärung auch mit der Übermittlungsform eines Telefax iSd § 1346 Abs 2 ABGB formwirksam „abgegeben“ werden kann. ... Anmerkung: Bisher vertrat der OGH die Ansicht, dass das Schriftformgebot der Bürgschaft (§ 1346 Abs 2 ABGB) bei Übersendung der unterschriebenen Urkunde per Telefax nicht eingehalten ist (OGH 27.3.1995, 1 Ob 515/95; RIS-Justiz RS0044129; ebenso bei der Garantie OGH 5.12.1995, 1 Ob 620/95, ÖBA 1996, 474 [Koziol]). Diese Judikaturlinie wurde überwiegend abgelehnt (ua Rummel, Telefax und Schriftform, in FS Ostheim [1990] 211 [215 ff]; Gamerith in Rummel, ABGB3, § 1346 Rz 8; P. Bydlinski, Telefaxbürgschaft: OGH folgt BGH, RdW 1996, 196; Mader/W. Faber in Schwimann, ABGB3, § 1346 Rz 11; P. Bydlinski/F. Bydlinski, Gesetzliche Formgebote für Rechtsgeschäfte auf dem Prüfstand [2001] 21; aA Wilhelm, Telefax: Zugang, Übermittlungsfehler und Formfragen, ecolex 1990, 208 [209]; ders, Juristische Erkenntnistheorie – Anwendung TelefaxBürgschaft, ecolex 2013, 937; Brenn, Wie viel ist das Schriftformerfordernis noch wert? ÖJZ 2013, 989) mit dem Hinweis darauf, dass § 1346 Abs 2 ABGB den Schutz des Bürgen vor Übereilung bezweckt, nicht aber zur Klarstellung der Echtheit der Bürgschaftsurkunde dient. Die aktuelle Entscheidung trägt dieser Ansicht Rechnung und bejaht die Einhaltung der Bürgschaftsform bei Übermittlung per Telefax, unabhängig davon, ob es sich um ein beidseitig unternehmensbezogenes Geschäft handelt oder ein Vertragspartner Verbraucher ist (vgl Pkt I.3. letzter Absatz der Entscheidung; RIS-Justiz RS0128981). Abgesehen von dem formalen Aspekt, dass diese oberstgerichtliche Judikaturwende nicht im Rahmen eines verstärkten Senats zustande gekommen ist (Brenn, ÖJZ 2013, 989; bereits gefordert von Pfersmann, Bemerkenswertes aus der SZ 68/I, ÖJZ 1997, 530 [532]), sind Überlegungen zur generellen Zulässigkeit elektronisch übermittelter Dokumente anzustellen. 1. Die zivilrechtliche Sicht Das Schriftformgebot der Bürgschaft dient nach hL ausschließlich dem Übereilungsschutz (ua Kalss in Kletečka/Schauer, ABGBON1.01, § 883 Rz 7; Gruber, Der Schutz des Bürgen, in FS 200 Jahre ABGB [2011] 997 [999]; Griss, Die Rechtsprechung als Organ der Rechtsfortbildung im Zivilrecht, in FS 200 Jahre ABGB [2011] 1521 [1535 f]; zur deutschen Rechtslage Mankowski, Formzwecke, JZ 2010, 662 [665 f]). Der Bürge soll hinsichtlich möglicher negativer Konsequenzen bei Abschluss der Bürgschaftserklärung sensibilisiert werden. Diese liegen einerseits darin, dass der Bürge keine oder geringe wirtschaftliche Vorteile erhält, und andererseits in dem ungewissen zukünftigen Risiko der Haftung (P. Bydlinski in Koziol/ Bydlinski/Bollenberger, ABGB3 [2010] § 1346 Rz 7). Diese Risiken geht der Bürge mit der Abgabe der Unterschrift ein (Ofner in Schwimann, ABGB-Taschenkommentar2 [2013] § 1346 Rz 15). Es kann keinen Unterschied machen, ob die bereits unterschriebene Bürgschaftserklärung per Post, per Bote oder per Telefax zugesendet wird, weil sie jeweils bereits dessen Machtbereich verlassen hat. Der Bürge hatte bereits vor Abgabe der Erklärung die Möglichkeit, sich über die Risikolage Klarheit zu verschaffen. Die konkrete Übermittlungsform, die von der Verpflichtung zur „Unterschriftlichkeit“ zu trennen ist, ist nicht mehr Teil des Schriftformgebots als Schutz vor Übereilung (Koziol, ÖBA 1996, 478).

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Judikatur Zu beachten ist der Einwand, dass für den Verbraucher ein anderer Maßstab des Übereilungsschutzes zu gelten hat als für einen Unternehmer, der eine Bürgschaftserklärung im Rahmen seines gewöhnlichen Geschäftsbetriebs abgibt. Der OGH wirft hierbei ein, dass zwar im privaten Rechtsverkehr abgegebene Bürgschaftserklärungen unüblich sein können und es damit für den Erklärenden psychologisch ein Unterschied ist, ob er das Original weitergibt oder per Fax eine Kopie weitersendet (Pkt I.11. der aktuellen Entscheidung), verwirft allerdings diesen Einwand mit der Begründung, dass die Absendung nicht mehr Teil des Schriftformerfordernisses ist. Dieser Ansicht ist zuzustimmen, da bei der Übersendung die Ungleichgewichtslage zwischen Unternehmer und Verbraucher nicht ausschlaggebend ist. Mit der geleisteten Unterschrift ist die Bürgschaft verbindlich. Der Einwand unterschiedlicher Behandlung von Unternehmer und Verbraucher als Bürge ist nicht unberechtigt, allerdings wird dem differenzierten Maßstab hinsichtlich des Übereilungsschutzes durch andere Regelungen Rechnung getragen: Gem §§ 25b und 25c (Informationspflichten des Kreditgebers) bzw § 25d KSchG (Mäßigungsrecht der Verbindlichkeit) stehen dem Verbraucher mehrere zusätzliche Schutzmechanismen zur Verfügung. Wird in der aktuellen Entscheidung des OGH die deutsche Rechtslage angesprochen (vgl Pkt I.10. der Entscheidung), ist allein der Verweis auf ältere Entscheidungen des BGH (BGH 28.1.1993, IX ZR 259/91) nicht ausschlaggebend. Vielmehr ist die deutsche Rechtslage mit den aktuellen österreichischen Regelungen nicht vergleichbar, da dort die Handelsbürgschaft unter Vollkaufleuten gem § 350 dHGB keiner Schriftform unterliegt. Für den Bereich der Vollkaufleute bestehen somit Sonderregelungen (Ansgar/Staudinger in Schulze ua, BGB7 [2011] § 766 Rz 3; Rohe in Bamberger/Roth, Beck’scher Online-Kommentar BGB, § 766 Rz 29; für die Gültigkeit des Telefax als Übermittlungsform in Anlehnung an Koziol [EWiR 1993, 561] Horn in Staudinger, BGB [Neubearbeitung 2012] § 766 Rz 29). In Österreich ist die Unterscheidung zwischen Vollkaufleuten als Bürgen (vgl § 350 HGB aF) und sonstigen Bürgen durch das HaRÄG weggefallen, sodass die Formpflicht gem § 1346 Abs 2 ABGB auch für Unternehmer besteht (VbR 2013/31, 56; Kramer in Straube, HGB I3 [2003] § 350 Rz 1; Schauer in Krejci, Reform-Kommentar [2007] § 350 UGB Rz 5). Aufgrund der unterschiedlichen Ausgangssituation ist ein Rechtsvergleich nicht zielführend. Das aktuelle Judikat des OGH darf nicht als „genereller Freibrief“ verstanden werden, dass nämlich jede elektronische Übermittlungsform der Schriftlichkeit des § 1346 Abs 2 ABGB entspräche. So differenziert das SigG zwischen der Bürgschaftserklärung eines Unternehmers und eines Verbrauchers: Die qualifizierte elektronische Signatur ersetzt das Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift iSd Schriftlichkeit des § 886 ABGB. Ausgenommen von dieser Äquivalenz ist gem § 4 Abs 2 Z 4 SigG eine Bürgschaftserklärung gem § 1346 Abs 2 ABGB, die von Personen außerhalb ihrer gewerblichen, geschäftlichen oder beruflichen Tätigkeit abgegeben wird (Privatbürgschaftserklärungen), es sei denn, diese enthält die Erklärung eines Rechtsanwalts oder eines Notars, dass er den Bürgen über die Rechtsfolgen seiner Verpflichtungserklärung aufgeklärt hat (VbR 2013/31, 56). Ebenso kann die Abgabe einer Bürgschaft durch elektronische Übermittlung per E-Mail oder SMS nicht generell für das Schriftformerfordernis des § 1346 ABGB ausreichen. Hierbei ist zu differenzieren: Handelt es sich um das Absenden einer „einfachen E-Mail“ oder SMS, ist die Schriftlichkeit zu verneinen (OGH 23.9.2010, 5 Ob 133/10k; 7.2.2008, 9 ObA 96/07v; Kolmasch in Schwimann, ABGB-Taschenkommentar2, § 886 Rz 6). In diesem Fall wird dem Schriftlichkeitsgebot iSd „Unterschriftlichkeit“ nicht entsprochen, wenn die Unterschriftenzeile automatisch generiert oder eingegeben wird. Der künftige Bürge leistet keine eigenhändige Unterschrift. Es ist nicht garantiert, dass der Bürge sich mit den Auswirkungen der konkreten Bürgenhaftung auseinandersetzt (vgl Kalss in Kletečka/Schauer, ABGBON1.01, § 886 Rz 9). Anders ist allerdings die Lage, wenn die E-Mail nicht selbst die Bürgschaftserklärung inhaltlich wiedergibt, sondern in einem Anhang eine eingescannte Urkunde mit einer eigenhändig unterschriebenen Bürgschaft beigefügt wird. Als Parallelfall zur Bürgschaft per Telefax darf in diesem Fall die Einhaltung der Schriftform

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angenommen werden. Die Bürgschaft ist ebenso gültig wie nunmehr bei der Übersendung durch Telefax (Kalss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01, § 886 Rz 9). 2. Parallele Wertung im Aktienrecht Im Rahmen des Aktienrechts ist das Schriftformgebot grundsätzlich durch das AktRÄG 2009 geändert worden. § 13 Abs 3 AktG bestimmt, dass – wenn im AktG für Erklärungen die Schriftform verlangt wird – die Erklärung per Textform gem § 13 Abs 2 AktG ausreicht, sofern nicht speziellere Normen zur Anwendung kommen. Voraussetzung dieser Textform ist, dass die Erklärung in einer Urkunde oder auf andere zur dauerhaften Wiedergabe in Schriftzeichen geeigneten Weise abgegeben, die Person des Erklärenden genannt und der Abschluss der Erklärung durch die Nachbildung der Namensunterschrift oder anders erkennbar gemacht wird. Die Unterschrift ist nicht iSd „Unterschriftlichkeit“ gem § 886 ABGB zu verstehen; es reicht vielmehr bereits die Unterschrift durch einen Stempel, Druck oder andere Formen der Vervielfältigung. In diesem Fall ist die Übermittlungsform nicht besonders aufzugreifen, da die Übermittlung per Telefax oder E-Mail ohne Bedenken zu akzeptieren ist (Potyka, Das Aktienrechts-Änderungsgesetz 2009, ÖJZ 2009, 701 [702]; Bachner, Aktienrechts-Änderungsgesetz beschlossen! GES 2009, 248 [249]; Schimka, Das Teilnahmerecht der Aktionäre an der Hauptversammlung nach dem Aktienrechts-Änderungsgesetz 2009, GesRZ 2009, 217 [220]; Micheler in Doralt/ Nowotny/Kalss, AktG2 [2012] § 13 Rz 4 und 9; P. Bydlinski/F. Bydlinski, Formgebote, 11). Bedeutung hat die aktuelle Entscheidung allerdings für die §§ 113 f AktG, die die Möglichkeit vorsehen, dass der Aktionär sich in der Hauptversammlung durch eine andere Person vertreten lassen kann. § 114 AktG aF bestimmte diesbezüglich, dass für die Erteilung der Vollmacht zwingend die Schriftform notwendig sei. Mit Inkrafttreten des AktRÄG 2009 wurde eine Differenzierung eingeführt: Bei einer börsenotierten Gesellschaft ist zur Erteilung der Vollmacht immer die Textform ausreichend. Handelt es sich um eine nicht börsenotierte Gesellschaft, ist – sofern nicht durch die Satzung die Textform vereinbart wurde – grundsätzlich der Schriftform iSd § 886 ABGB nachzukommen (Bachner in Doralt/Nowotny/ Kalss, AktG2, § 114 Rz 6; S. Bydlinski/Potyka in Jabornegg/Strasser, AktG5 [2011] § 114 Rz 1). Dieses Erfordernis ist Ausdruck des Prinzips der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit bzw dient der effizienten Abwicklung der Hauptversammlung (S. Schmidt in Doralt/ Nowotny/Kalss, AktG [2003] § 114 Rz 38). Es sollen das Zustandekommen und der Inhalt bestimmter Verträge zur Vermeidung nachträglicher Streitigkeiten dokumentiert werden (Kalss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01, § 883 Rz 5; P. Bydlinski/F. Bydlinski, Formgebote, 3). Für § 114 AktG wird zur Wahrung des Prinzips der Rechtssicherheit – sofern nicht der Textform, sondern dem Schriftformgebot des § 886 ABGB nachzukommen ist – die Ansicht vertreten, dass die Vollmachtsurkunde physisch oder mittels elektronischer Signatur übermittelt werden muss (S. Schmidt in Doralt/ Nowotny/Kalss, AktG, § 114 Rz 37; Bachner in Doralt/Nowotny/ Kalss, AktG2, § 114 Rz 6; Grünwald, Gesellschaften im Cyberspace, in FS Krejci [2001] 625 [639]). Zu überlegen ist – abgesehen vom Dokumentationszweck –, ob auch das etwaige Fälschungsrisiko Teil der Rechtssicherheit sein soll (vgl Authentizitätsprinzip: Mankowski, JZ 2010, 664; Kalss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01, § 883 Rz 6/1). Sind der Dokumentationszweck und der Authentizitätszweck von der Rechtssicherheit erfasst, würde das Schriftlichkeitsgebot auf die Übermittlungsform einwirken. In diesem Fall wäre es gerechtfertigt, die Übermittlungsformen zu beschränken. Allerdings ist die Unterschrift iSd § 886 ABGB allein nicht ausreichend, um die Echtheit des Dokuments zu garantieren, da eigenhändige Unterschriften durch elektronische Bildbearbeitungen ersetzt werden können und eine gefälschte Urkunde als „Original“ versandt werden kann (für eine Erweiterung der elektronischen Übermittlungsformen P. Bydlinski/F. Bydlinski, Formgebote, 20). Das Schriftformgebot allein gewährleistet nicht die Echtheit des Dokuments. Das Schriftformgebot kann nicht den Authentizitätszweck mitumfassen. ISd rezenten Entscheidung ist auch hier die Zulassung elektronischer Übermittlungsformen zu bejahen.

