Leseprobe immo aktuell | Linde Verlag

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immo aktuell

Immobilien – Steuern – Recht

Karin Fuhrmann | Johann Höllwerth | Sabine Kanduth-Kristen | Simone Maier-Hülle

Alexandra Patloch-Kofler | Florian Petrikovics | Katharina Pinter | Markus Reithofer

Bernhard Woschnagg | Christian Zenz

Immobilien und Steuern

Investitionsfreibetrag für „klimafreundliche Heizungssysteme“

Bildung einer steuerlichen Unternehmensgruppe

Immobilien und Recht

Grob nachteiliger Gebrauch des Mietobjekts

Gewerbliche Tochtergesellschaften gemäß § 7 Abs 4b WGG

Auslegung einer unglücklichen Wertsicherungsklausel

Mietzinsbildung in der Wohnraummiete in Deutschland

Der „relevante Markt“ in der Immobilienbewertung

Praxisinformationen

Blick in die Immobilienbranche

Rechtsprechung von BFG, VwGH und OGH samt Anmerkungen

5. Jahrgang / Juni 2023 / Nr. 3

Vertragsgestaltung leicht gemacht

Einfach und verständlich erklärt

Steuern. Wirtschaft. Recht.

Am Punkt.

Für Hausverwalter, Eigentümer, Makler & private Vermieter

Musterverträge Mietrecht ZÄUNER | RODLER

2023 282 Seiten, kart. 978-3-7073-4700-5

€ 59,–digital erhältlich

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Gibt es für die Immobilienbewertung einen in Zahlen ausdrückbaren „relevanten Markt“?

Herausgeber:

Mag. Karin Fuhrmann; Hon.-Prof. HR Dr. Johann Höllwerth; Univ.-Prof. Dr. Sabine Kanduth-Kristen, LL.M.; Mag. Simone Maier-Hülle; Dr. Alexandra Patloch-Kofler; Mag. Florian Petrikovics; Mag. Katharina Pinter; Mag. Markus Reithofer, MSc, MRICS; Mag. Bernhard Woschnagg; Mag. Christian Zenz.

Beirat:

Dr. Stefan Artner; Mag. Peter Denk; Dr. Stephan Eberhardt; Dr. Erich René Karauscheck; FH-Doz. Univ.-Lekt. Mag. Christoph Kothbauer; Mag. Herbert Kovar; Dr. Manuela Maurer-Kollenz; Dr. Reinhard Pesek; Mag. Daniel Richter; Mag. Franz Rittsteuer; Wolfgang Schwetz, MSc, BA, MRICS; Mag. Wolfgang Siller; Prof. Mag. Walter Stingl; Dr. Roman Thunshirn; Mag. Lukas Till; Dr. Markus Vaishor; Mag. Patrick Walch; Dr. Daniela Witt-Dörring.

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Gesellschafter: Anna Jentzsch (35 %) und Jentzsch Holding GmbH (65 %).

Geschäftsführung: Mag. Klaus Kornherr und Benjamin Jentzsch.

Erscheinungsweise und Bezugspreise: Periodisches Medienwerk: immo aktuell – Immobilien – Steuern – Recht. Grundlegende Richtung: Fachinformationen rund um Immobilien und verwandte Themen des (Steuer-)Rechts.

Erscheint sechsmal jährlich.

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IMPRESSUM
3/2023
Inhaltsverzeichnis Kolumne Blick in die Immobilienbranche Walter Senk.................................................................................................................... 106 Fachbeiträge Steuern Erweiterung des Investitionsfreibetrags auf „klimafreundliche Heizungssysteme“ Sabine Kanduth-Kristen / Marlene Komarek ............................................................................. 107 Bildung einer steuerlichen Unternehmensgruppe nach § 9 KStG Cornelia Holubiczka............................................................................................................ 110 Rechtsprechung Steuerrecht BFG- und VwGH-Judikatur Sabine Kanduth-Kristen / Andreas Kampitsch. 112 Fachbeiträge Recht Grob nachteiliger Gebrauch iSd § 30 Abs 2 Z 3 MRG Erich René Karauscheck................................ 118 Gewerbliche Tochtergesellschaften gemäß § 7 Abs 4b WGG – liquider Rahmen regulatorischer Einschränkungen? Wolfgang Schwetz............................................................................................................... 119 Eine unglückliche Wertsicherungsklausel im „kundenfeindlichsten Sinn“ ausgelegt Erich René Karauscheck................................ 121 Die Mietzinsbildung in der Wohnraummiete am Beispiel Deutschlands Erwin Dervić................................................................................................................... 126
Markus Singer.................................................................................................................. 130 Rechtsprechung Immobilienrecht OGH-Judikatur Johann Höllwerth............................................................................................................... 134 Service Literaturhinweis 117
Inhaltsverzeichnis

Blick in die Immobilienbranche

Die Unsicherheiten auf den Immobilienmärkten lassen die Akteure vorerst abwarten. Sowohl bei den Investments als auch bei der Projektentwicklung.

Wien als Epizentrum der Wohnungsnot in Europa?

Große Aufregung gab es über einen Artikel von bloomberg.com – das größte Medium für Börsen- und Finanznews –, dass Wien das „Epizentrum der Wohnungsnot in Europa“ nannte. In dem Artikel heißt es unter anderem: „Wien wurde zum schwächsten Wohnungsmarkt unter den europäischen Hauptstädten und verzeichnete einen zweistelligen Rückgang.“ Anders als die Bloomberg-Erhebung für Wien zeigt eine detaillierte Auswertung von Exploreal nach wie vor eine positive Dynamik bei Bauträgerprojekten. Gerald Gollenz, Fachverbandsobmann der WKO: „Es mag vielleicht in dem einen oder anderen Segment oder einer bestimmten Lage ein gewisses Minus gegeben haben, aber über ganz Wien gesehen stellt sich die Entwicklung anders dar.“

Dass die institutionellen Investments in Immobilien durch den Zinsanstieg zurückgehen, weil andere Anlageformen an Attraktivität zulegen, ist kein Österreich- oder Wien-Spezifikum, meint VÖPE-Präsidiumssprecher Andreas Köttl: „Volkswirtschaftliche Daten von Eurostat zeigen, dass sich Österreich weitgehend im Trend der Eurozone bewegt.“ Was wirklich gefallen ist, sind die Baugenehmigungen in Wien, und „wir werden daher in den kommenden Jahren auf eine Wohnungsnot zusteuern“, so Gerald Gollenz

Weiteres Abwarten

Dennoch führen die hohen Kosten für Fremdkapital und die Unsicherheit über die weitere Entwicklung der Zinsen dazu, dass sowohl institutionelle Investoren als auch Wohnungskäufer abwarten. Den Kapitalinvestoren fehlen die Vergleichstransaktionen in diesem unsicheren Markt, die Wohnungskäufer hoffen auf sinkende Wohnungspreise.

Franz Pöltl, als Geschäftsführer der EHL Investment Consulting, ortet aktuell wenig Bereitschaft, neue Projekte zu erwerben. „Immobilienfonds, Pensionskassen und Versicherungen, die in den vergangenen Jahren auf Käuferseite dominiert haben, gehen aktuell kaum neue Engagements ein und ziehen tendenziell sogar eher Mittel aus dem Immobiliensegment ab.“ Diese Entwicklung werde zumindest so lange anhalten, bis die EZB die Zinsanhebungen abge-

schlossen hat. Erst dann wird sich die Marktstimmung ändern, und „Institutionelle werden wieder in größerem Maß Neuinvestments prüfen“, so Franz Pöltl

Herausforderungen für die heimischen Bauträger

Für die heimischen Bauträger ist die aktuelle Lage ebenfalls herausfordernd. Dies liegt insbesondere bei den erhöhten Baukosten, aber auch bei den Rahmenbedingungen getrieben durch Inflation, Zinsen und Energiekosten. „Die hohen Zinsen und Baukosten sind in Wahrheit nur noch das Tüpfelchen auf dem i“, ärgert sich Hans Jörg Ulreich, Bauträgersprecher der WKO: „Das grundlegende Problem sind die fehlenden rechtlichen Rahmenbedingungen. Ohne klare Vorgaben ziehen sich Bauprojekte in eine unendliche Länge, das ist für die meisten aufgrund der hohen Zinsen nicht mehr leistbar.“ Für Hans Jörg Ulreich gehöre das Problem an der Wurzel angepackt: „Das bedeutet Rechtssicherheit.“ Die Politik muss Flächenwidmungen auf Innenentwicklung umstellen, Verfahren verkürzen, die Sanierungsrate über eine MRG-Änderung ankurbeln, überbordende Normen, etwa beim Brandschutz oder den Stellplätzen, an die heutige Zeit anpassen und straffen. „Das sind einige wenige, aber enorm effiziente Hebel“, so Hans Jörg Ulreich. In der Praxis führt es dazu, dass Baustarts in die Zukunft verschoben werden. Die Projekte werden aber weiterentwickelt, erklärt Andreas Holler, Geschäftsführer der BUWOG Group: „Wir arbeiten daran, unsere geplanten Entwicklungsprojekte baureif zu machen, um direkt weiterbauen zu können, sobald sich die Lage etwas entspannt hat.“

Weniger Einzelkämpfer, mehr Partnerschaften

Walter Hammertinger, Chief Development Officer der Value One Gruppe, blickt in die Zukunft und spricht von einer neuen Zeitrechnung, in der es weniger Einzelkämpfer geben wird: „Es wird mehr um starke Partnerschaften gehen. Wir glauben an die Kraft von Partnerschaften auf allen Ebenen: Partnerschaften sind die Grundlage für Expansion im Inland und Ausland im Bereich Unternehmensbeteiligung, Development und Operations.“

BLICK IN DIE IMMOBILIENBRANCHE 3/2023 106
Blick in die Immobilienbranche
Walter Senk ist Chefredakteur der Immobilien-Redaktion und Journalist mit dem Fachgebiet „Immobilien“. Er konzipiert und betreut Newsletter und Magazine für Medien und Unternehmen, moderiert Veranstaltungen und leitet Podiumsdiskussionen.

Erweiterung des Investitionsfreibetrags auf „klimafreundliche Heizungssysteme“

Weitere Impulse im Bereich der Ökologisierung des Steuerrechts

Der Anwendungsbereich des Investitionsfreibetrags iSd §11 EStG wurde rückwirkend für nach dem 31.12.2022 angeschaffte oder hergestellte Wirtschaftsgüter auf die Anschaffung oder Herstellung von klimafreundlichen Heizungsanlagen iZm Gebäuden ausgedehnt. Der österreichische Gesetzgeber setzt damit weitere Impulse im Bereich der Ökologisierung des Steuerrechts.

1.Vorbemerkung

Die Bundesregierung hat sich im Rahmen ihres Regierungsprogramms 2020 – 20241 ua der Umsetzung klimafreundlicher Maßnahmen verpflichtet. Auf steuerlicher Ebene wurde etwa im Rahmen des ÖkoStRefG2022 TeilI, BGBlI 2022/10, der Investitionsfreibetrag (IFB) unter Berücksichtigung ökologischer Zielsetzungen in §11 EStG (wieder) eingeführt.2 Dieser soll als wirtschaftsfördernde Maßnahme insbesondere auch Anreize für klimafreundliche Investitionen schaffen.3

2.Anwendungsbereich des IFB „neu“

Der IFB gemäß §11 EStG kann von natürlichen und juristischen Personen im Rahmen betrieblicher Einkünfte für die Anschaffung oder Herstellung von Wirtschaftsgütern des abnutzbaren Anlagenvermögens in Anspruch genommen werden. Er beträgt 10% der Anschaffungs- oder Herstellungskosten begünstigter Wirtschaftsgüter bzw 15% bei Wirtschaftsgütern, deren Anschaffung „dem Bereich der Ökologisierung“4 zuzuordnen sind. Die begünstigte Investitionssumme ist mit Anschaffungs- oder Herstellungskosten von höchstens 1Mio€ pro Wirtschaftsjahr betraglich gedeckelt. Der IFB kann daher jährlich bis zu 100.000€ (bei Investitionen, die insgesamt nicht dem Bereich Ökologisierung zuzuordnen sind; 10%iger IFB) bzw 150.000€ (bei Investitionen, die insgesamt dem Bereich Ökologisierung zuzuordnen sind; 15%iger IFB) betragen. Der IFB stellt eine Betriebsausgabe iSd §4 Abs4 EStG dar,

1 Vgl Die neue Volkspartei/Die Grünen, Aus Verantwortung für Österreich. Regierungsprogramm 2020–2024 (2020) 54 bis56.

2 Der IFB „neu“ orientiert sich konzeptionell an dem IFB „alt“, der mit dem BudBG 2001, BGBlI 2000/142, abgeschafft wurde und letztmals für vor dem 1.1.2001 angefallene Anschaffungs- oder Herstellungskosten geltend gemacht werden konnte.

3 Vgl ErlRV 1293 BlgNR 27.GP, 5.

4 Vgl Verordnung des BMF über Wirtschaftsgüter, deren Anschaffung oder Herstellung für Zwecke des IFB dem Bereich Ökologisierung zuzuordnen ist (Öko-IFB-VO), BGBlII 2023/155.

die die steuerliche Bemessungsgrundlage mindert, die Höhe der Absetzung für Abnutzung (AfA) iSd §§7 und8 EStG aber gemäß §11 Abs1 Z3 EStG unberührt lässt.5 Er kann gemäß §124b Z386 EStG erstmals für nach dem 31.12.2022 angeschaffte oder hergestellte begünstigte Wirtschaftsgüter in Anspruch genommen werden. IFB-begünstigte Wirtschaftsgüter sind gemäß §11 Abs2 EStG Wirtschaftsgüter des abnutzbaren Anlagenvermögens mit einer betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer von mindestens vier Jahren, die inländischen Betrieben oder inländischen Betriebsstätten zuzurechnen sind.6 Einschränkungen in Bezug auf den Kreis der begünstigten Wirtschaftsgüter finden sich in §11 Abs3 EStG.

3.IFB-Ausschluss für Gebäude

Gemäß §11 Abs3 Z2 EStG ist die Geltendmachung des IFB für Wirtschaftsgüter, für die in §8 EStG ausdrücklich eine Sonderform der AfA vorgesehen ist, ausgeschlossen.7 Daraus folgt, dass Gebäude von der Geltendmachung des IFB ausgenommen sind.8 Dieser Ausschluss wird insbesondere mit der durch das KonStG 2020 eingeführten beschleunigten AfA für Gebäude gemäß §8 Abs1a EStG begründet.9

Der Begriff des Gebäudes iSd §8 Abs1 EStG bestimmt sich mangels gesetzlicher Definition ge-

5 Vgl Jakom/Kanduth-Kristen, EStG16 (2023) §11 Rz1; Hirschler/El-Shaer/Inz inger/Sowa/Weintögl , Das Comeback des Investitionsfreibetrages (IFB), in Hirschler/Kanduth-Kristen/Zinnöcker/Stückler, Einkommensteuer 2022, SWK-Spezial (2022) 32ff.

6 Vgl Jakom/Kanduth-Kristen, EStG16, §11 Rz14.

7 Ausgenommen vom Ausschluss sind jedoch Kraftfahrzeuge mit einem CO2-Emissionswert von 0Gramm pro Kilometer.

8 Vgl ErlRV 1293 BlgNR 27. GP, 5; Rz3184 EStR.

9 Vgl ErlRV 1293 BlgNR 27.GP, 5; kritisch dazu Jakom/ Kanduth-Kristen, EStG16 , §11 Rz15; Zorn in Doralt/ Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG (23.Lfg, 2022) §11 Tz52; Hirschler et al in Hirschler/Kanduth-Kristen/Zinnöcker/ Stückler , Einkommensteuer 2022, 36. Der IFB „alt“ konnte hingegen gemäß §10 Abs3 EStG auch für Anschaffungs- oder Herstell ungskosten von Gebäuden geltend gemacht werden, soweit diese unmittelbar dem Betriebszweck dienten oder für Wohnzwecke betriebszugehöriger Arbeitnehmer bestimmt waren.

Dr. Sabine Kanduth-Kristen, LL.M, StB ist Universitätsprofessorin am Institut für Finanzmanagement der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Abteilung für Betriebliches Finanz- und Steuerwesen.

107 3/2023 STEUERN IFB für klimafreundliche Heizungssysteme
Mag. Marlene Komarek, StB ist Universitätsassistentin in derselben Abteilung.

mäß Rechtsprechung10 nach der Verkehrsauffassung.11 Als Gebäude gilt demnach jedes Bauwerk, das durch räumliche Umfriedung Menschen und Sachen Schutz gegen äußere Einflüsse gewährt, den Eintritt von Menschen gestattet, mit dem Boden fest verbunden und von einiger Beständigkeit ist. Diese Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein.12 Von dem Begriff „Gebäude“ und folglich vom IFB-Ausschluss für Gebäude umfasst sind auch Herstellungsaufwendungen auf ein Gebäude, Superädifikate und selbständig zu aktivierende Herstellungskosten auf ein gemietetes Gebäude (Mieterinvestitionen).13

Der IFB-Ausschluss für Gebäude bewirkt, dass auch für (unselbständige) Gebäudebestandteile kein IFB zusteht. Nur aus ertragsteuerlicher Sicht selbständige Wirtschaftsgüter, die nicht als Gebäudebestandteil anzusehen sind, sind bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen dem IFB zugänglich.14 Nach der Judikatur des VwGH15 ist für die Abgrenzung von Gebäudebestandteilen und selbständigen Wirtschaftsgütern ausschlaggebend, ob den Gegenständen nach der Verkehrsauffassung objektiv eine besonders ins Gewicht fallende Selbständigkeit zukommt. Gebäudebestandteile sind etwa Sanitärund Heizungsanlagen.16 Als selbständige Wirtschaftsgüter gelten hingegen zB Einbaumöbel und Einbauküchen.17 Kosten für einen Fernwärmeanschluss infolge einer Umstellung der Heizungsanlage von Öl auf Fernwärme stellen Herstellungskosten des Gebäudes dar.18

Vor diesem Hintergrund wäre die Umstellung einer mit fossilen Brennstoffen betriebenen Heizung auf ein „klimafreundliches“ Heizungssystem als unselbständiger Gebäudebestandteil19 grundsätzlich nicht IFB-begünstigt.20

4.Ausweitung des IFB auf bestimmte Gebäudebestandteile

Zur Verstärkung der ökologischen Akzente, die mit dem IFB gesetzt werden sollen, hat der Ge-

10 Vgl VwGH 28.11.2013, 2009/13/0165; 25.10.2006, 2006/15/0152; 21.9.2006, 2006/15/0156; 21.12.1956, 1391/54.

11 Vgl VwGH 21.9.2006, 2006/15/0156; Jakom/KanduthKristen, EStG16, §8 Rz9; Mühlehner in Hofstätter/Reichel, EStG (57.Lfg, 2014) §108e Tz4.3; Rz3140 EStR.

12 Vgl Kirchmayr/Wimmer in Doralt/Kirchmayr/Mayr/ Zorn, EStG (21.Lfg, 2021) §8 Tz8ff.

13 Vgl Wiesner/Grabner/Wanke, EStG (Stand 1.10.2005, rdb.at) §108e Rz8; Winkler in Wiesner/Grabner/ Knechtl/Wanke , EStG (Stand 1.5.2022, rdb.at) §8 Rz3; Rz3140 EStR iVm Rz3817 EStR.

14 Zur Abgrenzung siehe etwa Kirchmayr/Wimmer in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn , EStG (21.Lfg, 2021) §8 Tz10ff; Jakom/ Kanduth-Kristen , EStG 16 , §8 Rz12; Rz3140 EStR.

15 Vgl VwGH 13.11.2019, Ro2019/13/0033.

16 Vgl Jakom/Kanduth-Kristen, EStG16, §8 Rz12; Rz3169 und 3171 EStR.

17 Vgl VwGH 4.3.2009, 2006/15/0203; 16.12.2009, 2007/15/0305; Zorn in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG (23.Lfg, 2022) §11 Tz51/2; Rz3170 EStR.

18 Vgl VwGH 2.10.2014, 2011/15/0195.

19 Vgl Zorn in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG (23.Lfg, 2022) §11 Tz51/2.

20 Siehe AB 1992 BlgNR 27. GP, 1f.

setzgeber nunmehr eine Erweiterung des IFB auf Investitionen in klimafreundliche Anlagen zur Wärme- und Kältebereitstellung iZm Gebäuden beschlossen.21 Die Neuregelung wurde mit BGBlI 2023/31 in §11 Abs3 Z2 EStG – neben der bereits bestehenden IFB-Begünstigung für emissionsfreie Kraftfahrzeuge – umgesetzt und ist gemäß §124b Z422 EStG rückwirkend für begünstigte Wirtschaftsgüter, die nach dem 31.12.2022 angeschafft bzw hergestellt werden, anzuwenden.

Die Aufzählung der begünstigten Wirtschaftsgüter erfolgt taxativ und umfasst betrieblich genutzte Wärmepumpen, Biomassekessel, Fernwärme- bzw Kältetauscher, Fernwärmeübergabestationen und Mikronetze zur Wärmeund Kältebereitstellung iZm Gebäuden. Eine Verordnungsermächtigung zur Präzisierung klimafreundlicher Heizungssysteme – wie dies etwa für die dem Bereich der Ökologisierung zuordenbaren Wirtschaftsgüter erfolgt ist – besteht nicht. Im Ausschussbericht wird erläuternd auf das Programm „Raus aus Öl und Gas“ als Investitionsförderung mit gleicher Zielsetzung verwiesen. Bei dem „Raus-aus-Öl-undGas“-Bonus handelt es sich um einen einmaligen, nicht rückzahlbaren Investitionszuschuss in Form einer „De-minimis-Beihilfe“, der bei der zuständigen Förderstelle Kommunalkredit Public Consulting GmbH (KPC) beantragt werden kann.22 Demnach entsprechen etwa Kesselanlagen für Zentralheizungen, die mit Holzpellets, Hackgut aus fester Biomasse oder Stückholz betrieben werden, den maßgeblichen Förderkriterien.23 Förderungsfähig ist weiters ein klimafreundlicher bzw hocheffizienter Nah-/Fernwärmeanschluss24 samt einzelner Anlagenteile wie Fernwärmetauscher als Bestandteil der Übergabestation, Pumpen, Rohrleitungen sowie weiterer für den Betrieb relevanter Anlagenteile.25 Anders als bei diesem Förderprogramm besteht für den IFB nach dem Gesetzeswortlaut

21 Siehe AB 1992 BlgNR 27. GP, 2.

22 Siehe AB 1992 BlgNR 27. GP, 2; Kommunalkredit Public Consulting (KPC), Informationsblatt für Betriebe –„Raus aus Öl und Gas“ (Version 5/2022), abrufbar unter https://www.umweltfoerderung.at/fileadmin/user _upload/umweltfoerderung/betriebe/Raus_aus_Oel_ Erneuerbare_Waermeer zeugung_100_kW/UFI_Info blatt_WAERMERZEUGER_PAU.pdf (Zugriff am 5.6.2023).

23 Vgl KPC, Informationsblatt „Raus aus Öl und Gas“, 1; siehe dazu auch die Investitionsförderungsrichtlinien 2022, wonach der Begriff „Biomasse“ weiter ausgelegt wird und zudem biologisch abbaubare Teil von Produkten, Abfällen und Reststoffen biologischen Ursprungs der Landwirtschaft, einschließlich pflanzlicher und tierischer Stoffe, der Forstwirtschaft und damit verbundener Wirtschaftszweige, einschließlich der Fischerei und der Aquakultur, sowie den biologisch abbaubaren Teil von Abfällen, darunter auch Industrie- und Haushaltsabfälle biologischen Ursprungs, mitumfasst.

24 Nahwärmenetze werden in §11 Abs3 Z2 EStG nicht genannt, werden aber eventuell unter die dort angeführten Mikronetze subsumiert werden können.

25 Vgl KPC, Informationsblatt „Raus aus Öl und Gas“, 3.

IFB für klimafreundliche Heizungssysteme STEUERN 3/2023 108

keine Einschränkung auf klimafreundliche bzw hocheffiziente Nah-/Fernwärmeanschlüsse.26

Die Zwecksetzung der Erweiterung des IFBAnwendungsbereichs auf klimafreundliche Anlagen zur Wärme- und Kältebereitstellung iZm Gebäuden würde uE eine Zuordnung zum Bereich Ökologisierung und damit den erhöhten IFB-Prozentsatz von 15% rechtfertigen. Allerdings ist für die Inanspruchnahme des IFB dem Grunde nach nicht Voraussetzung, dass für die Umstellung des Heizungssystems eine Förderung gewährt wird. Dagegen sieht die Öko-IFBVO, BGBlII 2023/155, vor, dass ein Öko-IFB ua für Wirtschaftsgüter zusteht, auf die das Umweltförderungsgesetz (UFG) oder das Klimaund Energiefondsgesetz (KLI.EN-FondsG) anwendbar ist und für die von der zuständigen Förderstelle KPC eine Förderung nach den genannten Rechtsgrundlagen gewährt wird. Alternativ kann nach Maßgabe des §2 Öko-IFBVO plausibilisiert werden, dass die inhaltlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung einer Förderung vorliegen. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, beträgt der IFB 10% der Anschaffungs- oder Herstellungskosten der klimafreundlichen Anlage zur Wärme- und Kältebereitstellung. Wird eine Förderung gewährt oder die Plausibilisierung gemäß §2 Öko-IFB-VO vorgenommen, beträgt der IFB 15% der Anschaffungs- oder Herstellungskosten. Eine steuerfreie Subvention aus öffentlichen Mitteln iSd §6 Z10 EStG kürzt dabei die Bemessungsgrundlage für den IFB.

