iFamZ 1/2024 Leseprobe

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19. Jahrgang / Februar 2024 / Nr. 1

Beratung | Unterbringung | Rechtsfürsorge

Peter Barth | Susanne Beck | Astrid Deixler-Hübner | Robert Fucik | Michael Ganner

Christian Kopetzki | Edeltraud Lachmayer | Matthias Neumayr | Felicitas Parapatits

Ulrich Pesendorfer | Martin Schauer | Patrick Schweda | Ulrike Zartler

Grundrechte und Familie

Maßnahmen zum Gewaltschutz verfassungskonform

Kindschaftsrecht

Schadenersatz bei „wrongful birth“ und „wrongful conception“

Erwachsenenschutzrecht

Keine freie Wahl des gerichtlichen Erwachsenenvertreters

UbG/HeimAufG/Medizinrecht

Verpflichtet das HeimAufG zur Barrierefreiheit?

Ehe- und Partnerschaftsrecht

Definition der Lebensgemeinschaft

Erbrecht

Die Abgabe einer Erbantrittserklärung im elektronischen Weg

Internationale Aspekte

Treffen der Spezialkommission zur Handhabung des HKÜ/KSÜ

PROGRAMM

Freitag. 10. Mai 2024 (nachmittags)

14.00 – 15.00 Uhr (inkl Diskussion)

Samstag, 11. Mai 2024 (vormittags)

NOTAR MAG. ALEXANDER WINKLER

Verständigungs-, Beratungs- und Belehrungspflichten im Verlassenschaftsverfahren

9.00 – 10.00 Uhr (inkl. Diskussion)

15.00 – 16.00 Uhr (inkl. Diskussion)

UNIV.-PROF. DR. ALEXANDER SCHOPPER Grundfragen der Flexiblen Kapitalgesellschaft

HON.-PROF. RA DR. ELISABETH SCHEUBA Die 10 häufigsten Fehler bei der Testamentserrichtung

10.00 – 11.00 Uhr

16.00 – 16.30 Uhr: Kaffeepause

UNIV.-PROF. DR. MARTIN SCHAUER

Unternehmenswert-Anteile

16.30 – 17.30 Uhr

11.00 – 11.30 Uhr: Kaffeepause

Als Querschnittsmaterie befasst sich die familiäre Vermögensplanung mit einem Konglomerat an Rechtsfragen, die einer Vielzahl an unterschiedlichen Rechtsgebieten zuzuordnen sind. Für zusätzliche Herausforderungen sorgt die regelmäßige Novellierung der für die familiäre Vermögensplanung und gesellschaftsrechtliche Organisation maßgeblichen Rechtsgrundlagen, die eine kontinuierliche Weiterbildung der in diesen Bereichen tätigen Beraterinnen und Berater erfordert.

Samstag, 13. Mai 2023 (vormittags)

PROF. DR. FRIEDRICH FRABERGER, LL.M. (INTERNATIONAL TAX LAW), LICENSED TAX LAWYER (STEUERBRATER, AT), TEP

9.00 – 10.00 Uhr (inkl. Diskussion)

RA DDR. KATHARINA MÜLLER

Einladung

zum

PROGRAMM

6. FORUM

Freitag. 10. Mai 2024 (nachmittags)

11.30 – 12.30 (inkl. Diskussion)

Steuerrechtliche Fragen im Verlassenschaftsverfahren

Vermögensveranlagung bei der Stiftung – was darf der Vorstand?

RA DR. KEYVAN RASTEGAR, LL.M. (HARVARD)

19.00 Uhr: Abendessen

Kapitalaufbringung, Kapitalerhaltung und flexible Finanzierung

Samstag, 11. Mai 2024 (vormittags)

9.00 – 10.00 Uhr (inkl. Diskussion)

Das 6. Forum Familie und Vermögen beleuchtet einige dieser vielfältigen Fragestellungen der familiären Vermögens- und Nachfolgeplanung sowie der unternehmerischen Gesellschaftsstrukturen aus unterschiedlichen Perspektiven. Der Fokus wird dabei auf die Praxisrelevanz der Vorträge gelegt. Die Themen entstammen jenen Rechtsgebieten, die in der Gestaltungspraxis erfahrungsgemäß von besonderer Bedeutung sind, wie etwa dem Unternehmens-, Gesellschaftsund Steuerrecht sowie dem Erbrecht.

10.00 – 11.00 Uhr

UNIV.-PROF. DR. ASTRID DEIXLER-HÜBNER

Unternehmerehe und (nach-)ehelicher Unterhalt

11.00 – 11.30 Uhr: Kaffeepause

UNIV.-PROF. DR. ALEXANDER SCHOPPER Grundfragen der Flexiblen Kapitalgesellschaft

10.00 – 11.00 Uhr

Familie und Vermögen

14.00 – 15.00 Uhr (inkl Diskussion) NOTAR MAG. ALEXANDER WINKLER Verständigungs-, Beratungs- und Belehrungspflichten im Verlassenschaftsverfahren

Mit freundlicher Unterstützung von: Einladung zum

15.00 – 16.00 Uhr (inkl. Diskussion) HON.-PROF. RA DR. ELISABETH SCHEUBA Die 10 häufigsten Fehler bei der Testamentserrichtung

11.30 – 12.30 (inkl. Diskussion)

UNIV.-PROF. DR. MARTIN SCHAUER

Unternehmenswert-Anteile

Bei den Vortragenden handelt es sich um führende Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis. Gelegenheit zur weiterführenden Diskussion besteht in den Pausen sowie bei einem gemeinsamen Abendessen am Ende des ersten Seminartages.

11.00 – 11.30 Uhr: Kaffeepause

11.30 – 12.30 (inkl. Diskussion)

RA DR. ROLAND GERLACH

Arbeitsrecht im Familienunternehmen

Mit freundlicher Unterstützung von:

RA DR. KEYVAN RASTEGAR, LL.M. (HARVARD) Kapitalaufbringung, Kapitalerhaltung und flexible Finanzierung

Für die Teilnahme ist eine Tagungsgebühr von EUR 620,- zzgl USt. zu entrichten (für Berufsanwärter:innen aus der Rechtsanwaltschaft und dem Notariat EUR 540,- zzgl USt). Darin enthalten ist ein mehrgängiges Menü zum Abendessen (exklusive Getränke). Hinweis: Wir möchten Sie höflich darum bitten, Zimmerreservierungen direkt im Hotel vorzunehmen. Ein Kontingent reservierter Zimmer steht dafür zur Verfügung.

Wir bitten um Ihre Anmeldung bis zum Ablauf des 6. Mai 2024 per E-Mail an office@ogfv.at

Mit freundlicher Unterstützung von:

Mit freundlicher Unterstützung von:

16.00 – 16.30 Uhr: Kaffeepause

Einladung zum

Freitag, 10. Mai 2024 von 14 – 17.30 Uhr und

16.30 – 17.30 Uhr

6.FORUM

Samstag, 11. Mai 2024 von 9 – 12.30 Uhr

PROF. DR. FRIEDRICH FRABERGER, LL.M. (INTERNATIONAL TAX LAW), LICENSED TAX LAWYER (STEUERBRATER, AT), TEP Steuerrechtliche Fragen im Verlassenschaftsverfahren

Hotel Schlosspark Mauerbach

19.00 Uhr: Abendessen

Familie und Vermögen

Herzog-Friedrich-Platz 1 A-3001 Mauerbach

Mit freundlicher Unterstützung von:

Mit freundlicher Unterstützung von:

Freitag, 10. Mai 2024 von 14 – 17.30 Uhr und Samstag, 11. Mai 2024 von 9 – 12.30 Uhr

Das Medienrecht kompakt in einem Band

Band VIII zu den Wirtschaftsgesetzen

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5. FORUM Familien und Vermögen

Freitag, 12. Mai 2023 von 14 – 17.30 Uhr und

Samstag, 13. Mai 2023 von 9 – 12.30 Uhr

Hotel Schlosspark Mauerbach Herzog-Friedrich Platz 1 A-3001 Mauerbach

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„Nichts in der Geschichte des Lebens ist beständiger als der Wandel“

So lautet eine Spruchweisheit, der Verlag und Redaktion auch für die iFamZ etwas abgewinnen können. Deshalb wurden zu Jahresbeginn Neuerungen beschlossen, die wir unseren Leserinnen und Lesern hier im Namen der Redaktion und des Verlags vorstellen wollen:

Ein trauriger Anlass zu Veränderungen betrifft den interdisziplinären Austausch, der wegen der vorausschauenden Betreuung durch Judit Barth-Richtarz (†) zwar noch bis Ende 2023 keinen Bedarf nach Neubesetzung erzeugte. Nun aber war es erforderlich, das verwaiste Ressort neu zu besetzen, und wir freuen uns sehr, dass wir Frau Prof. Dr. Ulrike Zartler, Universität Wien, im Redaktionsteam begrüßen können. Sie wird künftig den Bereich der Familiensoziologie betreuen, während Michael Ganner nun neben der juristischen auch die interdisziplinäre Seite der Personenfürsorge übernommen hat. Das namensgebende „i“ der iFamZ ist damit neuerlich in hervorragenden Händen.

Die Tätigkeit als Chefredakteur ist nicht zu unterschätzen. Wenige Zeitschriften haben es geschafft, sie so lange einer einzelnen Person zu überlassen wie die iFamZ. Nun ist es an der Zeit, die Chefredaktion zu verstärken. Neben Peter Barth wird sich ab diesem Jahr auch Robert Fucik dieser Aufgabe widmen. Dass die beiden bestens zusammenarbeiten und einander ergänzen, haben sie schon bei den verschiedensten Gelegenheiten bewiesen.

Das erste Heft des Jahrgangs 2024 enthält wieder einmal eine schwer fassbare Fülle von Entscheidungen, die nur für wenige Beiträge Platz ließ. Zum einen für eine Untersuchung von Philipp Gruber und Christoph Mondel dazu, unter welchen Umständen eine Erbantrittserklärung im Zeitalter der Digitalisierung im elektronischen Weg eingebracht werden kann (S 37). Während das für Notare und Rechtsanwältinnen eine reine Frage des Mediums und vom ERV gedeckt ist, muss bei unvertretenen Parteien eine qualifizierte Belehrung hinzutreten. Zum anderen bringen wir den ersten Teil der von Robert Fucik unternommenen Übersetzung der Schlussfolgerungen und Empfehlungen des achten Treffens der Spezialkommission zur praktischen Handhabung des HKÜ 1980 und des KSÜ 1996 (S 45), die den Stand der Meinungen der „Haager Community“ zu den wichtigsten aktuellen Fragen des Kindesentführungsübereinkommens und des Kinderschutzes festhalten und eine wertvolle Orientierungshilfe bieten.

Aus der Rechtsprechung finden die Leserinnen und Leser (durchgehend erfolglose) Gesetzesbeschwerden an den VfGH, insbesondere zum Gewaltschutz (iFamZ 2024/2, 3) und zur Entlohnung des Kurators (iFamZ 2024/1), weitere Akzentuierungen der OGH-Judikatur zur Obsorge beider Eltern (iFamZ 2024/6, 7) und zum Ultima-ratio-Charakter der Obsorge(iFamZ 2024/8, 11) wie der Kontaktentziehung (iFamZ 2024/8, 11). Eigentlich ein Schadensersatzthema, aber sehr kindbezogen ist die Diskussion um „wrongful birth“ und „wrongful conception“, bei der ein verstärkter Senat des OGH (iFamZ 2024/14, 16) zur Lösung bisher uneinheitlich gelöster Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung überaus ausführlich beiträgt, wenn auch – wie könnte es freilich anders sein – weiterhin Fragen offenbleiben. Das Erwachsenschutzrecht und seine Stärkung der Autonomie des Schutzberechtigten erzeugt ebenso neues Fallrecht (iFamZ 2024/16, 28, zur Wahl des Vertreters, iFamZ 2024/17, 28, zum betreuten Konto) wie ein Fall der (vom OGH nicht beanstandeten) Ersetzung der Zustimmung des gesetzlichen Erwachsenenvertreters zur COVID-19-Impfung.

Im Unterbringungsrecht klärt der OGH die Rekurslegitimation (iFamZ 2024/21, 31: Abteilungsleiter, aber nicht Krankenhausträger). Das BG Leopoldstadt ist mit einer Entscheidung (iFamZ 2024/23, 32) zum HeimAufG vertreten, die in einer topografischen Begebenheit (Gefälle der Zufahrt) keine freiheitsbeschränkende Maßnahme sieht. Im Eherecht ist die Rechtsprechung des OGH ebenfalls nicht untätig geblieben und befasst sich ua mit gutgläubigem Verbrauch von Unterhalt (iFamZ 2024/26, 35) und der Definition der Lebensgemeinschaft (iFamZ 2024/27, 36). Im Erbrecht gibt es Klarstellungen zum Gefährdungselement bei Absonderung der Verlassenschaft (iFamZ 2024/29, 39) und einen Amtshaftungsfall mangels Beiziehung gesetzlicher Erben (iFamZ 2024/30, 40). Zur Frage der Zuständigkeitsübertragung während eines HKÜ-Verfahrens konkretisiert der OGH (iFamZ 2024/31, 51) prägnant eine etwas sybillinische Vorabentscheidung des EuGH (iFamZ 2023/222, 299). Und noch viel mehr Judikatur finden Sie in diesem Heft. Ein neues Jahr, ein erneuertes Team: Sie, sehr geehrte Leserinnen und Leser, können weiterhin darauf zählen, dass die iFamZ von einem Team betreut wird, das mit Freude und Herzblut bei der Sache ist. Prosit 2024!

Peter Barth und Robert FucikStefan Menhofer für die Redaktionfür den Verlag

Grundrechte und Familie

Rechtsprechung

● Regelung zu Entschädigung, Entgelt und Aufwandersatz des (Verlassenschafts-)Kurators im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum4

● Polizeiliches Betretungs- und Annäherungsverbot: Verfahren und „automatisches“ Waffenverbot verfassungskonform 4

● Verpflichtende Gewaltpräventionsberatung für „Gefährder“ und eingeschränkte Prüfungsbefugnis der Verwaltungsgerichte sind verfassungskonform7

Kindschaftsrecht

Rechtsprechung

● Abzugsfähigkeit von scheidungsbedingten Wohnungsbeschaffungskosten8

● Unterhaltsherabsetzungsantrag wegen Betreuungsleistungen8

● Gemeinsame Obsorge nach langwierigen Kontaktrechtsproblemen9

● Obsorgeentziehung wegen gravierender Einschränkungen der Erziehungseignung10

● Obligatorische Anhörung der Kinder im Verfahren über die vorläufige Obsorge11

● Einschränkung des Kontaktrechts mittels Besuchsbegleitung als gelinderes Mittel gegenüber einer Aussetzung des Kontaktrechts13

● Keine Beschwer bei überholter Kontaktrechtsregelung14

● Keine Beugestrafen wegen Missachtung einer abgeänderten Kontaktrechtsregelung14

● Zuständigkeitsübertragung mit Rechtsmittelbefugnissen14

● Ermessensausübung bei internationaler Zuständigkeit der Gerichte in zwei Staaten15

● Schadenersatz: Schadenersatzanspruch der Eltern bei „wrongful birth“ und „wrongful conception“16

Erwachsenenschutzrecht

Rechtsprechung

● Erteilte Verfahrensvollmacht; allgemeine Vollmachtsfähigkeit28

● Keine freie Wahl des gerichtlichen Erwachsenenvertreters28

● Subsidiarität der Erwachsenenvertretung; betreutes Konto28

● Keine Aufhebung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung; Pflichtteilsverzicht29

● Begründete Bedenken des Grundbuchsgerichts trotz Ende der gewählten Erwachsenenvertretung29

● COVID-19-Impfung 31

UbG/HeimAufG/Medizinrecht

Rechtsprechung

● Rekurslegitimation hat nur der Abteilungsleiter, nicht der Krankenhausträger31

● Die Beurteilung als „Krankenanstalt für Psychiatrie“ oder Pflegeheim entscheidet über die Anwendbarkeit des UbG32

● Verpflichtet das HeimAufG zur Barrierefreiheit?32

Ehe- und Partnerschaftsrecht

Rechtsprechung

● Einbringung von ehelichen Ersparnissen in ein Unternehmen33

● Unterhaltserhöhung für die Vergangenheit34

● Gutgläubiger Verbrauch von Unterhaltsleistungen35

● Definition der Lebensgemeinschaft36

Erbrecht

Die Abgabe einer Erbantrittserklärung im elektronischen Weg

Rechtsprechung

● Keine Anwendung des Anerbengesetzes bei Schenkung auf den Todesfall39

● Keine Absonderung der Verlassenschaft ohne objektive Gefährdung39

● Amtshaftung wegen unterbliebener Beiziehung gesetzlicher Erben40

Internationale Aspekte

Achtes Treffen der Spezialkommission zur praktischen Handhabung des HKÜ 1980 und des KSÜ 1996 (Teil I)

Robert Fucik

Rechtsprechung

● Keine Zuständigkeitsübertragung während eines Rückführungsverfahrens51

● Gerichtsstand der Schadenszufügung bei familienrechtswidrigem Unterlassen52

● Keine Verbesserung eines rechtsmissbräuchlich fehlerhaften Anbringens52

Jahresinhaltsverzeichnis 2023I-VIII

IMPRESSUM: Interdisziplinäre Zeitschrift für Familienrecht

Herausgeber- und Redaktionsteam

LStA Dr. Peter Barth (Schriftleiter; Aktuelles), Mag. Susanne Beck (Rechtsprechung Obsorge- und Kontaktrecht, Abstammungs- und Adoptionsrecht), Univ.-Prof. Dr. Astrid Deixler-Hübner (Ehe- und Partnerschaftsrecht; Gewaltschutz; Verfahrensrecht), LStA Dr. Robert Fucik (Schriftleiter; Internationales Familienrecht; Verfahrensrecht), Univ.-Prof. Dr. Michael Ganner (UbG/HeimAufG/Medizinrecht, Interdisziplinäres), Univ.-Prof. DDr. Christian Kopetzki (Grundrechte), Dr. Edeltraud Lachmayer (Steuern, Beihilfen und Sozialleistungen), Vizepräs. Hon.-Prof. Dr. Matthias Neumayr (Unterhaltsrecht, Unterhaltsvorschussrecht; Sozialleistungen), Dr. Felicitas Parapatits (Rechtsprechung Erwachsenenschutzrecht), Dr. Ulrich Pesendorfer (Kindschaftsrecht; Rechtsprechung Grundrechte), Univ.-Prof. Dr. Martin Schauer (Erwachsenenschutzrecht, Heimvertrags- und Altenrecht), Dr. Patrick Schweda (Erbrecht), Univ.-Prof. Dr. Ulrike Zartler (Interdisziplinäres)

Beirat: Dr. Martin Adensamer, DGKS Mag. Dr. Gertrude Allmer, Mag. Dr. Christian Bürger, Univ.-Prof. Dr. Susanne Ferrari, Univ.-Doz. Dr. Helmuth Figdor, Univ.-Prof. Dr. Max Friedrich, Univ.-Prof. Dr. Rudolf Forster, Dr. Werner Grabher, Dr. Wolfgang Hoke, Dr. Andrea HolzDahrenstaedt, Mag. Susanne Jaquemar, RA Dr. Christine Kolbitsch, Dr. Oskar Maleczky, Mag. Franz Mauthner, Univ.-Prof. Dr. Walter J. Pfeil, Univ.-Doz. Dr. Arno Pilgram, LStA Dr. Johannes Stabentheiner, Mag. Martina Staffe, Dr. Markus Vašek, Dr. Michael Stormann, Dr. Werner Vogt, DSA Mag. Dr. Monika Vyslouzil, Mag. Johannes Wallner, Univ.Prof. DDr. Lieselotte Wilk

Medieninhaber, Herausgeber und Medienunternehmen: Linde Verlag Ges.m.b.H., A-1210 Wien, Scheydgasse 24; Telefon: 01/24 630 Serie, Telefax: 01/24 630-23 DW, E-Mail: office@lindeverlag.at, http://www.lindeverlag.at DVR 0002356. Rechtsform der Gesellschaft: Ges.m.b.H., Sitz: Wien

Firmenbuchnummer: 102235x

Firmenbuchgericht: Handelsgericht Wien, ARA-Lizenz-Nr.: 3991, ATU 14910701

Gesellschafter: Anna Jentzsch (35 %) und Jentzsch Holding GmbH (65 %)

Geschäftsführer: Mag. Klaus Kornherr, Benjamin Jentzsch

Erscheinungsweise und Bezugspreise Erscheint sechsmal jährlich.

Jahresabonnement 2024 (6 Hefte) zum Preis von EUR 151,80 (Print) bzw. EUR 176,10 (Print & Digital) – jeweils inkl. MwSt., exkl. Versandspesen).

Einzelheft 2024: EUR 42,40 (inkl. MwSt., exkl. Versandspesen).

Abbestellungen sind nur zum Ende eines Jahrganges möglich und müssen bis spätestens 30. November schriftlich erfolgen. Unterbleibt die Abbestellung, so läuft das Abonnement automatisch ein Jahr und zu den jeweils gültigen Abopreisen weiter. Preisänderungen und Irrtum vorbehalten.

Ausgabe 1/2024

Nachdruck – auch auszugsweise – ist nur mit ausdrücklicher Bewilligung des Verlages gestattet. Es wird darauf verwiesen, dass alle Angaben in dieser Fachzeitschrift trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr erfolgen und eine Haftung des Verlages, der Redaktion oder der Autoren ausgeschlossen ist. „Für Publikationen in den Fachzeitschriften des Linde Verlags gelten die AGB für Autorinnen und Autoren (abrufbar unter https://www.lindeverlag.at/agb) sowie die Datenschutzerklärung (abrufbar unter https://www.lindeverlag.at/datenschutz).“

Personenbezogene Bezeichnungen

Das iFamZ-Team ist in den Beiträgen um eine möglichst ausgewogene Verwendung der weiblichen und männlichen Form bemüht. Anzeigenverkauf und -beratung

Gabriele Hladik, Tel.: 01/24 630-719

E-Mail: gabriele.hladik@lindeverlag.at

Sonja Grobauer, Tel.: 0664/78733376

E-Mail: sonja.grobauer@lindeverlag.at

P.b.b. Verlagspostamt 1210 Wien – Erscheinungsort Wien

ISSN 1819-3889 Hersteller

Druckerei Hans Jentzsch & Co GmbH, 1210 Wien, Scheydgasse 31, Tel.: 01/278 42 16-0

E-Mail: office@jentzsch.at Mehrfach umweltzertifiziert (www.jentzsch.at)

RECHTSPRECHUNG Grundrechte und Familie Ulrich Pesendorfer

§ 283 Abs 1 und 2 ABGB; Art 7 B-VG; Art 2, 5 StGG; Art 1 des 1. ZPEMRK iFamZ 2024/1 Regelung zu Entschädigung, Entgelt und Aufwandersatz des (Verlassenschafts-)Kurators im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum VfGH 27. 11. 2023, G 1448/2023

Die Antragsteller behaupten die Verfassungswidrigkeit des § 283 Abs 1 und 2 ABGB: Es verstoße gegen den Gleichheitssatz (Art 7 B-VG; Art 2 StGG), dass der Entschädigungsanspruch von Insolvenz- und Exekutionsverwaltern und Kollisionskuratoren unterschiedlich ausgestaltet sei, weil die Tätigkeit des Insolvenz- und Exekutionsverwalters in der Regel mit einem größeren Aufwand bzw dessen Bemühen verbunden sei. Die Entschädigung des Kurators in Höhe von fünf Prozent des von der Kuratel erfassten Vermögens sei sachlich nicht gerechtfertigt. Die angefochtenen Bestimmungen stünden zudem im Widerspruch zu Art 5 StGG und Art 1 des 1. ZPEMRK, weil es nicht im Ermessen der Erben stehe, ob ein Verlassenschaftskurator bestellt werde oder nicht.

Der VfGH lehnte die Behandlung der Beschwerde wegen mangelnder Aussicht auf Erfolg ab.

Der VfGH hat sich bereits mit der Bestimmung des § 283 Abs 1 und 2 ABGB auseinandergesetzt und ausgesprochen, dass die angefochtene Regelung im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers liegt (vgl VfGH 14. 6. 2022, G 93/2022; 28. 11. 2022, G 262/2022). Vor diesem sieht sich der VfGH nicht veranlasst, von dieser Auffassung abzugehen.

Anmerkung

Die Regelungen zur Entschädigung des Erwachsenenvertreters oder Kurators stehen regelmäßig auf dem Prüfstand (s VfGH 6. 12. 2021, G 275–276/2021, iFamZ 2022/2, 6; 22. 9. 2021, G81/2021G, iFamZ 2021/234, 320; 6. 10. 2011, G 38/11, G69/11, iFamZ 2012/42, 65, und zuletzt 12. 6. 2023, G 209/ 2023, iFamZ 2023/179, 265). Bislang wurde keine Verfassungswidrigkeit festgestellt.

Ulrich Pesendorfer

§ 38a SPG; § 13 Abs 1 Satz 2 WaffenG 1996; Art 6, 8, 13 EMRK; Art 45, 47 GRC; Art 7, 18 B-VG iFamZ 2024/2

Polizeiliches Betretungs- und Annäherungsverbot: Verfahren und „automatisches“ Waffenverbot verfassungskonform

VfGH 7. 12. 2023, G 590-591/2023

Dem Antrag des LVwG NÖ liegen insgesamt vier Fälle zugrunde, in denen Beschwerden gegen die Anordnung eines polizeilichen Betretungs- und Annäherungsverbotes gem § 38a Abs 1 SPG erhoben wurden.

In einem Fall wurde der Beschwerde Folge gegeben und das gegenüber dem Beschwerdeführer ausgesprochene Betretungsverbot, das Annäherungsverbot an die Ehefrau und die beiden Kinder sowie das vorläufige Waffenverbot für rechtswidrig erklärt. Weder der Dokumentation noch den (insb auf Grundlage der Zeugenaussagen der einschreitenden Beamten) getroffenen ergänzenden Feststellungen sei ein Gesamtbild zu entnehmen gewesen, das die Prognose künftiger gefährlicher Angriffe gegen das Leben, die Gesundheit oder die Freiheit seiner Ehefrau – und erst recht nicht seiner Kinder – vertretbar erscheinen ließe. Ebenso habe es abgesehen von den Angaben der Ehefrau (also der Gefährdeten) an jeglichem Anhaltspunkt dafür gefehlt, dass die – grundsätzlich unbestrittenen – Aggressionshandlungen zwischen den Ehegatten (insb Handgreiflichkeiten) jemals vom Beschwerdeführer ausgegangen wären (der dies bestritten habe), wobei die einschreitenden Beamten zumindest die anwesende Tochter befragen hätten können (alternativ auch den älteren Sohn, der bei früheren Vorfällen zugegen gewesen sei).

Aufgrund einer ao Amtsrevision der belangten Behörde hob der VwGH dieses Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts auf (Ra 2023/01/ 0038): Gegenstand der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbot gem § 38a SPG durch das VwG sei lediglich, ob für die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes – aufgrund des sich den einschreitenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bietenden Gesamtbilds und ausgehend vom Wissensstand der Beamten im Zeitpunkt des Einschreitens – hinreichende Gründe für das Bestehen einer vom Gefährder ausgehenden, das angeordnete Betretungsverbot rechtfertigenden Gefahr iSd § 38a SPG vorgelegen seien. Dabei habe das VwG nicht seine eigene Beurteilung an die Stelle der Beurteilung des einschreitenden, das Verbot verhängenden Beamten zu setzen. Die Annahme eines bevorstehenden vom Gefährder ausgehenden gefährlichen Angriffs auf Leben, Gesundheit oder Freiheit sei nicht bereits dann unvertretbar und das verhängte Betretungsverbot nicht rechtswidrig, wenn das VwG die Gefährdungslage anhand des sich den eingeschrittenen Beamten gebotenen Gesamtbilds anders einschätze (mVa VwGH 4. 12. 2020, Ra 2019/01/0163, Rz 14).

Das LVwG NÖ brachte vor, dass der VwGH dem § 38a Abs 1 SPG einen über den Wortlaut der Bestimmung hinausgehenden Inhalt unterstellt habe. Es erhob Bedenken, dass gegen das Recht auf ein faires Verfahren (Art 6 EMRK), gegen das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht (Art 47 GRC) sowie gegen Art 130 Abs 1 Z 2 B-VG, gegen „verfassungsrechtliche Determinierungsgebote (Art 8 EMRK; Art 1 Abs 1 des 1. ZPEMRK; Art 2 des 4. ZPEMRK; Art 7, 17 und 45 GRC; Art 18 B-VG)“, gegen das Recht auf Freizügigkeit (Art 2 des 4. ZPEMRK) bzw das Recht auf Freizügigkeit und Aufenthaltsfreiheit (Art 45 GRC), gegen Art 13 EMRK und das Rechtsstaatsprinzip sowie letztlich auch gegen das Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art 2 StGG; Art 7 Abs 1 B-VG) bzw das Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (Art I BVG, rassische Diskriminierung) verstoßen werde.

Der VfGH wies den Antrag ab. (…)

2.1. Zum rechtlichen Hintergrund des § 38a SPG

Zum Schutz vor Gewalt im häuslichen Bereich, insb innerhalb der Familie, wurde mit 1. 5. 1997, BGBl 1996/759, in § 38a SPG die Bestimmung „Wegweisung und Rückkehrverbot bei Gewalt in Wohnungen“ erstmals eingefügt. Bis zur Einführung dieser Bestimmung konnte der vorbeugende Schutz des Lebens und der Gesundheit von Menschen, wie er in § 22 Abs 2 und 4 SPG als Aufgabe der Sicherheitsbehörden konzipiert ist, bei Gewaltakten, die sich in der häuslichen Sphäre ereigneten, nur eingeschränkt erfüllt werden: Das SPG bot vor der Einführung des § 38a SPG in Fällen, in denen der Verdacht bestand, dass ein gefährlicher Angriff bevorstehe, kein ausreichendes Instrumentarium zur Gewährleistung eines angemessenen vorbeugenden Schutzes der gefährdeten Menschen. Die Möglichkeiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes waren in Situationen, in denen es zu Gewaltakten in der Wohnsphäre gekommen war und mit weiteren gefährlichen Angriffen gerechnet werden musste, im Wesentlichen darauf beschränkt, der gefährdeten Person lediglich zu raten, sich in Sicherheit zu bringen.

Seit seiner Einführung wurde § 38a SPG mehrmals mit dem Ziel novelliert, den Schutz gefährdeter Personen zu erweitern.

§ 38a SPG idgF BGBl I 2021/124 ermächtigt die einschreitenden Sicherheitsbeamten, einem Menschen, von dem aufgrund bestimmter Tatsachen, insb wegen eines vorangegangenen gefährlichen Angriffs, anzunehmen ist, dass er einen gefährlichen Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit, insb in einer Wohnung, in der ein Gefährdeter wohnt, begehen werde (Gefährder), das Betreten einer Wohnung, in der ein Gefährdeter wohnt, samt einem Bereich im Umkreis von 100 m zu untersagen (Betretungsverbot). Mit dem Betretungsverbot verbunden ist seit der SPG-Novelle BGBl I 2019/105 auch das Verbot der Annäherung an den Gefährdeten im Umkreis von 100 m (Annäherungsverbot).

Vorauszuschicken ist, dass sich aus § 22 Abs 4 SPG ableiten lässt, dass es sich bei der in § 38a SPG genannten Ermächtigung um keine solche handelt, die den Sicherheitsorganen Ermessensspielraum einräumt, vielmehr handelt es sich um eine Verpflichtung zur Anordnung eines solchen Betretungs- und Annäherungsverbots, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind (vgl Keplinger in Bauer/Keplinger, Gewaltschutzgesetz [2020] § 38a SPG; s auch Keplinger/Pühringer, SPG20 [2021] § 38a SPG Anm 4; Hauer/Keplinger, SPG4 [2011] § 38a Rz 2).

Die Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbots setzt das Vorliegen bestimmter Tatsachen voraus, aufgrund derer anzunehmen ist, dass ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit, insb in der Wohnung, in der ein Gefährdeter wohnt, bevorstehe. Diese Tatsachen müssen die Annahme rechtfertigen, dass plausibel und nachvollziehbar bestimmte künftige „gefährliche“ Verhaltensweisen zu erwarten sein werden. Bei dieser Prognose ist vom Wissensstand des Beamten im Zeitpunkt des Einschreitens auszugehen. Die einschreitenden Beamten sind verpflichtet, in ihrer Prognoseentscheidung eine eigenständige, proaktive und umfassende Risikobewertung vorzunehmen und dabei die Besonderheiten häuslicher Gewalt unter Einbeziehung der besonderen Erfahrungswerte der Sicherheitsexekutive zu berücksichtigen (vgl Keplinger/Pühringer, SPG20, § 38a SPG Anm 8). Die Sicherheitsorgane müssen selbst Verhaltensweisen oder bestimmte Tatsachen unmittelbar wahrnehmen, die auf eine bevorstehende Gefährdung schließen lassen können (vgl in diesem Zusammenhang auch VfSlg 12.745/1991 mwH).

Das VwG hat somit die Rechtmäßigkeit eines gem § 38a SPG angeordneten Betretungs- und Annäherungsverbotes im Sinn einer objektivierten Ex-ante-Betrachtung aus dem Blickwinkel der einschreitenden Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zum Zeitpunkt ihres Einschreitens zu prüfen. Dabei hat es zu beurteilen, „ob die eingeschrittenen Organe entsprechend der dargelegten Grundsätze vertretbar annehmen konnten, dass ein vom Gefährder ausgehender gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit bevorsteht“ (jüngst VwGH 24 .7. 2023, Ra 2023/01/0074 mwH; s auch Keplinger/Pühringer, SPG20, § 38a SPG Anm 43).

Der VfGH verkennt nicht, dass diese Ersteinschätzung nicht immer zweifelsfrei zu fällen ist und gerade im Rahmen einer häuslichen Konfliktsituation oft sich die an dem Konflikt Beteiligten mit „Aussage gegen Aussage“ gegenüberstehen. Gerade in solchen Situationen besteht für die einschreitenden Organe jedoch die Verpflichtung, auf Basis des sich ihnen bietenden Gesamtbildes ex ante einzuschätzen, ob mit einiger Wahrscheinlichkeit ein gefährlicher Angriff – also ein Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit (zumindest) einer gefährdeten Person – durch den Wegzuweisenden bevorstehen könnte. Dass dabei vom Wissenstand des Beamten zum Zeitpunkt des Einschreitens und der dabei zu fällenden Prognoseentscheidung auszugehen ist, setzt § 38a SPG voraus; auch – und nichts anderes kann dem Gesetzgeber unterstellt werden, wenn er Regelungen zur Vermeidung von Gewalt im häuslichen Umfeld trifft – nimmt die Regelung zur Vermeidung von Gewalteskalationen hin, dass diese Prognose in Einzelfällen unscharf sein kann. Neben zahlreichen Verpflichtungen, etwa über die Rechtsfolgen des Betretungs- und Annäherungsverbots aufzuklären, sind auch gem § 38a Abs 6 SPG die für das Einschreiten maßgeblichen Umstände (für sich anschließende Verfahren) zu dokumentieren. Diese Dokumentation beschreibt somit die für die Verhängung des Betretungsund Annäherungsverbotes maßgeblichen Umstände (vgl Bauer/ Keplinger, Gewaltschutzgesetz, 168 f).

§ 38a Abs 10 SPG regelt die Geltungsdauer: So endet ein Betretungs- und Annäherungsverbot nach Abs 1 leg cit grundsätzlich ex lege nach zwei Wochen, in manchen Fällen auch erst nach vier Wochen.

2.2. Zu den Bedenken in Bezug auf Art 6 EMRK und Art 130 Abs 1 Z 2 B-VG:

2.2.1. Das antragstellende LVwG NÖ vertritt nun die Auffassung, dass in Fällen etwa, in denen der „Gefährder“, über den ein Betretungs- und Annäherungsverbot ausgesprochen wird, (Mit-)Eigentümer jener Wohnung sei, auf die sich das Betretungsverbot beziehe, für ihn eine Eigentumsbeschränkung vorliege und auch der Ausspruch eines vorläufigen Waffenverbots zu einer Eigentumsbeschränkung führe. Daraus folge, dass ein verwaltungsgerichtliches Verfahren, in dem über die Rechtmäßigkeit eines Betretungs- und Annäherungsverbots entschieden wird, zivilrechtliche Ansprüche iSd Art 6 Abs 1 EMRK zum Gegenstand habe. Die gesetzlichen Rechtsfolgen (§ 38a Abs 8 SPG; § 13 Abs 1 WaffG) könnten sogar als ein Verfahren über eine strafrechtliche Anklage gesehen werden.

2.2.2. Diese Auffassung des LVwG NÖ trifft jedoch nicht zu: Art 6 EMRK gewährleistet ein Justiz- und Verfahrensgrundrecht, dessen Anwendungsbereich auf Verfahren über zivilrechtliche Ansprüche oder die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage begrenzt ist. Beim Betretungs- und Annäherungsverbot (und auch der Wegweisung) handelt es sich – nach der Rsp des VwGH –um eine administrativ-rechtliche Maßnahme zum Schutz der öffentlichen Ordnung und nicht um eine strafrechtliche Anklage iSd Art 6 EMRK (VwGH 26. 4. 2016, Ra 2015/03/0079 mwH). Auch eine Betroffenheit in zivilrechtlichen Ansprüchen iSd Art 6 EMRK wird nicht schon per se durch ein solches Verbot hergestellt (VwGH 15. 12. 2015, Ra 2015/01/0241).

Wenn nun das antragstellende VwG unter Bezugnahme auf das Urteil des EGMR vom 23. 2. 2017, De Tommaso, Bsw 43.395/09, davon ausgeht, dass die Rechtsfolgen eines Betretungs- und Annäherungsverbots derart weitreichend sind, dass Art 6 EMRK anzuwenden ist, übersieht es, dass die Sach- und Rechtslage hier mit jener dem Fall De Tommaso zugrunde liegenden nicht vergleichbar ist: Das im Fall De Tommaso anzuwendende italienische Gesetz ermöglicht die Verhängung vorbeugender Maßnahmen gegen Personen, die eine Gefahr für die Sicherheit und öffentliche Moral darstellen. Der Beschwerdeführer in dieser Rechtssache war nach Verbüßung einer Haftstrafe wegen mehrerer Verurteilungen wegen Tabakschmuggels, Drogenhandels und Umganges mit illegalen Waffen durch staatsanwaltliche Anordnung einer zweijährigen polizeilichen Überwachung unterstellt worden. Diese „vorbeugende Maßnahme“ umfasste ua Meldeverpflichtungen, Ausgangsverbote sowie Ausgangsbeschränkungen, Handyverbote und zahlreiche weitere Einschränkungen, wie zB sogar das Verbot der Teilnahme an öffentlichen Versammlungen, die damit begründet wurden, dass der Beschwerdeführer den Großteil seines Lebensunterhalts durch eine hohe kriminelle Aktivität erworben habe.

2.2.3. Der EGMR schloss in diesem Fall zunächst die Anwendbarkeit des Art 5 EMRK aus und erkannte infolge, dass in Bezug auf Art 2 des 4. ZPEMRK eine Verletzung stattgefunden habe, weil der Eingriff in das Recht auf Freizügigkeit aufgrund der Unbestimmtheit der gesetzlichen Grundlage nicht auf gesetzlichen Normen beruhte. In Bezug auf Art 6 EMRK sprach der EGMR aus, eine Anwendung des zivilrechtlichen Zweigs von Art 6 EMRK sei auch auf Fälle möglich, die zunächst kein ziviles Recht zu betreffen scheinen, die aber direkte und bedeutsame Auswirkungen auf ein persönliches Recht eines Individuums haben können. Die nach dem italienischen Gesetz verhängten vorbeugenden Maßnahmen griffen nach Auffassung des EGMR derart intensiv in die persönlichen Rechte des Betroffenen ein, dass der Anwendungsbereich des Art 6 EMRK im vorliegenden Fall eröffnet war und auch eine Verletzung teilweise bejaht wurde. Eine Verletzung von Art 13 EMRK konnte der EGMR in der Folge allerdings nicht erkennen.

GRUNDRECHTE UND FAMILIE

Dieser im Antrag des LVwG NÖ bezogene Fall ist weder hinsichtlich der Sach- noch der Rechtslage mit Blick auf die Dauer und Intensität der vorbeugenden Maßnahmen mit den Rechtsfolgen, die in § 38a SPG vorgesehen sind, vergleichbar.

2.2.4. Die mit der Novelle 2019, BGBl I 105, in § 38a SPG normierten Weiterungen bei der Verhängung von Betretungs- und Annäherungsverboten haben – trotz der neu eingeführten Rechtsfolgen, nämlich der verpflichtenden Teilnahme an einer Beratung und eines vorläufigen Waffenverbotes – an der Beurteilung, dass das Verfahren gem § 38a SPG nicht dem Art 6 EMRK unterfällt, nichts geändert. Mit der im Gesetz vorgesehenen Administrativmaßnahme des § 38a SPG, die allein präventiven Charakter (VwGH 10. 5. 2023, Ra 2023/01/0038) hat, soll sichergestellt werden, dass die einschreitenden Sicherheitsorgane eine Maßnahme zur Vermeidung von Gewalttaten ohne Verzögerung setzen können. Zu dem vom LVwG NÖ vorgebrachten Argument von kurzfristigen Auswirkungen eines Betretungs- und Annäherungsverbots auf die Verfügungsgewalt über Eigentum ist bloß darauf zu verweisen, dass dies Begleiterscheinungen sind, die (noch) nicht geeignet sind, die Anwendbarkeit des Art 6 EMRK im Verfahren nach § 38a SPG zu eröffnen. Aus § 38a Abs 10 SPG ergibt sich zudem, dass es sich um eine administrativrechtliche provisorische Maßnahme handelt.

2.2.5. Auf die angefochtene Regelung des § 38a SPG ist daher weder Art 6 EMRK noch Art 47 Abs 2 GRC anwendbar.

2.2.6. Darüber hinaus bringt das antragstellende LVwG eine Verletzung von Art 130 Abs 1 Z 2 B-VG vor, weil – so die Behauptung – seine Tatsachenkognitionsbefugnis beschränkt sei.

Vorauszuschicken ist, dass das LVwG NÖ in Bezug auf dieses Bedenken den Sitz der Verfassungswidrigkeit – ausgehend von der Judikatur des VwGH (etwa VwGH 10. 5. 2023, Ra 2023/01/0038; 4. 12. 2020, Ra 2019/01/0163) – ebenfalls in § 38a SPG verortet, wobei es hier übersieht, dass diese Bestimmung keine Aussage über die Kognitionsbefugnis der LVwG im Rahmen der nachprüfenden Kontrolle enthält. Schon aus diesem Grund geht das Bedenken ins Leere.

Wenn das antragstellende Gericht – unabhängig vom vorgebrachten Sitz der Verfassungswidrigkeit in § 38a SPG – davon ausgeht, es müsse von Verfassungs wegen zumindest dann, wenn ein behördlicher (Befehls- und Zwangs-)Akt bekämpft wird, dem eine Prognoseentscheidung des einschreitenden Organs zugrunde liegt, seine eigene Beurteilung an dessen Stelle setzen können, trifft dies nicht zu; es handelt sich um einen – wie auch in anderen Verfahren üblichen – dem Charakter der Prognoseentscheidung entsprechenden Prüfungsmaßstab, innerhalb dessen das VwG die durch die einschreitenden Organe ausgesprochene Anordnung umfassend zu überprüfen hat.

Das Verfahren gem § 38a SPG stellt jedenfalls sicher, dass die Kontrolle der vom Sicherheitsorgan verhängten Maßnahme dahingehend erfolgt, ob dessen Entscheidung dem Zweck des Gesetzes entsprechend (Gewaltprävention) und unter Einhaltung der im §38a SPG vorgegebenen Verfahren und deren Dokumentation –also rechtmäßig – erfolgt ist.

Jedoch ist dem LVwG NÖ insoweit zuzustimmen, als ein VwG im Verfahren betreffend die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbotes die Anordnung zu überprüfen und allenfalls zu ermitteln hat, ob die einschreitenden Organe aufgrund bestimmter Tatsachen auf Basis des dokumentierten Sachverhaltes das Vorliegen einer Gefahrensituation annehmen konnten, welche die Anordnung eines Betretungsund Annäherungsverbots geboten hat.

In diese Rechtmäßigkeitskontrolle ist nur miteinzubeziehen, welche Sachverhaltselemente den einschreitenden Organen mit der im Hinblick auf den Zeitfaktor zumutbaren Sorgfalt im konkreten Kontext bekannt sein mussten.

2.3. Zum vorgebrachten Verstoß gegen das Determinierungsgebot und Art 18 B-VG:

Das in Art 18 Abs 1 B-VG verankerte Rechtsstaatsprinzip gebietet, dass Gesetze einen Inhalt haben müssen, durch den das Verhalten der Behörde vorherbestimmt ist. Dass der Gesetzgeber bei der Beschreibung und Formulierung dieser Kriterien unbestimmte Gesetzesbegriffe verwendet, dadurch zwangsläufig Unschärfen in Kauf nimmt und von einer exakten Determinierung des Behördenhandelns Abstand nimmt, kann im Hinblick auf den Regelungsgegenstand erforderlich sein und steht grundsätzlich in Einklang mit Art 18 Abs 1 B-VG (vgl die Judikatur des VfGH zum „differenzierten Legalitätsprinzip“, VfSlg 13.785/1994 mwN, 20.130/2016, 20.192/2017, 20.476/2021).

Die Verwendung unbestimmter Gesetzesbegriffe allein belastet eine Regelung noch nicht mit Verfassungswidrigkeit (vgl zB VfSlg 3981/1961, 18.550/2008, 19.530/2011 und 20.070/2016). Entscheidend ist vielmehr, ob der Anordnungsgehalt einer Regelung unter Heranziehung aller Auslegungsmethoden geklärt werden kann (vgl zB VfSlg 8395/1978, 10.296/1984, 13.785/1994, 18.821/2009, 19.530/2011, 20.476/2021).

Das LVwG NÖ verweist auch in diesem Zusammenhang auf das Urteil des EGMR im Fall De Tommaso, in dem eine genaue Determinierung für die Anordnung von Präventivmaßnahmen für erforderlich erachtet wurde.

Wie bereits oben dargelegt, unterscheidet sich der der Rechtssache De Tommaso zugrunde liegende Sachverhalt deutlich von den hier vorliegenden Sachverhalten und ist auch die der anzuordnenden Präventivmaßnahme zugrunde liegende Rechtslage eine völlig andere. § 38a Abs 1 SPG ermächtigt zur Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbots, wenn „auf Grund bestimmter Tatsachen, insbesondere wegen eines vorangegangenen gefährlichen Angriffs, anzunehmen ist, dass [die als Gefährder bezeichnete Person] einen gefährlichen Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit, insbesondere in einer Wohnung, in der ein Gefährdeter wohnt, begehen werde […]“. Mit Blick auf die umfassende und gefestigte Rsp (etwa VwGH 31. 5. 2012, 2012/01/0018; 21. 12. 2000, 2000/01/0003; 24. 2. 2004, 2002/01/0280; ebenso EGMR 4. 7. 2019, Kurt gg Österreich, Bsw 62.903/15) sowie auf die Erläut ist der Begriff der „bestimmten Tatsachen“ jedenfalls einer Auslegung zugänglich und daher iSd Art 18 B-VG hinreichend bestimmt. Auch mit Blick auf das Determinierungsgebot erkennt der VfGH keinen Verstoß gegen Art 18 B-VG.

2.4. Zum vorgebrachten Verstoß gegen das Recht auf Freizügigkeit:

Die rechtmäßige Verhängung eines Betretungs- und Annäherungsverbotes nach § 38a SPG sowie insb die Verpflichtung zur Teilnahme an einer Gewaltpräventionsberatung stelle – so der Vorwurf des antragstellenden LVwG – einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht auf Freizügigkeit dar.

In diesem Zusammenhang genügt es, auf die Entscheidung des VfGH vom 7. 12. 2023, G 105/2023 ua zu verweisen: (…).

2.5. Zum vorgebrachten Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot: In diesem Zusammenhang bringt das LVwG NÖ zunächst vor, dass § 38a Abs 1 SPG ohne erkennbare sachliche Rechtfertigung die Kognitionsbefugnis des VwG gegenüber dem Art 130 Abs 1 Z 2 B-VG zu entnehmenden Grundsatz einschränke, wonach VwG auch im Maßnahmenbeschwerdeverfahren volle Tatsachenkognitionsbefugnis zukomme. Darüber hinaus würden § 38a Abs 8 SPG und § 13 Abs 1 Satz 2 WaffG in unsachlicher Weise an den Ausspruch eines Betretungs- und Annäherungsverbots unmittelbare Rechtsfolgen knüpfen, die sofort bzw innerhalb von fünf Tagen für den Gefährder wirksam würden, von ihm jedoch nicht gesondert angefochten werden könnten.

Die behauptete Beschränkung der Kognitionsbefugnis liegt –wie bereits oben erläutert – nicht vor.

Zur sachlichen Rechtfertigung für die Normierung der gesetzlichen Rechtsfolgen der verpflichtenden Teilnahme an einer Gewaltpräventionsberatung genügt es, auf die Entscheidung des VfGH vom 7. 12. 2023, G 105/2023 ua, zu verweisen.

2.6. Zum Bedenken in Bezug auf Art 13 EMRK bzw Art 47 GRC sowie das Rechtsstaatsprinzip:

In diesem Zusammenhang bringt das antragstellenden LVwG vor, dass die fehlende gesonderte Anfechtbarkeit einzelner Rechtsfolgen des § 38a SPG (die Gewaltpräventionsberatung gem § 38a Abs 8 SPG sowie das vorläufige Waffenverbot nach § 13 Abs 1 Satz 2 WaffG), die ihrerseits einen Eingriff ua in Art 8 EMRK bewirkte, den Anforderungen des Art 13 EMRK widerspreche.

Der Umstand, dass nicht jede Rechtsfolge der Maßnahme gesondert anfechtbar ist bzw im Fall der nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme nicht mehr lückenlos rückgängig gemacht werden kann, macht die Regelung als solche im gegebenen Zusammenhang nicht bereits verfassungswidrig (vgl ebenfalls VfGH 7. 12. 2023, G 105/2023 ua.).

2.7. In Bezug auf die Abnahme von Waffen (§ 13 Abs 1 Satz 2 WaffG) führt die BReg aus, dass diese Bestimmung im Rahmen der Umsetzung des zweiten Anti-Terror-Maßnahmenpakets eingeführt wurde. Vor dem Hintergrund zunehmender Gewaltbereitschaft sollen laut den Mat im Fall einer Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbots die gleichen Rechtsfolgen wie bei alleiniger Aussprache eines vorläufigen Waffenverbots eintreten, sodass die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes in diesen Fällen ermächtigt sind, sämtliche Waffen, Munition und waffenrechtliche Urkunden des Betroffenen sicherzustellen und die Waffenbehörde über das vorläufige Waffenverbot zu informieren.

Im gegebenen Kontext kann der VfGH – auch mit Blick auf die Entscheidung des EGMR vom 4. 7. 2019, Kurt gg Österreich, Bsw 62.903/15 – nicht finden, dass das mit einem Betretungs- und Annäherungsverbot verbundene Waffenverbot unverhältnismäßig oder überschießend wäre; daher kann er auch dieses Bedenken nicht teilen.

Anmerkung

Zu VfGH 7. 12. 2023, G 105/2023 ua, s in diesem Heft iFamZ 2024/3, 7; zu EGMR 4. 7. 2019, Kurt gg Österreich, Bsw 62.903/15, s iFamZ 2021/95, 143.

Ulrich Pesendorfer

§ 38a Abs 8 SPG; § 382f Abs 4 EO; Art 5, 6, 8, 13 EMRK iFamZ 2024/3 Verpflichtende Gewaltpräventionsberatung für „Gefährder“ und eingeschränkte Prüfungsbefugnis der Verwaltungsgerichte sind verfassungskonform VfGH 7. 12. 2023, G 105/2023, G 108/2023, G 239-240/2023

Im Verfahren vor dem VwG Wien (G 105/2023, G 108/2023) geht es um die Beschwerde gegen ein nach § 38a SPG verhängtes Betretungs- und Annäherungsverbot gegen die Beschwerdeführerin. Nach einem heftigen Ehestreit wurde ihr verboten, sich an die Wohnung, den Ehegatten und die gemeinsame, unmündige Tochter in einem Umkreis von 100 m anzunähern. Überdies sei ex lege die vorbeugende Maßnahme des § 38a Abs 8 SPG (Gewaltpräventionsberatung) mitverhängt worden.

Im Verfahren vor dem LVwG Tirol (G 239-240/2023) geht es um die Beschwerde eines Vaters, der nach einem Streit mit seinem Sohn einmalig eine Ohrfeige gegeben hat. Gegenüber dem Vater wurde ein Betretungs- und Annäherungsverbot ausgesprochen und ex lege damit auch die verpflichtende Teilnahme an einer Gewaltpräventionsberatung mitverhängt worden.

Beide Verwaltungsgerichte haben Bedenken gegen die Gewaltpräventionsberatung nach § 38a Abs 8 SPG. Diese sei ohne faires Verfahren automatisch verhängt worden und unverhältnismäßig. Es fehlten die Möglichkeiten, die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme vor ihrem Wirksamwerden überprüfen zu lassen bzw davon vorläufig – zB bis zu einer behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung – auf Antrag abzusehen.

Der VfGH wies die Anträge ab. (…)

A. Entscheidung über den Antrag zu G 105/2023, G 108/2023

3.1. Zunächst bringt das VwG Wien vor, dass die angefochtenen Bestimmungen gegen Art 5, 6 und 8 EMRK verstießen: Die Verknüpfung einer als solchen unbedenklichen Sicherungsmaßnahme (Verhängung eines Betretungs- und Annäherungsverbots bei Vorliegen der Voraussetzungen) mit der Verpflichtung zur aktiven, nicht nur einmaligen Teilnahme an einer Gewaltpräventionsberatung „greift sowohl in das Recht auf persönliche Freiheit als auch in das Recht auf Achtung des Privatlebens in einer Weise ein, wie sie für eine bloße Sicherheitsmaßnahme zugunsten anderer nicht erforderlich sowie unverhältnismäßig ist und also nicht gerechtfertigt werden kann“ und „genügt nach Ansicht des antragstellenden Gerichts nicht den rechtsstaatlichen Anforderungen, und wäre eher mit polizeistaatlichen Methoden zu assoziieren“.