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Judikatur Somit ist – wie in der rezenten Entscheidung des OGH – das Schriftformgebot des § 114 AktG von der eigentlichen Übermittlungsform zu unterscheiden. Die Schriftform verlangt die eigenhändige Unterschrift des vertretenen Aktionärs. Damit kommt der Aktionär der gesetzlichen Verpflichtung nach. Der daran anschließenden Übermittlung wird – abgesehen von der persönlichen Übergabe der Urkunde – durch eine eingescannte Urkunde per E-Mail oder per Telefax nachgekommen. Sofern hinsichtlich der Echtheit Zweifel bestehen, kann – so auch die aktuelle Entscheidung des OGH in Pkt I.11. Abs 3 – die Zusendung des Originaldokuments verlangt oder im Prozess die Echtheit des Dokuments überprüft werden (Brenn, ÖJZ 2013, 989; P. Bydlinski/F. Bydlinski, Formgebote, 19). Christopher Cach Dr. Christopher Cach ist Universitätsassistent am Institut für Zivil- und Unternehmensrecht der Wirtschaftsuniversität Wien. Derzeit ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter im Evidenzbüro des OGH.

Arbeitsrechtliche Fragen Auslegung des Begriffs „Arbeitnehmer“ im betriebsverfassungsrechtlichen Sinn § 36 Abs 2 Z 1 und §§ 105 ff ArbVG Ein Arbeitnehmer, der arbeitsvertraglich verpflichtet ist, als Geschäftsführer einer anderen Konzerngesellschaft mit selbständiger Entscheidungsbefugnis für die Belegschaft und für die Betriebsmittel die Betriebsführungsfunktion auszuüben, ist nicht Arbeitnehmer im betriebsverfassungsrechtlichen Sinn. OGH 24.7.2013, 9 ObA 79/13b (OLG Linz 11 Ra 13/13f; LG Linz 7 Cga 70/12t) Der Kläger war ab 1.10.1998 bei der A. Österreich als Standortleiter für den Standort Linz und in der Folge als Regionalleiter für die Region Ost tätig. Sein Aufgabengebiet umfasste die Unternehmensentwicklung für das Segment Entsorgung. Die Aktivitäten der A. Österreich weiteten sich auf Tschechien und Ungarn aus. Im Jahr 2004 wurden die A. Tschechien (in der Folge: A. CZ) und die A. Ungarn gegründet und der Kläger wurde zum Geschäftsführer der A. CZ bestellt. Für seine Tätigkeit bei der Wirtschaftskammer wurde dem Kläger von der A. Österreich auch Prokura erteilt, damit er als Vertreter in die Bundeswirtschaftskammer entsendet werden konnte. 2006 wurde die Beklagte als strategische Management-Holding gegründet. Alle die Entsorgung betreffenden Themen wurden gebündelt und gehörten zum Aufgabengebiet der Beklagten. Sie hatte zunächst einen und ab Juni 2010 einen zweiten Geschäftsführer. Sie ist in acht Ländern tätig. Die A. CZ ist eine 100%ige Tochtergesellschaft der Beklagten und nach Österreich der zweitwichtigste Standort. Sie beschäftigt rund 1.200 Mitarbeiter, ihr Umsatz betrug im Jahr 2011 etwas mehr als 140 Mio Euro. Das Dienstverhältnis des Klägers zur A. Österreich wurde mit 31.12.2007 einvernehmlich aufgelöst und mit der Beklagten ab 1.1.2008 ein neuer Dienstvertrag abgeschlossen. Darin ist ua festgelegt: „Der Dienstnehmer wird für die Unternehmensentwicklung innerhalb der A.-Gruppe eingestellt. Zu seiner Tätigkeit zählt unter anderem die Begleitung weiterer Expansionsschritte im Segment Entsorgung. Gleichzeitig erteilt der Dienstgeber die Beauftragung zur Ausübung der Geschäftsführertätigkeit bei der A. CZ. Diese Beauftragung kann jederzeit widerrufen werden, sie erlischt jedenfalls zum Zeitpunkt der Beendigung der Geschäftsführerfunktion, aus welchen Gründen immer diese erfolgt. Unter Berücksichtigung der Dienstverwendung werden Linz und Prag als Dienstorte festgelegt. Das Einsatzgebiet erstreckt sich neben Österreich auch auf Mittel- und Osteuropa. Der Dienstgeber behält sich das Recht vor, den Dienstnehmer sowohl in einer anderen Arbeitsstätte als auch in einer

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anderen, seiner Eignung entsprechenden Dienstverwendung zu beschäftigen. Der Dienstnehmer erklärt sich für den Bedarfsfall mit der Überlassung bzw dem Wechsel zu Beteiligungsunternehmen innerhalb des Konzerns der E. AG einverstanden. Der Dienstnehmer ist ab Aufforderung durch den Dienstgeber verpflichtet, Organfunktionen im Konzern- und Beteiligungsunternehmen im Konzern der E. AG zu übernehmen. Mit diesen Organfunktionen verbundene Abgeltungen fallen direkt dem Dienstgeber zu. Sollten zwingende ausländische Bestimmungen stattdessen eine Auszahlung dieser Abgeltung direkt an den Dienstnehmer erforderlich machen, so sind diese – gegebenenfalls nach erforderlicher steuerlicher Behandlung – an den Dienstgeber abzuführen.“ Bezüglich des Gehalts wurde vereinbart: „1. Als Vergütung für seine Dienstleistungen erhält der Dienstnehmer ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von 7.000 Euro, zahlbar im Nachhinein, 14-mal jährlich. Hinsichtlich des 13. und 14. Monatsgehalts gelten die Bestimmungen des § 11 des Rahmenkollektivvertrages für Angestellte im Handwerk und Gewerbe in der jeweils gültigen Fassung. 2. Für die Dauer der Geschäftsführerfunktion in der A. CZ wird Ihnen eine Funktionszulage in der Höhe von 1.762,24 Euro brutto pro Monat 14-mal jährlich gewährt. ... Es besteht Einvernehmen, dass mit der Inklusiventgeltvereinbarung sämtliche vom Dienstnehmer zu leistenden Überstunden, Mehrleistungen, Erreichbarkeiten etc abgegolten sind. Der Dienstgeber behält sich vor, jederzeit auf eine andere Art der Verrechnung umzusteigen. Die steuerliche Behandlung der Bezüge richtet sich nach den Bestimmungen des österreichischen Einkommensteuergesetzes (EStG), den steuerrechtlichen Vorschriften Tschechiens sowie des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Österreich und Tschechien (DBA). Aufgrund der Funktion für die A. CZ besteht gemäß DBA Steuerpflicht in Tschechien im Ausmaß der in Tschechien ausgeübten Tätigkeit. Es ist aus heutiger Sicht davon auszugehen, dass der Dienstnehmer 80 % (vier Tage pro Woche) seine Tätigkeit in Tschechien ausüben wird. Die Versteuerung des in Tschechien steuerpflichtigen Bezugsanteils (80 %) ist vom Dienstnehmer selbst durchzuführen. Der Dienstnehmer ist verpflichtet, dem Dienstgeber eine Kopie der ausländischen Steuererklärung sowie des dazugehörigen Steuerbescheids zu übermitteln. Die auf das Entgelt entfallenden sozialen Abgaben sowie die Steuern, welche auf den in Österreich zu versteuernden Anteil (auf 20 %) anfallen, werden entsprechend der österreichischen Gesetze, soweit sie vom Dienstnehmer zu tragen sind, im Abzugswege eingehoben. ...“ Am 1.6.2012 wurde der Kläger von der Beklagten entlassen und am 19.7.2012 eventualiter zum 30.11.2012 gekündigt. Der Kläger begehrt, die Entlassung und die Kündigung für rechtsunwirksam zu erklären; er habe keinen Entlassungsgrund gesetzt, die Kündigung sei aus einem verpönten Motiv erfolgt und sozialwidrig. Zur alleine rekursgegenständlichen Frage, ob ihm der arbeitsverfassungsrechtliche Entlassungs- und Kündigungsschutz zusteht, brachte er vor, Arbeitnehmer iSd § 36 ArbVG, jedoch kein leitender Angestellter gewesen zu sein, weil ihm kein maßgeblicher Einfluss auf die Führung des Betriebs der Beklagten zugestanden sei. Er habe zirka 20 % seiner Arbeitszeit neben seiner Tätigkeit für die A. CZ direkt im Dienst und unmittelbar für die Beklagte erbracht. So sei er in das Auswahlgremium des Assessment-Centers der E. AG und in das Kernteam zur Einrichtung einer A.-Akademie entsandt worden, er sollte das internationale Stoffstrommanagement innerhalb der A.-Gruppe neu organisieren und gemeinsam mit dem Leiter der Abteilung Controlling der Beklagten ein innerbetriebliches Reporting-System betreffend Kostenträger und strategische Geschäftsfelder (SGF) aufbauen. Er sei zu keinem Zeitpunkt Mitglied eines Vertretungsorgans der Beklagten gewesen. Ein gemeinsamer Betrieb der A. CZ und der Beklagten liege nicht vor. Die Beklagte wendete ein, der Kläger sei aufgrund seiner vielseitigen Organfunktionen in der Unternehmensgruppe der Beklagten, insb als handelsrechtlicher Geschäftsführer der A.CZ und als Aufsichtsratsmitglied der A. Ungarn, vom Anwendungsbereich des Betriebsverfassungsrechts ausgenommen. Zudem habe er während seiner Tätigkeit in der A. CZ keine Aufgaben im Betrieb der Beklagten ausgeführt, er sei daher im Betrieb der Beklagten nicht beschäftigt gewesen. Seine Arbeitsauslas-

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Judikatur tung als Geschäftsführer der A. CZ habe 100 % betragen. Die Tätigkeiten für die Beklagte seien allenfalls punktuell gewesen (A.-Akademie), ohne Verpflichtung aus dem Anstellungsvertrag erfolgt (internationales Stoffstrommanagement innerhalb der A.-Gruppe) oder von ihm als fachlich versierter Geschäftsführer der A. CZ wahrgenommen worden (Reporting-System, Tätigkeit bei der FEAD). Überdies sei eine einheitliche Leitung des Betriebs der Tochtergesellschaft vorgelegen: Die Beklagte sei für die strategische Ausrichtung der Tochtergesellschaft innerhalb des Konzerns verantwortlich, treffe auch im operativen Geschäft der A. CZ Entscheidungen und sei über deren Betrieb voll verfügungsberechtigt und somit gemeinsam mit ihr Betriebsinhaberin des Betriebs der A. CZ. Ihr Betriebsrat habe der eventualiter ausgesprochenen Kündigung auch ausdrücklich zugestimmt.  Das Erstgericht wies beide Klagebegehren ab. Es stellte zur Tätigkeit des Klägers nach dem Konzernübertritt noch fest: „Am Aufgabengebiet des Klägers änderte sich grundsätzlich nichts, er war nach wie vor Geschäftsführer der A. CZ. Aufgrund der starken Expansion ab 2004 bis 2012 erweiterte sich nur ständig das Aufgabengebiet. Die A. CZ wurde von zwei Geschäftsführern geführt, wobei neben dem Kläger, der den kaufmännischen und den technischen Bereich führte, ein tschechischer Kollege für Vertrieb und Marketing zuständig war. Es besteht ein Katalog betreffend von der Muttergesellschaft zustimmungspflichtigen Maßnahmen, wie die Aufnahme von leitenden Angestellten, Geschäftsführern und Prokuristen sowie Investitionen ab einem gewissen betragsmäßigen Ausmaß. Es besteht grundsätzlich ein enges Arbeitsverhältnis zwischen der Beklagten und den Ländergesellschaften. Bei Besprechungen mit Großkunden in den Ländern ist auch die Beklagte involviert. Der Passus im Dienstvertrag unter dem Punkt Gehalt, dass davon auszugehen sei, dass der Dienstnehmer 80 % seiner Tätigkeit in Tschechien ausüben werde und 20 % in Österreich, wurde aus sozialversicherungsrechtlichen Überlegungen gewählt, um eine Sozialversicherung des Klägers in Österreich zu ermöglichen. Tatsächlich war der Kläger grundsätzlich ausschließlich Geschäftsführer der A. CZ. Alle sechs bis acht Wochen fand ein sogenanntes ManagementJour fixe statt, an dem die Geschäftsführer der Ländergesellschaften sich mit den Geschäftsführern der Beklagten trafen, um Berichte und Zahlen auszutauschen. Das Gehalt erhielt der Kläger von der Beklagten ausbezahlt, davon wurde die A. CZ mit 80 % belastet. Der Kläger hatte einen Zugang zu einem Büro in Wien, um seine Funktion bei der Wirtschaftskammer ausüben zu können. Bei der Beklagten hatte der Kläger kein Büro, keinen Arbeitsplatz, keinen E-Mail-Account und er scheint auch nicht als Mitarbeiter in der Telefonliste auf, ebenso wie die anderen Geschäftsführer von Ländergesellschaften. Die Beklagte wird von den beiden Geschäftsführern geführt und weist von der Organisation drei Stabstellen auf. Der Geschäftsführung unterstehen vier Fachbereiche, nämlich Controlling, Technik, Marketing und Accounting/MA. Der Kläger war organisatorisch keinem dieser Bereiche zugeordnet. Mitarbeiter der Beklagten ziehen zu gewissen Schwerpunktthemen immer wieder die Geschäftsführer von Ländergesellschaften bei. Sie holen sich immer wieder deren Fachwissen aus der Praxis und es wurde hier auch der Kläger kontaktiert, um sein Fachwissen in einem bestimmten Bereich der Beklagten zur Verfügung zu stellen. Der Kläger nahm auch an einem Assessment-Center teil. Dies in seiner Funktion als Geschäftsführer der A. Im Konzern findet eine Jungakademikerausbildung statt und hier können auch die Ländergesellschaften ihren Bedarf anmelden. In diesem Zusammenhang sind dann auch die Geschäftsführer und in diesem Fall der Kläger bei der Auswahl geeigneter Kandidaten involviert. Der Kläger war neben seiner Tätigkeit in der Wirtschaftskammer auch bei der FEAD, einem Interessensverband des Europäischen Entsorgungsverbands, in Brüssel, tätig. Es war mit der Beklagten abgesprochen, dass der Kläger dorthin entsendet werden könne. Gelegentlich wurde der Kläger auch von den Geschäftsführern der Beklagten ersucht, zu Fachthemen Vorträge zu halten, wobei der Kläger dem auch nachkam. Zusammengefasst wurden für die Erarbeitung gewisser Themenschwerpunkte bzw Strategieschwerpunkte, die nicht nur die Beklagte, sondern auch die Ländergesellschaften betroffen haben, die Geschäftsführer dieser Ländergesellschaften eingebunden und in diesem Fall der Kläger. In diesem Zu-

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sammenhang befand er sich gelegentlich bei der Beklagten in Linz. Der Kläger hatte bei der Beklagten allerdings kein klar definiertes vorgegebenes Aufgabengebiet und war in die Organisation der Beklagten nicht eingebunden, erhielt von der Beklagten keinerlei Anweisungen und Vorgabe und hatte keine Anwesenheitspflicht in einem gewissen Ausmaß bei der Beklagten. Der Kläger war auch Aufsichtsratsmitglied bei der A. Ungarn, ohne aber aktiv in die Agenden eingebunden zu sein.“  Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und hob das Ersturteil zur Verfahrensergänzung auf.  Der OGH gab dem Rekurs der Beklagten nicht Folge.