Für Wärme- oder Kältebereitstellungsanlagen iZm Gebäuden, die fossile Energieträger

26 Im Rahmen des Programmes „Raus aus Öl und Gas“ wird unter klimafreundlich verstanden, dass mindestens 50% der Energie aus erneuerbaren Quellen bzw 75% der Wärme aus Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen oder 50% einer Kombination dieser Energien/Wärmen stammen. Hocheffizient bedeutet, dass mindestens 80% der Energie aus erneuerbaren Quellen, hocheffizienten Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen iSd RL 2012/27/EU, sonstiger Abwärme, die andernfalls ungenutzt bleibt, oder einer Kombination dieser Energien/Wärmen stammen. Zur Spitzenlastabdeckung und als Ausfallsreserve kann Energie aus anderen Systemen im Ausmaß von bis zu 20% eingesetzt werden.

nutzen, wie zB Ölkessel und Gasthermen, darf ein IFB gemäß §11 Abs3 Z6 EStG iVm der Fossile Energieträger-Anlagen-VO explizit nicht geltend gemacht werden.27

Die ertragsteuerliche Beurteilung der genannten Wirtschaftsgüter als unselbständige Gebäudebestandteile (zB für Zwecke der AfA iSd §8 EStG) soll durch die gesetzliche Verankerung der IFB-Tauglichkeit unberührt bleiben.28 Zudem sind die allgemeinen Voraussetzungen für den Anwendungsbereich des §11 EStG zu beachten.

AUF DEN PUNKT GEBRACHT

Zur Förderung ökologischer Unternehmensinvestitionen kann rückwirkend ab 1.1.2023 für Investitionen in „klimafreundliche Heizungssysteme“ iZm Gebäuden ein Investitionsfreibetrag (IFB) iSd §11 EStG geltend gemacht werden. Diese steuerliche Begünstigung ist dem betrieblichen Bereich vorbehalten. Hingegen sind Investitionen in klimafreundliche Heizungssysteme, die im Rahmen der außerbetrieblichen Einkünfte getätigt werden, über den Abzug als Werbungskosten hinaus nach der derzeitigen Rechtslage steuerlich nicht begünstigt. Im Hinblick auf die Förderung ökologischer Investitionen zum Schutz des Klimas wäre eine IFB-ähnliche Begünstigung auch im außerbetrieblichen Bereich wünschenswert.

Im privaten Bereich werden (steuerlich nicht als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abzugsfähige) Ausgaben für den Ersatz eines fossilen Heizungssystems durch ein klimafreundliches Heizungssystem unter bestimmten Voraussetzungen durch das in §18 Abs1 Z10 EStG verankerte „Öko-Sonderausgabenpauschale“ gefördert.29

27 Vgl Verordnung des BMF über die vom IFB ausgenommenen Anlagen iZm fossilen Energieträgern (Fossile Energieträger-Anlagen-VO), BGBlII 2023/156.

28 Siehe AB 1992 BlgNR 27.GP, 2.

29 Siehe dazu ErlRV 1293 BlgNR 27.GP, 7.

109 3/2023 STEUERN IFB für klimafreundliche Heizungssysteme

Bildung einer steuerlichen

Unternehmensgruppe nach §9 KStG

Zulässigkeit einer qualifizierten elektronischen Signatur iZm der zwingenden Verwendung amtlicher Vordrucke

Wesentlicher Vorteil einer steuerlichen Unternehmensgruppe nach §9 KStG ist, dass Gewinne und Verluste unterschiedlicher Körperschaften miteinander verrechnet und gemeinsam besteuert werden können. Demnach gewinnt die Gruppenbesteuerung hinsichtlich Projektgesellschaften bzw Immobiliengesellschaften in der Praxis immer mehr an Relevanz.

Gemäß §9 Abs8 TS5 KStG müssen Anträge zur Bildung oder Erweiterung einer steuerlichen Unternehmensgruppe unter der Verwendung amtlicher Vordrucke gestellt werden. Hierbei stellen sich in der Praxis ua folgende Fragen: Gilt die Verwendung einer qualifizierten elektronischen Signatur auch als Originalunterschrift per Hand? Bzw inwiefern ist eine elektronische Einreichung via FinanzOnline zulässig?

1.Verwendung amtlicher Vordrucke

Sämtliche Anträge iZm der Bildung oder Erweiterung von steuerlichen Unternehmensgruppen (sogenannte Gruppenanträge) sind nach §9 Abs8 KStG zwingend auf einem „amtlichen Vordruck“ der Finanzverwaltung zu erstellen. Die amtlichen Formulare G1 (für Gruppenträger), G2 (für Gruppenmitglieder) und G4 (Finanzielle Verbindung Gruppenmitglieder) stehen in FinanzOnline nicht zur Verfügung. Demnach ist es in FinanzOnline technisch nicht möglich, die amtlichen Formulare G1, G2 und G4 online zu befüllen bzw zu übermitteln. Die amtlichen Vordrucke sind somit lediglich auf der BMF-Homepage über die Funktion „Formulare“ abrufbar.

2.Unterschriften-Erfordernisse

Die Unterfertigung der Gruppenanträge muss nachweislich vor dem Ablauf jenes Wirtschaftsjahres erfolgen, für das die Zurechnung des steuerlich maßgebenden Ergebnisses erstmals wirken soll. Sämtliche Gruppenanträge sind von den gesetzlichen Vertretern der Gruppenträgerin und aller einzubeziehenden inländischen Gruppenmitglieder (Körperschaften) zu unterfertigen.

Gemäß BFG 25.3.2016, RV/2101685/2015, ist die eigenhändige Unterschrift der gesetzlichen Vertreter der einzubeziehenden Gesellschaften als materiellrechtliche Voraussetzung für die Bewilligung von Gruppenanträgen zu sehen.

Die elektronische Signatur dient dem Zweck der Zuordnung eines Dokuments zu einem bestimmten Unterzeichner. Wird ein Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen, so wird dadurch dem Schriftformerfordernis entsprochen. Gemäß §4 Abs1 SVG ist

eine qualifizierte elektronische Signatur wie eine eigenhändig unterschriebene „Papiererklärung“ zu behandeln.1 Demnach ist laut aktueller Ansicht des BMF die materiellrechtliche Voraussetzung für die Bewilligung von Gruppenanträgen durch die Unterfertigung via qualifizierte elektronische Signatur gegeben.

Für die Erstellung einer qualifizierten elektronischen Signatur ist eine qualifizierte Signaturerstellungseinheit erforderlich. Dabei kann es sich zB um ein beim Vertrauensdienstanbieter (VDA) befindliches Hardware-Sicherheitsmodul handeln. Die Prüfung der Gültigkeit einer qualifizierten elektronischen Signatur kann zB unter nachfolgendem Link erfolgen: https:// www.rtr.at/TKP/was_wir_tun/vertrauensdienste/ Signatur/signaturpruefung/Pruefung.de.html.

3.Rechtsmeinung des BFG

3.1.Sachverhalt

Im Rahmen der Entscheidung vom 3.2.2023, RV/7102169/2022, beschäftigte sich das BFG mit einem eingereichten Vorlageantrag über die Zulässigkeit eines via FinanzOnline eingereichten Antrags auf Bildung einer steuerlichen Unternehmensgruppe nach §9 KStG.

Per 23.12.2021 wurde durch die Gruppenträgerin (Beschwerdeführerin) via FinanzOnline ein formloser Antrag auf Bildung einer steuerlichen Unternehmensgruppe nach §9 KStG betreffend das Kalenderjahr 2021 eingebracht. Die Einbringung erfolgte über die Funktion „sonstige Anbringen“. Sämtliche inhaltlichen Erfordernisse waren durch die eingereichten Gruppenanträge erfüllt. Die Unterfertigung der Gruppenanträge erfolgte durch die vertretungsbefugten

1 Haglmüller, Elektronische Signatur, RDB

Keywords (Stand 11.10.2021, rdb.at).

Bildung einer steuerlichen Unternehmensgruppe nach §9 KStG STEUERN 3/2023 110
Steuern
Mag. Cornelia Holubiczka, Bakk. ist Steuerberaterin und Senior Managerin bei der TPA Steuerberatung GmbH in Wien.

Organe der Gruppenträgerin sowie der geplanten Gruppenmitglieder, wobei als Unterschriftsdatum der 23.12.2021 (Bilanzstichtag sämtlicher Gesellschaften 31.12.2021) gewählt wurde.

3.2.Verfahrensablauf

Per 9.2.2022 erging durch das Finanzamt Österreich ein Mängelbehebungsauftrag nach §85 Abs2 BAO mit der Bitte, für den gemäß §9 Abs8 KStG gestellten Gruppenantrag die dafür vorgesehenen amtlichen Vordrucke (G1, G2 sowie G4) zu verwenden. Im Rahmen der Beantwortung des Mängelbehebungsauftrags langten die ausgefüllten amtlichen Vordrucke G1 für die Gruppenträgerin, G2 sowie G4 für sämtliche geplanten Gruppenmitglieder innerhalb der durch das Finanzamt festgesetzten Frist fristgerecht am 4.3.2022 im Postfach des Finanzamts Österreich ein. Als Unterschriftsdatum für die erneut übermittelten Gruppenanträge wurde der 21.2.2022 gewählt (Datum nach Erhalt des Mängelvorhalts).

Das Finanzamt Österreich wies den Antrag auf Feststellung einer Unternehmensgruppe nach §9 KStG mittels Bescheids vom 1.4.2022 mit der Begründung ab, dass der Gruppenantrag nachweislich vor Ablauf jenes Wirtschaftsjahres unterfertigt werden müsse, für das die Zurechnung des steuerlichen Ergebnisses erstmals wirksam sein solle. Im vorliegenden Fall wurde die Feststellung der Unternehmensgruppe für das Kalenderjahr 2021 (Bilanzstichtag 31.12.2021) beantragt. Demnach müsse die Unterfertigung sämtlicher Gruppenanträge nachweislich vor dem 31.12.2021 erfolgen.

Mit 8.4.2022 erhoben die Gruppenträgerin sowie sämtliche Gruppenmitglieder Bescheidbeschwerde. Als Begründung wurde angeführt, dass im Rahmen der Verbesserung des Mängelbehebungsauftrags die Antragsformulare mit dem ursprünglichen Unterschriftsdatum (vorliegend 23.12.2021) verwendet werden müssten, da ansonsten eine Verfälschung von Urkunden vorliegen würde. Im Rahmen der Behebung des Mängelbehebungsauftrags wäre ein Rückdatieren der Formulare auf den ursprünglichen Zeitpunkt absolut unzulässig gewesen. Die Gruppenanträge seien laut Rechtsauffassung der Beschwerdeführer rechtzeitig vor Ablauf des Wirtschaftsjahres unterfertigt worden, und das Formgebrechen sei infolge des Verbesserungsauftrags fristgerecht behoben worden.

Mittels Beschwerdevorentscheidung vom 19.5.2022 wies das Finanzamt Österreich die Beschwerde als unbegründet zurück und begründete dies wie folgt: Die Behörde ging davon aus, dass die Gruppenantragsformulare G1, G2 und G4 bereits vor dem Bilanzstichtag 31.12.2021 unterschrieben vorhanden waren, jedoch im Rahmen der Einreichung via FinanzOnline am 23.12.2021 die Übermittlung vergessen wurde. Der Mangel der Nichtverwendung der amtlichen Vordrucke wurde im Rah-

men der Beantwortung des Mängelbehebungsauftrags behoben. §9 Abs8 TS2 KStG fordert jedoch als materiellrechtliche Voraussetzung, dass die Unterfertigung sämtlicher Antragsformulare zur Bildung oder Erweiterung einer steuerlichen Unternehmensgruppe vor Ablauf des einzubeziehenden Wirtschaftsjahres erfolgt. Durch die erneute Unterfertigung der Antragsformulare nach Ablauf des Kalenderjahres 2021 (vorliegend 21.2.2022) war der Antrag zurückzuweisen. Mit Schriftsätzen vom 20.6.2022 beantragten sowohl die Gruppenträgerin als auch sämtliche geplanten Gruppenmitglieder die Vorlage an das BFG. Das Finanzamt Österreich legte die Beschwerden mittels Vorlageberichts vom 18.7.2022 beim BFG vor. Laut Rechtsansicht des BFG steht die Funktion „Beantragung eines Gruppenfeststellungsbescheides“ oder „Gruppenantrag“ in FinanzOnline nicht zur Verfügung. Dementsprechend ist es technisch nicht möglich, die nach §9 Abs8 KStG zwingend zu verwendenden amtlichen Vordrucke G1, G2 sowie G4 online via FinanzOnline auszufüllen und zu übermitteln. Demnach können laut Ansicht des BFG Gruppenanträge ausschließlich im Original und somit urschriftlich eingebracht werden. Werden Gruppenanträge via FinanzOnline eingebracht, liegt ein Anbringen vor, welches auf einem nicht zugelassenen Weg den Abgabenbehörden zugeleitet wurde; dieses Anbringen kann daher keine Entscheidungspflicht auslösen.2

Wird wie im vorliegenden Fall durch die Abgabenbehörde ein Bescheid erlassen, welchem kein beachtliches Anbringen zugrunde liegt, entbehrt diese Erledigung der Rechtsgrundlage, und ihr kommt daher kein Bescheidcharakter zu. Demnach sind Bescheidbeschwerden gegen Schriftstücke ohne Bescheidcharakter als unzulässig zurückzuweisen.3

4.Rechtsmeinung des BMF

Mittels einer Anfragebeantwortung vom 30.3. 2023 reagierte das BMF auf die Entscheidung des BFG. Laut Ansicht des BMF liegt bei der Wahl eines nicht zulässigen Übermittlungswegs kein Nichtbescheid, sondern lediglich ein rechtswidriger Bescheid vor. Sofern ein rechtswidriger Bescheid nicht bekämpft wird, erlangt dieser Rechtskraft. Werden die auf der BMFHomepage zur Verfügung stehenden amtlichen Vordrucke online ausgefüllt und via qualifizierte elektronische Signatur unterschrieben und über die „sonstigen Anbringen“ per FinanzOnline eingereicht, gilt der Antrag nach Auffassung des BMF als zulässig eingebracht.

2 VwGH 28.5.2009, 2009/16/0031; 3.9.2019, Ra2019/ 15/0081.

3 VwGH 15.2.2006, 2005/13/0179; 22.3.2006, 2006/13/ 0001; 28.11.2007, 2004/15/0131, 0132; 11.11.2010, 2010/17/0066.

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AUF DEN PUNKT GEBRACHT

Entgegen den Ausführungen des BFG können laut Ansicht des BMF künftig zu stellende Anträge auf Bildung oder Erweiterung von steuerlichen Unternehmensgruppen nach §9 KStG via FinanzOnline über die Funktion „sonstige Anbringen“ zulässig eingebracht werden, sofern diese unter Verwendung der amtlichen Vordrucke mittels qualifizierter elektronischer Signatur unterfertigt werden. Die Einreichung von eigenhändig

Rechtsprechung Steuerrecht

Rechtsprechung

Sabine Kanduth-Kristen / Andreas Kampitsch

§6 Z14 EStG, §30 EStG immo aktuell 2023/19 „Grundstücksschenkung“ durch einen Gesellschafter an eine überschuldete GmbH

BFG 16. 2. 2023, RV/5100501/2020

§6 Z14 litb EStG normiert, dass die Einbringung von Vermögen in eine Körperschaft als Tausch, welcher zivilrechtlich ein entgeltliches Rechtsgeschäft darstellt, gilt. Die Anwendung des Tauschgrundsatzes hat zur Folge, dass –ungeachtet der zivilrechtlich vorliegenden Schenkung – einkommensteuerrechtlich beim einbringenden Beschwerdeführer Erlöse in Höhe des gemeinen Wertes des in die […] GmbH eingebrachten Vermögens anzusetzen sind.

Sachverhalt: Mit dem mit Notariatsakt vom 19.5. 2016 errichteten Schenkungsvertrag übertrug der Beschwerdeführer (Bf) ein Gebäude samt Grund und Boden an die Kapitalgesellschaft, an der er als Alleingesellschafter beteiligt war. Das Finanzamt ging in der Bescheidbegründung zum Einkommensteuerbescheid 2016 davon aus, dass dadurch eine Sacheinlage bewirkt worden sei. Auf Ebene des Gesellschafters gelte die Sacheinlage eines Anteilsinhabers in eine Körperschaft als Tausch (Werterhöhung bestehender Anteilsrechte), der in Bezug auf die stillen Reserven des eingelegten Wirtschaftsgutes einen steuerwirksamen Realisationsvorgang bedeute und hier der „Immobilienertragsteuer“ unterliege. Für das Gebäude wurden die der „Immobilienertragsteuer“ unterliegenden Einkünfte aus der Differenz zwischen dem anteiligen gemeinen Wert und dem „Buchwert V+V“ ermittelt, für Grund und Boden (Altvermögen) wurde die pauschale Einkünfteermittlung angewandt. In der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde beantragte der Bf, die „Immobilienertragsteuer“ nicht festzusetzen, und begründete dies damit, dass die beschenkte GmbH hoffnungslos überschuldet sei und die Anteile daran deshalb wertlos seien. Diese Anteile seien auch noch nach der Schenkung des Gebäudes wertlos. Es habe daher per se nie zu einer Werterhöhung kommen

unterfertigten Gruppenanträgen im Original auf dem Postweg ist nach wie vor zulässig. Sowohl bei der elektronischen als auch bei der postalischen Einreichung von Gruppenanträgen besteht das zwingende Erfordernis, dass die Unterschriften sämtlicher einzubeziehenden inländischen Körperschaften (Gruppenträgerin, Gruppenmitglieder) nachweislich vor Ablauf jenes Wirtschaftsjahres geleistet werden, für das die Zurechnung der steuerlichen Ergebnisse erstmals wirksam sein soll.

können. Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung als unbegründet ab. Der Bf wende in seiner Beschwerde ein, dass die Anteile an der GmbH auch nach der Schenkung des Gebäudes wertlos seien, es zu keiner Werterhöhung gekommen und die Vorschreibung der Immobilienertragsteuer rechtswidrig sei. Dem sei zu entgegnen, dass lediglich von Bedeutung sei, dass es sich um einen Tauschvorgang handle. Dieser Judikatur zum Tauschgrundsatz sei der VwGH auch in seinem Erkenntnis vom 23.2. 2017, Ro2014/15/0043, gefolgt, wonach sich das Entgelt am gemeinen Wert des eingebrachten Wirtschaftsgutes bemesse und dem Wert der Gegenleistung keine Bedeutung zukomme. Die Beschwerdeausführungen in diesem Zusammenhang, nämlich Wertlosigkeit des Geschäftsanteils wegen Überschuldung, könnten unter dem Blickwinkel der Judikatur des VwGH zum Tauschgrundsatz keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheides aufzeigen.

Aufgrund des Vorlageantrags des Bf wies das BFG die Beschwerde als unbegründet ab und erklärte die ordentliche Revision mangels Abweichung von der Judikatur des VwGH für nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung: Zwischen den Verfahrensparteien besteht Uneinigkeit darüber, ob die Schenkung eines Grundstücks samt darauf befindlichem Gebäude an die […] GmbH, deren Alleingesellschafter der Bf ist, der Immobilienertragsteuer unterliegt, obwohl die GmbH überschuldet ist und es daher zu keiner Werterhöhung gekommen ist.

Nicht in Streit steht dagegen, dass der mit Notariatsakt vom 19.5.2016 zwischen dem Bf als Geschenkgeber und der […] GmbH als Geschenknehmerin errichtete Schenkungsvertrag nicht unter das UmgrStG fällt. Ebenfalls unstrittig sind die vom Finanzamt zur Ermittlung der Immobilienertragsteuer herangezogenen Werte.

Zur Lösung der vorliegenden Rechtsfrage ist entscheidend, dass als Veräußerungspreis des hingegebenen Wirtschaftsgutes der gemeine Wert des hingegebenen Wirtschaftsgutes anzu-

RECHTSPRECHUNG 3/2023 112

setzen ist. Wie bereits das Finanzamt zutreffend und unter Hinweis auf das Erkenntnis des VwGH vom 23.2.2017, Ro2014/15/0043, ausgeführt hat, kommt dabei dem Wert der Gegenleistung, die der Bf erhalten hat, keine Bedeutung zu.

§6 Z14 litb EStG normiert, dass die Einbringung von Vermögen in eine Körperschaft als Tausch, welcher zivilrechtlich ein entgeltliches Rechtsgeschäft darstellt, gilt. Die Anwendung des Tauschgrundsatzes hat zur Folge, dass – ungeachtet der zivilrechtlich vorliegenden Schenkung – einkommensteuerrechtlich beim einbringenden Bf Erlöse in Höhe des gemeinen Wertes des in die […] GmbH eingebrachten Vermögens anzusetzen sind.

Den diesbezüglichen zutreffenden Ausführungen des Finanzamts in der Beschwerdevorentscheidung, der nach der Judikatur die Wirkung eines Vorhalts zukommt, trat der Bf durch seine steuerliche Vertretung nicht entgegen.

Die in §30 Abs1 EStG genannten privaten Grundstücksveräußerungen umfassen im letzten Satz auch Tauschvorgänge, welche grundsätzlich immer als Veräußerungs- und Anschaffungsvorgänge zu werten sind.

Aus den genannten Überlegungen sind im Beschwerdefall die Tatbestandsvoraussetzungen für die Vorschreibung der Immobilienertragsteuer erfüllt und ist die Beschwerde daher abzuweisen.

Anmerkung

Gem §30 Abs1 EStG ist bei Tauschvorgängen

§6 Z14 EStG sinngemäß anzuwenden. Nach §6 Z14 litb EStG gilt die Einlage oder die Einbringung von Wirtschaftsgütern und sonstigem Vermögen in eine Körperschaft als Tausch iSd §6 Z14 lita EStG, wenn sie nicht unter das UmgrStG fällt oder das UmgrStG dies vorsieht. Eine Gewährung neuer Anteile ist dabei nicht erforderlich (siehe VwGH 13.12.2021, Ra2021/ 15/0106, dazu Kampitsch, Einlage von Liegenschaften in eine Kapitalgesellschaft als Tausch, immo aktuell 2022, 14). Beim Tausch von Wirtschaftsgütern liegen gem §6 Z14 lita EStG jeweils eine Anschaffung und eine Veräußerung vor. Als Veräußerungspreis des hingegebenen Wirtschaftsgutes und als Anschaffungskosten des erworbenen Wirtschaftsgutes ist jeweils der gemeine Wert des hingegebenen Wirtschaftsgutes anzusetzen. Nach Zorn (in Hofstätter/Reichel, EStG [50. Lfg, 2011] § 6 Z 14 Tz 1 und 2) und Petritz/Deichsel (in Hofstätter/Reichel, EStG [70. Lfg, 2021] § 6 allg Tz 11) stellt ein Tausch (grundsätzlich) ein entgeltliches Rechtsgeschäft dar. Bei einem Grundstückstausch unter nahen Angehörigen (insb im Rahmen einer Erbauseinandersetzung) kann aber auch ein für alle Beteiligten unentgeltliches Rechtsgeschäft vorliegen, wenn sich die Werte der getauschten Grundstücke erheblich unterscheiden (siehe Rz 6626 EStR iVm Rz 6625 EStR).

Das BFG hält – wohl zutreffend – fest, dass der Tauschgrundsatz auch bei einer als „Schenkung“ bezeichneten Übertragung eines Wirtschaftsgutes auf eine Körperschaft durch einen Gesellschafter zur Anwendung kommt (siehe dazu auch Hirschler/Sulz/Oberkleiner/Bernwieser, Tauschbesteuerung bei Sacheinlage einer Immobilie in eine überschuldete GmbH, BFGjournal 2023, 159). Auch wenn die Einlage eines Wirtschaftsgutes in eine überschuldete GmbH erfolgt, ist der Tauschgrundsatz des §6 Z14 lita EStG erfüllt. Es liegt daher beim Einlegenden eine Veräußerung und bei der Körperschaft eine Anschaffung vor. Der Veräußerungspreis beim Einlegenden ergibt sich ex lege aus dem gemeinen Wert des hingegebenen Wirtschaftsgutes (im vorliegenden Fall des bebauten Grundstücks). Mangels Ausgabe neuer Anteile erhöhen sich beim Einlegenden die Anschaffungskosten der bestehenden Beteiligung um den gemeinen Wert des eingelegten Wirtschaftsgutes (siehe auch Rz497 KStR). Nach dem Gesetzeswortlaut des §6 Z14 lita EStG würden die Anschaffungskosten des bebauten Grundstücks bei der Gesellschaft grundsätzlich aus dem gemeinen Wert des (im Tauschweg) hingegebenen Wirtschaftsgutes bestehen. Nach Auffassung von Mayr (in Doralt/Kirchmayr/ Mayr/Zorn, EStG [13.Lfg, 2009] §6 Tz55; ebenso Rz2593 EStR) kann im Hinblick auf den Austausch gleichwertiger Leistungen der gemeine Wert des erworbenen Wirtschaftsgutes als Hilfswert angenommen werden, wenn sich der gemeine Wert des hingegebenen Wirtschaftsgutes schwieriger ermitteln lässt als der Wert des erworbenen Wirtschaftsgutes. Bei Einlagen in Körperschaften ist als Anschaffungskosten bei der Körperschaft nach herrschender Ansicht der gemeine Wert des eingelegten Wirtschaftsgutes anzusetzen (vgl VwGH 24.2.2011, 2010/15/0204; Zorn in Hofstätter/ Reichel, EStG [50.Lfg, 2011] §6 Z14 Tz10; Rz2597 EStR; Rz498 KStR). Die Erhöhung des Vermögens der Körperschaft infolge der Einlage des Grundstücks wird gem §8 Abs1 KStG bei der Ermittlung des Einkommens nicht erfasst (siehe auch Rz498 KStR).