3.2. Diese Auffassung trifft nicht zu:

3.2.1. Aus § 38a SPG ergibt sich, dass ein Betretungs- und Annäherungsverbot (ebenso wie eine Wegweisung) an die Voraussetzung geknüpft ist, dass aufgrund bestimmter Tatsachen (Vorfälle) anzunehmen ist, ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit einer gefährdeten Person stehe bevor (vgl zB VwGH 4. 12. 2020, Ra 2019/01/0163).

Welche Tatsachen als solche iSd § 38a SPG in Frage kommen, sagt das Gesetz nicht (ausdrücklich). Diese Tatsachen müssen (in der Regel aufgrund bekannter Vorfälle) die Annahme rechtfertigen, dass plausibel und nachvollziehbar bestimmte künftige „gefährliche“ Verhaltensweisen zu erwarten sein könnten. Aufgrund des sich den einschreitenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bietenden Gesamtbilds muss mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, dass ein gefährlicher Angriff im genannten Sinn durch den „Gefährder“ bevorstehe. Bei dieser Prognose ist vom Wissensstand des Beamten im Zeitpunkt des Einschreitens auszugehen (vgl etwa VwGH 22. 6. 2018, Ra 2018/01/0285, Rz 7; 7. 9. 2020, Ro 2019/ 01/0005, Rz 13). Der einschreitende Beamte hat somit rasch und situationsbezogen in einer bereits eskalierten Gesamtsituation mit zwei oder mehr Beteiligten zu handeln.

3.2.2. Diese Ersteinschätzung durch die einschreitenden Sicherheitsorgane unterliegt innerhalb von drei Tagen einer Überprüfung durch die Sicherheitsbehörde (§ 38a Abs 7 SPG).

Das VwG hat somit die Rechtmäßigkeit eines gem § 38a SPG angeordneten Betretungs- und Annäherungsverbots im Sinne einer objektivierten Ex-ante-Betrachtung aus dem Blickwinkel der einschreitenden Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zum Zeitpunkt ihres Einschreitens zu prüfen (vgl zur Ex-ante-Betrachtung aus dem Blickwinkel der einschreitenden Exekutivbeamten VfGH 7. 12. 2023, G 590-591/2023; vgl auch etwa VwGH 5. 12. 2017, Ra 2017/01/0373).

3.2.3. Eine weitere grundlegende Prämisse des VwG Wien ist, dass „nunmehr die Sicherheitsmaßnahme mit einer vorbeugenden, einer Bestrafung gleichkommenden Maßnahme verknüpft“ werde, „ohne dass dem ein faires Verfahren vorangegangen sei“. Diese Prämisse trifft jedoch nicht zu. Das antragstellende Gericht geht nämlich im Kern davon aus, dass die sich aus dem nach § 38a SPG ausgesprochenen Betretungs- und Annäherungsverbot ergebende Rechtsfolge für den – in der den Einsatz von Sicherheitsorganen auslösenden Situation als „Gefährder“ bezeichneten – Betroffenen von vornherein eine als Strafe zu qualifizierende Rechtsfolge darstelle. Dem ist aber gerade nicht so:

KINDSCHAFTSRECHT

Das Konzept von § 38a SPG geht sichtlich davon aus, dass – bezogen auf die auslösende Situation – beide bzw die jeweiligen Streitparteien jedenfalls vorerst schnell voneinander zu trennen sind. Die präventive, unterstützende und begleitende Maßnahme der Gewaltpräventionsberatung, die spezifisch für Gewalt im häuslichen Bereich etabliert wurde, soll den Betroffenen Möglichkeiten aufzeigen, zukünftig Gewalt insb im privaten Bereich zu vermeiden (§ 25 Abs 4 SPG; vgl zu den Zielsetzungen und den gewählten Methoden IA 970/A 26. GP 26 f).

Auch übersieht das antragstellende Gericht, dass der Gesetzgeber an sich auch dem „Gefährdeten“ Möglichkeiten einer entsprechenden Beratung eröffnet (§ 25 Abs 3 SPG) und zudem Einrichtungen zum Schutz der von solchen Krisensituationen möglicherweise betroffenen Kinder aktiv werden. Nach § 38a Abs 4 SPG besteht eine Verpflichtung der einschreitenden Organe, einem „Gefährdeten“ geeignete Opferschutzeinrichtungen als Ansprechstellen bekanntzugeben, und für den Fall, dass Minderjährige involviert sind, sind verpflichtend jene Personen, in deren Obhut sich diese regelmäßig befinden, bzw allenfalls der örtliche Kinder- und Jugendhilfeträger zu informieren. Dennoch ist festzuhalten, dass nach der Intention des Gesetzgebers zu „opferschutzorientierter Täterarbeit“ § 38a Abs 8 SPG eben gerade darauf abstellt, dass zunächst der nach der Einschätzung der einschreitenden Sicherheitsorgane und Überprüfung durch die Sicherheitsbehörde als „Gefährder“ Erkannte abgesondert und damit unverzüglich zu einer Beratung verpflichtet wird, dem „Gefährdeten“ hingegen die Möglichkeit einer Beratung auf freiwilliger Basis immer offensteht (Interventionsstellen).

3.2.4. Bei einer Gesamtbetrachtung des Gesamtablaufs dieser Präventionsmaßnahme wird deutlich, dass – ungeachtet der Verpflichtung, sich dieser Maßnahme zu unterziehen – diese dadurch nicht den Charakter einer Strafe, wovon das antragstellende Gericht ausgeht, erhält.

3.2.5. Die vorbeugende Maßnahme der verpflichtenden Teilnahme an einer Gewaltpräventionsberatung stellt somit einen verhältnismäßigen Eingriff in die Rechte des Betroffenen dar und ist auch geeignet, mit der vom Gesetzgeber intendierten Situationsanalyse Wege und Möglichkeiten für das betreffende Verhalten aufzuzeigen, um künftige Gewaltsituationen möglichst hintanzuhalten.

3.2.6. Ein Eingriff in Art 5 EMRK liegt daher im Ergebnis nicht vor (vgl in diesem Zusammenhang auch VfGH 24. 6. 2021, V 2/2021;

RECHTSPRECHUNG Kindesunterhalt und UVG

§ 231 ABGB

Abzugsfähigkeit von scheidungsbedingten Wohnungsbeschaffungskosten

iFamZ 2024/4

OGH 21. 11. 2023, 2 Ob 185/23d Scheidungsbedingte Wohnungsbeschaffungskosten sind ausnahmsweise dann von der Unterhaltsbemessungsgrundlage abzuziehen, wenn der Unterhaltspflichtige die (Ehe-)Wohnung dem Unterhaltsberechtigten überlässt, sein nunmehriger Wohnungsaufwand seinen Lebensverhältnissen angemessen ist, zwischen der Ehescheidung und der Anschaffung der Wohnung ein gewisses zeitliches Naheverhältnis besteht und die Anschaffung der neuen Wohngelegenheit existenznotwendig war, der Unterhaltspflichtige sich also wegen notwendiger und nicht anders finanzierbarer Anschaffungen für die allgemeine Lebensführung verschuldete. Die Voraussetzungen für die Anrechnung hat der Unterhaltsschuldner zu behaupten und zu beweisen.

22. 9. 2021, G 36/2021, V 60/2021 ua; 18. 3. 2022, V 292/2021; 29.4. 2022, V 23/2022).

3.2.7. In Bezug auf Art 6 EMRK sind die allfälligen Auswirkungen eines Betretungs- und Annäherungsverbots mit all seinen Rechtsfolgen auf den Betroffenen, von seinem Eigentum kurzfristig (§ 38a Abs 10 SPG) keinen Gebrauch machen zu können bzw in seinen (übrigen) familiären Kontakten kurzfristig eingeschränkt zu sein, lediglich mittelbare und von ihrem Umfang und ihrer Intensität her im vorliegenden Fall noch nicht geeignet, eine Anwendbarkeit des Art 6 EMRK zu eröffnen (vgl VfGH 7. 12. 2023, G 590-591/ 2023).

3.2.8. In Bezug auf Art 8 EMRK ist anzumerken, dass der Staat im Übrigen mit der Präventionsmaßnahme – der Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbots samt seinen Rechtsfolgen, insb jener in § 38a Abs 8 SPG – auch seiner Schutzpflicht gegenüber Personen, deren physische Integrität beeinträchtigt wird, nachkommt (zur aus Art 8 EMRK folgenden Schutzpflicht s zB EGMR 14. 10. 2010, A, Bsw 55.164/08, Rn 57 ff; 30. 10. 2010, Hajduová, Bsw 2660/03, Rn 49).

3.2.9. Wenn das VwG Wien zudem auch der Auffassung ist, dass die Teilnahme an einer Gewaltpräventionsberatung rückwirkend, im Fall einer (nachträglichen) Behebung des Betretungs- und Annäherungsverbots, nicht mehr folgenlos rückgängig gemacht werden könne, ist dem bloß entgegenzuhalten, dass vereinzelte Fälle, in denen ein Gefährdeter die Beratung gem § 38a Abs 8 SPG absolvieren musste, obwohl rückwirkend das Betretungs- und Annäherungsverbot behoben wurde – sei es wegen Rechtswidrigkeit seiner Verhängung, sei es wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften, etwa fehlende Überprüfung durch die Sicherheitsbehörden innerhalb der gesetzlichen Frist nach § 38a Abs 7 SPG – (noch) keinen Verstoß des Regelungssystems an sich gegen Grundrechte bedeuten. Solche vereinzelten Fälle betreffen den Vollzug, führen jedoch nicht zur Verfassungswidrigkeit des Gesetzes (vgl in diesem Zusammenhang VfGH 28. 6. 2023, G 299/2022 ua).

B. Entscheidung über den Antrag zu G 239-240/2023

Da der Antrag des LVwG Tirol zu G 239-240/2023 dem zu G105/2023, G 108/2023 protokollierten gleicht, hat der VfGH gem § 19 Abs 3 Z 4 VfGG davon abgesehen, ein weiteres Verfahren in dieser Rechtssache durchzuführen. Dies erfolgt im Hinblick darauf, dass die im Verfahren zu G 239-240/2023 aufgeworfenen Rechtsfragen durch die Entscheidung über den Antrag G 105/2023, G 108/ 2023 des VwG Wien bereits geklärt sind (vgl VfSlg 20.244/2018).

Matthias Neumayr

§ 231 ABGB

Unterhaltsherabsetzungsantrag wegen Betreuungsleistungen

iFamZ 2024/5

OGH 9. 11. 2023, 5 Ob 173/23m Für die Zukunft sind Naturalleistungen (wie über ein übliches Kontaktrecht hinausgehende Betreuungsleistungen) nur zu berücksichtigen, wenn sich der Unterhaltsberechtigte ausdrücklich oder doch schlüssig damit einverstanden erklärt und aufgrund eines stabilen Verhaltens des Unterhaltsschuldners die begründete Annahme besteht, dass er die Naturalleistungen auch künftig erbringen wird. Die Behauptungs- und Beweislast für Umstände, die die Geldunterhaltspflicht reduzieren, trifft den Unterhaltsschuldner.

RECHTSPRECHUNG Obsorge- und Kontaktrecht

§ 180 ABGB

Gemeinsame Obsorge nach langwierigen Kontaktrechtsproblemen

OGH 23. 10. 2023, 6 Ob 147/23w

iFamZ 2024/6

Um im Rahmen einer Obsorge beider Eltern Entscheidungen gemeinsam im Sinn des Kindeswohls treffen zu können, ist es erforderlich, in entsprechend sachlicher Form Informationen auszutauschen und einen Entschluss zu fassen. Dabei müssen die Bedürfnisse und Wünsche des Kindes möglichst übereinstimmend beurteilt werden; die darauf beziehenden Entscheidungen der Eltern dürfen sich also nicht regelmäßig widersprechen.

Für die 2012 geborene S., deren Eltern nicht verheiratet sind bzw waren, war die Mutter bisher mit der Obsorge allein betraut. Die Eltern trennten sich, als S. ca eineinhalb Jahre alt war. Die Kontakte regelten sie nicht fix, sondern vereinbarten diese spontan. Das Kind war öfters mehrmals die Woche beim Vater und übernachtete auch dort. Zu einem jähen Kontaktabbruch kam es, nachdem die damals Fünfjährige dem Vater am 21. 4. 2017 von unangemessenen Berührungen und Aussagen eines TCM-Praktikers erzählt hatte, zu dem die Mutter das Kind zweimal in der Woche brachte. Der Vater erstattete eine Gefährdungsmeldung beim Jugendamt und brachte den Antrag auf Obsorge beider Eltern ein. Die Kontakte zwischen S. und dem Vater fanden danach jahrelang nur im Besuchscafé statt, dies ua deshalb, weil sich das weitere Verfahren nicht mehr um die Vorfälle beim TCMPraktiker drehte, sondern um die beim Vater diagnostizierte bipolare Störung, aus der die gerichtliche Sachverständige eine eingeschränkte Erziehungsfähigkeit des Vaters in ihrem Gutachten vom 19. 10. 2017 abgeleitet hatte. Die Kontakte im Besuchscafé verliefen positiv und harmonisch. Im Jahr 2020 wurden die Kontakte schließlich wieder unbegleitet ausgeübt, wobei die Übergaben zwischen den Eltern direkt erfolgten und sich äußerst schwierig gestalteten, weil sich das Kind meist dagegen wehrte, mit dem Vater mitzugehen. Es fanden daher öfters Kontakte zu dritt statt. Schließlich etablierte sich im zweiten Halbjahr 2020 die Übergabemodalität so, dass das Kind vom Vater am Freitagnachmittag vom Kinderbeistand nach der dortigen Sitzung abgeholt wurde und bis 20:00 Uhr beim Vater war. Die Kontakte fanden oft nicht in der gesamten Dauer statt, weil sich das Kind wünschte, früher zur Mutter nach Hause gebracht zu werden. Der Vater versuchte zwar, S. davon zu überzeugen, die gesamte Dauer mit ihm zu verbringen, entsprach jedoch deren Wunsch, sie früher zurückzubringen, wenn sie darauf insistierte. Wenn ein Termin entfiel, schafften es die Eltern bisher außergerichtlich, einen Ersatztermin zu vereinbaren. So wollte das Kind etwa am 23. 12. 2022 nach ihrem Termin beim Kinderbeistand nicht mit dem Vater mitgehen; in der Folge vereinbarten die Eltern einen Kontakt von S. beim Vater in den Weihnachtsferien.

Weiters einigten sich die Eltern in der Verhandlung vom 17. 1. 2023 darauf, gemeinsam eine Familientherapie mit dem Kind zu absolvieren. Dazu übermittelte die Mutter zwei Vorschläge von möglichen Instituten an den Vater, der in Aussicht stellte, ebenfalls zwei Vorschläge an die Mutter zu übermitteln. Die Eltern vereinbarten, dass jeder aus dem ihm übermittelten Vorschlag eine Person bzw Institution auswählen und dort jeweils ein Erstgespräch absolviert werde. Die Eltern waren zuversichtlich, sich nach dem Erstgespräch einvernehmlich und außergerichtlich auf diejenige Person bzw Institution einigen zu können, die die Therapie durchführen sollte. Aus diesen Beispielen schloss das Erstgericht, dass die Eltern dazu in der Lage sind, bei konkreten Themen miteinander zu kommunizieren und auch Lösungen zu finden. Während des laufenden Gerichtsverfahrens war die Kommunikation der Eltern jedoch auch dadurch geprägt, für das Verfahren Beweise zu sammeln. Deshalb wurde viel über E-Mails kommuniziert, um die E-Mails dann im Verfahren vorlegen zu können. Laut psychiatrischem Sachverständigengutachten vom 16. 7. 2019 sind beide Eltern aus psychiatrischer Sicht in der Lage, das körperliche Wohl und die Gesundheit des Kindes zu wahren und die Ausübung der unmittelbaren Aufsicht zu gewährleisten sowie die Entfaltung der körperlichen, geistigen, seelischen und sittlichen Kräfte, ihrer Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten sowie die schulische Ausbildung zu fördern. Beim Vater findet sich im Langzeitverlauf eine emotionale und affektive Instabilität im Rahmen von Belastungssituationen (Anpassungsproblematik), im Zeitpunkt der Untersuchung durch den Sachverständigen lag jedoch keine psychiatrische Störung von Krankheitswert vor.

S. besucht die 4. Klasse Volksschule, sie lernt singen, tanzen, Ballett und steht schulisch unter Leistungsdruck. Sie wird von allen Beteiligten als belastet wahrgenommen. Ihre Mutter berichtet von Einschlafproblemen, Albträumen, dass sie mit den Zähnen im Schlaf knirsche und sich in die Faust beiße, um die emotionalen Spannungszustände abzubauen. Weiters berichtet die Mutter von regressiven (kleinkindhaft anmutenden) Verhaltensweisen des Kindes, insb nach der Übernachtung beim Vater im August 2022. Der Loyalitätskonflikt bei S. ist vorhanden und belastet sie wesentlich und über einen langen Zeitraum.

Das Kind hat auch eine tragfähige Beziehung zum Vater, sie befürwortet prinzipiell die Kontakte; diese wurden auf expliziten Wunsch des Kindes von Freitagnachmittag auf Samstag verlegt. S. wünscht einen regelmäßigen Kontakt zum Vater, sie signalisiert jedoch der Mutter gegenüber, keine Kontakte mit dem Vater zu wollen, was zur Verschärfung der Konfliktlage zwischen den Eltern führt. Die Mutter ist bemüht, die Kontakte zwischen Kind und Vater zu ermöglichen. Vor Gericht äußerte S. mehrmals in Briefen, sie wünsche, dass die Eltern aufhören, zu streiten.

Am 23. 5. 2017 stellte der Vater den Antrag auf Obsorge beider Eltern. Er wolle unabhängig vom Entgegenkommen der Mutter Informationen bei Schule oder Ärzten einholen können und die Lehrerinnen des Kindes kennenlernen. Er strebe eine weitere Ausdehnung der Kontakte an, sei erziehungsfähig und habe eine tragfähige Beziehung mit dem Kind sowie eine ausreichende Kommunikationsbasis mit der Mutter.

Die Mutter sprach sich dagegen aus, erklärte sich aber damit einverstanden, dem Vater Vollmachten auszustellen, die es ihm etwa ermöglichen würden, an einem Elternsprechtag teilzunehmen oder Informationen bei Ärzten einzuholen. Die Kommunikationsfähigkeit der Eltern sei eingeschränkt und nicht tragfähig. Die Eltern seien nicht in der Lage, gemeinsame Lösungen zu finden. Dieser Zustand belaste das Wohl des Kindes.

Die Familien- und Jugendgerichtshilfe führte in der fachlichen Stellungnahme vom 31. 8. 2022 aus, es würden keine Gründe gegen die Obsorge beider Eltern sprechen.

Das Erstgericht übertrug die Obsorge für S. auch auf den Vater, sodass sie nunmehr beiden Eltern zukommt, und legte den hauptsächlichen Aufenthalt des Kindes bei der Mutter fest. Aus dem festgestellten Sachverhalt seien keine Umstände abzuleiten, die zu einem Obsorgeentzug des Vaters führten, was im Umkehrschluss bedeute, dass nichts gegen die gemeinsame Obsorge beider Eltern spreche.

Das Rekursgericht änderte den Beschluss dahin ab, dass es den Antrag des Vaters auf gemeinsame Obsorge abwies. S. sei seit sechs Jahren damit konfrontiert, dass ihre Eltern Ereignisse in ihrem Leben diametral anders schilderten und dies vor Gericht auch noch nach Jahren immer wieder thematisierten. Die Anordnung einer gemeinsamen Obsorge sei daher hier „bedauerlicherweise“ (noch) nicht möglich.

Der OGH gab dem außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters Folge und stellte den erstinstanzlichen Beschluss wieder her.

1. Die gemeinsame Obsorge beider Eltern kommt nur dann in Frage, wenn ein Mindestmaß an Kooperationsbereitschaft vorhanden ist und beide Elternteile bereit und in der Lage sind, an der gemeinsamen Erfüllung der mit der Obsorge verbundenen Aufgaben mitzuwirken (RIS-Justiz RS0130248 [T2]). Die für eine beiderseitige Obsorge vorauszusetzende Beteiligung beider Eltern an der Betreuung des Kindes erfordert für eine Teilnahme an den Betreu-

Susanne Beck
© Robert Fucik

KINDSCHAFTSRECHT

ungsaufgaben einen Mindestkontakt des jeweiligen Elternteils zum Kind (RIS-Justiz RS0128812 [T23]). Um Entscheidungen gemeinsam im Sinn des Kindeswohls treffen zu können, ist es erforderlich, in entsprechend sachlicher Form Informationen auszutauschen und einen Entschluss zu fassen. Es kommt daher darauf an, ob zumindest in absehbarer Zeit mit einer entsprechenden Gesprächsbasis gerechnet werden kann (RIS-Justiz RS0128812 [T1, T2, T4]). Der Informationsaustausch dient dazu, Erziehungs- und Betreuungsmaßnahmen gemeinsam zu besprechen, wobei die Bedürfnisse und Wünsche des Kindes möglichst übereinstimmend zu beurteilen sind; die darauf beziehenden Entscheidungen der Elternteile dürfen sich also nicht regelmäßig widersprechen (RIS-Justiz RS0132055 [T2]; RS0128812 [T25]). Die beiderseitige Obsorge soll der Regelfall sein (vgl RIS-Justiz RS0128812 [T20]).

2. Das Rechtsmittel zeigt zutreffend auf, dass die vom Rekursgericht herangezogenen Passagen aus der fachlichen Stellungnahme der Familien- und Jugendgerichtshilfe keine Deckung in den Feststellungen des Erstgerichts finden. Überdies hat sich das Rekursgericht darüber hinweggesetzt, dass die Familien- und Jugendgerichtshilfe trotz der von ihr angesprochenen Probleme (die es in einem vor Gericht geführten Pflegschaftsverfahren zwangsläufig immer gibt) zum abschließenden Ergebnis gekommen ist, dass keine Gründe gegen die Obsorge beider Eltern sprechen. (…)

4. Als Ergebnis ist festzuhalten, dass ausgehend von den erstgerichtlichen Feststellungen hier die Voraussetzungen für die gemeinsame Obsorge beider Eltern vorliegen, weshalb der erstgerichtliche Beschluss wiederherzustellen war.

Anmerkung

Der Verfahrensausgang ist von der Leitlinie aus der Judikatur des OGH bestimmt, dass die Obsorge beider Eltern auch bei getrennten Haushalten den Regelfall bilden soll (RIS-Justiz RS0128811). Die konsequente Anwendung dieses Grundsatzes führt dazu, dass der Schwerpunkt eines solchen Verfahrens in der Beurteilung liegen muss, ob gravierende Umstände ein Abgehen von diesem Leitsatz und damit die Aufrechterhaltung der Alleinobsorge des bisher betreuenden Elternteils rechtfertigen. Die Tatsache, dass viele Jahre lang Konflikte über die Umsetzung des Kontaktrechts zwischen dem Kind und dem von diesem getrennt lebenden Elternteil überwunden und dazu immer wieder Gerichtsverfahren geführt werden mussten, spricht für sich allein nicht gegen die Anordnung der gemeinsamen Obsorge, sofern die Voraussetzungen für eine kindeswohlförderliche Ausübung dieses Obsorgemodells nunmehr vorliegen. Eine Obsorgeregelung hat ja eine zukunftsgerichtete Rechtsgestaltung zu sein und darf sich nicht auf die Hervorhebung früherer Defizite in den Verantwortungsbereichen der Eltern beschränken. Daher kommt es wesentlich darauf an, ob den Eltern zum Zeitpunkt der gerichtlichen Obsorgeentscheidung – wie im vorliegenden Fall – die Fähigkeit und Bereitschaft zur ausreichenden Kommunikation und Kooperation zugebilligt werden kann und zwischen ihnen ein kindbezogener und konstruktiver Informationsaustausch gelingt. Die mitunter offenbar reflexhaft auftauchende Vorstellung, dass die Mutter die Alleinobsorge hätte behalten können, wenn sie nicht derart erhebliche Beiträge zum Zustandekommen von Kontakten zwischen dem Kind und dem Vater sowie zur Entstehung einer zielorientierten Kommunikation zwischen den Eltern geleistet hätte, greift sowohl aus Sicht der elterlichen Verantwortung als auch aus rechtlichen Erwägungen zu kurz. Ein beharrliches Bemühen um einvernehmliche Lösungen nach den Kriterien der Tunlichkeit und Zumutbarkeit ist nicht nur dem Kind, sondern auch dem Gesetz (§ 137 Abs 2 Satz 3 ABGB) geschuldet, und für die rechtliche Verpflichtung eines betreuenden Elternteils, infolge des recht extensiv ausgelegten, damit aber Kindeswohlaspekte stark for-

cierenden Wohlverhaltensgebots nach § 159 ABGB alles ihm Zumutbare zu unternehmen, um in aktiver Weise für die Entwicklung des Kindes wichtige Kontakte mit dem anderen Elternteil zu ermöglichen, gibt es in der Rsp des OGH mittlerweile sehr viele Belegstellen (vgl RIS-Justiz RS0007336).

Susanne Beck

§ 181 Abs 1 ABGB

Obsorgeentziehung wegen gravierender Einschränkungen der Erziehungseignung

OGH 19. 10. 2023, 5 Ob 154/23t

iFamZ 2024/7

Die Entziehung der Obsorge darf nur angeordnet werden, wenn sie zur Abwendung einer drohenden Gefährdung des Kindeswohls notwendig ist. Für diese Maßnahme nach § 181 ABGB gelten die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Erforderlichkeit im Sinn des gelindesten Mittels. Ob solche gelindere Mittel ausreichen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. (…) 3. (…) Die Vorinstanzen haben die Entscheidung, die alleinige Obsorge von der Mutter auf den Vater zu übertragen, auf § 181 Abs 1 ABGB gestützt. Nach dieser Bestimmung hat das Gericht die zur Sicherung des Kindeswohls nötigen Verfügungen zu treffen, sofern die Eltern durch ihr Verhalten das Wohl eines minderjährigen Kindes gefährden. Eine Gefährdung des Kindeswohls ist dann gegeben, wenn die Obsorgeberechtigten ihre Pflichten objektiv nicht erfüllen oder diese subjektiv gröblich vernachlässigen und durch ihr Verhalten schutzwürdige Interessen des Kindes wie die physische oder psychische Gesundheit, die altersgemäße Entwicklung und Entfaltungsmöglichkeit, die soziale Integration oder die wirtschaftliche Sphäre des Kindes konkret gefährden (RIS-Justiz RS0048633 [T22]).

Die Vorinstanzen sahen hier das Wohl des Kindes iSd § 181 Abs 1 ABGB zum einen dadurch gefährdet, dass bei dessen Rückführung in den Haushalt der Mutter aufgrund der (nach wie vor) eingeschränkten Erziehungsfähigkeit der Mutter, die Wiederholung jener Umstände zu befürchten sei, die im Juni 2020 die Kindesabnahme notwendig gemacht hatten (Verwahrlosung, insb unzureichende Hygiene; keine adäquate Reaktion der Mutter auf massive Verhaltensauffälligkeiten und mangelnde Problemeinsicht). Zum anderen verweisen die Vorinstanzen auf die fehlende Bindungstoleranz der Mutter gegenüber dem Vater, bei dem das Kind seit Dezember 2020 untergebracht ist.

Diese Beurteilung ist vor dem Hintergrund des gesamten festgestellten Sachverhalts nicht korrekturbedürftig. Die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen sind ausreichend aussagekräftig und aktuell, um die Annahme einer Kindeswohlgefährdung iSd § 181 ABGB zu rechtfertigen. (…)

4. Es ist richtig, dass die Entziehung der Obsorge – unter Anlegung eines strengen Maßstabs – nur das letzte Mittel sein und nur angeordnet werden darf, wenn sie zur Abwendung einer drohenden Gefährdung des Kindeswohls notwendig ist. Ganz allgemein gelten für die Maßnahme des Gerichts nach § 181 ABGB die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Erforderlichkeit im Sinn des gelindesten Mittels (§ 182 ABGB; 5 Ob 191/22g mwN). Ob solche gelindere Mittel ausreichen, ist allerdings wiederum eine Frage des Einzelfalls und wirft daher im Allgemeinen keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG auf (RIS-Justiz RS0048712 [T 13]; RS0132193 [T2]). Mit ihrer Behauptung, die Vorinstanzen wären hier verpflichtet gewesen, vor dem letzten Mittel der Entziehung der Obsorge die Inanspruchnahme bestimmt bezeichneter Beratungs- und Unterstützungsangebote anzuordnen, negiert die Rechtsmittelwerberin, dass die Vorinstanzen ihr die dafür erforderliche Problemeinsicht und Kooperationsbereitschaft

absprechen. Auch diese Beurteilung ist nach den festgestellten Tatsachen und den Verfahrensergebnissen nicht zu beanstanden.

5. Auch im Außerstreitverfahren gilt in dritter Instanz das Neuerungsverbot (RIS-Justiz RS0119918). Der Entscheidung sind die Umstände zum Zeitpunkt der Beschlussfassung in erster Instanz zugrunde zu legen (RIS-Justiz RS0006928). Ungeachtet des Neuerungsverbots ist der Maxime des Kindeswohls im Obsorge- und Kontaktrechtsverfahren zwar dadurch zu entsprechen, dass neue Tatsachen auch dann zu berücksichtigen sind, wenn sie erst nach der Beschlussfassung der Vorinstanzen eingetreten sind (RIS-Justiz RS0122192; RS0048056).

Das bezieht sich aber nur auf unstrittige und aktenkundige Umstände, nicht jedoch auf solche, die erst noch durch ein Beweisverfahren zu klären wären (RIS-Justiz RS0122192 [T3, T4]; RS0048056 [T7, T10]). Überdies kommt eine Berücksichtigung nur bei wesentlicher Veränderung der Tatsachengrundlage in Betracht (RISJustiz RS0122192 [T3]; RS0048056 [T6, T10]; RS0006893 [T16]). Schon aus diesem Grund rechtfertigen es die im Revisionsrekurs aufgestellten Behauptungen der Rechtsmittelwerberin, der Vater habe gegen die Informationspflichten verstoßen und dessen „Patch Work Familienstruktur“ habe sich durch die Geburt eines weiteren Kindes wesentlich geändert, nicht, die Ergänzung des Verfahrens aufzutragen. (…)

6. Seit dem KindNamRÄG 2013 soll die Obsorge beider Elternteile zwar (eher) der Regelfall sein (RIS-Justiz RS0128811 [T1]). Eine sinnvolle Ausübung der Obsorge beider Elternteile setzt nach stRsp aber ein gewisses Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Eltern voraus. Um Entscheidungen gemeinsam im Sinn des Kindeswohls treffen zu können, ist es erforderlich, in entsprechend sachlicher Form Informationen auszutauschen und einen Entschluss zu fassen (RIS-Justiz RS0128812). (…) Dass die Eltern im Besuchscafé einen respektvollen Umgang pflegten und es ihnen (auch nur) vereinzelt gelang, Vereinbarungen über das Kontaktrecht zu treffen, ist vor dem Hintergrund der weiteren Feststellungen zum Umgang der Mutter mit der aktuellen Betreuungssituation und ihrer Einstellung zum Vater und seiner Familie nicht ausreichend. (…)

Anmerkung

Eine weitere Entscheidung zum Verhältnis der Obsorgeentziehung als „letztes Mittel“ zur Abwendung einer bestehenden oder drohenden Gefährdung des Kindeswohls einerseits und einer beschlussmäßigen Verpflichtung eines Elternteils, geeignete Beratungs- und Unterstützungsangebote in Anspruch zu nehmen, als gelinderes Mittel zur Beibehaltung der bisherigen Obsorgeverhältnisse andererseits (vgl dazu 5 Ob 191/22g, iFamZ 2023/8, 11 [Beck]; 8 Ob 77/23, iFamZ 2023/235, 322 [Beck]):

Richtig ist, dass das Gericht vor einem Eingriff in Obsorgerechte zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sämtliche Alternativen zu prüfen hat, die das Kindeswohl wahren können und eine Belassung des Kindes in seinem bisherigen familiären Umfeld zulassen (RIS-Justiz RS0132193; vgl auch 9 Ob 40/23g). Die Verpflichtung eines Elternteils, etwa an einer Erziehungsberatung oder bestimmten Formen der sozialpädagogischen Familienunterstützung mitzuwirken, und die ihm dadurch eingeräumte Möglichkeit, aufgrund hinreichender Problemeinsicht und Selbstreflexion sowie mit erforderlicher Eigeninitiative und Ausdauer eine Obsorgeentziehung hintanzuhalten, setzen allerdings die im Verfahren nachweisliche Bereitschaft dieses Elternteils zu einer derartigen Änderung seiner Haltungen und Verhaltensweisen sowie eine greifbare Erfolgsaussicht solcher Maßnahmen unabdingbar voraus. Andernfalls ist eine Obsorgeentziehung iSd § 182 ABGB gleichermaßen erforderlich wie verhältnismäßig.

Susanne Beck

§ 105 AußStrG

Obligatorische Anhörung der Kinder im Verfahren über die vorläufige Obsorge

OGH 28. 6. 2023, 6 Ob 45/23w

iFamZ 2024/8

Nur aus den beiden in § 105 Abs 2 AußStrG genannten Gründen – soweit durch die Befragung oder durch einen damit verbundenen Aufschub der Entscheidung das Kindeswohl gefährdet wäre oder im Hinblick auf die Verständnisfähigkeit des Kindes offenbar eine überlegte Äußerung zum Verfahrensgegenstand nicht zu erwarten ist – kann in Verfahren über Pflege und Erziehung oder die persönlichen Kontakte die Befragung des Kindes unterbleiben. Diese Verfahrensbestimmung gilt grundsätzlich auch im Provisorialverfahren.

(…) 1.2. Gem § 105 Abs 1 AußStrG hat das Gericht Minderjährige in Verfahren über Pflege und Erziehung oder die persönlichen Kontakte persönlich zu hören (vgl auch Art 4 BVG über die Rechte von Kindern). Unter welchen Voraussetzungen auf die Befragung des Kindes verzichtet werden kann, ergibt sich unmittelbar aus § 105 Abs 2 AußStrG selbst, der auch einer ungebührlichen Verfahrensverzögerung vorbeugen soll (3 Ob 186/05g; 2 Ob 19/11z [ErwGr 4.]). Nur aus den dort genannten zwei Gründen – soweit durch die Befragung oder durch einen damit verbundenen Aufschub der Verfügung das Wohl des Minderjährigen gefährdet wäre oder im Hinblick auf die Verständnisfähigkeit des Minderjährigen offenbar eine überlegte Äußerung zum Verfahrensgegenstand nicht zu erwarten ist – kann die Befragung überhaupt unterbleiben. Eine Befragung nicht durch das Gericht, sondern durch den KJHT, die Familiengerichtshilfe, durch Einrichtungen der Jugendgerichtshilfe oder in anderer geeigneter Weise, etwa durch Sachverständige, kann zulässig sein, wenn der Minderjährige das zehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, wenn dies seine Entwicklung oder sein Gesundheitszustand erfordert oder wenn sonst eine Äußerung der ernsthaften und unbeeinflussten Meinung des Minderjährigen nicht zu erwarten ist.

1.3. Liegen diese Voraussetzungen aber nicht vor, kann die Unterlassung der persönlichen Befragung des Minderjährigen einen wesentlichen Mangel darstellen, der (selbst bei Verneinung durch das Rekursgericht) zur Wahrung des Kindeswohls ausnahmsweise auch noch im Verfahren dritter Instanz aufgegriffen werden kann (RIS-Justiz RS0050037 [T4]; RS0030748 [T2, T18]; vgl 10 Ob 58/09s; 3 Ob 79/14k [ErwGr 1.1.] 2 Ob 4/23m [ErwGr 1.2.]).

1.4. Das Rekursgericht hat wegen einer „auf der Hand liegenden“ akuten Gefährdung des Kindeswohls durch das Verhalten des Vaters die Einvernahme der Söhne als entbehrlich angesehen. Der erkennende Senat stimmt mit dem Rekursgericht insoweit überein, als die vom Vater (auch noch im Revisionsrekurs) umfangreich dargestellten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen bestimmte gesetzliche Bestimmungen über die Schulpflicht und die Externistenprüfung (die der Vater als Grund für das Nichtablegen der Externistenprüfung durch seine Söhne anführt) weder zu teilen sind noch Anlass für eine Anrufung des VfGH bieten (vgl VfGH 10. 3. 2015, E 1993/2014, VfSlg 19.958/2015; 6. 3. 2019, G 377/2018, VfSlg 20.311/2019; 29. 11. 2022, E 2766/2022). Obwohl nach seinen Angaben im Revisionsrekurs seine Söhne – wenigstens mittlerweile – die Schule besuchen, scheint der Vater noch immer in seinem verfehlten Standpunkt verhaftet, man müsse sich an diese Gesetze nicht halten. Soweit der Vater die Entscheidung seiner Söhne, weder in die Schule zu gehen noch die Externistenprüfungen zu absolvieren, akzeptiert (hat) und dies auch noch unterstützt(e), fördert(e) er nicht nur eine für die geistige und seelische Entwicklung schädliche Einstellung und Verhaltensweise der Kinder, sondern ist (war) sogar deren Wurzel (vgl 3 Ob 122/21v [Rz 11]). Offensichtlich erkennt er nicht, dass er mit seiner Haltung das Recht der Kinder auf Bildung verletzt(e) und ihr Wohl gefährdet(e).

KINDSCHAFTSRECHT

Schon in der Entscheidung 2 Ob 136/18s hat der OGH erläutert, dass das Recht der Kinder auf Bildung nach Art 2 des 1. ZPEMRK (vgl auch § 138 Z 11 ABGB) eine Abwägung zwischen den Interessen der Eltern, ihre Erziehungsmethoden und ihre Weltanschauung durchzusetzen, gegenüber dem Recht des Kindes auf eine ordentliche Ausbildung und dem Anspruch des Staats, seinen Bürgern die Teilhabe an gesellschaftlichen Institutionen zu ermöglichen, verlangt, gleichzeitig aber sicherzustellen ist, dass die Kinder jenes Rüstzeug erhalten, das sie benötigen, um den später an sie gestellten Anforderungen gerecht zu werden (2 Ob 136/18s [ErwGr 3.1.]). Nach § 138 Z 4 ABGB gehört zum Kindeswohl auch die Förderung der Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes, die ohne Pflichtschulabschluss massiv eingeschränkt sind. Der Nachweis darüber ist elementar für ein ansonsten erheblich beeinträchtigtes und den Kindern erschwertes berufliches Fortkommen.

Auch wenn die Kinder (wie im Revisionsrekurs – von der Revisionsrekursbeantwortung unbeanstandet geblieben – behauptet wird) nun die Pflichtschule besuchen sollten, hatte sich der Vater weder an die (im Vergleich) zum Wohl seiner Kinder eingegangenen Verpflichtungen gehalten noch sich dem mittlerweile rechtskräftigen Bescheid (mit dem der häusliche Unterricht untersagt wurde) gebeugt. Dass die Vorinstanzen ob dieser Haltung des Vaters von einer Gefährdung des Kindeswohls (zumindest im Bereich der schulischen Bildung) ausgingen und (damals) die Prognose fällten, er werde seinen Standpunkt dazu nicht ändern, ist nicht zu beanstanden. Gleiches gilt für die Überlegung des Rekursgerichts, die bloße Verlagerung der Obsorge in Teilbereichen (Ausbildung der beiden Söhne) auf die Mutter sei nicht sinnvoll, weil angesichts der Absehbarkeit der fehlenden Unterstützung durch den Vater diese weder faktisch noch rechtlich die Möglichkeit habe, den Schulbesuch der Kinder tatsächlich durchzusetzen.

1.5. Dem Rekursgericht ist aber nicht darin beizupflichten, dass die Gefährdung des Kindeswohls im Bereich (Aus-)Bildung und soziale Integration das Abstehen von der Einvernahme der beiden 13 bzw 15 Jahre alten Kinder rechtfertigen konnte. Bei akuter Gefährdung des Wohls des Kindes kann zwar im Einzelfall das Bedürfnis nach einer möglichst raschen Entscheidung das Interesse des Minderjährigen, seinen Standpunkt darzulegen, überwiegen. Grundsätzlich gilt die Verfahrensbestimmung des § 105 AußStrG aber auch im Provisorialverfahren (vgl 2 Ob 19/11z [ErwGr 4.]). (…) Anders als in den zu 2 Ob 4/23m (knapp Fünfjährige) und 4 Ob 42/21m (Achtjähriger) entschiedenen Fällen, in denen die unterbliebene Einvernahme im Rahmen einer Entscheidung über die (betreffend 4 Ob 42/21m: vorläufige) Obsorge noch als vertretbar angesehen wurde – wobei aber ohnehin auch in dem zuletzt genannten Beschluss der Hinweis erteilt wurde, dass die Anhörung des Minderjährigen bereits vom Erstgericht vorzunehmen oder zu veranlassen gewesen wäre (4 Ob 42/21m [Rz 3]) –, kann über die Einvernahme der hier (auch im Zeitpunkt der Beschlussfassung des Erstgerichts) schon 15 bzw 13 Jahre alten Kinder nicht mehr hinweggegangen werden, zumal mit der Änderung (auch) der vorläufigen Obsorgeverhältnisse, die grundsätzlich nur unter Anlegung eines strengen Maßstabs (RIS-Justiz RS0048699) und nur als äußerste Notmaßnahme angeordnet werden darf (RIS-Justiz RS0047841 [T10, T15]), ein Wechsel der gesamten Lebensverhältnisse der Söhne verbunden wäre, die seit geraumer Zeit Besuchskontakte mit der (in der Stadt wohnenden) Mutter verweigern.

1.6. Das Ausmaß der Gefährdung des Kindeswohls (und der davon abhängigen Dringlichkeit der Entscheidung) war(en) hier mit den Auswirkungen des Beschlusses auf die Kinder (Änderung ihrer Lebensverhältnisse) und deren Recht, vom Gericht angehört zu werden, abzuwägen. Dabei war auch die Frage zu lösen, inwieweit eine ernsthafte und unbeeinflusste Meinung der Minderjährigen (nicht) zu erwarten war.

Mittels § 105 AußStrG soll vor der Beschlussfassung über das Kind berührende Maßnahmen – auch wenn der Wunsch des Kindes

nicht allein den Ausschlag geben kann – dessen Wille als Verfahrensergebnis in eine alle maßgebenden Umstände berücksichtigende Entscheidung einbezogen werden (3 Ob 122/21v [Rz 10] mwN) und einem mündigen Kind „womöglich“ nicht gegen seinen (eben auch zu erkundenden) Willen die Erziehung durch einen Elternteil aufgezwungen werden (RIS-Justiz RS0048818). Durch die Befragung soll auch vermieden werden, dass der Eindruck entsteht, es werde – wie über Objekte – über den Kopf eines Minderjährigen hinweg entschieden. Hier tritt hinzu, dass der älteste (selbständig verfahrensfähige) Sohn mit seinem Antrag deutlich zu erkennen gegeben hat, dass er vom Gericht als Person (und Partei) wahrgenommen werden will.

1.7. Der selbständig verfahrensfähige L. hat in seinem (einen Tag vor seinem 15. Geburtstag verfassten) Antrag vom 2. 11. 2022 ausdrücklich begehrt, die alleinige Obsorge für ihn seinem Vater zu übertragen. (…) Zudem hat er geäußert, er werde von seiner Mutter oft psychisch und manchmal physisch attackiert. Diese – die Mutter ablehnende – Haltung hat er in einem weiteren Schreiben (eingelangt während des Rekursverfahrens) wiederholt und mitgeteilt, er habe vor seiner Mutter Angst, sie misshandle ihn sowohl psychisch als auch physisch; er werde auf keinen Fall zu seiner Mutter gehen und bei ihr wohnen. Ein ähnliches Schreiben wurde auch von seinem Bruder unterfertigt.

1.8. Von L. wurde damit aber nicht nur (schon vor dem erstgerichtlichen Beschluss) ein eindeutiger dem Wohnsitzwechsel entgegenstehender Wille geäußert, sondern er legte zudem Angst vor der Mutter aufgrund (angeblicher) physischer und psychischer Attacken gegenüber dem Gericht dar, ohne dass dem nachgegangen worden wäre oder dass das im Zeitpunkt der Entscheidung des Erstgerichts schon 15 Jahre alte Kind (oder dessen 13-jähriger Bruder) angehört worden wäre.

Die mit dem Unterbleiben des Schulbesuchs verbundene Gefährdung des Wohls der Minderjährigen ist im vorliegenden Fall nicht als so dringlich einzustufen, dass sie nicht den geringsten –etwa durch eine Einvernahme der Kinder verursachten – Aufschub geduldet hätte. Die Mutter hatte schon im Jänner 2022 moniert, dass die Söhne ohne ihr Einverständnis oder ihre Zustimmung von der Schule abgemeldet worden seien. Im September 2022 wies sie darauf hin, dass die Söhne die vorgeschriebene Externistenprüfung auf Drängen des Vaters nicht absolviert hätten. Auch wenn trotz des sich steigernden Konflikts zwischen den Eltern (ex ante) durch den Vergleichsschluss Mitte Oktober der Eindruck entstanden sein konnte, deren Schwierigkeiten ließen sich einvernehmlich regeln, wäre zwischen dem (das Abstehen des Vaters vom Vergleich beinhaltenden) Antrag der Mutter vom 24. 10. 2022 und dem Beschluss vom 9. 11. 2022 die Einvernahme der Kinder geboten gewesen. Allenfalls hätte sich die Beschlussfassung noch um einen kurzen Zeitraum im Vergleich dazu, dass die Kinder (zumindest) seit ungefähr einem Jahr die Schule nicht besucht hatten, verlängert. Weder lag daher eine so akute Dringlichkeit vor, dass die Entscheidung sofort ohne Befragung zu fassen war, noch konnte deren Ergebnis vorgegriffen werden. Selbst wenn im Allgemeinen zutreffen wird, dass im Bereich der schulischen Erziehung (der vom Vater hier auch noch unterstützten) Meinungsäußerung von Kindern, nicht in die Schule gehen zu wollen, prima vista kein besonderes Gewicht zukommen kann, ließe sich daraus nicht der Schluss ziehen, dass den Minderjährigen auch hinsichtlich der von L. in seinem Antrag geäußerten Vorwürfe psychischer und physischer Attacken keine Verständnisfähigkeit zukäme und es nicht – schon wegen der Verlagerung ihres Umfelds durch die Provisorialentscheidung – der Erforschung von deren (wahrer) Meinung (und Bedenken) bedurft hätte.

1.9. Aufgabe des Gerichts wäre es gewesen, im Rahmen der Befragung zu erkunden, welche Meinung die beiden Söhne vertreten und ob diese auf Basis von Fakten – oder vom Vater beeinflusst – gebildet wurde. Ohne deren Einvernahme kann eine solche Würdigung nicht stattfinden. Der durch die unterbliebene Einvernahme der Kinder bewirkte Mangel muss zur Aufhebung der Entscheidung

führen (vgl 7 Ob 95/02z; 3 Ob 186/05g; 10 Ob 58/09s; Beck in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG2, § 105 Rz 34).

Erst nach Befragung der Kinder kann deren Sicht einbezogen und eine mangelfreie Entscheidung gefällt werden. Sollten die gegen die Mutter erhobenen Vorwürfe nicht zutreffen (und der Wunsch der Kinder, beim Vater bleiben zu wollen, bloß darauf beruhen, dass diese vom Vater beeinflusst, die Schule nicht besuchen wollen), stünden einer vorläufigen Übertragung der Obsorge alleine an die Mutter nicht mehr die Bedenken einer sonstigen Gefährdung des Kindeswohls durch diese bei Wechsel zu ihr entgegen. Dass grundsätzlich mit der Verlagerung des Aufenthalts gewisse Schwierigkeiten einhergehen, käme dann im Vergleich zu den nachteiligen Folgen des Unterbleibens der schulischen Bildung – ohne Hinzutreten weiterer Umstände – im Regelfall keine maßgebliche Bedeutung zu.

2. Angemerkt sei, dass die Befragung durch das Gericht weder in einer Tagsatzung noch sonst als förmliche Einvernahme erfolgen muss. Sie kann vielmehr gemäß § 20 AußStrG außerhalb der mündlichen Verhandlung stattfinden und ohne Beisein der Eltern oder deren Vertreten durchgeführt werden (vgl Beck in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG2, § 105 Rz 21). Wiewohl die Elternteil(e) daher zur Anhörung des Minderjährigen nicht (zwingend) geladen werden müssen, trifft sie (hier: den Vater) die verfahrensrechtliche Pflicht, das Kind auf Anordnung des Gerichts zur Anhörung stellig zu machen (vgl 2 Ob 19/11z [ErwGr 5.]). (…)

Anmerkung

Vereinbarungsgemäß lebten nach der Scheidung der Ehe der Eltern die 2007 und 2009 geborenen Söhne beim Vater und die 2012 geborene Tochter bei der Mutter. Die Betreuungsregelung im Sinn des Doppelresidenzmodells wurde schon seit längerer Zeit nicht mehr praktiziert, zuletzt lehnten die Söhne persönliche Kontakte mit der Mutter ab. Im Verfahren über die Obsorge übermittelten sie dem Gericht Briefe, in denen sie klar äußerten, dass sie nicht zur Mutter übersiedeln wollten; eine Anhörung der beiden Kinder fand vor der Entscheidung des Erstgerichts, mit der dieses die Mutter im Hinblick auf kindeswohlgefährdende Verhaltensweisen des Vaters vorläufig mit der Obsorge für alle drei Kinder betraute, nicht statt. Der Umstand, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für ein ausnahmsweises Absehen von der Befragung der Kinder zum Gegenstand „ihres“ Verfahrens nicht vorlagen, verhinderte eine mangelfreie Obsorgeregelung und führte zwingend zur Aufhebung der dennoch getroffenen Entscheidung. Dabei vermag vor allem das Argument des Rekursgerichts, dass eine Anhörung der zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Beschlussfassung bereits 15 und 13 Jahre alten Kinder schon wegen einer „auf der Hand liegenden“ akuten Gefährdung des Kindeswohls durch das Verhalten des Vaters verzichtbar sei, nicht zu überzeugen. Die Feststellung einer Kindeswohlgefährdung im Obsorgeverfahren ist (materiellrechtliche) Voraussetzung für eine Obsorgeentziehung, während die grundsätzlich obligatorische Anhörung des betroffenen Kindes in einem solchen Rechtsstreit (verfahrensrechtliche) Grundbedingung für eine mangelfreie Entscheidung ist. Der Schluss von der Gefährdung des Kindeswohls (hier: vor allem durch Handlungen bzw Versäumnisse des Vaters im Bereich der Ausbildung der Kinder) auf ein gerechtfertigtes Unterbleiben ihrer Anhörung im Verfahren ist daher nicht berechtigt. Zwar kann in einem Einzelfall, in dem die Durchführung einer Anhörung des Kindes zu einer Verzögerung der gerichtlichen Obsorgemaßnahme mit kindeswohlgefährdenden Auswirkungen führen würde, ein Gespräch mit dem Kind im Verfahren unterbleiben, weil in einer solchen Situation aus Sicht des Kindeswohls eine möglichst rasche Entscheidung derart wesentlich ist, dass das Interesse des Kindes und sein Grundrecht, in das Verfahren unmittelbar eingebunden zu werden und seinen Standpunkt im Rahmen einer Anhörung vor Gericht darlegen zu können,

zurücktreten muss. Für die Beurteilung einer derartigen Dringlichkeit der Beschlussfassung über eine Änderung der Obsorgeverhältnisse ohne Anhörung des Kindes hat aber ein strenger Maßstab zu gelten, sonst würden sehr viele Kinder in Obsorgeentziehungsverfahren ihr Recht auf Partizipation, Anhörung und Berücksichtigung ihrer Meinungsäußerung verlieren. Nicht überzeugen kann auch die Vorstellung, dass Kinder im Obsorgestreit ihrer Eltern nicht anzuhören seien, wenn sie nach Erreichen ihrer selbständigen Verfahrensfähigkeit iSd § 104 AußStrG in Schreiben an das Gericht bereits einmal ihre Sichtweisen zum Ausdruck brachten; eine solche Position verkennt wichtige Funktionen der Anhörung im Verfahren. Diese soll (ua) dem Gericht einen persönlichen Eindruck vom Kind, von seiner Gedanken-, Gefühls- und Beziehungswelt und von seinen Einstellungen zu verfahrensrelevanten Fragestellungen verschaffen und die Stellung des Kindes im Verfahren in kinderrechtlich gebührender Weise stärken. Ein Verzicht auf ein Gespräch mit dem Kind im Verfahren mit der Begründung, dass dieses seine Auffassungen und Wünsche doch ohnehin bereits schriftlich dargetan habe, würde wesentliche Bereiche aus den Erwägungen des Gerichts ausklammern und das Kind gegenüber seinen Eltern – denen stets auch nach umfangreichen Schriftsätzen völlig selbstverständlich recht viel Raum für die Darstellung ihrer Sichtweisen in Verhandlungen einzuräumen ist – verfahrensrechtlich einmal mehr zurücksetzen. Der ausführlichen und überaus differenziert argumentierten Entscheidung des OGH ist daher vollinhaltlich zuzustimmen.