Aus der Begründung des OGH: 1. Im Rekursverfahren ist nicht mehr strittig, dass die Beklagte und die A. CZ keinen einheitlichen Betrieb führen. Davon wäre aufgrund der organisatorischen und räumlichen Trennung der Gesellschaften und ihren unterschiedlichen Zwecksetzungen auch nicht auszugehen. 2. Die Kündigung und die Entlassung eines Arbeitnehmers unterliegen den im II. Teil des ArbVG („Betriebsverfassung“) geregelten Anfechtungsbestimmungen der §§ 105 ff ArbVG. Gem § 36 Abs 1 ArbVG sind Arbeitnehmer iSd II. Teils „alle im Rahmen eines Betriebes beschäftigten Personen einschließlich der Lehrlinge und der Heimarbeiter ohne Unterschied des Alters“. Gem § 36 Abs 2 ArbVG gelten nicht als Arbeitnehmer „1. in Betrieben einer juristischen Person die Mitglieder des Organs, das zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufen ist; 2. ... 3. leitende Angestellte, denen maßgebender Einfluß auf die Führung des Betriebes zusteht; ...“ Aus der Gesetzesstruktur geht hervor, dass es sich bei den in Abs 2 aufgezählten Personen um Ausnahmen von den von Abs 1 erfassten Arbeitnehmern handelt. Sofern ein Arbeitnehmer nicht unter die Generalklausel des Abs 1 fällt, kommt Abs 2 allenfalls deklarative Bedeutung zu (Strasser in Strasser/ Jabornegg/Resch, ArbVG, § 36 Rz 2), weil sich die Unanwendbarkeit des II. Teils insofern schon aus § 36 Abs 1 leg cit ergibt. Vor der Frage, ob der Kläger als Organmitglied oder als leitender Angestellter unter die Ausnahme des § 36 Abs 2 ArbVG fällt, ist daher zu prüfen, ob er die Kriterien des Arbeitnehmerbegriffs iSd § 36 Abs 1 ArbVG erfüllt. 3. Durch die Wortfolge „alle im Rahmen eines Betriebes beschäftigten Personen“ soll klargestellt werden, dass Arbeitnehmer, die zwar nicht im örtlich engeren Betriebsrahmen tätig sind, wohl aber organisatorisch und soziologisch der Belegschaft des Betriebs zuzuordnen sind, dieser auch rechtlich angehören (zB Windisch-Graetz in Neumayr/Reissner, ZellKomm II2, § 36 ArbVG Rz 4). Bezüglich entsandter (Auslands-)Mitarbeiter ist dabei jeweils zu prüfen, ob der betreffende Arbeitnehmer in einer so engen Beziehung zum Betrieb steht, dass er als dem Betrieb noch zugehörig zu betrachten ist und ob er ungeachtet seiner außerhalb der Betriebsstätte verrichteten Tätigkeit noch als Glied der betrieblichen Organisation gesehen werden kann (RIS-Justiz RS0107424; 9 ObA 54/09w [im Ausland tätiger Programmmanager]; Gahleitner in Preiss/Schneller, Arbeitsverfassungsrecht II2, § 36 Erl 1, S 297 f; Tomandl in Tomandl, ArbVG, § 36 Rz 10 mwN).

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Judikatur Die Zugehörigkeit zum Betrieb wird aber auch dann bejaht, wenn die wesentlichen Arbeitgeberfunktionen beim entsendenden Betrieb verbleiben (RIS-Justiz RS0029057; Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG, § 36 Rz 12; zur Maßgeblichkeit der Ausübung von Arbeitgeberbefugnissen vgl auch Risak in Mazal/Risak, Arbeitsrecht III, Rz 12; Gahleitner in Preiss/Schneller, aaO). 4. Speziell im Hinblick auf den arbeitsverfassungsrechtlichen Kündigungsschutz der §§ 105 ff ArbVG wurde bereits in der E 9 ObA 63/87 (überlassener und in den Betrieb des Beschäftigers integrierter Arbeitnehmer) klar zwischen der betrieblichen Zugehörigkeit des Arbeitnehmers zum Entleiherbetrieb und der arbeitsvertraglichen Bindung zum Verleiherbetrieb unterschieden und ausgesprochen, dass die aufgrund einer betrieblichen Integration gegebene arbeitsverfassungsrechtliche Qualifikation eines Arbeitnehmers als Arbeitnehmer des Beschäftigers iSd § 36 nichts daran ändert, dass die arbeitsvertraglichen Beziehungen zum Verleiherbetrieb aufrechtbleiben und damit der arbeitsvertragliche Arbeitgeber als Adressat des in § 105 Abs 1 und 2 ArbVG normierten Kündigungsschutzes anzusehen ist (siehe RIS-Justiz RS0050877; vgl dazu Schrank in Tomandl, ArbVG, § 105 Rz 3; zur Bedeutung der arbeitsvertraglichen Komponente bezüglich der Befugnisse der Belegschaftsvertretung siehe auch Trost in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG, § 105 Rz 72; Gahleitner, aaO, § 36 Erl 1, S 297; Tomandl in Tomandl, aaO, Rz 11). 5. Der Beklagten kamen auch nach Übernahme der Geschäftsführertätigkeit des Klägers bei der Tochtergesellschaft weiterhin die wesentlichen Arbeitgeberfunktionen zu (Entsendungsvorbehalt durch jederzeitige Widerrufbarkeit des Auftrags zur Ausübung der Geschäftsführertätigkeit durch die Beklagte; Recht der Beklagten, den Kläger auch andernorts oder für andere Organfunktionen in Konzernund Beteiligungsunternehmen im Konzern der E. AG einzusetzen; Lohnzahlung durch die Beklagte; Erholungsurlaub nach Maßgabe des UrlG [Beil. /A] ua). Nach der unter Pkt 3. genannten Rspr und Literatur ist daher davon auszugehen, dass der Kläger betriebsverfassungsrechtlich als „im Rahmen des Betriebes“ der Beklagten beschäftigter Arbeitnehmer iSd § 36 Abs 1 ArbVG anzusehen ist. Überdies ist nicht weiter zweifelhaft, dass die Entsendung nichts an der arbeitsvertraglichen Bindung des Klägers an die Beklagte änderte, wodurch diese nach der unter Pkt 4. genannten Rspr Adressat des in § 105 ArbVG normierten Kündigungsschutzes blieb. Beide Ansätze führen sohin dazu, dass dem Kläger nicht schon aufgrund seiner Entsendung zur Tochtergesellschaft der betriebsverfassungsrechtliche Kündigungsschutz gegenüber der Beklagten zu versagen wäre. 6. Damit stellt sich die Frage, ob der arbeitsvertragliche Arbeitgeber auch dann Anknüpfungspunkt für die Ausschlussgründe der § 36 Abs 2 ArbVG zu sein hat, wenn ein Arbeitnehmer nicht bei diesem Arbeitgeber selbst, sondern aufgrund arbeitsvertraglicher Verpflichtung bei einer anderen Konzerngesellschaft eine Organfunktion ausübt. 6.1. Allgemein liegt den Ausnahmen vom Arbeitnehmerbegriff der Gedanke zugrunde, dass Personen, die eher Arbeitgeber- als Arbeitnehmerstellung im Betrieb haben,

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nicht unter den Schutzbereich des ArbVG fallen sollen (Windisch-Graetz, aaO, Rz 10). Das ist bei einem Geschäftsführer zweifellos der Fall. Nicht anders wird als leitender Angestellter iSd § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG vor allem jener Arbeitnehmer definiert, der durch seine Position an der Seite des Arbeitgebers und durch Ausübung von Arbeitgeberfunktionen in einen Interessengegensatz zu anderen Arbeitnehmern geraten kann (RIS-Justiz RS0051002). Maßgeblich ist vor allem die Entscheidungsbefugnis im personellen Bereich, weil sie den Interessengegensatz zu den übrigen Belegschaftsmitgliedern bewirkt, der der Ausnahmebestimmung des § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG zugrunde liegt (RIS-Justiz RS0053034). 6.2. Zu 9 ObA 49/05d wurde es abgelehnt, alleine aufgrund der formalen Organstellung eines Arbeitnehmers der Muttergesellschaft bei der Tochtergesellschaft die Erfüllung des Ausnahmetatbestands des § 36 Abs 2 Z 1 ArbVG zu bejahen. Denn die Organstellung bei der Tochtergesellschaft besage nicht, dass dieser Arbeitnehmer – wie es für eine Qualifizierung als leitender Angestellter erforderlich wäre – im Arbeitgeberbetrieb eine dem Unternehmer vergleichbare Stellung innehabe, die es ihm ermögliche, durch Verfügungen in die Interessensphäre der Arbeitnehmer einzugreifen und wesentliche Unternehmensentscheidungen zu treffen. Jener Entscheidung lag die Konstellation eines faktisch einheitlichen Betriebs zugrunde (Mutter- und Tochtergesellschaft am gemeinsamem Standort; Betriebszweck der Tochtergesellschaft: Verrechnung der Bezüge der leitenden Angestellten und Anteilsverwaltung; Tochtergesellschaft ohne Beschäftigte und ohne eigene Betriebsmittel). Da die Tochtergesellschaft völlig unselbständig und überdies betriebsmittel-, belegschafts- und im Entscheidungsprozess bedeutungslos war, wurde der dort als Geschäftsführer der Tochtergesellschaft agierende Kläger nicht als Organ der Betriebsinhaberin angesehen. Die Entscheidung nahm sohin auf die – dort fehlende – materielle Ausgestaltung der Geschäftsführungsbefugnis eines Arbeitnehmers der Muttergesellschaft bei der Tochtergesellschaft Bedacht. 6.3. Ausgehend von einer solchen materiellen Betrachtung der Organstellung eines Geschäftsführers muss daher in jenem Fall, in dem ein Arbeitnehmer arbeitsvertraglich dazu verpflichtet ist, als Geschäftsführer einer anderen Konzerngesellschaft mit selbständiger Entscheidungsbefugnis für die Belegschaft und für die Betriebsmittel die Betriebsführungsfunktion auszuüben, eine solche Organstellung eines Arbeitnehmers aber sehr wohl als Ausschlussgrund iSd § 36 Abs 2 Z 1 ArbVG gewertet werden. Der tragende Grund liegt auch in einem solchen Fall darin, dass der Arbeitnehmer im Interesse seines Arbeitgebers – zwar nicht in dessen, jedoch in einem anderen Konzernbetrieb – unternehmerische Leitungsbefugnisse ausübt. Denn es würde einen Wertungswiderspruch bedeuten, wenn man einerseits die Stellung des Klägers bei der Beklagten als Arbeitnehmer der Beklagten im betriebsverfassungsrechtlichen Sinn deshalb bejaht, weil die Arbeitgeberfunktionen arbeitsvertraglich bei der Beklagten verbleiben, andererseits aber für die Beurteilung der Frage, ob der Kläger als Geschäftsführer Organfunktion iSd § 36 Abs 2 Z 1 ArbVG hat, nicht auf seine arbeitsvertraglichen Kompetenzen für die