Im vorliegenden Fall wurde das Gebäude als Neuvermögen und der Grund und Boden als Altvermögen behandelt. Nähere Ausführungen zu dieser Einordnung fehlen in der Beschreibung des Sachverhalts. Grund und Boden stellt Altvermögen dar, wenn er am 31.3.2012 nicht mehr steuerverfangen war. Nach der für die Rechtslage bis 31.3. 2012 vorherrschenden Auffassung war für die Fristberechnung die sogenannte „Einheitstheorie“ (siehe dazu ua VwGH 25.4.2013, 2010/15/0079) zu beachten, sodass ein auf Grund und Boden des Altvermögens vor dem 1.4.2012 errichtetes, im Privatvermögen befindliches Gebäude ebenfalls als Altvermögen gilt (siehe Rz6654 EStR; Bodis/ Hammerl, EStR-Wartungserlass 2013: Neue Grundstücksbesteuerung [I], RdW2013, 357 [361]). Wird nach dem 31.3.2012 auf Grund

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und Boden des Altvermögens ein Gebäude errichtet, erstreckt sich die Altvermögenseigenschaft nur auf Grund und Boden (siehe Bodis/ Hammerl, RdW2013, 357 [361]; Rz6654 EStR; Klaushofer/Leitner in Urtz, Die neue Immobilienertragsteuer [2014] 142f; Zorn, Eigentumswohnung als einheitliches Wirtschaftsgut, RdW2022, 285 [286]). Bei vermieteten Gebäuden steht die Herstellerbefreiung nicht zu. Im vorliegenden Fall müsste das Gebäude (des Privatvermögens) daher zwischen 1.4.2012 und dem Veräußerungszeitpunkt errichtet worden sein, um als Neuvermögen zu gelten. Bei der erstmaligen Vermietung von Gebäuden des Altvermögens sind die Einkünfte gem §30 Abs6 lita EStG zwar ab der Vermietung gem §30 Abs3 EStG als Differenz zwischen dem Veräußerungserlös und den (adaptierten) fiktiven Anschaffungskosten zu ermitteln, die Wertänderungen bis zur erstmaligen Nutzung sind aber nach wie vor gem §30 Abs4 EStG pauschal (auf Basis der fiktiven Anschaffungskosten zum Zeitpunkt der erstmaligen Vermietung) zu berechnen. Ein solcher Fall ist daher vorliegend, soweit aus dem Sachverhalt ersichtlich, nicht gegeben.

Anzumerken ist zudem, dass in der Entscheidung des BFG (wohl verkürzt) von der Anwendung und Ermittlung der „Immobilienertragsteuer“ gesprochen wird. Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung wird aber keine ImmoESt festgesetzt (diese kommt nur bei Selbstberechnung der Grunderwerbsteuer durch einen Parteienvertreter zum Tragen), sondern es wird auf die Einkünfte aus privaten Grundstücksveräußerungen (mangels Regelbesteuerungsoption) der besondere Steuersatz angewandt und eine allenfalls entrichtete ImmoESt oder besondere Vorauszahlung angerechnet. Eine allfällige Korrektur der von einem Parteienvertreter selbstberechneten ImmoESt hat ebenfalls im Wege der Veranlagung zu erfolgen; die bescheidmäßige Festsetzung von ImmoESt (etwa gem §201 BAO) wäre rechtswidrig (siehe VwGH 26.11.2015, Ro2015/15/0005).

Sabine Kanduth-Kristen

sellschafter […]. Die Zugehörigkeit der betroffenen Gesellschafter (des zuletzt ausgeschiedenen und des übernehmenden) zum in §7 Abs1 Z1 und2 GrEStG idF BGBlI 2014/ 36 angeführten Personenkreis ist daher für die Besteuerung ohne Relevanz. Nicht [sic] anderes kann im Übrigen für die mit dem StRefG 2015/16, BGBlI 2015/118, eingeführte Bezugnahme auf den in §26a Abs1 Z1 GGG angeführten Personenkreis (§7 Abs1 Z1 litc GrEStG) gelten.

Sachverhalt: Die Revisionswerberin war gemeinsam mit ihrem Mann an einer 1997 errichteten OG beteiligt, die Eigentümerin zweier Eigentumswohnungen war. Die (Substanz-)Beteiligung des Gatten betrug 5%, jene der Revisionswerberin 95%. Im Jahr 2015 übertrug der Mann seine Beteiligung vollständig und schenkungsweise an die Revisionswerberin, wodurch es ex lege zur Anwachsung gem §142 Abs1 UGB des Vermögens der Gesellschaft (inklusive der beiden Eigentumswohnungen) an die Revisionswerberin kam. Das Finanzamt setzte für den Vorgang Grunderwerbsteuer bescheidmäßig fest, wobei als Bemessungsgrundlage der gemeine Wert (als Mindestbemessungsgrundlage gem §4 Abs2 Z3 lita GrEStG idF BGBlI 2014/36) und als Steuersatz 3,5% (gem §7 Abs1 Z3 GrEStG idF BGBlI 2014/36) angewendet wurden. Dagegen wandte sich die Revisionswerberin mit Beschwerde an das BFG und verlangte die Anwendung der begünstigten Bemessungsgrundlage (dreifacher Einheitswert, maximal 30% des gemeinen Wertes) und des begünstigten Steuersatzes (2%) für Erwerbe im Personenkreis nach §7 Abs1 Z1 GrEStG idF BGBlI 2014/36, weil nach der Rechtsprechung des VwGH (19.3.1981, 0981/80) im Falle der Anwachsung der letzte Gesellschafter nicht von der Gesellschaft, sondern vom vorletzten Gesellschafter erwerbe. Das Finanzamt wich von dieser Rechtsprechung ab, weil die Organisation der Personengesellschaften (OG und KG) sich mit HaRÄG, BGBlI 2005/120, geändert habe und diesen seit 2007 umfassende Rechtsfähigkeit zukommt. Die frühere Rechtsprechung des VwGH sei daher nicht mehr einschlägig.

Das BFG teilte die Rechtsmeinung des Finanzamts und wies die Beschwerde ab. Die dagegen erhobene, vom BFG zugelassene, ordentliche Revision wies der VwGH als unbegründet ab.

§142 UGB;

§1 Abs1 Z2 GrEStG immo aktuell 2023/20

GrESt: Anwachsung führt zum Erwerb von Gesellschaft, nicht (mehr) vom vorletzten Gesellschafter

VwGH 4. 5. 2023, Ro 2020/16/0013

Der Erwerb der im Vermögen der Gesellschaft vorhandenen Grundstücke im Wege der durch §142 Abs1 UGB angeordneten Gesamtrechtsnachfolge erfolgt […] entgegen dem Vorbringen der Revisionswerberin, die in den mit dem HaRÄG eingeführten Neuregelungen keine wesentliche Änderung zur bis dahin geltenden Rechtslage erblickt, allerdings nicht vom zuletzt ausgeschiedenen Ge-

Rechtliche Beurteilung: […] Im Erkenntnis vom 19.3.1981, 0981/80, VwSlg5565/F, hat der VwGH zum Grundstückserwerb aufgrund der liquidationslosen Übernahme des Unternehmens einer OHG gem §142 HGB erstmals ausgesprochen (in der Folge ebenso VwGH 23.1.1986, 84/ 16/0155; 30.5.1994, 89/16/0019), dass der Erwerb nicht von der Gesellschaft, sondern unmittelbar vom ausgeschiedenen, im damaligen Fall verstorbenen Gesellschafter erfolge. Der VwGH bestätigte unter Hinweis auf das Erkenntnis eines verstärkten Senats vom 29.11.1978, 0473/75 (siehe dazu auch VfGH 27.6.1964, G14/64, G16/64, VfSlg4764) die Rechtsansicht der damals belangten Behörde, wonach es sich dabei um einen Erwerbsvorgang gem §1 Abs1 Z2

RECHTSPRECHUNG 3/2023 114

GrEStG 1955 handle, weil sich die Übernahme des Vermögens auch im Fall des Ablebens des vorletzten Gesellschafters aufgrund des Gesetzes vollziehe. Die liquidationslose Übernahme der OHG durch einen der beiden Gesellschafter bewirke die Beendigung der Gesellschaft, womit der verbliebene Gesellschafter nicht Anteile an der (nicht mehr bestehenden) Gesellschaft erwerbe, sondern Alleineigentum an den bisher zum Gesellschaftsvermögen gehörenden, im „Miteigentum der bisherigen Gesellschaft“ stehenden Sachen, darunter auch an den Grundstücken, unter Wegfall der Gesamthandbindung. Da die Personenhandelsgesellschaft keine juristische Person sei und das Gesellschaftsvermögen, das zwar durch das Gesamthandband den Verfügungen der einzelnen Gesellschafter entzogen sei, in „deren Miteigentum“ stehe, erwerbe bei Wegfall dieser Gesamthandbindung der verbliebene Gesellschafter den „restlichen Miteigentumsanteil“ nicht von der Gesellschaft, sondern unmittelbar vom ausgeschiedenen Gesellschafter. In einem solchen Fall liege daher ein „unmittelbarer Liegenschaftserwerb“ vor, der von Todes wegen im Sinne der damaligen Befreiungsbestimmung des §3 Z2 GrEStG 1955 erfolge.

Die Beurteilung der (rechts)verkehrsteuerlichen Auswirkungen des Übergangs des Gesellschaftsvermögens auf den verbleibenden Gesellschafter nach §142 HGB erfolgte nach dieser Rechtsprechung einerseits vor dem Hintergrund der damaligen Auffassung über die Rechtspersönlichkeit der Personenhandelsgesellschaften (vgl dazu nochmals VwGH [verstärkter Senat] 29.11.1978, 0473/75, sowie 19.3.1981, 0981/80, VwSlg5565/F, mit Verweis auf Kastner, Grundriss des österreichischen Gesellschaftsrechts3, 63f, wonach das Gesamthandeigentum nur das konstruktive Mittel sei, mit dem das unter der Firma der Gesellschaft im Rechtsleben in Erscheinung tretende Sondervermögen zusammengehalten und geformt werde). Andererseits waren die damaligen speziellen Bestimmungen des GrEStG 1955, insb die Befreiungsbestimmung des §3 Z2 GrEStG 1955 (für Grundstückserwerbe von Todes wegen und Grundstücksschenkungen unter Lebenden iSd ErbStG 1955, die zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung [vgl dazu Czurda, Kommentar zum Grunderwerbsteuergesetz [1986] §3 Rz19ff] nur der Erbschafts- bzw Schenkungssteuer, wenn auch nach Ansatz des Zuschlags gem §8 Abs4 ErbStG [Grunderwerbsteueräquivalent] unterlagen), sowie die Bestimmung des §6 GrEStG 1955 (nach der beim Übergang von Grundstücken von einer OHG oder KG auf an diese Gesellschaft Beteiligte die Steuer im Ausmaß der Quote der Beteiligung am Vermögen der Gesellschaft nicht zu erheben war [vgl dazu Czurda, Kommentar zum Grunderwerbsteuergesetz [1981] §6 Rz10f]) zu beachten. In Fällen des Vermögensübergangs gem

§142 HGB infolge des Ablebens eines der zwei Gesellschafter, hat sich der VwGH bei der Beurteilung der Anwendbarkeit der Befreiungsbestimmung des §3 Z2 GrEStG 1955 zudem von erbrechtlichen Erwägungen leiten lassen (vgl erneut VwGH 30.5.1994, 89/16/0019, wonach in derartigen Fällen der Übergang des Gesellschaftsvermögens „nach Erbrecht zu beurteilen“ sei, was zur Anwendbarkeit der genannten Befreiungsbestimmung führe).

Vor dem Hintergrund der mit dem HaRÄG, BGBlI 2005/120, erfolgten umfassenden und ausdrücklichen gesetzlichen Regelungen zur Rechtsnatur der eingetragenen Personengesellschaften wird die dargestellte Rechtsprechung im Anwendungsbereich des GrEStG 1987 nicht mehr aufrechterhalten. Einer Verstärkung des erkennenden Senats nach §13 Abs1 Z1 VwGG bedarf es hierzu nicht, weil die genannten Erkenntnisse zu einer Rechtslage ergangen sind, welche vor jener lag, die im vorliegenden Revisionsfall anzuwenden ist (vgl VwGH 27.1.2010, 2009/16/0087, mwN).

Nach dem Allgemeinen Teil der Gesetzesmaterialien zum HaRÄG (ErlRV 1058 BlgNR 22.GP, 14f) werde mit den vorgeschlagenen Personengesellschaften betreffenden gesetzlichen Änderungen klargestellt, „dass die offenen Gesellschaften und Kommanditgesellschaften als solche rechtsfähig, also Träger von Rechten und Pflichten, sind“ und es sich dabei „nicht bloß um eine auf spezielle Aktivitäten beschränkte, sondern um eine umfassende Rechtsfähigkeit“ handle. Die Gesellschaft selbst solle „über eine umfassende Rechtsfähigkeit, die alle Rechte und Pflichten einer juristischen Person erfasst (§26 ABGB), verfügen“, womit Zweifel über die Reichweite ihrer Rechtsfähigkeit beseitigt werden sollen. Die Anerkennung der umfassenden Rechtsfähigkeit solle „nichts am inneren Aufbau dieser Gesellschaften“, somit auch nichts am Prinzip der „Gesamthandschaft“ ändern, womit aber nicht etwa „Gesamthandeigentum“ gemeint sei, sondern die Grundsätze der Selbstorganschaft, der engen Verbindung des Bestands der Gesellschaft mit „jenen konkreten Individuen“, die sich gesellschaftlich zusammengeschlossen haben, und des Umstands, „dass der einzelne Gesellschafter nicht allein über seinen Gesellschaftsanteil verfügen kann und darf“ (siehe dazu auch ErlRV 1058 BlgNR 22.GP, 36f).

Gem §105 Satz2 UGB ist die offene Gesellschaft rechtsfähig (zur Maßgeblichkeit siehe §907 Abs2 UGB). Aufgrund der umfassenden Rechtsfähigkeit (vgl dazu OGH 15.9.2021, 7Ob 101/21k; 19.3.2013, 4Ob 232/12i) ist die Gesellschaft auch Zurechnungssubjekt des Gesellschaftsvermögens, das somit ausschließlich ihr und nicht den Gesellschaftern gemeinschaftlich zusteht (siehe dazu Artmann, UGB3, §105 Rz7; Kraus in U.Torggler, UGB3, §105 Rz7; Appl in Bergmann/Ratka, Handbuch Personen-

115 3/2023 RECHTSPRECHUNG

gesellschaften2, Rz3/23). Im Schrifttum wird dazu weiters vertreten (Krejci in Krejci, Reform Kommentar UGB, §105 Rz30), dass sich „die ,gesamthandschaftliche Verbundenheit‘ der Gesellschafter“ nicht auf Fragen der Vermögenszuordnung beziehe (sondern auf die „Gesellschafterstellung bzw den Gesellschaftsanteil“), denn Zurechnungssubjekt der „gesellschaftsbezogenen Sachen, Schuld- und Immaterialgüterrechte“ seien nicht „die Gesellschafter“, sondern „die Gesellschaft als solche“. Daher seien „die Gesellschafter keine Gesamthandeigentümer, sondern die Gesellschaft ist Alleineigentümer“.

Zum Wesen der Gesellschafterstellung bzw des Beteiligungsverhältnisses wird – aus den bereits dargelegten Gründen – herrschend vertreten, die Gesellschaftsanteile seien nicht „sachenrechtliche Anteile am Gesellschaftsvermögen“, sondern jene „gesellschaftsvertraglichen und somit schuldrechtlichen Rechte und Pflichten“, die dem einzelnen Gesellschafter zukommen; die Gesellschafter seien somit „an der Gesellschaft beteiligt, nicht jedoch am Gesellschaftsvermögen“, das „einzig und allein der Gesellschaft“ gehöre (Krejci in Krejci, Reform Kommentar UGB, §109 Rz7; vgl auch Appl in Bergmann/ Ratka, Handbuch Personengesellschaften2, Rz3/124). Die Zuordnung des Gesellschaftsvermögens an die Gesellschaft ist nach den Gesetzesmaterialien auch der Grund für die Neuregelung der Bestimmungen über die Auseinandersetzung mit einem ausscheidenden Gesellschafter (§137 UGB), in deren Rahmen die frühere Regelung des Art7 Nr15 Abs1 EVHBG (wonach der Anteil des ausscheidenden Gesellschafters „am Gesellschaftsvermögen“ den übrigen Gesellschaftern zuwächst) nicht übernommen wurde (vgl ErlRV 1058 BlgNR 22.GP, 42; siehe dazu auch Krejci in Krejci, Reform Kommentar UGB, §137 Rz3, und Appl in Bergmann/Ratka, Handbuch Personengesellschaften2, Rz3/121).

Gem §142 Abs1 UGB erlischt die Gesellschaft ohne Liquidation, wenn nur noch ein Gesellschafter verbleibt. Das Gesellschaftsvermögen geht im Weg der Gesamtrechtsnachfolge auf diesen über. Die Anwachsung nach §142 UGB umfasst grundsätzlich das gesamte Vermögen und daher auch das Liegenschaftseigentum der Personengesellschaft. Aufgrund der gesetzlich vorgesehenen Gesamtrechtsnachfolge bedarf es dabei keiner weiteren (besonderen) Übertragungsakte (vgl OGH 24.3.2015, 5Ob 62/15a).

Nach der jüngeren Rechtsprechung des OGH bewirkt die gesetzlich angeordnete Gesamtrechtsnachfolge auch den Übergang (bzw die Fortwirkung) der Gestaltungsrechte der §§1068ff ABGB auf den übernehmenden (ehemaligen) Gesellschafter der aufgelösten Gesellschaft (vgl OGH

18.6.2020, 5Ob 74/20y, zu einem Vorkaufsrecht gem §1072 ABGB; siehe zum Ganzen auch OGH

23.6.2022, 5Ob 215/21k, mwN).

Da der Übergang des Vermögens ex lege stattfindet, wird damit – sofern zum Gesellschaftsvermögen Grundstücke gem §2 GrEStG gehören –weiterhin (vgl erneut VwGH 30.5.1994, 89/16/ 0019, mwN, zur ständigen Rechtsprechung zu §1 Abs1 Z2 GrEStG 1955, sowie 19.1.1994, 93/16/ 0139, zu §1 Abs1 Z2 GrEStG 1987, jeweils in Fällen der Anwachsung gem §142 HGB) ein Erwerb gem §1 Abs1 Z2 GrEStG verwirklicht, was auch von der Revisionswerberin nicht in Abrede gestellt wird.

Der Erwerb der im Vermögen der Gesellschaft vorhandenen Grundstücke – im Wege der durch §142 Abs1 UGB angeordneten Gesamtrechtsnachfolge – erfolgt dabei im Hinblick auf die dargelegten zivil- und gesellschaftsrechtlichen Grundsätze – entgegen dem Vorbringen der Revisionswerberin, die in den mit dem HaRÄG eingeführten Neuregelungen keine wesentliche Änderung zur bis dahin geltenden Rechtslage erblickt – allerdings nicht vom zuletzt ausgeschiedenen Gesellschafter (ebenso N.Arnold in Arnold/Bodis, GrEStG15, §1 Rz251a; Taucher, Die GmbH & Co KG und ihre Gesellschafter im Grunderwerbsteuerrecht, in GS Arnold2 [2016] 345 [362]; Perl in Bergmann/Ratka, Handbuch Personengesellschaften2, Rz19/26 und 19/113). Die Zugehörigkeit der betroffenen Gesellschafter (des zuletzt ausgeschiedenen und des übernehmenden) zum in §7 Abs1 Z1 und2 GrEStG idF BGBlI 2014/36 angeführten Personenkreis ist daher für die Besteuerung ohne Relevanz. Nicht [sic] anderes kann im Übrigen für die mit dem StRefG 2015/16, BGBlI 2015/118, eingeführte Bezugnahme auf den in §26a Abs1 Z1 GGG angeführten Personenkreis (§7 Abs1 Z1 litc GrEStG) gelten.

Zur – weiteren, in der Revision aufgeworfenen – Rechtsfrage, was als Bemessungsgrundlage in jenen Fällen heranzuziehen sei, in denen – wie im vorliegenden Revisionsfall – ein nur geringer Anteil an einer OG vom vorletzten auf den letzten Gesellschafter unentgeltlich übergehe, erscheint zunächst die Klarstellung notwendig, dass der Erwerbstatbestand gem §1 Abs1 Z2 GrEStG nicht mit der Schenkung des Gesellschaftsanteils, sondern mit dem Übergang des Vermögens gem §142 Abs1 UGB auf den „letzten Gesellschafter“ verwirklicht wird. Wie bereits ausgeführt, erwirbt dabei der verbleibende Gesellschafter ex lege das gesamte Gesellschaftsvermögen und – mangels einer dem §6 Abs2 GrEStG 1955 entsprechenden Bestimmung –nicht nur im Ausmaß der Beteiligungsquote des vorletzten Gesellschafters. Die Rechtsansicht der Revisionswerberin, wonach der verwirklichte Grundstückserwerb im Ausmaß ihres bisherigen 95%igen Anteils an der L OG außer Betracht zu bleiben habe, findet in den anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen daher keine Deckung, was im Übrigen vom VwGH schon zur Anwachsung gem §142 HGB ausgesprochen wurde (vgl VwGH 21.12.2000, 2000/16/0563). […]

RECHTSPRECHUNG 3/2023 116

Anmerkung

Das umfangreich begründete Erkenntnis des VwGH bestätigt die bereits im Ergebnisprotokoll der Bundessteuertagung Gebühren und Verkehrsteuern 2007 (BMF 14.5.2009, BMF010206/0167-VI/5/2009, Pkt4.8.) geäußerte Rechtsansicht der Finanzverwaltung, dass insb durch die Neugestaltung der Personengesellschaften OG und KG mit dem HaRÄG der letzte Gesellschafter bei der Anwachsung nicht (mehr) vom vorletzten Gesellschafter, sondern vielmehr von der Gesellschaft selbst erwirbt. Diese Rechtsauffassung wurde in den Folgejahren stets aufrechterhalten (vgl die Informationen aus Anlass der Änderungen des GrEStG mit BGBlI 2014/36: BMF 11.11.2014, BMF010206/0101-VI/5/2014, Pkt6.6.; bzw aus Anlass der Änderungen mit StRefG 2015/2016, BGBlI 2015/118: BMF 13.5.2016, BMF010206/0058-VI/5/2016, Pkt 1.1.2.). Aus diesem Grund gilt unter der geltenden Rechtslage das Folgende: Kommt es – außerhalb des Umgründungssteuerrechts – zu einer Anwachsung gem §142 UGB, erfolgt der Erwerb gem §1 Abs1 Z2 GrEStG aufgrund des Gesetzes und direkt von der Gesellschaft. Anhand der Gegenleistung, ermittelt nach der Verhältnismethode (vgl mit einem Beispiel Schaffer/Siller in Pinetz/Schragl/Siller/Stefaner, GrEStG [2017] §5 Rz404), ist der Erwerb entsprechend als entgeltlicher, teilentgeltlicher oder unentgelt-

Literaturhinweis

licher Erwerb einzuteilen. Da es sich um einen Erwerb von der Gesellschaft handelt, liegt kein ex lege unentgeltlicher Erwerb iSd §7 Abs1 Z1 litb undc GrEStG vor. In aller Regel wird von einem entgeltlichen Vorgang auszugehen sein (Gegenleistung entspricht in etwa dem Wert des Grundstücks), was dazu führt, dass die Bemessungsgrundlage die Gegenleistung bildet und der anzuwendende Steuersatz 3,5% beträgt.

Abschließend darf angemerkt werden, dass der VwGH die Änderungen im Organisationsrecht der Personengesellschaften durch das HaRÄG (insb umfassende Rechtsfähigkeit, Aufgabe des Gesamthandeigentums zugunsten des Alleineigentums der Gesellschaft) ertragsteuerlich –anders als im Grunderwerbsteuerrecht – nicht zum Anlass genommen hat, das Durchgriffsprinzip bei Personengesellschaften aufzugeben (VwGH 3.2.2022, Ra2020/15/0036, immo aktuell 2022, 74 [Kampitsch], bzw zum damals angefochtenen BFG-Erkenntnis BFG 5.2.2020, RV/1100119/2018, immo aktuell 2020, 73 [Kampitsch]). Ertragsteuerlich gilt daher weiterhin die Beteiligung an der Personengesellschaft (Mitunternehmerschaft, vermögensverwaltende Personengesellschaft) als anteiliges Eigentum an den Wirtschaftsgütern der Personengesellschaft (vgl auch §32 Abs2 EStG bzw die geplante Erweiterung des §32 EStG durch ME AbgÄG 2023, 264/ME 27.GP).