Susanne Beck

§ 187 Abs 2 ABGB; § 111 AußStrG iFamZ 2024/9 Einschränkung des Kontaktrechts mittels Besuchsbegleitung als gelinderes Mittel gegenüber einer Aussetzung des Kontaktrechts

OGH 23. 10. 2023, 6 Ob 198/23w

Die Besuchsbegleitung eignet sich in erster Linie für die Neuoder Wiederanbahnung des persönlichen Kontakts zwischen dem nicht betreuenden Elternteil und dem Kind sowie als gelinderes Mittel vor einer gänzlichen Aussetzung des Kontaktrechts. (…) 3.1. Das Gericht hat gem § 187 Abs 2 ABGB nötigenfalls auch von Amts wegen (9 Ob 42/19w) persönliche Kontakte einzuschränken oder zu untersagen, soweit dies insb aufgrund der Anwendung von Gewalt gegen das Kind oder eine wichtige Bezugsperson geboten erscheint. Der Kontaktrechtsanspruch eines Elternteils hat daher im Konfliktfall gegenüber dem Kindeswohl stets zurückzutreten (RIS-Justiz RS0048068). Eine Kontaktrechtsuntersagung ist dann zulässig, wenn zuvor alle gelinderen Mittel, die unter Wahrung des Kindeswohls eine Kontaktrechtsausübung ermöglichen sollen, ausgeschöpft wurden, dies etwa durch Einschaltung einer dritten Stelle, wie zB eines Kinderschutzzentrums oder eines Besuchscafés (9 Ob 42/19w [ErwGr 1.]; vgl 5 Ob 219/17t [ErwGr 4.]). (…)

3.2. Wenn es das Wohl des Minderjährigen verlangt, kann das Gericht gem § 111 AußStrG auch von Amts wegen eine Besuchsbegleitung (also eine inhaltliche Beschränkung des Kontaktrechts) anordnen (1 Ob 51/23s; 2 Ob 194/22a; 4 Ob 78/20d; RIS-Justiz RS0118258 [T3]; RS0125571). Die Besuchsbegleitung eignet sich in erster Linie für die Neu- oder Wiederanbahnung des persönlichen Kontakts zwischen nicht erziehendem Elternteil und Minderjährigem (2 Ob 194/22a; RIS-Justiz RS0118258) sowie auch als gelinderes Mittel vor einer gänzlichen Aussetzung des Kontaktrechts (9 Ob 42/19w; 5 Ob 219/17t; vgl 7 Ob 68/14x). (…)

3.3. Im vorliegenden Fall haben seit Ende Mai 2022 keine Kontakte zwischen dem Minderjährigen und dem Vater stattgefunden. Die Beziehungs- und Grenzsetzungsfähigkeit des Vaters ist eingeschränkt. In Bezug auf die Beziehung zwischen dem Stiefbruder und dem Minderjährigen ist der Vater in einem kindeswohlgefährden-

KINDSCHAFTSRECHT

den Ausmaß nicht in der Lage, auf den Schutz und die Sicherheit des Minderjährigen zu achten. Das Rekursgericht ging auf Grundlage des vom Erstgericht eingeholten Sachverständigengutachtens davon aus, dass das Wohl des Minderjährigen am ehesten durch die Etablierung wöchentlicher begleiteter Kontakte im Ausmaß von drei Stunden gefördert werde und das vom Rekursgericht festgelegte Kontaktrecht zur Festigung und Besserung der Beziehung des Vaters zum Minderjährigen dienlich sei. Die Besuchsbegleitung könne von Amts wegen auch gegen den Willen der Eltern angeordnet werden. (…)

§ 66 Abs 1 AußStrG

iFamZ 2024/10

Keine Beschwer bei überholter Kontaktrechtsregelung

OGH 19. 12. 2023, 4 Ob 101/23s

Die Beschwer muss zum Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels gegeben sein und zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel noch fortbestehen; andernfalls ist das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen.

(…) 2. Nach stRsp setzt jedes Rechtsmittel – auch im Außerstreitverfahren (RIS-Justiz RS0006598) – eine Beschwer voraus, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel noch fortbestehen muss; andernfalls ist das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0041770; RS0006880). Diese Grundsätze gelten auch für ein zeitlich überholtes Kontaktrecht (1 Ob 167/21x; RIS-Justiz RS0002495 [T2]; RS0006880 [T10, T15, T16]; RS0041770 [T33, T36]; vgl RIS-Justiz RS0006526 [T1]). Soweit die Entscheidungen der Vorinstanzen das Kontaktrecht des Vaters zu Zeiten betreffen, die inzwischen verstrichen sind, fehlt seinem Rechtsmittel die Beschwer, weil es den Zweck nicht mehr erreichen kann. (…)

§ 110 Abs 2 AußStrG iFamZ 2024/11

Keine Beugestrafen wegen Missachtung einer abgeänderten Kontaktrechtsregelung

OGH 23. 10. 2023, 1 Ob 154/23p

Die in § 79 Abs 2 AußStrG angeführten Zwangsmittel haben den Zweck, dem Kontaktrecht in Zukunft zum Durchbruch zu verhelfen. Wenn aufgrund geänderter Umstände zugleich eine neue Kontaktrechtsregelung rechtskräftig beschlossen wird, scheiden Beugestrafen zur Durchsetzung einer früheren Regelung aus.

1. Das Gericht hat auf Antrag oder von Amts wegen auch im Verfahren zur zwangsweisen Durchsetzung einer gerichtlichen oder gerichtlich genehmigten Regelung des Rechts auf persönlichen Kontakt angemessene Zwangsmittel nach § 79 Abs 2 AußStrG anzuordnen (§ 110 Abs 2 AußStrG). Bei diesen Zwangsmitteln handelt es sich nicht um Strafen für die Missachtung einer gerichtlichen Verfügung, also für vergangenes Verhalten. Sie sollen lediglich dazu dienen, der Anordnung in Zukunft zum Durchbruch zu verhelfen (RIS-Justiz RS0007310 [T7, T8, T10]).

2. Gleichzeitig mit der Abweisung der vom Vater beantragten Verhängung eines Zwangsmittels regelte das Erstgericht das Kontaktrecht – von den Eltern unbekämpft und damit rechtskräftig –neu. Die Beurteilung des Rekursgerichts, dass Zwangsmittel (als Beugestrafen) zur Durchsetzung eines (früheren) Kontaktrechts ausscheiden, wenn – wie im vorliegenden Fall – aufgrund geänderter Umstände zugleich eine neue (nicht bloß erweiterte) Kontaktrechtsregelung rechtskräftig beschlossen wird, ist von der Rsp gedeckt (RIS-Justiz RS0007310 [T14]; 1 Ob 219/19s; 9 Ob 98/03g).

3. Die dagegen vorgetragenen Einwände des Vaters überzeugen nicht: Ihm ist zwar zuzugestehen, dass das festgestellte antagonistische Verhalten der Mutter in Verbindung mit dem langen Zeitraum zwischen seinem Vollzugsantrag im September 2022 und der erstinstanzlichen Entscheidung im Mai 2023 geradezu typischerweise

erst die behutsame Wiedereinsetzung seiner Kontakte zum Kind und damit deren Neureglung erforderte. Das ändert aber nichts daran, dass es immer nur um die Durchsetzung einer bestehenden Regelung gehen kann. (…)

§ 111 JN

iFamZ 2024/12 Zuständigkeitsübertragung mit Rechtsmittelbefugnissen

OGH 27. 10. 2023, 10 Nc 27/23m

Ohne Rechtskraft des Beschlusses über die Übertragung der Gerichtszuständigkeit kommt eine Entscheidung des OGH nach § 111 Abs 2 JN nicht in Betracht.

Mit Beschluss vom 12. 9. 2023 übertrug das BG G. die Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache dem BG B., das die Übernahme jedoch ablehnte. Das BG G. legte den Akt daraufhin dem OGH zur Entscheidung gem § 111 Abs 2 JN vor, ohne den Übertragungsbeschluss den Parteien zuzustellen. Die Vorlage ist verfrüht.

Nach § 111 Abs 1 JN kann das Pflegschaftsgericht seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn es im Interesse des Minderjährigen oder sonstigen Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insb wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird. Lehnt das Gericht, an das die Zuständigkeit übergehen soll, die Übernahme ab, ist zunächst der Übertragungsbeschluss den Parteien zuzustellen und dessen Rechtskraft abzuwarten (4 Nc 6/23d; RIS-Justiz RS0047067; RS0128772).

Der Akt ist daher dem übertragenden Gericht zur Zustellung des Beschlusses an die Parteien zurückzustellen. Allfällige Zustellprobleme sind von jenem Gericht zu lösen, bei dem der Akt angefallen ist (4 Nc 6/23d). Den Parteien steht gegen den Übertragungsbeschluss nach § 111 JN ein Rechtsmittel zu (3 Nc 1/23m; RIS-Justiz RS0046981). Führt ein allfälliger Rekurs zur Behebung des Übertragungsbeschlusses durch das Rekursgericht, ist endgültig über die Unzulässigkeit der Übertragung entschieden. Wird der Übertragungsbeschluss hingegen rechtskräftig bestätigt, bedarf es der Genehmigung des übergeordneten Gerichts (3 Nc 1/23m).

Anmerkung

Die Rechtskraft des Übertragungsbeschlusses ist Voraussetzung einer Entscheidung des OGH (als den Gerichten in verschiedenen OLG-Sprengeln gemeinsam übergeordnete Instanz) über eine Genehmigung des Zuständigkeitswechsels gem § 111 Abs 2 JN. Im Fall einer Verweigerung der Zuständigkeitsübernahme durch ein anderes Gericht wird die Übertragung nicht wirksam, sodass das bisher befasste Gericht das Pflegschaftsverfahren jedenfalls vorerst weiterzuführen hat. Sofern sich dieses Gericht der Auffassung des anderen Gerichts anschließt, dass ein Zuständigkeitswechsel doch nicht das Kindeswohl fördert, kann es den Übertragungsbeschluss widerrufen und das Verfahren fortführen. Eine Zustellung des Übertragungsbeschlusses an die Parteien ist in diesem Fall nicht mehr notwendig; ein Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung mit Auswirkungen auf die Widerrufsmöglichkeit durch das bisher zuständige Gericht kann in dieser Konstellation noch nicht stattgefunden haben, weil eine Zustellung des Beschlusses an die Parteien noch nicht erfolgt sein sollte. Wenn das übertragende Gericht an seiner Maßnahme auch nach deren Ablehnung durch das andere Gericht festhält, hat es im Rahmen seiner fortdauernden Zuständigkeit den Übertragungsbeschluss den Parteien zuzustellen und den Eintritt der Rechtskraft abzuwarten (vgl auch 6 Nc 22/23x; zur berechtigten Forderung, die Parteien vor der Übertragung der Gerichtszuständigkeit anzuhören und ihnen somit die Gelegenheit zu geben, sich zur beabsichtigten Maßnahme schriftlich zu äußern, vgl Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2, § 111 JN Rz 27).

Weigert sich das neue Gericht hingegen nicht, das Verfahren weiterzuführen, wird dieses den (nicht anfechtbaren; vgl 2 Ob 44/11a) Übertragungsbeschluss gemeinsam mit der Entscheidung über die Zuständigkeitsübernahme an die Parteien zustellen (zur Rechtsmittelzuständigkeit bei Anfechtung des Übertragungsbeschlusses im Fall der Zustimmung des neuen [und damit bis zum Eintritt der Rechtskraft des Übertragungsbeschlusses für das Verfahren zuständigen] Gerichts zur Fortführung des Verfahrens vgl Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2, § 111 JN Rz 35).

Susanne Beck

schon mangels des Erfordernisses pflegschaftsgerichtlicher Maßnahmen (derzeit) kein Anlass zur Verfahrensfortsetzung besteht.

4. Aber auch das Erfordernis, den vom Teilobsorgeberechtigten abgeschlossenen Vergleich einer pflegschaftsgerichtlichen Überprüfung zu unterziehen, lässt die Ermessensübung des Rekursgerichts nicht unvertretbar erscheinen.

4.1. (…) Anhaltspunkte dafür, dass die Gerichte Liechtensteins aufgrund der – auch gegenüber diesen behaupteten – Rückübersiedlung nur der Minderjährigen (nicht aber des sonst Obsorgeberechtigten) ihre perpetuierte Zuständigkeit nicht mehr wahrnehmen würden und daher eine echte Rechtsschutzlücke bestünde, liegen nicht vor.

§ 110 Abs 2 JN

Ermessensausübung bei internationaler Zuständigkeit der Gerichte in zwei Staaten

OGH 25. 10. 2023, 2 Ob 211/23b, 2 Ob 199/23p

iFamZ 2024/13

Die Entscheidung, ob von der Fortsetzung eines inländischen Verfahrens abgesehen wird oder nicht, liegt im Ermessen des Gerichts, das sich am Wohl des Kindes, nämlich der ausreichenden Wahrung der Interessen durch die Behörden des ausländischen Staats, orientieren muss.

Mit Beschluss des OGH vom 26. 5. 2021 (2 Ob 45/21p) wurde im Hinblick auf die gem Art 14 des Vertrags zwischen der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein über Rechtshilfe, Beglaubigung, Urkunden und Vormundschaft vom 13. 3. 1956 (BGBl 1956/213) idF des ergänzenden Vertrags vom 1. 6. 1966 (BGBl 1968/99) ebenfalls begründete internationale Zuständigkeit Liechtensteins und die ausreichende Wahrnehmung der Interessen der Minderjährigen durch die dortigen Pflegschaftsgerichte von der Fortsetzung des Pflegschaftsverfahrens in Österreich gem § 110 Abs 2 JN abgesehen.

Die Vorinstanzen wiesen – iZm der Anregung, in einem zu erwartenden Abstammungsverfahren einen Kollisionskurator zu bestellen (2 Ob 199/23p), bzw dem Antrag, einen in Vermögensangelegenheiten abgeschlossenen Vergleich zu genehmigen (2 Ob 211/23b), gestellte – Anträge des mit der Obsorge im Bereich der Vermögensverwaltung betrauten Rechtsanwalts, das Verfahren in Österreich fortzusetzen, weil die Kinder wieder in Wien aufhältig seien, ab.

Der OGH wies den außerordentlichen Revisionsrekurs der durch den Rechtsanwalt vertretenen Kinder wegen Fehlens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zurück.

1. Die Entscheidung, ob von der Fortsetzung eines inländischen Verfahrens abgesehen wird oder nicht, liegt im Ermessen des Gerichts, das sich am Wohl des Kindes, nämlich der ausreichenden Wahrung der Interessen durch die Behörden des ausländischen Staats, orientieren muss (RIS-Justiz RS0099363). Ob die Voraussetzungen des § 110 Abs 2 JN vorliegen, kann daher nur anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls beurteilt werden (…).

2. Der OGH hat in seiner dieses Pflegschaftsverfahren betreffenden Entscheidung bereits klargestellt, dass eine Fortsetzung (zur Wahrung des Wohls der Minderjährigen) nur bei Vorliegen einer echten Rechtsschutzlücke in Betracht kommt (2 Ob 45/21p). Wenn das Rekursgericht unter Hinweis auf die aufrechte, aktiv ausgeübte Pflegschaftsgerichtsbarkeit in Liechtenstein und den zu vermeidenden Konflikt einander widersprechender Entscheidungen davon ausgegangen ist, dass die Voraussetzungen für eine Fortführung des Pflegschaftsverfahrens auch bei einer Rückübersiedlung der –nur mehr über die liechtensteinische Staatsangehörigkeit verfügenden – Minderjährigen nach Österreich (derzeit) nicht vorliegen, ist dies zum Wohl der Minderjährigen nicht korrekturbedürftig.

3. Dass ein erforderlicher Kollisionskurator iZm einem Abstammungsverfahren nicht vom Pflegschaftsgericht, sondern von jenem Gericht zu bestellen ist, das das Abstammungsverfahren führt (vgl dazu G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2, § 5 Rz 14, 18; vgl Motal in Schneider/Verweijen, AußStrG, § 5 Rz 20; Klicka/ Rechberger in Rechberger/Klicka, AußStrG3, § 5 Rz 5), zieht der Revisionsrekurs nicht in Zweifel, sodass in diesem Zusammenhang

4.2. Durch eine (allfällige) Rückübersiedlung (nur) der Minderjährigen nach Österreich, würde sich die internationale Zuständigkeit österreichischer Pflegschaftsgerichte zwar (auch wieder) aus Art 14 des Rechtshilfevertrags ableiten, während jene Liechtensteins (bloß) perpetuiert wäre (2 Ob 45/21p). Dies ist aber neben der faktischen Nähe (2 Ob 45/21p Rz 74) nur ein bei der Ermessensübung nach § 110 Abs 2 JN zu berücksichtigender Umstand. Zum Wohl der Minderjährigen sind jedenfalls parallele Verfahren mit der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen zu vermeiden. Diese Gefahr besteht aber, solange die Pflegschaftsgerichte in Liechtenstein ihre (perpetuierte) Zuständigkeit weiter wahrnehmen. Auch eine Fortsetzung bloß in Bezug auf (neue) Einzelmaßnahmen der Vermögensverwaltung hat zur Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen und eines unnötigen Verfahrensaufwands die Ausnahme zu bleiben (vgl 2 Ob 45/21p, Rz 75). Dass bloß aufgrund des (behaupteten) Schulbesuchs der Minderjährigen in Wien ihre Interessen vor den Pflegschaftsgerichten in Liechtenstein nicht ausreichend gewahrt werden könnten und daher ihr Wohl gefährdet wäre, ist zumindest derzeit nicht ersichtlich.

Anmerkung

§ 110 JN ist die zentrale Bestimmung der Jurisdiktionsnorm über die internationale Zuständigkeit österreichischer Gerichte für Pflegschaftsverfahren, im Hinblick auf Rechtsnomen der EU bzw Regelungen in Staatsverträgen aber lediglich subsidiär anwendbar. Rechtskräftige Entscheidungen über ein Absehen von der Einleitung oder Fortsetzung eines Pflegschaftsverfahrens in Österreich für ein Kind mit österreichischer Staatsbürgerschaft und gewöhnlichem Aufenthalt oder Vermögen im Ausland oder ein Kind mit ausländischer Staatsangehörigkeit sind recht selten, und ihr Ergebnis ist davon bestimmt, dass – schon nach dem Gesetzeswortlaut des § 110 Abs 2 JN – ein solche Abstandnahme von einer Verfahrensführung im Inland nur soweit und solange zulässig ist, als die Rechte und Interessen des betroffenen Kindes durch im Ausland getroffene oder zu erwartende Maßnahmen ausreichend gewahrt werden.

Entscheidungen aus der jüngeren Judikatur des OGH hatten (im selben Verfahren wie im vorliegenden Fall) die spezielle Problematik iZm einem Rechtshilfevertrag zwischen Österreich und Liechtenstein (2 Ob 25/21p) und vor einigen Monaten die Verweigerung der Einleitung eines Obsorgeverfahrens infolge einer rechtskräftigen Rückführungsentscheidung nach dem HKÜ im Verhältnis zwischen Österreich und den USA (8 Ob 8/23v) zum Gegenstand. Die Anwendung des § 110 Abs 2 JN setzt stets voraus, dass bereits eine in Österreich anerkennungsfähige Entscheidung der ausländischen Behörde vorliegt oder im Ausland ein Verfahren anhängig ist und dort eine Entscheidung konkret sowie in angemessener Zeit zu erwarten ist (2 Ob 62/21p). Dadurch, dass in einem solchen Fall die gerichtliche Auseinandersetzung ausschließlich vor ausländischen Gerichten erfolgt, können parallele Verfahren und einander widersprechende Entscheidungen vermieden und so wesentliche Aspekte des Kindeswohl gewahrt werden. Susanne Beck

RECHTSPRECHUNG Schadenersatzrecht

§§ 22, 1293, 1327 ABGB; § 97 Abs 1 StGB iFamZ 2024/14

Schadenersatzanspruch der Eltern bei „wrongful birth“ und „wrongful conception“ OGH (verst Senat) 21. 11. 2023, 3 Ob 9/23d

Sowohl bei einem medizinischen Eingriff, der die Empfängnisverhütung bezweckt, als auch bei der Pränataldiagnostik, die Informationen für die rechtzeitige Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs liefern soll, sind die finanziellen Interessen der Eltern an der Verhinderung der Empfängnis bzw – bei Vorliegen der embryopathischen Indikation – der Geburt eines (weiteren) Kindes vom Schutzzweck des ärztlichen Behandlungsvertrags umfasst. Zu ersetzen ist in beiden Fällen der volle Unterhaltsaufwand der Eltern für das Kind.

Die Kläger sind miteinander verheiratet. Die Erstklägerin suchte die Privatordination des Beklagten, eines Facharztes für Gynäkologie und Geburtshilfe, erstmals im Dezember 2016 – einige Monate nach der Geburt ihres ersten Kindes – auf und war seither regelmäßig bei ihm in Behandlung. Als die Erstklägerin Anfang September 2017 die Regelblutung nicht bekam und ein von ihr durchgeführter Schwangerschaftstest positiv war, kam sie am 14. 9. 2017 wieder in die Ordination des Beklagten. Im Ultraschall zeigte sich damals ein vitaler Embryo mit 8 mm Scheitel-Stoßlänge. Auf Basis dieser Messung errechnete der Beklagte den Geburtstermin mit 6. 5. 2018.

Am 30. 10. 2017 fand das Erst-Trimester-Screening statt. Die Berechnung der Blutparameter und der Nackenfalte ergab ein sehr niedriges Risiko für Trisomie 21 und 18. Irgendwelche Auffälligkeiten des Fötus bemerkte der Beklagte damals nicht.

Bei dem vom Beklagten am 28. 12. 2017 durchgeführten Organscreening hielt er in seinem Befund fest: „Die folgenden Strukturen konnten dargestellt werden und zeigten einen sonographisch unauffälligen Befund: Schädel, Gehirn, Gesicht, Wirbelsäule, Thorax, Herz, Bauchwand, Gastrointestinaltrakt, Urogenitaltrakt, Extremitäten, Gesamtskelett.“ Tatsächlich war bei diesem Organscreening auf den dokumentierten Bildern immer nur eine (einzige) obere Extremität zu sehen.

Am 22. 1. 2018 führte der Beklagte eine Doppleruntersuchung und einen 3D-Schall durch, wobei sich auch hier (nur) ein Arm des Kindes zeigte. Dennoch teilte der Beklagte der Erstklägerin nach einer Ultraschalluntersuchung mit, beide Arme und beide Füße des Fötus gesehen zu haben.

Die Tochter der Kläger, V., kam im April 2018 mittels Kaiserschnitts zur Welt. Erst damals stellte sich heraus, dass bei ihr eine Amelie vorliegt, dh, ihr fehlt die linke obere Extremität, statt der lediglich eine rudimentäre Armknospe vorhanden ist. Außerdem ist der gesamte linke Brust- und Schulterbereich unzureichend ausgebildet, das Schlüsselbein ist verkürzt und im Bereich des Schulterblatts besteht ebenfalls eine Hypoplasie. Aus der unzureichenden Ausbildung des Arms und des Schulter- und Brustbeins resultiert eine reduzierte Beweglichkeit. Das klinische Korrelat der Fehlbildung ist eine Beeinträchtigung der Bewegung, der Motorik und der Teilhabe. Es zeigen sich zahlreiche Schwierigkeiten bei der Durchführung von Alltagshandlungen, insb solchen, die normalerweise beidhändig durchgeführt werden.

Eine Amelie ist eine ausgesprochen seltene Fehlbildung. Diese tritt bei dem sich entwickelnden Embryo vermutlich dann ein, wenn im Zeitraum zwischen 24 und 36 Tagen nach der Befruchtung (hier in der zweiten Hälfte des Monats September 2017) eine Störung in der sich heranbildenden Extremität eintritt.

Der Beklagte verwendet in seiner Ordination ein hochwertiges Ultraschallgerät, das es ermöglicht, bis zur 14. Schwangerschaftswoche das ganze Kind mit 3D am Bildschirm darzustellen. Hätte der Beklagte bei der Untersuchung der Erstklägerin am 30. 10. 2017 etwas länger gewartet, bis der Fötus seinen Körper etwas gedreht und dabei die linke Schulter etwas vorgebeugt hätte, wäre das Fehlen der linken Extremität bereits damals aufgefallen. Die diagnostischen Ultraschalluntersuchungen des Beklagten bei der Erstklägerin waren nicht auf dem in Österreich zu erwartenden Niveau. Auch die Fotodokumentation der fetalen Strukturen und Organsysteme war ungenügend.

Ein Schwangerschaftsabbruch im Rahmen der Fristenlösung nach § 97 Abs 1 Z 1 StGB wäre für die Erstklägerin ungefähr bis zum 20. 11. 2017

Matthias Neumayr

möglich gewesen. Wäre die Fehlbildung später entdeckt worden, etwa beim Organschall am 28. 12. 2017, wäre – nach den Feststellungen – auch ein Schwangerschaftsabbruch iSd § 97 Abs 1 Z 2 Fall 2 StGB „diskutabel“ gewesen.

Hätte der Beklagte der Erstklägerin im Rahmen der Ultraschalluntersuchung am 30. 10. 2017 oder später mitgeteilt, dass ihrem Kind eine obere Extremität zur Gänze fehlt, hätte sie das Kind abgetrieben. Hätte sie diese Information so spät erhalten, dass eine Abtreibung in Österreich nicht mehr möglich gewesen wäre, wäre sie dafür ins Ausland gefahren. Sie hätte sich in jedem Fall für eine Abtreibung entschieden. Der Zweitkläger hätte sich gleich wie seine Frau entschieden.

V. hat die üblichen, von Kindern in ihrem Alter bereits beherrschten Tätigkeiten im Bereich des An- und Ausziehens, der Körperpflege, der Mahlzeiteneinnahme und -zubereitung, der Lageänderung und der Fortbewegung bisher nicht in altersentsprechendem Ausmaß erlernt. Mit zunehmendem Alter werden die Unterschiede zu gleichaltrigen Kindern stärker sichtbar werden. Die klinischen Folgen der Fehlbildung zeigen sich im Bereich der Motorik. Auch das selbständige Spielen und die Interaktion mit anderen Kindern ist beeinträchtigt.

Die Kläger leben mit V. (und ihrer älteren Tochter) im gemeinsamen Haushalt. Sie leisten Unterhalt in Form der Finanzierung des Lebens, des Essens, der Therapien, der Wohnungskosten etc. Die Pflegeleistungen werden von ihnen beiden erbracht, unter der Woche primär von der Erstklägerin, am Wochenende von beiden gemeinsam. Die Kläger haben ein gemeinsames Konto, auf welches das gesamte Einkommen der Erstklägerin und ein Teil des Einkommens des Zweitklägers fließen. Von diesem gemeinsamen Konto werden die Aufwendungen für V. gedeckt.

Die Kläger begehren vom Beklagten Schadenersatz und die Feststellung seiner Haftung für alle künftigen Schäden aufgrund seines Untersuchungsfehlers. Er sei bei der Pränataldiagnostik nicht lege artis vorgegangen und habe deshalb die Missbildung des Kindes nicht erkannt. Hätte er die Erstklägerin über die Fehlbildung des Fötus informiert, hätte sie eine Abtreibung vornehmen lassen, weil sie sich die Versorgung eines behinderten Kindes weder emotional noch kräftemäßig zugetraut hätte. Der Beklagte hafte für den (gesamten) Unterhalt des Kindes seit seiner Geburt. Darüber hinaus habe er den Klägern sämtliche weiteren (im Einzelnen dargelegten) Aufwendungen aufgrund der Behinderung des Kindes, insbesondere Behandlungskosten, Fahrtkosten, Pflegeaufwendungen und sonstige Barauslagen, zu ersetzen.

Der Beklagte wendete ein, es sei ihm kein Fehler unterlaufen. Er habe die pränatale Untersuchung nach den anerkannten Regeln der medizinischen Wissenschaft durchgeführt. Anlässlich der Organscreenings hätten sich keine Auffälligkeiten gezeigt und es seien alle Extremitäten des Fötus vorhanden gewesen. Da dem Kind nur die linke obere Extremität fehle, sei es ausgeschlossen, dass der Erstklägerin ein Schwangerschaftsabbruch nach § 97 Abs 1 Z 2 und 3 StGB offen gestanden wäre. Es werde daher der „Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens“ erhoben. Dauer- und Spätfolgen seien ausgeschlossen. Zu ersetzen sei jedenfalls nicht der gesamte Kindesunterhalt, sondern höchstens der Mehrbedarf aufgrund der Behinderung.

Das Erstgericht verpflichtete den Beklagten zur Zahlung von 75.987,49 € sA an beide Kläger, sowie von 387,82 € an die Erstklägerin und von 104,10 € an den Zweitkläger; ein (in dritter Instanz nicht mehr relevantes) Zahlungsmehrbegehren wies es ab. Weiters sprach es aus, dass der Beklagte den Klägern für alle künftigen Vermögensschäden und Vermögensnachteile (gemeint: aufgrund des Untersuchungsfehlers) sowie für den künftigen Unterhalt des Kindes haftet.

Der Beklagte habe die Ultraschalluntersuchungen und die Pränataldiagnostik nicht lege artis durchgeführt. Dadurch habe er einen möglichen Schwangerschaftsabbruch nach § 97 Abs 1 Z 1 StGB (ebenso wie einen solchen nach § 97 Abs 1 Z 2 Fall 2 StGB) rechtswidrig und schuldhaft verhindert, weshalb er dem Grunde nach für alle daraus resultierenden Nachteile hafte. Auch das Feststellungsbegehren sei berechtigt. Die Kläger hätten Anspruch auf Ersatz des gesamten Kindesunterhalts, also nicht bloß des behinderungsbedingten Mehraufwands, weil es bei ordnungsgemäßer Vorgangsweise des Beklagten für sie zu keiner Unterhaltsbelastung gekommen wäre. Schadenersatzrechtlich könne daher nur die Situation mit und ohne Kind verglichen werden. Da der tatsächlich geleistete (Natural-)Unterhalt naturgemäß nur mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten zu ermitteln wäre, sei auf die von der Rsp entwickelte Prozentsatzmethode zurückzugreifen.

Hier sei ein Wert iHv 15 % der Bemessungsgrundlage (nach Abzug von 1 % für das zweite Kind der Kläger) zugrunde zu legen, jedoch nur bis zur Luxusgrenze in Höhe des zweieinhalbfachen Regelbedarfs. Für den Zeitraum 25. 4. 2018 bis 3. 11. 2021 ergebe sich daher eine Unterhaltsbelastung iHv 24.029 €. Der Pflegemehraufwand betrage unter Zugrundelegung eines Stundensatzes von 15 € 45.310,30 €. Zusätzlich hätten die Kläger Anspruch auf Ersatz der festgestellten Fahrtkosten und Barauslagen.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Bei regelgerechtem Verhalten des Beklagten hätte die Erstklägerin einen Schwangerschaftsabbruch nach § 97 Abs 1 Z 1 StGB vornehmen lassen, aber auch die Möglichkeit eines Vorgehens nach § 97 Abs 1 Z 2 Fall 2 StGB prüfen können. Ob die beim Kind vorliegenden körperlichen Beeinträchtigungen einen Schweregrad erreichten, der einen Schwangerschaftsabbruch nach § 97 Abs 1 Z 2 Fall 2 StGB gerechtfertigt hätte, könne nach den getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilt werden. Darauf komme es aber ohnehin nicht an, weil die Erstklägerin bei entsprechender Diagnose am 30. 10. 2017 einen –straffreien – Schwangerschaftsabbruch bereits im Rahmen der Fristenlösung vornehmen hätte lassen. Damit scheitere der vom Beklagten erhobene Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens. Auf den Meinungsstreit, ob die gesetzliche Fristenlösung einen Rechtfertigungsgrund oder nur einen Tatbestandsausschließungsgrund bilde, komme es hier nicht an. Anders als im Fall der Geburt eines gesunden, wenn auch unerwünschten Kindes („wrongful conception“) sei bei Geburt eines ungewollten behinderten Kindes („wrongful birth“) die Ersatzfähigkeit des „Unterhaltsschadens“ bereits wiederholt bejaht worden. Zu ersetzen sei in diesem Fall der gesamte Unterhaltsaufwand und nicht bloß der behinderungsbedingte Mehraufwand. Die von der Rsp dafür geforderte „schwerwiegende Behinderung“ des Kindes liege hier vor. Der vom Beklagten erhobene Einwand des Mitverschuldens der Kläger wegen unterlassener Freigabe des Kindes zur Adoption sei nicht berechtigt. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei seine Ersatzpflicht auch nicht auf den „Basisunterhalt“ im Sinn des Regelbedarfs beschränkt. In der Rsp habe sich zur Bemessung des Geldunterhalts die vom Erstgericht angewandte Prozentsatzmethode entwickelt. Demgegenüber sei der Regelbedarf lediglich eine Kontroll- und Orientierungsgröße für den zustehenden Unterhalt; er stelle nicht auf die Lebensverhältnisse der Eltern ab und komme daher für eine Unterhaltsbemessung nicht in Betracht. Die vom Beklagten geforderte „Einschränkung“ der Haftung auf die Zeit bis zum Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes sei entbehrlich, weil sich die Unterhaltsverpflichtung der Kläger gegenüber ihrer Tochter ex lege an deren Selbsterhaltungsfähigkeit orientiere.

Der OGH gab der Revision des Beklagten nicht Folge.

1. Die bisherige Judikatur zu „wrongful birth“ und „wrongful conception“

1.1. In der Entscheidung 1 Ob 91/99k („wrongful birth“) hatte sich der OGH erstmals mit der Frage der Schadenersatzpflicht eines Arztes für die Folgen der Geburt eines schwer behinderten Kindes zu befassen, dessen Eltern sich – wäre der Arzt lege artis vorgegangen, indem er sie rechtzeitig über die Behinderung des Fötus informiert hätte – für eine Abtreibung entschieden hätten. Der erste Senat kam nach Auseinandersetzung mit dem österreichischen Schrifttum sowie der deutschen und Schweizer Judikatur zum Ergebnis, dass eine von der Schwangeren gewünschte Abtreibung nicht rechtswidrig sei, wenn (wie im damaligen Anlassfall) die Voraussetzungen des § 97 Abs 1 Z 2 Fall 2 StGB vorlägen, weshalb die dortige Erstklägerin (Mutter des behinderten Kindes) nicht rechtswidrig gehandelt hätte, wenn sie einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen hätte lassen. Der Senat teile zwar die Bedenken Koziols gegen die Annahme der Geburt eines gesunden, jedoch unerwünschten Kindes als Ursache eines ersatzfähigen Vermögensschadens; der dort zu beurteilen gewesene, menschlich besonders tragische Fall einer nicht erkannten überaus schweren Behinderung eines Kindes, wodurch den Eltern eine besonders schwere, ihr Leben einschneidend verändernde Belastung aufgebürdet worden sei, sei jedoch mit dem Problemkreis der bloß fehlgeschlagenen Familienplanung nicht vergleichbar. Entgegen der Ansicht Koziols umfasse die Vertragspflicht des Arztes auch den Schutz vor Vermögensnachteilen infolge der unerwünschten, bei ordnungsgemäßer Aufklärung unterbliebenen Geburt eines schwerstbehinderten Kindes. Unterlaufe dem Arzt bei den maßgeblichen Untersuchungen ein Fehler, der zur sonst unterblie-

benen Geburt eines behinderten Kindes führe, erstrecke sich dessen Haftung daher auf die Freistellung des Vertragspartners von wirtschaftlichen Belastungen, die (ua) durch den Behandlungsvertrag vermieden werden sollten. Ein negatives Werturteil über das Kind sei damit, dass dessen Unterhalt als Verbindlichkeit zu qualifizieren sei, nicht verbunden. Vielmehr stelle erst die Belastung der Eltern mit dem Aufwand eine die Annahme eines Schadens kennzeichnende Vermögensverminderung dar. Die Tatsache, dass die wirtschaftliche Belastung erst durch die Existenz des Kindes ausgelöst werde, ergebe sich aus einem naturwissenschaftlichen Zusammenhang, der für sich genommen wertfrei sei. Der Schadensbegriff sei zudem weder nach dem Gesetz noch nach der schadenersatzrechtlichen Praxis derart negativ besetzt, dass es sich verbiete, finanzielle Belastungen aus der Geburt eines Kindes als Schaden anzusehen. Insb bedeute die Beurteilung der besonderen Unterhaltsbelastung infolge der Schwerstbehinderung des Kindes als Schaden im Verhältnis zwischen Eltern und Arzt nicht etwa, dass über das Kind ein Unwerturteil ausgesprochen und es durch die Verbindung mit dem Begriff „Schaden“ in seiner Persönlichkeit herabgewürdigt werde. Auch die im Schrifttum geäußerten Bedenken, wonach mit der Geltendmachung eines Schadenersatzanspruchs durch die Eltern dem Kind „drastisch die Unerwünschtheit vor Augen geführt“ werde, seien unberechtigt; ganz im Gegenteil sei zu befürchten, dass das Kind die mangelnde Akzeptanz noch mehr zu spüren bekomme, wenn die Eltern die finanziellen Belastungen voll zu tragen hätten.

Die Frage, ob der Arzt bei schuldhafter Verletzung seiner Beraterpflicht den gesamten Unterhaltsaufwand zu ersetzen hat, konnte in dieser Entscheidung offen bleiben, weil dort lediglich der durch die Behinderung verursachte Mehraufwand eingeklagt worden war.

1.2. Zu 6 Ob 303/02f („wrongful birth“) wurde das Schadenersatzbegehren der Eltern eines behinderten, an einer sehr seltenen Erbkrankheit leidenden Kindes mit der Begründung abgewiesen, das dem beklagten Krankenhausträger angelastete Fehlverhalten könne keine Haftung begründen. Es wäre primär an den Klägern gelegen gewesen, sich angesichts des Umstands, dass bei den beiden Geschwistern der Erstklägerin dieselbe Erbkrankheit ebenfalls aufgetreten war, vorweg über die Familienplanung klar zu werden, Informationen über die Erkrankung einzuholen und zu berücksichtigen, dass die Wahrscheinlichkeit bestehe, dass ein behindertes Kind zur Welt kommen und gegebenenfalls ihre weitere Lebensgestaltung dadurch betroffen sein werde.

1.3. In der Entscheidung 5 Ob 165/05h („wrongful birth“, FamZ 2006/31, 63) schloss sich der fünfte Senat den in der Entscheidung 1 Ob 91/99k ausgeführten Gründen zur Arzthaftung im Fall der Geburt eines behinderten Kindes trotz der von einem Teil der Lehre geäußerten Kritik vollinhaltlich an. Diese Kritik wiederhole nämlich im Ergebnis jene Literaturstimmen, mit denen sich die genannte Entscheidung selbst sorgfältig auseinandergesetzt habe. Die Haftung des Arztes erstrecke sich – allenfalls gekürzt durch ein Mitverschulden – auf den gesamten, den Klägern durch die mangelhafte Aufklärung über die Behinderung des Kindes erwachsenden Nachteil. Das sei im konkreten Fall der volle Unterhalt, den die Kläger dem behinderten Kind zu leisten hätten. Komme es aufgrund eines Beratungsfehlers des behandelnden Arztes zu einer bei richtiger Aufklärung nicht gewollten Geburt eines behinderten Kindes, liege der vermögensrechtliche Nachteil nicht in der Existenz dieses Kindes, sondern in der dadurch entstehenden Unterhaltspflicht; dies gelte also nicht bloß für den behinderungsbedingten Mehraufwand, sondern auch für den „Basisunterhalt“. Auch der BGH bejahe die Pflicht zum Ersatz des gesamten Unterhalts. Gehe man richtigerweise davon aus, dass der mit einer Schwangeren abgeschlossene Behandlungsvertrag auch finanzielle Interessen der Patientin wahren solle, sei es nur konsequent, den aus der Geburt eines behinderten Kindes entstehenden Unterhaltsanspruch zur Gänze als vermö-

KINDSCHAFTSRECHT

gensrechtlichen Nachteil zu bewerten. Der vertraglich geschützte Wille der Vertragspartnerin des Arztes gehe ja dahin, überhaupt keinen Unterhaltsaufwand für ein behindertes Kind tragen zu müssen. Aus diesem Schutzzweck ergebe sich der gesamte Unterhaltsaufwand für das behinderte Kind als ersatzfähiger Schaden.

1.4. Hingegen lehnte der OGH in der Entscheidung 6 Ob 101/06f („wrongful conception“, FamZ 2006/70, 198) eine Haftung des Arztes, der beim Erstkläger nach der Geburt des dritten Kindes eine Vasektomie durchgeführt hatte, gegenüber den Klägern, die dennoch Eltern eines weiteren (gesunden) Kindes geworden waren, ab. Nach ausführlicher Auseinandersetzung mit der Rsp in Deutschland und anderen europäischen Staaten (Pkt 3.1. bis 4.) und den uneinheitlichen Lehrmeinungen (Pkt 5.1. bis 5.14. sowie 6.), worauf zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden kann, sah der sechste Senat keine Veranlassung, von der bereits zu 1 Ob 91/99k ausgesprochenen Rechtsansicht abzugehen, wonach die Geburt eines gesunden, wenn auch unerwünschten Kindes keinen Schaden im Rechtssinn bedeute. Das Schadenersatzrecht habe nicht den Zweck, Nachteile zu überwälzen, die bloß eine Seite der Existenz und damit des personalen Eigenwerts des Kindes darstellten und die ohnedies familienrechtlich geordnet seien. Insoweit hätten in der Abwägung die Grundsätze der Personenwürde und der Familienfürsorge Vorrang vor den Schadenersatzfunktionen und Haftungsgründen. Die Überwälzung eines Aufwands im Weg des Schadenersatzrechts setze das Vorliegen eines ersatzfähigen Schadens iSd § 1293 ABGB voraus. Ein solcher sei aber in der Geburt eines Kindes im Regelfall nach der Wertung der Rechtsordnung gerade nicht zu erblicken. Diese Auffassung führe auch zu keiner Diskriminierung von Behinderten. Die Qualifikation einer Unterhaltspflicht als Schaden sei gerade nicht Ergebnis einer Differenzierung nach der Behinderung oder Nichtbehinderung im Sinn einer „Bewertung“ des Kindes, sondern Ausdruck der Abwägung zweier fundamentaler Rechtsprinzipien, nämlich des positiven personalen Eigenwerts jedes Kindes einerseits und der Ausgleichs- und Präventionsfunktion des Schadenersatzrechts andererseits. Die ausnahmsweise Zuerkennung von Schadenersatz trotz des personalen Eigenwerts jedes Kindes sei nicht Folge einer negativen Bewertung eines behinderten Kindes, sondern ausschließlich der Versuch eines geldwerten Ausgleichs eines besonderen Unterhaltsbedarfs. Gründe für das Durchschlagen des Schadenersatzprinzips gegenüber dem Persönlichkeitsprinzip könnten dann bestehen, wenn die Unterhaltspflicht die Eltern wegen besonders geringer Mittel besonders stark treffen würde. Führe nämlich die Unterhaltsbelastung zu ungewöhnlichen, geradezu existenziellen Erschwernissen für das Kind und die Eltern, könne nicht mehr davon die Rede sein, dass die Eltern ihre ganz normalen elterlichen Unterhaltsbelastungen durch ein Kind von sich auf einen Dritten abwälzen wollten; in derartigen Fällen gehe es vielmehr um Abhilfe in einer personal existenziellen Notsituation, die im Anlassfall allerdings nicht vorliege.

In einem ähnlichen Fall (Geburt eines gesunden Kindes trotz vorheriger Eileiterunterbindung) schloss sich der OGH zu 2 Ob 172/06t der soeben referierten Entscheidung an. Das auf den Titel des Schadenersatzes gegründete Klagebegehren müsse schon deshalb scheitern, weil in der Geburt eines gesunden, aber unerwünschten Kindes schon begrifflich kein „ersatzfähiger Schaden“ erblickt werden könne; das komplexe Eltern-Kind-Verhältnis verbiete es, lediglich den Teilaspekt der finanziellen Belastung der Eltern herauszugreifen.

1.6. Zu 6 Ob 148/08w („wrongful conception“) sah der sechste Senat ebenfalls keinen Anlass, von der in seiner Entscheidung 6 Ob 101/06f (FamZ 2006/70, 198) vertretenen Rechtsauffassung abzugehen.

1.7. Zu 5 Ob 148/07m („wrongful birth“, iFamZ 2008/68, 127) hielt der fünfte Senat nach ausführlicher Auseinandersetzung mit

der Judikatur der Höchstgerichte in Deutschland und der Schweiz sowie der im Gefolge der Entscheidung 5 Ob 165/05h (FamZ 2006/31, 63) geäußerten Meinungen im Schrifttum an der in dieser Entscheidung vertretenen Ansicht fest. Im Licht des nach § 1293 ABGB maßgeblichen Schadensbegriffs könne nicht zweifelhaft sein, dass sich im Vergleich der bestehenden Unterhaltsverpflichtung der Kläger mit der Situation nach einer abgebrochenen Schwangerschaft der gesamte Unterhaltsaufwand für das behinderte Kind als Schaden darstelle. Die Pränataldiagnostik diene regelmäßig zur Ermittlung von Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen des ungeborenen Kindes. Ihr Zweck in der Schwangerenbetreuung müsse dann aber zumindest auch darin gesehen werden, der Mutter (den Eltern) im Fall einer erkennbar drohenden schwerwiegenden Behinderung des Kindes die sachgerechte Entscheidung über einen gesetzlich zulässigen, auf § 97 Abs 1 Z 2 Fall 2 StGB beruhenden Schwangerschaftsabbruch zu ermöglichen. Dass in einem solchen Fall die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch auch wegen der erheblichen finanziellen Aufwendungen für ein behindertes Kind erfolgen könne, sei objektiv voraussehbar, sodass unter diesen Umständen auch die finanziellen Interessen der Mutter (der Eltern) noch vom Schutzzweck des ärztlichen Behandlungsvertrags umfasst seien. Es stehe fest, dass es bei pflichtgemäßer Diagnose und Beratung nicht zur Geburt des Kindes und damit auch zu keiner Unterhaltsbelastung der Kläger gekommen wäre. Schadenersatzrechtlich könne nur die Situation mit und ohne Kind verglichen werden. Dies schließe eine Reduktion des Ersatzanspruchs auf den behinderungsbedingten Unterhaltsmehraufwand aus; zu letzterem könnte man nämlich nur durch einen Vergleich des behinderten Kindes mit einem – auf einer bloßen Fiktion beruhenden – gesunden Kind kommen, und eine solche Betrachtungsweise wäre nicht nur schadenersatzrechtlich verfehlt, sondern ein die Behinderung in den Vordergrund stellender und insoweit gerade diskriminierender Ansatz.

1.8. Zu 7 Ob 214/11p („wrongful birth“) wurde die außerordentliche Revision des dort beklagten Arztes gegen den Zuspruch von Schadenersatz an die Eltern eines Kindes mit Trisomie 21 zurückgewiesen. Im Anlassfall hätten sich die Eltern für die Vornahme einer Abtreibung entschieden, wären sie nicht vom Beklagten aufgrund tendenziöser und suggestiver Beratung von einer Fruchtwasseruntersuchung abgehalten worden, bei der die Chromosomenstörung ihres Kindes entdeckt worden wäre. Der siebte Senat lehnte die vom Beklagten angestrebte Schadensteilung 50:50 (§§ 1302, 1304 iVm § 1311 ABGB) mit der Begründung ab, der Umstand, dass beim Fötus eine Chromosomenstörung vorlag, habe sich zwar schicksalhaft im Bereich der Kläger ereignet, es habe aber ausschließlich der Beklagte zu vertreten, dass diese genetische Abweichung nicht erkannt und das Kind geboren worden sei. Auch für eine analoge Anwendung der §§ 1301 und 1304 ABGB allein zum Zweck der Anspruchskürzung bestehe kein Anlass. Aus der Begründung ist nicht ersichtlich, ob die Kläger den gesamten Unterhalt oder nur den behinderungsbedingten Mehraufwand geltend gemacht hatten.

1.9. In der Entscheidung 8 Ob 54/14w („wrongful birth“) bekräftigte der OGH, dass die pränatale Diagnostik vor allem der Ermittlung von Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen des ungeborenen Kindes diene und ihr Zweck daher auch darin liege, der Mutter bzw den Eltern im Fall einer drohenden schwerwiegenden geistigen oder körperlichen Behinderung des Kindes die sachgerechte Einschätzung und Reaktion – die zunehmend auch in pränatalen Behandlungen liegen könne – zu ermöglichen. Der erkennende Senat verneinte jedoch im konkreten Fall einen haftungsbegründenden Diagnosefehler der Ärzte der Beklagten.

1.10. In der Entscheidung 9 Ob 37/14b („wrongful conception“) hielt der OGH an der Ansicht fest, dass die Geburt eines gesunden, wenn auch unerwünschten Kindes keinen Schaden im Rechtssinn begründe. Nur dort, wo ganz besondere Umstände vorlägen, die der

typisierten umfassenden Bewertung im Rahmen des familienrechtlichen Verhältnisses nicht entsprächen, könne die schadenersatzrechtliche Ausgleichsfunktion durchdringen. Dies sei im Fall der Geburt eines behinderten Kindes bejaht, aber auch bei der Geburt eines gesunden Kindes dann in Betracht gezogen worden, wenn die zusätzliche Unterhaltsbelastung eine „ungewöhnliche und geradezu existenzielle Erschwerung wegen der zu gering verfügbaren Unterhaltsmittel“ zur Folge habe. Zu dieser Tatfrage habe jedoch die Klägerin auch nach Bestreitung durch die Beklagten keine konkreten Tatsachenbehauptungen aufgestellt, deren Nachweis eine solche außergewöhnliche, geradezu existenzielle Belastung hätte aufzeigen können.

1.11. In der Entscheidung 8 Ob 69/21m („wrongful conception“, iFamZ 2022/137, 178), der eine ungewollte Schwangerschaft aufgrund des Bruchs der der Klägerin eingesetzten Spirale zugrunde lag, wiederholte der achte Senat die Rechtsansicht, dass die Geburt eines gesunden, wenn auch unerwünschten Kindes mit allen damit gewöhnlich verbundenen Belastungen keinen ersatzfähigen Schaden im Rechtssinn begründe.

2. Der Meinungsstand im Schrifttum

2.1. Vorauszuschicken ist, dass in der juristischen Diskussion zum Thema „wrongful birth“ bzw „wrongful conception“ zwei Hauptstandpunkte ausgemacht werden können:

Nach der sogenannten Einheitsthese sind die Existenz des Kindes und die Unterhaltspflicht nicht voneinander zu trennen; da die Unterhaltspflicht aus dem Familienverhältnis entspringe und dort abschließend geregelt sei, sei der Ersatz des Unterhalts aus dem Titel des Schadenersatzes abzulehnen. Die abgeschwächte Einheitsthese lehnt den Ersatz des Unterhaltsschadens zwar ebenfalls prinzipiell ab, billigt einen solchen aber dann zu, wenn andernfalls für die Eltern eine außergewöhnliche Belastung entstünde.

Im Gegensatz dazu sieht die sogenannte Trennungsthese im Unterhaltsaufwand einen nach allgemeinen Regeln ersatzfähigen Vermögensschaden; nicht das Kind selbst, sondern das Entstehen der Unterhaltsverpflichtung sei der Schaden (vgl Benke/Klausberger in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang, ABGB3, § 22 Rz 68 mwN).

Im Einzelnen werden – komprimiert und ohne Anspruch auf Vollständigkeit wiedergegeben – folgende Ansichten vertreten:

2.2. Mirecki (Bemerkungen zum Ersatz des Unterhaltsschadens, ÖJZ 1990, 755 und 793) hält es für höchst problematisch, den familienrechtlich geregelten gesetzlichen Unterhalt als schadenersatzrechtliches Vermögensäquivalent heranzuziehen. Umgekehrt sei es unerträglich, „Vertragsverletzungen oder deliktisches Verhalten ohne adäquate Sanktion rechtlich bestehen zu lassen“. Es liege eine echte Gesetzeslücke vor, die unter Berücksichtigung der dem ABGB immanenten Grundsätze des Kindeswohls und der wirtschaftlichen Tragfähigkeit durch Analogie zu schließen sei. Der Unterhaltsschaden sei daher dann ersatzfähig, wenn durch die Durchkreuzung einer aus wirtschaftlichen Gründen gerechtfertigten Familienplanung der Unterhalt des unerwünschten Kindes gefährdet sei.

2.3. Nach F. Bydlinski (Das Kind als Schadensursache im Österreichischen Recht, in Magnus/Spier, European Tort Law. Liber amicorum for Helmut Koziol [2000] 29) ist die Geburt eines gesunden, jedoch unerwünschten Kindes grundsätzlich kein Schaden. Das Schadenersatzrecht habe nicht den Zweck, Nachteile zu überwälzen, die bloß eine Seite der Existenz und damit des personalen Eigenwerts des Kindes darstellen und die ohnedies familienrechtlich geordnet sind. Insoweit hätten die Grundsätze der Personenwürde und der Familienfürsorge Vorrang vor den Schadenersatzfunktionen und den Haftungsgründen. Hingegen müssten die erstgenannten Grundsätze dann eine gewisse Einschränkung hinnehmen und würden die Prinzipien des Schadenersatzrechts durchdringen, wenn der Unterhalt für die Eltern eine ganz außergewöhnliche Belastung bedeute.

2.4. Rebhahn (Schadenersatz wegen der Geburt eines nicht gewünschten Kindes? JBl 2000, 265) führt aus, dass die Ablehnung einer Ersatzpflicht im Fall der ungewollten Empfängnis eines (gesunden) Kindes bei Orientierung an den allgemeinen Regeln des Ersatzrechts und der Vertragsinterpretation nicht selbstverständlich sei. Es bedürfe erst der Begründung, warum der Arzt gerade bei einer Maßnahme der Familienplanung nicht haften solle, wenn er die geschuldete Hauptleistung des Vertrags sorgfaltswidrig schlecht erbringe und deshalb jene Folge einträten, die die Hauptleistung verhindern hätte sollen. Spreche man im Fall der Geburt eines behinderten Kindes nur den behinderungsbedingten Mehraufwand zu, liege der auszugleichende Nachteil zwar nicht bereits in der Existenz des Kindes, wohl aber in der Existenz als behindertes Kind. Eine solche Differenzierung, für die es wohl kein Vorbild gebe, erscheine kompromisshaft. Rechtsdogmatisch könne das Bejahen des vollen Ersatzes für ein behindertes Kind nur dann überzeugen, wenn man bei unerwünschter Geburt eines gesunden Kindes den Regelunterhalt ersetzen lasse.