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Judikatur Beklagte abstellen wollte. Da die arbeitsvertragliche Ausgestaltung der Befugnisse eines Arbeitnehmers insofern auch auf einen anderen Konzernteil ausstrahlen kann, ist es gerechtfertigt, für die Beurteilung des Ausnahmetatbestands nach § 36 Abs 2 Z 1 ArbVG auch auf jene Konzerngesellschaft abzustellen, in der der Arbeitnehmer auftragsgemäß die Geschäftsführungsfunktion wahrnimmt. 6.4. Unterstrichen werden diese Erwägungen dadurch, dass auch die Entwicklungen im Konzernbetriebsrecht und im europäischen Betriebsverfassungsrecht auf die Möglichkeit konzerngesellschaftsüberschreitender Interessengegensätze zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite Bedacht nehmen (§§ 88a ff, 189, 191 ff ArbVG). 6.5. Damit kommt es aber entscheidend auf die dem Kläger arbeitsvertraglich eingeräumten Befugnisse und die ihm innerhalb der Tochtergesellschaft zustehenden Entscheidungskompetenzen an. Käme ihm nach seinem Arbeitsvertrag dagegen faktisch keine Betriebsführungsfunktion bei einer Konzerngesellschaft zu, so hätte es bei seiner Arbeitnehmerstellung iSd § 36 Abs 1 ArbVG zu bleiben. IdZ könnte alleine der Umstand, dass gewisse Rechtsgeschäfte der Tochtergesellschaft der Genehmigungspflicht der Beklagten unterliegen, noch nicht dazu führen, dass die Leitungsfunktion des Klägers zu verneinen wäre. 7. Im Ergebnis erweist sich der Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts daher als zutreffend, weil dem Kläger der Kündigungsschutz der §§ 105 ArbVG nicht alleine aufgrund seiner formalen Organstellung bei der Tochtergesellschaft versagt werden kann, sondern geprüft werden muss, ob und inwieweit ihm mit der arbeitsvertraglichen Beauftragung zur Übernahme der Geschäftsführung der Tochtergesellschaft die tatsächliche Betriebsführungsbefugnis für diese übertragen war. Soweit das Berufungsgericht bezüglich der Stellung des Klägers in tatsächlicher Hinsicht einen Ergänzungsbedarf sieht, ist dem vom OGH nicht entgegenzutreten (Kodek in Rechberger, ZPO3, § 519 Rz 26 mwN ua). Anmerkung: 1.1. GmbH-Geschäftsführer können grundsätzlich Arbeitnehmer sein und unterliegen dann dem Arbeitsrecht (etwas anderes gilt dann, wenn sie auch Gesellschafter der GmbH sind und in der Generalversammlung [zumindest durch eine Sperrminorität] Weisungen an sich selbst verhindern können [OGH 17.10.2002, 8 ObA 68/02m]). Sie sind jedoch – ebenso wie leitende Angestellte, denen maßgebender Einfluss auf die Führung des Betriebs zusteht – vom II. Teil des ArbVG ausgenommen (§ 36 Abs 2 Z 1 und 3 ArbVG); also keine Arbeitnehmer im betriebsverfassungsrechtlichen Sinn. Daraus folgt insb, dass sie nicht vom allgemeinen Kündigungs- und Entlassungsschutz der §§ 105 ff ArbVG profitieren. In der besprechungsgegenständlichen Entscheidung hat der OGH die Frage beantwortet, ob GmbH-Geschäftsführer auch im Fall einer sog Drittanstellung vom Kündigungsschutz ausgenommen sind. 1.2. Bei Organen von juristischen Personen kann man zwei Rechtsverhältnisse unterscheiden: einerseits das gesellschaftsrechtliche Organverhältnis und andererseits das dienstvertragliche Anstellungsverhältnis. Bei der Drittanstellung stehen dem Organwalter in den beiden Rechtsverhältnissen unterschiedliche Personen gegenüber; die Organstellung besteht nicht beim vertraglichen Arbeitgeber, sondern bei einer anderen Gesellschaft (vgl allgemein zur Drittanstellung und ihrer Zulässigkeit Runggaldier/G. Schima,

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Manager Dienstverträge3 [2006] 14; Resch, Drittanstellung von Organpersonen und Arbeitsrecht, GesRZ 2005, 76; Mazal, Organmitglieder als überlassene Arbeitskräfte, ecolex 2001, 763). In der vorliegenden Entscheidung bestand ein Arbeitsvertrag zwischen dem Kläger und der Beklagten, einer Holding-Gesellschaft (= Überlasser). Der Kläger war jedoch insb als Geschäftsführer einer 100%igen Tochtergesellschaft der Beklagten (= Beschäftiger) tätig. Neben dieser Konstellation ist die GmbH & Co KG der häufigste Anwendungsfall der Drittanstellung in der österreichischen Praxis (Runggaldier/G. Schima, Manager Dienstverträge3, 15). 1.3. Der OGH kommt in seiner Entscheidung mit der hL zunächst zum Ergebnis, dass der Kläger trotz des Einsatzes in einer anderen Gesellschaft grundsätzlich Teil der Belegschaft seines vertraglichen Arbeitgebers, also der Holding-Gesellschaft, bleibe. In einem zweiten Schritt führt der OGH aus, unter welchen Voraussetzungen die Stellung als Geschäftsführer in einer anderen Gesellschaft zum Verlust der Qualifikation als betriebsverfassungsrechtlicher Arbeitnehmer führt. 2.1. Nach dem OGH kann die Ausnahmebestimmung des § 36 Abs 2 Z 1 ArbVG auch bei Organstellung in einem Tochterunternehmen erfüllt sein. Während es im „Normalfall“ jedoch nicht auf die konkreten Befugnisse des Organs ankommt, verlangt der OGH im Fall der Drittanstellung, dass dem Organ in der Tochtergesellschaft die „tatsächliche Betriebsführungsbefugnis“ übertragen ist. Neben dem formellen Element der Organstellung werden also zusätzlich noch als materielles Element die tatsächlichen Kompetenzen des Organs geprüft. In seiner Begründung beruft sich das Höchstgericht auf die Vorentscheidung vom 22.2.2006, 9 ObA 49/05d, ZAS 2007, 232 (Risak), in der sich der OGH ebenfalls mit dem Kündigungsschutz eines an eine Tochtergesellschaft überlassenen Geschäftsführers zu beschäftigen hatte. Der Sachverhalt der Vorentscheidung stellte allerdings insofern eine Besonderheit dar, als Mutter- und Tochterunternehmen in einem sog gemeinsamen Betrieb geführt wurden (dazu ausführlich Risak, ZAS 2007, 235 ff). Das Urteil enthält allerdings auch Aussagen zum Normalfall getrennter Betriebe: Zum einen geht der OGH offenbar davon aus, dass die Organstellung im Tochterunternehmen grundsätzlich nicht ausreicht, um die Ausnahme des § 36 Abs 2 Z 1 ArbVG in der Muttergesellschaft zu erfüllen. Zum anderen führt er aus, dass es zur Qualifikation als leitender Angestellter iSd § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG erforderlich sei, dass der Arbeitnehmer „im Arbeitgeberbetrieb“, also in der Muttergesellschaft, seinem vertraglichen Arbeitgeber, wesentlichen Einfluss habe. In seiner aktuellen Entscheidung unterstellt der OGH der Vorentscheidung eine dritte Aussage, nämlich, dass die fehlenden faktischen Befugnisse des Arbeitnehmers in der Einsatzgesellschaft das Erfüllen des Ausnahmetatbestands für Organe (Z 1) verhindert hätten. Diese Deutung ist aus zwei Gründen zweifelhaft: Erstens sind die Ausführungen zu den fehlenden Befugnissen nicht zu § 36 Abs 2 Z 1 ArbVG, sondern zu § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG ergangen, also zur Ausnahme von leitenden Angestellten. Zweitens stellt die Vorentscheidung dabei klar auf die unternehmergleiche Stellung des Arbeitnehmers „im Arbeitgeberbetrieb“ ab, also darauf, ob der Arbeitnehmer (auch) im Mutterunternehmen „wesentliche Unternehmensentscheidungen“ treffen kann. Ergänzend führt der OGH in seiner untersuchungsgegenständlichen Entscheidung aus, es entstünde ein „Wertungswiderspruch ..., wenn man einerseits die Stellung des Klägers bei der Beklagten als Arbeitnehmer der Beklagten im betriebsverfassungsrechtlichen Sinn deshalb bejaht, weil die Arbeitgeberfunktionen arbeitsvertraglich bei der Beklagten verbleiben, andererseits aber für die Beurteilung der Frage, ob der Kläger als Geschäftsführer Organfunktion iSd § 36 Abs 2 Z 1 ArbVG hat, nicht auf seine arbeitsvertraglichen Kompetenzen für die Beklagte abstellen wollte.“ Für den OGH steht also die vertragliche Verbindung im Vordergrund. Tatsächlich ist der Vertrag ausschlaggebend dafür, dass das Organ des Tochterunternehmens (insb hinsichtlich der Beendigung) weiterhin als Teil der Belegschaft der Muttergesellschaft angesehen würde. Dem liegt die Wertung zugrunde, dass nur der vertragliche Arbeitgeber, also die Muttergesell-

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Judikatur schaft, den Arbeitsvertrag beenden kann. Daher soll grundsätzlich auch „sein“ Betriebsrat, also der Betriebsrat der Muttergesellschaft, für die Beendigung zuständig sein. Der Arbeitnehmer muss daher bezüglich der Beendigung der von diesem vertretenen Belegschaft der Muttergesellschaft zugehören (vgl allgemein zu überlassenen Arbeitnehmern Geppert, Die gewerbsmäßig betriebene Arbeitskräfteüberlassung im Spannungsfeld von Verbot und Neuordnung [1977] 141). Weshalb diese Wertung für die Prüfung der Ausnahmebestimmungen des § 36 Abs 2 ArbVG ausschlaggebend sein soll, ist nicht ersichtlich. Zentral sind stattdessen die Wertungen der Ausnahmebestimmungen. Darauf hat Resch (GesRZ 2005, 76 ff) in seinem ausführlichen Aufsatz zum Thema, mit dem sich der OGH leider nicht auseinandergesetzt hat, hingewiesen. 2.2. Resch unterscheidet mehrere Fälle drittangestellter Geschäftsführer: Ist der Geschäftsführer auch auf eine „normale“, nicht leitende Angestelltenfunktion versetzbar, so sei die Ausnahme des § 36 Abs 2 Z 1 ArbVG nicht erfüllt. Andernfalls sei neuerlich zu differenzieren: Die Ausnahmebestimmung sei auch dann nicht erfüllt, wenn der Geschäftsführer neben seiner Organtätigkeit überwiegend als normaler Arbeitnehmer des Überlassers tätig werde. Im Ergebnis verneint Resch also nur dann die betriebsverfassungsrechtlich Arbeitnehmereigenschaft, wenn der Geschäftsführer einerseits nicht nebenbei auch „normaler“ Arbeitnehmer im Überlasserbetrieb ist und andererseits auch nicht auf einen solchen Arbeitsplatz versetzt werden kann. Nur solche Arbeitnehmer seien „interessenmäßig der AG-Seite zuzurechnen“. Nach dieser Lösung wäre im Anlassfall die Arbeitnehmereigenschaft möglicherweise zu bejahen gewesen. Nach dem im Verfahren festgestellten Vertragsinhalt hatte der Dienstgeber nämlich das Recht, „den Dienstnehmer ... auch in einer anderen, seiner Eignung entsprechenden Dienstverwendung zu beschäftigen“, also möglicherweise auch an einem „normalen“ Arbeitsplatz ohne Führungskompetenz. Resch spricht mit seiner Argumentation den wesentlichen Grund für die Ausnahme von Organen und leitenden Angestellten gem § 36 Abs 2 Z 1 und 3 ArbVG an: den Interessengegensatz zur Belegschaft. Der Belegschaft soll nicht zugemutet werden, ihren Kontrahenten gleichzeitig als Teil der Gemeinschaft anzuerkennen. Die Ausnahme soll die Unabhängigkeit der Willensbildung der Belegschaft von den Interessen des Gegenübers, also des Betriebsinhabers, absichern (Windisch-Graetz in Neumayr/Reissner, Zeller Kommentar zum Arbeitsrecht2 [2011] § 36 ArbVG Rz 14). Stellvertretend für die, soweit zu sehen, einhellige Ansicht in der Lehre (Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG, § 36 Rz 16 [zu leitenden Angestellten: „interessensmäßig eher auf der Seite der Betriebsführung“]; Windisch-Graetz in ZellKomm2, § 36 ArbVG Rz 10 und 13 [„Personen, die eher AG- als AN-Stellung im Betrieb haben, [sollen] nicht unter den Schutzbereich des ArbVG fallen“; zu leitenden Angestellten: „da sie, obwohl arbeitsvertragsrechtlich AN, den anderen AN gegenüber als Vertreter des Unternehmers, des AG, entgegentreten“]; Tomandl in Tomandl, ArbVG, § 36 Rz 17 [„Gegenüber der Belegschaft“]; Gahleitner in Cerny ua, Arbeitsverfassungsrecht II4 [2010] 302 ff [„eher Arbeitgeber- als Arbeitnehmerstellung“; zu Organen: „Interessengegensatz zur Belegschaft“; zu leitenden Angestellten: „Interessengegensatz zu den übrigen Arbeitnehmern“]) führt etwa Risak (in Mazal/Risak, Das Arbeitsrecht, Kap III Rz 14) aus: „Das Betriebsverfassungsrecht will allen in einem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern die Möglichkeit geben, durch die Errichtung von Organen ihre Interessen gegenüber dem Betriebsinhaber wahrzunehmen. Dazu ist es erforderlich, dass deren Interessen eine gewisse Homogenität aufweisen. Bei bestimmten Personengruppen nimmt der Gesetzgeber an, dass diese gleichartige Interessenausrichtung nicht vorliegt, weshalb er sie vom betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff ausnimmt.“ Diese Wertung ergibt sich auch aus den Materialien, in denen die Ausnahme damit begründet wird, dass Personen ausgenommen werden sollen, die zwar Arbeitnehmer sind, „deren Interessenlage jedoch erheblich anders gelagert ist“ (ErlRV 840 BlgNR 13. GP, 69). Auch die Materialien zur Vorgängerbestimmung des § 36 Abs 2 ArbVG, dem § 2 Abs 3 Betriebsrätegesetz 1947, begründen eine Ausnahme von „Direktoren und