Andreas Kampitsch

VwGH zur Haftung von Vermietern für Glücksspielabgabenschulden ihrer Mieter

Ehgartner, SWK17/2023, 735

Vom Finanzamt wurden gemäß § 59 Abs 4 lit a Glücksspielgesetz (GSpG) zahlreiche Vermieter als Haftende für offene Glücksspielabgabenschulden ihrer Mieter (teils in Millionenhöhe) herangezogen, die in den angemieteten Räumlichkeiten der Glücksspielabgabe unterliegende Ausspielungen durchführten.

Der VwGH lehnte nun in den ersten beiden von ihm entschiedenen Fällen (VwGH 18.4.2023, Ro2021/17/0005 und Ro2021/17/0006) die diesbezügliche Haftungsinanspruchnahme „schon aus den Umständen“ ab, weil die konkreten Mietverträge vor Erlassung bzw Inkrafttreten der entsprechenden Normen des GSpG (zum 1.1.2011) abgeschlossen wurden und sie einseitig nicht auflösbar waren und damit für die gegenständlichen Vermieter keine Möglichkeit mehr bestand, ihr Haftungsrisiko auszuschließen oder zu begrenzen.

Demgegenüber könnte sich (insbesondere) bei ab dem Jahr 2011 begründeten Mietverhältnissen, bei einseitig auflösbaren Mietverträgen oder etwa bei einer Partizipation der Vermieter am Erfolg der Ausspielungen eine diesbezügliche Haftungsinanspruchnahme von Vermietern allenfalls als rechtmäßig erweisen.

Für die Vermietungs- bzw Beratungspraxis scheint es entsprechenden Handlungsbedarf zu geben.

117 3/2023 RECHTSPRECHUNG

Grob nachteiliger Gebrauch iSd §30 Abs2 Z3 MRG

Verpflichtung zum Lüften, Wohn verhalten und Schimmelbildung

Recht

Erich René Karauscheck

In einer kürzlich ergangenen Entscheidung des OGH hatte sich dieser mit der Frage auseinanderzusetzen, ob das Unterlassen eines Lüftungsverhaltens, das über das durchschnittliche hinausgeht, einen grob nachteiligen Gebrauch iSd §30 Abs2 Z3 MRG darstellt.

1.Schädliche Nutzung durch den Mieter

Auf der Homepage des OGH findet sich folgender klarstellender Satz:

„Eine Wohnung wird zum Wohnen (und nicht zum Trockenlegen des Gebäudes des Vermieters) vermietet.“

Der Kündigungsgrund des §30 Abs2 Z3 MRG setzt jedenfalls eine wiederholte, länger währende, vertragswidrige Benützung des Bestandobjekts voraus, durch welche wichtige Interessen des Vermieters verletzt oder eine erhebliche Verletzung der Substanz des Mietgegenstands erfolgt oder droht.1 Der Auflösungsgrund liegt dann nicht vor, wenn der Mieter vom Bestandgegenstand nur den nach dem Verwendungszweck üblichen Gebrauch macht.2 Ein Verschulden des Mieters ist nicht erforderlich, die Schädlichkeit muss dem Mieter aber bewusst sein; dabei ist auf den durchschnittlichen Mieter abzustellen.3

2.Schimmelbildung und Lüftungsverhalten des Mieters

Der OGH stellt unter Bezug auf die Vorjudikatur unmissverständlich klar, dass der Mieter mit dem

1 RIS-Justiz RS0067832, RS0068076, RS0102020, RS0067939, RS0021031, RS00220981.

2 RIS-Justiz RS0021043; spannend ist in diesem Zusammenhang die Entscheidung des OGH vom 10.11.2011, 2Ob165/11w. Das Bad der Wohnung der Mieter verfügt über kein eigenes Fenster, sondern nur über einen Ventilator mit Zeitschaltuhr. Das Auftreten von Schimmelschäden, welche zunächst nicht sichtbar waren, kann den Mietern nicht vorgeworfen werden. Das Erstgericht hat die Aufkündigung dennoch für rechtswirksam erklärt, da ein vertrauenswürdiger Durchschnittsmieter in der Situation der beklagten Partei entweder den Schimmelschaden selbst behoben oder die Hausverwaltung informiert hätte, insbesondere wenn der Mieter der Meinung wäre, er sei nicht selbst für den Schaden ursächlich. Die tatsächliche Ursache für die Feuchtigkeits- und Schimmelbildung konnte nicht festgestellt werden. Die Gefährdung der Substanz geht aber schlussendlich auf das Verhalten der Mieter zurück, da diese nichts zur Behebung des Schadens getan haben, weshalb der Verlust der Vertrauenswürdigkeit eingetreten ist, was Ratio dieser Bestimmung (also des §30 Abs2 Z3 Fall1 MRG) ist (OGH 12.2.2003, 7Ob17/03f). Der OGH hat die Kündigung bestätigt, da die schlagwortartige Angabe des Sachverhalts ausreichend zur Konkretisierung der Kündigung war. Den Mietern wird konkret vorgeworfen, dass sie nicht Abhilfe geschaffen hätten, also den ernsten Schaden den Hauseigentümern nicht gemeldet haben.

3 RIS-Justiz RS0020867, RS0070433; OGH 10.11.2011, 2Ob165/11w.

Auftreten von Schimmelbildung in Wohnräumen weder zu Beginn des Mietverhältnisses noch im Laufe der Zeit zu rechnen braucht. Der Vermieter, welcher ein Objekt zu Wohnzwecken vermietet, hat dafür einzustehen, dass es auf die übliche Weise nutzbar ist und genutzt werden darf. Bei der üblicherweise anzunehmenden, durchschnittlichen Brauchbarkeit eines als Wohnung vermieteten Bestandobjekts kann der Mieter auch erwarten, dass mit einem durchschnittlichen Lüften das Auslangen gefunden werden kann.4

Eine Feuchtigkeitsbildung aufgrund interner Feuchtigkeitsquellen, wie etwa Atmen, Waschen, Kochen, Aufstellen von Pflanzen und dergleichen, ist bei normalem Wohnverhalten unvermeidbar und sagt nichts über das Fehlverhalten eines Mieters aus. Wenn etwa die Abfuhr von Feuchtigkeitseinträgen aufgrund der konkreten Verhältnisse ein Querlüften sieben Mal täglich erfordert, bedeutet das nicht, dass solch ein Lüftungsverhalten ohne eine konkrete Vereinbarung von einem Wohnungsmieter auch gefordert werden kann.5

„Kann Schimmelbildung nicht mit einem normalen Lüftungsverhalten verhindert werden, ist dies daher dem Vermieter, nicht dem Mieter, zuzurechnen.“6

3.Entscheidung des OGH vom 28.3.2023, 4Ob 2/23g

Der vorliegende Beispielfall ist ein besonders deutlicher und krasser: Hier wurde ein Neubau in Bestand gegeben, welcher noch nicht völlig trockengelegt war. Trockenlegungsmaßnahmen des Vermieters sind, wie den Feststellungen zu entnehmen ist, mehrmals durchgeführt worden und entweder gescheitert oder noch nicht gänzlich zum Abschluss gebracht worden.

Bei der hier streitgegenständlichen zweistöckigen (Reihenhaus-)Wohnung in einer neu errichteten Mehrparteienanlage traten die ersten Feuchtigkeitsschäden bereits eine Woche nach Schlüsselübergabe auf. Es mussten mehrmals

4 OGH 28.9.2017, 8Ob34/17h, und OGH 4.5.2021, 1Ob55/21a, wobei beide zu §1096 ABGB ergangen sind.

5 Der OGH verweist in diesem Zusammenhang auf OGH 28.9.2017, 8Ob34/17h, mit zustimmendem Hinweis auf LGZ Wien zu 40R104/018b.

6 OGH 28.9.2017, 8Ob34/17h.

Grob nachteiliger Gebrauch RECHT 3/2023 118
Dr. Erich René Karauscheck ist Partner bei der Themmer, Toth & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien mit Schwerpunkt Bestandrecht und Versicherungsvertragsrecht.

Trocknungsarbeiten auf Kosten der Vermieter durchgeführt werden, die Mieter erhielten ein Ersatzquartier zur Verfügung gestellt. Elf Wochen lang stand das Objekt faktisch leer; es kam nicht zu einem „für Neubauten vorgeschriebenen Lüftungsverhalten“

Der Neubau war also zum Zeitpunkt der Inbestandgabe noch nicht ausgetrocknet, da die übliche Austrocknungszeit (so die Feststellungen des Erstgerichts) mindestens 2,5Jahre beträgt. Nach den Feststellungen des Erstgerichts wäre zur Beseitigung der Feuchtigkeit ein Querlüften alle drei bis vier Stunden für fünf bis zehn Minuten erforderlich, also ein sechs- bzw achtmaliges Lüften pro Tag. Damit wird aber das „Lüften“ zu einer Beschäftigung, einer Aufgabe in Wahrung der Interessen des Vermieters, welche sich mit einer Berufstätigkeit und einer dadurch bedingten Abwesenheit von der Wohnung oder freizeitund urlaubsbedingten Abwesenheiten nicht vereinbaren lässt. Es war zwischen den Streitteilen nicht vereinbart, dass sich der Mieter verpflichtet hätte, das Einfamilienreihenhaus (einen Neubau) einer dermaßen intensiven Pflege durch ständiges Querlüften zu unterziehen.

Die Kündigung wurde also völlig zu Recht abgewiesen. Hier wäre der Mieter praktisch ständig zum Lüften verpflichtet gewesen und

hätte die Wohnung/das Reihenhaus weniger dem Wohnzweck, sondern eher dem Trockenlegungszweck des Vermieters gedient. Dies ist allerdings nicht vereinbart worden.

Zu bemerken ist, dass zweifelhaft ist, ob eine Vereinbarung der Trockenlegung durch den Mieter einer Überprüfung nach §879 Abs3 ABGB standhalten würde. Anders formuliert: Welcher Mieter würde sich auf solch ein Bestandverhältnis, welches ihn (unentgeltlich) zur Lüftung in der beschriebenen Intensität im Interesse der Trockenlegung eines Neubaus verpflichtet, einlassen?

AUF DEN PUNKT GEBRACHT

Bei der üblicherweise anzunehmenden, durchschnittlichen Brauchbarkeit eines als Wohnung vermieteten Bestandobjekts wird der Mieter auch erwarten können, dass mit einem durchschnittlichen Lüften das Auslangen gefunden werden kann. Ist ein darüber hinausgehendes Lüftungsverhalten erforderlich, um Schimmelbildung zu verhindern, wird in der Regel davon auszugehen sein, dass dies an der Beschaffenheit des Bestandobjekts, nicht am normalen Wohnverhalten des Bestandnehmers liegt.

Gewerbliche Tochtergesellschaften gemäß §7 Abs4b WGG – liquider Rahmen regulatorischer Einschränkungen?

Zur Frage des Geltungsbereiches des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes

In der Literatur bestehen divergierende Ansichten hinsichtlich der Fragestellung, wieweit gebarungsrechtliche Vorschriften des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes (WGG) auf gewerbliche Tochtergesellschaften gemeinnütziger Bauvereinigungen (GBV) gemäß §7 Abs4b WGG anzuwenden sind. Die vorliegenden Ausführungen stellen den Versuch dar, einen Beitrag zur Klärung dieser Frage zu leisten.

1.Zweck gewerblicher Tochtergesellschaften gemäß §7 Abs4b WGG

Gewerbliche Tochtergesellschaften gemäß §7 Abs4b WGG wurden durch BGBlI 2000/142 eingeführt. Den zugehörigen Materialien lässt sich entnehmen, dass diese Unternehmen unterstützende Funktion von Tätigkeiten der Eigentümerstruktur hinsichtlich §7 Abs1 bis3 sowie Abs4a WGG haben müssen. Demonstrativ werden Hausbetreuungstätigkeiten im Rahmen der gesamten Gebäudebewirtschaftung sowie wohnungsbezogene Dienstleistungen ange-

führt.1 Das zulässige Tätigkeitsfeld entspricht gemäß §7 Abs4b WGG wesentlichen Teilen der Geschäftskreisregelung von GBV. Allerdings sind die Inlandsbeschränkung von GBV und die Beschränkung von GBV gemäß §7 Abs3 Z4a Halbsatz2 WGG entsprechend §7 Abs4b Z2 WGG explizit nicht anzuwenden.

2.Definierte Anwendbarkeit des WGG

In jüngerer Literatur zu Aspekten der WGG-Novelle 2022 (BGBlI 2022/88) wird nunmehr die

1 ErlRV 311 BlgNR 21.GP, Art87 (zu §7 Abs4b).

Wolfgang Schwetz, MSc, BA, MRICS ist Mitglied des Beirats der immo aktuell, regelmäßiger Autor zu Fragen des Wohnungsgemeinnützigkeitsrechts sowie eines WGG-Kommentars und als Konsulent selbständig tätig. Er begleitete die WGG-Novellen 2022 und 2019 sowie die GRVO-Novellen 2021 und 2018 als Fachexperte.

119 3/2023 RECHT Gewerbliche Tochtergesellschaften gemäß §7 Abs 4b WGG

Position vertreten, wonach seitens GBV zwingend einzuhaltende Vorschriften gemäß §10a WGG – die der Absicherung der gemeinnützigen Vermögensbindung dienen2 – auch durch gewerbliche Tochtergesellschaften gemäß §7 Abs4b WGG im Bereich der Veräußerung von Wohnungen und Geschäftslokalen einzuhalten wären.3 Vorab wird hier bereits anzumerken sein: §10a WGG ist lediglich in Teilen geschäftskreiswirksam und etwa mit Feichtinger nicht mit dem Geschäftskreis selbst gleichzusetzen.4 Die Übertragung einer Regelung der gemeinnützigen Vermögensbindung auf eine gewerbliche Gesellschaft erscheint schon in diesem Zusammenhang zweifelhaft. Dies lässt sich durch Schuchter fundieren, der ausführt, dass Tätigkeiten des Geschäftskreises durch Tochtergesellschaften in gewerblicher Form erbracht werden.5

Eine nähere Betrachtung von Bestimmungen, auf die iZm gewerblichen Tochtergesellschaften abseits des Geschäftskreises explizit verwiesen wird, ist wohl geeignet, weitergehende Klarheit zu schaffen: So definiert §7 Abs4b Z5 WGG die Notwendigkeit der Verankerung zur Einhaltung der Compliance-affinen Bestimmung §9a Abs2a WGG im Gesellschaftsvertrag. Diese sieht Zustimmungserfordernisse für Geschäfte des Unternehmens mit Organwaltern von GBV und deren nahen Angehörigen vor. Zudem wird der Geltungsbereich des GenRevG 1997 auf den gegenständlichen Unternehmenstyp ausgeweitet. Sonstige Verweise bestehen nicht. Sohin wird davon auszugehen sein, dass der Gesetzgeber durch die im Gesetzestext enthaltenen Verweise seine Zielsetzung abschließend zum Ausdruck brachte.

Dies tritt umso deutlicher zu Tage, als §10a WGG in der jüngeren Vergangenheit mehrfach und in verhältnismäßig kurzen Abständen geändert wurde: So im Rahmen der WGG-Novelle

2 Feichtinger/Schinnagl, Die Vermögensbindung als Eckpfeiler der Wohnungsgemeinnützigkeit, wobl2017, 99 (100).

3 Puchebner in Amann/Struber, Österreichisches Wohnhandbuch 2022 (2022) 108.

4 Feichtinger, Der „Paketverkauf“ nach der WGG-Novelle 2022, immolex2022, 290 (291).

5 Schuchter in Schwimann, Praxiskommentar zum ABGB (2001) §7 WGG Rz49b.

2016 (BGBlI 2015/157), einer Klarstellung im Jahr 2018 (BGBlI 2018/26), der WGG-Novelle 2019 (BGBlI 2019/85) sowie der WGG-Novelle 2022 (BGBlI 2022/88). §10 Abs1a WGG definiert explizit den einzigen (bedingten) Anwendungsfall dieser Bestimmung, der keine unmittelbare Involvierung einer GBV voraussetzt.

Eine Analyse der Geschäftskreisregelung selbst legt zudem nahe: Der Gesetzgeber begrenzt gewerbliche Tochtergesellschaften gemäß §7 Abs4b WGG mit dem Geschäftskreis von GBV wohl im Sinne eines Geschäftsfeldes. Auch Schuchter betont den sinngemäßen – sohin nicht umfassenden – Charakter des Geschäftskreises hinsichtlich seiner Anwendung auf Tochtergesellschaften.6 Steckel argumentiert entsprechend dahingehend, dass die Geschäftsfelder nach Zielrichtungen strukturiert werden können.7 Dieser Zugang wird dadurch weiter plausibilisiert, dass der in §7 Abs1a Z2 WGG genannte §15c WGG gewerbliche Tochtergesellschaften gemäß §7 Abs4b WGG im gegenständlichen Kontext nicht betreffen kann. Selbiges gilt für den in §7 Abs2 WGG enthaltenen Verweis auf gewerbliche Tochtergesellschaften gemäß §7 Abs4b WGG.

AUF DEN PUNKT GEBRACHT

Es ist davon auszugehen, dass die Geschäftskreisregelung gemäß §7 WGG auf gewerbliche Tochterunternehmen (lediglich) sinngemäß anzuwenden ist.

Die Verweise des Gesetzgebers auf die zwingende Anwendung des WGG im Bereich gewerblicher Tochtergesellschaften werden als abschließend zu erachten sein.

§10a WGG wurde durch den Gesetzgeber in der jüngeren Vergangenheit mehrfach novelliert bzw klargestellt. Von einer Anwendbarkeit auch einzelner Bestimmungen auf Tochtergesellschaften ist nicht auszugehen.

6 Schuchter in Schwimann, ABGB, §7 WGG Rz49b.

7 Steckel in Lugger/Holoubek, Die österreichische Wohnungsgemeinnützigkeit – ein europäisches Erfolgsmodell, FS Puchebner (2008) 211.

Gewerbliche Tochtergesellschaften gemäß §7 Abs 4b WGG RECHT 3/2023 120

Eine unglückliche Wertsicherungsklausel im „kundenfeindlichsten Sinn“ ausgelegt

OGH 21. 3. 2023, 2 Ob 36/23t, ruft §6 Abs2 Z4 KSchG in Erinnerung

Recht

Der OGH erkannte in einem Verbandsprozess gemäß §§28, 29 KSchG mit Zurückweisungsbeschluss vom 21.3.2023, 2Ob 36/23t, zu Recht, dass eine konkrete, wenig durchdachte, und sehr einseitig formulierte Wertsicherungsklausel weder §6 Abs1 Z5 KSchG noch §6 Abs2 Z4 KSchG entspricht.

1.Der Verbandsprozess im Überblick

Die Geschäftszahl des Erstgerichts deutet auf eine Klagseinbringung im Jahr 2018 hin. Streitgegenständlich ist eine Wertsicherungsklausel, welche wie folgt lautet:

„Der Nettomietzins von EUR […] wird auf den vom österreichischen statistischen Zentralamt verlautbarten Index der Verbraucherpreise 1976 wertbezogen. Sollte dieser Index nicht verlautbart werden, gilt jener als Grundlage für die Wertsicherung, der diesem Index am meisten entspricht.“

Mit der streitgegenständlichen Wertsicherungsklausel wird also ein Verbraucherpreisindex vereinbart, welcher im Zeitpunkt der Anfechtung durch die Bundesarbeiterkammer bereits 42Jahre alt ist, aus dem vorigen Jahrhundert stammt und weder einen Schwellwert aufweist noch eine konkrete Ausgangsbasis für die Berechnung der Wertsicherung formuliert. Das Ergebnis ist ein unmissverständlicher Zurückweisungsbeschluss. Der OGH, das österreichische Höchstgericht, erfüllt mit dem vorliegenden Zurückweisungsbeschluss seine Leitfunktion und kommt seiner richtungsweisenden Kompetenz nach. Die Arbeiterkammer wiederum erfüllt ihre Aufgabe als Klagsverband iSd §29 KSchG. Wir dürfen aus diesem Zurückweisungsbeschluss lernen.

2.Zu den Besonderheiten des Verbandsprozesses gemäß §§28, 29 KSchG

Im Rahmen der Verbandsklage gemäß §§28, 29 KSchG hat die Auslegung von Klauseln im „kundenfeindlichsten“ Sinn zu erfolgen, und mit diesem Maßstab ist im Sinne der Inhaltskontrolle zu messen, ob ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten vorliegt.1 Was bedeutet dieses Beurteilungskriterium des „kundenfeindlichsten“ Sinns2 und wie fügt es sich ein

1 RIS-Justiz RS0016590.

2 Maßstab für die Beurteilung im Verbandsprozess ist die für den Kunden ungünstigs te mögliche Auslegung, mag auch eine kundenfreundlichere Auslegung denkbar sein (RIS-Justiz RS0016590 [T6]).

in die gesetzlich definierten Auslegungsgrundsätze der §§914 und 915 ABGB? Der Rechtsanwender im Verbandsprozess ist an die allgemeinen Auslegungsregeln gebunden, er darf nicht seine ganze Fantasie spielen lassen, um zu einer besonders kundenfeindlichen Interpretation der AGB zu gelangen.3 Auch im Verbandsprozess gelten mangels Sondernormen die allgemeinen Auslegungsregeln. Nach Ausschöpfung der Kriterien der §§914 und 915 ABGB kommt für ungeklärte Zweifelsfälle der Grundsatz der kundenfeindlichsten Auslegung zur Anwendung.4 Die Grundüberlegung hinter dieser Auslegungsregel ist auf den ersten Blick ein wenig paradox, aber einfach erklärt:

Wenn man, wie im Individualprozess gefordert, eine zweifelhafte Klausel zu Lasten des Verwenders und damit kundenfreundlich auslegt, führt dies zum Ergebnis, dass diese Klausel einen Sinn erhält, der weitgehend, cum grano salis, in Ordnung ist. Der Verwender der Klausel ist mit dem Ergebnis zumeist nicht ganz glücklich, kann aber (oder muss) mit diesem Ergebnis „leben“, und die Klausel wird in ihrem Rechtsbestand nicht angetastet. Solch eine Auslegung ist im Individualprozess geboten. Der Wille der Parteien ist im Individualprozess zu erforschen, und es ist sowohl bei Zielschuld- als auch bei Dauerschuldverhältnissen durch Mittel der einfachen Auslegung festzustellen, was die Absicht der Parteien war. Sollte bei Problemfällen, also bei Störungen in der Vertragsabwicklung, von den Vertragsparteien keine Regelung getroffen worden sein, wird im Individualprozess auf die ergänzende Auslegung zurückzugreifen sein und der hypothetische Parteiwille festgestellt.5 Im Zweifel gilt also im Individualprozess die „kundenfreundlichste“ Ausle-

3 Kellner, Der Rechtsbegriff der allgemeinen Geschäftsbedingungen (2013) 37; P.Bydlinski, Thesen zur praktischen Handhabung des „Transparenzgebots“ (§6 Abs3 KSchG), JBl2011, 141 (142); Koziol, Auslegung und Beurteilung der Sittenwidrigkeit von AGB-Klauseln im Verbandsprozess, RdW2011, 67ff; Vonkilch in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, ABGB – Klang-Kommentar3 (2019) §915 Rz34.

4 Kellner, Der Rechtsbegriff der allgemeinen Geschäftsbedingungen, 37.

5 Rummel, ABGB3 (2003) §914 Rz9.

Dr. Erich René Karauscheck ist Partner bei der Themmer, Toth & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien mit Schwerpunkt Bestandrecht und Versicherungsvertragsrecht.