Zur Entscheidung 5 Ob 165/05h (FamZ 2006/31, 63) führte Rebhahn (in Zak 2006/350, 206) aus, die Schadenersatzpflicht wegen der Geburt eines behinderten Kindes führe zu Fragen, die sowohl aus rechtstechnischer wie aus ethischer Sicht äußerst schwierig und nach F. Bydlinski nicht rational lösbar seien. F. Bydlinski wolle dann auf Rechtsprinzipien rekurrieren. Nach Ansicht Rebhahns sei es bei ethisch sehr umstrittenen Fragen, zu denen der Gesetzgeber nicht besonders Stellung genommen habe, jedoch eher angeraten, vorhandene allgemeine Regeln des Rechts – hier zum Schadenersatz – lege artis anzuwenden und eine abweichende Bewertung dem Gesetzgeber zu überlassen. Von vorhandenen allgemeinen Regeln sollte man nur abweichen, falls zwingende Gründe dies verlangten. Dies sei bei Ersatz eines Unterhaltsaufwands der Eltern nicht der Fall, weil damit der Familie nichts genommen werde.

2.5. Kletečka (Wrongful birth, wrongful conception, JBl 2011, 749; Kletečka in Aigner/Kletečka/Kletečka-Pulker/Memmer, Handbuch Medizinrecht [Stand 1. 3. 2018, rdb.at] Kap II.1.2.4.1.) hält die „extremste Einheitstheorie“, die den Unterhaltsaufwand nicht vom Kind losgelöst betrachte, für nicht überzeugend, weil das Familienrecht nicht die Entlastung dritter Schädiger bezwecke. In den Fällen von „wrongful birth“ tritt dieser Autor für eine Beschränkung des Schadenersatzes auf den behinderungsbedingten Mehraufwand ein. Zwar habe der Arzt durch seine Fehldiagnose auch den Basisunterhalt verursacht, weil bei Aufklärung der Patientin über die Behinderung des Fötus das Kind nicht geboren worden und auch der Aufwand für den Basisunterhalt entfallen wäre. Allerdings hätte die Eltern diese Unterhaltspflicht ursprünglich nicht gestört, weil sie sich ein Kind gewünscht hätten und bereit gewesen wären, die Unterhaltspflicht auf sich zu nehmen. Anders als bei „wrongful conception“ sei es daher nicht Zweck des Behandlungsvertrags, die Belastung mit dem Basisunterhalt zu vermeiden. Mit dem Vertrag sei nur der Schutz jener Interessen vereinbart, die auch im Lichte des Rechtfertigungsgrunds des StGB als schutzwürdig anzusehen seien; dieser bezwecke aber nicht auch die Vermeidung jener Unterhaltslast, die unabhängig von der Behinderung mit der Geburt jedes Kindes verbunden sei. Daher sei bei „wrongful birth“ nur der behinderungsbedingte Mehraufwand, nicht aber der Basisunterhalt zu ersetzen. Dagegen wollten die Eltern bei „wrongful conception“ keinen Unterhalt leisten, weshalb mangels Beschränkung durch den Normzweck einer strafrechtlichen Bestimmung für den gesamten Unterhalt zu haften sei. Der „Anrechnung“ der mit der Elternschaft verbundenen ideellen Vorteile stehe entgegen, dass die Geschädigten diese „Vorteile“ gerade nicht wollten.

2.6. Leitner (Anm zu 6 Ob 101/06f, EF-Z 2006, 133 [FN 4]) argumentiert, dass der Untersuchungsvertrag mit dem behandelnden Arzt nur den Zweck haben könne, durch die Möglichkeit der Ab-

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treibung die Mehrbelastung durch ein behindertes Kind zu vermeiden und nicht vor der Belastung mit dem Basisunterhalt zu schützen, mit dem sich die Eltern bereits abgefunden hätten.

2.7. Koziol/Steininger (Schadenersatz bei ungeplanter Geburt eines Kindes, RZ 2008, 138 [146 ff]) kommen – nach einem rechtsvergleichenden Überblick (Deutschland, Schweiz, Niederlande, England, Frankreich und andere europäische Rechtsordnungen) und dem Hinweis auf die vermittelnde Lösung des OGH – zum Ergebnis, dass die österreichische Rechtsordnung für eine sachgerechte, dogmatisch begründbare Lösung der erörterten Fragen keine deutlichen Anhaltspunkte biete; die Gerichte seien „jedenfalls überfordert“, wenn sie diese rechtspolitisch überfrachtete Problematik endgültig lösen müssten.

2.8. Nach Ansicht von Koziol (Haftpflichtrecht I4 [Stand 1. 4. 2020] B/1/III A 2 d Rz 32 ff) lasse sich allerdings eine vermittelnde Lösung innerhalb des Schadenersatzrechts dogmatisch rechtfertigen: Die Belastung mit der Unterhaltspflicht dürfe nicht isoliert gesehen werden, weil es um die Entstehung einer umfassenden familienrechtlichen Beziehung mit materiellen und immateriellen Komponenten gehe. Der Schädiger verursache nicht allein eine Unterhaltspflicht, sondern eine umfassende familienrechtliche Beziehung und es sei willkürlich, nur einen Aspekt herauszugreifen; dies widerspreche dem Grundprinzip umfassender Schadensfeststellung. Weitere Einschränkungen der Schadenersatzpflicht ergäben sich aus Rechtswidrigkeitserwägungen insbesondere in Bezug auf die Rechtmäßigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen. Der Nachteil, der im Entstehen der Unterhaltspflicht bei einem Fehlschlag der Familienplanung liege, könne hingegen durchaus vom Schutzzweck des Vertrags erfasst sein; dies sei eine Auslegungsfrage.

2.9. Hinghofer-Szalkay/Hirsch (Wrongful Birth – Wrongful Conception: Die Diskussion geht in die Verlängerung, iFamZ 2008, 120; Hinghofer-Szalkay/Hirsch, Die Ersatzfähigkeit immaterieller Schäden bei Geburt eines unvorhergesehen behinderten Kindes, RdM 2008, 136) meinen, auch ethische Erwägungen würden gegen eine Ungleichbehandlung gesunder Kinder einerseits und mit einer Behinderung geborener Kinder andererseits sprechen. Im Licht der stRsp zur „wrongful conception“, nach der der Basisunterhalt nicht ersatzfähig sei, müsse dies konsequenter Weise auch in den Fällen von „wrongful birth“ gelten und der Schadenersatzanspruch für den Basisunterhalt abgelehnt werden. Auch diese beiden Autorinnen heben den Schutzzweck des Behandlungsvertrags hervor, nach dem der behandelnde Arzt die werdende Mutter über den wahren Gesundheitszustand ihres Kindes zu informieren habe, damit sie entscheiden könne, ob sie die damit verbundenen – auch immateriellen – Belastungen auf sich nehmen wolle oder nicht (HinghoferSzalkay/Hirsch, RdM 2008, 136 [138]).

2.10. Karner (Unerwünschte Zeugung und ungeplante Geburt –[k]eine Rechtsprechungsdivergenz? EF-Z 2009, 91 [92 ff]) verweist auf die beiden Entscheidungslinien zur unerwünschten Zeugung und zur mangelhaften Aufklärung über die Behinderung eines Kindes, die miteinander nicht vereinbar seien. Ausgehend von der Trennungsthese könne die Unterhaltspflicht als ersatzfähiger Schaden nicht auf die Fälle einer ungewollten Geburt behinderter Kinder eingeschränkt werden. Konsequent sei nur eine Gleichbehandlung von „wrongful birth“ und „wrongful conception“. Folge man der Einheitsthese und beziehe familienrechtliche Überlegungen mit ein, so stelle sich die Rechtslage völlig anders dar: Nur in jenen Fällen, in denen die Entstehung der familienrechtlichen Beziehung für die Eltern aufgrund ihrer angespannten Verhältnisse als außergewöhnliche Belastung anzusehen und der ideelle und materielle Lebensstandard der Familie durch sie wesentlich gemindert werde, könne sie insgesamt als nachteilig beurteilt werden. Auch rein schadenersatzrechtlich gesehen sei eine völlig isolierte Betrachtung von Vorund Nachteilen bedenklich. Der Autor schließt sich der Meinung

Koziols und Steiningers an, nach der bei der Beurteilung einer außergewöhnlichen Belastung der Eltern darauf abzustellen sei, ob es im Vergleich zu den bisherigen Verhältnissen der Familie zu einer deutlichen Verschlechterung des Lebensstandards komme. In solchen Fällen sei Ersatz bis zur Erreichung der bisherigen Verhältnisse und der Beseitigung der außergewöhnlichen Belastung zu leisten. Durch die Berücksichtigung einer außergewöhnlichen Belastung und der konkreten finanziellen Situation der Eltern werde auch eine Diskriminierung vermieden, weil die Trennlinie des Ersatzes nicht an der Grenze zwischen Behinderung und nicht vorliegender Behinderung des Kindes verlaufe.

2.11. Luf (Kind als Schadensquelle? AnwBl 2007, 547; Luf, Rechtsethische Anmerkungen zum Thema: „Kind als Schadensquelle“, in Kopetzki/Pöschl/Reiter/Wittmann-Tiwald, Körper-Codes: Moderne Medizin, individuelle Freiheiten und die Grundrechte [2010] 129) weist auf die mit der fortschreitenden medizinischen Diagnostik verbundenen schwierigen Entscheidungssituationen für werdende Eltern hin. Es sei zu bedenken, dass die schadenersatzrechtliche Betrachtung zur Folge habe, dass Ärzte zur Vermeidung von Ersatzverpflichtungen in umfassenden Aufklärungsgesprächen alle nur möglichen Verdachtsmomente zur Sprache bringen und damit letztlich eine unzumutbare Belastung der Schwangeren herbeiführen könnten. Gegen die Schadenersatzlösung bestünden auch gravierende rechtsethische Bedenken; die unerwünschte Existenz des Kindes sei dabei conditio sine qua non des Ersatzanspruchs, womit die Existenz des Kindes negativ bewertet und als Tatbestandsmerkmal der Schadenshaftung qualifiziert werde.

2.12. Bernat („Wrongful Conception“ – Geburt eines gesunden, wenn auch unerwünschten Kindes kann keinen Schaden im Rechtssinne bedeuten, RdM 2015, 149; Bernat, Wrongful Birth und Wrongful Conception in der Rechtsprechung des österreichischen OGH: Kann nur die Geburt eines behinderten Kindes die Quelle eines Schadens sein? MedR 2010, 169) meint, das Schadenersatzrecht sei „kein Mittel der sozialen Krisenintervention“; im Gegensatz zum Sozialrecht habe es keine Versorgungsaufgabe, vielmehr stehe die Ersatzleistung dem Geschädigten völlig losgelöst von seiner finanziellen Lage zu (Bernat, RdM 2015, 149 [152]). Die kategorische Ungleichbehandlung von Klagen wegen „wrongful birth“ und „wrongful conception“ lasse sich weder mit den Prinzipien des geltenden Schadenersatzrechts in Einklang bringen noch sei sie in sich widerspruchsfrei. Es sei allerdings fraglich, ob in Fällen von „wrongful birth“ nicht nur der behinderungsbedingte Mehraufwand, sondern auch der der sogenannte Regelunterhalt als ersatzfähiger Schaden beurteilt werden dürfe; in solchen Fällen würden die Kläger ja nicht behaupten, das Kind aus finanziellen Gründen „kategorisch“ abzulehnen, sondern sie fühlten sich in ihrem Interesse, kein behindertes Kind zu haben, durch das pflichtwidrige Verhalten des Arztes beeinträchtigt. Vom Schutzzweck des Beratungsvertrags sei daher in den Fällen von „wrongful birth“ nicht der gesamte Unterhaltsaufwand erfasst, sondern nur der behinderungsbedingte Mehraufwand (Bernat, MedR 2010, 169 [175 f]).

2.13. Schauer (Wrongful Birth – ein Prüfstein nicht nur für das ärztliche Gewissen! in Kröll/Schaupp, System – Verantwortung –Gewinn in der Medizin [2012] 47) verweist darauf, dass durch die Rsp die bestehende oder nicht bestehende Behinderung des Kindes conditio sine qua non für das Entstehen des Schadenersatzanspruchs gegen den behandelnden Arzt werde. Das Leben mit einer Behinderung sei für alle Beteiligten eine Herausforderung, die Behinderung habe aber keinen Verursacher und ihre Nachteile seien „Lösungsaufgaben der solidarischen Schicksalsgemeinschaft“.

2.14. Neumayr („Embryopathie“ und „wrongful birth“, in Österreichische Juristenkommission, Gesundheit und Recht – Recht auf Gesundheit [2012] 207) meint, eine konsistente Lösung des Problems sei aus juristischer Sicht nicht möglich. Ein Ausweg sei am

ehesten in einer sozialrechtlichen Lösung zu finden. Gegen den Zuspruch des Basisunterhalts spreche, dass der Vertrag mit dem behandelnden Arzt in Fällen der „wrongful conception“ nicht den Zweck habe, die Belastung der Eltern mit diesem finanziellen Aufwand zu vermeiden.

2.15. Reischauer (Schadenersatzreform – Verständnis und Missverständnisse, JBl 2009, 405 und 484 [490 f]) tritt dafür ein, die Frage des Tragens der Unterhaltsmehrkosten für ein behindertes Kind dem Sozialrecht zuzuordnen und die Haftungsfreiheit der Ärzte ausdrücklich im Gesetz festzuhalten. Die Schadenersatzpflicht desjenigen, der nicht dazu beigetragen hat, die Geburt eines Menschen zu verhindern, verstoße gegen die Grundwertungen der Rechtsordnung. Davon unberührt blieben ua Schadenersatzansprüche infolge pflichtwidriger Unterlassung einer Abtreibung trotz medizinischer Indikation (§ 97 Abs 2 StGB).

2.16. Steininger (Wrongful birth revisited: Judikatur zum Ersatz des Unterhaltsaufwands nach wie vor uneinheitlich, ÖJZ 2008, 436 [438 f]) verweist angesichts der Entscheidung 5 Ob 148/07m (iFamZ 2008/68, 127) auf ein ungeklärtes Verhältnis zu den Vorentscheidungen 6 Ob 101/06f (FamZ 2006/70, 198) und 2 Ob 172/06t, bestehe doch eine Diskrepanz in der Frage, ob der Unterhaltsaufwand stets oder nur ausnahmsweise als ersatzfähiger Schaden angesehen werden könne. In konsequenter Fortführung des Standpunkts des fünften Senats müsse auch in Wrongful-Conception-Fällen der gesamte Unterhaltsaufwand ersatzfähig sein, unabhängig davon, ob das planwidrig gezeugte Kind gesund oder behindert sei. Umgekehrt bleibe bei Annahme einer nur ausnahmsweisen Ersatzfähigkeit des Unterhaltsaufwands unklar, weshalb bei der Geburt eines behinderten Kindes jedenfalls der gesamte Unterhaltsaufwand eine derartige besondere Belastung sein solle.

2.17. Kopetzki (Wrongful birth – Haftung bei fehlerhafter pränataler Diagnose, RdM 2008, 47) argumentiert, eine schadenersatzrechtliche Differenzierung zwischen den beiden Fallgruppen nach dem Umstand der Behinderung sei unzulässig, weil bei fehlerfreiem Vorgehen der Ärzte in jedem Fall keine Unterhaltsbelastung entstanden wäre. Daher sei schadenersatzrechtlich auf das Kriterium der Behinderung oder der fehlenden Behinderung zu verzichten. Die Rechtsanwendung habe sich auf Distanz zu moralischen Positionen zu halten, auf deren Grundlage eine Konsensfindung ohnehin nicht zu erwarten sei.

2.18. Grüblinger („Wrongful birth“ – A never ending story? Zak 2008, 143) verweist auf den Inhalt des Behandlungsvertrags, der bei einem ärztlichen Eingriff zur Verhinderung weiterer Schwangerschaften gerade auf die Vermeidung zusätzlicher finanzieller Verpflichtungen gerichtet sei. Weigere man sich weiterhin, in Fällen von „wrongful conception“ eine Haftung für eine Fehlbehandlung anzuerkennen, so müsse man sich der „schiefen Optik“ bewusst sein, die dadurch erzeugt werde: Gesunde Kinder stellten keinen Schaden dar, während für ungewollte behinderte Kinder der gesamte Unterhaltsschaden zuerkannt werde. Der Unterhaltsschaden habe sich an den konkreten Verhältnissen zu orientieren und sei bei überdurchschnittlichem Einkommen der Eltern mit dem Zweieinhalbfachen des Regelbedarfs zu begrenzen. Die Autorin spricht sich gegen die Einbeziehung immaterieller Vorteile („Freude am Kind“) aus; dies widerspreche der allgemeinen Tendenz, die Ersatzfähigkeit ideeller Schäden eher restriktiv zu handhaben.

2.19. Pletzer („Recht auf kein Kind?“ – Überlegungen anlässlich der jüngsten Entscheidung des OGH zu „wrongful birth“, JBl 2008, 490) verweist auf die Kausalität, die den Zuspruch des gesamten Unterhaltsaufwands für das behinderte Kind zwingend zur Folge habe; das ärztliche Verhalten sei im Fall der mangels Aufklärung nicht erfolgten Abtreibung nicht nur für den behinderungsbedingten Mehraufwand kausal, sondern für den gesamten Unterhaltsaufwand. Der Vertrag über die pränatale Diagnostik habe unter anderem den

Zweck, Entscheidungsgrundlagen für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch zu erhalten. Die Familienplanung hänge in nicht unerheblichem Ausmaß von finanziellen Überlegungen ab, daher müsse der Arzt in Erwägung ziehen, dass sich die Eltern zur Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs entschließen würden und dies habe den Entfall des gesamten Unterhaltsaufwands zur Folge. Es sei nicht einzusehen, weshalb ein finanzieller Nachteil, den die Schwangere dadurch erlitten habe, dass ihr die Entscheidung für einen Abbruch rechtswidrig und schuldhaft verunmöglicht worden sei, nicht ausgeglichen werden sollte.

2.20. Auch Benke/Klausberger (in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang, ABGB3, § 22 Rz 73 ff) sind der Ansicht, dass es im Licht der Kausalität konsequent sei, den Gesamtunterhalt zuzusprechen. Für die Eltern habe zu keinem Zeitpunkt die Alternative bestanden, ein gesundes Kind zu haben, sondern die Wahl sei nur gewesen, ein behindertes oder überhaupt kein Kind zu bekommen. Haftungsmindernd könne sich nur ein Mitverschulden der Eltern niederschlagen, etwa, wenn die Schwangere vom behandelnden Arzt vorgeschlagene, ihr zumutbare Untersuchungen nicht durchführen lasse.

2.21. Aicher (in Rummel/Lukas, ABGB4, § 22 Rz 4) spricht sich zu „wrongful birth“ ebenfalls für einen Ersatz des gesamten Unterhaltsbedarfs aus. Er hält fest, dass die Eltern den Schaden der entstehenden Unterhaltspflicht gleichermaßen bei misslungener Vasektomie oder Eileiterunterbindung wie bei mangelnder/falscher Aufklärung über ein Schwangerschaftsrestrisiko erleiden würden, weshalb er die Rsp zu „wrongful conception“ als inkonsequent ablehnt.

2.22. Wagner (in Schwimann/Kodek, ABGB4, § 1293 Rz 39 ff) stimmt der Begründung zu 5 Ob 148/07m (iFamZ 2008/68, 127) zu, nach der die Differenzierung zwischen Basisunterhalt und behinderungsbedingtem Mehraufwand nicht geboten sei. Richtigerweise sei aber mit der Rsp ein Ersatz der Unterhaltsleistungen bei Geburt eines gesunden Kindes zu verneinen. Es sei Aufgabe des Gesetzgebers, sich des Themas anzunehmen, wobei insb Möglichkeiten einer sozialrechtlichen Lösung in Betracht zu ziehen seien.

2.23. Schickmair (Keine Produkthaftung nach Bruch der „Spirale“ und Geburt eines gesunden Kindes, iFamZ 2022, 233 [234]) bezieht sich iZm misslungener Empfängnisverhütung auf den Schutzzweck des Behandlungsvertrags. Ob dieser auch darin liege, vor Vermögensschäden oder vor mit der Geburt verbundenen ideellen Beeinträchtigungen zu schützen, sei nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen.

2.24. Schwarzenegger (Der OGH, ein unerwünschtes Kind und die Einheitstheorie, EF-Z 2015, 166) kritisiert die Aussage, dass die Geburt eines gesunden Kindes kein Schaden sein könne, weil damit umgekehrt die Geburt eines behinderten Kindes als Schaden angesehen werde. Das Familienrecht regle nur das „Innenverhältnis“ zwischen den Eltern und ihrem Kind, es enthalte aber keine Aussage zur Frage, ob die Unterhaltslast auf familienfremde Dritte (hier Ärzte und Krankenhausträger) überwälzt werden dürfe. Eine Vermengung von Vermögensnachteilen und ideellen Vorteilen unterwerfe das Kind letztlich einer „Nützlichkeitsanalyse“. Es sei inkonsequent, bei „wrongful conception“ zwar den Unterhaltsschaden abzulehnen, aber Schadenersatz für eine schwangerschaftsbedingte psychische Alteration in Betracht zu ziehen. Die Entscheidungen zu „wrongful birth“ stünden in unlösbarem Widerspruch zu denen bei „wrongful conception“. Die faktischen Unterschiede der beiden Fallkonstellationen könnten diese fundamentale Verschiedenbehandlung nicht rechtfertigen. Bei „wrongful birth“ könne nur der behinderungsbedingte Mehraufwand, bei misslungener Empfängnisverhütung hingegen nur der gesamte Unterhaltsaufwand zu ersetzen sein.

2.25. Nademleinsky (Die Rechtsprechung zur Arzthaftung 2009, in Kierein/Lanske/Wenda, Jahrbuch Gesundheitsrecht 2009 [2009] 164 [187]) meint in seiner Anmerkung zur Entscheidung zu 5 Ob

KINDSCHAFTSRECHT

148/07m (iFamZ 2008/68, 127), diese ermögliche eine konsistente Lösung beider Fallgruppen, indem stets der gesamte Unterhaltsaufwand zu ersetzen sei. Die „Freude der Eltern am Kind“ dürfe rechtlich nicht relevant sein.

2.26. Friedl („Wrongful conception“: Keine Haftung des Arztes wegen ungewollter Drillingsgeburt, ecolex 2008, 1117) kritisiert die Begründung der Entscheidung zu 6 Ob 148/08w unter Hinweis darauf, dass der Schadensbegriff des ABGB keine Wertung rechtfertige, nach der vermögende Eltern sanktionslos „geschädigt“ werden dürften. Eine Ersatzpflicht sei für behandelnde Ärzte nicht vorhersehbar, wenn man auf die jeweilige wirtschaftliche Situation der Eltern abstelle. Auch die Abwägung zwischen materiellen und immateriellen Vor- und Nachteilen sei abzulehnen.

2.27. Zwettler („Wrongful birth“ und „wrongful conception“ II, AnwBl 2017, 430) kritisiert ebenfalls die Entscheidung zu 6 Ob 148/08w und meint, dass der Schutzzweck des Vertrags bei „wrongful conception“ nicht die Ablehnung von Ersatzansprüchen begründen könne. Hingegen lasse sich bei „wrongful birth“ aus dem Schutzzweck des Vertrags die Unterscheidung zwischen Grundunterhalt und Mehraufwand begründen. Es sei die Annahme lebensnah, dass sich oft Personen für Sterilisationseingriffe entscheiden würden, denen es an den Mitteln zur Versorgung eines (weiteren) Kindes fehle. Genau diese Menschen seien aber dann vor die Wahl gestellt, das Kind dennoch aufzuziehen oder eine Abtreibung zu wählen. Der Autor weist abschließend darauf hin, dass sich seit der Entscheidung des fünften Senats aus dem Jahr 2007 die „Kluft“ zwischen den beiden Rechtsprechungslinien noch vergrößert habe; diese Verschärfung der Widersprüche verlange nach einer Klärung. Sollte einmal ein Sachverhalt zu beurteilen sein, bei dem zur misslungenen Empfängnisverhütung auch noch eine Behinderung des Kindes hinzutrete, könnten die beiden unterschiedlichen Ansätze nicht mehr nebeneinander aufrechterhalten werden.

2.28. Mörsdorf-Schulte (Geburt eines behinderten Kindes als Schaden, ZEuP 2010, 147 [162 ff]) befasst sich eingehend mit der österreichischen Rsp zum Thema und hebt die Widersprüche der Judikaturlinien zu den beiden Fallgruppen hervor. Dass sich der fünfte Senat in der Entscheidung zu 5 Ob 148/07m (iFamZ 2008/68, 127) mit Hinweis auf den anderen Sachverhalt bei „wrongful birth“ mit den Argumenten der Rsp zu „wrongful conception“ nicht befasst habe, verhindere nicht den Eindruck einer grundsätzlichen Geringerwertung des Lebens Behinderter; dies wäre nur durch den Zuspruch bloß des Mehrbedarfs zu erreichen. Eine Überwindung der Widersprüche könne durch die Loslösung vom rein wirtschaftlichen Schadenskonzept erreicht werden. Im Normalfall sei die Belastung mit einem behinderten Kind tatsächlich mit derjenigen mit einem gesunden Kind nicht zu vergleichen. Die mit pekuniären Konzepten nicht erfassbare Andersartigkeit dieser beiden Situationen biete Anlass, ein auf persönlichkeitsrechtliche Schäden der Eltern abstellendes, neues Konzept auszuloten. Die Elternschaft als Schaden könne die Fixierung auf das Kind als Schaden lösen und sie ermögliche eine Gesamtbetrachtung der Situation des „Habens“ des betreffenden Kindes und eine Bewertung der Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse der Eltern, die durch die Geburt des jeweiligen Kindes zu einer Umorientierung gezwungen seien.

3. Erwägungen des Senats

3.1. „Wrongful birth“ und „wrongful conception“ als zwei nicht vergleichbare Fallgruppen?

3.1.1. Wie sich aus der Darstellung der Rsp ergibt, wurde bisher strikt zwischen Fällen von „wrongful birth“ und „wrongful conception“ unterschieden und der Standpunkt vertreten, dass es sich bei der Geburt eines gesunden Kindes einerseits und eines behinderten Kindes andererseits um unterschiedliche, nicht vergleichbare Sachverhalte handle, weshalb auch keine widersprüchliche Rsp iSd § 8

OGHG vorliege (vgl 6 Ob 101/06f [FamZ 2006/70, 198], 2 Ob 172/06t, 5 Ob 148/07m [iFamZ 2008/68, 127], 6 Ob 148/08w).

3.1.2. Diese Auffassung stieß im Schrifttum vielfach auf Kritik, und zwar sowohl von Vertretern der Trennungsthese (vgl etwa Kopetzki, RdM 2008/38, 47 [57]; Schwarzenegger, [Keine] Haftung bei wrongful birth? in Borić/Lurger/Schwarzenegger/Terlitza, Öffnung und Wandel – Die internationale Dimension des Rechts II. Festschrift für Willibald Posch zum 65. Geburtstag [2011] 709 [711]) als auch von Vertretern der gemäßigten Einheitsthese (vgl nur Kletečka, JBl 2011, 749 [758]; Karner, EF-Z 2009, 91 [92]).

3.1.3. Der Senat sieht sich durch diese Kritik veranlasst, die Rsp, wonach es sich bei „wrongful birth“ und „wrongful conception“ um zwei unterschiedlich zu beurteilende Fallgruppen handle, aufzugeben. Im Gegenteil sind aus schadenersatzrechtlicher Sicht beide Sachverhalte im Ansatz notwendigerweise gleich zu beurteilen:

3.1.3.1. Die bisherige Rsp zu Fällen von „wrongful conception“ geht davon aus, dass die Geburt eines gesunden (wenn auch nicht gewollten) Kindes keinen Schaden im Rechtssinn darstellen könne (vgl 6 Ob 101/06f [FamZ 2006/70, 198]; RIS-Justiz RS0121189). Diese Ansicht ist im Licht des im österreichischen Recht verankerten, denkbar weiten Schadensbegriffs nicht aufrechtzuhalten. Demnach ist ein Schaden nach § 1293 Satz 1 ABGB jeder Nachteil, der jemandem an Vermögen, Rechten oder seiner Person zugefügt worden ist. Schaden ist die Verminderung von Aktiv- oder Vermehrung von Passivposten in einem rechnerischen Vergleich der durch das schädigende Ereignis eingetretenen Vermögenslage mit jener, die sich ohne das Ereignis ergeben hätte. Nach höchstgerichtlicher Rsp wird schon das Entstehen einer Verbindlichkeit (RIS-Justiz RS0022568), mithin jeder zusätzliche Aufwand oder jede zusätzliche Belastung als Schaden begriffen. Dass in diesem gemeinhin anerkannten Sinn des § 1293 ABGB auch der Unterhaltsaufwand für ein nicht gewolltes Kind einen Schaden darstellt, ist daher zwingend (so schon 5 Ob 148/07m [Pkt 4.2.1.] mzN).

3.1.3.2. Es ist zuzugestehen, und war auch in der bisherigen höchstgerichtlichen Judikatur unzweifelhaft, dass die Frage nach Schadenersatz iZm der Geburt eines Kindes neben rein rechtlichen auch ethische und moralische Fragen aufwirft. Ungeachtet dieser Wertungsprobleme sind aber die dabei anstehenden rechtlichen Fragen von den Gerichten auf Basis der geltenden Gesetzeslage zu entscheiden. Besonders bei ethisch und weltanschaulich umstrittenen Fragen ist gegenüber einer von den bestehenden (allgemeinen) Regeln des Rechts – hier: des Schadenersatzrechts – abweichenden Beurteilung besondere Vorsicht geboten. Eine „Lösung“ auf der Basis von, in ihren Rechtsgrundlagen und insb in ihren Rechtsfolgen dogmatisch und gesetzlich nicht konkret abgesicherten „Rechtsprinzipien“ ist abzulehnen. Sonderrechtliche Lösungen für einen spezifischen, besonders gesellschaftspolitisch besetzten Rechtsbereich –wie dem vorliegenden – müssen dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben (so wiederum schon 5 Ob 148/07m [Pkt 4.2.]; idS wohl auch Rebhahn, Zak 2006/350, 206 [208]). Zu einer besonderen rechtlichen Behandlung der hier zu lösenden Rechtsfragen konnte sich der Gesetzgeber bisher nicht entschließen (vgl die ergebnislose Gesetzesinitiative durch den IA der Abgeordneten Dr. Peter Fichtenbauer, Kolleginnen und Kollegen vom 29. 11. 2006, 46/A 23. GP, und zum ME eines SchRÄG 2011, 255/ME 24. GP; dazu auch Koziol, Haftpflichtrecht I4, B/1 Rz 28 mwN). Die Lösung beider Fallgruppen ist somit auf der Basis des allgemeinen Schadenersatzrechts zu suchen, die eine apodiktische, den Schadensbegriff verkürzende Aussage, wonach ein gesundes Kind keinen Schaden darstelle, nicht trägt. 3.1.3.3. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass im Fall eines nicht gewollten Kindes gerade nicht dessen Geburt (Existenz) für sich allein einen Schaden im Rechtssinn darstellt, wohl aber der aus seiner Geburt resultierende finanzielle Aufwand, insb der Unterhaltsaufwand, einen Schaden bilden kann. Dies muss dann aber

gleichermaßen bei jedem nicht erwünschten Kind gelten, also unabhängig davon, ob es gesund oder mit einer Behinderung geboren wird. Eine Differenzierung nach diesem Gesichtspunkt verbietet sich schon deshalb, weil dafür aus dem Gesetz keine sachliche Grundlage ableitbar ist. Gerade dann, wenn bei der unerwünschten Geburt eines behinderten Kindes der Schaden – richtigerweise – nicht in der Existenz des Kindes, sondern in dem den Eltern entstehenden Unterhaltsaufwand besteht, muss diese Folgerung auch für den Fall der Geburt eines gesunden Kindes gelten, der die Eltern – wie etwa im gegebenen Kontext relevant – durch empfängnisverhütende Maßnahmen entgegenwirken wollten (vgl etwa Pletzer, JBl 2008, 490 [499]; idS auch Benke/Klausberger in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang, ABGB3, § 22 Rz 77; Kletečka, JBl 2011, 749 [758]).

3.1.3.4. Entscheidend ist also, dass in beiden Konstellationen bei fehlerfreiem Vorgehen der Ärzte – und bei dem von den Eltern (der Mutter) im Fall von „wrongful birth“ gewünschten Schwangerschaftsabbruch – die Geburt unterblieben wäre (vgl Kopetzki, RdM 2008, 47 [57]). Den im Entstehen der Unterhaltspflicht liegenden Schaden erleiden die Eltern also sowohl bei misslungener Vasektomie oder Eileiterunterbindung als auch bei einem unterbliebenen Schwangerschaftsabbruch infolge mangelnder/falscher Aufklärung über ein Schwangerschaftsrisiko (Aicher in Rummel/Lukas, ABGB4, § 22 Rz 4).

3.1.3.5. Die nachfolgenden Ausführungen zum Schadenersatzanspruch dem Grunde nach gelten deshalb im Grundsatz nicht nur für den hier vorliegenden Fall von „wrongful birth“, sondern – mutatis mutandis – auch für den Fall von „wrongful conception“.

3.2. Zum Ersatzanspruch der Kläger dem Grunde nach 3.2.1. Der – schon zur unhaltbaren Differenzierung zwischen den Fällen von „wrongful birth“ und „wrongful conception“ angesprochene (Pkt 3.1.3.1.) – weite Schadensbegriff des ABGB umfasst nach stRsp jeden Zustand, der rechtlich als Nachteil aufzufassen ist, an dem also ein geringeres rechtliches Interesse als am bisherigen besteht (RIS-Justiz RS0022537). Nach hRsp ist bereits das Entstehen einer Verbindlichkeit ein möglicher, nach dem ABGB zu ersetzender Schaden (vgl RIS-Justiz RS0022568 [T16]). Dass in diesem gemeinhin anerkannten Sinn des § 1293 ABGB auch der Unterhaltsaufwand für ein nicht gewolltes Kind einen Schaden darstellt, ist demnach nicht ernsthaft bestreitbar (5 Ob 148/07m, Pkt 4.2.1. mwN).

3.2.2. Leben und Persönlichkeit eines Kindes sind zweifellos unantastbare Rechtsgüter. Geburt und Existenz eines Kindes können selbstverständlich auch nicht – wie bereits betont (Pkt 3.1.3.3.) – als Schaden betrachtet werden. Dass aber der Mensch sowohl in seiner körperlichen als auch psychischen Existenz von Ereignissen betroffen sein kann, die dann Schadenersatzansprüche auslösen, ist ein juristisch geradezu alltägliches Phänomen, das weithin kein öffentliches Unbehagen auslöst. So kann etwa auch das „Spiegelbild“ der Geburt, der Tod eines Menschen, eine Vielzahl von Schadenersatzansprüchen auslösen (§ 1327 ABGB), denen gemeinhin keine Bedenken oder Kommerzialisierungsvorwürfe entgegengehalten werden. Dem entsprechend ist auch die Trennung der Existenz des Kindes vom damit unbestreitbar verbundenen wirtschaftlichen Aufwand geboten, um sich einerseits nicht auf der Grundlage außerrechtlich motivierter Postulate dem herrschenden Schadenersatzbegriff zu entziehen und um andererseits dem Umstand gerecht zu werden, dass die Eltern durch Zuerkennung des Unterhaltsaufwands in keiner Weise von ihren Unterhalts-, Erziehungs- und Fürsorgepflichten in der Rechtsbeziehung zu ihrem Kind entbunden werden (so schon 5 Ob 148/07m [Pkt 4.2.2. mwN]).

3.2.3. Es ist zwar einzuräumen, dass Geburt und Existenz des Kindes eine kausale Voraussetzung für den Eintritt des Unterhaltsschadens sind. Dies rechtfertigt aber nicht die verkürzende Folgerung, dass sämtliche kausalen Voraussetzungen eines Schadenseintritts bereits selbst der oder ein Teil des „Schadens“ seien und in

diesem Kontext negativ bewertet werden. Wäre nämlich – wie von Kritikern behauptet – die Geburt das „schadensstiftende Ereignis“, dann wären auch bei (unstrittig von der Schadenersatzpflicht erfassten) Aufwendungen für medizinische Behandlungen nach einem Unfall oder Behandlungsfehler die dabei entstandenen körperlichen Beeinträchtigungen ein negativ bewertetes „schadensstiftendes Ereignis“ (so wohl Kopetzki, RdM 2008, 47 [57]).

3.2.4. Koziol vertrat in der 3. Auflage seines Werks Österreichisches Haftpflichtrecht (I [1997] Rz 2/26) die Auffassung, selbst dann, wenn der Schwangerschaftsabbruch zum Schutz höher bewerteter Interessen (§ 97 Abs 2 StGB) erfolge und daher auch zivilrechtlich gerechtfertigt sei, habe der Arzt, dem die Abtreibung misslang oder der die erforderliche Aufklärung der Mutter unterließ, nicht für den Unterhalt des Kindes aufzukommen. Die Erlaubnis der Tötung des Nasciturus werde nämlich, wie aus den aufgezählten Rechtfertigungsgründen ersichtlich, nicht zum Schutz vor vermögenswerten Belastungen der Eltern eingeräumt. Dies spreche nach Koziol dafür, dass diese Vermögensnachteile auch außerhalb des Schutzbereichs der vom Arzt verletzten Pflicht lägen.

3.2.4.1. Dem ist – abgesehen davon, dass Koziol in der neuen Auflage des genannten Werks Besagtes so nicht mehr vertritt (Haftpflichtrecht I4 [2020] B/1 Rz 36) – zu entgegnen, dass § 97 Abs 2 StGB – im gegebenen Kontext – für die Beantwortung der Frage der Rechtmäßigkeit eines Schwangerschaftsabbruchs maßgeblich ist, während der Schutzzweck nach dem Behandlungsvertrag (Untersuchungsvertrag) zu beurteilen ist. Dabei dient die pränatale Diagnostik nicht zuletzt der Ermittlung von Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen des ungeborenen Kindes und damit auch der Mutter (den Eltern) für den Fall, dass dabei drohende schwerwiegende Behinderungen des Kindes erkannt werden, die sachgerechte Entscheidung über einen gesetzlich zulässigen, auf § 97 Abs 1 Z 2 Fall 2 StGB beruhenden Schwangerschaftsabbruch ermöglichen soll.

3.2.4.2. Der so verstandene Schutzzweck des Behandlungsvertrags harmoniert zwanglos mit der Judikatur des EGMR, nach der die Entscheidung einer Frau, ihre Schwangerschaft fortzusetzen oder zu beenden, in den Bereich des Privatlebens und der Willensfreiheit fällt. IZm Schwangerschaften ist, wenn die nationale Rechtslage deren Abbruch in bestimmten Situationen erlaubt, der effektive Zugang zu Informationen über die Gesundheit von Mutter und Fötus unmittelbar relevant für die Ausübung dieser persönlichen Entscheidungsfreiheit (EGMR 26. 5. 2011, R.R. gg Polen, Bsw 27617/04). Dabei sind besonders die Ergebnisse der Pränataluntersuchungen dafür maßgeblich, ob sich Schwangere für oder gegen das Kind entscheiden.

3.2.4.3. Schließlich ist es auch objektiv voraussehbar, dass im Fall drohender schwerwiegender Behinderungen des Kindes die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch auch wegen der erheblichen finanziellen Aufwendungen für ein behindertes Kind erfolgen kann; deshalb sind auch die finanziellen Interessen der Mutter (der Eltern) – jedenfalls im Anwendungsbereich des § 97 Abs 1 Z 2 Fall 2 StGB – noch vom Schutzzweck des ärztlichen Behandlungsvertrags umfasst (vgl RIS-Justiz RS0123136; 5 Ob 148/07m, Pkt 5.4. mwN; vgl auch Huber, Haftung bei misslungener Sterilisation? RdM 2007, 26 [28] mwN; Pletzer, JBl 2008, 490 [491 f]).

3.2.4.4. Zusammengefasst besteht also der Zweck des Behandlungsvertrags darin, einer Frau rechtzeitig jene Informationen zu liefern, die ihr im Fall drohender schwerwiegender Missbildungen des Fötus unter Berücksichtigung ihrer persönlichen, familiären und wirtschaftlichen Verhältnisse die sachgerechte Entscheidung über einen Abbruch der Schwangerschaft ermöglichen. Erhält in einer solchen Konstellation die Schwangere die maßgeblichen Informationen aufgrund eines ärztlichen Fehlers nicht und kann sie sich deshalb nicht gegen die Fortsetzung der Schwangerschaft entscheiden, verwirklicht sich mit der Geburt des Kindes ein Fall, den eine

KINDSCHAFTSRECHT

Schwangere mit dem Abschluss des Behandlungsvertrags – für den Arzt auch erkennbar – verhindern will (vgl dazu auch Kletečka, JBl 2011, 749 [758] mwN).

3.2.4.5. Zur Vermeidung von Missverständnissen ist festzuhalten, dass bei drohenden schwerwiegenden Missbildungen des Fötus der Abbruch der Schwangerschaft nur eine – für den Arzt freilich als möglich voraussehbare – Entscheidungsalternative, aber nicht die einzige Option sein wird. Die Schwangere kann sich selbstverständlich bewusst für das behinderte Kind entscheiden oder es kann Fälle geben, in denen – anders als hier – eine Behandlung des ungeborenen Kindes noch im Mutterleib möglich ist. Für letztgenannte – hier nicht vorliegende – Konstellation wird sich der Schutzzweck des Behandlungsvertrags (auch) darauf erstrecken, den Eltern frühzeitig die Entscheidung über mögliche Behandlungsmaßnahmen zu ermöglichen.

3.2.5. Ein Schadenersatzanspruch der Kläger setzt voraus, dass die Erstklägerin bei gehöriger Aufklärung durch den Beklagten –rechtmäßig – einen Schwangerschaftsabbruch hätte vornehmen lassen können. Dies wäre hier der Fall gewesen:

3.2.5.1. Gem § 97 StGB ist ein Schwangerschaftsabbruch (§ 96 StGB) in unterschiedlichen Fallkonstellationen nicht strafbar; dies trifft namentlich (ua) dann zu, wenn er innerhalb der ersten drei Monate nach Beginn der Schwangerschaft nach vorhergehender ärztlicher Beratung von einem Arzt vorgenommen wird (Z 1), oder wenn eine ernste Gefahr besteht, dass das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde, und der Abbruch von einem Arzt vorgenommen wird (Z 2 Fall 2). § 97 StGB enthält ein Mischmodell aus Fristenlösung und Indikationen (Eder-Rieder in Höpfel/ Ratz, WK StGB2, § 97 Rz 1). Bei der Fristenlösung nach § 97 Abs 1 Z 1 StGB wird eine abstrakt generelle Entscheidung nur nach dem zeitlichen Stand der Schwangerschaft getroffen, ohne dass es auf weitere Umstände bei der Schwangeren oder bei der Leibesfrucht ankäme (Eder-Rieder in Höpfel/Ratz, WK StGB2, § 97 Rz 3).

3.2.5.2. Bei der sogenannten eugenischen oder embryopathischen Indikation nach § 97 Abs 1 Z 2 Fall 2 StGB muss objektiv die ernste Gefahr bestehen, dass das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde (vgl Eder-Rieder in Höpfel/Ratz, WK StGB2, § 97 Rz 16). Ob die befürchtete geistige oder körperliche Schädigung als schwer einzustufen ist, ist anhand eines objektiven Maßstabs nach dem ärztlichen Erfahrungswissen unter Berücksichtigung des Schwangerschaftsstadiums und der Behebbarkeit zu beurteilen. Als Art der Schädigung kommen beispielsweise körperliche Schäden, wie etwa Missbildungen von Gliedmaßen, in Betracht (Eder-Rieder in Höpfel/Ratz, WK StGB2, § 97 Rz 17).

3.2.5.3. Nach hM wird ein Schwangerschaftsabbruch (nur) aufgrund der Fristenregelung nach § 97 Abs 1 Z 1 StGB zwar als straflos, jedoch zivilrechtlich als rechtswidrig angesehen; hingegen ist ein Schwangerschaftsabbruch bei vorliegender Indikation (insbesondere) nach § 97 Abs 1 Z 2 StGB nicht bloß straflos, sondern – insb nach der Rsp der Zivilsenate des OGH (RIS-Justiz RS0112109; strafgerichtliche Rsp liegt dazu nicht vor) – rechtmäßig (vgl Eder-Rieder in Höpfel/Ratz, WK StGB2, § 97 Rz 1 und 3, je mwN; Kopetzki, RdM 2008, 47 [58]; Kletečka, JBl 2011, 749 [752]; Koziol, Haftpflichtrecht I4, B/1 Rz 37).

3.2.5.4. Davon, dass hier eine schwere Behinderung iSd § 97 Abs 1 Z 2 Fall 2 StGB vorlag, geht der Beklagte im Ergebnis offenbar selbst – und zwar zutreffend – aus, räumt er doch selbst ein, dass der Verlust bzw das Fehlen eines Arms eine Invalidität von 70 % bis 80 % zur Folge hat. Angesichts dieser – bei fachgerechtem Vorgehen des Beklagten schon lange vor der Geburt des Kindes erkennbaren –schweren Behinderung wäre hier jedenfalls die Indikation nach § 97 Abs 1 Z 2 Fall 2 StGB vorgelegen, auch wenn die Kläger die Abtreibung bei ordnungsgemäßer Aufklärung noch innerhalb der ersten

drei Monate der Schwangerschaft (und damit formal im Rahmen der Fristenlösung) hätten vornehmen lassen können.

3.2.5.5. Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass die Erstklägerin rechtmäßig gehandelt hätte, wenn sie sich – ordnungsgemäße Aufklärung durch den Beklagten vorausgesetzt – für einen Abbruch ihrer Schwangerschaft entschieden hätte. Damit geht der vom Beklagten erhobene Einwand des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ ins Leere.

3.2.6. Im Schrifttum wird teilweise die Auffassung vertreten, dass eine „Verrechnung“ der ideellen Vorteile der Geburt des Kindes mit den daraus resultierenden materiellen Nachteilen vorzunehmen sei, weil der Schädiger nicht bloß eine Unterhaltspflicht, sondern eine umfassende familienrechtliche Beziehung herbeigeführt habe, in der materielle und immaterielle Komponenten untrennbar verknüpft seien (vgl etwa Koziol, Haftpflichtrecht I4, B/1 Rz 32, 34; Koziol/Steininger, RZ 2008, 138 [146 ff] mwN).

3.2.6.1. Dem ist zunächst zu entgegnen, dass (inkongruente) immaterielle Vorteile nicht geeignet sind, einen vermögensrechtlichen Nachteil auszugleichen, weshalb sie gegenüber einem Vermögensschaden auch nicht anrechenbar sind (vgl RIS-Justiz RS0123921; Schwarzenegger in Borić/Lurger/Schwarzenegger/Terlitza, FS Posch II, 709 [715]).

3.2.6.2. Im Übrigen würde eine Kompensation materieller Nachteile durch immaterielle Vorteile – unter Praktikablitätsgesichtspunkten betrachtet – auch ein erhebliches Beweisproblem begründen, weil diese Vorteile, die in positiven Gefühlen und Freuden bestehen, gerade nicht in Geld messbar sind, während der Unterhaltsschaden beziffert werden kann (Grüblinger, Zak 2008, 143 [146]). Es darf auch nicht übersehen werden, dass mit der Geburt des Kindes auch immaterielle Nachteile durch gesteigerte emotionale Belastungen einhergehen (Benke/Klausberger in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang, ABGB3, § 22 Rz 73 mwN; idS auch Grüblinger, Zak 2008, 143 [146]), die in diesen „Ausgleich“ ebenfalls einbezogen werden müssten und nicht (willkürlich) ausgeblendet werden dürften.

3.2.6.3. Halten sich die ideellen Vorteile der Eltern iZm der Existenz des Kindes zu den daraus resultierenden ideellen Nachteilen die Waage, bleibt dann immer noch der immaterielle Nachteil der Vereitelung der Dispositionsfreiheit der Eltern betreffend ihre Familienplanung. Wollte man also davon ausgehen, dass die Freude der Eltern über die Existenz ihres Kindes die allgemein damit verbundenen Belastungen ausgleicht oder allenfalls sogar überwiegt, steht dem auf der „Negativseite“ immer noch der ideelle „Schaden“ wegen Vereitelung der Familienplanung gegenüber. Näherliegend als die (noch nicht „kompensierten“) ideellen Vorteile auf den Vermögensschaden der Eltern anzurechnen, erscheint es daher, diese Vorteile dem Familienplanungsnachteil gegenüberzustellen und insoweit einen „Ausgleich“ vorzunehmen. Werden aber die ideellen Vorteile der Eltern insoweit „kompensiert“, können sie – sofern man überhaupt diesen „Verrechnungsüberlegungen“ folgen wollte – nicht (quasi noch einmal) auf den Vermögensschaden der Eltern angerechnet werden oder bei der Bemessung ihres Gesamtschadens Berücksichtigung finden (Pletzer, JBl 2008, 490 [491 f]).

3.2.6.4. Eine (allzu großzügige) Berücksichtigung immaterieller Vorteile stünde auch in Widerspruch zur Rsp, wonach die Ersatzfähigkeit ideeller Schäden eher restriktiv zu handhaben ist; eine (großzügige) Anrechnung ideeller Vorteile würde nämlich dem Gedanken, dass Gefühlsschäden oder auch Freuden einer Bewertung und einer Überwälzung auf Dritte grundsätzlich nicht zugänglich sind, zuwiderlaufen (vgl Grüblinger, Zak 2008, 143 [146] mwN).

3.2.6.5. Nach Ansicht des Senats kann daher im Ergebnis die verschiedentlich propagierte „Verrechnung“ von materiellen und immateriellen Vor- und Nachteilen den Anspruch der Eltern auf Ersatz des Unterhaltsschadens nicht beseitigen oder auch nur schmälern.

3.3. Zur Höhe des Unterhaltsanspruchs

3.3.1. Wie bereits dargelegt (Pkt 3.2.4.3.), sind vom Schutzzweck des ärztlichen Behandlungsvertrags in Bezug auf die Pränataldiagnostik – jedenfalls im Anwendungsbereich des § 97 Abs 1 Z 2 Fall 2 StGB – auch die finanziellen Interessen der Mutter (der Eltern) umfasst (vgl RIS-Justiz RS0123136).

3.3.2. Der Beklagte hat durch sein fachliches Fehlverhalten den Klägern die Möglichkeit genommen, sich für einen – auf § 97 Abs 1 Z 2 Fall 2 StGB gestützten und daher, wie ebenfalls bereits dargelegt (Pkt 3.2.5.), rechtmäßigen – Schwangerschaftsabbruch zu entscheiden. Da die Kläger diese Möglichkeit nach den – den OGH bindenden – erstgerichtlichen Feststellungen auch tatsächlich wahrgenommen hätten, wäre es bei pflichtgemäßer Diagnose und Beratung durch den Beklagten nicht zur Geburt des Kindes gekommen. In diesem Fall wäre den Klägern somit keinerlei Unterhaltsaufwand für dieses Kind entstanden.

3.3.3. In dieser Konstellation kann schadenersatzrechtlich nur die Situation mit und ohne Kind verglichen werden, was aber eine Begrenzung des Ersatzanspruchs mit dem behinderungsbedingten Unterhaltsmehraufwand ausschließt. Zum Ersatz bloß des behinderungsbedingten Mehraufwands könnte man nämlich nur durch den Vergleich des behinderten Kindes mit einem – auf einer bloßen Fiktion beruhenden – gesunden Kind kommen, und gerade diese Betrachtungsweise wäre nicht nur schadenersatzrechtlich verfehlt, sondern ein die Behinderung in den Vordergrund stellender und insoweit gerade diskriminierender Denkansatz (vgl 5 Ob 48/07m, Pkt 10.2.).

3.3.4. Aufgrund dieser Kausalitätsüberlegungen ist der Zuspruch des gesamten Unterhaltsaufwands also nicht bloß konsequent, sondern sogar zwingend: Ansatzpunkt für eine Haftung ist in den Wrongful-Birth-Fällen ja das Nichterkennen der Behinderung des Fötus bzw das Unterbleiben einer entsprechenden Aufklärung der Eltern und nicht etwa die Verursachung der Behinderung. Durch das ärztliche Verhalten wird nicht die Geburt eines gesunden Kindes verhindert, vielmehr beschränken sich die elterlichen Alternativen im Fall einer diagnostizierten und aufgeklärten fetalen Behinderung – abgesehen vom hier nicht vorliegenden Fall eines noch im Mutterleib behandelbaren Leidens – darauf, das behinderte Kind entweder auf die Welt zu bringen oder die Schwangerschaft abbrechen zu lassen. Durch das rechtswidrige und schuldhafte Verhalten des Arztes war es den Eltern allerdings nicht möglich, ihre Entscheidung im Sinn der zweiten Alternative zu treffen. Wäre die Schwangerschaft tatsächlich abgebrochen worden, wäre kein Kind – weder ein gesundes noch ein behindertes – geboren worden und den Eltern folglich keinerlei Unterhaltsaufwand, insbesondere auch nicht der Aufwand für den „Basisunterhalt“, entstanden. Somit stellt der gesamte, die Eltern nunmehr treffende Unterhaltsaufwand den vom Behandler verursachten Schaden dar (vgl Pletzer, JBl 2008, 490 [493]; s auch Kletečka, JBl 2011, 749 [758 ff]).