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leitenden Angestellten“ damit, dass „diesen Personen in der Regel Unternehmerfunktionen zukommen und ihre Tätigkeit daher in die Interessenssphäre der übrigen Dienstnehmer eingreift“ (320 BlgNR 5. GP, 9, zitiert nach Tomandl, ArbVG, Vor § 36). Deutlich wird die zentrale Bedeutung des Interessengegensatzes schließlich auch bei der Definition des leitenden Angestellten. Nach dem Gesetzeswortlaut muss leitenden Angestellten „maßgebender Einfluß auf die Führung des Betriebes“ zustehen. Wie der OGH in der vorliegenden Entscheidung selbst ausführt, kommt es dabei nach der Rspr besonders auf eine Kompetenz im Personalbereich an, „weil sie den Interessengegensatz zu den übrigen Belegschaftsmitgliedern bewirkt, der der Ausnahmebestimmung des § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG zugrunde liegt.“ Im Ergebnis besteht also kein Zweifel daran, dass der sonst drohende Interessengegensatz der wesentliche Grund für die Ausnahmebestimmungen des § 36 Abs 2 Z 1 und 3 ArbVG ist. Was bedeutet diese Wertung nun aber für die Anwendung der Ausnahmebestimmungen auf drittangestellte Organe? Resch geht davon aus, dass ein Interessengegensatz trotz der Organtätigkeit in einem anderen Unternehmen grundsätzlich vorliegen kann. Er meint aber, dass er nur dann ausreichend groß ist, wenn der Geschäftsführer nicht zusätzlich auch als „normaler“ Arbeitnehmer im Mutterunternehmen tätig ist und auch nicht auf eine solche Tätigkeit versetzbar wäre. 2.3. Resch (GesRZ 2005, 80) räumt in seiner Stellungnahme ein, dass ein Argument generell gegen die Ausnahme bei Drittanstellung und damit auch seine Lösung spricht: Der Organwalter nehme nur die Interessen der Beschäftigergesellschaft und nicht die des Überlassers wahr. Übertragen auf den vorliegenden Sachverhalt bedeutet dies: Nur wegen seiner Geschäftsführertätigkeit im Tochterunternehmen muss der Kläger nicht automatisch auch im Mutterunternehmen interessenmäßig der Arbeitgeberseite zuzurechnen sein. Im vorliegenden Fall beschränkt sich die Tätigkeit des Klägers grundsätzlich auf das Tochterunternehmen. Klar ist, dass es durch diese Tätigkeit zu einem Interessengegensatz zur Belegschaft des Tochterunternehmens kommt. Demgegenüber wurde im Verfahren nicht festgestellt, dass der Kläger durch seine Geschäftsführertätigkeit im Tochterunternehmen die Belegschaft der Muttergesellschaft beeinflussen konnte. Vor diesem Hintergrund ist ein grundsätzlicher Interessengegensatz zwischen dem Kläger und dieser Belegschaft zu verneinen. Es ist anzunehmen, dass die Belegschaft des Mutterunternehmens den Kläger nicht als „Widersacher“ wahrnimmt, der Kläger gefährdet wohl auch nicht die Unabhängigkeit der Willensbildung dieser Belegschaft. Das Gegenargument von Resch, mit dem er seinen eigenen Einwand entkräften will, überzeugt nicht. Er beruft sich auf die besondere vertragliche Situation bei der Drittanstellung, die „die interessensmäßige Verflechtung mit dem Beschäftigerbetrieb und der Organstellung herstellt und die Ausnahme aus der Betriebsverfassung gebietet.“ Aus dem Gesellschaftsrecht wird von der hL nämlich abgeleitet, dass bei der Drittanstellung vom Überlasser kein Einfluss auf das Organ ausgeübt werden kann, der das Organisationsrecht des Beschäftigers überlagert. Diese Sonderstellung zeigt jedoch nur, dass die betroffene Person den Schutz durch den Betriebsrat vielleicht weniger nötig hat. Die mangelnde Schutzbedürftigkeit ist allerdings – anders als etwa beim Begriff des leitenden Angestellten des AZG (Pfeil in ZellKomm2, § 1 AZG Rz 24) – bei den Ausnahmen des § 36 Abs 2 ArbVG nicht relevant. Wie oben dargelegt wurde, zeigt die Rspr zum Begriff des leitenden Angestellten durch das Abstellen auf die Personalbefugnisse, dass es darauf ankommt, ob die in Frage stehenden Personen durch ihre Handlungen als Widerpart der Belegschaft wahrgenommen werden. Dies muss auch bei den Fällen der Drittanstellung beachtet werden. Zu fragen ist also, ob die Befugnisse des Arbeitnehmers so weitreichend sind, dass dadurch auch die Interessen der Belegschaft seines vertraglichen Arbeitgebers beeinflusst werden können. Es reicht nicht, wie der OGH zu fragen, ob dem Arbeitnehmer beim Beschäftiger tatsächlich eine „Betriebsführungsfunktion“ zukommt. Die faktischen Befugnisse in dem einen Unternehmen sagen näm-

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Judikatur lich nichts über den Interessengegensatz zur Belegschaft in einem anderen Unternehmen. Dies gilt auch dann, wenn ein Konzern vorliegt. Auch der OGH vermag dieses Argument in der vorliegenden Entscheidung nicht zu entkräften. Zwar weist er richtig darauf hin, dass das Betriebsverfassungsrecht auch von „konzerngesellschaftsüberschreitende[n] Interessengegensätze[n] zwischen Arbeitgeberund Arbeitnehmerseite“ ausgeht. Im Rahmen der Befugnisse der Belegschaft stellen diese Konflikte allerdings nur einen geringeren Anteil dar (vgl § 113 Abs 5 ArbVG, der die Kompetenzen der Konzernvertretung regelt) und sollten daher nicht für die Qualifikation als Arbeitnehmer ausschlaggebend sein. Im Ergebnis kann bei Drittanstellung uE kein grundsätzlicher Interessengegensatz zur Belegschaft des Überlassers festgestellt werden. Die betriebsverfassungsrechtliche Arbeitnehmereigenschaft sollte daher nur dann verneint werden, wenn die Person neben der Organstellung beim Beschäftiger auch als leitender Angestellter beim Überlasser zu qualifizieren ist. 3. Folgt man der Auffassung des OGH und überträgt sie auf konzerninterne Überlassungen von Arbeitnehmern ohne Organstellung, wird man zum Ergebnis gelangen, dass die Ausnahmebestimmung des § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG dann Anwendung findet, wenn dem Arbeitnehmer in der Einsatzgesellschaft tatsächlich Kompetenzen als leitender Angestellter zukommen. 4. Die Drittanstellung ist ein Fall der Arbeitskräfteüberlassung, sie unterliegt daher grundsätzlich dem AÜG (Resch, GesRZ 2005, 81). Eine Ausnahme für Organe oder leitende Angestellte kennt das AÜG nicht. Relevant könnte nur die teilweise Ausnahme bei konzerninterner Überlassung sein (§ 1 Abs 3 Z 4 AÜG). Diese Ausnahme ist allerdings auf vorübergehende Überlassungen beschränkt. Überlassungen, die länger als 13 Wochen (in den Materialien [ErlRV 1078 BlgNR 18. GP, 16] wird auf § 101 ArbVG verwiesen; vgl auch ErlRV 1076 BlgNR 24. GP, 10; aA Kreil, Arbeitsverhältnisse im Konzern [1996] 92; Sacherer in Sacherer/Schwarz, AÜG2 [2006] 91) dauern, sind nicht mehr erfasst. Bis zum LSDB-G (BGBl I 2011/24) waren außerdem Überlassungen von den §§ 10 bis 14 AÜG ausgenommen, die nicht als reglementiertes Gewerbe iSd GewO 1994 zu qualifizieren waren, also nicht gewerbsmäßige Überlassungen (vgl Sacherer in Sacherer/Schwarz, AÜG2, 99 f; auf diese Ausnahme macht iZm der Drittanstellung von Organpersonen Resch [GesRZ 2005, 81] aufmerksam). Mit dem Wegfall dieser Ausnahme ab dem 1.5.2011 unterliegen dauernd überlassene Geschäftsführer grundsätzlich auch den §§ 10 bis 14 AÜG. Davon könnte insb § 11 AÜG von Bedeutung sein, der bestimmte Vereinbarungen in den Arbeitsverträgen von überlassenen Arbeitnehmern untersagt. § 11 Abs 2 Z 4 AÜG erlaubt Befristungen des Arbeitsvertrages von überlassenen Arbeitnehmern nur aus sachlichem Grund. Unsachlich und daher unzulässig ist insb die Befristung für die Dauer der Überlassung. Vor diesem Hintergrund sind Koppelungsklauseln, also Klauseln, die den Anstellungsvertrag automatisch bei Verlust der Organstellung beenden wollen, bei Drittanstellung besonders kritisch zu sehen (vgl allgemein zur fraglichen Zulässigkeit von Koppelungsklauseln Mosler, Arbeitsrechtliche Aspekte der Beendigung des Anstellungsverhältnisses des Geschäftsführers einer GmbH, WBl 2002, 49; zu Vorstandsmitgliedern G. Schima, Vorstandsmitglieder – hoch bezahlte Dienstnehmer ohne rechtliche Absicherung? GesRZ 2011, 265 [276]). Hervorzuheben ist auch § 11 Abs 2 Z 6 AÜG, der Konventionalstrafen, Reugelder oder Einstellungsverbote verbietet, die den Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsvertrages in seiner Erwerbstätigkeit beschränken. Konkurrenzklauseln sind bei Drittanstellung daher unzulässig. Bei anderen Konventionalstrafen und Reugeldern verlangt § 11 Abs 3 AÜG allgemein eine Billigkeitsprüfung. Außerdem bürgt gem § 14 AÜG der Beschäftiger für das Entgelt der überlassenen Arbeitskraft. Felix Schörghofer / Paul Schörghofer Mag. Felix Schörghofer ist Universitätsassistent am Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Universität Wien. Dr. Paul Schörghofer, LL.M. (Harvard) ist Rechtsanwalt in Wien.

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Privatstiftung Unvereinbarkeit bei aufsichtsratsähnlichem Beirat § 14 Abs 2, §§ 15, 23 Abs 2, § 25 Abs 1 und § 27 PSG 1. Die Unvereinbarkeitsbestimmung des § 23 Abs 2 Satz 2 PSG ist auch auf einen aufsichtsratsähnlichen Stiftungsbeirat anzuwenden. Daran hat sich durch die Novellierung des PSG durch das Budgetbegleitgesetz 2011 nichts geändert. 2. Ein Stiftungsbeirat ist aufsichtsratsähnlich, wenn diesem umfassende Zustimmungsvorbehalte zu bestimmten Rechtsgeschäften der Privatstiftung sowie eine Vergütungskompetenz zukommen. Damit reichen seine Einflussmöglichkeiten über eine bloße Kontroll- und Beratungsfunktion weit hinaus und verschaffen ihm einen maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung des Stiftungsvorstands. 3. Soweit die Stiftungsurkunde das Abberufungsrecht eines nur aus Begünstigten bestehenden Stiftungsbeirats gegenüber dem Stiftungsvorstand nicht auf die Abberufungsgründe des § 27 Abs 2 Z 1 bis 3 PSG beschränkt, liegt darin ein Widerspruch zu § 14 Abs 4 PSG. 4. Ist die Festlegung der Begünstigten und der Höhe der Ausschüttungen an die Zustimmung eines nur mit Begünstigten besetzten Stiftungsbeirates gebunden, verstößt dies gegen die von den Gesetzesmaterialien als Gründe für die Unvereinbarkeitsregelung des § 15 Abs 2 PSG angeführte „Objektivität des Stiftungsvorstands bei der Vollziehung der Begünstigtenregelung“ und die Vermeidung von Kollisionen. OGH 9.9.2013, 6 Ob 139/13d (OLG Linz 6 R 91/13i; LG Linz 29 Fr 125/13i) Mit Stiftungsurkunde vom 7.7.2000 errichteten der Erst- und die Zweitstifterin gemeinsam mit weiteren fünf Familienmitgliedern, darunter zwei Minderjährigen, vertreten durch einen Kollisionskurator, die C. Privatstiftung. Stiftungszweck ist die Sicherung des Fortbestands und der Weiterentwicklung der mit der Stiftung verbundenen Unternehmen, der Verwaltung des der Stiftung gewidmeten Vermögens und der Ausstattung und Unterstützung des Lebensunterhalts der Begünstigten. Begünstigte sind nach Art V 5.1. der Erst- und die Zweitstifterin; überdies bestimmen die Stifter anlässlich der Errichtung der Stiftung oder zu einem späteren Zeitpunkt den Begünstigtenkreis. Nach Art VII 7.24.2. setzt sich der Stiftungsbeirat aus dem Erst- und der Zweitstifterin zusammen. Gem Art XIV 14.2. können die Stiftungsurkunde und die Stiftungszusatzurkunde durch den Erststifter alleine ergänzt und/oder geändert werden. Am 27.12.2012 beschloss der Erststifter eine Änderung der Stiftungsurkunde in Art II, Art III 3.1. lit g, Art VII 7.1.1., 7.1.11., 7.1.13., 7.2.1., 7.3., 7.4.1., 7.4.2., 7.4.3., 7.4.12., 7.4.13., 7.4.16. und 7.4.17. sowie Art XIV 14.2. und 14.4.. Nach Art VII 7.4.3. der geänderten Stiftungsurkunde soll dem Beirat das Recht eingeräumt werden, Vorstandsmitglieder aus Gründen des § 27 PSG, und zwar wenn dies die Stiftungserklärung vorsieht oder sonst ein wichtiger Grund vorliegt, mit der gem § 14 Abs 3 PSG erforderlichen Mehrheit abzuberufen. Nach Art VII 7.1.13. soll die den Vorstandsmitgliedern zuerkannte Vergütung nach Ausscheiden des letzten zur Änderung der Stiftungserklärung berechtigten Stifters vom Beirat festgelegt werden. Ferner soll Art VII 7.4.12. dem Beirat weitreichende Zustimmungsvorbehalte (ua betreffend bestimmte Rechtsgeschäfte oder die Bestellung von Begünstigten und die Vornahme von Ausschüttungen an diese) einräumen. Im Einzelnen ist die Zustimmung des Beirats in folgenden Fällen erforderlich: „a) Gewährung oder Aufnahme von Krediten und/oder Darlehen aller Art; b) Kauf, Veräußerung und Belastung von Liegenschaften; c) Übernahme von Haftungen und Belastung des Stiftungsvermögens;

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Judikatur d) vom Stiftungsvorstand an den Beirat herangetragene Angelegenheiten; e) Erteilung von Steuerberatungs-/-vertretungsmandaten, von Buchhaltungs- oder von Rechtsberatungs-/-vertretungsmandaten an einzelne Mitglieder des Stiftungsvorstandes, wobei erforderlichenfalls auch die Zustimmung des Gerichts im Sinne des § 17 Abs 5 PSG einzuholen ist; f) die Bestellung des Vorsitzenden des Vorstandes sowie Rechtsgeschäfte zwischen der Stiftung und einem Mitglied des Stiftungsvorstandes (wobei in letzterem Fall zusätzlich die Zustimmung aller Vorstandsmitglieder sowie des Gerichtes erforderlich ist); g) Entscheidung über Ausscheiden von im Unternehmen der J. W.Gruppe tätigen Deszendenten nach ... [Erststifter], wobei Voraussetzung für ein solches Ausscheiden ist, dass hierfür ein wichtiger Grund vorliegt; h) Bestellung von Begünstigten und Vornahme von Ausschüttungen an Begünstigte; i) Veräußerung oder Belastung von Gesellschafts- oder Unternehmensbeteiligungen (des Unternehmens oder von Unternehmensteilen); j) nominelle und ordentliche Kapitalerhöhungen bei verbundenen Unternehmen; k) Kauf von Anteilen an Gesellschaften oder Unternehmen; l) Änderung der Stiftungsurkunde und Stiftungszusatzurkunde; m) Auflösung der Stiftung und Bestellung von Letztbegünstigten.“  Das Erstgericht wies nach Durchführung eines Verbesserungsverfahrens den Antrag auf Eintragung von Änderungen der Stiftungsurkunde und der Stiftungszusatzurkunde ab.  Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung.  Der OGH gab dem Revisionsrekurs der Privatstiftung nicht Folge.