121 3/2023 RECHT Auslegung einer Wertsicherungsklausel

gung. Diese Auslegungsmaximen, die wir alle im Individualprozess schätzen und täglich anwenden, würden im Verbandsprozess nach den §§28, 29 KSchG zu dem paradoxen Ergebnis führen, dass eine zweifelhafte, dem KSchG widersprechende Klausel im Rechtsverkehr erhalten bliebe. Die Klage des Klagsverbands nach §29 KSchG müsste abgewiesen werden. Dieses Ergebnis ist in Ansehung eines Verbandsprozesses unbefriedigend und läuft der Ratio des konsumentenschutzrechtlichen Schutzinstrumentariums zuwider. Deshalb werden Klauseln im Verbandsprozess nicht kundenfreundlich, sondern kundenfeindlich ausgelegt, was schlussendlich wieder zum Vorteil der Konsumenten gereicht, da die bekämpfte Klausel aus dem Rechtsbestand eliminiert wird und all jene, deren Beruf es ist, Klauseln zu verfassen, wieder einmal etwas „dazu gelernt“ haben.6 Bei kundenfeindlicher Auslegung tendieren viele Geschäftsbeziehungen zur Gesetz- und Sittenwidrigkeit, was nicht nur auf die beim Vertragsabschluss oft vorherrschende „verdünnte Vertragsfreiheit“7 zurückzuführen ist. Oft erklärt sich diese Gesetz- und Sittenwidrigkeit aus dem Wunsch, für jeden auch nur erdenklichen Zweifelsfall Vorsorge zu treffen. Manche Intransparenz geht darauf zurück, dass Umstände geregelt werden, welche sich in ferner Zukunft (hoffentlich nicht) ereignen. Ein guter Beispielfall für diese „Überfürsorglichkeit“ ist der Themenbereich, was denn gelten solle, wenn der vereinbarte Verbraucherpreisindex (aktuell wäre dies der VPI2020) oder ein an seine Stelle tretender Index8 nicht mehr verlautbart wird. Wenn wir nun allerdings darüber nachzudenken beginnen, was denn gelten soll, wenn auch die vom OGH am 25.4.2019, 6Ob 226/18f, als berechtigt aufgefasste Sorge und die gewählte Formulierung „oder ein an die Stelle des vereinbarten Index“ den Vermieter „noch lange“ nicht ausreichend schützt, weil doch irgendwann vielleicht die Ver-

6 In der Rechtsschutzversicherung gibt es erst seit relativ kurzer Zeit ein gesetzliches Regelwerk in den §§158jff VersVG. Seit es Rechtsschutzversicherungen gibt werden mit großer Regelmäßigkeit immer wieder neue Bedingungsgenerationen von immer „neuen“ Produktentwicklern entworfen. Das Regelwerk der Rechtsschutzversicherungen (die Allgemeinen Rechtsschutzversicherungsbedingungen) steht seit vielen Jahrzehnten regelmäßig am konsumentenschutzrechtlichen Prüfstand des OGH. In immer wieder neuen Bedingungsgenerationen ist die Versicherungsbranche gezwungen, auf die Klarstellungen des OGH zu reagieren und „besser zu werden“. Seitdem erkannt wurde, dass neben dem MRG als Schutzgesetz auch das KSchG auf Mietverträge an zuwenden ist, sind auch Vermieter und Vermieterorganisationen und deren Berater, Rechtsanwälte und Notare im Mietrechtsbereich gefordert, dazuzulernen und (regelmäßig) neue Vertragsbedingungen zu entwickeln.

7 Zum Themenkreis verdünnte Vertragsfreiheit vgl vertiefend RIS-Justiz RS0014676.

8 Der OGH respektiert den Wunsch, für diesen Fall Vorsorge zu treffen. Mit Entscheidung vom 25.4.2019, 6Ob 226/18f, hat der OGH zu Recht erkannt, dass die Formulierung „oder ein an seine Stelle tretender Index“ den Voraussetzungen des §6 Abs1 Z5 KSchG entspricht.

lautbarung des Verbraucherpreisindex gänzlich eingestellt wird, erreichen wir (zumindest beim Verbrauchervertrag) die Grenze des rational Erklärbaren und Formulierbaren. Mit dem hier besprochenen Zurückweisungsbeschluss hat der OGH jedenfalls folgender Formulierung eine klare Absage erteilt:

„Sollte dieser Index nicht verlautbart werden, gilt jener als Grundlage für die Wertsicherung, der diesem Index am meisten entspricht.“

Sollte die Statistik Austria (vormals: Statistisches Zentralamt) einmal ihre Tätigkeit einstellen und die Verlautbarung von Verbraucherpreisindizes einstellen, also auch kein Folgeindex im Sinne des Judikates 6Ob 226/18f (mehr) verlautbart werden, ist davon auszugehen, dass ohnedies „Feuer am Dach“ der Republik ist und die Gestaltung von Mietverträgen gänzlich andere Probleme hat, als darüber nachzudenken, wie eine Wertsicherungsklausel in einem Vertrag zu lauten hat. Jedenfalls ist unschwer zu erkennen, dass eine Formulierung, welche sich alle Optionen offenhält und ohne nähere Bestimmung der Parameter auf einen „am meisten entsprechenden Index“ verweist, nicht dem Erfordernis des §6 Abs1 Z5 KSchG entspricht.

Bei aller Kritik an Allgemeinen Geschäftsbedingungen darf allerdings nicht übersehen werden, dass diesen im modernen Geschäftsleben eine wichtige Funktion zukommt. Unübersehbar viele Wirtschaftszweige würden ohne AGB nicht funktionieren. Sowohl die tägliche Praxis des Geschäftslebens als auch die Justiz und die Gesetzgebung erfahren durch AGB eine Entlastungsfunktion. Wenn jeder Eigentümer, welcher vier bis fünf Wohnungen sein Eigen nennt und deshalb bereits als Unternehmer9 einzustufen ist, jedes Mal aufs Neue nachdenken würde, wie er seine Mietverträge gestaltet und nicht auf die von erfahrenen Vermieterorganisationen vorbereiteten Mietvertragsmuster zurückgreifen könnte, würde unser aller Leben als Rechtsanwender nicht leichter werden. Die AGB geben den Anwendern der Bedingungen klare Handlungsgrundlagen zur Hand und bewirken eine (sinnvolle) Selbstbindung der Verfasser bzw Anwender von AGB.10 Es kommt dadurch zu einer Vereinheitlichung des Angebots.

Doch zurück zu den Auslegungsgrundsätzen im Verbandsprozess: Das der Klausel vom Verwender der AGB beigelegte Verständnis ist im Verbandsprozess nicht maßgeblich.11 Im Unterlassungsprozess nach §28 KSchG kann und darf keine Rücksicht auf eine teilweise Zulässigkeit der beanstandeten Bedingungen genommen werden. Für eine geltungserhaltende Reduktion

9 Vgl dazu vertiefend Mayrhofer/Nemeth in Fenyves/ Kerschner/Vonkilch, ABGB3, §1 KSchG Rz34 mwN.

10 Vgl vertiefend Kellner, Der Rechtsbegriff der allgemeinen Geschäftsbedingungen, 21.

11 RIS-Justiz RS0016590 [T6]; RS0016590 [T23].

Auslegung einer Wertsicherungsklausel RECHT 3/2023 122

(durch das Gericht) verbleibt also kein Raum.12 Das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion im Bereich des KSchG bedeutet, dass die Aufgliederung einer einzelnen eigenständigen Klausel, die teils Verbotenes, teils Erlaubtes enthält, unzulässig ist.13 Das bedeutet aber nicht, dass in einem Absatz/Satz „einer“ Klausel nicht mehrere eigenständige Qualifikationen iSd §28 KSchG vorhanden sein können. Nach gefestigter Rechtsprechung des OGH können zwei unabhängige Regelungen in einem Punkt oder sogar an einem Satz der AGB enthalten sein, sodass nicht die gesamte Klausel, genauer der gesamte Satz der Vertragsbestimmung unwirksam ist (wenn in einem Satz zwei selbständige Punkte geregelt sind). Relevant ist, ob ein materiell eigenständiger Regelungsbereich vorliegt. Dies ist dann der Fall, wenn die Bestimmungen isoliert voneinander wahrgenommen werden können.14 Hierbei wird auch der sprachlichen Unselbständigkeit ein gewisses Gewicht zugemessen.15 Das bedeutet, dass in einem Satz von AGB, auch unter Zugrundelegung des Auslegungsgrundsatzes der kundenfeindlichsten Auslegung und unter Berücksichtigung der Unzulässigkeit der geltungserhaltenden Reduktion, ein teilbarer Inhalt gegeben sein kann und eine Klausel demzufolge bei einem selbständigen Regelungszweck insoweit teilbar ist, als ein gesetzeskonformer selbständiger Regelungsinhalt erhalten bleibt. Dies möchte der Verfasser dieses Beitrags nach seinem vereinfachenden Verständnis dahingehend verstehen, dass nicht immer (und um jeden Preis) bei einem teilbaren und selbständigen Regelungsinhalt der AGB „das Kinde mit dem Bade ausgeschüttet werden muss“.

3.Zur konkret beanstandeten Wertsicherungsklausel

Die in der Entscheidung vom 21.3.2023, 2Ob 36/23t, gegenständliche, von einem Klauselverwender entworfene (oder nur von anderen Mustern16 ohne viel nachzudenken abgeschriebene) Klausel verweist auf den Verbraucherpreisindex 1976. Damit ist der Wertmesser aus dem vorigen Jahrhundert (wir könnten auch sagen, die Klausel stammt aus dem vorigen Jahrtausend) angesprochen. Es wird keine Bezugsgröße bzw Ausgangsbasis vereinbart. Damit lässt sich (ohne ergänzende Vertragsauslegung) die vorliegende Indexklausel nicht anwenden und kann der Index nur dann ausgerechnet werden, wenn

12 RIS-Justiz RS0038205; Langer in Kosesnik-Wehrle, KSchG4 (2015) §6 Rz109.

13 RIS-Justiz RS0038205 [T7].

14 RIS-Justiz RS0121187 [T1].

15 RIS-Justiz RS0121187 [T11].

16 Vertragsmuster und Vertragsschablonen sind nach Ansicht des Verfassers nicht „nachteilig“ oder per se „böse“, sondern erleichtern unser aller Arbeit. Es gibt allerdings die unglückliche Tendenz, dass an sich gute Muster unreflektiert abgeschrieben werden und dann auch noch ein wesentlicher Teil eines Musters verkürzend weggelassen wird, sodass der verkürzte Inhalt geradezu sinnlos wird.

unterstellt wird, dass redliche Vertragsparteien trotz des ausdrücklichen Fehlens einer Ausgangsbasis zugrunde gelegt hätten, dass diese Ausgangsbasis für die Wertsicherung die „im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zuletzt verlautbarte Indexzahl“ ist. Die Klausel sieht auch keinen Schwellwert vor. Bei modernen Indexvereinbarungen, welche halbwegs fair und ausgewogen durchdacht sind, wird hingegen ein Schwellwert, im Regelfall von 3% bis 5%, vereinbart.17 Warum bei der hier streitgegenständlichen Klausel sowohl auf die Definition der Ausgangsbasis als auch auf die Vereinbarung eines Schwellwertes vergessen (oder bewusst verzichtet) wurde, wissen wir leider nicht. Damit sind wir mit einer sehr unglücklich und einseitig formulierten Klausel konfrontiert, welche – wie der OGH in 2Ob 36/23t unmissverständlich artikuliert – nicht vergleichbar ist mit der Klausel, welche zu 6Ob 226/18f vom OGH geprüft und für zulässig befunden wurde.

Im Verfahren vom 25.4.2019, 6Ob 226/18f, hat der OGH ausgesprochen, dass Wertsicherungsklauseln (im Bereich des §16 Abs1 MRG) grundsätzlich zulässig sind und auch an sich weder gegen das Gesetz noch gegen die guten Sitten verstoßen, aber dennoch einer Überprüfung nach §879 Abs3 ABGB und §6 Abs1 Z5 KSchG unterliegen.18 Die vom OGH im Verfahren 6Ob 226/18f geprüfte Klausel hat auf den damals aktuellen Verbraucherpreisindex (VPI 2010) Bezug genommen.19 Als Ausgangsbasis wurde der Monat des Vertragsabschlusses vereinbart, und eine Schwellwertklausel wurde mit 5% festgelegt. Die vom OGH im genannten Verfahren geprüfte Klausel war ausgewogen und hat den Erfordernissen des §6 Abs1 Z5 KSchG entsprochen. Die Voraussetzungen Zweiseitigkeit, Festlegung im Vertrag, Unabhängigkeit vom Willen des Unternehmers und der Schutz des Verbrauchers vor überraschenden Preiserhöhungen waren gewährleistet, sodass der OGH betonen konnte, dass die Wertsicherungsklausel gerechtfertigt ist, da sie dem legitimen Bedürfnis

17 Auch der Gesetzgeber des §16 Abs6 MRG definiert für die Anhebung des Kategoriemietzinses nach §16 Abs5 MRG einen Verbraucherpreisindex (oder den an seine Stelle tretenden Index) und normiert einen 5%igen Schwellwert.

18 OGH 25.4.2019, 6Ob 226/18f; RIS-Justiz RS006954; RS0069701; RS00116806; Würth in Rummel, ABGB 3 , §16 MRG Rz24; Würth/Zingher/Kovanyi, Miet- und Wohnrecht23 (2015) §16 MRG Rz37; Vonkilch, Die Überprüfung der Wertsicherung und die Mietrechtsentwicklung, wobl2000, 212 [213]; ErlRV 1183 BlgNR 22.GP, 42; ErlRV 774 BlgNR 14.GP, 47; Rieder in Schwimann/Kodek, ABGB4 (2014) §879 Rz32; Krejci in Rummel/Lukas, ABGB4 (2015) §879 Rz111.

19 In der Zwischenzeit wurden der Verbraucherpreisindex 2015 und der Verbraucherpreisindex 2020 verlautbart. Bei modernen Verträgen ist also auf den VPI 2020 und auf die Ausgangsbasis, den Monat des Vertragsabschlusses, Bezug zu nehmen. Ein Vertrag ohne Schwellwert ist nur im B2B-Bereich zulässig, in fast allen Einkaufszentrenverträgen wird bei Anpassungen an den Verbraucherpreisindex keine Schwellwertklausel formuliert.

123 3/2023 RECHT Auslegung einer Wertsicherungsklausel

des Vermieters gerecht wird, das Entgelt – insbesondere bei längeren Vertragslaufzeiten – an die tatsächliche Geldentwertung anzupassen.20

Die im Zurückweisungsbeschluss 2Ob 36/ 22t geprüfte Wertsicherungsklausel weist all diese Voraussetzungen nicht auf, es wundert also, wenn sich jemand wundert, dass diese Klausel die Überprüfung im Verbandsverfahren den §§28, 29 KSchG nicht bestanden hat. Der OGH bestätigt (erwartungsgemäß) die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass sie §6 Abs1 Z5 KSchG nicht entspricht. Er hätte auch noch erwähnen können, dass sie auch intransparent iSd §6 Abs3 KSchG ist. Im vorliegenden Zurückweisungsbeschluss hat der OGH allerdings „obiter“ vor Augen geführt, dass die konkrete einseitige und überdurchschnittlich konsumentenfeindliche Klausel auch gegen §6 Abs2 Z4 KSchG verstößt, da schon in den ersten beiden Monaten nach Vertragsabschluss eine Entgeltänderung eintreten könnte, was leider bei der vorliegenden Klausel unzweifelhaft zutrifft. Auch mit diesem Hinweis wird der OGH seiner Leitfunktion gerecht. Wir müssen der Klarstellung des OGH, welche die Bestimmung des §6 Abs2 Z4 KSchG in Erinnerung ruft, dankbar sein und ist an dieser Stelle zu bemerken, dass kein redlicher Urkundenverfasser, kein Rechtsanwalt oder Notar und kein Hausverwalter das geringste Interesse daran hat oder haben kann, eine Wertsicherungsklausel zu formulieren, welche bewirkt, dass bereits in den ersten beiden Monaten eine Preisanpassung vorgenommen wird. Jeder von uns will, dass ein vereinbarter Preis, eine vereinbarte essentialia negotii, zumindest durch zwei Monate hindurch „hält“.

4.§6 Abs2 Z4 KSchG

Mit der Bestimmung des §6 Abs2 Z4 KSchG will der Gesetzgeber verhindern, dass der Verbraucher mit einer einseitigen Entgelterhöhung für eine kurz nach Vertragsabschluss zu erbringende Leistung „überrascht“ wird.21 Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage sehen noch eine Frist von drei Monaten vor, die geltende Frist von zwei Monaten geht auf den Justizausschuss zurück. Die gegenständliche Bestimmung gilt genauso wie §6 Abs1 Z5 KSchG, sowohl für Ziel- als auch für Dauerschuldverhältnisse, Entgelterhöhungen für Leistungen innerhalb der Zweimonatsfrist müssen also einzeln ausgehandelt werden. Zu diesem Themenkreis gibt es, soweit erkennbar, zumindest eine einschlägige höchstgerichtliche Entscheidung, in welcher der Wunsch des Unternehmers (einer Kfz-Leasinggesellschaft), eine Entgeltanpassung bzw Nachverrechnung vorzunehmen, wenn sich die „der Kalkulation zugrunde gelegten Steu-

ern, Abgaben und Gebühren ändern oder neu eingeführt werden“, 22 dem Prüfungsmaßstab des §6 Abs2 Z4 KSchG nicht standgehalten hat.

Davon unterscheiden sich moderne Wertsicherungsklauseln, welche auf den aktuellen Verbraucherpreisindex wertbezogen sind und den Ausgangsmonat des Vertragsabschlusses als Entgeltbemessungsgrundlage heranziehen. Wenn eine Schwellwertklausel von 5% vereinbart wird, ist de facto ausgeschlossen, dass es innerhalb der ersten zwei Monate ab Vertragsabschluss zu einer Preiserhöhung käme. Hierbei wird in Erinnerung gerufen, dass das Überschreiten einer 5%igen Schwellwertklausel, berechnet auf zwei Monate, bedeuten müsste, dass sich der Index pro Monat um 2,5% erhöht, wir also im Jahr mit einer indexbedingten Inflationsanpassung von 30% konfrontiert wären. Solch eine „galoppierende Inflation“ kennen wir nicht. Bei solch einer inflationären Entwicklung ist die in einzelnen Mietverträgen ausverhandelte Wertsicherungsklausel das geringste Problem der Republik. Genauso tragisch für die Republik Österreich wäre es aber, das erwähnte „Kinde mit dem Bade auszuschütten“ und wegen der hypothetischen Gefahr auszusprechen, dass jedwede Wertsicherungsklausel gemessen an §6 Abs2 Z4 KSchG unzulässig und unbrauchbar ist. Wertsicherungsklauseln, welche sich historisch bewährt haben und in Verträgen zugrunde gelegt sind, die älter als zwei Monate sind, haben durch ihre Faktizität, dass es nicht zu einer Wertsicherung in den ersten beiden Monaten gekommen ist, das Verdikt des OGH, wonach nicht ausgeschlossen werden könnte, dass schon „in den ersten beiden Monaten nach Vertragsabschluss eine Entgeltänderung eintreten könnte“, standgehalten. Der Überraschungsschutz des §6 Abs2 Z4 KSchG greift in den ersten beiden Monaten des Bestandverhältnisses, ist dieses durchlebt und dauert das Bestandverhältnis weiter an, dann wissen wir bereits, ob es in dieser Zeit zu einer „unzulässigen“ Verrechnung in den ersten beiden Monaten kam.

Nach Ansicht des Verfassers sind demzufolge im Individualprozess all jene Wertsicherungsklauseln nicht zu beanstanden, welche ein historisches Vertragsabschlussdatum aufweisen und neben den Kriterien der Transparenz iSd §6 Abs3 KSchG auch dem Kriterium des §6 Abs1 Z5 KSchG gerecht werden. Wenn bei einem historischen Mietvertrag in den ersten beiden Monaten keine Wertsicherung vorgenommen wurde, weil der Schwellwert nicht erreicht wurde oder der Vermieter aus nicht näher zu analysierenden Gründen auf die Wertsicherung verzichtet (vielleicht auch nur vergessen) hat, ist jedenfalls die Gefahr der Sittenwidrigkeit iSd §6 Abs2 Z4 KSchG nicht gegeben.

Im Vollanwendungsbereich des §16 Abs9 MRG ist darüber hinaus ein weiteres Korrektiv

Auslegung einer Wertsicherungsklausel RECHT 3/2023 124
20 OGH 25.4.2019, 6Ob 226/18f. 21 Echerer in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, ABGB3, §6 Abs2 Z4 KSchG Rz1. 22 OGH 22.6.2011, 2Ob 198/10x.

vorgesehen. Nach §16 Abs9 MRG hat der Hauptmieter dem Vermieter den erhöhten Hauptmietzins von dem auf das Wirksamwerden der Indexveränderung (im Umfang des Schwellwertes gemäß §16 Abs6 MRG) folgenden Zinstermin zu entrichten, wenn der Vermieter dem Hauptmieter in einem nach Wirksamwerden der Indexveränderung ergehenden Schreiben, jedoch spätestens 14Tage vor dem Termin, sein darauf gerichtetes Erhöhungsbegehren bekanntgibt. Aus der Praxis wissen wir, dass diese gesetzliche Schutzvorkehrung sicherstellt, dass es nicht zu überraschenden, indexbedingten Entgeltanpassungen innerhalb der Zweimonatsfrist des §6 Abs2 Z4 MRG kommt. §16 Abs9 MRG bewirkt durch seine gesetzlichen mietrechtlichen Schutzvorkehrungen, dass mehrere Monate, jedenfalls mehr als zwei Monate verstreichen, bevor Vermieter oder Vermieterinnen reagieren können und die indexangepasste Miete vorschreiben.

Im Verbandsprozess lautet das Urteilsbegehren regelmäßig dahingehend, dass der Klauselverwender in AGB und/oder Vertragsformblättern im geschäftlichen Verkehr mit Konsumenten die Verwendung einer konkreten Klausel zu unterlassen hat und es weiters unterlassen soll, sich auf diese oder sinngleiche Klauseln zu berufen. Das Verbot, sich auf diese oder sinngleiche Klauseln zu berufen, darf bei Mietverträgen, welche sich seit vielen Jahren und Jahrzehnten, jedenfalls aber länger als zwei Monate hindurch, in der Praxis bewährt haben und in diesen zwei Monaten nicht zu einer Mietzinsanpassung geführt haben, nicht dazu führen, dass eine Wertsicherung pro futuro unzulässig wäre. Der Schutz des Konsumenten vor Überraschungen bezieht sich auf die ersten zwei Monate. Sind diese ersten zwei Monate ohne Wertsicherung oder sonstige Preisanpassung durchlebt, lässt sich „das Rad der Zeit nicht mehr zurückdrehen“; der Konsument ist (durch Zeitverlauf) gewarnt; die Schutzfunktion des §6 Abs2 Z4 KSchG ist erfüllt. Die Wertsicherung, welche

pro futuro auf eine sonst zulässig formulierte, den Kriterien des §6 Abs1 Z5 MRG entsprechende Wertsicherungsklausel gestützt wird, kann also dieser Überlegung folgend auch im Verbandsprozess Bestand haben.

AUF DEN PUNKT GEBRACHT

Der OGH erfüllt mit dem rezenten Zurückweisungsbeschluss zu 2Ob 36/23t seine Leitfunktion und ruft die Bedeutung des §6 Abs2 Z4 KSchG, wonach eine Entgeltanpassung innerhalb der ersten zwei Monate ab Vertragsabschluss unzulässig ist, in Erinnerung. Dies wurde notwendig, weil in der beanstandeten Klausel ein 46Jahre alter Index aus dem vorigen Jahrhundert, ohne Schwellwert und ohne konkrete Definition einer Ausgangsbasis, vereinbart wurde. Im Individualprozess werden – nach Ansicht des Verfassers dieses Beitrags – alle Mietverträge, welche älter als zwei Monate sind und die innerhalb dieser zwei Monate keine Preisanpassung zur Folge hatten, nicht zu beanstanden sein, da das Gericht nicht berufen ist, abstrakte bzw rein theoretisch wissenschaftliche Rechtsfragen zu lösen, und die Warnfunktion der Ratio des §6 Abs2 Z4 KSchG ist erfüllt. Trotz gebotener Ex-ante-Betrachtung lässt sich das Rad der Zeit nicht zurückdrehen, ältere Mietverträge haben also diese Prüfung bereits „bestanden“. Im Vollanwendungsbereich des MRG bewirkt darüber hinaus die Formvorschrift des §16 Abs9 MRG, dass eine Preisanpassung innerhalb der ersten zwei Monate zumindest ausgeschlossen ist. Bereits bestehende Mietverträge, welche älter als zwei Monate sind, sollten demzufolge im Individualprozess nicht zu beanstanden sein. Jeder Vermieter ist aber gut beraten, bei seinen Mietvertragsklauseln zukünftig eine Präzisierung im Sinne des vom OGH nunmehr in Erinnerung gerufenen Kriteriums vorzunehmen.

125 3/2023 RECHT Auslegung einer Wertsicherungsklausel

Die Mietzinsbildung in der Wohnraummiete am Beispiel Deutschlands

Zwingend gesetzliche Eingriffe in die Privatautonomie Recht Mietzinsbildung in der Wohnraummiete

Dieser Beitrag behandelt den Wohnungsmietmarkt in Deutschland. Beginnend mit einer Analyse der Wohnraumverteilung von Eigentum und Miete wird ein Überblick der Rechtslage hinsichtlich der Mietzinsgestaltung gegeben. Dabei wird der Schwerpunkt auf zwingend gesetzliche Eingriffe (Mietpreisbremse und Berliner Mietendeckel) in die freie Mietzinsbildung gelegt. Am Ende folgt ein kurzes Resümee.

1.Überblick und Statistik

Europaweit sind Tendenzen wahrnehmbar, dass Wohnraum teurer wird. Das gilt für den Mietund Eigentumsbereich. Vor allem in Städten ist dieser Trend bemerkbar. In Deutschland leben etwa 58% der Bevölkerung zur Miete, die restlichen 42% im Eigentum.1 Daraus ist evident, dass in Deutschland das Mieten wichtig ist. In den letzten 15 Jahren haben die durchschnittlichen monatlichen Wohnkosten eines privaten Haushalts zugenommen. Im Jahr 2007 lagen die Ausgaben bei etwa 690€. Die Wohnkosten für das Jahr 2021 betragen mittlerweile etwa 960€. Anders gewendet sind in knapp 15 Jahren die monatlichen Wohnkosten um fast 300€ gestiegen.2 Das ist eine enorme finanzielle Belastung. Die Teuerung von Wohnraum brachte den deutschen Gesetzgeber dazu, in die freie Mietzinsgestaltung der Wohnraummiete einzugreifen, dies vor allem in Form der Mietpreisbremse und des Berliner Mietendeckels.