3.3.5. Kletečka (JBl 2011, 749 [759]; ihm folgend Leitner, Das Untätigbleiben des Gesetzgebers als Auslegungsmaxime? ecolex 2008, 417 [FN 1]) gesteht explizit zu, dass der Arzt durch seine Fehldiagnose auch den „Basisunterhalt“ verursacht habe, weil das Kind bei ordnungsgemäßer Aufklärung gar nicht geboren worden wäre. Er vertritt allerdings die Auffassung, die Haftung für jenen Unterhalt, der auch bei Geburt eines nicht behinderten Kindes entstanden wäre, sei dennoch in Zweifel zu ziehen, weil die Eltern die Unterhaltspflicht ursprünglich nicht gestört habe; ganz im Gegenteil hätten sie sich ein Kind gewünscht und seien daher auch bereit gewesen, die Unterhaltspflicht auf sich zu nehmen. Der Behandlungsvertrag habe daher – anders als bei „wrongful conception“ – nicht den Zweck gehabt, die Belastung mit dem Basisunterhalt zu vermeiden.

Dem ist allerdings zu entgegnen, dass der Behandlungsvertrag, wie dargelegt (Pkt 3.2.4.3.), (auch) den Zweck hatte, den Eltern (der Mutter) die Möglichkeit zu eröffnen, sich für den Fall, dass sich eine schwerwiegende Behinderung des Fötus herausstellen sollte, –auch unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung finanzieller Belastungen – für einen gesetzlich zulässigen, auf § 97 Abs 1 Z 2 Fall 2 StGB beruhenden Schwangerschaftsabbruch zu entscheiden. Im vorliegenden Fall bestand für die Kläger, die sich bei gehöriger Aufklärung für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden hätten, ja zu keinem Zeitpunkt die Alternative, ein gesundes Kind zu bekommen; sie hätten also nur die Wahl gehabt, ein behindertes oder gar kein Kind zu bekommen (Benke/Klausberger in Fenyves/Kerschner/ Vonkilch, Klang, ABGB3, § 22 Rz 73 mwN). Bei fehlerfreiem Vorgehen des Beklagten wäre demnach die Geburt des Kindes unterblieben und daher keinerlei Unterhaltsbelastung entstanden, und zwar unabhängig von der Behinderung des Kindes (Kopetzki, RdM 2008, 47 [57]).

3.3.6. Kletečka (JBl 2011, 749 [759]) argumentiert weiters, dass zwar finanzielle Interessen in den Schutzbereich des Behandlungsvertrags fielen, dies aber nicht auch für den Basisunterhalt gelten könne, weil der Schutzzweck des Vertrags nicht nur von den Parteien, sondern auch vom Gesetzgeber des StGB vorgegeben sei. § 97 StGB ziehe zwar neben der psychischen, physischen und sozialen auch die zum Teil enorme ökonomische Belastung der Eltern schwerstbehinderter Kinder ins Kalkül; der Gesetzgeber habe allerdings mit der Legalisierung des Abbruchs wegen embryopathischer Indikation nicht auch die Vermeidung jener Unterhaltslast bezweckt, die völlig unabhängig von der Behinderung mit der Geburt jedes Kindes verbunden sei.

Auch in diesem Punkt unterstellt Kletečka einen rein fiktiven Schutzzweck und nimmt damit eine – jedenfalls nicht auf gesicherten schadenersatzrechtlichen Kriterien beruhende – Schadenszurechnung vor, weil in der gegebenen Konstellation für die Eltern nie die Möglichkeit bestand, ein gesundes Kind zu bekommen.

3.3.7. Luf (AnwBl 2007, 547 [550] mwN) vertritt die Auffassung, aus ökonomischer Perspektive könne die vehemente Zurückweisung des Arguments „Kind als Schaden“ nicht darüber hinwegtäuschen, dass durch die Judikatur letztlich zum Ausdruck komme, es wäre vermögensrechtlich besser, wenn das Kind nicht geboren wäre. Eine solche negative Bewertung des Lebens unterliege dann aber, auch wenn diese von Befürwortern der Schadenersatzlösung nicht zugestanden werde, der „Gefahr einer ökonomischen Verkürzung und Relativierung des Menschen“, weil das Kind dann doch zu einem buchhalterisch zu bilanzierenden Rechnungsposten degradiert werde, der der vorbehaltlosen Anerkennung seines Eigenwerts entgegenstehe.

Dem ist zu erwidern, dass gerade dann, wenn das schädigende Ereignis eine facettenreiche familienrechtliche Beziehung zum Entstehen bringt, die Trennung ideeller und materieller Aspekte geboten ist; andernfalls, nämlich gerade bei der von manchen Autoren erwogenen „Kompensation“ materieller Nachteile durch immaterielle Vorteile, würde das Kind postnatal einer Nützlichkeitsanalyse unterzogen, in der schon an sich eine Würdeverletzung zu sehen wäre (vgl Schwarzenegger in Borić/Lurger/Schwarzenegger/Terlitza, Festschrift Posch II, 709 [716]).

3.3.8. Es geht im vorliegenden Zusammenhang auch weder um ein „Recht der Eltern auf ein gesundes Kind“ noch darum, behinderten Menschen „das Lebensrecht abzusprechen“. Vielmehr ist das Recht der Eltern betroffen, autonom darüber entscheiden zu können, ob sie erstens überhaupt ein Kind wollen, und zweitens, ob sie angesichts ihrer gesamten Lebenssituation bereit sind und sich in der Lage sehen, ein behindertes Kind entsprechend seinen Bedürfnissen aufzuziehen. Ein solches „Recht auf kein Kind“ ist jedenfalls insoweit anzuerkennen, als der von Art 8 EMRK gewährleistete An-

KINDSCHAFTSRECHT

spruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens auch das Recht auf Geburtenkontrolle und Familienplanung beinhaltet (Pletzer, JBl 2008, 490 [500] mwN).

3.3.9. Dass im Fall einer Schädigung (und daraus resultierenden Behinderung) eines Kindes aufgrund eines dem Arzt beim Geburtsvorgang unterlaufenen Kunstfehlers – anders als im Fall von „wrongful birth“ – den Eltern nur der behinderungsbedingte (Unterhalts)Mehraufwand zugesprochen wird, ist, wie der Beklagte selbst ausführt, schadenersatzrechtlich konsequent:

Denkt man nämlich das Fehlverhalten des Arztes weg, wäre das Kind gesund auf die Welt gekommen, sodass der Fehler des Arztes (nur, aber immerhin) kausal für den auf die Behinderung des Kindes zurückzuführenden Mehraufwand der Unterhaltspflichtigen war. Anderes gilt freilich im hier zu beurteilenden Fall, in dem das Kind, hätte sich der Beklagte rechtmäßig verhalten, nicht zur Welt gekommen wäre, sodass schadenersatzrechtlich nur die Situation mit und ohne Kind verglichen werden kann, was wiederum eine Reduktion des Ersatzanspruchs auf den behinderungsbedingten Mehraufwand ausschließt.

3.3.10. Zusammengefasst folgt demnach, dass man zum Ersatz bloß des behinderungsbedingten Unterhaltsmehraufwands nur durch den Vergleich des behinderten Kindes mit einem – auf einer bloßen Fiktion beruhenden – gesunden Kind kommen könnte, und gerade diese Betrachtungsweise nicht nur schadenersatzrechtlich verfehlt, sondern ein die Behinderung in den Vordergrund stellender und insoweit gerade diskriminierender Denkansatz wäre (5 Ob 148/07m [P 10.1]; idS auch 5 Ob 165/05h [FamZ 2006/31, 63]). Dass den Klägern zu 1 Ob 91/99k nur der behinderungsbedingte Unterhaltsmehrbedarf zugesprochen wurde, dürfte, worauf bereits in der Entscheidung 5 Ob 165/05h (FamZ 2006/31, 63) hingewiesen wurde, wohl allein daran gelegen sein, dass dort nur der Mehrbedarf eingeklagt worden war.

4. Der verstärkte Senat beschließt daher folgende Rechtssätze

4.1. Sowohl bei einem medizinischen Eingriff, der die Empfängnisverhütung bezweckt (zB Vasektomie oder Eileiterunterbindung), als auch bei der Pränataldiagnostik sind die finanziellen Interessen der Mutter (der Eltern) an der Verhinderung der Empfängnis bzw – bei Vorliegen der embryopathischen Indikation – der Geburt eines (weiteren) Kindes vom Schutzzweck des ärztlichen Behandlungsvertrags umfasst.

4.2. Wäre das Kind bei fachgerechtem Vorgehen bzw ordnungsgemäßer Aufklärung der Mutter (der Eltern) nicht empfangen bzw nicht geboren worden, haftet der Arzt (unabhängig von einer allfälligen Behinderung des Kindes) insb für den von den Eltern für das Kind zu tragenden Unterhaltsaufwand.

5. Zu den weiteren Argumenten der Revision

5.1. Die vom Beklagten behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor. Wie der Revisionswerber selbst erkennt, ist gem § 480 ZPO eine Berufungsverhandlung (nur) dann anzuberaumen, wenn der Berufungssenat dies im einzelnen Fall für erforderlich hält. Dass sich das Berufungsgericht durch die Tatsachenrüge des Beklagten nicht zu einer Beweiswiederholung veranlasst sah und (auch) deshalb keine Berufungsverhandlung als notwendig erachtete, kann daher keinen Verfahrensmangel begründen.

5.2. Soweit der Beklagte in diesem Zusammenhang in der Revision erneut die Feststellung bekämpfen will, wonach die Erstklägerin sich im Fall einer ordnungsgemäßen Pränataldiagnostik für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden hätte, genügt der Hinweis, dass der OGH keine Tatsacheninstanz und daher an die Feststellung des Erstgerichts gebunden ist (vgl RIS-Justiz RS0042903).

5.3. Nach diesen Feststellungen hätten sich die Kläger für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden, wenn der Beklagte sie ordnungsgemäß über die schwere Behinderung ihres ungeborenen Kindes aufgeklärt hätte. Der vom Beklagten in diesem Zusammenhang

gewünschten Feststellung, wonach auch bei einem ordnungsgemäßen Erst-Trimester-Screening fehlende Gliedmaßen nur in 75 % der Fälle erkannt würden, stehen ebenfalls die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen entgegen, wonach dem Beklagten bei fachgerechtem Vorgehen das Fehlen der linken Extremität aufgefallen wäre.

5.4. Bereits die Vorinstanzen haben zutreffend darauf hingewiesen, dass dem Beklagten entgegen seiner Behauptung keineswegs nur ein Dokumentationsversehen anzulasten ist, das er als entschuldbare Fehlleistung behandelt haben will. Vielmehr ist er bei den Ultraschalluntersuchungen, insb jener vom 30. 10. 2018, deren Zweck es gerade war, in einem frühen Stadium der Schwangerschaft ua zu überprüfen, ob alle Extremitäten vorhanden sind, nicht lege artis vorgegangen und hat deshalb das Fehlen des linken Arms des Fötus nicht erkannt. Dadurch wurde den Klägern die Möglichkeit genommen, noch innerhalb der Frist des § 97 Abs 1 Z 1 StGB einen nach § 97 Abs 1 Z 2 Fall 2 StGB rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen.

5.5. Der Beklagte beharrt auch in dritter Instanz noch auf seiner Auffassung, die Kläger hätten ihre Schadensminderungsobliegenheit verletzt, indem sie darauf verzichtet hätten, das Kind wegen seiner Behinderung zur Adoption freizugeben. Dem kann nicht gefolgt werden:

5.5.1. Es trifft zwar zweifellos zu, dass sich die Kläger von ihrer Unterhaltspflicht befreien hätten können, indem sie das Kind gleich nach seiner Geburt zur Adoption freigegeben hätten. Ob eine Verletzung der Schadensminderungsobliegenheit vorliegt, ist nach der Rechtsprechung allerdings danach zu beurteilen, ob der Geschädigte schuldhaft eine ihm zumutbare Handlung unterlassen hat, die von einem Durchschnittsmenschen gesetzt worden und bei objektiver Betrachtung geeignet gewesen wäre, den Schaden zu vermindern (4 Ob 59/18g mwN).

5.5.2. Wie bereits das Berufungsgericht richtig erkannt hat, wäre es den Klägern, auch wenn sie sich bei rechtzeitiger Kenntnis für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden hätten, nicht zumutbar (gewesen), ihr Kind wegen seiner Behinderung zur Adoption freizugeben (vgl dazu auch Leitner, EF-Z 2006 [Glosse zu 6 Ob 101/06f] mwN; ebenso Karner, EF-Z 2009, 91 [92]; Koziol, Haftpflichtrecht I4, B/1 Rz 26 mwN). Es liegt nämlich auf der Hand, dass Eltern im Zeitpunkt der Geburt ihres (wider Erwarten schwer behinderten) Kindes, auf das sie sich in Unkenntnis der wahren Sachlage gefreut hatten, bereits eine starke emotionale Bindung aufgebaut haben, deren Abbruch zum Zweck der Schadensminderung nicht zumutbar ist.

5.6. Das Berufungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass eine Einschränkung des sich auf den künftigen Unterhaltsanspruch des Kindes beziehenden Feststellungsbegehrens dahin, dass Unterhalt nur bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit zustehe, entbehrlich ist. Der Unterhaltsanspruch erlischt ohnehin ex lege mit Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes, womit dann auch die Ersatzpflicht hierfür endet. (…)

5.8. Mit seinem Vorbringen, den Klägern stehe schon deshalb kein Schadenersatz von 100 % zu, weil der Verlust eines Arms selbst nach der Gliedertaxe eine Invalidität von „nur“ 70 % bis 80 % und nicht von 100 % ergebe, verkennt der Beklagte, dass es hier nicht darum geht, ob eine Sache durch ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten einen Totalschaden (oder nur einen Schaden im Ausmaß von 70 % oder 80 %) erlitten hat. Vielmehr hat er dafür einzustehen, dass er den Klägern durch sein nicht den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechendes Vorgehen die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs genommen hat.

5.9.1. Soweit der Beklagte auf dem Standpunkt steht, den Klägern stehe (höchstens) der „Basisunterhalt“ zu, meint er damit –abweichend von der in den Entscheidungen 5 Ob 165/05h (FamZ

2006/31, 63) und 5 Ob 148/07m (iFamZ 2008/68, 127) eingeführten Diktion – nicht das Gegenstück zum behinderungsbedingten Unterhaltsmehrbedarf, sondern vielmehr den einfachen Regelbedarf, also jenen Bedarf, den jedes Kind einer bestimmten Altersstufe in Österreich ohne Rücksicht auf die konkreten Lebensverhältnisse seiner Eltern an Nahrung, Kleidung, Wohnung und zur Befriedigung der weiteren Bedürfnisse, wie etwa kulturelle und sportliche Betätigung, sonstige Freizeitgestaltung und Urlaub hat (vgl RIS-Justiz RS0047395).

5.9.2. Es kann allerdings keine Rede davon sein, dass nach der Rsp in einem Fall wie dem hier vorliegenden nur der einfache Regelbedarf – noch dazu „wegen des Gebots der Vorteilsanrechnung“ reduziert um die von den Klägern bezogene (doppelte) Familienbeihilfe, den Familienbonus Plus und das von der Erstklägerin zeitweise bezogene Kinderbetreuungsgeld – zuzusprechen wäre. Vielmehr hat sich das Erstgericht bei der Unterhaltsbemessung, worauf bereits das Berufungsgericht zutreffend verwiesen hat, im Rahmen der unterhaltsrechtlichen Rsp gehalten.

5.9.3. Diese Rsp dient zwar im Regelfall zur Beurteilung jener Konstellationen, in denen ein Elternteil Betreuungsleistungen erbringt, während der andere Geldunterhalt zu leisten hat. Dennoch ist es sachgerecht, die Grundsätze dieser Rsp zumindest als Orientierungshilfe auch hier heranzuziehen, weil damit eine den typischen wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechende Bewertung der Unterhaltslast erzielt wird. Umstände dahin, dass hier bei den Klägern von einer solchen typischen Unterhaltsbelastung regelmäßig relevante Abweichungen im Sinn atypisch niedrigerer Leistungen für ihr Kind vorlägen, hat der Beklagte nie erkennbar behauptet.

5.9.4. Nach der Rsp darf zwar hohes Einkommen des Unterhaltspflichtigen nicht dazu führen, den Unterhaltsberechtigten über die Angemessenheitsgrenze des § 231 Abs 1 ABGB hinaus zu alimentieren, weshalb eine sogenannte Luxusgrenze eingezogen wird, die im Regelfall rund das Zweieinhalbfache des Regelbedarfs beträgt (vgl RIS-Justiz RS0047447). Ob eine solche Luxusgrenze auch im Fall eines Schadenersatzanspruchs bezüglich des Unterhalts für ein Kind mit besonderen Bedürfnissen zum Tragen kommen muss oder allenfalls überschritten werden könnte, ist nicht näher zu prüfen, weil das Erstgericht den Klägern – von diesen unbekämpft – nur den zweieinhalbfachen Regelbedarf zugesprochen hat.

5.9.5. Im Hinblick darauf, dass den Klägern lediglich der zweieinhalbfache Regelbedarf zugesprochen wurde, erübrigt sich auch ein näheres Eingehen auf die Frage, ob das Erstgericht zu Recht (nur) ein Prozent von der Bemessungsgrundlage (für die Unterhaltspflicht der Kläger gegenüber ihrem älteren Kind) in Abzug gebracht hat.

5.10. Soweit der Beklagte moniert, dass den Klägern nur Ersatz für jenen Pflegeaufwand zustehe, der über das erforderliche Ausmaß an Pflege von gleichaltrigen nicht behinderten Kindern hinausgehe, übersieht er, dass den Klägern ohnedies nur der festgestellte Pflegemehrbedarf zugesprochen wurde.

6. Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Anmerkung

Die Entscheidung kam nicht wirklich unerwartet (siehe bereits Höllwerth, Schadenersatzansprüche im Familienrecht, EF-Z 2016, 290 [295]: „(…) sollte die Klärung dieser Judikaturdivergenz Aufgabe eines verstärkten Senats sein.“) – und auch das Ergebnis ist nicht überraschend: Bereits mit 5 Ob 165/05h (FamZ 2006/31, 63) hatte sich der OGH dafür entschieden, dass

in einem Wrongful-Birth-Fall der „volle“ Unterhalt zu ersetzen ist und nicht nur der behinderungsbedingte Mehraufwand. In den Wrongful-Conception-Fällen ist es beinahe einheitliche Lehre, dass der volle Unterhaltsaufwand zu ersetzen ist. Im vorliegenden Fall war ein Wrongful-Birth-Fall zu entscheiden – die im Ergebnis durchaus billigenswerten Aussagen zu „wrongful conception“ sind daher letztlich bloße obiter dicta, auch wenn nicht zu erwarten ist, dass der OGH vom Ersatz des vollen Unterhaltsaufwands in solchen Fällen wieder abgehen wird.

Umso mehr stellt sich die Frage, ob mit der Gleichstellung der Ergebnisse wirklich auch die dogmatischen Grundlagen des Schadenersatzanspruchs für „wrongful birth“ einerseits und „wrongful conception“ andererseits gleich sind, wie die Entscheidungsbegründung suggeriert.

Für beide Fälle sieht der OGH den Schutzzweck des Behandlungsvertrags – vereinfacht – im „Nicht-Haben“ eines Kindes: Im Fall zB einer Vasektomie soll eine Empfängnis verhindert werden; im Fall der pränatalen Untersuchung soll die werdende Mutter rechtzeitig jene Informationen bekommen, die ihr im Fall drohender schwerwiegender Missbildungen des Fötus die Entscheidung für den Abbruch der Schwangerschaft ermöglichen (Pkt 3.2.4.1.), sodass das bereits empfangene Kind nicht lebend geboren wird. Der mit dem Behandlungsvertrag angestrebte Zweck, kein Kind zu haben, gilt allerdings nur für Wrongful-Conception-Fälle. In den Wrongful-Birth-Fällen wollten die Eltern ein Kind, aber mit dem Vertrag über die Durchführung pränataler Untersuchungen verhindern, dass ein behindertes Kind auf die Welt kommt. Diese unterschiedlichen Vertragszwecke machen eine simple Gleichstellung schwierig (anstatt vieler Bernat, MedR 2010, 169 [175 f] –was offenbar auch dem Senat bewusst ist, nimmt er doch letztlich zweimal (in den Pkten 3.2.4.3. und 3.3.1.) wieder auf die Wertung des § 97 Abs 1 Z 2 Fall 2 StGB (embryopathische Indikation) Bezug. Dem Unwerturteil in Bezug auf behindertes Leben vermag er also nicht zu entkommen; Hilfe vermag nur der Gesetzgeber über die Indikationen zu gewähren, die einen Schwangerschaftsabbruch rechtfertigen.

Kryptisch ist der allgemein gehaltene Hinweis in Pkt 3.2.5.3., dass „ein Schwangerschaftsabbruch (nur) aufgrund der Fristenregelung nach § 97 Abs 1 Z 1 StGB (…) zivilrechtlich als rechtswidrig angesehen“ wird, während (nur) ein Schwangerschaftsabbruch bei vorliegender Indikation (insb) nach § 97 Abs 1 Z 2 StGB rechtmäßig sei. Welche Folgen sich an diese „Rechtswidrigkeit“ des Schwangerschaftsabbruchs innerhalb der ersten drei Schwangerschaftsmonate (§ 97 Abs 1 Z 1 StGB) knüpfen, war im vorliegenden Fall zweifellos nicht zu entscheiden, regt aber die Fantasie an: Unterlassungsansprüche gegen rechtswidriges Handeln der werdenden Mutter? Entziehung von krankenanstaltenrechtlichen Genehmigungen?

Klarzustellen ist noch ein in der Entscheidung nicht angesprochener Punkt (vielleicht bezieht sich darauf das „Rechtswidrigkeitsverdikt“ über die Fristenlösung?): Aus der von § 97 StGB auf zwei Ebenen gewährten Möglichkeit, die Schwangerschaft abzubrechen, resultiert keine (Schadensminderungs-)Pflicht der Mutter, die Schwangerschaft abzubrechen – weder in Wrongful-Conception-fällen noch in Wrongful-Birth-Fällen. Das gebietet schon der Schutz des menschlichen Lebens.

Matthias Neumayr

RECHTSPRECHUNG Erwachsenenschutzrecht

§ 119 AußStrG

Erteilte Verfahrensvollmacht; allgemeine Vollmachtsfähigkeit

OGH 20. 9. 2023, 1 Ob 143/23w

iFamZ 2024/15

Die schutzberechtigte Person kann sich bei Erhebung ihres Rekurses von einem frei gewählten Rechtsanwalt vertreten lassen, sofern (nach der Aktenlage) nicht offenkundig ist, dass ihr bei Vollmachtserteilung die Vernunft völlig gefehlt hätte und sie nicht fähig gewesen wäre, den Zweck der Vollmachtserteilung zu erkennen. Nur bei offenkundig gänzlich fehlender Fähigkeit zu einer solchen Einsicht wäre die Bevollmächtigung eines gewählten Vertreters unwirksam.

[1] Die Revisionsrekurswerberin wurde nach dem UbG in ein Krankenhaus eingewiesen, weil sie sich zu Hause nicht mehr selbst versorgen könne. Dort wurde ein „Delir mit wahnhafter Symptomatik“ diagnostiziert. Nach dem Clearingbericht des Erwachsenenschutzvereins ist sie nicht in der Lage, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Der vom Erstgericht beauftragte Sachverständige attestierte ihr ein demenzielles Krankheitsbild mit Verhaltensauffälligkeiten, Defiziten im Bereich der Orientierungs- und Gedächtnisleistung sowie einer Beeinträchtigung der Aufmerksamkeitsleistung und des Kurzzeitgedächtnisses. Aufgrund dieses Störungsbilds zeige sich eine „wahnhafte Stimmung“, die sich etwa in der Überzeugung äußere, man wolle ihr „etwas Böses antun“, sie „neuerlich verhaften“. Auf dieser Grundlage wurde für die Betroffene ein einstweiliger Erwachsenenvertreter zur Besorgung von Vermögensangelegenheiten und zum Abschluss von Verträgen iZm einer bestimmten Liegenschaft bestellt. (…) [8] 3. Der Senat legte bereits in seiner im vorliegenden Erwachsenenschutzverfahren zu 1 Ob 105/23g ergangenen Entscheidung dar, dass davon bei der Betroffenen nicht ausgegangen werden könne. Dass der in erster Instanz beigezogene psychiatrische Sachverständige ihre allgemeine Vollmachtsfähigkeit verneinte, ändert nichts daran, dass insgesamt keine Anzeichen dafür vorliegen, dass sie des Gebrauchs der Vernunft gänzlich beraubt und daher offensichtlich nicht in der Lage wäre, den Zweck und das Wesen einer erteilten Verfahrensvollmacht zumindest in Grundzügen zu erfassen. (…)

§ 246 Abs 3 Z 2 ABGB

Keine freie Wahl des gerichtlichen Erwachsenenvertreters

OGH 14. 12 .2023, 2 Ob 227/23f

iFamZ 2024/16

Die mit dem 2. ErwSchG verbundene Stärkung der Selbstbestimmung hat nicht die freie Auswahl des gerichtlichen Erwachsenenvertreters zur Folge, selbst wenn die Person in der Lage wäre, einen Erwachsenenvertreter zu wählen (§ 264 ABGB).

(…) 1. Eine Übertragung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung auf eine andere Person hat nach § 246 Abs 3 Z 2 ABGB dann zu erfolgen, wenn der Vertreter verstorben ist, nicht die erforderliche Eignung aufweist, durch die Vertretung unzumutbar belastet wird oder es sonst das Wohl der vertretenen Person erfordert. Diese neue Rechtslage gewährleistet weder eine Übertragung allein aufgrund einer Wunschäußerung der betroffenen Person noch eine freie Auswahl des (gerichtlichen) Erwachsenenvertreters (2 Ob 129/20i, Rz 5 mwN; 7 Ob 49/20m, Pkt 1.2. mwN). Auch nach dem 2. ErwSchG besteht für den Betroffenen daher kein Recht auf freie

Felicitas Parapatits

Auswahl des gerichtlichen Erwachsenenvertreters. Maßgebend ist allein das Wohl des Betroffenen (RIS-Justiz RS0132245). (…) [4] 2. Das Wohl der betroffenen Person ist nicht ausschließlich von einem materiellen Gesichtspunkt aus zu beurteilen, sondern es ist auch auf ihre Befindlichkeit und ihren psychischen Zustand abzustellen. Im Allgemeinen ist eine stabile Betreuungssituation wünschenswert, weshalb es nur aus besonderen Gründen zu einer Übertragung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung kommen soll. Dabei ist es auch von Bedeutung, ob die als neuer Erwachsenenvertreter in Aussicht genommene Person für diese Aufgabe (besser) geeignet ist als der bisherige Vertreter (7 Ob 79/23b, Rz 16 mwN). (…) [6] 4. Dass die als gerichtliche Erwachsenenvertreterin gewünschte Person besser geeignet wäre als der bestellte Erwachsenenvertreter, behauptet der Revisionsrekurs nicht. Allein der Wunsch der Betroffenen, die Erwachsenenvertretung an eine andere Person zu übertragen, rechtfertigt nach der Rsp noch keine Umbestellung. Vielmehr besteht kein Recht auf freie Auswahl des gerichtlichen Erwachsenenvertreters. Dies gilt – entgegen dem Revisionsrekurs –auch dann, wenn sie in der Lage wäre, einen Erwachsenenvertreter zu wählen (§ 264 ABGB). Die mit dem 2. ErwSchG verbundene Stärkung der Selbstbestimmung hat nicht die freie Auswahl des gerichtlichen Erwachsenenvertreters zur Folge (vgl 3 Ob 76/20b, Pkt 3.2. mwN).

§ 239 Abs 2 ABGB iFamZ 2024/17

Subsidiarität der Erwachsenenvertretung; betreutes Konto

OGH 17. 10. 2023, 4 Ob 173/23d

Das zentrale Anliegen des Erwachsenenschutzrechts besteht darin, die Autonomie einer schutzberechtigten Person möglichst umfassend zu wahren und dementsprechend die Selbstbestimmung im größtmöglichen Umfang so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. Dementsprechend soll die betroffene Person vorrangig durch die erforderliche Unterstützung selbst in die Lage versetzt werden, ihre Angelegenheiten zu besorgen und am Rechtsverkehr teilzunehmen.

(…) Die Beurteilung der Frage, ob genügend Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Bestellung eines Erwachsenenvertreters vorliegen, ist immer nach den konkreten Tatumständen des Einzelfalls zu beurteilen (RISJustiz RS0106166 [insb T12] = RS0087091 [T5]); Gleiches gilt für die Frage, in welchem Umfang ein solcher zu bestellen ist (vgl RIS-Justiz RS0106744 [T1]).

2.1. Hier hat die Leitung der Wohnassistenz, von der der Betroffene betreut wurde, die Einleitung eines Verfahrens zur Bestellung eines Erwachsenenvertreters mit der Begründung angeregt, dass der Betroffene nicht arbeitsfähig sei, als Einkommen nur über eine Notstandshilfe verfüge, Schulden in bis zu sechsstelliger Höhe habe, weiters Mietschulden bestünden und die Räumung der Wohnung bewilligt worden sei sowie der Versuch eines betreuten Kontos bereits gescheitert wäre. (…)

4. Der außerordentliche Revisionsrekurs des Betroffenen wendet sich nur gegen die Zuweisung des Wirkungsbereichs „Verwaltung von Einkünften, einschließlich Verfügungen über Girokonten“ an die Erwachsenenvertreterin. Er führt ins Treffen, er sei entgegen den Feststellungen sehr wohl in der Lage, seine finanzielle Situation gut zu überblicken, sein Einkommen zu verwalten und daraus seine monatlichen Fixkosten insb für das Wohnen zu bestreiten. Die selbständige Verwaltung seiner finanziellen Angelegenheiten wäre für ihn ein „Erfolgserlebnis“, der Verlust dieser Kompetenz sei ein „Rückschlag“ und wirke sich nachteilig auf seinen psychischen Zustand aus. Maximal käme für ihn ein „betreutes Konto“ in Frage; die gänzliche Entziehung der Selbstbestimmung in diesem Bereich sei unvertretbar. (…)

[9] Damit werden keine erheblichen Rechtsfragen aufgezeigt:

[10] 4.1. Der Betroffene übergeht, dass ihm nach Aktenlage und Feststellungen bislang weder der Umgang mit seinen beträchtlichen Schulden noch die regelmäßige Zahlung der Miete und damit der Erhalt seiner Wohnmöglichkeit gelungen ist. Dass im Rekurs ebenso wie nunmehr im – diesen anscheinend zitierenden („Pkt 2.1“) – Revisionsrekurs die Einkommens- und Ausgabensituation dargelegt wird, vermag nicht konkret aufzuzeigen, inwieweit der Betroffene trotz gegenteiliger Feststellungen einen „guten Überblick“ über seine finanzielle Lage haben und behalten oder zu einer nachhaltigen, seine Interessen wahrenden Verwaltung und Verwendung seines Einkommens, insb auch im Licht seiner Schulden und der Sicherung einer Wohnmöglichkeit, in der Lage sein sollte.

[11] 4.2. Die im Revisionsrekurs ebenso wie schon im Rekurs angesprochene psychische Belastung durch die Festlegung des Wirkungsbereichs findet in den Feststellungen ebenfalls keine Deckung und lässt zudem nicht erkennen, dass der Betroffene sein Recht und seinen Wunsch nach Selbstbestimmung in der derzeitigen Situation auch konkret umsetzen könnte, ohne sich selbst zu schaden.

[12] 4.3. Erstmals im Revisionsrekurs werden „etwaige andere Unterstützungsmöglichkeiten“ angesprochen, ohne auszuführen, worin solche bestehen und welchen Beitrag sie leisten könnten, um die finanziellen Probleme des Betroffenen aktuell zu bewältigen.

[13] 4.4. Insgesamt ist in der derzeitigen Lage die Umschreibung des Wirkungsbereichs der gerichtlichen Erwachsenenvertreterin ebenso vertretbar und nicht korrekturbedürftig wie der Umstand, dass die Vorinstanzen ein „betreutes Konto“ iSd § 239 Abs 2 ABGB nicht neuerlich in Erwägung zogen. (…)

§ 271 ABGB

Keine Aufhebung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung; Pflichtteilsverzicht

OGH 17. 10. 2023, 4 Ob 180/23h

iFamZ 2024/18

Die Betroffene beantragte die Aufhebung der Erwachsenenvertretung wegen Wegfall der Voraussetzungen. Die Vorinstanzen schränkten die Erwachsenenvertretung auf die Vermögensverwaltung und die Vertretung iZm der Verlassenschaft nach dem Vater ein. Zwar habe sich die gesundheitliche Situation stabilisiert, doch sei die Betroffene weiterhin leicht manipulierbar und nur beschränkt planungsfähig. Der Erhalt eines Pflichtteils von rund 290.000 € würde zum Verlust der Sozialhilfe führen, ohne dass er das Auskommen der erst 32-jährigen Betroffenen für den Rest ihres Lebens sichern könne.

(…) [9] 1. Gem § 271 ABGB ist (nur) insoweit ein gerichtlicher Erwachsenenvertreter zu bestellen, als die betroffene Person bestimmte Angelegenheiten aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer vergleichbaren Beeinträchtigung ihrer Entscheidungsfähigkeit nicht ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst besorgen kann; sie dafür keinen Vertreter hat; einen solchen nicht wählen kann oder will; und auch eine gesetzliche Erwachsenenvertretung nicht in Betracht kommt. (…)

[11] 2. Ob und in welchem Umfang eine gerichtliche Erwachsenenvertretung wegen Wegfalls der Voraussetzungen einzustellen ist, ist immer eine Frage des Einzelfalls, aus den dem Tatsachenbereich zuzuordnenden Grundlagen zu lösen und nach den konkreten Tatumständen jeweils individuell zu beurteilen (RIS-Justiz RS0106166 [insb T11 und T12]; RS0106744). Eine Entscheidung des OGH ist daher nur zur Korrektur grober Fehlbeurteilungen angezeigt.

[12] Einen solchen Fall zeigt das Rechtsmittel der Betroffenen nicht auf:

[13] 2.1. Der Revisionsrekurs verweist auf eine Kommentarstelle, nach der es nicht auf das objektive Wohl des Betroffenen ankomme, sondern darauf, ob der geäußerte Wunsch sein Wohl gefährde (Schneider/Verweijen, AußStrG, Vor § 116a Rz 11). Diese bezieht sich aber nicht auf die Frage, ob ein Erwachsenenvertreter zu bestellen ist, sondern darauf, welche Wünsche des Betroffenen vom Erwachsenenvertreter zu berücksichtigen sind. (…)

Die Gefahr eines Nachteils für die betroffene Person liegt vor, wenn ohne Vertretung ein Schaden an Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre oder Vermögen der Person droht, sei es durch die –nicht sachgerechte und deshalb schadensträchtige – Gestion der Person, sei es wegen deren Unfähigkeit, irgendwelche Angelegenheiten zu besorgen. Ein Nachteil kann insb auch darin liegen, dass sich die betroffene Person die finanziellen Ressourcen nimmt, um auch langfristig im Rahmen ihrer Fähigkeiten und Möglichkeiten ihre Lebensverhältnisse nach ihren Wünschen und Vorstellungen gestalten zu können.

Bei der 32-jährigen Betroffenen wurden eine Anpassungsstörung und eine kombinierte Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Ihre Kritik- und Urteilsfähigkeit ist herabgesetzt; sie kann leicht manipuliert werden und sich keinen Überblick über komplexe Angelegenheiten verschaffen. Sie wohnt in einer Gemeindewohnung in W., bezieht Mindestsicherung und verfügt als Vermögen nur über knapp 700 €. Diesem steht eine Verbindlichkeit gegen den Energieversorger in mehr als doppelter Höhe gegenüber. Gegen sie waren 87 Gerichtsverfahren, hauptsächlich Exekutions- und Strafverfahren (Suchtmittel), anhängig.

Die Betroffene hat seit 2017 (häufig wechselnde) Sachwalter für die Vertretung vor Ämtern, Behörden und Gerichten, Sozialversicherungspartnern und privaten Vertragspartnern sowie für die Einkommens- und Vermögensverwaltung. 2019 starb ihr Vater, Alleinerbin ist seine Lebensgefährtin, die Mutter der Betroffenen. Die Mutter bot der Betroffenen als Pflichtteil 6/10-Anteile an einer Liegenschaft in T. und ein Wohngebrauchsrecht bei gleichberechtigter Mitbenützung der Mutter an. Dieser Vorschlag wurde pflegschaftsgerichtlich nicht genehmigt, weil die Mutter-Tochter-Beziehung sehr wechselhaft ist und eine Abhängigkeit der Betroffenen von ihrer Mutter vermieden werden soll.

Die Betroffene lehnt das von ihrer Erwachsenenvertreterin angestrengte Verfahren zur Höhe des Pflichtteils (289.000 € oder 550.000 €) ab und hat bereits mehrfach angeboten, auf ihren Pflichtteil ganz zu verzichten. Sie hat sogar schon zweimal entsprechende Verträge bei einem Notar unterfertigt.

[15] 2.3. Die Behauptung der Betroffenen, dass sie trotz Erbschaft von fast 300.000 € weiter Sozialhilfe beziehen könne [gemeint offenbar: und den Pflichtteil daher gar nicht angreifen müsse], ist nicht mit § 7 Sozialhilfe-Grundsatzgesetz in Einklang zu bringen.

[16] Die Ankündigung, dass die Betroffene eine fixe Vollzeitstelle in Aussicht habe (laut Rekurs: bei einem Würstelstand, laut Revisionsrekurs nun als Reinigungskraft in einem anderen Unternehmen) dokumentiert entgegen ihrer Ansicht gerade, dass sie ihren Lebensunterhalt (zumindest derzeit) nicht aus eigenem Einkommen bestreiten kann.

[17] Ganz abgesehen davon wird damit die Gefahr nicht gebannt, dass die vermögenslose Betroffene unbedacht auf ihren nicht unbeträchtlichen Pflichtteil verzichtet.

[18] 2.4. Auch aus dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen für Psychologie lassen sich entgegen der Ansicht der Betroffenen keine Rückschlüsse auf ihre finanzielle Lage ziehen. Seine Ausführungen zu ihrer „materiellen Existenz“ liegen außerhalb seines Fachgebiets und basieren diese außerdem ausdrücklich nur auf den Angaben der Betroffenen, die in wichtigen Punkten von den späteren Feststellungen des Erstgerichts aufgrund weiterer Verfahrensergebnisse abweichen. (…)

§ 242 Abs 1 ABGB; § 94 Abs 1 GBG iFamZ 2024/19

Begründete Bedenken des Grundbuchsgerichts trotz Ende der gewählten Erwachsenenvertretung

OGH 28. 9. 2023, 5 Ob 156/23m

Das Grundbuchsgericht darf eine grundbücherliche Eintragung ua nur dann bewilligen, wenn keine begründeten Bedenken gegen die persönliche Fähigkeit der bei der Eintragung Beteiligten zur Verfügung über den Gegenstand, den die Eintragung be-

trifft, oder gegen die Befugnis der Antragsteller zum Einschreiten vorhanden sind. Entsprechende Verdachtsmomente sind auch dann von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn sie sich nicht (nur) auf eine Eintragung im Grundbuch, sondern (auch) auf den Inhalt von Pflegschaftsakten stützen. Selbst wenn ein an der Vertragserrichtung mitwirkender Notar möglicherweise keine Zweifel an der Diskretions- und/oder Dispositionsfähigkeit einer Vertragspartei hegte, sind solche „Bedenken“ nicht schlechthin ausgeschlossen.

Im Einzelfall ist es daher nicht zu beanstanden, dass das Rekursgericht wegen des Hinweises auf die als Gültigkeitsbedingung vereinbarte pflegschaftsgerichtliche Genehmigung im Vertrag selbst (offensichtlich wegen der zunächst wirksamen [gewählten] Erwachsenenvertretung und trotz der ebenfalls erwähnten Beendigung noch vor Vertragsunterfertigung!) und dem Umstand, dass ein Verfahren zur Prüfung, ob für den Verkäufer die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters erforderlich ist, anhängig ist, Bedenken gegen dessen Verfügungsfähigkeit iSd § 94 Abs 1 Z 2 GBG annahm.

Unter Vorlage ua des von ihnen, dem Verkäufer und der von ihm gewählten Erwachsenenvertreterin beglaubigt unterfertigten Kaufvertrags vom 3. 6. 2022 begehrten die Antragsteller die Einverleibung ihres Eigentumsrechts. Pkt XV. dieses Kaufvertrages lautet:

„Genehmigung:

Im Österreichischen zentralen Vertretungsverzeichnis ist mit Errichtung vom 4. 2. 2022, Registrierungsnummer (…), eingetragen von Frau Notar (…), Datum der Eintragung 9. 3. 2022, die gewählte Erwachsenenvertretung für [Anm.: den Verkäufer] eingetragen. Vertreterin ist dessen Ehefrau (…). Demgemäß ist der Liegenschaftsverkauf vom zuständigen Pflegschaftsgericht, BG Graz-Ost, nach Einholung von Befund und Gutachten eines gerichtlich beeideten Sachverständigen aus dem Immobilienfach, wofür Herr Architekt Dipl.-Ing. (…) vorgesehen ist, genehmigungspflichtig. Die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung des Liegenschaftskaufvertrages ist aufschiebende Bedingung für die Rechtswirksamkeit dieses Kaufvertrages.

Eine Einsichtnahme in das Österreichische Zentrale Vertretungsverzeichnis am 2. 6. 2022 hat ergeben, dass das Ende der gewählten Erwachsenenvertretung eingetreten und durch Gerichtsbeschluss vom 21. 3. 2022, (…) erloschen ist. Die Eintragung in das Österreichische Zentrale Vertretungsverzeichnis erfolgte am 2. 5. 2022.“

In Reaktion auf den Verbesserungsauftrag des Erstgerichts, den Beschluss über die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung dieses Kaufvertrags vorzulegen, haben die Antragsteller die Entscheidung in der Sache begehrt.

Das Rekursgericht bestätigte die Abweisung des Antrags durch das Erstgericht und ließ den Revisionsrekurs nicht zu. Zutreffend sei zwar, dass nach § 242 Abs 1 ABGB idF nach dem 2. ErwSchG die Handlungsfähigkeit einer vertretenen Person durch eine Vorsorgevollmacht oder eine Erwachsenenvertretung nicht automatisch eingeschränkt sei. Das Grundbuchsgericht dürfe eine Eintragung aber nur dann vornehmen, wenn keine begründeten Bedenken gegen die persönliche Fähigkeit der bei der Eintragung Beteiligten zur Verfügung über den Eintragungsgegenstand vorhanden seien. Solche Bedenken seien im vorliegenden Fall gerechtfertigt, weil nicht nur im Kaufvertrag selbst auf das Erfordernis einer pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung hingewiesen werde, sondern vor dem Erstgericht nach wie vor ein Verfahren anhängig sei, in dem geprüft werde, ob die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters für den Verkäufer erforderlich sei. (…)

[5] 1. Mit dem am 1. 7. 2018 in Kraft getretenen 2. ErwSchG, BGBl I 2017/59, wurde das Rechtsinstitut der Vertretung selbst nicht mehr voll handlungsfähiger Personen neu geregelt. Wesentliche Änderung durch diese Gesetzesnovelle, die die Revisionsrekurswerber für ihren Standpunkt ins Treffen führen, war, dass die rechtskräftige Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters, der die Funktion des früheren Sachwalters ersetzt, die Handlungsfähigkeit der betroffenen Person auch im Wirkungskreis der Erwachsenenvertretung nicht mehr unmittelbar berührt (§ 242 Abs 1 ABGB; 5 Ob 208/20d mwN).

[6] 1.1. Für die Rechtswirksamkeit einer konkreten Rechtshandlung ist daher maßgebend, ob die betroffene Person im jeweiligen Einzelfall die erforderliche Handlungsfähigkeit aufweist (4 Ob

115/19v). Damit hat die Bestimmung des § 94 Abs 1 GBG durch das 2. ErwSchG keine Änderung erfahren.

[7] 1.2. Danach hat das Grundbuchsgericht das Ansuchen und dessen Beilagen einer genauen Prüfung zu unterziehen. Es darf nach § 94 Abs 1 Z 2 GBG eine grundbücherliche Eintragung ua nur dann bewilligen, wenn keine begründeten Bedenken gegen die persönliche Fähigkeit der bei der Eintragung Beteiligten zur Verfügung über den Gegenstand, den die Eintragung betrifft, oder gegen die Befugnis der Antragsteller zum Einschreiten vorhanden sind.

[8] 1.3. Die Bestimmung des § 94 Abs 1 Z 2 GBG ist wegen der geänderten Rechtslage nach dem 2. ErwSchG auch nicht entschieden enger auszulegen, wie die Antragsteller meinen. Die von ihnen eingeforderte teleologische Reduktion des § 94 Abs 1 Z 2 GBG liefe im Ergebnis darauf hinaus, dass der Grundbuchsrichter die begehrte Eintragung wegen begründeter Bedenken gegen die Verfügungsfähigkeit nur mehr dann versagen dürfte, wenn ein Genehmigungsvorbehalt gem § 242 Abs 2 ABGB im Grundbuch angemerkt ist (dazu ErlRV 195 BlgNR 26. GP 2; 5 Ob 208/20d). Ein solches Ergebnis lässt sich mit der Zielsetzung des § 94 Abs 1 Z 2 GBG nicht in Einklang bringen.

[9] 2. Der Fachsenat hat daher bereits zu 5 Ob 145/19p zu der auch hier relevanten Frage, inwieweit Bedenken iSd § 94 Abs 1 Z 2 GBG ein Eintragungshindernis auch nach der Rechtslage seit dem 2. ErwSchG begründen, klargestellt, dass dazu auf die Rsp des OGH zur Rechtslage vor dem 2. ErwSchG zurückgegriffen werden kann.

[10] 2.1. Danach genügt es für die Versagung der Eintragung, wenn beachtliche Gründe für die Beschränkung der Verfügungsfähigkeit sprechen (RIS-Justiz RS0107975). Durch den unbestimmten Begriff „Bedenken“ wird dem Grundbuchsgericht ein gewisser Beurteilungsspielraum eröffnet. Bewegt sich die Beurteilung der Vorinstanzen in diesem Rahmen, liegt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG vor (RIS-Justiz RS0060644 [T4]).

[11] 2.2. Bedenken iSd § 94 Abs 1 Z 2 GBG können sich sowohl aus dem amtlichen als auch dem privaten Wissen des Grundbuchsrichters ergeben, sofern die Überprüfung des Eintragungshindernisses objektiv möglich ist. Entsprechende Verdachtsmomente sind auch dann von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn sie sich nicht (nur) auf eine Eintragung im Grundbuch, sondern – wie hier – (auch) auf den Inhalt von Pflegschaftsakten stützen (5 Ob 206/08t). Selbst wenn ein an der Vertragserrichtung mitwirkender Notar möglicherweise keine Zweifel an der Diskretions- und/oder Dispositionsfähigkeit einer Vertragspartei hegte, sind solche „Bedenken“ nicht schlechthin ausgeschlossen (RIS-Justiz RS0107975 [T9]).

[12] 3. Im Grundbuchsverfahren als einem reinen Aktenverfahren kommt eine Beweisaufnahme durch Zeugen, Sachverständige oder persönlichen Augenschein nicht in Betracht. Im Einzelfall ist es daher nicht zu beanstanden, dass das Rekursgericht wegen des Hinweises auf die als Gültigkeitsbedingung vereinbarte pflegschaftsgerichtliche Genehmigung im Vertrag selbst (offensichtlich wegen der zunächst wirksamen [gewählten] Erwachsenenvertretung und trotz der ebenfalls erwähnten Beendigung noch vor Vertragsunterfertigung!) und dem Umstand, dass ein Verfahren zur Prüfung, ob für den Verkäufer die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters erforderlich ist, anhängig ist, Bedenken gegen dessen Verfügungsfähigkeit iSd § 94 Abs 1 Z 2 GBG annahm. Soweit die Antragsteller dem entgegenhalten, dass im Kaufvertrag ausdrücklich festgehalten ist, dass die vom Verkäufer gewählte Erwachsenenvertretung mit Gerichtsbeschluss aufgehoben wurde, übersehen sie, dass das Pflegschaftsgericht zugleich mit der Entscheidung darüber das Verfahren zur Prüfung der Notwendigkeit einer gerichtlichen Erwachsenenvertretung einleitete. Dieses Verfahren ist nach wie vor anhängig, sodass die Antragsteller mit ihrem Hinweis, dass für den Verkäufer kein Erwachsenenvertreter bestellt sei, keine

Ermessensüberschreitung durch das Rekursgericht aufzeigen können. (…)

§ 258 Abs 4 ABGB iFamZ 2024/20

COVID-19-Impfung

OGH 18. 10. 2023, 9 Ob 34/23z

Es liegt keine Rechtsfrage von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG vor, wenn die Beurteilung der Vorinstanzen, dass ausgehend von den getroffenen Feststellungen eine Impfung im Interesse des Betroffenen ist, weil die damit verbundenen Vorteile die zu erwartenden körperlichen und psychischen Belastungen und Risiken deutlich überwiegen, nicht zu beanstanden ist.

[1] Das Rekursgericht bestätigte den Beschluss des Erstgerichts, mit dem die von der gesetzlichen Erwachsenenvertreterin (der Mutter des Betroffenen) versagte Zustimmung zu der vom Betroffenen zunächst gewünschten, in der Folge jedenfalls nicht abgelehnten COVID-19-Impfung ersetzt wurde. (…)

[3] 1. Soweit der Revisionsrekurs sich inhaltlich gegen die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen wendet, ist er darauf zu ver-

weisen, dass der OGH auch im Außerstreitverfahren nur Rechtsinstanz und nicht Tatsacheninstanz ist (RIS-Justiz RS0006737). Ob die Einholung weiterer Gutachten erforderlich ist, ist ebenfalls eine Frage der nicht revisiblen Beweiswürdigung (RIS-Justiz RS0043320).

[4] 2. Auf die Frage, ob es notorisch ist, dass die COVID-19Impfung der österreichischen Bevölkerung zum Vorteil gereicht, kommt es nicht an und haben die Vorinstanzen ihre Entscheidung in rechtlicher Hinsicht auch nicht darauf gestützt. Vielmehr hat das Erstgericht, gegründet auf ein entsprechendes Sachverständigengutachten festgestellt, dass der Betroffene aufgrund seiner Grunderkrankung zu einer Personengruppe mit einem sehr hohen Risiko eines schweren bzw mit Komplikationen verbundenen Verlaufs bei Auftreten einer Corona-Infektion gehört, zur Schaffung einer länger währenden Grundimmunität gegen SARS-CoV-2 bei dem Betroffenen auch nach einer bereits erfolgten Infektion jedenfalls Corona-Schutzimpfungen notwendig sind und mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, dass es iZm einer Impfung gegen COVID-19 zu Nebenwirkungen bzw Komplikationen kommt, die das Krankheitsbild des Betroffenen verschlechtern. (…)

RECHTSPRECHUNG UbG/HeimAufG/Medizinrecht

§ 28 Abs 2 UbG; § 4 Abs 2 UbG aF iFamZ 2024/21 Rekurslegitimation hat nur der Abteilungsleiter, nicht der Krankenhausträger

OGH 30. 8. 2023, 7 Ob 130/23b; 27. 9. 2023, 7 Ob 154/23g

Nach §§ 28 Abs 2 und 38a Abs 3 UbG wird nur dem Abteilungsleiter ein Rechtsmittelrecht im Unterbringungsverfahren eingeräumt, nicht jedoch sonstigen Dritten, wie etwa dem Träger des Krankenhauses. Abteilungsleiter iSd UbG ist der „mit der Führung betraute Arzt oder sein Vertreter“. Der Rechtsträger einer Krankenanstalt ist nicht am Verfahren nach dem UbG beteiligt, daher auch nicht Partei im Verfahren und sohin nicht legitimiert, Rechtsmittel einzubringen. (Revisions-)Rekurse eines Rechtsträgers einer Krankenanstalt sind zurückzuweisen.

Zu OGH 30. 8. 2023, 7 Ob 130/23b

Das Erstgericht erklärte bei der Anhörung nach § 19 UbG mit Beschluss vom 12. 5. 2023 die Unterbringung der Patientin „vorläufig bis zur Entscheidung nach § 26 UbG für unzulässig“. Das Rekursgericht wies den dagegen erhobenen Rekurs des Abteilungsleiters, mit dem es sich auch inhaltlich auseinandersetzte, zurück und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig.

Gegen diesen Beschluss erhob die T-GmbH „als Rechtsträgerin der [Klinik]“ mit der Behauptung, „als solche in gegenständlicher, nach dem Außerstreitgesetz zu führender Unterbringungsangelegenheit rechtsmittellegitimiert“ zu sein, eine Zulassungsvorstellung verbunden mit der Ausführung eines ordentlichen Revisionsrekurses.

Das Rekursgericht, dem das Erstgericht den Antrag auf nachträgliche Zulassung des ordentlichen Revisionsrekurses vorlegte, stellte den Akt zur Vorlage des außerordentlichen Revisionsrekurses an den OGH zurück. Der Entscheidungsgegenstand sei nicht rein vermögensrechtlicher Natur, sodass ein Bewertungsausspruch entbehrlich sei. Daher wäre nicht eine Zulassungsvorstellung, sondern ein außerordentlicher Revisionsrekurs zu erheben gewesen, dessen Erfordernissen der Schriftsatz entspreche.

Der daraufhin dem OGH vorgelegte Revisionsrekurs der T-GmbH ist jedenfalls unzulässig:

Ganner

1.Der Rechtsträger der Krankenanstalt – die T-GmbH – ist nicht am Verfahren nach dem UbG beteiligt (so bereits 4 Ob 210/09z betreffend die Rechtsmittelwerberin).

Gem § 20 Abs 2 UbG hat der Abteilungsleiter die Möglichkeit, gegen den Beschluss, mit dem das Gericht die Unterbringung für unzulässig erklärt, Rekurs zu erheben. Wie auch nach (§ 29a iVm) §§ 28 Abs 2 und 38a Abs 3 UbG wird nur dem Abteilungsleiter ein Rechtsmittelrecht im Unterbringungsverfahren eingeräumt, nicht jedoch sonstigen Dritten, wie etwa dem Träger des Krankenhauses (7 Ob 14/14f, SZ 2014/18; 7 Ob 154/20b jeweils mwN).