Aus der Begründung des OGH: 1. und 2. ... 3.1. Nach § 14 Abs 1 PSG sind der Stiftungsvorstand, der Stiftungsprüfer und gegebenenfalls der Aufsichtsrat Organe der Privatstiftung. § 14 Abs 2 PSG räumt dem Stifter die Möglichkeit ein, weitere Organe zur Wahrung des Stiftungszwecks vorzusehen. 3.2. Begünstigte oder deren Angehörige können weder Mitglieder des Stiftungsorgans sein (§ 15 Abs 2 PSG) noch die Mehrheit der Aufsichtsratsmitglieder stellen (§ 23 Abs 2 PSG). Dies gilt auch für Personen, die vom Begünstigten oder deren Angehörigen mit der Wahrnehmung ihrer Interessen im betreffenden Organ beauftragt wurden (§ 15 Abs 3a, § 23 Abs 2 letzter Satz PSG). Mit diesen Unvereinbarkeitsbestimmungen soll den kollidierenden Interessen der Begünstigten einerseits und der Stiftung an der Verwirklichung des Stifterwillens andererseits vorgebeugt werden (6 Ob 39/97x SZ 70/92). 4.1. Die Unvereinbarkeitsbestimmung des § 23 Abs 2 Satz 2 PSG ist auch auf einen aufsichtsratsähnlichen Beirat anzuwenden (6 Ob 42/09h). 4.2. Diese Rspr geht auf die Judikatur zum Entsendungsrecht der Belegschaft in den Aufsichtsrat zurück. Der OGH hat in der E 9 ObA 130/05s (SZ 2006/138) die Anwendung der für den Aufsichtsrat geltenden Vorschriften auf aufsichtsratsähnliche, wenn auch anders bezeichnete Organe bejaht (zur Parallele zwischen der arbeitsrechtlichen und der stiftungsrechtlichen Judikatur vgl auch Karollus, JBl 2011, 331 mwN). 4.3. Nach stRspr ist die Einrichtung eines nur oder mehrheitlich mit Begünstigten besetzten Beirats einer Privatstiftung außerdem unzulässig, wenn diesem die Befugnis zur Abberufung von Mitgliedern des Stiftungsvorstands ohne Beschrän-

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kung auf einen wichtigen Grund oder die Bestimmung von Vergütungen für den Stiftungsvorstand zukommt (RIS-Justiz RS0107655; 6 Ob 39/97x; 6 Ob 42/09h; 6 Ob 195/10k ua). 4.4. Der OGH hat bereits ausgesprochen, dass den Gesetzesmaterialien zu § 15 Abs 2 PSG zwar zu entnehmen ist, dass der Stifter, will er dem Begünstigten eine besondere Funktion in der Stiftung einräumen, einen Beirat mit kontrollierender oder sogar bis zu einem gewissen Grad auch weisungsgebender Funktion einrichten kann. Diese Grenze wurde jedoch etwa als überschritten angesehen, wenn dem Beirat die Abberufung von Vorstandsmitgliedern aus „wichtigem“ Grund oblag, die Abberufung des Vorstands an seine Zustimmung gebunden war, ihm weitreichende Kontrollmöglichkeiten einschließlich eines Weisungsrechts gegenüber dem Stiftungsprüfer, Zustimmungsrechte bei der Verwaltung des Stiftungsvermögens durch den Stiftungsvorstand und bei der Bestimmung der Begünstigten sowie des Umfangs der an diese zu erbringenden Leistungen zukamen (6 Ob 42/09h; vgl auch RIS-Justiz RS0107655). 4.5. Nach Csoklich (Folgen der OGH-Entscheidung zum Begünstigteneinfluss beim aufsichtsratsgleichen Beirat, PSR 2010, 4) ist die Auffassung, eine Aufsichtsratsähnlichkeit eines Beirats einer Privatstiftung schon bei geringeren Kompetenzen, als sie etwa einem Aufsichtsrat einer AG zukommen, anzunehmen, konsequent, weil die im PSG für den Aufsichtsrat vorgesehenen (Mindest-)Kompetenzen geringer sind als im Aktienrecht (Csoklich, aaO, 18). Nach § 25 Abs 1 PSG kamen dem Aufsichtsrat lediglich sehr allgemein gehalten die Überwachung der Geschäftsführung und der Gebarung der Privatstiftung sowie die Vertretung der Privatstiftung bei der Vornahme von Rechtsgeschäften mit den Vorstandsmitgliedern zu; zur effektiven Wahrnehmung dieser (geringen) Kompetenzen werde hinsichtlich des Auskunfts- und Einsichtsrechts auf die Bestimmungen des § 95 Abs 2 und 3 AktG sowie hinsichtlich des Zustimmungsvorbehalts für bestimmte Geschäftsführungsmaßnahmen auf § 95 Abs 5 Z 1, 2 und 4 bis 6 AktG verwiesen. Das etwa für den Aufsichtsrat der AG charakteristische Recht zur Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern zähle nicht zu den vom PSG dem Aufsichtsrat zugewiesenen Kompetenzen. Nach der „Beirats-Entscheidung“ sei daher jeder Beirat, dem zumindest jene Kompetenzen zukommen, die nach § 25 Abs 1 PSG einem Aufsichtsrat zugedacht sind, aufsichtsratsgleich. Dass die Aufsichtsratsgleichheit eines Beirats an mehr Kompetenzen geknüpft werde als an jene, die kraft Gesetzes einem Aufsichtsrat nach PSG als Mindestkompetenz zugewiesen seien, lasse sich der Entscheidung nicht entnehmen. 4.6. Csoklich hat auch darauf hingewiesen, dass es nicht nur um die „Aufsichtsratsähnlichkeit“ des Beirats, sondern auch um dessen „Vorstandsähnlichkeit“ gehe, also die Frage, inwieweit einem Beirat Vorstandsfunktionen übertragen werden können bzw inwieweit der Vorstand durch Kompetenzen eines anderen Organs in seiner Funktion eingeschränkt werden darf, also letztlich um die Frage, ab wann eine – nach hA unzulässige – „Degradierung zu einem bloßen Vollzugsorgan“ (vgl 6 Ob 60/01v; Arnold, PSG3, § 14 Rz 30 mwN) vorliege (Csoklich, aaO, 7). Gehe man von diesem Argumentationsansatz aus, dann gehe es gar nicht um die Frage, ob und in wel-

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Judikatur chem Ausmaß (aktuell) Begünstigte in einem Beirat vertreten sein dürften (denn eine solche „Degradierung“ des Vorstands sei stets unzulässig, auch wenn sie durch Nicht-Begünstigte erfolge), sondern ausschließlich um die Frage, welche Mindestkompetenzen dem Vorstand zu verbleiben hätten bzw ab welchen Einflussrechten des Beirats die – gesetzlich ohne Zweifel vorgesehene – Unabhängigkeit des Vorstands nicht mehr in ausreichendem Maße gewährleistet sei. 5.1. An diesen Grundsätzen hat sich durch die Novellierung des PSG durch das Budgetbegleitgesetz 2011 (BBG 2011) nichts geändert. Der erkennende Senat hat bereits ausgesprochen, dass nicht angenommen werden kann, dass durch eine derartige, ohne breite Diskussion erlassene punktuelle Regelung in einem Sammelgesetz leitende Grundsätze des Privatstiftungsrechts aufgegeben werden sollten (6 Ob 195/10k). Weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, dass der Gesetzgeber bei Erlassung des BBG 2011 die vom historischen Gesetzgeber beabsichtigte Trennlinie zwischen Begünstigten und Vorstand beseitigen und die Struktur des österreichischen Privatstiftungsrechts in ein anderes System überführen wollte (6 Ob 195/10k). 5.2. Nach § 14 Abs 3 PSG idF BBG 2011 können nunmehr Begünstigte in einem Beirat an der Entscheidung über die Abberufung des Stiftungsvorstands mitwirken. Für derartige Entscheidungen ist eine Mehrheit von mindestens drei Viertel der abgegebenen Stimmen erforderlich; hat das Organ weniger als vier Mitglieder, so ist Stimmeneinhelligkeit erforderlich (Abs 3). Soll in einem solchen Fall der Stiftungsvorstand oder eines seiner Mitglieder aus anderen als den in § 27 Abs 2 Z 1 bis 3 PSG angeführten Gründen abberufen werden, so darf Begünstigten, deren Angehörigen (§ 15 Abs 2 PSG) und Personen, die von Begünstigten oder deren Angehörigen mit der Wahrnehmung ihrer Interessen im Beirat beauftragt wurden, bei dieser Entscheidung insgesamt nicht die Mehrheit der Stimmrechte zustehen (Abs 4). 5.3. Zu Zustimmungsvorbehalten des Beirats enthalten die Gesetzesmaterialien zum BBG 2011 lediglich die Aussage, dass einem auch mit Begünstigten besetzten Beirat das Recht zur Bestellung des Stiftungsvorstands eingeräumt werden und Zustimmungsrechte vorbehalten werden können (981 BlgNR 24. GP, 269). Über Art und Umfang der dem Gesetzgeber hier vorschwebenden Zustimmungsrechte ist den Materialien hingegen nichts Näheres zu entnehmen. 5.4. Dazu kommt, dass die Unvereinbarkeitsregel nach § 23 Abs 2 PSG durch das BBG 2011 nicht beseitigt, sondern umgekehrt – nach dem Vorbild des gleichfalls erst durch das BBG 2011 eingeführten § 15 Abs 3a PSG – in Anlehnung an die Judikatur des OGH (vgl 6 Ob 145/09s) um „Beauftragte“ von Begünstigten erweitert wurde. 6.1. Der erkennende Senat hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass sich die Frage, ob ein Beirat als weiteres Organ iSd § 14 Abs 2 PSG ein dem Aufsichtsrat vergleichbares Organ ist, vorrangig nach dem in § 25 Abs 1 PSG dem Aufsichtsrat zugewiesenen Aufgabenkreis, der den Kern der – erweiterbaren, aber nicht entziehbaren – Kompetenzen des Aufsichtsrats umschreibt, bestimmt (6 Ob 49/07k; 6 Ob 50/07g; 6 Ob 42/09h). Im vorliegenden Fall sieht die geänderte Stif-

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tungsurkunde in Art VII 7.4.12. ua umfassende Zustimmungserfordernisse des Beirats zu bestimmten Rechtsgeschäften der Privatstiftung vor, die in ihrer Gesamtheit weitgehend den Aufgaben des Aufsichtsrats nach § 25 Abs 1 PSG iVm § 95 Abs 5 Z 1, 2, 4, 5 und 6 AktG gleichkommen, wie: lit a) Gewährung oder Aufnahme von Krediten und/oder Darlehen aller Art (§ 95 Abs 5 Z 5 und 6 AktG); lit b) Kauf, Veräußerung und Belastung des Stiftungsvermögens (§ 95 Abs 5 Z 2 AktG); lit c) Übernahme von Haftungen und Belastungen des Stiftungsvermögens (§ 95 Abs 5 Z 5); lit i) Veräußerung oder Belastung von Gesellschafts- oder Unternehmensbeteiligungen (des Unternehmens oder von Unternehmensteilen) und lit k) Kauf von Anteilen an Gesellschaften oder Unternehmen (§ 95 Abs 5 Z 1). 6.3. Zusätzlich sieht Art VII 7.1.13. eine Vergütungskompetenz des Beirats vor. Demnach wird eine den Vorstandsmitgliedern zuerkannte Vergütung vom Beirat festgelegt, sofern kein zur Änderung der Stiftungserklärung berechtigter Stifter mehr vorhanden ist. 6.4. Damit reichen aber die Einflussmöglichkeiten des Beirats über eine bloße Kontroll- und Beratungsfunktion weit hinaus und verschaffen dem Beirat einen maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung des Stiftungsvorstands insofern, als ihm das Einlegen eines Vetos bei bestimmten Rechtsgeschäften die Möglichkeit eröffnet, den Stiftungsvorstand in seinen Entscheidungen zu lenken. Nach dem Ableben des Erststifters kommt dem Beirat zudem die Befugnis zur Bestimmung der Vergütung des Vorstands zu (vgl 6 Ob 39/97x). Zusammenfassend ist daher von einem aufsichtsratsähnlichen Beirat auszugehen. 7. Soweit sich die in lit e und lit f vorgesehenen Zustimmungserfordernisse auf Rechtsgeschäfte zwischen der Stiftung und einem Mitglied des Stiftungsvorstands beziehen, hat schon das Rekursgericht zutreffend auf die zwingend dem Aufsichtsrat zustehende Kompetenz nach § 25 Abs 3 PSG hingewiesen. Demnach vertritt der Aufsichtsrat die Privatstiftung bei Rechtsgeschäften mit den Vorstandsmitgliedern. Sollte kein Aufsichtsrat eingerichtet sein, so bedürfen derartige Rechtsgeschäfte der Zustimmung aller übrigen Mitglieder des Stiftungsvorstands und des Gerichts (§ 17 Abs 5 PSG). Auf ein anderes Organ kann diese Kompetenz hingegen nicht übertragen werden (Zollner, Die eigennützige Privatstiftung aus dem Blickwinkel der Stiftungsbeteiligten, 356 f). 8. Zutreffend hat schon das Rekursgericht zudem darauf hingewiesen, dass, soweit Art VII 7.4.3. der geänderten Stiftungsurkunde ein generelles Recht des Beirats zur Abberufung von Vorstandsmitgliedern aus Gründen des § 27 PSG vorsieht, dies zu weitreichend ist. Den Materialien zum BBG 2011 ist zu entnehmen, dass in der Stiftungsurkunde dafür vorgesorgt werden muss, dass bei Entscheidungen über eine Abberufung aus anderen als den in § 27 Abs 2 Z 1 bis 3 PSG angeführten Gründen Begünstigten, Angehörigen von Begünstigten oder von Begünstigten oder Angehörigen mit der Wahrnehmung ihrer Interessen beauftragter Personen nicht mehr als die Hälfte der Stimmen zukommt (981 BlgNR 24. GP, 68). Soweit