2.Mietzinsgestaltung in der Wohnraummiete

2.1.Privatautonomie

In Deutschland wird die Höhe des Mietzinses in der Wohnraummiete prinzipiell nach dem Grundsatz der Privatautonomie gebildet. Angebot und Nachfrage regeln die Mietzinshöhe. Parteien bestimmen ausschließlich die Miet-

1 Siehe dazu Statista, Verteilung der Haushalte in Deutschland nach Miete und Eigentum von 1998 bis 2018 (Stand 20.1.2022), abrufbar unter https://de.statista.com/statis tik/daten/studie/237719/umfrage/verteilung-der-haus halte-in-deutschland-nach-miete-und-eigentum/ (Zugriff am 6.3.2023). Anders ist die Situation, wenn die Eigentumsquote besonders hoch ist, so etwa in Kroatien, Rumänien oder Bulgarien (etwa 90% Eigentumsquote an Immobilien). Siehe dazu Dervić, Der Wohnungsmarkt in Kroatien und Österreich, immo aktuell 2022, 320 (321).

2 Siehe dazu Statista, Monatliche Ausgaben privater Haushalte in Deutschland für Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung von 2007 bis 2021 (Stand 2.1.2023), abrufbar unter https://de.statista.com/ statistik/daten/studie/380448/umfrage/monatlichewohnkosten-privater-haushalte-in-deutschland/ (Zugriff am 6.3.2023).

zinshöhe. Von diesem Grundgedanken hat sich der Gesetzgeber verabschiedet.3 Untenstehend wird auf gesetzgeberische Eingriffe in die Privatautonomie eingegangen. Auf zivilrechtliche Korrektive bei der Mietzinsbildung (zB gesetzliches Verbot, Wucher, sittenwidriges Rechtsgeschäft gemäß §§134, 138 BGB4), den strafrechtlichen Mietwucher gemäß §291 dStGB5 oder Bestimmungen des WiStG6 wird nicht eingegangen. Diese Normen haben hinsichtlich der Mietzinsbildung und einer möglichen Anfechtung eines zu hohen Mietzinses eine geringe praktische Bedeutung.7

2.2.Zwingend gesetzliche Eingriffe in die Privatautonomie

2.2.1.Mietpreisbremse

Die Mietpreisbremse ist am 1.6.2015 in Kraft getreten. Demnach darf gemäß §556d Abs1 BGB bei der Neuvermietung einer Mietwohnung der vereinbarte Mietzins höchstens 10% über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen.8 Liegt also der ortsübliche Mietzins bei 1.000€ und gilt in dem Gebiet die Mietpreisbremse, darf der Vermieter für die erneute Vermietung seiner Wohnung höchstens 1.100€ an Miete verlangen. Die Mietpreisbremse gilt in vielen Städten Deutschlands, also etwa in Berlin, Bremen, Hamburg etc.9 Die Verfassungskonformi-

3 Kritisch Abramenko, Mietpreisbremse – Ein Lehrstück für Gesetz- und Verordnungsgeber, ZRP2018, 34 (36).

4 Bürgerliches Gesetzbuch, dRGBl 1896, 195 idF dBGBlI 2022/42.

5 Strafgesetzbuch, dRGBl 1871/24 idF dBGBl I 2022/48.

6 Wirtschaftsstrafgesetz, dBGBl 1954/19 idF dBGBl I 2021/53.

7 Schüller in Hau/Poseck, BeckOK BGB64 (Stand 1.11.2022, beck-online.beck.de) §556d Rz1; Börstinghaus in Schmidt-Futterer, Mietrecht15 (Stand September 2021, beck-online.beck.de) §556d BGB Rz2.

8 Fleindl in Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online. Großkommentar BGB (Stand 1.1.2023, beck-online. beck.de) §556d Rz1; Artz in Säcker/Rixecker/Oetker/ Limperg, MüKoBGB V9 (Stand Oktober 2022, beck-on line.beck.de) §556d Rz1ff, 19ff.

9 Siehe dazu https://www.mieterbund.de/politik/miet preisbremse.html (Zugriff am 6.3.2023).

Mietzinsbildung in der Wohnraummiete RECHT 3/2023 126
Dr. Erwin Dervić, LL.M. forscht und lehrt als Universitätsassistent an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz.

tät der Mietpreisbremse wurde vom BVerfG bestätigt.10

Voraussetzung für die Erlassung der Mietpreisbremse ist das Vorliegen eines angespannten Wohnungsmarkts. Dieser liegt zB vor, wenn „die Wohnbevölkerung wächst, ohne dass durch Neubautätigkeit insoweit erforderlicher Wohnraum geschaffen wird“, die Leerstandsquote gering ist oder „die Mieten deutlich stärker steigen als im bundesweiten Durchschnitt“. Die Mietpreisbremse wird durch begründete Verordnungen der Landesgesetzgeber erlassen. Bis spätestens 31.12.2025 müssen diese Verordnungen gemäß §556d Abs2 Satz4 BGB außer Kraft treten.11

Sollten die Parteien trotz Mietpreisbremse eine höhere Miete vereinbaren, ist der Vertrag gemäß §556g Abs1 BGB im Umfang der Überschreitung unwirksam. Der Mieter schuldet diesfalls die ortsübliche Vergleichsmiete zuzüglich 10%. Er kann die zu viel bezahlte Miete rügen und vom Vermieter zurückfordern.12

Anzumerken ist, dass die Mietpreisbremse nicht ausnahmslos gilt. Der Gesetzgeber hat gemäß §556f Satz1 und2 BGB zwei Ausnahmen für die Mietpreisbremse erlassen. Erstens gilt sie dauerhaft nicht für Neubauten. Das sind Wohnungen, die nach dem 1.10.2014 „erstmals genutzt und vermietet“ werden. Damit wollte der Gesetzgeber vermeiden, dass durch das Inkrafttreten der Mietpreisbremse Neubautätigkeiten ausbleiben. Zweitens gilt die Mietpreisbremse nicht für Wohnungen, die umfassend modernisiert wurden. Eine Modernisierung ist umfassend, wenn sie ein Ausmaß erreicht, das einer Gleichstellung mit einem Neubau ähnelt. Der Unterschied zum Neubau ist, dass bei einer modernisierten Wohnung die Mietpreisbremse nur bei der ersten Neuvermietung nicht gilt. Bei weiteren Vermietungen würde die Mietpreisbremse gelten. In beiden Ausnahmefällen dürfen die Parteien privatautonom über die Mietzinshöhe entscheiden.13 Eine weitere Ausnahme der Mietpreisbremse stellt §556e BGB dar. Demnach darf gemäß §556e Abs1 BGB bei der Neuvermietung eine Miete bis zur Höhe der Vormiete vereinbart werden, wenn der Vormieter eine höhere als die nach der Mietpreisbremse zulässige Miete bezahlt hat.14

10 Schüller in Hau/Poseck, BeckOK BGB64, §556d Rz5; oV, BVerfG: Bundes- und Berliner Landesregelung zur „Mietpreisbremse“ sind verfassungsgemäß, NZM2019, 676 (677f).

11 Fleindl in Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, BGB, §556d Rz51; Artz in Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg , MüKoBGB V9, §556d Rz24ff; Schüller in Hau/Poseck, BeckOK BGB64, §556d Rz4.

12 Artz in Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, MüKoBGB V9, §556d Rz27; Börstinghaus in Schmidt-Futterer, Mietrecht15, §556d BGB Rz87f.

13 Artz in Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, MüKoBGB V9, §556f Rz2ff; Börstinghaus in Schmidt-Futterer, Mietrecht15, §556f BGB Rz1ff.

14 Fleindl in Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, BGB, §556e Rz1ff; Schüller in Hau/Poseck, BeckOK BGB64, §556e Rz4f.

2.2.2.Berliner Mietendeckel

Der Berliner Mietendeckel ist am 23.2.2020 in Kraft getreten. Dabei handelte es sich um einen im Vergleich zur Mietpreisbremse weitreichenderen Eingriff in die Privatautonomie. Hierbei hat der Landesgesetzgeber in Berlin den Mietzins auf eine gesetzlich festgelegte Höhe mit einem bestimmten Stichtag „eingefroren“ (Mietenstopp).15 Wurde ein neuer Mietvertrag abgeschlossen, durfte nur mehr ein bestimmter Mietzins pro Quadratmeter vom Vermieter verlangt werden. Je nach Alter der Wohnung und dem Vorhandensein einer Heizung sowie eines Bades gab es unterschiedliche Mietzinsobergrenzen.16 Die niedrigste Preisgrenze lag bei 3,92€ pro Quadratmeter der Nutzfläche für Wohnungen, die vor 1918 erstmals bezugsfertig waren und weder über Heizung noch Bad verfügten. Die höchste Preisgrenze lag bei 9,80€ pro Quadratmeter der Nutzfläche für Wohnungen, die zwischen 2003 und 2013 erstmals bezugsfertig waren und über Heizung sowie Bad verfügten. Die Schlechterstellung von Altbau ist dabei offensichtlich. Zudem sollte auch auf bereits bestehende, nach Inkrafttreten des Mietendeckels als überhöht zu qualifizierende Mietverträge eingegriffen werden (Bestandmieten). Überhöht waren Bestandmieten, falls die genannten Mietpreisgrenzen um mehr als 20% überschritten wurden. Der Berliner Mietendeckel galt für etwa 1,5 Millionen Wohnungen aus den Baujahren vor 2014 (Wohnraum, der ab dem 1.1.2014 erstmals bezugsfertig war, war davon ausgenommen).17

Über die Verfassungskonformität des Berliner Mietendeckels urteilte das BVerfG. Das BVerfG hat den Berliner Mietendeckel für mit dem GG18 unvereinbar und daher nichtig erklärt.19 Das wurde damit begründet, dass der Berliner Landesgesetzgeber keine Gesetzgebungskompetenz hat, in die privatautonome Mietzinsgestaltung für freifinanzierte Wohnungen einzugreifen. Es handelt sich um eine konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit. Länder dürfen in dem Bereich Gesetze erlassen, wenn der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz keinen Gebrauch macht. Das hat der Bundesgesetzgeber allerdings in den §§556 bis 561 BGB (Mietzinsrecht) abschließend getan. Daher steht den Ländern hinsichtlich der Miet-

15 Schüller in Hau/Poseck, BeckOK BGB64, §556d Rz8; Theesfeld-Betten in Schach/Schultz/Schüller , BeckOK Mietrecht 31 (Stand 1.3.2023, beck-online.beck.de) §556d BGB Rz69ff.

16 Siehe dazu https://www.bergen-realestate.com/mieten deckel-berlin-tabelle/ (Stand 23.2.2020; Zugriff am 6.3.2023).

17 Theesfeld-Betten in Schach/Schultz/Schüller, BeckOK Mietrecht31, §556d BGB Rz70ff.

18 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, dBGBl 1949, 1 idF dBGBl I 2022/54.

19 BVerfG 25.3.2021, 2BvF 1/20, 2BvL 4/20, 2BvL 5/20.

127 3/2023 RECHT Mietzinsbildung in der Wohnraummiete

zinsbildung im freifinanzierten Wohnbereich keine Gesetzgebungskompetenz zu.20

3.Wertung zwingend gesetzlicher Eingriffe in die Privatautonomie

3.1.Eingriff in die Privatautonomie

Der Gesetzgeber in Deutschland hat bei der Gestaltung der Mietzinshöhe in die Privatautonomie eingegriffen. Derartige Eingriffe in der Wohnraummiete sind rechtsvergleichend wahrnehmbar. Gesetzgeber greifen in die freie Mietzinsgestaltung ein, wenn der Markt nicht mehr in ausreichendem Maß funktioniert bzw kein ausreichendes Angebot gewährleisten kann. Anders gewendet bedeutet das, dass der Gesetzgeber in die freie Mietzinsgestaltung eingreift, wenn es zu wenig Angebot an leistbaren Wohnungen gibt. Derzeit ist vor allem in Städten die Nachfrage an Wohnungen hoch. Demgegenüber ist das Angebot an Wohnraum gering. Das spielt Vermietern in die Karten. In der freien Mietzinsgestaltung bestimmt der Vermieter die Höhe des Mietzinses. Diesfalls wird bei mehreren Interessenten typischerweise ein Wettbieten hinsichtlich der Höhe des Mietzinses entstehen. Das führt dazu, dass leistbarer Wohnraum teurer wird. Gesetzgeber müssen daher in die Privatautonomie eingreifen. Sie versuchen mit unterschiedlichen Konzepten, den Wohnungsmarkt und insbesondere die Steigerung der Mietzinshöhe durch zwingende gesetzliche Eingriffe abzufedern. Damit soll ein Interessenausgleich zwischen Mieter und Vermieter erreicht werden.21 Jeder Mensch muss seinen finanziellen und sozialen Möglichkeiten entsprechend wohnen. Für dieses Gut gibt es keinen Ersatz. Wohnraum ist nicht mit anderen Gütern vergleichbar.22

3.2.Verkomplizierung der Rechtslage

Unbestritten wird durch zwingend gesetzliche Eingriffe in die Mietzinsgestaltung die Anwendung kompliziert.23 Am einfachsten wäre, den Parteien die Entscheidung zu überlassen, was ihnen eine bestimmte Wohnung in einer bestimmten Lage wert ist. Typischerweise haben Vermieter (Mietzins) und Mieter (die abschätzen können, was ihnen gefällt und wie viel sie bereit sind, für die Wohnung zu bezahlen) ein Preisgefühl für die Wohnung. Mieter werden in der Regel mehrere Wohnungen besichtigen und

20 Schüller in Hau/Poseck, BeckOK BGB64, §556d Rz12; Theesfeld-Betten in Schach/Schultz/Schüller , BeckOK Mietrecht31, §556d BGB Rz88.

21 Molinari, Die Tradition staatlicher Interventionen in den Mietwohnungsmarkt (2021) 126.

22 Ostermayer, Anforderungen an das Mietrecht aus Sicht der Mieter, in Stabentheiner , Mietrecht in Europa (1996) 60f.

23 So etwa am Beispiel der Mietpreisbremse: Börstinghaus, Die Begrenzung der Wiedervermietungsmiete für Wohnraum, NJW2015, 1553 (1559).

diese miteinander vergleichen. Jede dieser Wohnungen wird Vor- und Nachteile haben. Was allerdings dem Mieter das Vorhandensein zB einer Badewanne wert ist, weiß er am besten. Das kann der Gesetzgeber, wenn er zwingend gesetzliche Mietzinsobergrenzen festlegt, nicht, da subjektive Interessen des Mieters keine entsprechende Berücksichtigung finden. Wenn sich die Preisgestaltung durch ein marktbedingtes Ungleichgewicht (wenig Angebot bei hoher Nachfrage) zulasten der Mieter verschiebt, muss der Gesetzgeber handeln. Er greift dann in die Privatautonomie (so wie in Deutschland mit der Mietpreisbremse oder in Österreich durch das Richtwertsystem im Altbau) ein, um den Wohnraum leistbar zu machen bzw das zumindest zu versuchen. Unter der Prämisse eines „sozialen Mietrechts“ kann der Gesetzgeber nicht sehenden Auges Preissteigerungen am Wohnungsmarkt tatenlos begegnen.24 Zu wichtig ist das Gut Wohnraum, wobei jeder zweite Bürger Deutschlands (ähnlich ist die Lage in Österreich) zur Miete lebt.

3.3.Bonität gibt Ausschlag

Ein Schwachpunkt bei zwingend gesetzlichen Eingriffen in die freie Mietzinsbildung liegt vor, wenn sich mehrere Interessenten für dieselbe Wohnung interessieren und letztlich derjenige Interessent die Wohnung erhält, der die beste Bonität aufweist. Besteht an einer preisregulierten Wohnung beispielsweise von drei potenziellen Mietern Interesse (Lehrling, Hochschullehrer, Facharzt), wird sich typischerweise der Vermieter für den Mieter entscheiden, der die beste Bonität aufweist (Facharzt). Der Vermieter nimmt dadurch keinen höheren Mietzins ein. Das Risiko eines möglichen Zahlungsausfalls ist bei besserer Bonität geringer. Das Problem ist offensichtlich. Obwohl sich alle drei Parteien die Wohnung womöglich leisten können, bekommt letztendlich der Mietinteressent den Wohnungszuschlag, der sich vermutlich auch am freien Markt die Wohnung hätte leisten können. Denkt man sich das Beispiel zu Ende, kann vorkommen, dass sich die beiden anderen Wohnungsinteressenten (Hochschullehrer und Lehrling) sogar eine Wohnung am freien Wohnungsmarkt suchen und dafür einen höheren Mietzins bezahlen müssen. Dieser rechtsvergleichend wahrnehmbare Schwachpunkt zwingend gesetzlicher Eingriffe in die Privatautonomie lässt sich nicht vermeiden.

3.4.Zwischenergebnis

Zwingend gesetzliche Eingriffe in die Privatautonomie sind in der Wohnraummiete rechtsvergleichend wahrnehmbar. Eine Abkehr da-

Mietzinsbildung in der Wohnraummiete RECHT 3/2023 128
24 Häublein/Lehmann-Richter, Mieterschutz in der Bundesrepublik Deutschland, in Oberhammer/Kletečka/ Wall, Soziales Mietrecht in Europa (2011) 33.

von ist möglich, wenn es genügend Angebot an Wohnraum gibt. Parteien sollen dann im Rahmen der Privatautonomie die Mietzinshöhe bestimmen. Das wäre der einfachste Weg. Dies wird möglich sein, wenn sich Mieter und Vermieter „auf Augenhöhe begegnen.“ Mit anderen Worten sollten Angebot und Nachfrage am Wohnungsmarkt weitgehend ausgeglichen sein. Das ist in erster Linie durch verstärkte Neubautätigkeit erreichbar. Gibt es genügend Angebot, wird die Nachfrage befriedigt und infolgedessen der Mietzins erschwinglicher. Solange Wohnraum nicht in ausreichendem Ausmaß vorhanden und daher teuer ist, sollen gesetzgeberische Eingriffe in die Mietzinsgestaltung (bzw müssen diese mangels Alternativen) beibehalten werden.

4.Resümee

1.Der deutsche Gesetzgeber verfolgte hinsichtlich der Mietzinsgestaltung in der Wohnraummiete einen liberalen Zugang. Parteien wurde im Rahmen der Privatautonomie überlassen, die Mietzinshöhe zu bestimmen. Wohnen wurde zunehmend teurer. Der Gesetzgeber hat daher die Mietpreisbremse und den Berliner Mietendeckel erlassen.

2.Die Mietpreisbremse ist seit 1.6.2015 in Kraft. Demnach darf der Vermieter bei der Neuvermietung höchstens 10% mehr als die ortsübliche Vergleichsmiete verlangen. Die Mietpreisbremse gilt für angespannte Wohnungsmärkte, wenn zB in einem Gebiet die Leerstandsquote bei großer Nachfrage gering ist. Die Mietpreisbremse gilt nicht ausnahmslos, zB ist diese für Neubauten dauerhaft nicht anwendbar.

3.Der Berliner Mietendeckel wurde am 23.2.2020 erlassen. Dabei hat der Gesetzgeber Mietzinsbeträge vorgegeben, die pro Quadratmeter der Nutzfläche verlangt werden dürfen. Das BVerfG urteilte über die Verfassungskonformität und stellte fest, dass das Land Berlin für die Erlassung des Berliner Mietendeckels nicht zuständig ist (Bun-

deskompetenz). Der Berliner Mietendeckel wurde infolgedessen aufgehoben.

4.Gesetzgeber greifen in die privatautonome Mietzinsgestaltung ein, wenn Wohnraum teuer ist. Solange der Markt funktioniert, es also genügend Angebot an Wohnungen gibt, sollten Gesetzgeber nicht in die Preisgestaltung eingreifen. Ist das allerdings nicht der Fall, gibt es also zu wenig Wohnungen bei hoher Nachfrage (das ist derzeit vor allem in Städten wahrnehmbar), verschiebt sich das Machtgefüge zulasten der Wohnungssuchenden. Durch zwingend gesetzliche Eingriffe in die Privatautonomie versucht der Gesetzgeber, dieses Ungleichgewicht auszugleichen. Dazu werden unterschiedliche Formen des gesetzgeberischen Eingriffs gewählt. Diese führen typischerweise zur Verkomplizierung der Rechtslage.25 Es kann vorkommen, dass trotz gedeckelter Mieten bei mehreren Interessenten derjenige Interessent die Wohnung erhält, der die beste Bonität aufweist. Das ist ein Schwachpunkt zwingend gesetzlicher Eingriffe.

AUF DEN PUNKT GEBRACHT

Die Rechtslage in Deutschland hinsichtlich der Mietzinsbildung in der Wohnraummiete ist zweigeteilt. Es gilt einerseits der freie Mietzins – Parteien bestimmen die Höhe des Mietzinses –, andererseits sind zwingend gesetzliche Eingriffe in der freien Mietzinsbildung vorhanden, zB durch die Mietpreisbremse. Diesfalls können die Parteien nicht im Wege der Vertragsfreiheit über die Mietzinshöhe bestimmen. Greift der Gesetzgeber in die freie Mietzinsgestaltung ein, führt das zur Verkomplizierung der Rechtslage. Solange das Angebot an Wohnraum gering und daher teuer ist, muss der Gesetzgeber durch zwingend gesetzliche Eingriffe handeln.

129 3/2023 RECHT Mietzinsbildung in der Wohnraummiete
25 Für das MRG etwa Stabentheiner, Das ABGB und das Sondermietrecht – die Entwicklung der vergangenen 100 Jahre, wobl2012, 91 (102).

Gibt es für die Immobilienbewertung einen in Zahlen ausdrückbaren „relevanten Markt“?

Der Sachverständige muss genau definieren, welche Art von Immobilienmarkt im Bewertungsfall vorliegt – ein monopol- oder oligopolartiger Immobilienmarkt oder ein polypoler –, und der Sachverständige hat zu erheben, ob dieser Markt vollkommen frei ist oder Markthemmnisse vorliegen.

Eine starre Grenze an Marktteilnehmern, weder nach unten noch nach oben, kann es schon aus dieser Systematik heraus nicht geben. Diese Grenzziehung ist Aufgabe des Sachverständigen. Selbst zwei Marktteilnehmer, je einer auf der Abgeber- und einer auf der Abnehmerseite, können genügen. In manchen Fällen werden diese Marktteilnehmer wohl auch simuliert werden müssen. Zwei oder sogar fiktive, simulierte Marktteilnehmer werden in einem polypolen Immobilienmarkt nicht genügen, bei einem monopolartigen aber durchaus ein Richtwert sein können. In einem Immobilienmarkt, der ein Oligopol1 ist, werden wiederum wenige Marktteilnehmer genügen, um einen Verkehrswert zu bestimmen. Gegebenenfalls müssen freilich die Werterwartungen einer oder beider Marktteilnehmerseiten erhoben und gutachterlich ausgedrückt werden. Bei einem polypolen Immobilienmarkt wird keine weitere „Auseinandersetzung“ mit dem Thema „Welcher Markt ist vorliegend?“ notwendig sein, weil es in der Regel ein vollkommener, freier und sich ausgleichender Immobilienmarkt sein wird.

Gibt es aber Markthemmnisse, Zugangsbeschränkungen oder Veräußerungsbeschränkungen, wird sich der Sachverständige auch damit zu befassen haben. Bereits die Restriktionen zugunsten landwirtschaftlicher Betriebe zeigen, dass eine starre Anzahl von Marktteilnehmern nicht den relevanten Markt bestimmen darf.

1.Was macht das Thema so relevant?

Jedes Bewertungsgutachten muss möglichste Transparenz und Nachvollziehbarkeit gewährleisten. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang nicht nur die Expertise des Sachverständigen, sondern vor allem die Plausibilität seines Gutachtens. Aufgrund seiner besonderen Sachund Fachkunde ist ein Sachverständiger in der Lage, Grundstücke und Gebäude zu beurteilen, einzuschätzen und marktgerecht zu bewerten. Die Unübersichtlichkeit der Immobilienmärkte basiert auch auf einer geringen Informationsdichte und hohen Streuung der Angebote. Hinzu kommen Schwankungen, die je nach Region, Stadtteil oder Bezirk den Wert von Immobilien beeinflussen.2

Aufgabe des Sachverständigen ist es, die Denkweise und die Kalkulation, insbesondere die Renditeerwartungen der Marktteilnehmer, widerzuspiegeln.3 „Ganz ausdrücklich muss gesagt werden, dass sich der Immobilienmarkt nicht an der Bewertung, sondern umgekehrt die

1 ZB „Ankermieter“ oder im Bereich von Donaustadt ein glorreiches Bauunternehmen, auch große Kaufhausketten, die „ihren“ Mietern weitere Standorte „ans Herz“ legen.

2 Gellner, Warum sollte man einen Immobiliensachverständigen beauftragen? https://immo-makler-blog.de/ warum-sollte-man-einen-immobiliensachverstaendi gen-beauftragen/ (Zugriff am 4.12.2022).