2.§ 4 Abs 2 UbG idF vor der UbG-IPRG-Nov 2022, BGBl I 2022/147 (vgl § 42 Abs 5 Z 2 UbG) bezeichnet als „Abteilungsleiter“ den mit „der Führung der Abteilung betrauten Arzt“ oder seinen „Vertreter“. Bei der T-GmbH, die den Revisionsrekurs gefertigt hat, handelt es sich nicht um den Abteilungsleiter, sondern um den Rechtsträger der Krankenanstalt. Im Rechtsmittel fehlt jeder Hinweis auf den Abteilungsleiter als gemeinten Rechtsmittelwerber. Dieser wird als „Abteilungsleiter der Revisionsrekurswerberin“ bzw der [Klinik] bezeichnet und nicht als Partei kraft eigener Funktion erkannt (vgl 7 Ob 154/20b).

3.Mangels Parteistellung ist der Revisionsrekurs der Rechtsträgerin der [Klinik] daher zurückzuweisen.

Zu OGH 27. 9. 2023, 7 Ob 154/23g

Der Revisionsrekurs der Erstrevisionsrekurswerberin (Anm: Rechtsträger der Krankenanstalt) ist jedenfalls unzulässig: In § 38a Abs 3 iVm § 28 Abs 2 UbG wird nur dem Abteilungsleiter ein Rechtsmittelrecht im Unterbringungsverfahren eingeräumt, nicht jedoch dem Klinikdirektor oder dem Träger des Krankenhauses (vgl 7 Ob 154/20b mwN). Der Revisionsrekurs des Krankenhausträgers ist daher zurückzuweisen.

Der Zweitrevisionsrekurswerber ist als Abteilungsleiter rechtsmittellegitimiert. Sein Revisionsrekurs ist aber entgegen dem – den OGH gem § 71 Abs 1 AußStrG nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung des Revisionsrekurses kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Michael

Gegenstand des Verfahrens ist ausschließlich die nachträgliche Überprüfung der Beschränkung der Bewegungsfreiheit der Patientin durch Anlegen eines Sitzgurts am 19. 7. 2022, von 10:23 Uhr bis 11:15 Uhr und von 18:16 Uhr bis 20:30 Uhr, gem § 38a Abs 1 UbG.

Der Abteilungsleiter argumentiert, dass es sich bei der Einrichtung um eine Krankenanstalt iSd § 2 UbG handle und das UbG daher zur Anwendung gelange. Davon ist das Rekursgericht iZm der hier allein interessierenden Überprüfung des Anlegens des Sitzgurts am 19. 7. 2022 aber ohnedies ausgegangen.

Gegen die weitere Beurteilung des Rekursgerichts, diese sei aber als unzulässige Beschränkung der Bewegungsfreiheit zu qualifizieren, die entgegen § 33 Abs 3 UbG weder von einem Arzt angeordnet und dokumentiert noch unverzüglich gemeldet worden sei, bringt der Abteilungsleiter hingegen keine Argumente.

Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 71 Abs 3 AußStrG).

§ 2 UbG; §§ 1 f KAKuG

Die Beurteilung als „Krankenanstalt für Psychiatrie“ oder Pflegeheim entscheidet über die Anwendbarkeit des UbG

OGH 27. 9. 2023, 7 Ob 139/23a

iFamZ 2024/22

Abteilungsleiters gegen die Zurückweisung wurde keine Folge gegeben. Die Einrichtung verfüge über keine ärztliche Leitung und es stehe nicht die Behandlung von psychiatrischen Erkrankungen, sondern die Pflege von Patienten, die in der Regel auf Dauer in der Einrichtung untergebracht sind, im Vordergrund. Das spiegelt sich auch im Verhältnis von ärztlichem und Pflegepersonal wider. Aufgrund der festgestellten Organisationsstruktur der Einrichtung ist diese nicht als „Krankenanstalt für Psychiatrie“ zu qualifizieren und daher das UbG nicht anzuwenden.

§ 2 HeimAufG

Verpflichtet das HeimAufG zur Barrierefreiheit?

BG Leopoldstadt 25. 10. 2023, 62 Ha 3/23s

Liegt der Schwerpunkt der Tätigkeit nicht in der medizinischpsychiatrischen Versorgung, sondern in der Pflege und Betreuung, handelt es sich um gar keine Krankenanstalt, sondern um ein Pflegeheim, auch wenn sich die Pflege auf psychisch Kranke bezieht und daher möglicherweise auch psychiatrisch qualifiziertes Personal beschäftigt ist.

Ob eine Krankenanstalt oder eine Abteilung „psychiatrischen Charakter“ hat, ist anhand einer Durchschnittsbetrachtung der versorgten Patientengruppe (Krankheitsbilder), der erbrachten Leistungen (Art und Fachzugehörigkeit der medizinischen Tätigkeiten) und der internen Organisationsstrukturen (insb fachliche Qualifikation des Personals) zu beurteilen.

Wesentlich ist die materielle Beurteilung, ob der Schwerpunkt der ärztlichen Tätigkeit bzw der behandelten Krankheiten in der fraglichen Krankenanstalt bzw Abteilung bei objektiver Betrachtung ins Fachgebiet der Psychiatrie fällt und daher die medizinisch-psychiatrische Versorgung im Vordergrund steht.

Der Standort der T-GmbH wird als Pflegeheim für chronisch Kranke geführt (und findet sich auch nicht [mehr] in der Liste der Krankenanstalten des Gesundheitsministeriums). Überwiegend werden dort Personen mit psychiatrischen Krankheitsbildern (in der Regel dauerhaft) betreut. Für sechs Stationen mit je 27 betreuten Personen stehen ua zwei Fachärzte für Psychiatrie für die Behandlung der Menschen in der Zeit von Montag bis Freitag, 8:00 bis 16:30 Uhr, zur Verfügung; eine ärztliche Leitung ist (derzeit) nicht etabliert. Die Aufenthaltskosten der Patienten werden – mit individuellen einkommensabhängigen Selbstbehalten und dem zuerkannten Pflegegeld – überwiegend über die Sozialabteilung des Landes verrechnet. Medizinische Leistungen im Bereich Krankenbehandlung und Hilfsmittelversorgung (so auch psychiatrische Behandlungen) werden über die Sozialversicherungsträger verrechnet. Das Unterbringungsgericht stellte in zwei Rechtsgängen fest, dass es sich bei der Einrichtung um keine Kranken- und Pflegeanstalt iSd UbG – ausgeführt wird, dass der vom UbG verwendete Begriff der Krankenanstalt grundsätzlich mit jenem des Krankenanstaltenrechts inhaltsgleich sei (Kopetzki, Grundriss des Unterbringungsrechtes3 [2012] Rz 29; § 1 Abs 1 KAKuG) – handle und daher keine Anwendbarkeit des UbG vorliege. Dem Rekurs des

iFamZ 2024/23

Die Bewohnerin ist aufgrund einer Polioerkrankung auf den Rollstuhl angewiesen. Im Übrigen ist sie orientiert. Eine psychische Erkrankung oder geistige Behinderung liegt nicht vor.

Die Einrichtung liegt tiefer als das umgebende Gelände. Wenn man die Einrichtung betritt, ist ein leicht abfallender Fußweg (ohne Stufen) von zirka 60 bis 70 m zurückzulegen, den eine ältere Person im (nicht über einen eigenen Antrieb verfügenden) Rollstuhl, wie die Bewohnerin, ohne Hilfe in der Regel nicht zu bewältigen vermag.

Bei der zu bewältigenden Anhöhe handelt es sich weder um eine mechanische noch um eine bauliche Maßnahme, sondern um eine topografische Begebenheit, die keine Freiheitsbeschränkung iSd § 3 HeimAufG darstellt.

Eine etwaige mangelnde Barrierefreiheit kann generell nicht mit einer Freiheitsbeschränkung nach dem HeimAufG gleichgesetzt werden.

Anmerkung

Abgesehen davon, dass eine Freiheitsbeschränkung an einer Person, die weder eine psychische Krankheit noch eine vergleichbare Beeinträchtigung hat, jedenfalls unzulässig ist, stellt sich die Frage, ob vorhandene Barrieren beseitigt werden müssen. Das HeimAufG stellt in der Regel auf intendierte Freiheitsbeschränkungen ab, also auf Maßnahmen, die mit dem Ziel der Freiheitsbeschränkung gesetzt werden. Der autonome Rechtsbegriff der Freiheitsbeschränkung ist nach den Tatbestandselementen des § 3 HeimAufG auszulegen: Es kommt auf die Unterbindung einer Ortsveränderung einer betreuten oder gepflegten Person gegen oder ohne ihren Willen mit physischen Mitteln oder durch deren Androhung an.

Nach der Judikatur kann auch eine Unterlassung der gebotenen Unterstützung zur Inanspruchnahme der körperlichen Bewegungsfreiheit begrifflich eine Freiheitsbeschränkung darstellen. Vorhandene topografische Begebenheiten und andere bauliche Barrieren können dann eine Freiheitsbeschränkung iSd HeimAufG begründen, wenn sie gegen baurechtliche oder auch Vorgaben des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes, das in allen Lebensbereichen weitgehende Barrierefreiheit verlangt, verstoßen. Mit anderen Worten: Die Einrichtung hat die gebotene Barrierefreiheit nach baurechtlichen Vorgaben herzustellen und Bewohner:innen, die bei Inanspruchnahme ihrer persönlichen Freiheit der Unterstützung bedürfen, nach fachgemäßen Standards bestmöglich zu unterstützen. Generell sollten Personen mit körperlichen Behinderungen umfassend barrierefreie Wohnplätze angeboten werden, um ihnen eine selbstbestimmte gesellschaftliche Teilhabe iSd UN-BRK zu ermöglichen.

Michael Ganner

RECHTSPRECHUNG Ehe- und Partnerschaftsrecht

§§ 82, 91 Abs 2 EheG

Einbringung von ehelichen Ersparnissen in ein Unternehmen

OGH 23. 10. 2023, 1 Ob 113/23h

iFamZ 2024/24

Sachen, die Anteile an einem Unternehmen darstellen, unterliegen nicht der Aufteilung, außer es handelt sich dabei um bloße Wertanlagen. § 91 Abs 2 EheG umfasst auch den aus ehelichem Vermögen finanzierten Erwerb von – nicht der bloßen Wertanlage dienenden – Anteilen an einer unternehmerisch tätigen Gesellschaft durch einen Ehegatten.

Die am 14. 7. 2013 geschlossene Ehe der Parteien wurde mit Urteil vom 28. 4. 2022 aus beiderseitigem Verschulden geschieden. Die Ehegatten erwarben 2017 eine Eigentumswohnung um rd 650.000 € mit einem aktuellen Wert von etwa 751.330 €. Rd 450.000 € des Kaufpreises wurden durch einen Bankkredit und weitere 100.000 € durch ein Darlehen der Eltern der Frau finanziert. Der Rest stammte aus ehelichen Ersparnissen von rd 61.000 € und vorehelichen Ersparnissen des Mannes von rund 38.200 €. Der Bankkredit haftete bei Auflösung der Ehegemeinschaft mit rd 398.500 € und zuletzt (per 1. 11. 2022) mit 374.963,66 € aus. Das Darlehen der Eltern der Frau ist zur Gänze offen. 2019 erwarb die Frau um 162.750 € Anteile an jener Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, bei der sie bereits angestellt war, um sich „als Partnerin einzukaufen“. Die Finanzierung erfolgte (teilweise) durch einen Bankkredit, den die Frau aus ihrem Einkommen als Partnerin und (daneben) auch als Angestellte dieser Gesellschaft in monatlichen Raten von 560 € zurückbezahlt.

Die von der Frau zu leistende Ausgleichszahlung bemaß das Erstgericht wie folgt: (…) Die von der Frau erworbenen Anteile an der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft unterlägen nicht der Aufteilung, weil es sich dabei um keine Vermögensanlage handle. Der dagegen erhobene Revisionsrekurs des Mannes ist entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichts zulässig, weil die Bemessung der Ausgleichszahlung durch die Vorinstanzen einer Korrektur durch den OGH bedarf; das Rechtsmittel ist im Sinn des im Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsantrags (RIS-Justiz RS0041774 [T1]) auch berechtigt: In seinem Rekurs begehrte der Mann eine weitere Ausgleichszahlung von 58.848 €. (…)

Die Vorinstanzen rechneten die von der Frau erworbenen Anteile an der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (einer KG) zutreffend nicht dem aufzuteilenden Vermögen zu, weil es sich dabei um keine bloße Wertanlage iSd § 82 Abs 1 Z 4 EheG handle. Dies wird vom Mann nicht kritisiert. Er steht aber auf dem Standpunkt, dass die während der Ehegemeinschaft erfolgte Tilgung des von der Frau für den Beteiligungserwerb aufgenommenen Kredits mit – nach seinem Vorbringen – insgesamt 12.320 € bei der Bemessung der Ausgleichszahlung gem § 91 Abs 2 EheG berücksichtigt werden hätte müssen. Konkret wäre ihm die Hälfte dieses Betrags als weitere Ausgleichszahlung zuzuerkennen gewesen. § 91 Abs 2 Satz 1 EheG sieht für den Fall, dass eheliches Gebrauchsvermögen oder eheliche Ersparnisse in ein Unternehmen, an dem einem oder beiden Ehegatten ein Anteil zusteht, eingebracht oder für ein solches Unternehmen sonst verwendet wurden, eine Einbeziehung des Werts des Eingebrachten oder Verwendeten in die Aufteilung vor. Dabei ist nach § 91 Abs 2 Satz 2 EheG aber zu berücksichtigen, inwieweit jedem Ehegatten durch die Einbringung oder Verwendung Vorteile entstanden und inwieweit die eingebrachten oder verwendeten ehelichen Ersparnisse aus den Gewinnen des Unternehmens stammten. Dadurch, dass die Frau Anteile an einer (Wirtschaftsprüfungs-)Gesellschaft

Astrid Deixler-Hübner

erwarb, brachte sie bei rein formaler Betrachtung – jedenfalls soweit dem Anteilserwerb keine Kapitalerhöhung zugrunde lag – kein Vermögen „in“ diese Gesellschaft oder deren Unternehmen ein. Es ist auch fraglich, ob sie iSd § 91 Abs 2 Satz 1 EheG „sonst Vermögen für das Unternehmen verwendete“. Der vorliegende Anteilserwerb kann aber nicht anders behandelt werden als die Einbringung von ehelichem Vermögen in ein Einzelunternehmen oder in eine unternehmerisch tätige Gesellschaft. In jedem Fall wäre das für Unternehmenszwecke aufgewendete Vermögen gem § 82 Abs 1 Z 3 oder 4 EheG von der Aufteilung ausgenommen. Da § 91 Abs 2 EheG einen Benachteiligungsausgleich für Vermögensverschiebungen anstrebt, die zu einer Immunisierung von zuvor der ehelichen Aufteilung unterliegendem Vermögen führen (vgl 1 Ob 133/17s mit Hinweis auf die Mat), muss diese Bestimmung wertungsmäßig auch dann zum Tragen kommen, wenn mit ehelichen Mitteln nicht bloß der Wertanlage dienende Gesellschaftsanteile erworben wurden. Nur dies entspricht dem Zweck, den nicht unternehmerisch tätigen Ehegatten vor einer Verschiebung ehelichen Vermögens in die von der Aufteilung ausgenommene unternehmerische Vermögenssphäre des anderen zu schützen.

Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass der Erwerb von – wie hier nicht der bloßen Wertanlage dienenden – Anteilen an einer unternehmerisch tätigen Gesellschaft von § 91 Abs 2 Satz 1 EheG erfasst wird. Diese Bestimmung ist auch auf die Tilgung unternehmensbezogener Schulden aus ehelichen Mitteln anzuwenden (RISJustiz RS0058268 [T10]). Die während aufrechter Ehegemeinschaft erfolgten Rückzahlungen des für den Anteilserwerb der Frau aufgenommenen Kredits aus ihrem laufenden Einkommen – und somit aus ehelichen Mitteln – sind daher nach § 91 Abs 2 EheG zu beurteilen. (…)

Diese Bestimmung ordnet als Rechtsfolge an, dass in ein Unternehmen eines Ehegatten eingebrachtes oder sonst für ein solches Unternehmen verwendetes eheliches Vermögen wertmäßig in die Aufteilung „einzubeziehen“ ist (RIS-Justiz RS0058268 [T7]). Jener Nachteil, der dem nicht unternehmerisch tätigen Ehegatten durch die Vermögensverschiebung entstand, soll durch einen größeren Anteil an den aufzuteilenden Vermögenswerten ausgeglichen werden. Allenfalls ist ihm eine höhere Ausgleichszahlung zuzuerkennen (RIS-Justiz RS0058268 [T1, T6, T10]). Der nach § 91 Abs 2 EheG vorzunehmende Vermögensausgleich hat nach Billigkeitsgesichtspunkten zu erfolgen (vgl 2 Ob 98/07m; RIS-Justiz RS0058268). Dabei ist gemäß Satz 2 dieser Bestimmung zu berücksichtigen, inwieweit jedem Ehegatten durch die Einbringung oder Verwendung ehelicher Mittel in bzw für ein Unternehmen Vorteile entstanden und die eingebrachten oder verwendeten ehelichen Mittel aus den Gewinnen des Unternehmens stammten.

Anmerkung

Der Auffassung des OGH, wonach die während aufrechter Ehegemeinschaft erfolgten Rückzahlungen des für den Anteilserwerb der Frau aufgenommenen Kredits aus ihrem laufenden Einkommen bei der Bemessung der Ausgleichszahlung nach § 91 Abs 2 EheG zugunsten des anderen Ehegatten auszugleichen sind, ist zuzustimmen. Diese Kreditrückzahlung erfolgte nämlich letztendlich – auch wenn es ihr „eigenes“ Einkommen betrifft – aus den während der Ehe lukrierten Mitteln.

Astrid Deixler-Hübner

§ 69 Abs 2 EheG

Unterhaltserhöhung für die Vergangenheit

OGH 23. 10. 2023, 6 Ob 174/23s

iFamZ 2024/25

Bei einem Unterhaltserhöhungsbegehren für vergangenen Zeiträume, insb im Kontext eines Pensionsantritts des Unterhaltspflichtigen während des laufenden Kalenderjahres, ist die Wahl des Beobachtungszeitraums von konkreten Umständen des Einzelfalls abhängig zu machen. Die Festlegung auf das gesamte Kalenderjahr als Bemessungsgrundlage ist nicht zwingend, vielmehr ist es sachgerecht, den Beobachtungszeitraum unter Berücksichtigung der maßgeblichen Änderungen der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen auf einen bestimmten Zeitraum zu begrenzen.

Der Beklagte war als Arzt tätig und erzielte Einkünfte aus selbständiger Arbeit, Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und Einkünfte aus Kapitalvermögen. Die Ehe der Streitteile wurde im Februar 1990 gem § 55 iVm § 61 Abs 3 EheG geschieden. Im Februar 1990 schlossen die Streitteile einen gerichtlichen Unterhaltsvergleich, in dem sich der Beklagte gegenüber der Klägerin zu einem wertgesicherten monatlichen Unterhaltsbetrag von 17.000 ATS verpflichtete. Bis einschließlich März 2019 hielt er sich an den Unterhaltsvergleich und bezahlte – aufgrund der vereinbarten Wertsicherung – zuletzt 2.200 € monatlich an die Klägerin. (…)

Der Beklagte teilte der Klägerin im März 2019 über seinen Anwalt mit, dass er per 31. 3. 2019 in die Alterspension eintrete und sich aus der Hochrechnung seiner Steuerberatung ein voraussichtliches Einkommen aus der derzeit noch von ihm fortgeführten fliegerärztlichen Tätigkeit sowie seinen Pensionsbezügen in Höhe von gesamt durchschnittlich monatlich netto 4.206 € ergebe. Der Unterhaltsanspruch der Klägerin errechne sich daher mit 1.220 €, und der Beklagte werde – beginnend mit 1. 4. 2019 – diesen Betrag an die Klägerin zur Überweisung bringen. Die Klägerin antwortete darauf über ihre Rechtsvertretung mit Schreiben vom 4. 4. 2019, sie gehe nicht davon aus, dass sich das „errechnete Pensionseinkommen“ lediglich auf 4.206 € belaufe. (…)

Das Erstgericht verpflichtete den Beklagten, der Klägerin für den Zeitraum April 2019 bis einschließlich November 2022 einen rückständigen Unterhalt iHv 9.948 € zu zahlen (Spruchpunkt 1.) und wies das Mehrbegehren auf Zahlung eines weiteren rückständigen Unterhalts von 10.338 € ab (Spruchpunkt 3.). Darüber hinaus gab es dem Begehren betreffend den laufenden Unterhalt ab 1. 12. 2022 statt (Spruchpunkt 2.). Da eine Unterhaltserhöhung ab April 2019, dem Pensionsantritt des Beklagten, geltend gemacht werde, erscheine es sachgerecht, wenn für den Unterhalt im Jahr 2019 die exakte Einkommenssituation des Beklagten von April bis Dezember 2019 als Bemessungsgrundlage herangezogen werde. Bemessungsgrundlage seien daher die das wirtschaftliche Reineinkommen übersteigenden durchschnittlichen monatlichen Privatentnahmen zwischen April und Dezember 2019. Auch für die Bemessung des Unterhaltsanspruchs ab dem Jahr 2020 zog das Erstgericht den privaten Verbrauch des Beklagten heran. (…) Nach Rsp erfolgt bei selbständig Tätigen ganz allgemein die Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage aus dem Durchschnittseinkommen der drei letzten der Beschlussfassung vorangehenden Wirtschaftsjahre, sofern nicht gesicherte aktuelle Daten zur Verfügung stehen. Damit sollen Einkommensschwankungen, die auf steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten zurückzuführen sind, ausgeschalten und eine verlässliche Bemessungsgrundlage gefunden werden (RIS-Justiz RS0053251 [T5, T6]). Dies gilt auch bei gemischten Einkünften aus unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit (6 Ob 89/17g, ErwGr 1.1.).

Muss jedoch für konkrete vergangene Zeitabschnitte geprüft werden, ob das Einkommen des Unterhaltspflichtigen seiner Unter-

haltsverpflichtung entsprochen hat, ist die tatsächliche finanzielle Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners genau für diese Unterhaltsperioden zu ermitteln (RIS-Justiz RS0053251 [T3, T14, T15]).

Maßgebend ist dabei der „jeweilige Zeitraum“, worunter zwar in der Regel das konkrete Kalenderjahr zu verstehen ist (6 Ob 89/17g, ErwGr 1.1.; RIS-Justiz RS0053251 [T23]). Die für die Unterhaltsbemessung herangezogenen Beobachtungszeiträume sind jedoch von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängig zu machen und können daher auch variieren (8 Ob 111/20m; 4 Ob 194/11z, ErwGr 2.; RIS-Justiz RS0053251 [T19]). Dies gilt insb für den Fall des Zusammentreffens von Einkünften aus selbständiger und unselbständiger Tätigkeit (RIS-Justiz RS0053251 [T18]) sowie auch für die Frage, ob der herangezogene Beobachtungszeitraum zur Gewinnung verlässlicher Ergebnisse ausreicht (vgl 8 Ob 111/20m).

Das Berufungsgericht erachtete die Wahl des Beobachtungszeitraums von April bis Dezember 2019 als sachgerecht, weil gerade mit der Pensionierung des Beklagten eine Verminderung des bisherigen Einkommens verbunden war, sodass sie maßgeblichen Einfluss auf seine weitere Leistungsfähigkeit ab diesem Zeitpunkt (hier ab April 2019) gehabt habe.

Das Berufungsgericht hat die Rsp zur Verfristung nach § 72 EheG zutreffend dargestellt. Beim Unterhaltsanspruch der Klägerin handelt es sich trotz seiner Vereinbarung durch Vergleich (vgl RIS-Justiz RS0042549; RS0042623 [T6]) um einen solchen nach §69 Abs 2 EheG, weshalb § 72 EheG anwendbar ist (10 Ob 1/23d; 10 Ob 47/07w; RIS-Justiz RS0057266). Das Begehren eines geschiedenen Ehegatten auf Bezahlung von Unterhalt für die Vergangenheit setzt – als Anspruchsvoraussetzung (RIS-Justiz RS0033341 [T4]; RS0114142) – den Verzug des Unterhaltspflichtigen voraus (RISJustiz RS0106452). Ohne Verzug kann Unterhalt daher erst ab Rechtshängigkeit gefordert werden (10 Ob 1/23d). Demnach liegt Verzug iSd § 72 EheG vor, wenn der Schuldner seine durch eine vertragliche Regelung betrags- und fälligkeitsmäßig genau bestimmte Unterhaltspflicht nicht vollständig erfüllt hat. Einer Mahnung bedarf es in diesem Fall nicht (RIS-Justiz RS0120230). Ist der Unterhalt nicht betragsmäßig bestimmt, ist hingegen eine Zahlungsaufforderung an den Unterhaltspflichtigen in Form einer außergerichtlichen, inhaltlich bestimmten Mahnung notwendig (RIS-Justiz RS0057365). Der Unterhaltsschuldner kann nach Treu und Glauben aber keine Vorteile daraus ziehen, dass der Unterhaltsberechtigte ohne Auskunft nicht in der Lage ist, den Unterhaltsanspruch seriös zu beziffern und bestimmt – also nicht „ins Blaue“ hinein – einzumahnen. Nach stRsp kommt daher in diesem Fall eine berechtigte Aufforderung zur Auskunftserteilung in ihren Wirkungen dem durch eine Mahnung eingetretenen Verzug gleich, weil der Unterhaltsschuldner von diesem Zeitpunkt an in gleicher Weise wie bei einer Mahnung damit rechnen muss, auf Unterhalt in Anspruch genommen zu werden, und er daher (allenfalls) Rücklagen bilden muss (10 Ob 1/23d; RIS-Justiz RS0122059).

Das Berufungsgericht war der Auffassung, aus dem Schreiben vom 4. 4. 2019 sei nicht erkennbar, dass sich die Klägerin nicht mit dem bisherigen Unterhaltsbetrag von 2.200 € zufriedengebe und einen höheren Unterhaltsanspruch geltend machen habe wollen, sondern vielmehr, dass sie einen Anspruch auf Unterhaltsherabsetzung in Zweifel gezogen habe. Die Klägerin habe erstmals mit Schreiben vom 16. 5. 2019 zu erkennen gegeben, dass sie über die bisher aufgrund des Vergleichs geleisteten Zahlungen hinausgehende Unterhaltsansprüche gegenüber dem Beklagten prüfen wolle. Darin ist keine aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken. Weshalb der Beklagte bereits aufgrund des Schreibens des Vertreters der Klägerin vom 4. 4. 2019 davon ausgehen hätte müssen, dass die Klägerin eine Erhöhung der bisherigen Unterhaltszahlungen von 2.200 € begehre, legt die Revision auch gar nicht dar.

Anmerkung

Wie der OGH in stRsp ausführt, ist bei Unterhaltsnachforderungen für bestimmte Zeiträume die tatsächliche finanzielle Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners exakt für diese Unterhaltsperioden zu ermitteln. Die Wahl des Beobachtungszeitraums sei allerdings von konkreten Umständen des Einzelfalls abhängig zu machen – insb dann, wenn Einkünfte aus selbständiger und unselbständiger Tätigkeit zusammentreffen. Diese Auffassung ist nicht zu beanstanden.

Wie bereits in 10 Ob 1/23d, iFamZ 2023/166, 229, ausgeführt, kommt einer berechtigten Aufforderung zur Auskunftserteilung über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse in ihren rechtlichen Wirkungen dem durch eine Mahnung eingetretenen Verzug iSd § 72 EheG gleich.

ren vor dem BG Schwechat seien rechtskräftig auch von der Instanz erledigt worden. Schon im Vertrauen darauf habe sie die Beträge gutgläubig verbraucht.

§§ 78 Abs 2 EheG; 1437 ABGB

iFamZ 2024/26

Gutgläubiger Verbrauch von Unterhaltsleistungen

OGH 18. 10. 2023, 9 Ob 45/23t

Ein Verbrauch des gewährten Unterhalts ist im Sinn eines gutgläubigen Verbrauchs anzuerkennen, wenn dieser auf dem Vertrauen in eine rechtskräftige Entscheidung basiert.

Die Beklagte ist die geschiedene erste Ehefrau des verstorbenen Ing. R. Die Klägerin war mit dem 2016 verstorbenen Ing. R. bis zu seinem Tode in aufrechter Ehe verheiratet. Sie ist Alleinerbin nach ihrem verstorbenen Ehemann.

Aufgrund des Unterhaltsvergleichs führte die Beklagte gegen die Klägerin Exekution. Dagegen richtete sich die zu 3 C 1/19a des BG Schwechat von der Klägerin gegen die Verlassenschaft des Verstorbenen erhobene Oppositionsklage. Mit Urteil vom 29. 4. 2019 wurde das auf Kosten eingeschränkte Klagebegehren (wegen Einstellung der Exekution ab Februar 2019 infolge Begleichung der Unterhaltsforderung für den Zeitraum November 2016 bis Jänner 2019) abgewiesen. In seiner Entscheidung kam das BG zum Ergebnis, dass die Beklagte im genannten Zeitraum ihre Unterhaltsforderungen gegen den ruhenden Nachlass geltend machen habe können. Da sich die Beklagte bereits im Exekutionsantrag ihre Witwenpension anrechnen habe lassen, der Nachlass nicht überschuldet sei und der geltend gemachte Unterhaltsanspruch die Höhe des reinen Nachlasses nicht überschritten habe, bleibe kein Raum für eine Reduktion des Unterhaltsanspruchs der Klägerin, weshalb die Exekution mangels Zahlung zunächst gerechtfertigt gewesen sei (…).

Gegen eine neuerlich bewilligte Exekution erhob die Klägerin am 13. 2. 2020 wiederum Oppositionsklage. In diesem Verfahren 3 C 81/20t des BG Schwechat stellte sich die Klägerin ua auf den Standpunkt, dass sich die Beklagte nicht nur die Witwenpension, sondern auch ihre Alterspension anrechnen lassen müsse. (…)

Mit der vorliegenden, am 26. 8. 2021 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass der von ihr der Beklagten zu leistende Unterhalt zwischen 1. 9. 2018 und 31. 12. 2018 von 949,85 € auf 47,56 € und ab 1. 1. 2019 von 957,49 € auf 44,95 € herabgesetzt werde. Zudem begehrte sie die Rückzahlung von zu viel bezogenem Unterhalt ab 1. 9. 2018 iHv 38.830,42 €. Die Klägerin brachte dazu (…) vor, dass sich die Beklagte gem § 796 ABGB aF und § 78 Abs 2 EheG auf diesen Unterhalt die von ihr bezogenen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Leistungen, daher also auch die von ihr bezogene Alterspension, einrechnen lassen müsse. Aufgrund der klaren Gesetzeslage und weil auch bereits Gerichtsverfahren beim BG Schwechat anhängig gewesen seien, sei die Beklagte bei Verbrauch der Unterhaltszahlungen nicht gutgläubig gewesen.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und wendete – ebenfalls soweit für das Revisionsverfahren noch relevant – ein, dass sie allfällige Überzahlungen gutgläubig ausgegeben habe. Die Verfah-

Das Berufungsgericht stellte in teilweiser Abänderung der Entscheidung des Erstgerichts fest, dass der von der Klägerin zu leistende monatliche Unterhalt ab 22. 6. 2022 (Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz) künftig um 556,29 € auf nunmehr 401,02 € herabgesetzt werde (Spruchpunkt 1.), verpflichtete die Beklagte, 2.205,50 € für den im Zeitraum 1. 10. 2021 bis 28. 2. 2022 an zu viel geleistetem Unterhalt samt Staffelzinsen zu bezahlen (Spruchpunkt 2.) und wies das darüber hinausgehende Zahlungsbegehren samt Staffelzinsen ab (Spruchpunkt 3.). Dazu führte es in seiner rechtlichen Beurteilung nach umfassender Auseinandersetzung mit Rsp und Lehre zunächst aus, dass der Unterhaltsvergleich vom 24. 3. 1993 einer gesetzlichen Unterhaltsvereinbarung entspreche. Die Beklagte müsse sich daher aufgrund der analogen Anwendung des § 796 ABGB die Alterspension auf ihren Unterhaltsanspruch gegenüber der Klägerin anrechnen lassen. Zum Einwand des gutgläubigen Unterhaltsverbrauchs vertrat es die Rechtsauffassung, dass die Klägerin ab dem Zeitpunkt der Zustellung der ersten Oppositionsklage im November 2018 jedenfalls erhebliche Zweifel an der Berechtigung ihres Unterhaltsanspruchs haben hätte müssen. Bei objektiver Beurteilung habe sie ihre Zweifel an der Rechtmäßigkeit der geführten Exekution, ohne Abzug der Alterspension, nach Rechtskraft der Abweisung des Oppositionsurteils aber verwerfen dürfen, weil das BG Schwechat ihren Rechtsstandpunkt geteilt habe. Mit Zustellung der vorliegenden Klage am 5. 10. 2021 habe die von Beginn an anwaltlich vertretene Beklagte aber neuerlich erhebliche Zweifel an der Berechtigung ihres Unterhaltsanspruchs (der Höhe nach) haben müssen. Es sei daher bei objektiver Beurteilung von deren Schlechtgläubigkeit beim Verbrauch des Unterhalts ab November 2021 auszugehen. (…) Sie sei daher zur Rückzahlung von insgesamt 2.205,50 € an zu viel bezogenem Unterhalt an die Klägerin verpflichtet.

Nach § 1431 ABGB (Zahlung einer Nichtschuld) kann, wenn jemandem aus einem Irrtum, wäre es auch ein Rechtsirrtum, eine Sache geleistet worden, wozu er gegen den Leistenden kein Recht hat, in der Regel die Sache zurückgefordert werden. Nach der Rsp des OGH kann ein ohne Rechtsgrundlage gezahlter Unterhalt nur dann mangels echter Bereicherung nicht zurückgefordert werden, wenn er gutgläubig verbraucht wurde (RIS-Justiz RS0033609 [T4]). Der Empfänger von Unterhalt ist dann schlechtgläubig, wenn er bei Anwendung der von ihm zu erwartenden Sorgfalt an der Rechtmäßigkeit des empfangenen Betrags Zweifel hätte haben müssen; die Unredlichkeit bezieht sich auf die Existenz des Kondiktionsanspruchs (RIS-Justiz RS0103057 [T7]). Die Redlichkeit fehlt nicht erst bei auffallender Sorglosigkeit oder gar bei Vorsatz, sondern schon dann, wenn der Empfänger der Leistung zwar nicht nach seinem subjektiven Wissen, wohl aber bei objektiver Beurteilung an der Rechtmäßigkeit der ihm rechtsgrundlos ausgezahlten Beträge auch nur zweifeln hätte müssen (RIS-Justiz vgl RS0103057 [T4]; 3 Ob 65/23i, Rz 19). (…)

Richtig ist, dass die Beklagte ab dem Zeitpunkt der Zustellung der (ersten) Oppositionsklage jedenfalls erhebliche Zweifel an der Berechtigung ihres Unterhaltsanspruchs (ohne Abzug der Alterspension) haben musste (vgl 1 Ob 48/14m, Pkt 5.3. mwN). Zutreffend ist auch, dass bei einer Klage gem § 35 EO der bekämpfte Anspruch Gegenstand der Entscheidung ist, sein Bestehen somit nicht bloß materiell-rechtliche Vorfrage. Handelt es sich bei dem bekämpften Anspruch um einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch, so stellt die Entscheidung eine Entscheidung über den gesetzlichen Unterhalt dar (3 Ob 167/13z mwN). Dies bedeutet aber nicht, dass der gute Glaube an der Rechtmäßigkeit der Zuwendung nur an einer meritorischen Entscheidung festgemacht werden kann. Die Rechts-

auffassung des Berufungsgerichts, dass die Beklagte bei objektiver Beurteilung ihre Zweifel nach rechtskräftiger Abweisung der (ersten und zweiten) Oppositionsklage wieder verwerfen durfte, weil das BG Schwechat (jedenfalls im Urteil zu 3 C 81/20t) ihren Rechtsstandpunkt geteilt hat, ist nach den konkreten Umständen nicht zu beanstanden. Die (rechtsanwaltlich vertretene) Beklagte musste daher –entgegen der Ansicht der Revisionswerberin – gerade nicht damit rechnen, dass sich ihr Rechtsstandpunkt, eine Anrechnung ihrer Alterspension auf den Unterhaltsanspruch gem § 796 ABGB aF habe nicht zu erfolgen, letztlich nicht als berechtigt herausstellen würde.

Anmerkung

Im Gegensatz zum Berufungsgericht geht der OGH im vorliegenden Fall davon aus, dass die Beklagte ab dem Zeitpunkt der Zustellung der (ersten) Oppositionsklage zwar erhebliche Zweifel an der Berechtigung ihres Unterhaltsanspruchs hätte haben musste. Doch hätte sie nicht damit rechnen müssen, dass sich ihr Rechtsstandpunkt, wonach keine Anrechnung ihrer Alterspension erfolgen müsse, letztlich nicht als berechtigt erweisen würde. Dem ist mE nicht uneingeschränkt zuzustimmen, weil ein Anwalt jedenfalls bei objektiver Betrachtung mit einer solchen Rechtsansicht doch noch hätte rechnen müssen. Eine allfällige Schlechtgläubigkeit kann sich vor allem aus dem Umstand ergeben, dass die Alterspension bzw deren Anrechenbarkeit offenbar nicht Thema der früheren Verfahren war. Diese Tatsache ist daher nach den Umständen des Einzelfalls genau abzuwägen.

Astrid Deixler-Hübner

der gemeinsamer Lebensmittelpunkt sein soll; sie muss über die bloßen „Nebenerscheinungen“ einer Geschlechtsgemeinschaft hinausgehen. Durch fallweise gemeinsame Übernachtungen in unregelmäßigen Abstanden wird sie daher nicht begründet. Der Annahme eines gemeinsamen Lebensmittelpunkts steht aber nicht entgegen, dass einer der beiden Partner nicht jeden Tag in die gemeinsame Wohnung zurückkehrt, etwa weil er regelmäßig auswärtige Berufstätigkeiten verrichten muss (vgl 3 Ob 31/14a).

Für das Vorliegen einer Wirtschaftsgemeinschaft ist wesentlich, dass die Partner einander an den zur Bestreitung des Unterhalts, der Zerstreuung und der Erholung dienenden gemeinsamen Gütern teilnehmen lassen (RIS-Justiz RS0047035). Der Begriff der Wirtschaftsgemeinschaft beschränkt sich aber nicht auf diese rein materielle Seite. Vielmehr wird zudem gefordert, dass die beiden Partner Freud und Leid miteinander teilen sowie einander Beistand und Dienste leisten. Neben dem Vorliegen einer seelischen Gemeinschaft ist – mit Rücksicht auf die wirtschaftliche Bedeutung einer Ehe – allerdings ein Mindestmaß an einer wirtschaftlichen Gemeinschaft unverzichtbar (RIS-Justiz RS0047035 [T4]; RS0047130 [T5]; 3 Ob 241/13g).

Diese Grundsätze gelten auch für eine „moderne“ Lebensgemeinschaft, bei der die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Partner den Regelfall bildet.

§ 75 EheG

Definition der Lebensgemeinschaft

OGH 13. 11. 2023, 3 Ob 180/23a

iFamZ 2024/27

Bei der Beurteilung des Vorliegens einer Lebensgemeinschaft in Unterhaltsangelegenheiten bedarf es einer präzisen Abwägung von Eheähnlichkeit, Dauer, Wohn-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft. Bloß abwechselnde Wochenendbesuche erfüllen das Kriterium der Wohngemeinschaft nicht.

Das Berufungsgericht wies das Oppositionsklagebegehren des früheren Ehegatten der Beklagten im Betrag von 16.126,30 € mit Teilurteil ab. In diesem Umfang sei die Exekutionsfü?hrung der Beklagten auf Hereinbringung offener Unterhaltsansprüche betragsmäßig auch nach der eigenen Berechnung des Klägers berechtigt, weshalb die Entscheidung allein von der Frage abhänge, ob sich die Beklagte in einer Lebensgemeinschaft befindet.

Die Kriterien für das Vorliegen einer Lebensgemeinschaft sind in der Rsp des OGH geklärt. Danach wird unter einer Lebensgemeinschaft ein jederzeit lösbares familienrechtliches Verhältnis verstanden, das der Ehe nachgebildet, aber von geringerer Festigkeit ist (RIS-Justiz RS0021733 [T5]). Für das Vorliegen einer Lebensgemeinschaft spielen neben der Eheä?hnlichkeit auch eine gewisse Dauer, auf die sie eingerichtet ist (RIS-Justiz RS0047000 [T8]), und das Zusammenspiel der Elemente Wohn, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft eine Rolle, wobei anerkannt ist, dass im Sinn eines beweglichen Systems nicht stets alle drei Merkmale vorhanden sein müssen (RIS-Justiz RS0047000). Vielmehr kann das Fehlen eines Kriteriums durch das (verdichtete) Vorliegen der anderen Kriterien ausgeglichen werden (RIS-Justiz RS0047000; 3 Ob 35/20y).

Eine Wohngemeinschaft liegt grundsätzlich vor, wenn die Lebensgefährten tatsächlich in einer Wohnung leben, die ihr dauern-

Im Anlassfall leben die Beklagte und ihr Partner nicht dauerhaft gemeinsam in einer Wohnung und haben keinen gemeinsamen Lebensmittelpunkt. Die bloß abwechselnden Wochenendbesuche reichen für die Annahme eines gemeinsamen Lebensmittelpunkts nicht aus. Wirtschaftliche Verflechtungen im Sinn einer gemeinsamen Haushaltsführung (zB einkaufen und kochen) und eines gemeinsamen Wirtschaftens (zB gemeinsame Konten und gegenseitige finanzielle Unterstützungen) fehlen vollkommen. Dass die Beklagte und ihr Partner wechselseitig an gemeinsamen Gütern teilhaben, wurde ebenfalls nicht festgestellt. Gelegentliche Arbeiten oder Unterstützungsleistungen bei der Kinderbetreuung reichen für die Annahme einer Wirtschaftsgemeinschaft nicht aus.

Anmerkung

Zwar geht diese Entscheidung im Einklang mit der stRsp ebenfalls von einem beweglichen System bei der Beurteilung der Eheähnlichkeit je nach Intensität der von der Judikatur entwickelten Kriterien der Wohn-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft aus. Doch gewichten die jeweiligen Senate diese Parameter erheblich unterschiedlich. Zuweilen wird auch bei einer engeren seelischen Gemeinschaft und bei Vorliegen ausgeprägterer Elemente dieser Definitionskriterien doch keine Lebensgemeinschaft angenommen (vgl 3 Ob 35/20y, iFamZ 2020/141, 252). Es fällt auch auf, dass bei Aufhebung letztwilliger Verfügungen iSd § 725 Abs 1 ABGB in der Rsp einem weiteren Begriff der Lebensgemeinschaft das Wort geredet wird, wonach zuweilen auch eine losere Verbindung noch als solche beurteilt wird (vgl dazu etwa 2 Ob 97/22m, iFamZ 2023/36, 50; 2 Ob 173/21m, iFamZ 2022/119, 147).

Hier ist dem OGH jedenfalls uneingeschränkt zuzustimmen, wonach bei einer auf seelischer Ebene offenbar weniger starken partnerschaftlichen Verbindung nicht von einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft auszugehen ist. In casu konnte nämlich nur festgestellt werden, dass die Liebespartner abwechselnd in der jeweiligen Wohnung des Partners übernachten und somit keinen gemeinsamen Lebensmittelpunkt haben. Astrid Deixler-Hübner

Die Abgabe einer Erbantrittserklärung im elektronischen Weg

Die Corona-Pandemie hat für einen Digitalisierungsschub in der Justiz und in der Rechtspraxis gesorgt. Auch im Verlassenschaftsverfahren stellen sich zunehmend Fragen iZm den neuen elektronischen Möglichkeiten. Dieser Beitrag widmet sich der Frage, welche Aspekte bei Abgabe einer Erbantrittserklärung im elektronischen Weg zu beachten sind.

I.Grundlegendes

* Die Vornahme von Verfahrenshandlungen im elektronischen Weg stellt ein durchaus zeitgemäßes wie achtsam handzuhabendes Anliegen dar. Naturgemäß machen einschlägige Fragen auch vor dem Verlassenschaftsverfahren nicht halt. Drehund Angelpunkt ist dabei § 10 AußStrG, der unter dem Titel „Anbringen“ ua vorsieht, in welcher Form Verfahrenshandlungen gesetzt werden können.

Das Setzen von Verfahrenshandlungen im elektronischen Rechtsverkehr ist ein bereits seit Längerem institutionalisiertes Instrument und aktuell in der Verordnung der Bundesministerin für Justiz über den elektronischen Rechtsverkehr (ERV 2021), BGBl II 2021/7587, geregelt. Diese Verordnung umfasst auch das Verlassenschaftsverfahren.1 Damit gilt für Verfahrenshandlungen im Verlassenschaftsverfahren nichts anderes als sonst auch. Eine Ausnahme dieser Selbstverständlichkeit stellt prima vista die Abgabe von Erbantrittserklärungen dar, und zwar aufgrund der Bestimmung des § 159 AußStrG. Diese wirft sowohl dogmatisch als auch für den Rechtsanwender so manche Frage auf.

Der elektronische Rechtsverkehr (ERV) steht grundsätzlich jeder Person offen, allerdings unterscheidet die ERV 2021 im Wesentlichen zwischen der elektronischen Übermittlung von Eingaben, Beilagen und Erledigungen im Weg einer Übermittlungsstelle unter Nutzung einer ERV-Software, die vor allem für berufsmäßige Parteienvertreter vorgesehen wurde, und der elektronischen Übermittlung von Eingaben und Beilagen im Weg von JustizOnline, die prinzipiell jedermann nutzen kann (unter Verwendung der Bürgerkartenfunktion oder der ID Austria).

Für berufsmäßige Parteienvertreter (Rechtsanwälte und Notare) ist die Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr über eine ERV-Übermittlungsstelle verpflichtend. Für unvertretene Personen oder nicht zur Teilnahme am ERV verpflichtete Vertreter können sich aber gleichermaßen Fragen der Zulässigkeit der Abgabe einer Erbantrittserklärung stellen. Dieser Beitrag widmet sich auch diesen, wobei bereits vorab festzuhalten ist, dass die Unterschiede signifikant sind und daher eine Differenzierung in die Abgabe einer elektronischen Erbantrittserklärung durch berufliche Parteienvertreter sowie durch andere Personen angezeigt ist.

II.Abgabe durch einen beruflichen Parteienvertreter

§ 89c Abs 5 GOG legt fest, wer – nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten – zur Teilnahme am ERV verpflichtet

*Dr. Philip Gruber ist Notar in Ottenschlag. Dr. Christoph Mondel, MBL ist Notar in Klosterneuburg.

1 Die gesetzliche Grundlage für die vorstehende Verordnung bildet § 89b GOG idF BGBl I 2005/164. Das GOG wiederum gilt für die gesamte Gerichtsbarkeit, und damit auch für jene in außerstreitigen Rechtssachen.

ist. Dazu zählen insb Rechtsanwält:innen, Notar:innen, Kredit- und Finanzinstitute, Versicherungen, Sozialversicherungsträger und die Finanzprokuratur.2 Die Formulierung „nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten“ bezieht sich dabei ausschließlich auf die IT-Ausstattung im Bereich Justiz3 und gilt für die Vertreter:innen der juristischen Kernberufe, also Rechtsanwälte und Notare, bereits aus berufsrechtlicher Hinsicht eine entsprechende Ausstattungsverpflichtung, die die Beteiligung am ERV ermöglicht.4 Für Notar: innen gilt hier gar eine „doppelte Prüfpflicht“, sind sie doch in ihrer Funktion als Gerichtskommissäre auch Adressat von Verfahrenshandlungen, sei es im konventionellen (schriftlichen bzw mündlichen) oder im elektronischen Weg.5

Auf die Teilnahmeverpflichtung der anderen in § 89c Abs 5 GOG genannten Institutionen (s oben) ist im Rahmen dieses Beitrags nicht näher einzugehen, werden doch Erbantrittserklärungen nicht von diesen Institutionen, sondern nur von Rechtsanwält:innen und Notar:innen im Namen ihrer Mandant:innen abgegeben.

Als erstes Zwischenergebnis bleibt daher festzuhalten, dass

a.berufliche Parteienvertreter, die für ihre Mandanten eine Erbantrittserklärung abgeben können, nur Rechtsanwälte und Notare sind, und b.diese zur Teilnahme am ERV verpflichtet sind. Rechtsanwälte und Notare haben also Eingaben und Beilagen nach Maßgabe der ERV 2021 im Weg des ERV zu übermitteln. Die elektronische Übermittlung hat dabei unter Verwendung eines der teilnehmenden Person zugeordneten Anschriftcodes, 6 der als alphanumerische Zeichenfolge ausgestaltet ist, zu erfolgen, wobei durch geeignete technische und organisatorische Maßnahmen zu gewährleisten ist, dass die elektronische Eingabe nur von demjenigen eingebracht werden kann, der in der Eingabe als einbringende Person bezeichnet wird.7

Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen ist in einem nächsten Schritt § 159 AußStrG zu beachten, der Form und Inhalt von Erbantrittserklärungen zum Inhalt hat. Nach § 159 Abs 3 AußStrG ist die Erbantrittserklärung vom Erbansprecher oder seinem ausgewiesenen Vertreter eigenhändig zu

2 Sachverständige und Dolmetscher sind – sofern nicht im Einzelfall unzumutbar –zum Zweck der Übermittlung von Gutachten oder Übersetzungen ebenfalls zur Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr verpflichtet (§ 89c Abs 5a GOG).

3 ErlRV 981 BlgNR 24. GP 98.

4 Dies ergibt sich sowohl für Rechtsanwälte als auch Notare bereits aus den einschlägigen Standesrichtlinien; vgl dazu auch OGH 1 Ob 116/21x. Gegenausnahmen sind freilich möglich, etwa wenn aufgrund äußerer Umstände der ERV im Einzelfall nicht nutzbar ist (zB bescheinigte Serverabstürze, Festplatten-Crashes, Stromausfälle, Internetunterbrechungen).

5 Dies ist insofern zu präzisieren, als Eingaben sowohl an das Gericht als auch an den Gerichtskommissär übermittelt werden können; vgl § 144 AußStrG. Der Gerichtskommissär ist also nicht zwingend Adressat der Verfahrenshandlung, sondern es kann dies auch das Gericht sein.

6 § 8 ERV 2021.

7 § 10 Abs 3 ERV 2021.

ERBRECHT

unterschreiben. Gibt demnach ein beruflicher Parteienvertreter eine Erbantrittserklärung für seinen Mandanten per ERV ab, stellt sich die Frage, ob die elektronisch übermittelte Eingabe eine Unterschrift aufweisen muss.

Die Literatur hat sich dieser Frage – wenn auch nur in kleinem Rahmen – bereits angenommen und unterschiedlich gelöst. Nach Verweijen 8 muss eine via ERV eingebrachte Erbantrittserklärung eine eigenhändige Unterfertigung durch den Parteienvertreter aufweisen, weil § 159 Abs 3 AußStrG als Spezialnorm zur ERV 2021 zu qualifizieren sei. Nach Schilchegger/Kieber.9 und Fucik/Mondel.10 bedarf eine mittels ERV eingebrachte Erbantrittserklärung hingegen keiner weiteren Unterfertigung durch den Parteienvertreter. Angesichts dieses Widerspruchs in den Gesetzesstellen und der darauf basierenden unterschiedlichen Beurteilung in der Lehre bedarf es einer genaueren Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen der ERV 2021 und § 159 AußStrG, wobei mehrere Aspekte zu beachten sind:

Mit der Einführung des § 159 Abs 3 durch das AußStrG 2003 wollte der Gesetzgeber zweierlei zum Ausdruck bringen: Einerseits wurde der Anwendungsbereich der Abgabe einer Erbantrittserklärung gegenüber dem Außerstreitpatent 1854 insofern erweitert,11 als es nicht (mehr) zwingend eines (gerichtlichen oder notariellen) Protokolls bedarf.12 Andererseits war sich der Gesetzgeber der weitreichenden Rechtsfolgen einer (insb unbedingten) Erbantrittserklärung bewusst, sodass er für diese die Schriftform vorsah.13 Damit liegt uE auch auf der Hand, dass mit § 159 Abs 3 keine Spezialnorm im Vergleich zu anderen schriftlichen Eingaben an das Gericht, die ebenfalls eine eigenhändige Unterschrift aufweisen müssen,14 geschaffen wurde.

Auch der im Vergleich zu anderen schriftlichen Eingaben gleichlaufende Formzweck spricht dagegen, dass es sich bei § 159 Abs 3 AußStrG im Hinblick auf die Notwendigkeit der eigenhändigen Unterschrift um eine Spezialnorm handelt. Dieser Formzweck besteht in der Klarstellung, dass die Einbringung des Schriftsatzes und dessen Inhalt dem Willen der Partei entsprechen.15

Als Argument für den Vorrang des § 159 Abs 3 AußStrG gegenüber der ERV 2021 könnte weiters ins Treffen geführt werden, dass die ERV 2021 als Verordnung keine gesetzlichen Bestimmungen aushebeln könne. Dies ist allerdings nur oberflächlich betrachtet und gilt aus folgendem Grund nicht: § 89c Abs 1 GOG ordnet an, dass für Eingaben im elektronischen Rechtsverkehr die Bestimmungen über den Inhalt schriftlicher Eingaben gelten und alle ERV-Eingaben die Rechtswirkungen der Schriftlichkeit iSd § 886 ABGB entfalten. Gem § 89c Abs 2 GOG sind Eingaben im ERV (nur dann) mit einer geeigneten elektronischen Signatur zu unterschreiben, soweit dies in der Verordnung über den elektronischen Rechts-

8 Verweijen in Schneider/Verweijen, AußStrG, § 159 Rz 12.

9 Schilchegger/Kieber, Verlassenschaftsverfahren2 (2015) 110.

10 Fucik/Mondel, Verlassenschaftsverfahren3 (2023) Rz 282.

11 S dazu § 116 AußStrG 1854, der nicht in das AußStrG 2003 übernommen wurde.

12 Vgl Sailer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2, § 159 Rz 4. Freilich ist die Abgabe der Erbantrittserklärung nach wie vor auch in einem Protokoll des Gerichtskommissärs möglich; diesfalls muss das Protokoll allerdings vom erbantrittserklärten Erben unterschrieben werden.