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Judikatur die geänderte Stiftungsurkunde demgegenüber das Abberufungsrecht des derzeit nur aus Begünstigten bestehenden Stiftungsbeirats gegenüber dem Stiftungsvorstand nicht auf die Abberufungsgründe des § 27 Abs 2 Z 1 bis 3 PSG beschränkt, liegt darin daher ein Widerspruch zu § 14 Abs 4 PSG. 9.1. Der Vollständigkeit halber ist schließlich darauf zu verweisen, dass die Stiftungsurkunde in der geänderten Fassung auch insoweit unzulässig ist, als darin die Zustimmung des – derzeit ausschließlich aus Begünstigten bestehenden – Beirats auch für die Bestellung von Begünstigten und Vornahme von Ausschüttungen an Begünstigte erforderlich ist. 9.2. In der Literatur wird – soweit ersichtlich – nur die Konstellation erörtert, dass die für die Bestimmung der Begünstigten zuständige „Stelle“ iSd § 9 Abs 1 Z 3 PSG mit Begünstigten besetzt ist (Arnold, PSG3, § 5 Rz 45). Für diesen Fall wurde in der Literatur die analoge Anwendung der Stimmverbote des § 39 Abs 4 GmbHG vorgeschlagen (Löffler in Doralt/Nowotny/ Kalss, PSG, § 15 Rz 15). Nach anderer Ansicht ist die Entscheidung der Stelle in diesem Fall unwirksam (Größ in Doralt/ Kalss, Aktuelle Fragen des Privatstiftungsrechts, 221 ff). Arnold (aaO) hält eine Selbstbegünstigung der Stelle hingegen für prinzipiell zulässig; der Stiftungsvorstand sei an eine diesbezügliche Entscheidung der Stelle jedoch nur gebunden, soweit diese nicht dem Stiftungszweck zuwiderlaufe. 9.3. Im vorliegenden Fall sind die Begünstigten nicht selbst „Stelle“ iSd § 9 Abs 1 Z 3 zur Festlegung der Begünstigten, sondern die Festlegung der Begünstigten und der Höhe der Ausschüttungen ist an ihre Zustimmung gebunden. Damit können die Begünstigten über ihre eigene Begünstigtenstellung und die Höhe der an sie zu erfolgenden Zuwendungen (mit)entscheiden. Damit verstößt diese Regelung aber geradezu eklatant gegen die von den Gesetzesmaterialien als Gründe für die Unvereinbarkeitsregelung des § 15 Abs 2 PSG angeführte „Objektivität des Stiftungsvorstands bei der Vollziehung der Begünstigtenregelung“ und die Vermeidung von Kollisionen. Auch die Annahme eines bloßen Stimmverbots iSd § 39 Abs 4 GmbHG würde hier nicht weiterhelfen, könnte doch der ausschließlich aus – miteinander verheirateten – Begünstigten bestehende Beirat doch niemals wirksam die Zustimmung zur Ausschüttung an die Mitglieder des Beirats erteilen. Auch der Ansatz von Arnold hilft jedenfalls im vorliegenden Fall nicht weiter. Der Vorstand ist dann kein geeignetes Korrektiv gegen missbräuchliches Vorgehen, wenn es nicht darum geht, ob er die Entscheidungen der Stelle iSd § 9 Abs 1 Z 3 PSG umsetzt, sondern seine eigene Entscheidung der Zustimmung des ausschließlich aus Begünstigten bestehenden Beirats bedarf. Anmerkung: 1. Mit dieser Entscheidung hält der OGH – trotz der Änderung des PSG durch das BBG 2011 – an seiner Rspr fest, dass § 23 Abs 2 Satz 2 PSG, wonach Begünstigte oder deren Angehörige (bzw Beauftragte dieser Personen) nicht die Mehrheit der Aufsichtsratsmitglieder stellen dürfen, auf einen aufsichtsratsähnlichen Stiftungsbeirat analog anzuwenden ist. Die Aufsichtsratsähnlichkeit wurde im Entscheidungsfall vor allem darauf gestützt, dass die Stiftungserklärung einen Katalog von Geschäften vorsah, welche der Zustimmung des Stiftungsbeirats bedurften. Weiters wurde dem Umstand Bedeutung beigemessen, dass der Stiftungsbeirat auch die Kompetenz hatte, die Vergütung des Stiftungsvorstands festzulegen.

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Mit dieser Entscheidung setzt sich die Rspr des 6. Senates des OGH fort, welche einem begünstigtendominierten Stiftungsbeirat seit jeher kritisch gegenüberstand. Nach der Novelle des PSG durch das BBG 2011 (im Folgenden kurz: PSG-Novelle) bestand die Hoffnung, dass der OGH diese „begünstigtenfeindliche“ Rspr aufgibt. In der sog Beirats-Entscheidung vom 5.8.2009, 6 Ob 42/09h, wurde die Aufsichtsratsähnlichkeit eines Stiftungsbeirats, dem das Recht zur Bestellung und das auf wichtige Gründe eingeschränkte Recht zur Abberufung der Vorstandsmitglieder zukamen, vor allem darauf gestützt, dass auch einem Aufsichtsrat die Bestellung und Abberufung des Vorstands übertragen werden kann. Der Aufsichtsrat dürfe „aber nicht mehrheitlich mit Begünstigten besetzt werden; diese zwingende gesetzliche Anordnung wäre obsolet, wenn anstelle des Aufsichtsrats ein Beirat mit diesen Befugnissen installiert und zur Gänze mit Begünstigten besetzt werden könnte.“ Dieser Judikatur wurde mit der PSG-Novelle der Boden entzogen (R. Briem, Die Novelle zum Privatstiftungsgesetz, PSR 2011, 6 [8]). Nach überwiegender Auffassung war aus der PSG-Novelle abzuleiten, dass ein Katalog von wichtigen Maßnahmen statuiert werden darf, welche der Zustimmung eines begünstigtendominierten Beirats bedürfen (siehe die Nachweise bei N. Arnold, PSG3 [2007] § 14 Rz 76 f). Zentrales Argument für diese Auffassung ist, dass der Gesetzgeber mit der PSG-Novelle auf die sog Beirats-Entscheidung und die sog Berater-Entscheidung (OGH 16.10.2009, 6 Ob 145/09f) reagieren wollte und in Abkehr von der bisherigen Rspr auch einen begünstigtendominierten Stiftungsbeirat zulassen wollte, dem nicht nur das Recht zur Bestellung und das auf wichtige Gründe beschränkte Recht zur Abberufung, sondern auch ein Zustimmungsvorbehalt zu bestimmten wichtigen Maßnahmen zukommt. Eine Rechtsunsicherheit, wie die Judikatur diese Frage entscheiden wird, blieb trotz der Novelle bestehen (R. Briem, PSR 2011, 8). Dass der OGH – trotz der PSG-Novelle – die Frage möglicherweise negativ entscheiden wird, hat sich bereits mit der Entscheidung vom 24.2.2011, 6 Ob 195/10k, abgezeichnet (Karollus, JBl 2011, 329 [332]). In dieser Entscheidung hat sich der 6. Senat sehr reserviert zur PSG-Novelle geäußert: „Es kann nicht angenommen werden, dass durch eine derartige, ohne breite Diskussion erlassene punktuelle Regelung in einem Sammelgesetz leitende Grundsätze des Privatstiftungsrechts aufgegeben werden.“ Damals stand jedoch nur zur Diskussion, ob durch die PSG-Novelle vom Grundsatz, dass ein Vorstandsmitglied nur aus wichtigem oder sachlichem Grund abberufen werden kann, abgegangen werden sollte. Diese Frage wurde vom OGH zutreffend verneint. Die PSG-Novelle erleidet somit ein ähnliches Schicksal wie die seinerzeitige Novelle des § 5 UmwG durch das ÜbRÄG 2006, bei welcher der 6. Senat (OGH 7.11.2007, 6 Ob 235/07p) ebenfalls nicht bereit war, die nur in den Gesetzesmaterialien niedergelegten Absichten (Wegfall des Kapitalerhaltungserfordernisses bei der errichtenden Umwandlung) zum Anlass für eine Änderung seiner bisherigen Rspr zu nehmen (Karollus, JBl 2011, 332). Der OGH stützt sich zur Begründung seiner Auffassung ua auf Csoklich (Folgen der OGH-Entscheidung zum Begünstigteneinfluss beim aufsichtsratsgleichen Beirat, PSR 2010, 4 [18]), wonach die Auffassung, eine Aufsichtsratsähnlichkeit eines Beirats einer Privatstiftung sei schon bei geringeren Kompetenzen, als sie etwa einem Aufsichtsrat einer AG zukommen, gegeben, konsequent sei, weil die im PSG für den Aufsichtsrat vorgesehen (Mindest-)Kompetenzen geringer als jene im Aktienrecht seien. Csoklich bezeichnet diese Konsequenz (nicht diese Ansicht) an anderer Stelle (PSR 2010, 6) als absurd. Im Rahmen einer Fundamentalkritik ist zur besprochenen Entscheidung kurz festzuhalten:  Mit der Zuerkennung eines Zustimmungsvorbehalts an den Stiftungsbeirat wird die vom historischen Gesetzgeber beabsichtigte Trennlinie zwischen Begünstigten und Vorstand nicht durchbrochen.  Das Recht zur Bestellung und das auf wichtige Gründe iSd § 27 Abs 2 Z 1 bis 3 PSG beschränkte Abberufungsrecht sind von ihrer Intensität her bedeutsamere Einflussrechte als ein Zustimmungsvorbehalt. Diese Rechte können jedoch nach dem klaren

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Judikatur Gesetzeswortlaut einem begünstigtendominierten Stiftungsbeirat eingeräumt werden.  Im Ergebnis bedeutet diese Rspr, dass den Begünstigten keine Kontrollrechte zuerkannt werden dürfen, welche über die zwingenden gesetzlichen Bestimmungen – insb Auskunfts- und Einsichtsrecht nach § 30 PSG und nach der Judikatur (OGH 15.10.2012, 6 Ob 157/12z) Antragslegitimation für einen Abberufungsantrag nach § 27 Abs 2 PSG – hinausgehen. Welcher Spielraum dann noch für einen begünstigtendominierten Beirat bleibt, welcher nach den Gesetzesmaterialien zu § 14 Abs 2 PSG Beratungs- oder Kontrollorgan sein kann oder nach den Gesetzesmaterialien zu § 15 Abs 2 PSG „mit kontrollierender oder sogar bis zu einem gewissen Grad auch weisungsgebender Funktion“ ausgestattet werden kann, bleibt im Dunklen. 2. Diese Situation ist somit ähnlich jener nach der Beirats-Entscheidung aus dem Jahr 2009. Es bestehen grundsätzlich zwei Varianten, um auf die vorliegende Entscheidung zu reagieren: 2.1. Die erste Möglichkeit ist, die Stiftungserklärung dahingehend zu ändern, dass dem Stiftungsbeirat keine aufsichtsratsähnlichen Befugnisse (wie insb Zustimmungsvorbehalt zu bestimmten wichtigen Maßnahmen, Einsichtsrecht in die Unterlagen der Stiftung, allgemeine Kontrollkompetenz, Kompetenz zur Festlegung der Vergütung der Mitglieder des Vorstands) mehr zukommen (R. Briem, Auswirkungen der jüngsten OGH-Judikatur auf die Gestaltung von Stiftungserklärungen, PSR 2010, 56 [60 f]). Soll der Katalog von wichtigen Maßnahmen im Kern erhalten bleiben und dennoch ein Stiftungsbeirat vorgesehen werden, der überwiegend aus Begünstigten, deren Angehörigen oder von diesen Beauftragten besteht, so ist es erforderlich, die Regelung dahingehend zu ändern, dass die im Katalog genannten Geschäfte nicht mehr der Zustimmung des Stiftungsbeirats bedürfen, sondern nur noch eine Stellungnahme des Stiftungsbeirats einzuholen ist. Wird der bisherige Zustimmungsvorbehalt durch ein bloßes Anhörungsrecht oder Recht zur Stellungnahme ersetzt, so liegt zwar immer noch ein mögliches Kontrollinstrument vor, doch ist dieses dann bereits derart schwach ausgeprägt, dass nicht mehr von einer Aufsichtsratsähnlichkeit gesprochen werden kann (R. Briem, PSR 2010, 60 f). 2.2. Die zweite Möglichkeit ist, die Zusammensetzung des Stiftungsbeirats derart zu ändern, dass der Stiftungsbeirat nicht mehr mehrheitlich aus Begünstigten, deren Angehörigen oder Personen besteht, die von Begünstigten oder deren Angehörigen mit der Wahrnehmung ihrer Interessen im Stiftungsbeirat beauftragt wurden (im Folgenden kurz: beauftragte Personen). Nach der OGH-Entscheidung vom 8.5.2013, 6 Ob 42/13i (ergangen zu § 14 Abs 4 PSG), sind unter beauftragten Personen iSd § 14 Abs 4 PSG auch solche Personen zu verstehen, die von Begünstigten oder deren Angehörigen bestellt wurden und von diesen jederzeit, auch ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes, abberufen werden können. Ein derartiger Beirat hängt nach Ansicht des OGH „so sehr am Gängelband der [Anm: begünstigten] Stifterin, dass von einer Unabhängigkeit des Beirates von der Stifterin und deren Willen und Interessen keine Rede sein kann.“ Aus dieser Entscheidung ist abzuleiten, dass Beiratsmitglieder, welche von Begünstigten oder deren Angehörigen bestellt werden, nur dann als unabhängig iSd § 14 Abs 4 PSG gelten, wenn ihre Abberufung auf wichtige Gründe beschränkt ist und eine bestimmte Mindestfunktionsdauer vorgesehen ist (Karollus, ZfS 2013, 120 [124 ff]). Infolge des nahezu identen Wortlautes des § 14 Abs 4 und des § 23 Abs 2 Satz 3 PSG sind die Wertungen des § 14 Abs 4 PSG auch auf die Bestimmung des § 23 Abs 2 Satz 3 PSG zu übertragen. Mit anderen Worten: Soll der Stiftungsbeirat weiterhin aufsichtsratsähnlich ausgestaltet sein, dürfen die Begünstigten, ihre Angehörigen (§ 15 Abs 2 PSG) und von diesen Beauftragte (§ 23 Abs 2 Satz 3 PSG) nicht die Mehrheit der Mitglieder des Stiftungsbeirats stellen. Die Stellung der fremden Beiratsmitglieder muss in besonderer Weise abgesichert sein, damit sie nicht als beauftragte Beiratsmitglieder iSd § 23 Abs 2 Satz 3 PSG, somit als unabhängige Beiratsmitglieder gelten. 3. Einen sehr formalistischen Standpunkt nimmt der OGH zur Frage ein, wie die Gründe zur Abberufung der Vorstandsmitglieder in