3 Witz, Verkehrswertermittlung von Zinshäusern (2006) 5.

Bewertung am Marktverhalten der Teilnehmer zu orientieren hat.“4

Damit drängen sich vielschichtige Fragen auf:

• Was ist überhaupt ein „Markt“?

• Was ist ein „relevanter Immobilienmarkt“?

• Wer sind die Marktteilnehmer?

• Was sind die Marktusancen sowie die Handlungen der Markteilnehmer?

2.Ziel dieses Artikels

Ziel des Artikels ist, eine kontroversielle Diskussion anzuleiten, eben mit dem Gedanken: Wie muss ein relevanter Markt beschaffen sein, wie viele Marktteilnehmer muss er tatsächlich haben, und ist die Simulation von Marktteilnehmern, vor allem die Simulation ihrer Kalkulationen und Denkweisen, notwendig?5

3.Kleiner Exkurs ins Reich der Ökonomie

Bereits die Überschrift drängt die Fragen auf: Was ist ein „relevanter Markt“? Wer sind die Marktteilnehmer? Aber auch ganz generell: Was ist überhaupt ein „Markt“?

4 Bammer, Discounted Cash Flow – ist der Ertragswert passé? ÖIZ 2004, 425.

5 Fragen der Liebhaberei bleiben (vorerst) in dieser ersten Abhandlung zur Frage des relevanten Marktes außer Betracht. Selbstverständlich muss der Sachverständige diese Frage berücksichtigen. Natürlich wird infolge einer (kontroversiellen) Diskussion das Thema der Liebhaberei in diese einzufließen haben und erörtert werden.

Der „relevante Markt“ in der Immobilienbewertung RECHT 3/2023 130
Dr. Markus Singer ist Gerichtssachverständiger für Immobilien und Rechtsanwalt bei SKPR Rechtsanwälte.

3.1.Markt

Der Markt definiert sich als jenes Gebiet, in dem Angebot und Nachfrage für eine Immobilie zusammentreffen. Ein solcher Immobilienmarktplatz orientiert sich an Nachfrage und Angebot, hohe Nachfrage und geringes Angebot führen zu einem hohen Preis. Niedrige Nachfrage und großes Angebot treiben den Preis nach unten.

3.2.Marktteilnehmer

Der Immobilienmarkt beschreibt nun jenes Rayons, in dem eben Abnehmer (Käufer) und Abgeber (Verkäufer) für eine Immobilie zusammentreffen; diese sind die Marktteilnehmer, die den Immobilienmarkt bestimmen. Die Marktteilnehmer sind Wirtschaftssubjekt der Mikroökonomie.

Die Aufgabe des Sachverständigen ist es, den Markt und die Marktteilnehmer zu definieren, deren Verhalten sowie Kalkulationen einzuschätzen und mit seinen Erfahrungen einen möglichst transparenten Markt darzustellen. Bei einem transparenten, optimalen Markt stehen Angebot und Nachfrage in einem vertretbaren Verhältnis zueinander und begründen somit den Gleichgewichtspreis für Immobilien.

3.3.Bestimmung und Abgrenzungen des relevanten Marktes

Der vollkommene Markt ist als freier Markt zu verstehen. Der freie Markt überlässt es den Marktteilnehmern, den Preis und die verschiedensten Parameter einer Immobilientransaktion zu bestimmen und frei aushandeln zu können.

Natürlich ist es Aufgabe des Sachverständigen, diesen freien Markt per se zu prüfen oder zu prüfen, ob überhaupt ein freier Markt gegeben ist. Beispielsweise können Restriktionen beim Grundverkehr sehr wohl gegen einen freien Markt sprechen. Bei organisierten Märkten bestimmt eben der Staat über die Gesetze und Vorschriften, die Regeln des Marktes. Die Marktteilnehmer müssen diese umsetzen. Hierbei ist zu beachten, ob der Immobilienmarkt offen, beschränkt oder geschlossen ist. Ist der Immobilienmarkt frei für alle zugänglich? Dürfen beispielsweise nur „Einheimische“ eine bestimmte Immobilie kaufen, und ist damit der freie Markt beschränkt, oder ist der Markt überhaupt für bestimmte Marktteilnehmer geschlossen?

Vom Sachverständigen muss der Markt bestimmt werden. Es muss eine Marktabgrenzung erfolgen. Natürlich ist dieser Artikel keine umfassende oder gar abschließende Checkliste, die taxativ alle Abgrenzungskriterien aufzählen würde. Jeder Sachverständige ist gefordert, diese Marktabgrenzung selber nachvollziehbar vorzunehmen.

Wie definiert sich nun der „relevante Markt“? Dieser definiert sich als eine Tauschgruppe von Abgebern und Abnehmern, deren Angebots- bzw Nachfrageverhalten von NichtGruppenmitgliedern nicht spürbar beeinflusst

wird. Der relevante Markt lässt sich nach persönlichen Faktoren (zB Wertsteigerungserwartung), sachlich (nach Immobilien und dazugehörigen Dienstleistungen), räumlich (nach dem Ort und der Lage, vor allem dem Einzugsgebiet der Bedarfsdeckung) sowie zeitlich abgrenzen.6

3.4.Immobilienmarkt in Abgrenzung zu anderen Märkten

Der Immobilienmarkt ist als eigener Markt zu sehen; er unterscheidet sich deutlich von anderen, zB vom Geldmarkt oder vom Arbeitsmarkt. Der Immobilienmarkt bezieht sich auf den Verkauf und den Ankauf von Grundstücken und Gebäuden sowie die Vermietung oder Anmietung etwa von Geschäftsräumen, gleichermaßen auf die Verpachtung oder Inpachtnahme eines in einer Immobilie betriebenen Unternehmens. Gerade bei Mietverhältnissen, insbesondere nach §12a MRG, kommen natürlich auch andere Märkte ins Spiel, zB ein Mieter, der als Unternehmer einen Nahversorgungsmarkt betreibt.7

Vielfach wird es einem Sachverständigen zudem nicht möglich sein, exakte Abgrenzungen und ein letztgültiges Zahlenwerk zu erstellen. Der OGH selbst räumt jedoch ein, dass die Beantwortung nach der im Rahmen eines Fremdvergleichs üblichen Höhe einer zahlenmäßig zu bestimmenden Gegenleistung vielfach nur durch Angabe einer Bandbreite erfolgen kann.8 Auch in anderen Erkenntnissen setzt der OGH voraus, dass ein Sachverständigengutachten einen Mittelwert und eine Bandbreite „liefern“ kann und demgemäß innerhalb dieser Bandbreite ein Spielraum besteht.9

Das System der Bandbreite ist im Immobilienrecht aus Sicht des gefertigten Sachverständigen systemimmanent. Etwa hinsichtlich des Kapitalisierungszinssatzes liegt eine Bandbreite im Sinne der bewertungsrechtlichen Literatur etwa bei Mietwohngrundstücken zwischen 2% bis 5,5% (je nach Lage usw), wobei in Toplagen der Kapitalisierungszinssatz sogar unter 1% unterschritten werden kann.10

3.5.Ökonomische Einteilung der Immobilienmarkt-Arten

Grundsätzlich zu unterscheiden sind die standardmäßigen Marktformen:

• das Monopol,

• das Polypol oder eben

• das Oligopol.

6 Gabler Wirtschaftslexikon (2018): „relevanter Markt“, https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/relevantermarkt-45740/version-269029 (Zugriff am 29.11.2022).

7 Diese Fragen einer Branchenangemessenheit nach §12a MRG bleiben im Rahmen des Artikels aber ausgeblendet.

8 OGH 13.9.2012, 6Ob110/12p – mit Verweis auf Flume, Marktkonformität? Überlegungen zur Durchführung des kapitalerhaltungsrechtlichen Fremdvergleichs, GES2012, 71 (72).

9 OGH 27.4.1999, 5 Ob 81/99v.

10 Ross/Brachmann, Ermittlung des Verkehrswertes von Grundstücken und des Wertes baulicher Anlagen 29 (2005) 442.

131 3/2023 RECHT Der „relevante Markt“ in der Immobilienbewertung

Die Grenzen sind natürlich schwimmend. Das Polypol beschreibt atomisierte Marktstrukturen, ein Einschlag hat nicht die absolute Marktmacht. In einem solchen bilateralen Polypol verfügt also kein Marktteilnehmer über eine beherrschende Stellung. Natürlich kann es zu unvollkommenen Polypolen kommen. Bei diesen fehlt etwa der uneingeschränkt freie Zugang zum Markt oder wird dieser nur bedingt für jeden Marktteilnehmer eröffnet. Oftmals fehlt auch die nötige Transparenz, gerade im Immobilienbereich. Denn diesfalls müssten alle Marktteilnehmer auf der gleichen Informationsbasis ihre Transaktionsentscheidungen treffen können. Dies wäre etwa der Fall bei Bieterverfahren oder Zwangsversteigerungsverfahren nach der Exekutionsordnung.

4.Anzahl der Marktteilnehmer

Die Anzahl der Marktteilnehmer, sowohl auf der Abgeber- als auch auf der Abnehmerseite, bestimmt natürlich auch die Marktform. Gibt es nur einen Abgeber, liegt ein Abgeber-Monopol vor. Gibt es viele kleine Abgeber und viele Abnehmer, liegt ein Immobilienpolypol vor. Dazwischen kann natürlich ein Immobilienmarkt als Oligopol gegeben sein, wenn wenige Personen auf der einen oder anderen Seite als Marktteilnehmer agieren.

Es ist nun genau die Aufgabe des Sachverständigen, bei der Bewertung diese möglichen Marktteilnehmer in ihrer Quantität zu bestimmen. Natürlich gehört dazu, dass das Marktund Transaktionsvolumen eingeschätzt wird. Diese Einschätzung wiederum setzt voraus, ob die Lage einer Immobilie regional, überregional, vielleicht sogar international oder als weltmarktfähig einzustufen ist.

Schon aus diesen Parametern lässt sich mE ableiten, dass es keine fixe, feste Anzahl an Marktteilnehmern für die Beantwortung der Frage, was der relevante Markt wäre, geben kann. Wenn es bewertungsfallbezogen nach oben keine Grenzen gibt, mag dies nicht schädlich sein.

Aber was, wenn es keine Marktteilnehmer gibt?

4.1.Genügt ein Vergleichswert oder gar ein vielleicht dazu noch „fiktiver“ Marktteilnehmer?

Selbst in dem Fall, bei dem abgeberseitig nur eine einzige Vergleichstransaktion gefunden werden kann, geht der OGH davon aus, dass es eben ein Vergleichswert ist und dass dieser genügt. Ein einziges Vergleichsobjekt genügt nämlich bei der Feststellung des ortsüblichen, angemessenen Mietzinses und darf als Vergleichswert herangezogen werden; vor allem der OGH, der nicht Tatsacheninstanz ist11, sieht sich daran gebun-

den.12 Oftmals kommt es in der Bewertungspraxis zudem vor, dass keine Vergleichswerte, selbst nicht durch eine Marktanpassung, vorzufinden sind. Solcherart ist der Sachverständige gefordert, zB zu prüfen, ob der Wert nach der Verkehrsauffassung im Ertrag oder einem sonstigen Nutzen liegen könnte,13 oder er hat die Denkweise und die Kalkulation der Markteilnehmer zu hinterfragen (Abschreibungsmöglichkeiten, Inflationsabgeltung, Wertsteigerungs- oder Renditeerwartungen etc).14

Damit stehen sich aber zumindest zwei (wenn auch fiktive) Marktteilnehmer gegenüber: Abgeber und Abnehmer, die im Falle einer vergleichbaren Transaktion einen Willen formuliert, einen Konsens gefunden und eine Immobilientransaktion durchgeführt haben.

Findet sich jedoch kein Vergleichswert bzw keine Vergleichszahl, fehlt es zumindest an einem, in der Regel an zwei Marktteilnehmern. Es darf dabei mE nicht übersehen werden, dass fehlende Angebote zu einer Frustration des Abnehmermarktes führen und derartige Bewertungsobjekte gar nicht mehr nachgefragt werden könnten.

Diesfalls muss der Sachverständige die „Denkweise und die Kalkulation“ von fiktiven Marktteilnehmern selbst bilden, zB die Renditeerwartung eines Abgebers bezogen auf seine Anschaffungskosten oder eines Abnehmers, der vermieten möchte; vor allem die Wertsteigerungserwartungen können hier für die Vergangenheit (bezogen auf die abgeberseitigen Anschaffungskosten) und Zukunft (bezogen auf den Abnehmer) ausschlaggebend sein. Im Zinssatz etwa werden regelmäßig die Wertsteigerungserwartungen der Marktteilnehmer enthalten sein. Je niedriger der Zinssatz ist, zu dem die Marktteilnehmer kaufen, desto höhere Wertsteigerungen erwarten sie sich und umgekehrt.15 Ferner ist natürlich auch zu berücksichtigen, welche Erwartungen ein Bauträger an einen Unternehmerlohn hat. Freilich ist die „Gegenprobe“ zur Plausibilisierung wichtig, also, ob der fiktive Abgeber wirklich jemanden als fiktiven Abnehmer finden kann; die Werte müssen also zumindest die Denkweisen sowie Kalkulationen zweier Markteilnehmer widerspiegeln.

4.2.Das „Immobilien-Paradoxon“

Grundsätzlich muss sich der Sachverständige mit den ihm zur Hand gegebenen „Werkzeu-

12 OGH 10.3.1998, 5 Ob 68/98f: „Trifft das Rekursgericht auf Grund eines von ihm eingeholten – und überdies im Rekursverfahren unbekämpft gebliebenen – Sachverständigengutachtens die Feststellung, der ortsübliche Hauptmietzins werde auch für vergleichbare Objekte von Branchenkollegen bezahlt und könne erwirtschaftet werden, so ist der Oberste Gerichtshof, der selbst nicht Tatsacheninstanz ist, an diese Feststellung auch dann gebunden, wenn der Sachverständige nur ein einziges Vergleichsobjekt (hier: Stoffhandel im 1.Bezirk in Wien) heranziehen konnte.“

13 RIS-Justiz RS0010090.

14 Witz, Verkehrswertermittlung von Zinshäusern, 40f.

15 Witz, Verkehrswertermittlung von Zinshäusern, 41.

Der „relevante Markt“ in der Immobilienbewertung RECHT 3/2023 132
11 OGH 20.4.2006, 5Ob 88/06m.

gen“ annähern, durch Zu- und Abschläge den Verkehrswert zu definieren. Dabei darf das Immobilienpreis-Paradoxon jedoch nicht unberücksichtigt bleiben. Analog zum Gaspreis-Paradoxon16 gibt es azyklische und atypische Preisentwicklungen bzw Preisfindungen.

Natürlich kann das Gaspreis-Paradoxon nicht analog auf die Immobilienpreisentwicklungen umgelegt werden. Jedoch sind diese von Faktoren beeinflusst, die nicht nur Angebot und Nachfrage des Immobilienmarktes zeigen. Immobilien sind inflationsfest, verlieren in der Regel in einer Inflationsepoche nicht an Wert und bieten vielmehr einen Inflationsschutz. Immobilien werden in der Regel keinem „Haircut“ unterliegen wie das Geld. Immobilien sind insgesamt durchaus krisenfest. Selbst bei leerstehenden Immobilien kann ein „Zugewinn“ bzw eine Wertsteigerung erreicht werden. Der Immobilienmarkt zeigt tendenziell über die Jahre hinweg immer steigende Preisentwicklungen.17 Ebenso ist der Immobilienbesitz nicht mit großartigem Know-how verbunden, auch nicht so betreuungsintensiv wie zB Wertpapierinvestments, die ständig verfolgt werden müssen und bei denen ständig die Wertpapier-Reports aufgearbeitet, analysiert und evaluiert werden müssen. Solange also Krisenzeiten bestehen oder auch nur die Angst vor Krisen gegeben ist, Inflation zu Wertverlusten in der Geldmenge führt, aber dennoch immer noch eine sehr hohe Geldmenge verfügbar ist, insbesondere auf den Sparkonten, wird das „Betongold“ zu Recht seinen Namen tragen.

All diese Faktoren muss natürlich auch der Sachverständige bei der Bewertung berücksichtigen. Vor allem beim Immobilienpreis-Paradoxon muss der Sachverständige über den Tellerrand des Immobilienmarktes hinaussehen und die für den Immobilienmarkt essenziellen gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen berücksichtigen.

Insoweit schadet auch nicht ein Monopol, weder ein Abgeber- noch ein Abnehmermonopol. Denn selbst Monopolisten auf beiden Seiten, also als Abgeber und Abnehmer, werden dereinst einen gemeinsamen Preis finden und damit auch diesen einen Preis definieren, den der OGH als einen Vergleichswert, der ausreichend ist, definiert.18

16 Der Gaspreis erreicht nach dem Winter in den Sommer hineingehend den höchsten Wert, weil nach dem Winter die Gasspeicher leer sind und gefüllt werden müssen. Trotz sinkender Nachfrage nach Gas bei den Konsumenten kommt es somit zu einem Anstieg der Gaspreise. Sind die Gasspeicher ausreichend gefüllt, zum Winter hin, wird der Gaspreis billiger. Vgl Dworak, GasParadoxon: Anspannung in der Industrie trotz voller Speicher, https://www.wko.at/branchen/industrie/gasparadoxon.html#:~:text=Ein%20Blick%20zur%C3%BC ck%3A%20Ende%20August,den%20europ%C3% A4ischen%20M%C3%A4rkten%20stark%20gesunken (Zugriff am 30.11.2022).

17 Fenz/Gnan/Schürz/Wörz, Property Market Review –Housing Markets in Austria and CESEE, 5ff, https:// www.oenb.at/Publikationen/Volkswirtschaft/immobi lien-aktuell.html (Zugriff am 30.11.2022).

18 RIS-Justiz RS0044032.

Und vergessen wir nicht, wie sich der Verkehrswert definiert:

„Der Verkehrswert ist der Preis, der bei einer Veräußerung der Sache üblicherweise im redlichen Geschäftsverkehr für sie erzielt werden kann. Die besondere Vorliebe und andere ideelle Wertzumessungen einzelner Personen haben bei der Ermittlung des Verkehrswertes außer Betracht zu bleiben.“19

AUF DEN PUNKT GEBRACHT

Der relevante Markt ist keine fixe, starre, in einer Ziffer bzw in einer absoluten Zahl ausdrückbare Größe. Der relevante Markt ist ein im Bewertungsfall vom jeweiligen Sachverständigen nach verschiedenen Parametern zu bestimmender Markt. Die relevante Größe ist an den verschiedenen Parametern vom Sachverständigen darzustellen. Diese Parameter sind:

• die Eigentumsquote;

• die Quote an Eigentum für vergleichbare Objekte;

• die Lage;

• die mögliche, präsumtive Anzahl von Marktteilnehmern (Lage des Bewertungsobjekts in einer lokalen Immobilien-Region; regionaler, überregionaler oder gar über den nationalen Immobilienmarkt hinausgehender internationaler Immobilienmarkt).

Jeder Markt bestimmt sich nach Angebot und Nachfrage. Je größer die Nachfrage, je geringer das Angebot, umso höher die Preise. Aber auch in einer lokalen Immobilien-Region kann eine Verknappung von Immobilienobjekten zu einer erhöhten Preis- und damit auch Bewertungsgestaltung führen. Der Sachverständige ist einfach gefordert, den nach Angebot und Nachfrage bestimmten, relevanten Markt mit den auf diesen relevanten Markt agierenden Marktteilnehmern (Verkäufer, Käufer) zu bestimmen.

Natürlich sind auch bei der Lage verschiedene Faktoren zu berücksichtigen: die Restriktionen des Grundverkehrs, bevorzugte Erwerbsmöglichkeiten für Einheimische, die Kaufkraft, oder ob es sich um eine nachgefragte Feriendestination handelt.

Jedoch bleibt am Ende zu sagen, dass bereits zwei Marktteilnehmer, als Abgeber und Abnehmer, selbst, wenn diese fiktiv vom Sachverständigen kreiert werden müssen, als relevante Anzahl an Marktteilnehmern genügen können.

19 Zur Ermittlung des Verkehrswertes: Die Frage der Vollständigkeit und Schlüssigkeit eines Sachverständigengutachtens fällt in den Bereich der vom OGH nicht überprüfbaren Beweiswürdigung. RIS-Justiz RS0113643, RS0043320, und aktuell vom 12.10.2022 RIS-Justiz RS0013831.

133 3/2023 RECHT Der „relevante Markt“ in der Immobilienbewertung

Rechtsprechung Immobilienrecht

§523 ABGB; §863 ABGB; §16 Abs2 WEG immo aktuell 2023/21

Konkludente Widmungsänderung

OGH 8. 11. 2022, 5 Ob 115/22f

Für die Widmung eines Wohnungseigentumsobjekts besteht kein Formerfordernis; sie kann daher grundsätzlich auch auf einer bloß konkludent zustande gekommenen Willenseinigung der Miteigentümer beruhen. Dies setzt allerdings ein konkludentes Angebot des änderungswilligen Wohnungseigentümers an die übrigen Mit- und Wohnungseigentümer voraus.

Sachverhalt: [1] Die Kläger sind seit dem Jahr 2002 zu je 79/6130 Anteilen Miteigentümer an der Liegenschaft EZ * KG *, an der Wohnungseigentum begründet ist. Mit den Anteilen der Kläger ist Wohnungseigentum am Objekt W * untrennbar verbunden. Der Beklagte erwarb über Vermittlung des Nebenintervenienten im Jahr 2018 an dieser Liegenschaft 38/3065 und 110/3065 Anteile, mit denen Wohnungseigentum an den jeweils im Erdgeschoss liegenden Objekten WI und W II untrennbar verbunden ist. Im Wohnungseigentumsvertrag aus dem Jahr 1972 ist zu den im Eigentum des Beklagten stehenden Objekten festgehalten: „G I 38,24 [m2] 1 Geschäftslokal, 1 WC, 1 Abstellraum, 1 Kellerabteil; G II 111,38 [m2] 1 Geschäftslokal, 2 Büros, 1 Vorraum, 2 WC, 1 Kellerabteil.“

[2] Im Wohnungseigentumsobjekt W I (= „G I“) wurde ursprünglich eine Putzerei betrieben. Im Geschäftslokal W II (= „G II“) befand sich schon seit etwa 1968 eine Konditorei. Im Jahr 1991 legte der damalige Eigentümer diese beiden Wohnungseigentumsobjekte zusammen (verband sie durch einen Durchbruch) und führte dort seit dem Jahr 1995 eine Konditorei/ Bäckerei, die von 9:00 Uhr morgens bis 20:00 Uhr abends geöffnet war. In der Backstube wurden täglich zwischen 5:00 Uhr und 9:00 Uhr morgens Backwaren und Mehlspeisen für die Konditorei, aber auch für ein (vom Eigentümer geführtes) Hotel zubereitet. In der Konditorei konnte man Kuchen und Kaffee zu sich nehmen. Es wurden auch kleinere Speisen wie Toast, Würstel und Gulasch serviert. Dass die beiden Wohnungseigentumsobjekte W I und W II miteinander verbunden waren, war für jedermann und damit auch für sämtliche Wohnungseigentümer ersichtlich. Im Jahr 2004 übernahm die Tochter des damaligen Eigentümers der beiden Objekte das Lokal und führte es als Kaffeehaus weiter. Zusätzlich zum bisherigen Angebot wurden auch Suppen verkauft. Im Jahr 2008 veräußerte sie beide Wohnungseigentumseinheiten, und der neue Eigentümer betrieb darin ein Cafe-Pub (Café K*), in dem ab 10:00 Uhr morgens Getränke ausgeschenkt wurden; Speisen wurden nicht angeboten.

Obwohl der Betrieb einer gastgewerblichen Betriebsanlage seit Oktober 2010 jeweils von Montag bis Sonntag von 7:00 Uhr morgens bis 22:00 Uhr abends bewilligt war, war das Pub nie länger als bis 19:00 Uhr geöffnet. Nach der Schließung des Pubs im Jahr 2015 fand bis 2017 in den beiden Wohnungseigentumsobjekten

kein Geschäftsbetrieb statt; die anstelle des Pubs geplante Bar wurde nie eröffnet.

[3] Nach dem Kauf der Objekte im Mai 2018 eröffnete der Beklagte mit seiner Lebensgefährtin in den Wohnungseigentumsobjekten eine Café-Konditorei (Café L*), in der auch Mittagsmenüs (Suppe und kleine Gerichte mit Fisch und Fleisch) angeboten wurden. Das im März 2019 eröffnete und abends bis 19:00 Uhr geöffnete Lokal stellte seinen Betrieb Ende August 2019 wieder ein. In der Folge verpachtete der Beklagte die beiden zusammengelegten Objekte W I und W II an eine dritte Person, die darin seit 1.9.2019 ein ThaiRestaurant mit warmer Küche führt. Das Lokal ist von 11:00 Uhr bis 22:00 Uhr geöffnet. Eine Zustimmung sämtlicher Mit- und Wohnungseigentümer zum Betrieb eines Restaurants (insb eines Thai-Restaurants) holte der Beklagte nicht ein.