13 ErlRV 224 BlgNR 22. GP 103.

14 Vgl zB Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka, AußStrG3, § 10 Rz 4.

15 RIS-Justiz RS0035753.

verkehr nach § 89b Abs 2 GOG (derzeit: ERV 2021) angeordnet ist. Die ERV 2021 enthält jedoch keine Anordnungen zum Erfordernis einer geeigneten elektronischen Signatur auf (bestimmten) Eingaben von Parteienvertretern, vielmehr spezifiziert sie in diesem Zusammenhang bloß eine gesetzliche Ermächtigung.

Nach stRsp bedürfen schriftliche Anbringen (Anträge, Erklärungen, Mitteilungen) an das Gericht im Weg des ERV keiner eigenhändigen Unterschrift des Parteienvertreters, weil durch den Anschriftcode (§ 8 ERV 2021) und eine dem § 10 Abs 3 ERV 2021 entsprechende Sicherung gewährleistet ist, dass die Eingabe nur von demjenigen elektronisch eingebracht werden kann, der in der Eingabe als Einbringer bezeichnet wird.16 Da § 159 Abs 3 AußStrG in diesem Zusammenhang – wie gezeigt – keine Spezialnorm darstellt, gilt dies auch für die Abgabe einer Erbantrittserklärung via ERV. Bringt daher ein berufsmäßiger Parteienvertreter eine Erbantrittserklärung für seinen Mandanten mittels ERV – unter Einhaltung der Bestimmungen der ERV 2021 – ein, bedarf die Eingabe keiner weiteren Unterfertigung durch den Parteienvertreter

III.Abgabe durch eine unvertretene Partei

Bei einer unvertretenen Partei stellt sich zunächst die Frage, wie diese eine Erbantrittserklärung im elektronischen Weg ordnungsgemäß übermitteln kann. Denn die elektronische Übermittlung im Weg einer Übermittlungsstelle unter Nutzung einer ERV-Software wird ihr mangels entsprechender technischer Ausstattung regelmäßig nicht zur Verfügung stehen. Es kommt daher prima vista die Übermittlung einer Erbantrittserklärung im Weg eines E-Mails in Betracht. Dabei ist in einem ersten Schritt die vollkommen übereinstimmende Ansicht festzustellen, wonach E-Mails keine zulässige Form des ERV darstellen.17 Eine Nuancierung ist hier allerdings zu beachten: Der OGH differenziert hinsichtlich der Beachtlichkeit eines per E-Mail übersendeten Schriftsatzes im Verlassenschaftsverfahren, ob das E-Mail an den Richter/Rechtspfleger oder an den Gerichtskommissär übermittelt wurde. Während Anbringen per E-Mail an das Gericht nicht als fristwahrend angesehen werden, sind E-Mails an den Gerichtskommissär dann fristwahrend und damit verbesserungsfähig, wenn dieser zu erkennen gegeben hat, E-Mails entgegenzunehmen.18 Wenn damit auch eine E-MailEingabe nicht in jedem Fall unbeachtlich ist, stellt sie dennoch und jedenfalls keine zulässige Übermittlungsart für eine elektronische Erbantrittserklärung dar. Damit verbleibt – als in der Praxis derzeit einzige Möglichkeit – eine Übermittlung im Weg von JustizOnline. Gem § 5 Abs 1 ERV 2021 hat die elektronische Übermittlung von Eingaben und Beilagen im Wege von JustizOnline (https://justizonline.gv.at) nach

16 OGH 6 Ob 3/09y; 2 Ob 212/09d; 7 Ob 244/13b; 2 Ob 133/16x; RIS-Justiz RS0125146.

17 Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka, AußStrG3, § 10 Rz 4 mwN. S auch § 6 ERV 2021: „Die elektronische Übermittlung von Eingaben und Beilagen im Wege von E-Mails ist nur dann eine zulässige Form der elektronischen Übermittlung im Sinne dieser Verordnung, wenn dieser Übermittlungsweg an Gerichte, Staatsanwaltschaften oder Justizanstalten durch besondere gesetzliche Regelungen oder im Verordnungsweg ausdrücklich angeordnet wird.“

18 OGH 2 Ob 212/16i, iFamZ 2017/100, 215 [krit Mondel]. S zur Thematik auch Mondel, Anbringen im Verlassenschaftsverfahren per E-Mail, iFamZ 2014, 309.

Maßgabe der technischen Möglichkeiten unter Verwendung der Bürgerkartenfunktion (Handysignatur oder Chipkarte) oder nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten anhand des Elektronischen Identitätsnachweises (E-ID) iSd §§ 4 ff E-GovG zu erfolgen.

Da einer unvertretenen Partei grundsätzlich kein Anschriftcode iSd § 8 ERV 2021 zur Verfügung steht, muss die digitale Erbantrittserklärung jedenfalls mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sein. Gem Art 25 Abs 2 eIDAS-VO hat eine qualifizierte elektronische Signatur die gleiche Rechtswirkung wie eine handschriftliche Unterschrift (s auch § 4 Abs 1 SVG, wonach eine qualifizierte elektronische Signatur das rechtliche Erfordernis der Schriftlichkeit iSd § 886 ABGB erfüllt). Eine qualifizierte elektronische Signatur erfüllt damit das Erfordernis einer eigenhändigen Unterschrift iSd § 159 Abs 3 AußStrG.

Fraglich ist schließlich, ob bei einer Erbantrittserklärung eine Willenserklärung des Erbrechts iSd § 4 Abs 2 SVG vorliegt.19 Während die Lehre der Erbantrittserklärung überwiegend auch materiell-rechtliche Wirkung zubilligt, qualifiziert die jüngere Rsp eine Erbantrittserklärung als reine Prozesshandlung.20 Hintergrund dieser Rsp ist, dass der OGH die Anfechtung einer Erbantrittserklärung wegen Willensmängeln ablehnt. UE ist diese Rsp jedoch nicht unmittelbar auf die Frage, ob eine Willenserklärung des Erbrechts iSd § 4 Abs 2 SVG vorliegt, zu übertragen. Vielmehr ist auf den kon-

19 § 4 Abs 2 SVG lautet: „Letztwillige Verfügungen können in elektronischer Form nicht wirksam errichtet werden. Folgende Willenserklärungen können nur dann in elektronischer Form wirksam abgefasst werden, wenn das Dokument über die Erklärung die Bestätigung eines Notars oder eines Rechtsanwalts enthält, dass er den Signator über die Rechtsfolgen seiner Signatur aufgeklärt hat: 1. Willenserklärungen des Familien- und Erbrechts, die an die Schriftform oder ein strengeres Formerfordernis gebunden sind; 2. eine Bürgschaftserklärung (§ 1346 Abs. 2 ABGB), die von Personen außerhalb ihrer gewerblichen, geschäftlichen oder beruflichen Tätigkeit abgegeben wird.“

20 Sailer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2, § 159 Rz 5; Welser, Erbrechts-Kommentar, §§ 799 und 800 Rz 24, jeweils mwN.

RECHTSPRECHUNG Erbrecht

§ 603 ABGB; § 956 ABGB aF; § 9 AnerbenG iFamZ 2024/28

Keine Anwendung des Anerbengesetzes bei Schenkung auf den Todesfall

OGH 19. 9. 2023, 2 Ob 107/23h

Auf Grundlage der durch das ErbRÄG 2015 eingeführten „Vertragslösung“ führt das Bestehen einer einen Erbhof betreffenden Schenkung auf den Todesfall nicht zur Anwendung des AnerbenG im Verlassenschaftsverfahren selbst.

§ 812 ABGB; § 167 AußStrG

Keine Absonderung der Verlassenschaft ohne objektive Gefährdung

OGH 19. 9. 2023, 2 Ob 133/23g

kreten Zweck der Bestimmung abzustellen. Die besonderen Formerfordernisse des § 4 Abs 2 SVG werden vom Gesetzgeber damit gerechtfertigt, dass Willenserklärungen des Familien- und Erbrechts besonders sensibel sind und häufig vermögensrechtliche Belange besonders schutzbedürftiger Personen betreffen.21

Darüber hinaus verweisen die Mat darauf, dass gerade im Bereich des Familien- und Erbrechts eine größere Missbrauchsgefahr durch die Weitergabe oder das Ausspähen von Autorisierungscodes (zB PIN-Code) besteht.22 Vor diesem Hintergrund handelt es sich uE bei einer Erbantrittserklärung um eine Willenserklärung des Erbrechts iSd § 4 Abs 2 SVG. Eine Erbantrittserklärung kann von einer unvertretenen Partei daher nur dann in elektronischer Form wirksam abgefasst werden, wenn das Dokument über die Erklärung gem § 4 Abs 2 SVG auch die Bestätigung eines Notars oder eines Rechtsanwalts enthält, dass er den Signator über die Rechtsfolgen seiner Signatur aufgeklärt hat.

IV.Fazit

Die Abgabe einer Erbantrittserklärung im elektronischen Weg ist grundsätzlich sowohl für berufsmäßige Parteienvertreter als auch für unvertretene Erbansprecher möglich. Berufsmäßige Parteienvertreter können sich des ERV bedienen, ohne zusätzlich die Beschränkung des § 159 Abs 3 AußStrG beachten zu müssen. Unvertretene bzw nicht berufsmäßig vertretene Personen können eine solche Verfahrenshandlung hingegen nur unter Beachtung besonderer formaler Vorkehrungen vornehmen.

21 ErlRV 1145 BlgNR 25. GP 4 f.

22 ErlRV 1145 BlgNR 25. GP 4 f.

reicht die rein subjektive Besorgnis des Erbschaftsgläubigers für die Absonderung der Verlassenschaft nicht mehr aus. Es ist nicht Aufgabe des Gerichtskommissärs, sich über Einwendungen eines Beteiligten für an sich unbedenklich erachtete Forderungsanmeldungen weitere Beweise vorlegen zu lassen, zumal dies in der Regel ohne weitläufige Erhebungen nicht möglich ist. Auch eine bestrittene Forderung kann in das Inventar aufgenommen werden, wenn sie ausreichend bescheinigt ist.

(…) 2.1. Absonderung

iFamZ 2024/29

Ob für die Nachlassabsonderung nach § 812 ABGB im jeweils zu beurteilenden Fall konkrete Umstände behauptet wurden, die eine objektive Gefährdung der Forderung des Gläubigers begründen können, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Nach neuer Rechtslage (§ 812 ABGB idF des ErbRÄG 2015)

[3] 2.1.1. Ob für die Nachlassabsonderung nach § 812 ABGB (idF des ErbRÄG 2015) im jeweils zu beurteilenden Fall konkrete Umstände behauptet wurden, die eine objektive Gefährdung der Forderung des Gläubigers begründen können, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Ihrer Beurteilung kommt daher keine darüber hinausgehende Bedeutung zu (2 Ob174/19f, Pkt 1.2. mwN).

[4] 2.1.2. Wie schon das Rekursgericht ausführte, hat die Revisionsrekurswerberin ihren Separationsantrag mit der Ankündigung der Testamentserbin begründet, die nachlasszugehörige Liegenschaft verkaufen zu wollen bzw zu müssen, um den Pflichtteilsanspruch der Revisionsrekurswerberin begleichen zu können. Damit behauptet sie aber keine Gefährdung ihres Pflichtteilsanspruchs.

Patrick Schweda

ERBRECHT

Dazu hätte es vielmehr weitergehender Behauptungen bedurft, etwa dahingehend, die Testamentserbin beabsichtige, den Erlös aus dem Verkauf der Liegenschaft für andere Zwecke als zur Befriedigung der Pflichtteilsforderung zu verwenden. Die Beurteilung des Rekursgerichts, die Behauptungen der Antragstellerin reichten für eine Nachlassabsonderung nicht aus, ist somit nicht korrekturbedürftig, weshalb insoweit keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG vorliegt.

[5] 2.1.3. Aus der Entscheidung 1 Ob 586/92 ist für die Revisionsrekurswerberin nichts zu gewinnen. Diese noch zur alten Rechtslage (§ 812 ABGB aF, wonach die subjektive Besorgnis des Erbschaftsgläubigers ausreichte, vgl RIS-Justiz RS0013068, RS0013069) ergangene Entscheidung bejahte im Einzelfall die (bloß) subjektive Besorgnis der Pflichtteilsberechtigten, die aber nach dem hier anzuwendenden § 812 ABGB idF des ErbRÄG 2015 für die Nachlassabsonderung nicht mehr ausreicht (2 Ob 174/19f, Pkt 1.1.; Schweda in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang, ABGB3, § 812 Rz 26). Eine Veräußerungsabsicht zu anderen Zwecken als der Pflichtteilsbefriedigung steht hier nicht fest und wurde auch nicht behauptet.

[6] 2.1.4. Auf die Rüge sekundärer Feststellungsmängel zur objektiven Gefährdung muss nicht eingegangen werden, weil es schon an hinreichenden Behauptungen mangelt (vgl 2.1.2.).

[7] 2.1.5. Auch die Behauptung der Rechtsmittelwerberin, die Erbin habe in der von ihr angebotenen Frist die Zahlung des (halben) Pflichtteilsanspruchs nicht geleistet, begründet nicht zwingend eine objektive Gefährdung, kann sich doch der geplante Verkauf der Liegenschaft und somit die für die Leistung des Pflichtteilsanspruchs notwendige Erlangung des Kaufpreises aus verschiedenen Gründen verzögert haben.

2.2. Ausscheidung einer Forderung aus dem Inventar [8] Kann der Gerichtskommissär Rechtsgrund, Höhe und Fälligkeit einer Forderung unschwer feststellen, hat er diese in das Inventar als Passivum aufzunehmen. Es ist jedoch nicht Aufgabe des Gerichtskommissärs, sich über Einwendungen eines Beteiligten für an sich unbedenklich erachtete Forderungsanmeldungen weitere Beweise vorlegen zu lassen, zumal dies in der Regel ohne weitläufige Erhebungen nicht möglich ist. Auch eine bestrittene Forderung kann in das Inventar aufgenommen werden, wenn sie ausreichend bescheinigt ist (Spruzina in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG2, § 167 Rz 12).

[9] Wenn hier der Gerichtskommissär eine (relativ geringfügige) Forderung aufgrund einer Forderungsanmeldung als Passivum in das Inventar aufnimmt, bestehen dagegen im vorliegenden Einzelfall keine Bedenken. (…)

§§ 152, 157 AußStrG

Amtshaftung wegen unterbliebener Beiziehung gesetzlicher Erben

iFamZ 2024/30

aufgrund einer solchen Einantwortung stehen daher im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit der Verletzung dieser Pflichten.

[1] Der im Jahr 1940 in Südtirol geborene N. (Verstorbener) wurde ab 8. 9. 2015 in seiner (im Inland gelegenen) Wohnung von einer Pflegerin gepflegt. Vom 26. 11. 2015 bis 22. 12. 2015 war er auf Rehabilitation, vom 30. 3. 2016 bis 27. 4. 2016 stationär im Krankenhaus. Er verstarb am 27. 4. 2016 ledig und kinderlos; seine Eltern und Großeltern waren vorverstorben.

[2] Das Verlassenschaftsgericht bestellte den auf Beklagtenseite beigetretenen Nebenintervenienten zum Gerichtskommissär. Am 29. 4. 2016 wurde die Pflegerin in dessen Kanzlei vorstellig und übergab an den Notarsubstituten die Schlüssel des Verstorbenen sowie ein verschlossenes Kuvert mit der Aufschrift „Verschlossen an Fr. S. am 25. März zur Verwahrung übergeben“. Das Kuvert wurde vom Notarsubstituten im Beisein der Pflegerin geöffnet. Es enthielt nachfolgendes, vom Verstorbenen handschriftlich erstelltes und unterfertigtes, Schreiben:

„I., 9. 2. 2016

Mein freier Wille

Ich N., bestimme hiermit im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte

* S.

* [= Pflegerin] zu meiner alleinig Begünstigten.

Diese Verfügung soll den Zweck der Betreuungen in der eigenen Wohnung erfüllen und nach dem Ermessen von Frau S. angewendet werden.

* N.“

[3] Mit Schreiben vom 11. 5. 2016 gab E., ein Cousin zweiten Grads des Verstorbenen, dem Gerichtskommissär die Namen zweier Cousins und einer Cousine ersten Grades des Verstorbenen mit deren jeweiliger Adresse in Italien bekannt, und zwar den Erstkläger und dessen Bruder sowie die Zweitklägerin (deren Schwester). Diese drei Personen wurden in der Todesfallaufnahme und im Abhandlungsprotokoll auch als gesetzliche Erben angeführt. Nicht genannt war der vormalige Drittkläger (ein inzwischen ebenfalls verstorbener Neffe zweiten Grads des Erblassers), dessen Rechtsnachfolger die aktuelle Drittklägerin und der Viertkläger sind.

[4] Der Notarsubstitut interpretierte die handschriftlich verfasste Verfügung vom 9. 2. 2016 als letztwillige Anordnung des Verstorbenen und legte diese der Abhandlung zu Grunde. Er hielt am 2. 6. 2016 Rücksprache mit dem Gerichtskommissär, der die Einschätzung, dass es sich um ein formgültiges und unbedenkliches Testament handle, teilte.

[5] Die Kläger wurden vom Gerichtskommissär zur Abhandlung am 2. 6. 2016 nicht geladen. Die Pflegerin gab zum gesamten Nachlass eine unbedingte Erbantrittserklärung zu Protokoll, und erstattete eine Vermögenserklärung, nach der ein reiner Nachlass von 1.516.507,17 € ausgewiesen war.

[6] Der Gerichtskommissär beantragte sodann beim Verlassenschaftsgericht, die Verlassenschaft nach dem am 27. 4. 2016 Verstorbenen der Pflegerin als Erbin aufgrund des Testaments vom 9. 2. 2016 einzuantworten.

[7] Der Erstkläger sowie dessen Bruder und die Zweitklägerin erhielten am 13. 6. 2016 eine vom Gerichtskommissär übersandte Kopie des von ihm als formgültig und unbedenklich eingestuften „Testaments“ des Erblassers vom 9. 2. 2016 samt Übernahmeprotokoll vom 29. 4. 2016. Der Notarsubstitut wartete die nachweisliche Zustellung an die gesetzlichen Erben nicht ab.

OGH 20. 9. 2023, 1 Ob 102/23s

Ist ein im Verlassenschaftsverfahren aktenkundiges Testament nicht unbedenklich, sind auch die gesetzlichen Erben nach § 157 Abs 1 AußStrG zur Abgabe einer Erbantrittserklärung aufzufordern.

Die Verpflichtung zur Übermittlung der unbeglaubigten Abschrift einer aktenkundigen letztwilligen Anordnung an die gesetzlichen Erben (§ 152 Abs 2 AußStrG) und die Verpflichtung, die nach der Aktenlage als Erben in Betracht kommenden Personen zur Abgabe einer Erbantrittserklärung aufzufordern (§ 157 AußStrG), dienen der Wahrung des rechtlichen Gehörs möglicher Erben im Verlassenschaftsverfahren und damit der Verhinderung einer materiell falschen Einantwortung. Schäden

[8] Am 14. 6. 2016 suchte der Erstkläger den auf Klagsseite beigetretenen Nebenintervenienten, einen österreichischen Rechtsanwalt, auf und unterfertigte eine Vollmacht. Noch am 14. 6. 2016 ersuchte dieser den Notarsubstituten zunächst telefonisch und dann um 12:10 Uhr mit E Mail (unter Anschluss einer Vollmachtskopie) um Übermittlung einer Abschrift des Verlassenschaftsakts. Das verwehrte ihm der Notarsubstitut am 15. 6. 2016 mit der Begründung, dass der Erstkläger keine Parteistellung im Verlassenschaftsverfahren habe und der Akt noch am gleichen Tag dem Verlassenschaftsgericht überreicht werde. Daraufhin versuchte der Nebenintervenient auf Klagsseite am Abend des 15. 6. 2016 und am 16. 6. 2016 mehrfach erfolglos, den Verlassenschaftsrichter telefonisch zu erreichen, was ihm erst am 17. 6. 2016 gelang, als der Einantwortungsbeschluss bereits erlassen war.

[9] Am 15. 6. 2016 wurde der Verlassenschaftsakt vom Gerichtskommissär dem Verlassenschaftsgericht zur Einantwortung vorgelegt. Am 16. 6. 2016 erließ der zuständige Verlassenschaftsrichter den Einantwortungsbeschluss, der aufgrund des Rechtsmittelverzichts der eingeantworteten Alleinerbin (Pflegerin) sofort in Rechtskraft erwuchs.

[10] Die gesetzlichen Erben wurden weder durch den Gerichtskommissär noch durch den Verlassenschaftsrichter gem § 157 AußStrG belehrt oder verständigt.

[11] Gegen den Einantwortungsbeschluss erhoben der Erstkläger, dessen Bruder und die Zweitklägerin sowie der Cousin zweiten Grads des Verstorbenen, alle nunmehr vertreten durch den Nebenintervenienten auf

Klagsseite, Rekurs. Das LG Innsbruck wies diesen Rekurs mit Beschluss vom 29. 7. 2016 mangels Rechtsmittellegitimation der Rekurswerber zurück. Dagegen wurde kein außerordentlicher Revisionsrekurs erhoben.

[12] Nach umfangreichen Nachforschungen zu den gesetzlichen Erben des Verstorbenen in Südtirol brachten der Erstkläger, dessen Bruder, die Zweitklägerin und der vormalige (mittlerweile verstorbene) Drittkläger am 9. 2. 2017 eine Erbschaftsklage gegen die Pflegerin sowie einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ein. Die einstweilige Verfügung wurde in Ansehung eines Wertpapierdepots samt Verrechnungskonto erlassen, auf das die Pflegerin Vermögenswerte des Verstorbenen transferiert hatte. Der Erbschaftsklage wurde rechtskräftig stattgegeben und die Pflegerin zur Zahlung von insgesamt 1.516.507,17 € sA verurteilt, weil ihr der Nachweis eines Testierwillens des Erblassers in der Verfügung vom 9. 2. 2016 nicht gelang. Bis auf einen Betrag von 660.265,28 €, der aus einer Pfändung des Wertpapierdepots samt Verrechnungskonto realisiert werden konnte, erwiesen sich die Forderungen der gesetzlichen Erben gegen die Pflegerin als uneinbringlich.

[13] Der Bruder des Erstklägers trat diesem am 1. 9. 2019 die ihm gegenüber der Pflegerin rechtskräftig zugesprochene Forderung verbunden mit dem Recht ab, Schadenersatzansprüche, insb auch gegenüber der Republik Österreich aus dem Titel der Amtshaftung, hinsichtlich der bei der Pflegerin uneinbringlichen Beträge geltend zu machen. Der Erstkläger nahm diese Abtretung an.

[14] Der Höhe nach außer Streit stehen den Klägern in den bisherigen Verfahren entstandene Verfahrenskosten von 100.873,23 €.

[15] Die Kläger begehren aus dem Titel der Amtshaftung die Zahlung von insgesamt 957.115,13 € sA. Das Vorgehen des Gerichtskommissärs, der auch für das Handeln seines Notarsubstituten verantwortlich sei, sei unvertretbar gewesen und führe zur Haftung der Beklagten. Die Vorschriften des § 157 AußStrG, bei denen es sich um ein Schutzgesetz handle, seien gröblich missachtet worden, indem der Gerichtskommissär die ihm bereits vor der Todesfallaufnahme bekanntgegebenen Gesetzeserben nicht gesetzmäßig aufgefordert und verständigt und ihnen sogar die Akteneinsicht und Parteistellung aberkannt habe. Somit sei den gesetzlichen Erben jede Möglichkeit genommen worden, eine Erbantrittserklärung abzugeben. Überdies hätte der Gerichtskommissär erkennen müssen, dass es sich bei der Verfügung vom 9. 2. 2016 nicht um ein Testament, sondern vielmehr um eine Verfügung unter Lebenden mit bestimmtem Widmungszweck gehandelt habe. Er habe die Verfügung ungeprüft und in rechtlicher Fehlinterpretation als Testament gewertet. Hätte er gesetzmäßig gehandelt, wäre der gesamte Reinnachlass nicht an die Pflegerin gegangen. Zudem hätte er erkennen müssen, dass es der Pflegerin bereits aus gesetzlichen Gründen aufgrund der Verordnungsermächtigung des § 69 GewO in Verbindung mit der Verordnung über Standes- und Ausübungsregeln für Leistungen der Personenbetreuung verwehrt gewesen wäre, die Verlassenschaft anzunehmen. Der Pflegerin hätte der Nachlass nach dem Verstorbenen nicht eingeantwortet werden dürfen. Diese Vorwürfe seien auch dem Verlassenschaftsrichter zu machen.

[16] Wäre der Gerichtskommissär den gesetzlichen Verpflichtungen nachgekommen, so hätten die zu diesem Zeitpunkt bekannten Erben eine Erbantrittserklärung abgegeben. Nachdem auch die Pflegerin eine Erbantrittserklärung abgegeben habe, wären widerstreitende Erbantrittserklärungen vorgelegen, sodass der Gerichtskommissär verpflichtet gewesen wäre, den Akt dem Verlassenschaftsgericht zur Entscheidung nach §§ 161 ff AußStrG vorzulegen. Diesfalls wäre keine Einantwortung an die Pflegerin erfolgt und wäre insbesondere auch der vormalige Drittkläger als Erbschaftskläger aufgetreten. Nach § 158 Abs 1 AußStrG hätte der Gerichtskommissär über die bereits bekannten Gesetzeserben hinaus eine Frist einräumen müssen, innerhalb welcher die weiteren gesetzlichen Erben bekannt gegeben worden wären, dies entsprechend dem Verfahrensablauf in der vorliegenden Erbschaftsklage. Jedenfalls hätte das Verlassenschaftsgericht nach Vorliegen der Erbantrittserklärungen der vier bekannten Gesetzeserben keine Einantwortung vorgenommen, sondern das Verfahren auf Feststellung des Erbrechts eingeleitet. (…)

[18] Eine Verletzung der Rettungspflicht nach § 2 Abs 2 AHG oder der Schadensminderungspflicht liege nicht vor.

[19] Der Nebenintervenient auf Klagsseite verwies insb darauf, dass den Klägern schon mangels Kenntnis, ob der Verstorbene über ein Vermögen oder nur über Verbindlichkeiten verfügt habe, die Abgabe einer unbedingten oder – mit der kostenpflichtigen Errichtung eines Inventars verbundenen – bedingten Erbserklärung noch am 15. oder 16. 6. 2016 nicht zumutbar gewesen sei.

[20] Die Beklagte und der Nebenintervenient auf Seiten der Beklagten bestritten. Die Amtshaftungsansprüche der Kläger würden schon mangels unvertretbaren Handelns des Gerichtskommissärs bzw dessen Substituten

und des Verlassenschaftsrichters ausscheiden. Es sei insb vertretbar gewesen, allein aufgrund des Wortlauts der Erklärung vom 9. 2. 2016 von deren Unbedenklichkeit auszugehen und daher nicht nach § 157 AußStrG die gesetzlichen Erben zu verständigen. Es sei auch durchaus lebensnah, dass eine letztwillige Verfügung errichtet werde, um künftige Pflegeleistungen sicherzustellen. Ein allfälliger Verstoß gegen § 69 GewO ziehe keine von Amts wegen aufzugreifende Erbunwürdigkeit nach sich. Weiters stehe den Amtshaftungsansprüchen die Verletzung der Rettungspflicht gem § 2 Abs 2 AHG bzw die Verletzung der Schadensminderungspflicht sowie ein Mitverschulden entgegen. Zur Wahrung der Rechte der von ihm im Verlassenschaftsverfahren Vertretenen hätte der Nebenintervenient auf Klagsseite noch am 15. 6. 2016 oder spätestens am Vormittag des 16. 6. 2016 eine Erbantrittserklärung für die von ihm vertretenen gesetzlichen Erben abgeben können und müssen, nachdem er habe erkennen müssen, dass die Erlassung des Einantwortungsbeschlusses kurz bevorstehe. Außerdem hätten die Kläger einen außerordentlichen Revisionsrekurs gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 29. 7. 2016 erheben müssen, der jedenfalls abstrakt geeignet gewesen wäre, den Schaden abzuwenden.

[21] Der Nebenintervenient auf Seiten der Beklagten verwies insb auch darauf, dass der vormalige Drittkläger im Verlassenschaftsverfahren nicht bekannt gewesen sei und daher jedenfalls nicht hätte verständigt werden müssen.

[22] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. (…)

[25] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger nicht Folge und ließ die ordentliche Revision zu. (…)

[29] Die – von der Beklagten und dem Nebenintervenienten auf Beklagtenseite beantwortete – Revision der Kläger ist zur Klarstellung zulässig. Sie ist teilweise auch berechtigt. (…)

[33] 2. Im Amtshaftungsprozess ist nicht zu prüfen, ob ein bestimmtes behördliches Verhalten richtig war, sondern nur, ob es auf einer vertretbaren Gesetzesauslegung bzw Rechtsanwendung beruhte (RIS-Justiz RS0049955 [T2, T22]). Eine vertretbare Auffassung stellt auch kein leichtes Verschulden bzw Versehen dar (RIS-Justiz RS0050216; RS0049955 [T23]). Das Abweichen von einer klaren Rechtslage oder ständigen höchstgerichtlichen Rsp, das nicht erkennen lässt, dass es auf einer sorgfältigen Überlegung beruht, ist allerdings in der Regel unvertretbar (RIS-Justiz RS0049969; RS0049912; RS0049955 [T14]; RS0049951 [T4]).

[34] Die Frage nach der Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig und bildet nur dann eine erhebliche Rechtsfrage, wenn eine im Interesse der Rechtssicherheit korrekturbedürftige Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen vorliegt (RIS-Justiz RS0110837; RS0044088).

[35] 3. Das ist hier der Fall, weil den Organen der Beklagten entgegen der Ansicht der Vorinstanzen eine rechtswidrige und schuldhafte Verletzung von Vorschriften des Verlassenschaftsverfahrens zur Last zu legen ist.

3.1. Zum Verstoß gegen § 157 Abs 1 AußStrG

[36] 3.1.1. § 75 AußStrG idF RGBl 1854/208, die bis zur Einführung des AußStrG 2003, BGBl I 2003/111, in Geltung stehende Vorgängerbestimmung des § 157 AußStrG, lautete:

„Außer den angeführten Fällen (§§ 72–74) hat das Gericht die vermuthlichen Erben auf die in den §§ 115 und 116 festgesetzten Weise von dem Erbanfalle mit der Aufforderung zu verständigen, die Erbserklärung beizubringen, damit die Erbverhandlung gepflogen werden könne.

Als vermuthliche Erben sind, je nachdem die gesetzliche, oder die testamentarische, oder die vertragsmäßige Erbfolge Statt hat, diejenigen anzusehen, welche zu der einen oder anderen berufen sind.“

[37] Nach stRsp des OGH waren bei der testamentarischen Erbfolge etwaige gesetzliche Erben des Verstorbenen nicht als vermutliche Erben im Sinne dieser Bestimmung zu betrachten und daher auch nicht von Amts wegen der Abhandlung beizuziehen, solange ein „mit allen gesetzlichen Förmlichkeiten versehenes unbedenkliches Testament“ vorlag (so schon 2 Ob 210/34, SZ 16/58; 8 Ob 251/67, SZ 40/135; 5 Ob 243/70, SZ 43/179). Bei dieser Prüfung war entsprechend dem Zweck des § 75 AußStrG aF als Schutzbestim-

ERBRECHT

mung zugunsten der potenziellen Erben ein strenger Maßstab anzulegen. Bei Zweifeln, ob die letztwillige Verfügung in unbedenklicher Weise als Testament angesehen werden konnte, waren auch die gesetzlichen Erben vom Erbanfall mit der Aufforderung zu verständigen, die Erbserklärung beizubringen, damit die Erbverhandlung gepflogen werden könne (7 Ob 544/87 [7 Ob 545/87]; RIS-Justiz RS0007679; RS0007686).

[38] So erachtete der OGH etwa ein mündliches Testament als nicht unbedenklich, weil bei einem Zeugen zumindest Zweifel berechtigt waren, ob er das Bewusstsein hatte, Testamentszeuge zu sein (8 Ob 251/67, SZ 40/135). Zu 3 Ob 619/76 (NZ 1978, 174), 7 Ob 544/87 (7 Ob 545/87) und 9 Ob 88/04p sah der OGH es jeweils als zweifelhaft an, ob die letztwillige Verfügung des Erblassers als Testament oder Kodizill auszulegen war.

[39] 3.1.2. § 157 Abs 1 AußStrG lautet nunmehr:

„Der Gerichtskommissär hat die nach der Aktenlage als Erben in Frage kommenden Personen nachweislich aufzufordern, zu erklären, ob und wie sie die Erbschaft antreten oder ob sie diese ausschlagen wollen. Die Aufforderung hat einen Hinweis auf die Rechtsfolgen des Abs 3 und – soweit diese Personen nicht von einem Rechtsanwalt oder Notar vertreten sind – eine Belehrung über die Rechtsfolgen der Abgabe der unbedingten und bedingten Erbantrittserklärung sowie über die Möglichkeit der Antragstellung nach § 184 Abs 3 zu enthalten.“

[40] In der Entscheidung 7 Ob 48/08x setzte der OGH, wenngleich ohne weitere Begründung, die gem § 157 Abs 1 AußStrG „nach der Aktenlage als Erben in Frage kommenden Personen“ mit den „vermutlichen Erben“ iSd § 75 AußStrG aF gleich.

[41] Demgegenüber wurde die Ansicht der Kläger, die nach der Aktenlage als Erben in Frage kommenden Personen iSd § 157 Abs 1 AußStrG gingen über den Kreis der vermutlichen Erben hinaus, neben den Testamentserben wären auf jeden Fall auch alle aus der Todesfallaufnahme bekannten gesetzlichen Erben als potenzielle Erben zu einer Erbantrittserklärung aufzufordern, in der höchstgerichtlichen Rsp so noch nicht vertreten (offenlassend etwa 2 Ob 21/22k, Rz 5).

[42] Diese Frage wurde vom Gerichtskommissär und dem Verlassenschaftsrichter schon aus diesem Grund jedenfalls nicht unvertretbar gelöst (vgl zu den [zumindest scheinbar] divergierenden Meinungen in der Literatur: Sailer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG, § 157 Rz 1 FN 2; Verweijen, Handbuch Verlassenschaftsverfahren [2014] 125; s aber auch Verweijen in Schneider/Verweijen, AußStrG, § 157 Rz 3 unter Hinweis auf Schilchegger/Kieber, Verlassenschaftsverfahren2 [2015] 103).

[43] 3.1.3. Allerdings hätten die Organe der Beklagten die aus dem Akt hervorgehenden gesetzlichen Erben zu einer Erbantrittserklärung auffordern müssen, weil kein unbedenkliches Testament des Verstorbenen vorlag:

[44] Grundlegende Voraussetzung für die Gültigkeit eines Testaments oder eines Vermächtnisses in einem Kodizill ist der Testierwille (animus testandi). Für eine letztwillige Verfügung ist nicht der Gebrauch bestimmter Ausdrücke erforderlich. Es muss nur klar hervorkommen, dass über das Schicksal des Vermögens oder einzelner Vermögenswerte nach dem Tod des Erklärenden verfügt werden soll (10 Ob 66/99z). Fehlt die Absicht, seinen letzten Willen zu erklären, liegt kein Testament vor (RIS-Justiz RS0012413 [T2]).

[45] In der handschriftlichen Verfügung vom 9. 2. 2016 werden zwar Ausdrücke und Formulierungen wie „mein freier Wille“, „im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte“ und „ich bestimme (…) S. (…) zu meiner alleinig Begünstigten“ verwendet, die den Eindruck eines Testaments erwecken. Jedoch lässt sich kein Begriff eindeutig nur mit einer letztwilligen Verfügung in Zusammenhang bringen (anders als zB „Erbe“, „letzter Wille“, „ich vermache“). Der Tod des Erklärenden wird mit keinem einzigen Wort für die Erfüllung der Ver-

fügung vorausgesetzt. Dies fällt hier umso mehr ins Gewicht, als der Absatz, dass „diese Verfügung (…) den Zweck der Betreuungen in der eigenen Wohnung erfüllen und nach dem Ermessen von Frau S. angewendet werden“ soll, sich auf den ersten Blick nicht in ein Testament einfügt, weil eine Betreuung des Erklärenden nur zu dessen Lebzeiten erfolgen kann. Diese Bestimmung erfordert daher eine Auslegung und gegebenenfalls (Neu-)Einordnung der gesamten Erklärung. Dieser Passus könnte zwar allenfalls auch so verstanden werden, dass der Erklärende damit nach seinem Ableben die künftige Betreuung anderer Personen durch seine Pflegerin fördern wollte. Zumindest genauso gut möglich ist aber, dass er seiner Pflegerin bloß eine Vollmacht ausstellen wollte, um seine eigene Betreuung zu Hause sicherzustellen. Darauf deutet die Formulierung hin, dass die „Verfügung (…) nach dem Ermessen von Frau S. angewendet“ werden soll. Auch der Umstand, dass die Verfügung der Pflegerin in einem Kuvert „verschlossen (…) zur Verwahrung übergeben“ wurde, schließt eine Vollmacht nicht aus, weil eine Abrede zwischen dem Erklärenden und der Pflegerin denkbar ist, dass die Vollmacht zu verwahren und davon nur im Fall der Fälle Gebrauch zu machen sei. Insgesamt lässt die Erklärung daher konkrete Zweifel am Vorliegen eines Testierwillens des Verstorbenen und an einer Erbseinsetzung aufkommen, die aufgrund des Wortlauts und der Umstände der Übergabe weder in die eine noch in die andere Richtung ausgeräumt werden können.

[46] Damit mag die handschriftliche Verfügung zwar vertretbar als Testament gewertet werden können, es handelt sich dabei aber keinesfalls um ein unbedenkliches Testament, was den für die Beklagte handelnden Organen auch erkennbar war. Sie haben daher rechtswidrig und schuldhaft davon abgesehen, die damals bereits aktenkundigen gesetzlichen Erben nachweislich zur Abgabe einer Erbantrittserklärung oder zur Ausschlagung der Erbschaft gem § 157 Abs 1 AußStrG aufzufordern.

[47] 3.2. Im Übrigen haben die Organe der Beklagten durch die forcierte und sofortige Einantwortung der Pflegerin den Zweck des § 152 Abs 2 AußStrG vereitelt. Nach dieser Bestimmung sind den Parteien und jenen, die nach der Aktenlage aufgrund des Gesetzes zur Erbfolge berufen wären, unbeglaubigte Abschriften (ua) der vom Gerichtskommissär nach Abs 1 leg cit übernommenen Testamente zuzustellen. Die Mat (ErlRV 224 BlgNR 22. GP 98 f) führen dazu aus, dass „die Verständigung derjenigen, die nach dem Gesetz zur Erbfolge berufen wären (…) der Verwirklichung eines effektiven rechtlichen Gehörs [dient], weil sie denjenigen, die bei Ungültigkeit der Erklärung als Erben in Frage kämen, im frühestmöglichen Verfahrensstadium substantielle Informationen an die Hand gibt. Sollten die als gesetzliche Erben in Frage Kommenden eine Bekämpfung der letztwilligen Verfügung erwägen, wären sie auf die Erbantrittserklärung und das Verfahren über das Erbrecht im Sinne der §§ 160 ff verwiesen.“

[48] Die Übermittlung des Testaments dient daher dazu, den gesetzlichen Erben dessen Bekämpfung im Verfahren über das Erbrecht zu ermöglichen (so auch Schatzl/Spruzina in Gitschthaler/ Höllwerth, AußStrG I2, § 152 Rz 7; Winkler in Schneider/Verweijen, AußStrG, § 152 Rz 6; Verweijen, Handbuch Verlassenschaftsverfahren3 [2021] Rz 169). Dies wurde den aktenkundigen gesetzlichen Erben hier faktisch unmöglich gemacht, weil sie das Testament erst drei Tage vor der Einantwortung erhielten und daher nicht ausreichend Zeit hatten, durch Erbantrittserklärung ihre Rechte geltend zu machen.

[49] 3.3. Da schon darin ein amtshaftungsbegründendes Verhalten des Gerichtskommissärs und des Verlassenschaftsrichters zu erblicken ist, kommt es weder auf den von den Klägern erhobenen Vorwurf an, ihnen wäre schon vor Abgabe der Erbantrittserklärung Parteistellung und Rekurslegitimation zuzuerkennen gewesen, weil (zumindest) der Erstkläger bereits aktiv sein Interesse am Erbantritt

bekundet habe, noch auf ihre Erwägungen, hier läge ein per se bedenkliches „Pflegetestament“ vor.

4. Zum Rechtswidrigkeitszusammenhang

[50] 4.1. Auch für das Gebiet des Amtshaftungsrechts muss untersucht werden, welche Interessen die verletzte Norm schützen soll, damit beurteilt werden kann, ob das schadenstiftende Verhalten des Organs gegenüber dem Beschädigten als rechtswidrig anzusehen ist (RIS-Justiz RS0050038). Nicht jeder Schutz, den die Verhaltensnorm tatsächlich bewirkt, ist auch von deren Schutzzweck erfasst (RIS-Justiz RS0027553 [T24]). Es wird nur für solche Schäden gehaftet, die sich als Verwirklichung derjenigen Gefahr darstellen, derentwegen der Gesetzgeber ein bestimmtes Verhalten gefordert oder untersagt hat (RIS-Justiz RS0050038 [T4]).

[51] 4.2. § 157 Abs 1 AußStrG ist – wie sich bereits aus der Rsp zu § 75 AußStrG alt ergibt – eine Schutzbestimmung zugunsten der potenziellen Erben (RIS-Justiz RS0007679 [T1]). Geschützt sind nach dem Wortlaut der Bestimmung jedoch nur „die nach der Aktenlage als Erben in Frage kommenden Personen“. Auch die Mat (ErlRV 224 BlgNR 22. GP 102) sprechen davon, dass „bei bekannten Erben (…) der Gerichtskommissär gehalten [ist], die nach der Aktenlage als Erben in Frage kommenden Parteien zur Erbantrittserklärung mit Zustellnachweis aufzufordern“. Gegenüber unbekannten Erben bestehen daher keine Verpflichtungen nach § 157 Abs 1 AußStrG, sodass die damals noch nicht aktenkundigen gesetzlichen Erben durch die unterbliebene Aufforderung nicht unmittelbar geschädigt sind. Dasselbe gilt für die Bestimmung des § 152 Abs 2 AußStrG.

[52] 4.3. Dies führt dazu, dass nicht alle geltend gemachten Ansprüche berechtigt sind:

[53] Nach dem Inhalt des Verlassenschaftsakts waren der Erstkläger und die Zweitklägerin sowie deren Bruder und schließlich der Cousin zweiten Grads des Verstorbenen bekannt, nicht aber der vormalige Drittkläger und die anderen gesetzlichen Erben, die nach dem Klagevorbringen ihre Ansprüche (schon vor Einbringung der Erbschaftsklage) schenkungsweise an den Erstkläger abgetreten haben.

[54] Der Schaden der Letzteren wäre zwar nicht eingetreten, wenn die Organe der Beklagten die Verfahrensbestimmungen des § 157 Abs 1 AußStrG eingehalten und den Zweck des § 152 Abs 2 AußStrG ausreichend beachtet hätten, weil die bekannten gesetzlichen Erben nicht zuletzt über Aufforderung durch den Gerichtskommissär, aber auch dann, wenn ihnen mehr Zeit zur Verfügung gestanden wäre, (unbestritten) eine Erbantrittserklärung abgegeben hätten und sodann keine Einantwortung an die Pflegerin erfolgt wäre. Dabei handelt es sich aber um eine bloße Reflexwirkung des pflichtgemäßen Handelns (vgl RIS-Justiz RS0031143 [T4, T12]). Der Schaden der nunmehrigen Drittklägerin und des Viertklägers steht daher nicht im Rechtswidrigkeitszusammenhang zum Verstoß gegen § 157 Abs 1 AußStrG bzw § 152 Abs 2 AußStrG. Gleiches gilt für die dem Erstkläger abgetretenen Ansprüche der anderen im außerstreitigen Verlassenschaftsverfahren noch unbekannten Gesetzeserben.

[55] 4.4. Eine Verletzung der Bestimmung des § 158 Abs 1 AußStrG (insb Anhaltspunkte für die Existenz weiterer Erben; vgl Sailer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG2, § 158 Rz 3) haben die Kläger weder substantiiert dargetan, noch steht eine solche fest.

[56] 5. Die Ansprüche der Drittklägerin und des Viertklägers und zum Teil auch des Erstklägers lassen sich auch nicht auf ihr Vorbringen gründen, die Pflegerin des Verstorbenen hätte die Verlassenschaft nicht annehmen dürfen, woraus sich die (offenbar von den Organen des Verlassenschaftsverfahrens wahrzunehmende) Nichtigkeit der Verfügung vom 9. 2. 2016 ergebe:

[57] Das Berufungsgericht hat den Klägern entgegengehalten, dass sich die von ihnen herangezogenen Bestimmungen des § 1

Abs 1 der Standes- und Ausübungsregeln für Leistungen der Personenbetreuung, BGBl II 2007/278, sowie § 12 des Tiroler Heimund Pflegeleistungsgesetzes nur auf Zuwendungen unter Lebenden bezögen und letzteres Gesetz schon mangels Betreuung des Verstorbenen in einem Heim nicht zur Anwendung gelange.

[58] Mit dieser Argumentation (vgl 2 Ob 15/23d) setzt sich die Revision der Kläger aber nicht auseinander, sodass sie insoweit nicht gesetzmäßig ausgeführt ist. Der in diesem Zusammenhang begehrten Feststellungen (zur Kenntnis bzw Unkenntnis des Verlassenschaftsrichters/Gerichtskommissärs/Notarsubstituten von diesen Bestimmungen und der Stellung der Begünstigten als Pflegerin) bedarf es daher nicht.

[59] 6. Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass den Rechtsnachfolgern des vormaligen Drittklägers, nämlich der Drittklägerin und dem Viertkläger, kein Amtshaftungsanspruch zukommt. Da ihr Klagebegehren von den Vorinstanzen zu Recht abgewiesen wurde, ist dieser Teil der angefochtenen Entscheidung zu bestätigen. Unberechtigt ist auch die Forderung des Erstklägers insoweit, als darin ihm abgetretene Ansprüche der im Verlassenschaftsverfahren noch nicht bekannten Erben enthalten sind. In welchem Umfang das der Fall ist, wurde bislang nicht erörtert und festgestellt. Diesbezüglich erweist sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig. Darüber hinaus sind die geltend gemachten Amtshaftungsansprüche aber berechtigt.

[60] 7. Die Beklagte kann den Klägern insoweit auch nicht mit Erfolg eine Verletzung der Rettungspflicht nach § 2 Abs 2 AHG und der Schadensminderungspflicht bzw ein Mitverschulden entgegenhalten:

[61] 7.1. Gem § 2 Abs 2 AHG besteht keine Amtshaftung, wenn der Geschädigte den Schaden durch ein Rechtsmittel abwenden hätte können. Das Gesetz überlässt diesem zunächst die Wahrung seiner Interessen. Er hat sämtliche ihm zur Verfügung stehenden und eine Abwendung seines Schadens ermöglichenden Rechtsbehelfe auszuschöpfen (RIS-Justiz RS0026901). Das Unterlassen offenbar aussichtsloser Abhilfemaßnahmen lässt die Rechtsfolgen des § 2 Abs 2 AHG allerdings nicht eintreten. Offenbar aussichtslos ist auch ein Rechtsmittel entgegen einer einhelligen, in der Lehre unwidersprochen gebliebenen, ständigen Judikatur (RIS-Justiz RS0109421; vgl RIS-Justiz RS0108815). Nach den allgemeinen Regeln des Schadenersatzrechts (§ 1304 ABGB) setzt auch der Ausschluss des Ersatzanspruchs nach § 2 Abs 2 AHG ein Verschulden oder besser eine Sorglosigkeit des Amtshaftungsklägers im Umgang mit seinen eigenen Rechtsgütern voraus (RIS-Justiz RS0027565). Bei Beurteilung der Frage nach dem „Verschulden“ bzw der Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten kommt es einerseits auf die konkreten Kenntnisse und Fähigkeiten des Geschädigten und andererseits auf die gesamten Begleitumstände seines Verhaltens an (RIS-Justiz RS0027565 [T5]).

[62] 7.2. Auch dem übergangenen Erben ist es nach der Rsp verwehrt, den Einantwortungsbeschluss mit Rekurs zu bekämpfen und darin geltend zu machen, das Erstgericht habe es verabsäumt, ihm die Gelegenheit zur rechtzeitigen Abgabe einer Erbantrittserklärung zu geben (RIS-Justiz RS0126598; RS0123316 [T2, T4]).

Die gegenteilige Entscheidung 4 Ob 50/08v blieb vereinzelt und wurde in den Folgeentscheidungen ausdrücklich abgelehnt, weil –wie bereits 1 Ob 86/08s klargestellt hat – aus § 164 Satz 1 AußStrG „unzweifelhaft“ folge, „dass es der betreffenden Partei verwehrt ist, den Einantwortungsbeschluss mit Rekurs zu bekämpfen und darin etwa geltend zu machen, das Erstgericht habe es verabsäumt, ihr die Gelegenheit zur rechtzeitigen Abgabe einer Erbantrittserklärung zu geben. Dies ergibt sich auch klar aus den Mat (vgl nur ErlRV, abgedruckt etwa bei Fucik/Kloiber, AußStrG, 483 f), nach denen verhindert werden soll, dass eine Durchführung des Einantwortungsbeschlusses ansonsten vor Ablauf der Rekursfrist nicht möglich

ERBRECHT

wäre, weil der Ablauf der Frist auch für bisher nicht Beteiligte abgewartet werden müsste“.

[63] Die Beklagte verweist zwar richtig darauf, dass Bajons (Die OGH-Judikatur zur internationalen Nachlassabwicklung im Lichte des neuen AußStrG und AußStr-BegleitG [Teil II], NZ 2005, 43) für eine Rechtsmittelmöglichkeit des übergangenen Erbprätendenten (unter Nachtrag einer Erbantrittserklärung) eintritt, weil insofern eine Rechtsschutzlücke vorliege. Höllwerth (in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG2, § 164 Rz 17) führte dazu aber schon aus, dass die Mat genau aufgrund der von Bajons selbst zitierten Belegstellen nahelegen würden, dass der Gesetzgeber diese Situation erkannt und zugunsten der Möglichkeit einer raschen Durchführung des Einantwortungsbeschlusses bewusst in Kauf genommen habe. Im Übrigen könne von einer gefestigten Judikatur ausgegangen werden (Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG2, § 164 Rz 14). Diese hat, wenn auch nicht unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Bajons, die von ihr vorgeschlagene sinngemäße Anwendung des § 164 Satz 2 AußStrG im Ergebnis eindeutig abgelehnt (vgl 1 Ob 86/08s).

[64] Vor diesem Hintergrund wäre ein außerordentlicher Revisionsrekurs gegen den Beschluss des OLG Innsbruck vom 29. 7. 2016 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aussichtslos gewesen (RIS-Justiz RS0052920 [T2]), sodass dessen Einbringung den Klägern – wie bereits das Erstgericht ausgeführt hat – nicht zumutbar war.

[65] 7.3. Unter Rechtsmitteln iSd § 2 Abs 2 AHG sind nur prozessuale Rechtsbehelfe, wenn auch im weiteren Sinn zu verstehen, die dazu dienen, fehlerhafte gerichtliche Entscheidungen, sei es im Instanzenweg, sei es auf andere Weise zu beseitigen (RIS-Justiz RS0050080; RS0110188).

[66] Ob die Abgabe einer Erbantrittserklärung als solcher Rechtsbehelf zu sehen sein könnte oder ob aus deren Unterlassen nur ein Mitverschulden der Kläger eingewandt werden könnte (vgl RIS-Justiz RS0050199; RS0050080 [T7]), kann dahinstehen. Eine Erbantrittserklärung der Gesetzeserben hätte zwar die Einantwortung an die Pflegerin am 16. 6. 2016 verhindert. Keinem der Kläger kann aber die Nichtabgabe einer Erbantrittserklärung in der Zeit zwischen Erhalt der handschriftlichen Verfügung des Verstorbenen am 13. 6. 2016 und dem 16. 6. 2016 zum Vorwurf gemacht werden. Nicht zuletzt in Anbetracht der in § 157 Abs 2 AußStrG statuierten Mindestfrist von vier Wochen zur Abgabe einer Erbantrittserklärung war den (im Ausland lebenden) Klägern nicht zuzumuten, innerhalb von nicht einmal drei Tagen die Verfügung (anwaltlich) überprüfen zu lassen und die weiteren Schritte einzuleiten, ohne vorher Einsicht in den Verlassenschaftsakt nehmen zu können. Dem in diesem Zeitraum (im Übrigen als einzigen) bereits anwaltlich ver-

tretenen Erstkläger hat der Notarsubstitut, wie festgestellt, diese Einsicht sogar verweigert, sodass keine Rede davon sein kann, der Nebenintervenient auf Klagsseite hätte schon damals über alle erforderlichen Informationen verfügt.

[67] 7.4. Auf den Einwand, die Kläger seien zwischen dem Einantwortungsbeschluss am 16. 6. 2016 und der Einbringung der Erbschaftsklage am 9. 2. 2017 schuldhaft untätig geblieben, den bereits das Erstgericht unter Hinweis auf die in dieser Zeit getätigten umfangreichen Nachforschungen zu den übrigen Gesetzeserben verworfen hat, kommt die Beklagtenseite in dritter Instanz nicht zurück.