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der Stiftungsurkunde zu regeln sind. Im konkreten Fall wurde die stiftungsurkundliche Regelung, dass der Stiftungsbeirat die Mitglieder des Stiftungsvorstandes aus wichtigen Gründen iSd § 27 Abs 2 PSG abberufen darf, als zu weitreichend angesehen. Vielmehr sei den Gesetzesmaterialien „zu entnehmen, dass in der Stiftungsurkunde dafür vorgesorgt werden muss, dass bei Entscheidungen über eine Abberufung aus anderen als den in § 27 Abs 2 Z 1 bis 3 PSG angeführten Gründen Begünstigten, Angehörigen von Begünstigten oder von Begünstigten oder Angehörigen mit der Wahrnehmung ihrer Interessen beauftragter Personen nicht mehr als die Hälfte der Stimmen zukommt (981 BlgNR 24. GP, 68). Soweit die geänderte Stiftungsurkunde demgegenüber das Abberufungsrecht des derzeit nur aus Begünstigten bestehenden Stiftungsbeirats gegenüber dem Stiftungsvorstand nicht auf die Abberufungsgründe des § 27 Abs 2 Z 1 bis 3 PSG beschränkt, liegt darin daher ein Widerspruch zu § 14 Abs 4 PSG.“ Gegen diese Auffassung spricht, dass es sich bei der angesprochenen Bestimmung des § 14 Abs 4 PSG um eine zwingende Regelung handelt und sie damit – entgegen den Gesetzesmaterialien – keiner zusätzlichen Verankerung in der Stiftungsurkunde bedarf. Die vergleichbare Frage, ob es einer ausdrücklichen stiftungsurkundlichen Regelung bedarf, dass Begünstigte und deren Angehörige nicht die Mehrheit der Mitglieder eines aufsichtsratsähnlichen Beirates stellen dürfen, wurde vom OGH unter Hinweis darauf, dass es sich bei § 23 Abs 2 PSG um zwingendes Recht handelt, zu Recht verneint (OGH 13.3.2008, 6 Ob 49/07k; 13.3.2008, 6 Ob 50/07g). Eine stiftungsurkundliche Regelung ist mE nur in jenem Fall notwendig, dass das Stimmrecht der begünstigten Beiratsmitglieder dahingehend gekürzt wird, dass ihnen entgegen dem ansonsten vorgesehen Kopfstimmrecht bei der Entscheidung über die Abberufung aus anderen als den in § 27 Abs 2 Z 1 bis 3 PSG genannten Gründen nicht die Mehrheit der Stimmen zukommen soll (R. Briem, PSR 2011, 11). Besteht der Stiftungsbeirat hingegen ohnehin mehrheitlich aus Personen, die nicht dem in § 14 Abs 4 PSG genannten Personenkreis angehören, dann bedarf die Ermächtigung zur Abberufung aus anderen als den in § 27 Abs 2 Z 1 bis 3 PSG genannten Gründen keiner stiftungsurkundlichen Erwähnung, wenn die nach der Stiftungsurkunde vorgesehene Abberufungskompetenz ohnehin bereits zur Abberufung aus wichtigem Grund iSd § 27 Abs 2 PSG ermächtigt. Besteht der Stiftungsbeirat hingegen mehrheitlich aus den in § 14 Abs 4 PSG genannten Personen und wurde keine vom Kopfstimmrecht abweichende Stimmrechtsregelung vorgesehen, dann scheidet eben eine Abberufung aus anderen als den in § 27 Abs 2 Z 1 bis 3 PSG genannten Gründen aus. 4. Der OGH hat weiters die stiftungsurkundliche Regelung beanstandet, wonach die „Bestellung von Begünstigten und Vornahme von Ausschüttungen an Begünstigte“ der Zustimmung des Stiftungsbeirats bedürfen. Der OGH hat hierzu Folgendes ausgeführt: „Im vorliegenden Fall sind die Begünstigten nicht selbst ‚Stelle‘ iSd § 9 Abs 1 Z 3 zur Festlegung der Begünstigten, sondern die Festlegung der Begünstigten und der Höhe der Ausschüttungen ist an ihre Zustimmung gebunden. Damit können die Begünstigten über ihre eigene Begünstigtenstellung und die Höhe der an sie zu erfolgenden Zuwendungen (mit)entscheiden. Damit verstößt diese Regelung aber geradezu eklatant gegen die von den Gesetzesmaterialien als Gründe für die Unvereinbarkeitsregelung des § 15 Abs 2 PSG angeführte ‚Objektivität des Stiftungsvorstands bei der Vollziehung der Begünstigtenregelung‘ und die Vermeidung von Kollisionen.“ Die Regelung, dass der Stiftungsbeirat die Begünstigten feststellt und damit Stelle iSd § 9 Abs 1 Z 3 PSG ist, ist der Ausnahmefall. Hier wird das in der Literatur behandelte Problem der Selbstbegünstigung der Stelle und der damit verbundenen Interessenkollision schlagend (N. Arnold, PSG3, § 5 Rz 45; Kalss/Müller in Gruber/Kalss/ Müller/Schauer, Erbrecht und Vermögensnachfolge [2010] § 25 Rz 164; Löffler in Doralt/Nowotny/Kalss, PSG [1995] § 5 Rz 15; Größ, Rechtsfragen der Begünstigtenstellung, in Doralt/Kalss, Aktuelle Fragen des Privatstiftungsrechts [2001] 205 [221 ff]). Davon zu unterscheiden sind jedoch die Fragen,  ob ein Begünstigter als „Stelle “ für die Nachfolge in seiner eigenen Begünstigtenstellung oder für Zuwendungen zulasten seiner eigenen Begünstigtenquote fungieren kann;

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Judikatur 

ob ein begünstigtendominierter Stiftungsbeirat beschließen kann, dass Zuwendungen an andere als jene Personen getätigt werden dürfen, welche bereits Begünstigte und allenfalls auch Mitglieder des Stiftungsbeirates sind (wobei die Letztverantwortung über die Gewährung derartiger Zuwendungen immer noch beim Stiftungsvorstand liegt);  ob einem begünstigtendominierten Stiftungsbeirat Befugnisse hinsichtlich der Entscheidung über die Höhe der Zuwendungen eingeräumt werden dürfen. 4.1. Zur ersten Frage: Häufig wird in Stiftungserklärungen geregelt, dass ein Begünstigter – innerhalb eines definierten Kreises möglicher Begünstigter – selbst seinen Nachfolger in der Begünstigtenstellung bestimmen kann. Eine Vererblichkeit der Begünstigtenstellung wird hierdurch nach überwiegender Auffassung nicht begründet (Zollner, Der Verzicht auf die Begünstigtenstellung, in FS Gert Delle Karth [2013] 1075 [1086]; N. Arnold, PSG3, § 5 Rz 54). Weiters gestattet die Stiftungserklärung häufig, dass der Begünstigte bestimmen kann, dass seine möglichen Nachfolger in der Begünstigtenstellung bereits zu seinen Lebzeiten zulasten seiner Begünstigtenquote Zuwendungen von der Stiftung erhalten. In beiden Fällen fungiert damit der Begünstigte als „Stelle “ iSd § 9 Abs 1 Z 3 PSG. Die Begünstigtenstellung der hiernach bestimmten weiteren Begünstigten ergibt sich nämlich nicht unmittelbar aus der Stiftungserklärung, vielmehr ist eine Entscheidung des Begünstigten dazwischengeschaltet. Eine Selbstbegünstigung liegt in diesem Fall nicht vor. Die Objektivität des Stiftungsvorstands beim Vollzug der Begünstigtenregelung ist in diesem Fall nicht beeinträchtigt. Diese Gestaltung ist daher zulässig (siehe auch Zollner, Verzicht, 1086, wonach die Stiftungserklärung einem Begünstigten die Kompetenz einräumen kann, weitere Begünstigte zu bestimmen oder, sofern die Einräumung der Begünstigtenstellung bereits in der Stiftungserklärung erfolgt ist, diesen die Begünstigtenstellung – aus welchen Gründen auch immer – zu entziehen). 4.2. Zur zweiten Frage: Auch bei der Entscheidung, dass andere Personen als die bisher Begünstigten Zuwendungen von der Stiftung erhalten dürfen, liegt keine unzulässige Interessenkollision vor. Der begünstigtendominierte Stiftungsbeirat bestimmt hier nicht, dass zugunsten der ihm angehörenden Begünstigten, sondern zugunsten anderer Personen Zuwendungen getätigt werden. Auch hier fungiert der begünstigtendominierte Beirat (und damit mittelbar die Begünstigten) zulässigerweise als „Stelle “ iSd § 9 Abs 1 Z 3 PSG. Wesentlich ist, dass die Entscheidung der „Stelle“ wie auch sonst an die Stelle der Regelungen der Stiftungszusatzurkunde über die Begünstigten tritt. Einem objektiven Vollzug der Begünstigtenregelung durch den Stiftungsvorstand steht auch hier nichts im Wege. 4.3. Zur dritten Frage: Überwiegend werden die Begünstigten und deren Nachfolger in der Stiftungszusatzurkunde namentlich bzw bestimmbar genannt. Die Feststellung der Begünstigten ist daher idR nicht das eigentliche Problem. Dieses liegt vielmehr bei der Entscheidung, ob und in welcher Höhe Zuwendungen an die bereits feststehenden Begünstigten entsprechend ihren Begünstigtenquoten getätigt werden. Der Stifter hätte es in der Hand, den Begünstigten einen klagbaren Anspruch auf den Erhalt von Zuwendungen in grundsätzlich unbegrenzter Höhe einzuräumen. Ein stärkeres Recht kann den Begünstigten nicht eingeräumt werden. Gläubigeransprüche dürfen freilich dadurch nicht beeinträchtigt werden (§ 17 Abs 2 Satz 2 PSG); auch ein klagbarer Anspruch ist daher nicht durchsetzbar, soweit im konkreten Einzelfall die Sperre eingreift. Dies ist auch der Grund dafür, dass die Letztverantwortung über die Gewährung von Zuwendungen immer beim Stiftungsvorstand bleiben muss. Hat der Stifter jedoch das Recht, den Begünstigten auch einen klagbaren Anspruch auf die Gewährung von Zuwendungen in grund-

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sätzlich unbeschränkter Höhe einzuräumen, so kann er ihnen auch ein rechtlich schwächeres Recht einräumen, nämlich bei der Entscheidung, ob und in welcher Höhe Zuwendungen an die bereits feststehenden Begünstigten entsprechend ihren Begünstigtenquoten getätigt werden, mitzuwirken. Jede andere Auffassung hätte zur Folge, dass man die Begünstigten von der für sie essentiellen Entscheidung über die Gewährung der konkreten Zuwendungen ausschließen würde. Sofern die primäre Entscheidung über die Höhe der Zuwendungen dem Stiftungsbeirat obliegt, fungiert er damit als „Stelle “ iSd § 9 Abs 1 Z 3 PSG. Die Entscheidungskompetenz einer „Stelle “ kann sich auf die Entscheidung über die Höhe, Art und Häufigkeit der Zuwendungen beschränken (siehe N. Arnold, PSG3, § 5 Rz 12 und 30; Kalss/Müller in Gruber/Kalss/Müller/Schauer, Erbrecht und Vermögensnachfolge, § 25 Rz 163). Eine Interessenkollision der begünstigten Beiratsmitglieder, welche an der konkreten Zuwendungsentscheidung mitwirken, ist selbstverständlich denkbar. Die Interessenkollision besteht jedoch nicht darin, dass ein anderer Begünstigter mehr oder weniger Zuwendungen erhält, als ihm nach den Begünstigenquoten zustünden, sondern nur, ob alle Begünstigten entsprechend den in der Stiftungszusatzurkunde festgelegten Begünstigtenquoten mehr oder weniger Zuwendungen erhalten. Das Interesse eines Begünstigten, der keine Nachkommen hat, kann etwa darin liegen, dass möglichst viele Mittel in der Stiftung thesauriert werden, während ein anderer Begünstigter, der mehrere Nachkommen hat, höhere laufende Zuwendungen erhalten möchte. Ein Stifter, welcher bestimmt, dass vor der Gewährung von Zuwendungen ein Beiratsbeschluss einzuholen ist und mangels eines Beiratsbeschlusses Zuwendungen in einer bestimmten Höhe zu erfolgen haben, überträgt damit die primäre Entscheidungskompetenz über die Höhe der Zuwendungen auf den Stiftungsbeirat. Es handelt sich damit um eine klare und leicht vollziehbare Regelung. Die Objektivität des Stiftungsvorstands bei Vollzug der derart statuierten Begünstigtenregelungen ist in keiner Weise beeinträchtigt. Sollte der Stiftungsbeirat mit einer Entscheidung über die Höhe der Zuwendung säumig sein, so geht die Entscheidungskompetenz, wie aus § 5 PSG abzuleiten ist, auf den Stiftungsvorstand über (N. Arnold, PSG3, § 5 Rz 36). Dem OGH ist jedoch zuzustimmen, dass der Stiftungsvorstand als Korrektiv ausscheidet, wenn nicht der Stiftungsbeirat „Stelle “ iSd § 9 Abs 1 Z 3 PSG ist, sondern offenbar der Stiftungsvorstand, dessen Entscheidung dann wiederum der Zustimmung des Stiftungsbeirates bedarf. 5. Die vorliegende Entscheidung trifft neuerlich einen Nerv der Privatstiftung. Bei stifter- bzw familienkontrollierten Privatstiftungen ist es ausdrücklicher Wunsch der Stifter, dass die Angehörigen der Stifter-Familie, welche auch Begünstigte der Privatstiftung sind, Kontroll- und Einflussrechte in Bezug auf die Privatstiftung haben. Dieser Wunsch ist gerechtfertigt, weil die Begünstigten nicht nur Nutznießer, sondern auch Leidtragende des wirtschaftlichen Geschehens in der Privatstiftung sind; nur auf diese Weise kann auch dem vom OGH vielfach beklagten strukturellen Kontrolldefizit in Privatstiftungen wirksam begegnet werden. Ohne eine weitere Novellierung des PSG, die somit dringend erforderlich ist, ist hingegen zu befürchten, dass die Rechte der Begünstigten in freiwilligen Organen durch den OGH weiter beschnitten werden. Es ist die Aufgabe des Gesetzgebers, diese Rechtsunsicherheit zu beseitigen. Dies auch deshalb, um die Konkurrenzfähigkeit der österreichischen Privatstiftung im Vergleich zur liechtensteinischen Stiftung zumindest auf zivilrechtlichem Gebiet zu erhalten. Robert Briem Dr. Robert Briem ist Rechtsanwalt in Wien.

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