8. Diese Erwägungen führen zu folgendem Ergebnis:

[68] 8.1. Der Zweitklägerin steht ein Schadenersatzanspruch von 79.778,25 € sA zu, dessen Berechnung nicht substantiiert bestritten wurde und der aus diesem Grund spruchreif ist. Die Forderung des Erstklägers erweist sich als berechtigt, soweit er sie auf seine eigene gesetzliche Erbquote sowie auf die ihm von seinem Bruder und (allenfalls) vom Cousin zweiten Grads des Verstorbenen, die auch beide bereits im Verlassenschaftsverfahren bekannt waren, abgetretenen Ansprüche stützen kann. Inwieweit das der Fall ist, muss im fortgesetzten Verfahren – wie bereits dargelegt – noch geklärt werden, weshalb die Entscheidung der Vorinstanzen im Umfang der vom Erstkläger geltend gemachten Forderung zur Gänze aufzuheben ist. Schäden der im Verlassenschaftsverfahren noch unbekannten gesetzlichen Erben sind nicht vom Schutzzweck der §§ 152, 157 AußStrG erfasst, sodass dieser Teil des Begehrens des Erstklägers letztlich abzuweisen sein wird.

[69] 8.2. Die Forderungen der Drittklägerin und des Viertklägers von jeweils 11.963,94 € sA sind aus dem letztgenannten Grund zur Gänze unberechtigt und daher schon jetzt abzuweisen.

[70] 9. Die diese Entscheidung tragenden Erwägungen können wie folgt zusammengefasst werden:

Ist ein im Verlassenschaftsverfahren aktenkundiges Testament nicht unbedenklich, sind auch die gesetzlichen Erben nach § 157 Abs 1 AußStrG zur Abgabe einer Erbantrittserklärung aufzufordern.

Die Verpflichtung zur Übermittlung der unbeglaubigten Abschrift einer aktenkundigen letztwilligen Anordnung an die gesetzlichen Erben (§ 152 Abs 2 AußStrG) und die Verpflichtung, die nach der Aktenlage als Erben in Betracht kommenden Personen zur Abgabe einer Erbantrittserklärung aufzufordern (§ 157 AußStrG), dienen der Wahrung des rechtlichen Gehörs möglicher Erben im Verlassenschaftsverfahren und damit der Verhinderung einer materiell falschen Einantwortung. Schäden aufgrund einer solchen Einantwortung stehen daher im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit der Verletzung dieser Pflichten. (…)

Achtes Treffen der Spezialkommission zur praktischen Handhabung des HKÜ 1980 und des KSÜ 1996 (Teil I)

Das achte Treffen der Spezialkommission zur praktischen Handhabung des Übereinkommens vom 25. 10. 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationale r Kindesentführung (HKÜ 1980) und des Übereinkommens vom 19. 10. 1996 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern (KSÜ 1996) fand von 10. bis 17. 10. 2023 in Den Haag statt.

Am Treffen nahmen 471 Delegierte – physisch oder online – statt, die 66 HCCH Mitglieder, 13 Vertragsstaaten, die nicht Mitglieder sind,1 einen Beobachter aus einem Staat, der nicht Mitglied ist,2 sowie Beobachter aus sieben staatlichen3 und 19 internationalen Nichtstaatlichen Organisationen4 sowie Mitglieder des Ständigen Büros repräsentierten. Die Spezialkommission bestätigte einhellig die Schlussfolgerungen und Em pfehlungen ihrer früheren Treffen, wie sie im Präliminardokument Nr. 1 vom Oktober 2022 („Draft Table of Conclusions and Recommendations of previous Meetings of the Special Commission (SC) on the practical operation of the 1980 Child Abduction and the 1996 Child Protection Conventions that are still relevant today“) festgehalten sind.

In diesem Beitrag finden sich die von der Spezialkommission angenommenen Schlussfolgerungen und Empfehlungen mit Bezug auf das HKÜ 1980. Jene mit Bezug auf das KSÜ 1996, dem Ständigen Büro und zu allgemeinen Angelegenheiten folgen in einem weiteren Beitrag.

I.Vertragsstaaten des HKÜ 1980

*1234

1.Die Spezialkommission begrüßte die fünf neuen Vertragsstaaten des HKÜ 1980, für die das Übereinkommen seit der letzten Spezialkommission 2017 in Kraft getreten ist, nämlich Barbados, Botswana, Cabo Verde, Kuba und Guyana, wodurch die Gesamtanzahl der Vertragsstaaten auf 103 angewachsen ist. Die Spezialkommission forderte jene Staaten, die dem HKÜ 1980 noch nicht beigetreten sind, zum Beitritt auf.

2.Die Spezialkommission erinnerte die neu beigetretenen Staaten an deren Verpflichtung zur Namhaftmachung

*LStA Dr. Robert Fucik ist Fachexperte für internationale Zusammenarbeit (elterliche Verantwortung, Kindesentführungen, Auslandsunterhalt, Adoptionen und Erwachsenenschutz) im BMJ.

1 Die folgenden Mitglieder der HIPRK bzw Vertragsstaaten zu HKÜ 1980 und/ oder des KSÜ 1996 waren vertreten: Albanien, Argentinien, Australien, Österreich, Bahamas, Belgien, Belize, Bolivien, Botswana, Brasilien, Burkina Faso, Cabo Verde, Kanada, Chile, China, Kolumbien, Costa Rica, Kroatien, Kuba, Tschechische Republik, Dänemark, Dominikanische Republik, Ecuador, El Salvador, Estland, Europäische Union, Finnland, Frankreich, Georgien, Deutschland, Guatemala, Guyana, Honduras, Ungarn, Island, Irland, Israel, Italien, Jamaika, Japan, Korea, Lettland, Litauen, Malta, Mauritius, Mexiko, Mongolei, Marokko, Namibia, Niederlande, Neuseeland, Nicaragua, Norwegen, Pakistan, Panama, Paraguay, Peru, Philippinen, Polen, Portugal, Rumänien, Russische Föderation, Serbien, Seychellen, Singapur, Slowakei, Slowenien, Südafrika, Spanien, Schweden, Schweiz, Trinidad und Tobago, Tunesien, Türkei, Vereinigtes Königreich, Ukraine, Uruguay, Vereinigte Staaten von Amerika und Venezuela.

2 Libanon.

3 Commission Internationale de l’État Civil (CIEC), Council of Europe, Inter-American Children’s Institute, International Organization for Migration (IOM), United Nations Committee on the Rights of the Child (UNCRC), United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) und United Nations Children’s Fund (UNICEF).

4 International Association of Family Lawyers (AIJUDEFA), Asociación Americana de Derecho Internacional Privado (ASADIP), Child Identity Protection (CHIP), European Association of Private International Law (EAPIL), European Group for Private International Law (EGPIL), Inter-American Bar Association (IABA), International Association of Child Law Researchers (IACLaR), International Academy of Family Lawyers (IAFL), International Association of Judges (IAJ), International Bar Association (IBA), Institute of International Law (IIL), International Law Association (ILA), International Law Institute (ILI), International Society of Family Law (ISFL), International Social Service (ISS), Lawyers in Europe on Parental Child Abduction (LEPCA), Missing Children Europe, Union Internationale des Avocats (UIA) und US-Mexico Bar Association (USMBA).

einer Zentralen Behörde. Sie wurden weiters daran erinnert, dass sie den Standardfragebogen für neubeitretende Staaten und das Landesprofil ausfüllen müssen, um die Annahme ihres Beitritts zu ermöglichen.

II.Evaluation und Bilanz des HKÜ 1980

3.Die Spezialkommission nahm die Antworten zum Fragebogen zur praktischen Anwendung des HKÜ 1980 zur Kenntnis, die im Großen und Ganzen bestätigten, dass das Übereinkommen effektiv ist.

4.Die Spezialkommission bestätigte die Nützlichkeit genauer Statistiken für eine effektive Evaluierung der Anwendung des HKÜ 1980 und begrüßte die statistische Fallstudie zum HKÜ für das Jahr 2021 (Präliminardokumente Nr 19A und 19B), die von Nigel Lowe und Victoria Stephens zusammengestellt wurde. Zu diesem Zweck bemerkte die Spezialkommission, dass die Daten für das Jahr 2021 wohl durch die COVID-19-Pandemie beeinflusst worden sind. Die Spezialkommission nahm – verglichen mit der Studie aus dem Jahr 2015 – die Erhöhung der Durchschnittsdauer bis zum Erreichen einer rechtskräftigen Entscheidung, die Erhöhung des Verhältnisses abgewiesener Rückführungsanträge, den leichten Rückgang des Verhältnisses der Fälle, die zu Gericht gelangen, die Zunahme von Fällen, die außergerichtlich bereinigt wurden und die beinahe Verdopplung von Fällen, in denen die Rückführung aus dem Grund des Art 13 Abs 1 lit b HKÜ abgewiesen wurde, zur Kenntnis. Die Spezialkommission drückte ihren Dank an die Volksrepublik China, Deutschland, die Philippinen und das Vereinigte Königreich, das International Centre for Missing and Exploited Children (ICMEC) und die US Friends of the Hague Conference Foundation für deren freund-

INTERNATIONALE ASPEKTE

liche freiwillige finanziellen Beiträge zu dieser Statistikstudie aus.

III.Zu Verzögerungen beim HKÜ 1980

A.Einfluss der COVID-19-Pandemie, insb zur Verwendung von Informationstechnologie

5.Die Spezialkommission betonte die Effektivität und den Wert der Verwendung von Informationstechnologie zur effizienten Kommunikation zwischen Behörden zum Datenaustausch, zur Verfahrensverkürzung und zu expeditiven Rückführungsverfahren und nahm insb die Verbesserungen zur Kenntnis, die die Vertragsparteien in Folge der COVID-19-Pandemie berichteten.

6.Die Spezialkommission nahm zur Kenntnis, dass die Verwendung von Informationstechnologieeinen einen Beitrag zu erleichtertem Zugang und Beteiligung in den Verfahren leistete.

7.Die Spezialkommission nahm weiters die Vorteile der Verwendung von Informationstechnologie zur Erleichterung von Vereinbarungen, Organisation und effektiver Umsetzung von Kontakten zur Kenntnis.

8.Die Spezialkommission forderte die Staaten auf, die Verwendung von Informationstechnologie in Verfahren innerhalb des Anwendungsbereichs des HKÜ 1980 einzuführen bzw zu verstärken, soweit dies angemessen ist.

9.Die Spezialkommission forderte die Staaten zum Gebrauch des Praxisleitfadens zur Verwendung von Videolinks nach dem Beweisaufnahmeübereinkommen 19705 als hilfreiche Ressource für Informationen zur Nutzung von Videolink-Technologie auf.

B.Verzögerungen beim HKÜ 1980

10.Die Spezialkommission betonte, dass Verzögerungen weiterhin ein signifikantes Hindernis in der Handhabung des HKÜ 1980 bilden.

11.Die Spezialkommission rief die Schlussfolgerung und Empfehlung Nr 4 der Spezialkommission 2017 in Erinnerung und empfahl den Vertragsparteien, denen Verzögerungen untergekommen sind, nachdrücklich die Überprüfung ihrer Verfahrensvorschriften zur Identifizierung möglicher Verzögerungsgründe. Dabei werden die Vertragsparteien aufgefordert, alle erforderlichen Veränderungen iSd Art 2 und 11 HKÜ vorzunehmen, um die Verfahren expeditiver und effizienter zu machen.

12.Die Spezialkommission erinnerte die Vertragsparteien daran, dass die im Juli 2023 revidierte Version der Präliminardokumente Nr 10 B und 10C der Spezialkommission 2017 hilfreiche Werkzeuge für die staatlichen Institutionen sind, denen die Überprüfung der Durchführungsbestimmungen obliegt, zumal diese Dokumente die Verfahren beschreiben, die von einigen Staaten zur Verringerung von Verzögerungen eingesetzt worden sind und gute Praktiken empfehlen, diese anzugehen.

IV.Verhältnis des HKÜ 1980 zu anderen Instrumenten –KRK 1989

A.Das Wohl des Kindes

13.Die Spezialkommission rief in Erinnerung, dass es dem Kindeswohl entspricht, dass das Kind vor rechtswidrigem Verbringen oder Zurückhalten (dh internationaler Kindesentführung) international geschützt wird. Die Entführung ist rechtswidrig, wenn dadurch das Sorgerecht eines Elternteils gebrochen wird. Ein Elternteil, dem nicht allein (sondern gar nicht oder nur gemeinsam) das Sorgerecht zusteht, sollte daher vor einem Verbringen oder Zurückhalten in einen anderen Staat die Zustimmung der anderen Personen – meist eines Elternteils –, Institutionen oder Körperschaften oder, wenn dies nicht zu erlangen ist, des Gerichts begehren und erhalten (Abs 13 des Praxisleitfadens zum HKÜ, Teil VI –Art 13 Abs 1 lit b Z 6 HKÜ).

14.Die Spezialkommission betonte, dass es im Fall rechtswidrigen Verbringens oder Zurückhaltens grundsätzlich im Interesse des Kindeswohls liegt, so rasch wie möglich in den Staat des gewöhnlichen Aufenthalts zurückgeführt zu werden, ausgenommen die begrenzten Einreden, die in Art 12, 13 und 20 HKÜ vorgesehen sind. Diese Einreden sind jedenfalls restriktiv auszulegen. Obwohl die Einreden auf Erwägungen zum Kindeswohl zurückgehen, verwandeln sie ein Rückführungsverfahren nicht in ein Sorgerechtsverfahren. Die Einreden sind konzentriert auf die mögliche (Nicht-)Rückführung des Kindes. Sie sollen sich weder mit Sorgerechtsfragen befassen noch zu einer vollständigen Kindeswohlprüfung in Bezug auf das zurückzuführende Kind führen (Art 26 des Praxisleitfadens zu Art 13 Abs 1 lit b HKÜ6).

15.Die Spezialkommission anerkannte, dass die Gerichte des Staats des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes grundsätzlich am besten geeignet sind, die Umstände eines Sorgerechtsverfahrens (das typischerweise eine umfassende Kindeswohlprüfung erfordert) festzustellen, zumal diese Gerichte im Allgemeinen vollständigeren und einfacheren Zugang zu den Informationen und Beweismitteln haben, die für eine solche Entscheidung relevant sind. Deshalb stellt die Rückführung des widerrechtlich verbrachten oder zurückgehaltenen Kindes in den Staat des gewöhnlichen Aufenthalts nicht nur den status quo ante wieder her, sondern erlaubt auch die Lösung aller mit dem Sorgerecht verbundenen Probleme einschließlich eines möglichen Umzugs des Kindes in einen anderen Staat durch das Gericht, das am besten zur Ermittlung des Kindeswohls geeignet ist.

B.KRK-Zusatzprotokoll 2011 zu einem Kommunikationsverfahren

16.Die Spezialkommission nahm die Mitteilung („communication“) Nr 121/2020 des UN Kinderrechtekomitees nach dem Zusatzprotokoll zu einem Kommunikationsverfahren zur Kenntnis, in dem das Komitee die

Ansicht ausdrückt wird, dass es nicht die Rolle des Komitees im Fall einer internationalen Kindesrückführung ist, die richtige Auslegung und Anwendung des HKÜ 1980 durch die nationalen Gerichte zu überprüfen, sondern nur zu sichern, dass diese Auslegung und Anwendung mit den durch die UN-KRK auferlegten Pflichten vereinbar ist.

17.Die Spezialkommission nahm ebenso zur Kenntnis, dass das UN KRK-Komitee den Zweck des HKÜ 1980 – Prävention und rasche Rückführung – als Streben zur Wahrung des Kindeswohls anerkennt. Die Spezialkommission beobachtete zudem die Bemerkung des Komitees, das HKÜ 1980 stelle eine starke Vermutung dahin auf, dass das Kindeswohl eine rasche Rückführung mit Ausnahme der begrenzten, in Art 12, 13 und 20 HKÜ vorgesehenen Einreden erfordert, die einschränkend auszulegen und anzuwenden sind und keine umfassende Kindeswohlprüfung enthalten.

V.Verfahrenshilfe und Vertretung nach dem HKÜ 1980

18.Die Spezialkommission forderte die Vertragsparteien, die Verfahrenshilfe und Vertretung in Rückführungsverfahren bereitstellen, auf, dies auch für Kontaktrechtsverfahren zu tun.

VI.Direkte Kommunikation zwischen Richtern und das IHNJ

19.Die Spezialkommission nahm den Bericht über das Treffen zur Kenntnis, das am 14. 10. 2023 zwischen 43 Richter:innen aus 33 Sataten stattfand und in dem der 25. Jahrestag des International Hague Networks of Judges (IHNJ) gefeiert wurde. Eine Reihe von Themen wurde während des Treffens angesprochen, namentlich, dass Mitglieder des IHNJ

a.eine wertvolle und wichtige Rolle sowohl im eigenen Land als auch international spielen, die ua umfasst, ein internationaler Bezugspunkt zu sein und die ua auch die Bereitstellung von Fortbildung einschließen kann. Zusätzlich ist ihre Rolle nicht auf die Haager Übereinkommen beschränkt, sondern kann auch Orientierung in anderen grenzüberschreitenden und nationalen Familienrechtsangelegenheiten im internationalen Zusammenhang geben;

b.einander regelmäßig treffen werden, einerseits unter Zuhilfenahme von IT, andererseits auch physisch;

c.zur Internationalen Richterzeitung (Judges Newsletter on International Child Protection) beitragen werden;

d.neuen Mitgliedern des IHNJ angemessene Unterstützung geben werden;

e.mehr Gebrauch von der sicheren Plattform für diverse Angelegenheiten, etwa zum Teilen guter Praxiserfahrungen oder Fortbildungsmaterial (zB zu Rechtsfragen) und zur Aktualisierung kürzlich geposteter INCADAT-Fälle, machen werden;

f.aufgefordert wurden, Jahresberichte zu ihren Aktivitäten zu erstellen, die auf der sicheren Plattform geteilt werden können;

g.den Vorschlag der Entwicklung eines kurzen Modellleitfadens zur Praxis der Gerichte begrüßen.

20.Zur Übermittlung eines Rückführungsantrags an die zuständige Behörde des ersuchten Staats nahm die Spezialkommission die gute Praxis zur Kenntnis, Name und Kontaktdaten der Mitglieder des IHNJ des ersuchten Staats mit aufzunehmen, um die Kommunikation des jeweils zuständigen Richters mit seinem Netzwerkrichter und direkte Kommunikation mit den Netzwerkrichtern des ersuchenden Staats zu erleichtern.

21.Die Spezialkommission begrüßte die Fertigstellung des Präliminardokuments Nr 5 („Document to inform lawyers and judges about direct judicial communications, in specific cases, within the context of the International Hague Network of Judges“) und des Präliminardokuments Nr 8 („Information on the legal basis for direct judicial communications within the context of the International Hague Network of Judges [IHNJ“]) der Spezialkommission 2017 (Präliminardokuments Nr 5 und 8 der Spezialkommission 2023) und sieht ihrer Publikation entgegen.

22.Die Spezialkommission begrüßte die Initiative zur Abhaltung eines regionalen physischen Treffens des IHNJ in Brasilien (Mai 2024) und eines globalen physischen Treffens des IHNJ in Singapur (Mai 2025), die eine tiefere Diskussion über praktische Probleme und Projekte zum internationalen Kinderschutz ermöglichen sollen.

VII.Einreden gegen die Rückführung des Kindes nachdem HKÜ 1980 und Schutzmaßnahmen zur Rückführung

A.Art 13 Abs 1 lit b HKÜ – häusliche/familäre Gewalt

23.Vertragsparteien, die dies nicht ohnehin schon getan haben, werden aufgefordert, Abschnitt 11.2 Vorkehrungen zur sicheren Rückkehr („Provisions for Safe Return“) des Landesprofils zum HKÜ 1980 auszufüllen bzw zu aktualisieren, um das Verständnis für die zur sicheren Rückkehr erhältlichen Schutzmaßnahmen und für den Mechanismus zur Absicherung der Compliance mit diesen Maßnahmen zu erhöhen.

24.Im Hinblick darauf werden die Vertragsparteien auch aufgefordert, öffentlich verfügbare Informationen durch andere Mittel (zB spezielle Webseiten) zur Verfügung zu stellen, die Dienste beschreiben, die in Familien helfen können, in denen ein Kind familiärer und häuslicher Gewalt ausgesetzt sein könnte, und die etwa polizeiliche und rechtliche Hilfestellung, finanzielle Unterstützungen, häusliche Unterstützung und Schutzhäuser sowie Gesundheitsdienste umfassen könnten.

25.Die Spezialkommission begrüßte die Veröffentlichung des Praxisleitfadens zu Art 13 Abs 1 lit b HKÜ und forderte zu seiner Verbreitung auf. Die Spezialkommission unterstrich, dass der Praxisleitfaden als Ganzes zu lesen ist und bemerkte das, wie in Abs 33 ausgeführt, „bei Gewalt gegen einen Elternteil, sie sie physisch oder psy-

chisch, in gewissen außergewöhnlichen Umständen bei Rückkehr das Kind einer schwerwiegenden Gefahr körperlichen oder seelischen Schadens aussetzen oder es in anderer Weise in eine unzumutbare Situation bringen kann“. Die Einrede des Art 13 Abs 1 lit b HKÜ verlangt nicht etwa, dass das Kind direktes und primäres Opfer physischer Gewalt ist, soweit ausreichende Beweise vorliegen, dass wegen der gegen den entführenden Elternteil gerichteten Gewalt eine erhebliche Gefahr für das Kind besteht.

B.Mögliches Forum zu häuslicher Gewalt und Art 13 Abs 1 lit b HKÜ

26.Im Licht der Diskussion zum Thema häuslicher Gewalt und der Anwendung des Art 13 Abs 1 lit b HKÜ sowie weiters der Korrespondenz, die der Generalsekretär von Vertretern von Opfern häuslicher Gewalt vor Beginn der Spezialkommission unterstützte die Spezialkommission den Vorschlag des Generalsekretärs, ein Forum abzuhalten, das eine Diskussion zwischen Organisationen, die Eltern und Kinder vertreten, und den Anwendern des HKÜ 1980 erlaubt. Die Wichtigkeit der Absicherung einer ausgewogenen Vertretung aller interessierten Parteien wurde betont. Die Tagesordnung des Forums, das sich auf das Thema häuslicher Gewalt iZm Art 13 Abs 1 lit b HKÜ konzentrieren sollte, würde durch ein repräsentatives Steuerungskomitee vorbereitet werden. Das Forum könnte auch über weitere Arbeiten der HIPRK auf diesem Gebiet informieren. Vorbehaltlich verfügbarer Ressourcen würde das Forum idealerweise im Lauf des Jahres 2024 stattfinden. Die Spezialkommission forderte Staaten, die an Beiträgen zur Organisation oder Finanzierung eines solche Forums interessiert sind, zur entsprechenden Mitteilung an das Ständige Büro auf. Die Spezialkommission dankte den Philippinen für ihre Bereitschaft, mit finanzieller Hilfe anderer Staaten und Beobachter als Gastgeber des Forums in Manila zu fungieren

C.Art 13 Abs 1 lit b HKÜ – sichere Rückkehr einschließlich dringender Schutzmaßnahmen

27.Die Spezialkommission begrüßte das Australische Faktenblatt Internationales Richternetzwerk – Unterstützung von Schutzmaßnahmen durch das Haager Richternetzwerk für Kinder, die nach Australien zurückgeführt werden sollen („International Hague Network of Judges – Assistance with protective measures through the International Hague Network of Judges for children orders to be returned to Australia“) und stellte fest, dass solche Informationen in vielen Fällen hilfreich wären, um, wo nötig und angemessen, die Verfügbarkeit von Schutzmaßnahmen anzusprechen.

28.Die Spezialkommission anerkannte, dass ein Gericht erforderlichenfalls Schutzmaßnahmen zur Sicherheit des begleitenden Elternteils anordnen kann, um der erheblichen Gefährdung des Kindes zu begegnen.

29.Die Spezialkommission anerkannte, dass Schutzmaßnahmen zur Sicherheit des begleitenden Elternteils, wie in Abs 43 des Praxisleitfadens zu Art 13 Abs 1 lit b HKÜ

ausgeführt, „ein weites Feld bestehender Hilfsdienste, einschließlich Zugang zu Rechtsberatung, finanzielle Unterstützung, häusliche Unterstützung, Gesundheitsdienste, Schutzeinrichtungen und andere Formen von Hilfe und Unterstützung von Opfern häuslicher Gewalt sowie Reaktionen von Polizei und Strafverfolgungsbehörden“ abdecken können.

30.Schutzmaßnahmen sollten nur dann erwogen und angeordnet werden, wenn sie erforderlich sind. Wie in Abs 45 des Praxisleitfadens zu Art 13 Abs 1 lit b HKÜ ausgeführt, sollten sie „idealerweise, zumal jede Verzögerung die Ziele des HKÜ 1980 zerstören kann, frühzeitig im Verfahren aufgegriffen werden, sodass jede Partei die angemessene Möglichkeit hat, relevante Beweise zu deren Notwendigkeit und ihrer Durchsetzbarkeit zeitgerecht bereitzustellen“.

D.Undertakings der Gerichte

31.Ob in der Form eines Gerichtsbeschlusses oder freiwilliger Unternehmungen wird die Effizienz der Schutzmaßnahmen davon abhängen, ob und unter welchen Bedingungen sie im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes vollstreckbar gemacht werden können, was von dessen nationalem Recht abhängt. Eine Möglichkeit wäre es, den Schutzmaßnahmen durch eine Spiegelanordnung („mirror order“) im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts Rechtswirksamkeit zu verleihen, wenn dies möglich und verfügbar ist. Gleichwohl steht es dem Gericht des ersuchten Staats nicht zu, Anordnungen zu treffen, die seine Kompetenz überschreiten oder nicht zur Verminderung einer festgestellten erheblichen Gefährdung erforderlich sind. Festzuhalten ist, dass freiwillige Undertakings nicht immer und einfach vollstreckbar sind und deshalb in vielen Fällen nicht effektiv sein können. Selbst wenn freiwillige Undertakings im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes vollstreckbar gemacht werden können, sollte von ihnen mit Vorsicht Gebrauch gemacht werden, besonders in Fällen, in denen die erhebliche Gefährdung häusliche Gewalt umfasst (Abs 47 des Praxisleitfadens zu Art 13 Art 1 lit b HKÜ).

32.Soweit möglich sollten Undertakings, die vor dem Gericht des ersuchten Staats vorgenommen werden, in die Rückführungsanordnung inkludiert werden, um die Durchsetzung im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes zu erleichtern.

33.Die Spezialkommission unterstrich die Wichtigkeit zur Zugänglichkeit von Informationen zu im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes verfügbaren Schutzmaßnahmen vor deren – notwendigen und angemessenen – Anordnung.

34.Werden solche Maßnahmen nach Art 11 KSÜ angeordnet, sind sie in den anderen Vertragsstaaten ex lege anerkannt und „können auf Antrag jeder interessierten Partei im Einklang mit den nationalen Verfahrensvorschriften des Vollstreckungsstaats für vollstreckbar erklärt werden (Abs 48 des Praxisleitfadens zu Art 13 Abs 1 lit b HKÜ).

E.Kindesanhörung

35.Die Spezialkommission anerkannte, dass, wie in Schlussfolgerung und Empfehlung Nr 50 der Spezialkommission 2011 ausgeführt, „Staaten in ihrem nationalen Recht verschiedenen Ansätzen dazu folgen, wie die Sicht des Kindes in ihren Verfahren ermittelt und eingeführt wird“.

36.Wird ein Kind zum Zweck des Art 13 Abs 2 HKÜ angehört, betont die Spezialkommission, dass dies nur zu diesem Thema geschehen soll und nicht zu breiteren Fragen zum Kindeswohl, die vom Gericht des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes zu beurteilen sind.

37.Dazu hielt die Spezialkommission folgende guten Praktiken fest:

a.Die Person, die das Kind anhört – sei es der Richter, ein unabhängiger Sachverständiger oder jegliche andere Person –, sollte angemessene Ausbildung darin haben, diese Aufgabe in einer kinderfreundlichen Weise auszuüben und auch über das HKÜ 1980 und seine Handhabung unterrichtet sein.

b.Sollte die Person, die das Kind anhört, mit einem Elternteil sprechen, so sollte sie dies auch mit dem anderen tun.

c.Die Person, die das Kind anhört, sollte keine Sicht auf die Sorge- und Kontaktrechtsfrage äußern, weil sich der HKÜ-Antrag ausschließlich mit der Rückführung zu beschäftigen hat.

38.Die Spezialkommission bemerkte, dass die Einrede des „Widersetzens des Kindes“ nach Art 13 Abs 2 HKÜ von Art 13 Abs 1 lit b HKÜ getrennt ist und nicht davon abhängt, ob ein erhebliches Risiko körperlichen oder seelischen Schadens oder sonstiger unzumutbarer Situation besteht, wenn der Wille des Kindes nicht respektiert wird.

39Wird das Kind zu anderen Zwecken als jenen des Art 13 Abs 2 HKÜ angehört, einschließlich zu vorläufigem Kontakt, sind die oben angeführten guten Praktiken, soweit angemessen, anzuwenden.

VIII.Verfahren über Rückführungsanträge nach dem HKÜ 1980

A.Rückführungsanträge bei gleichzeitig vom entführenden Elternteil eingebrachten Asylanträgen

40.Über die Diskussion des Präliminardokuments Nr 16 hinaus betonte die Spezialkommission die Wichtigkeit der expeditiven Entscheidung über Rückführungsanträge und parallele Asylanträge.7 Wo dies nach nationalem Recht möglich und angemessen ist, forderte die Spezialkommission die Vertragsparteien auf, Schritte zur Erzielung dieses Ergebnisses zu erwägen.

B.Bestimmung des widerrechtlichen Verbringens (Art 8, 14 und 15 HKÜ)

41.Die Spezialkommission bemerkte, dass die Zentralen Behörden – unter Berücksichtigung der Wichtigkeit rascher

7 „Discussion Paper on International Child Abduction Return Applications Where the Taking Parent Lodged a Parallel Asylum Claim“, Präliminardokument Nr 16 vom August 2023, abrufbar unter www.hcch.net unter „Child Abduction Section“, „Special Commission Meetings“

Verfahren – nach Sicherstellung der Vorlage aller ersuchten Informationen zu Beginn des Rückführungsverfahrens trachten sollen. Dies würde für mehr Klarheit für die zuständigen Behörden sorgen und Zeit sparen.

42.Die Spezialkommission forderte die Vertragsparteien zu angemessener und möglichst rascher Anwendung der Bestimmungen des Art 8 HKÜ auf. Im Hinblick darauf forderte die Spezialkommission die Vertragsparteien auf, die Verwendung des neugefassten und bestätigten Musterformulars eines Rückführungsantrags8 zu erwägen.

43.Die Spezialkommission betonte den fakultativen Charakter von Ersuchen nach Art 15 HKÜ und forderte die Vertragsparteien, die solche Ersuchen vorsehen, zur Effizienzsteigerung auf.

44.Die Spezialkommission unterstrich, dass das Internationale Haager Richternetzwerk eine wichtige Rolle bei der expeditiven Bereitstellung von Rechtsauskünften spielen kann.

45.Die Spezialkommission nahm den Ermessensspielraum zur Kenntnis, der Gerichten und Verwaltungsbehörden gem Art 14 HKÜ in Bezug auf Feststellungen iSd Art 15 HKÜ zusteht.

46.Die Spezialkommission forderte das Ständige Büro zur Verfassung einer Note über den Gebrauch der Art 8, 14 und 15 HKÜ auf Grundlage des Präliminardokuments Nr 149 auf. Die entwickelte Note wird den Staaten zur Kommentierung vorgelegt werden. Nach Fertigstellung des Entwurfs wird er unter den Mitgliedern und Vertragsparteien zirkuliert und dem Rat für Allgemeine Angelegenheiten und Politik der Konferenz zur endgültigen Bestätigung übermittelt.

IX.Sorgerecht und Kontaktrecht nach dem HKÜ 1980

47.Die Spezialkommission betonte neuerlich, dass ein Antrag zu Vereinbarungen zur Organisation oder Sicherung effektiver Ausübung des Kontakts nach Art 21 HKÜ bei den Zentralen Behörden eingebracht werden kann, gleichgültig, ob dieser mit einer internationalen Kindesentführung im Zusammenhang steht oder nicht (wie bereits in Schlussfolgerung und Empfehlung 18 der Spezialkommission 2017 festgehalten).

48.Die Spezialkommission bemerkte die ergänzende Natur des Art 35 KSÜ in Bezug auf Kontaktanträge nach dem HKÜ und forderte die Vertragsparteien auf, wo möglich zum Zweck des HKÜ von Art 35 KSÜ Gebrauch zu machen.

49.Die Spezialkommission bemerkte anerkennend, das seine Mehrzahl der Vertragsstaaten, die auf die Fragebögen zu HKÜ 1980 und KSÜ 1996 geantwortet haben, gemäß beiden Übereinkommen Verfahrenshilfe gewähren, wo es die Umstände erfordern, und Auskunft an

8 Abrufbar unter www.hcch.net unter „Child Abduction Section“

9 „Tools Available to Ascertain Whether a Removal or Retention Is Wrongful Under the 1980 Child Abduction Convention (Arts 8, 14 and 15)“, Präliminardokument Nr 14 vom August 2023, abrufbar unter www.hcch.net unter „Child Abduction Section“, „Special Commission Meetings“

ausländische Antragsteller erteilen. Die Spezialkommission erinnerte an die Grundsätze, die im Leitfaden zu grenzüberschreitendem Kontakt in Bezug auf Kinder10 entwickelt wurden:

„Bei Antragstellern aus dem Ausland umfasst effektiver Zugang zum Verfahren:

i)die Erhältlichkeit angemessener Auskünfte und Informationen, die die besonderen Schwierigkeiten in Betracht ziehen, die aus der Fremdheit der Sprache und des Rechtssystems entstehen;

ii)die Bereitstellung angemessener Hilfe bei der Anhängigmachung eines Verfahrens;

iii)dass fehlende Mittel kein Hindernis bilden sollen, und

iv)dass jederzeit die Möglichkeit besteht, Kontaktrechtsprobleme geltend zu machen.“ (Abs 5.1.2)

Die Spezialkommission forderte andere Vertragsparteien auf, dies ebenfalls zu tun.

X.Werkzeuge zur Hilfestellung bei der Einführung des HKÜ 1980

A.Revidiertes empfohlenes Musterformular für Rückführungsanträge und neues empfohlenes Musterformular für Kontaktanträge

50.Unter Kenntnisnahme des Fortschritts im Hinblick auf das revidierte empfohlene Musterformular für Rückführungsanträge und das neue empfohlene Musterformular für Kontaktanträge kam die Spezialkommission zum Schluss, dass weitere Arbeit erforderlich ist. Die Spezialkommission schlug vor, dass eine Gruppe interessierter Delegierter das Ständige Büro bei der Fertigstellung der beiden revidierten Formulare unterstützt. Die Gruppe sollte sich online treffen. Die Spezialkommission forderte das Ständige Büro zur Herausgabe eines Rundschreibens auf, das interessierte Staaten zur Namhaftmachung an der Teilnahme an dieser Arbeit interessierter Delegierter einlädt. Die Spezialkommission forderte das Ständige Büro zur Zirkulierung der revidierten Formulare an alle Mitglieder und Vertragsparteien, die nicht Mitglied sind, auf. Die revidierten Formulare werden dem Rat für Allgemeine Angelegenheiten und Politik der Konferenz zur Bestätigung vorgelegt, wenn möglich zu dessen Treffen 2024, sonst durch einen Fernentscheidungsprozess.

B.Revidiertes Landesprofil zum HKÜ 1980

51.Die Spezialkommission bestätigte die Revision mancher Punkte des Landesprofils zum HKÜ 1980 vorbehaltlich finaler Redaktion und Aufnahme von Ergänzungen, die die Kommentare während des Treffens reflektieren, durch das Ständige Büro.

XI.Mediation in Bezug auf das HKÜ 1980 und das KSÜ1996

52.Die Spezialkommission forderte zur Werbung für und Bereitstellung von Mediation in grenzüberschreitenden Familien- und Kindesentführungskonflikten auf, wo dies angemessen ist. Die Spezialkommission dankte Staaten und Organisationen für deren Präsentationen und bemerkte den positiven Fortschritt in Bezug auf die Verfügbarkeit von Mediationen in verschiedenen Gerichtsbarkeiten.

XII.Internationaler Umzug einer Familie

53.Die Spezialkommission bemerkte, dass expeditive Erledigung von Anträgen auf internationale Umzüge einer Familie die Zwecke des HKÜ 1980 auf Verhinderung internationaler Kindesentführungen stärken kann und ermutigte zur Promotion der Washingtoner Erklärung zu internationalem Familienumzug vom 25. 3. 2010 durch eine Veröffentlichung in der Richterzeitung zum internationalen Kinderschutz und durch andere Mittel.

54.Unter Kenntnisnahme der verschiedenen Ansätze der Staaten auf diesem Gebiet und zur Sicherung der Anwendung der Grundsätze der Washingtoner Erklärung schlug die Spezialkommission die Entwicklung eines Fragebogens durch das Ständige Büro vor, um Informationen über Verfahren zu sammeln, die die Staaten zur Ermöglichung rechtmäßiger Umzüge zur Verfügung stellen.

55.Die Spezialkommission unterstrich die Vorteile der Ratifikation bzw des Beitritts zum KSÜ 1996 und des Praxisleitfadens zu grenzüberschreitender Anerkennung und Vollstreckung von Vereinbarungen, die im Rahmen von Familienangelegenheiten unter Beteiligung von Kindern getroffen wurden,11 zur Ermöglichung rechtmäßiger Umzüge.

10 Abrufbar unter www.hcch.net unter „Child Abduction Section“, „HCCH Publications“ 11 Abrufbar unter www.hcch.net unter „Child Abduction Section“

RECHTSPRECHUNG Internationale Aspekte

Art 15 VO Brüssel IIa; Art 16 HKÜ

Keine Zuständigkeitsübertragung während eines Rückführungsverfahrens

iFamZ 2024/31

OGH 20. 11. 2023, 6 Ob 190/23v (…) [5] 2. Das Fehlen von Rsp des OGH zu einer Frage des Unionsrechts begründet für sich allein noch keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung. Bei unbestimmten Gesetzesbegriffen reicht es aus, wenn sich aus der Rsp des EuGH Leitlinien zu deren Auslegung ergeben. Die Anwendung dieser Leitlinien auf den Einzelfall kann in weiterer Folge – wie auch in rein nationalen Fällen, in denen die Leitfunktion dem OGH zukommt – nur dann eine erhebliche Rechtsfrage begründen, wenn das Gericht zweiter Instanz seinen Beurteilungsspielraum überschritten hat, also eine gravierende Fehlbeurteilung vorliegt (9 Ob 75/22b, ErwGr 2.; RIS-Justiz RS0117100 [insb T12]).

[6] 3. Solche Leitlinien sind im vorliegenden Fall der vom Rekursgericht eingeholten Vorabentscheidung des EuGH vom 13. 7. 2023, C-87/22, zu entnehmen:

[7] 3.1. Danach kann ein Gericht, das nach Art 10 VO Brüssel IIa für Fragen der elterlichen Verantwortung zuständig ist, in Ausnahmefällen und nach angemessener, ausgewogener und vernünftiger Berücksichtigung des Kindeswohls die Verweisung des Falls, mit dem es befasst ist, auch an ein Gericht des Mitgliedstaats beantragen, in den das betreffende Kind von einem Elternteil widerrechtlich verbracht wurde (C-87/22, Rn 51).

[8] 3.2. Die Möglichkeit des in Fragen der elterlichen Verantwortung für die Entscheidung in der Hauptsache zuständigen Gerichts eines Mitgliedstaats, die Verweisung dieses Falls an ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats gem Art 15 Abs 1 VO Brüssel IIa zu beantragen, unterliegt ausschließlich den in dieser Bestimmung ausdrücklich genannten Voraussetzungen. Bei der Prüfung derjenigen dieser Voraussetzungen, die den Umstand, dass es in dem anderen Mitgliedstaat ein Gericht gibt, das den Fall besser beurteilen kann, und das Wohl des Kindes betreffen, muss das Gericht des ersten Mitgliedstaats berücksichtigen, ob gem Art 8 Abs 1 und 3 lit f HKÜ ein Verfahren zur Rückgabe dieses Kindes anhängig ist, das in dem Mitgliedstaat, in den das Kind von einem Elternteil widerrechtlich verbracht wurde, noch nicht rechtskräftig entschieden wurde. [9] 3.3. Zur konkreten Berücksichtigung eines solchen Umstands wurde ua dargelegt, dass hinsichtlich der Voraussetzung, dass das Gericht, an das die Verweisung erwogen wird, den Fall „besser“ beurteilen können muss, neben anderen Gesichtspunkten Verfahrensvorschriften des anderen Mitgliedstaats, wie die Vorschriften über die für die Behandlung des Falls erforderlichen Beweise, berücksichtigt werden können (C-87/22, Rn 63). Ebenso kann die Verweisung einen realen und konkreten Mehrwert für den Erlass einer das Kind betreffenden Entscheidung darstellen, wenn das Gericht, an das die Verweisung erwogen wird, auf Antrag der Parteien des Ausgangsverfahrens und entsprechend den anwendbaren Verfahrensvorschriften insb auf der Grundlage von Art 20 VO Brüssel IIa eine Reihe dringender einstweiliger Maßnahmen erlassen hat. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses Gericht im Licht der ihm von den Beteiligten so zur Kenntnis gebrachten Informationen besser in der Lage ist, alle Lebensumstände und Bedürfnisse des betroffenen Kindes zu erfassen und unter Berücksichtigung des Kriteriums der räumlichen Nähe angemessene Entscheidungen für das Kind zu treffen (C-87/22, Rn 66).

[10] 3.4. Allerdings kann, wenn bei den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, in den das betreffende Kind widerrechtlich verbracht wurde, gemäß den Bestimmungen des HKÜ ein Rückfüh-

rungsantrag gestellt wurde, kein Gericht dieses Mitgliedstaats als iSd Art 15 Abs 1 VO Brüssel IIa zur besseren Beurteilung des Falls geeignet angesehen werden, solange die in Art 11 HKÜ und in Art 11 VO Brüssel IIa vorgesehene Frist von sechs Wochen noch nicht abgelaufen ist. Außerdem kann die erhebliche Verzögerung mit der die Gerichte dieses Mitgliedstaats über diesen Rückführungsantrag entscheiden, ein Faktor sein, der gegen die Feststellung spricht, dass diese Gerichte besser in der Lage wären, in der Hauptsache über das Sorgerecht zu entscheiden (C-87/22, Rn 67).

[11] Nachdem ihnen das widerrechtliche Verbringen des Kindes mitgeteilt wurde, dürfen die Gerichte des Vertragsstaats, in den das Kind verbracht wurde, nach Art 16 HKÜ eine Sachentscheidung über das Sorgerecht erst treffen, wenn insb entschieden ist, dass das Kind aufgrund dieses Übereinkommens nicht zurückzugeben ist. Es ist daher Sache des vorlegenden Gerichts, diesen Aspekt bei seiner Beurteilung der zweiten Voraussetzung von Art 15 Abs 1 VO Brüssel IIa besonders zu berücksichtigen (C-87/22, Rn 68).

[12] Dies gilt auch für die Beurteilung der Voraussetzung des Kindeswohls, bei der im Hinblick auf Art 16 HKÜ nicht außer Acht gelassen werden darf, dass es den Gerichten des Mitgliedstaats, in den das Kind von einem Elternteil widerrechtlich verbracht wurde, solange unmöglich ist, eine dem Kindeswohl entsprechende Sachentscheidung über das Sorgerecht zu treffen, bis das mit dem Antrag auf Rückgabe des Kindes befasste Gericht dieses Mitgliedstaats zumindest über diesen Antrag entschieden hat (C-87/22, Rn 69).

[13] 4.1. Das Rekursgericht erachtete in der slowakischen Staatsangehörigkeit der beiden Kinder einen ausreichenden Bezug zur Slowakischen Republik begründet. Es war der Auffassung, es sprächen zwar einige Umstände dafür, dass das Wohl der Kinder dadurch besser gefördert würde, wenn das Obsorgeverfahren von Gerichten der Slowakischen Republik weitergeführt würde. Nicht nur, dass eine einfachere und effizientere Verfahrensführung ermöglicht würde, weil langwierige Übersetzungen schriftlicher Eingaben, der Urkunden oder aber auch im Zuge von Beweisaufnahmen wegfielen, würden Erhebungen der slowakischen Jugendwohlfahrtsbehörden und allenfalls auch slowakische Kinderpsychologen rascher, unmittelbarer – nämlich ohne Beiziehung von Dolmetschern – und in direktem Weg und nicht im Weg über die Europäische Beweisaufnahmeverordnung zu erreichen sein. Es widerspreche jedoch dem Wohl des Kindes iSd Art 15 VO Brüssel IIa, dass die slowakischen Gerichte bislang über den im Juli 2020 gestellten Rückführungsantrag des Vaters nach dem HKÜ noch nicht rechtskräftig entschieden haben. Aufgrund der noch nicht rechtskräftig erledigten Rückführungsentscheidung komme eine Übertragung der Zuständigkeit nach dem Regelungsregime des Art 15 VO Brüssel IIa – im vorliegenden Fall jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt – nicht in Betracht.

[14] Mit dieser Auffassung hat das Rekursgericht den nach den erörterten Leitlinien des EuGH bestehenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten.

[15] 4.2. Entgegen der Ansicht des Revisionsrekurses hat das Rekursgericht eine Abwägung der nach der Rsp des EuGH maßgeblichen Kriterien vorgenommen. In diesen Kriterien findet auch dessen Beurteilung Deckung, dass im vorliegenden Fall aufgrund der noch nicht rechtskräftigen Entscheidung über den Rückführungsantrag des Vaters eine Übertragung der Zuständigkeit nicht in Betracht kommt, zumal danach bei der Beurteilung, ob das Gericht, an das die Verweisung erwogen wird, den Fall „besser“ beurteilen kann, nicht nur die erhebliche Verzögerung, mit der die slowakischen Gerichte über den Rückführungsantrag des Vaters entscheiden, gegen eine solche „bessere“ Beurteilung spricht (C-87/22, Rn 67), sondern auch der Umstand besonders zu berücksichtigen ist, dass die slo-

Robert

INTERNATIONALE ASPEKTE

wakischen Gerichte nach Art 16 HKÜ eine Sachentscheidung über das Sorgerecht erst treffen dürfen, wenn insbesondere entschieden ist, dass das Kind aufgrund des Übereinkommens nicht zurückzugeben ist (C-87/22, Rn 68).

[16] 4.3. Der Revisionsrekurs legt weder nachvollziehbar dar, welche dringenden einstweiligen Maßnahmen nach Art 20 Deckung das slowakische Gericht angeblich erlassen habe noch weshalb diese Maßnahmen oder slowakische Verfahrensvorschriften im konkreten Fall dennoch für eine „bessere“ Beurteilung durch das slowakische Gericht sprechen sollten. Mit der den erörterten Leitlinien des EuGH (C-87/22, Rn 69) entsprechenden Beurteilung des Rekursgerichts, wonach eine Übertragung der Zuständigkeit aufgrund der noch nicht rechtskräftig erledigten Rückführungsentscheidung auch nicht dem Kindeswohl entspreche, setzt sich der Revisionsrekurs gar nicht auseinander. (…)

Anmerkung

Der EuGH hatte es in C-87/22 (iFamZ 2023/222, 299) an Deutlichkeit noch etwas mangeln lassen, der OGH präzisiert: Während eines anhängigen Rückführungsverfahrens kann der ersuchende Staat die Zuständigkeit gem Art 15 VO Brüssel IIa nicht an den ersuchten Staat transferieren. Ob dies nach Art 12 VO Brüssel IIb noch immer der Fall ist, bleibt offen. Die neue VO verbietet bei anhängigem Rückführungsverfahren nur ein Übergabeersuchen iSd Art 13 VO Brüssel IIb durch das ersuchte Gericht, und ein Umkehrschluss zugunsten eines Übernahmeersuchens iSd Art 12 VO Brüssel IIb liegt nahe. Aber auch hier werden die allgemeinen Erwägungen dazu, ob das andere Gericht den Fall besser beurteilen kann, zu beachten sein.

[19] Für den Gerichtsstand nach Art 7 Nr 2 EuGVVO wegen Ansprüchen aus verbotenen Unterlassungen ist der Ort maßgeblich, an dem die Handlung zu setzen gewesen wäre bzw der Schädiger pflichtwidrig nicht gehandelt hat (vgl 2 Ob 27/21s; Garber/Mayr/ Neumayr/Wittwer in Mayr, Europäisches Zivilverfahrensrecht2 [2020] Kap 3 Rz 3.339; Czernich in Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht4 [2015] Art 7 Rz 127).

[20] Der Ort, an dem die Beklagte handeln, nämlich das Kind übergeben hätte sollen, lag unabhängig von ihrem geänderten ständigen Wohnsitz bis zu einer Neuregelung des Kontaktrechts in Graz. Der Revisionsrekurswerber kann sich daher nach Art 7 Nr 2 EuGVVO erfolgreich auf Graz als den Gerichtsstand des Orts, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, berufen.

[21] Die Einrede der mangelnden internationalen Zuständigkeit war daher zu verwerfen und dem Erstgericht die Durchführung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Klage unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen. (…)

Anmerkung

Es wundert wenig, dass die den Kontakt vereitelnde Mutter sich auch gegen die internationale Zuständigkeit Österreichs zu Schadenersatz aus ihrem kindschaftsrechtswidrigen Verhalten (Unterlassen der Übergabe des Kindes in Graz zur Kontaktausausübung) wendet. Ebenso wenig wundert es, dass der OGH hier Klartext spricht und die Zuständigkeit bejaht.

§ 84 ZPO iVm § 10 AußStrG iFamZ 2024/33 Keine Verbesserung eines rechtsmissbräuchlich fehlerhaften Anbringens

Art 7 Nr 2 EuGVVO

Gerichtsstand der Schadenszufügung bei familienrechtswidrigem Unterlassen

iFamZ 2024/32

OGH 17. 11. 2023, 8 Ob 108/22y (…) [16] 1. Nach Art 7 Nr 2 EuGVVO kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, und zwar vor dem Gericht des Orts, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Delikte im Sinn dieser Bestimmung sind unerlaubte Handlungen, die eine Schadenshaftung des Beklagten nach sich ziehen und nicht an einen Vertrag iSd Art 5 Nr 1 EuGVVO anknüpfen (RIS-Justiz RS0109078).

[17] Maßgeblich ist immer jener Ort, an dem es zu einem direkten Eingriff in das Rechtsgut des Geschädigten kommt und wo sich der Schadenseintritt zuerst auswirkt. Auf den Ort des Eintritts allfälliger Folgeschäden kommt es nicht an (RIS-Justiz RS0109078 [T28]).

[18] Der Kläger gründet seinen Anspruch zusammengefasst darauf, dass die Beklagte durch ihren Wegzug ins Ausland das Kontaktrecht zu seinem Sohn widerrechtlich vereitelt habe. Da der Beklagten als allein Obsorgeberechtigter auch gegen den Vater grundsätzlich das Recht zustand, den Wohnort des Kindes im In- oder Ausland zu bestimmen (RIS-Justiz RS0047936 [insb T5]), liegt der Kern des Klagsvorwurfs rechtswidrigen Verhaltens nicht in einer Handlung, nämlich dem Wohnsitzwechsel nach Spanien, sondern einer Unterlassung, weil die Beklagte ihre gültig gerichtlich festgelegte Verpflichtung, das Kind jeweils nach der Schule in Graz zwecks Ausübung des Kontaktrechts des Vaters bereitzuhalten, nicht mehr erfüllt hat.

OGH 13. 11. 2023, 3 Ob 185/23m (3 Ob 186/23h) (…) [12] Der außerordentliche Revisionsrekurs gegen den Beschluss 20 R 22/22t (ON 129) zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf: [13] Der Senat hat bereits in der Entscheidung zu 3 Ob 26/19y in der den Minderjährigen betreffenden Pflegschaftssache zu den vom Vater erhobenen Rechtsmitteln ausgesprochen, dass einer Partei zwar grundsätzlich gem §§ 84 f ZPO die Möglichkeit einzuräumen ist, Formmängel einer Prozesshandlung innerhalb einer vom Gericht zu setzenden Frist zu beheben, dass dies aber nicht gilt, wenn die Partei ihre Eingabe im Bewusstsein ihrer Fehlerhaftigkeit eingebracht hat (vgl RIS-Justiz RS0036385 [T11]; RS0036447 [T7]). Bereits damals hat der Senat darauf hingewiesen, dass an der Kenntnis des Vaters von der Notwendigkeit der Originalunterschrift auf dem Rekurs nicht zu zweifeln und schon aus diesem Grund von der Einleitung eines Verbesserungsverfahrens abzusehen gewesen sei.

[14] Die Entscheidung des Rekursgerichts, nach der auch hier wegen der neuerlichen rechtsmissbräuchlichen Vorgangsweise ein Verbesserungsverfahren nicht durchzuführen gewesen sei, ist daher nicht korrekturbedürftig.

[15] Die Ausführungen des Rechtsmittels zur Zulässigkeit von Neuerungen iZm den von Amts wegen zu überprüfenden Zustellvorschriften zeigen keine erhebliche Rechtsfrage auf; inhaltlich wird ausschließlich dahin argumentiert, dass ein bloßes Formgebrechen vorgelegen und eine Verbesserung einzuräumen gewesen sei. Dies hat das Rekursgericht hier aber vertretbar verneint. (…)

Anmerkung

Allzu oft lassen sich Familiengerichte gefallen, dass Parteien sich um Regeln gar nicht scheren. In diesem Fall hat das Rekursgericht, vom OGH zurecht bestätigt, ein Zeichen gegen systematischen Rechtsmissbrauch gesetzt, das auch zu mehr Mut gegenüber Destruktion im Verfahren anregen möge. Robert Fucik

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