[4] Die Kläger begehrten, den Beklagten zu verbieten, die beiden Wohnungseigentumsobjekte „als gastgewerbliches Lokal, insb zur Führung eines thailändischen Restaurants“, zu verwenden. Die Zusammenlegung der beiden Objekte sei den Klägern zuvor nicht bekannt gewesen; für das Restaurant liege keine Berechtigung der Baubehörde vor und auch keine gewerberechtliche Bewilligung. Das zuvor dort betriebene Café-Pub habe geschlossen werden müssen, weil Aufträge und Auflagen der Behörde nicht eingehalten worden seien. Eine von den Betreibern neu installierte Lüftungsanlage schränke die Geruchsbelästigung nicht ein; sie sei ohne Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer errichtet worden.

[5] Der Beklagte wendete zusammengefasst ein, schon im Wohnungseigentumsvertrag seien die beiden Geschäftslokale nicht spezifisch gewidmet; infolge der tatsächlichen Nutzung der Objekte in Form verschiedener gastgewerblicher Betriebe seit 1968, die den Wohnungseigentümern bekannt gewesen und von diesen nicht beeinsprucht worden sei, sei außerdem eine konkludente Zustimmung zu diesen Änderungen anzunehmen. Die Verwendung als Restaurant bedürfe daher keiner Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer. Mit Bescheid der Stadt Graz vom Oktober 2010 sei für die gastgewerbliche Betriebsanlage eine Genehmigung erteilt worden, die unverändert aufrecht sei; auch die Lüftungsanlage sei nach wie vor dieselbe.

[6] Das Erstgericht gab dem Begehren auf Unterlassung der Verwendung der Objekte „zum Betrieb eines Restaurants, insb eines thailändischen Restaurants“, statt und wies das darüber hinausgehende Begehren „zum Betrieb eines gastgewerblichen Lokals jeglicher Art“ ab.

[7] Durch den jahrzehntelangen Betrieb eines Cafés bzw einer Konditorei sei es zu einer konkludenten Widmungsänderung der beiden Wohnungseigentumsobjekte gekommen, weil sich keiner der Mit- und Wohnungseigentümer dieser Nutzung widersetzt habe; an diese Genehmigung seien auch die Kläger als Rechtsnachfolger gebunden. Der Betrieb eines Cafés bzw einer Konditorei unterscheide sich vom Betrieb eines Restaurants in wesentlichen Punkten; der Be-

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Rechtsprechung

klagte habe aber keine Zustimmung der anderen Wohnungseigentümer oder des Gerichts eingeholt.

[8] Das Berufungsgericht gab den dagegen vom Beklagten sowie vom – erst im Berufungsverfahren auf Seiten des Beklagten beigetretenen – Nebenintervenienten erhobenen Berufungen nicht Folge.

[9] Die Rechtsansicht des Erstgerichts, nach der es zu einer konkludenten Genehmigung einer Widmungsänderung (erkennbar gemeint: in Bezug auf die im Wohnungseigentumsvertrag genannte Widmung des „G II“ als „2 Büros“) gekommen sei, werde im Berufungsstadium nicht in Frage gestellt. Vom Streitrichter sei nur die Genehmigungsbedürftigkeit einer Widmungsänderung zu prüfen, nicht hingegen ihre Genehmigungsfähigkeit. Da die Änderungen im Betrieb zumindest eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen anderer Wohnungseigentümer mit sich bringen könnten, sei von einer genehmigungsbedürftigen Widmungsänderung auszugehen.

[10] In seiner außerordentlichen Revision beantragt der Beklagte die Abänderung der Entscheidung dahin, dass das gesamte Klagebegehren abgewiesen werde, hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

[11] Der Nebenintervenient begehrt in seiner außerordentlichen Revision ebenfalls die Klageabweisung und hilfsweise die Aufhebung der Entscheidung.

[12] Die Kläger beantragen in der ihnen freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revisionen zurückzuweisen, hilfsweise, ihnen nicht Folge zu geben.

[…] Der OGH gab den Revisionen des Beklagten und dessen Nebenintervenienten Folge und änderte die Urteile der Vorinstanzen dahin ab, dass er die Klagebegehren, der Beklagte sei schuldig, es in Hinkunft zu unterlassen, die beiden Wohnungseigentumsobjekte zum Betrieb eines Restaurants, insb eines thailändischen Restaurants, zu verwenden, abwies.

Rechtliche Beurteilung: […] [14] 1.1 Gegen einen Wohnungseigentümer, der ohne Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer Änderungen einschließlich Widmungsänderungen

iSd §16 Abs2 WEG vornimmt, kann nach ständiger Rechtsprechung jeder einzelne Wohnungseigentümer im streitigen Rechtsweg mit Klage nach §523 ABGB vorgehen. Der Streitrichter hat in einem solchen Fall die Genehmigungsbedürftigkeit und Eigenmacht der Änderung als Vorfrage für die Berechtigung eines Unterlassungs- und Wiederherstellungsbegehrens zu prüfen; die Genehmigungsfähigkeit ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens (RIS-Justiz RS0083156 [T20]).

[15] 1.2 Der in §16 Abs2 WEG verwendete Begriff „Änderungen“ ist weit auszulegen; jede Änderung, die eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen anderer Wohnungseigentümer mit sich bringen könnte (wofür also schon die Möglichkeit einer Beeinträchtigung genügt), bedarf der Zustimmung aller Mitglieder der Eigentümergemeinschaft oder der Genehmigung durch den Außerstreitrichter in einem Verfahren nach §52 Abs1 Z2 WEG (vgl RS0083156 [T16]).

[16] 1.3 Maßgebliches Kriterium für die Beurteilung der Frage, ob eine genehmigungsbedürftige Änderung iSd §16 Abs2 WEG vorliegt, ist der vertragliche Konsens der Mit- und Woh-

nungseigentümer. Nur solche Maßnahmen, die vom ursprünglichen Konsens nicht erfasst sind, fallen unter §16 Abs2 WEG. Hingegen ist die baubehördliche Bewilligung einer (eigenmächtigen) Änderung an Wohnungseigentumsobjekten für die Beurteilung des zivilrechtlichen Untersagungsrechts ohne Bedeutung (RS0083330). Wenn keine spezielle Geschäftsraumwidmung zwischen den Mit- und Wohnungseigentümern vereinbart wurde, ist die Umwandlung des Gegenstands und der Betriebsform des im Wohnungseigentumsobjekt geführten Unternehmens erst dann eine genehmigungsbedürftige Änderung, wenn dabei die Grenzen des Verkehrsüblichen überschritten werden (vgl RS0119528). Für die Beurteilung der (eigenmächtigen) Widmungsänderung ist die gültige Widmung des betreffenden Objekts der beabsichtigten bzw tatsächlichen Verwendung gegenüberzustellen (RS0101800 [T4, T8]).

[17] 1.4 Für die Widmung eines Wohnungseigentumsobjekts besteht kein Formerfordernis, sie kann daher grundsätzlich auch auf einer bloßen konkludent zustande gekommenen Willenseinigung der Miteigentümer beruhen, die sich gem §863 ABGB etwa an lang geübten Nutzungen oder dem Baukonsens bei einvernehmlich vorgenommenen Um- und Ausbauten festmachen lässt (5Ob 100/14p mwN). Maßgeblich ist der objektive Erklärungswert einer Willensäußerung, was auch für konkludente Erklärungen gilt (vgl RS0014160 [T51]).

[18] 2.1 In dem für das Haus der Streitteile maßgeblichen Wohnungseigentumsvertrag haben die Parteien für die beiden Objekte W I und W II eine unspezifizierte Geschäftsraumwidmung („Geschäftslokal“, „Kellerabteil“) vereinbart. Die im Jahr 1991 vom damaligen Wohnungseigentümer vorgenommene Zusammenlegung der beiden Objekte war „für jedermann erkennbar“ und blieb seither von allen Miteigentümern unwidersprochen; die Änderung der Widmung eines Teils des größeren der beiden Objekte von „Büro“ auf „Geschäftslokal“ im Sinn eines Gastronomiebetriebs zog im Rechtsmittelverfahren niemand in Zweifel.

[19] 2.2 Entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen kann allein aus der langjährigen Verwendung dieser beiden zusammengelegten Objekte zum Betrieb einer Konditorei oder eines Caféhauses keine stillschweigende Widmungsänderung dahin angenommen werden, dass die Nutzungsbefugnisse des Wohnungseigentümers für diese – unspezifiziert als Geschäftslokal gewidmeten – Räumlichkeiten nun auf den Betrieb (nur) einer Konditorei oder eines Caféhauses eingeschränkt worden wären. Dies würde ein konkludentes Angebot an die übrigen Mit- und Wohnungseigentümer zu einer derartigen erheblichen Nutzungseinschränkung voraussetzen, das selbst die Kläger nicht behaupteten und für das sich im Verfahren kein Anhaltspunkt ergeben hat.

[20] 2.3 Ausgehend von der unspezifizierten Widmung der Objekte des Beklagten als „Ge-

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schäftslokal“ und der schon bisher seit vielen Jahren geübten gewerblichen Nutzung als Gastronomiebetrieb in unterschiedlichen Ausgestaltungen ist die nun von den Klägern beanstandete Verwendung zum Betrieb des thailändischen Restaurants mit den festgestellten Öffnungszeiten nicht als eine genehmigungsbedürftige Widmungsänderung anzusehen.

[21] 3. Soweit die Kläger argumentieren, es sei eine „eklatante Widmungsänderung“ darin zu sehen, dass bisher nur ein „Tagescafé“ betrieben worden sei und nun erstmals ein Restaurant mit Öffnungszeiten bis 22:00 Uhr, übersehen sie, dass bereits seit Oktober 2010 – und auch für den Betrieb des (tatsächlich dann nur bis 19:00 Uhr geöffneten) Pubs – eine gastgewerbliche Bewilligung für ein Offenhalten des Lokals bis 22:00 Uhr vorlag. Insoweit erfolgte daher durch die nunmehrige Verwendung die den Rahmen des Verkehrsüblichen nicht überschreitet, keine Änderung. Belästigungen der übrigen Wohnungseigentümer durch Lärm und Alkoholkonsum wegen „Festivitäten und Feierlichkeiten“, wie sie die Revisionsbeantwortung anführt, gehen aus dem Sachverhalt nicht hervor. Von einer genehmigungsbedürftigen Widmungsänderung durch den Betrieb des Restaurants ist daher im konkreten Fall nicht auszugehen. […]

Anmerkung

Die Widmung der fraglichen Wohnungseigentumsobjekte lautete zwar weitgehend tatsächlich auf „Geschäftslokal“, doch umfasste das Objekt „G II“ auch „2 Büros“; insoweit lag also gerade keine „unspezifizierte Widmung“ vor. Laut der vorliegenden Entscheidung (Rn18) hat die Änderung der Widmung eines Teils des größeren der beiden Objekte von „Büro“ auf „Geschäftslokal“ im Sinn eines Gastronomiebetriebs im Rechtsmittelverfahren niemand in Zweifel gezogen. Bleibt die Frage, wie diese Widmungsänderung erfolgt sein soll. Gemeint ist wohl, dass die „vorgenommene Zusammenlegung der beiden Objekte […] für jedermann erkennbar [war] und seither von allen Miteigentümern unwidersprochen [blieb]“. Das kann dann wohl nur eine konkludente Widmungsänderung durch jahrelang akzeptierte Zusammenlegung gewesen sein. In Rn19 erfährt man allerdings, dass „allein aus der langjährigen Verwendung dieser beiden zusammengelegten Objekte zum Betrieb einer Konditorei oder eines Caféhauses keine stillschweigende Widmungsänderung dahin angenommen werden [kann], dass die Nutzungsbefugnisse […] nun auf den Betrieb (nur) einer Konditorei oder eines Caféhauses eingeschränkt worden wären. Dies würde ein konkludentes Angebot an die übrigen Mit- und Wohnungseigentümer zu einer derartigen erheblichen Nutzungseinschränkung voraussetzen [...]“. Ist jetzt die Zusammenlegung der Objekte ein konkludentes Angebot zur Widmungsausdehnung von Büro auf allgemeines Geschäftslokal, die jahrelange eingeschränkte Verwendung aber keines, und was macht den Unterschied? Wieder einmal könnte man sich

all diese wenig plausiblen Differenzierungen rund um §863 ABGB ersparen, wenn die Rechtsprechung – entgegen Rn17 – endlich und aus guten Gründen der Meinung folgen würde, dass die Widmung und folglich auch die Widmungsänderung der Schriftform bedürfen (näher dazu Höllwerth, Schriftformgebot und konkludente Widmungsänderung im Wohnungseigentum, wobl2019, 266).

Johann Höllwerth

§864a ABGB; §6 Abs3 KSchG; §38 Abs1 WEG immo aktuell 2023/22

Transparentes Anlagencontracting

OGH 18. 4. 2023, 5 Ob 160/22y

Ein Anlagencontracting kann nach §864a ABGB und §6 Abs3 KSchG unbedenklich sein und ist ungeachtet der in aller Regel langen Bindungsdauer nicht per se als unbillige Beschränkung der Rechte der Wohnungseigentümer iSd §38 Abs1 WEG und damit als unzulässig anzusehen.

Sachverhalt: [1] Die Beklagte als Bauträgerin errichtete auf einem Grundstück, auf dem ihr ein Baurecht eingeräumt wurde, ein Wohnhaus und begründete Baurechtswohnungseigentum. Nach der ursprünglichen Bau- und Ausstattungsbeschreibung sollten Warmwasser und Heizungswärme für das Wohnhaus mittels Gaszentralheizung und Solarthermie erzeugt werden. IZm dem Wechsel des Generalunternehmers wurde das Konzept für die Wärmeversorgung geändert und ein „Anlagencontracting“ umgesetzt.

[2] Die Beklagte hatte bereits vor dem Konzeptwechsel und dem Abschluss des Contracting-Vertrags mit der Nebenintervenientin Kaufverträge über einige der damals in Errichtung befindlichen Wohnungen abgeschlossen. In den Kaufverträgen dieser „Alteigentümer“ war noch festgelegt, dass die Wärme (Heizung und Warmwasser) mittels Gaszentralheizung und Solarthermie erzeugt wird. Erst in den nach dem Konzeptwechsel und dem Abschluss des Contracting-Vertrags abgeschlossenen Kaufverträgen fanden das Contracting und der Rahmenvertrag mit der Nebenintervenientin Berücksichtigung („Neueigentümer“).

[3] Die klagende Eigentümergemeinschaft verfolgt mit ihrer Klage das Ziel, den Baurechtswohnungseigentümern („Miteigentümern“) eine in ihrem Eigentum und ihrer freien Verfügung stehende Heizungs- und Warmwasserversorgungs- sowie Solarthermie-Anlage zu verschaffen. Die Klägerin begehrt –zusammengefasst – (1.) die Errichtung einer Heizungs- und Solarthermieanlage entsprechend der Bau- und Ausstattungsbeschreibung der einzelnen Kaufverträge und deren Übertragung in das Miteigentum der Miteigentümer, (2.) mit der Lösungsermächtigung durch Verschaffung des Eigentums an der von der Nebenintervenientin errichteten Heizungs- und Solarthermieanlage, in eventu (3. und 4.) die Verpflichtung zur Schad- und Klagloshaltung durch Zahlung der von der Nebenintervenientin vorgeschriebenen Grundpreise für Investitionen und Instandhaltung, (5.) die Zahlung von (nach Klageausdehnung) zuletzt 4.950,28€ und (6.) die Feststellung, dass die Beklagte schuldig sei, der Klägerin die künftig vorgeschriebenen Grundpreise zu ersetzen.

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[4] Die Klägerin stützt diese Klagebegehren auf die den Miteigentümern aus ihren jeweiligen Kaufverträgen mit der Beklagten abgeleiteten Ansprüche auf Erfüllung, Gewährleistung, Schadenersatz und alle sonstigen Rechtsgründe. Die Mehrheit der Miteigentümer habe diese Ansprüche an die Klägerin abgetreten.

[5] Das Erstgericht wies die Klage ab.

[6] Das Klagebegehren zu Pkt 1. sei unzulässig und daher samt der Lösungsbefugnis zu Pkt 2. abzuweisen. Die zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten abgeschlossenen Verträge der abtretenden Eigentümer wiesen unterschiedliche Inhalte auf. Nur die „Alteigentümer“ hätten einen Anspruch auf die in ihrer Bau- und Ausstattungsbeschreibung beschriebene Anlage, nicht aber die „Neueigentümer“, deren Kaufverträge bereits das Contracting beinhalteten. Die einschlägigen Bestimmungen zur Regelung der Contracting-Konstruktion in den Verträgen der „Neueigentümer“ seien auch nicht rechtsunwirksam. Es lägen daher zwei Lebenssachverhalte vor, die nicht zu einem Anspruch gegen die Beklagte zusammengefasst und abgetreten werden könnten.

[7] Die Klagebegehren zu den Pkt 3. bis 6. seien durch den der Anspruchsverfolgung zugrunde liegenden Beschluss der Eigentümergemeinschaft nicht gedeckt und deshalb abzuweisen.

[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge. Es hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück.

[9] Es begründete seine Entscheidung – soweit für das Rekursverfahren von Relevanz – damit, dass die Klägerin ihre Aktivlegitimation auf eine Abtretung individueller, aus den jeweiligen Kaufverträgen abgeleiteter Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüche von Wohnungskäufern gründe. Das Hauptbegehren zu Pkt 1. sei auf Verbesserung eines für alle Verträge behaupteten Mangels gerichtet. Da dieser auf einen allgemeinen Teil der Liegenschaft bezogene Verbesserungsanspruch unteilbar sei, könne jeder einzelne Wohnungseigentümer seinen behaupteten Anspruch auf die gesamte Verbesserung geltend machen und an die Eigentümergemeinschaft abtreten. Dem Klagebegehren zu Pkt 1. sei daher bereits dann stattzugeben, wenn nur einer der abgetretenen Ansprüche auf Herstellung einer im Miteigentum stehenden Heizungsanlage zu Recht bestehe. Eine Abweisung käme also erst dann in Betracht, wenn sich aus keinem der abgetretenen Ansprüche die Berechtigung des Klagebegehrens ableiten ließe.

[10] Die Klägerin „bündle“ daher – entgegen der Auffassung des Erstgerichts zulässigerweise – die ihr abgetretenen, in Konkurrenz zueinander stehenden Ansprüche verschiedener Wohnungseigentümer. (Nur) Soweit diese Ansprüche nur aliquot zustünden und geltend gemacht würden, seien diese für jeden einzelnen Wohnungseigentümer gesondert zu prüfen.

[11] Im Fall einer solchen Abtretung von Ansprüchen einzelner Wohnungseigentümer nach §18 Abs2 Fall1 WEG bedürfe es für die Aktivlegitimation der Eigentümergemeinschaft auch keiner (zusätzlichen) Beschlussfassung. Die mit der Annahmeerklärung wirksam zustande gekommene Abtretung bewirke im Außenverhältnis die Aktivlegitimation der Eigentümergemeinschaft, ohne dass das Prozessgericht die interne Willensbildung der Eigentümergemeinschaft über die Geltendmachung der abgetretenen Gewähr-

leistungs- und Schadenersatzansprüche überprüfen müsse.

[12] Für eine Stattgebung des Klagebegehrens zu Pkt 1. reiche zwar das Zurechtbestehen eines Erfüllungs- und Gewährleistungsanspruchs auch nur der „Alteigentümer“ aus. Dieses Klagebegehren sei aber dennoch nicht spruchreif, weil Feststellungen zu der Vertragslage der Alteigentümer fehlten. Zu Recht rüge die Beklagte in diesem Zusammenhang (sekundäre) Feststellungsmängel zu der von der Beklagten behaupteten nachträglichen Änderung der Verträge durch Vereinbarung eines Anlagen-Contractings. Da noch nicht abschließend beurteilt werden könne, ob dieses angeblich nachträglich vereinbarte Anlagen-Contracting gemessen an §38 WEG unzulässig sei, könne eine allfällige Willenseinigung zur entsprechenden Änderung der Verträge hier nicht dahingestellt bleiben.

[13] Anders als bei den „Alteigentümern“ seien bei den „Neueigentümern“ schon in den Kaufverträgen Bestimmungen zum Anlagen-Contracting enthalten. Die Klägerin behaupte allerdings die Nichtigkeit dieser Vertragsbestimmungen und berufe sich dazu auf das Transparenzgebot nach §6 Abs3 KSchG, die „Hürde“ des §38 WEG, die gröbliche Benachteiligung nach §879 Abs3 ABGB und die Inhaltskontrolle nach §864a ABGB.

[14] Die in den Kaufverträgen der „Neueigentümer“ in das Kapitel „Herstellungsumfang“ eingeordnete Klausel 3.13. enthalte einen Passus mit einem deutlichen Hinweis, dass die Heizzentrale nicht Gegenstand der von der Beklagten zu erbringenden Leistungen sei und im Eigentum der Nebenintervenientin verbleibe. Außerdem werde auf den dem Kaufvertrag angeschlossenen Rahmenvertrag verwiesen. Damit sei die hier gewählte besondere vertragliche Gestaltung mit dem Ziel der Auslagerung der Herstellung der Heizzentrale deutlich offengelegt und ausdrücklich angesprochen. Die Klausel halte daher der Inhaltskontrolle nach §864a ABGB stand.

[15] Die Klausel sei auch nicht intransparent iSd §6 Abs3 KSchG. In der Literatur werde zwar teilweise gefordert, dass es zur Erfüllung der Anforderungen an dieses Transparenzgebot nicht nur eines konkreten Hinweises im Vertrag auf das Contracting bedürfe, sondern auch einer zahlenmäßigen, einen Vergleich ermöglichenden Gegenüberstellung. Dass die Kaufpreisbildung im Detail offenzulegen wäre, um die Bestimmung transparent zu gestalten, überzeuge aber deshalb nicht, weil die Aufschlüsselung des Kaufpreises auch bei sonstigen Leistungsbestandteilen nicht zu fordern sei. Tatsächlich hänge es von der konkreten Textierung ab, ob und inwieweit vertragliche Vereinbarungen ausreichend transparent seien. Die Vertragsbestimmung Pkt 3.13. enthalte nicht nur eine Regelung zu den Eigentumsverhältnissen dahin, dass die Heizungsanlage von der Nebenintervenientin installiert werde und in deren Eigentum verbleibe. Vielmehr finde sich darin zum Herstellungsumfang auch die Aussage, dass die Heizzentrale überhaupt nicht Gegenstand der von der Verkäuferin zu erbringenden Leistungen gemäß dem Kaufvertrag sei. Damit komme aber deutlich zum Ausdruck, welche Leistung dem Kaufpreis gegenüberstehe. Eine Rechnung im Sinn einer Gegenüberstellung, um welchen Betrag der Käufer das Wohnungseigentumsobjekt vom Bauträger günstiger erhalten habe, sei angesichts der hier gegebenen klaren Formulierung nicht zu verlangen. In dem dem Kaufvertrag angeschlossenen Baurechts-

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wohnungseigentumsvertrag finde sich überdies unter der Überschrift „Aufwendungen“ der mit der Kaufvertragsbestimmung in Einklang stehende Hinweis, dass die Wohnungseigentümer die anfallenden Kosten und Aufwendungen für die Errichtung und den Betrieb zu zahlen hätten, woraus der Käufer schließen könne, dass er mit zusätzlichen Kosten zu rechnen habe.

[16] Die Vertragsbestimmung in Pkt 3.13. der Verträge der „Neueigentümer“ könne grundsätzlich unter dem Aspekt des §879 Abs3 ABGB geprüft werden, weil die Etablierung eines Contracting keine der beiderseitigen Hauptpflichten sei. Die klagende Eigentümergemeinschaft könne sich auch auf §38 WEG berufen, weil sie die ihr abgetretenen individuellen Ansprüche einzelner Wohnungseigentümer verfolge und auch dem Zessionar die Einwendung der Unwirksamkeit des Vertrags zustehe.

[17] Eine Beurteilung, ob das Anlagen-Contracting im vorliegenden Fall mit §879 Abs3 ABGB oder §38 WEG vereinbar sei, sei aber auf der derzeitigen Sachverhaltsbasis nicht möglich. Anlagen-Contracting könne nicht per se als unzulässig erachtet werden. Einem Bauträger sei vielmehr ein Argumentationsspielraum zuzugestehen, weshalb dieses Konzept im konkreten Fall eine sachgerechte Lösung sei. Hier stehe zwar eine (lange) Vertragslaufzeit des Rahmenvertrags mit 20 Jahren fest. Die Beklagte habe bislang auch weder bestritten, dass die Wohnungseigentumsobjekte zu Fixpreisen verkauft worden seien, noch dass der von der Nebenintervenientin vorgeschriebene Grundpreis auch Investitionskosten beinhalte. Dies werfe vor allem in Hinblick auf die „Alteigentümer“ die Frage auf, weshalb diese zusätzlich zu dem im Kaufvertrag festgesetzten Kaufpreis Investitionskosten zahlen sollten. Die Beklagte und die Nebenintervenientin hätten jedoch ein Vorbringen zu den zahlreichen Vorteilen des Contractings für die Wohnungseigentümer erstattet, das im Sinn einer sachlichen Rechtfertigung im Rahmen der Prüfung nach §38 WEG und §879 Abs3 ABGB zu berücksichtigen sei. Das Erstgericht habe dazu aber keine Feststellungen getroffen.

[18] Die Klage sei daher im Ergebnis in keinem Punkt des Klagebegehrens spruchreif, sondern bedürfe einer Ergänzung des Verfahrens durch das Erstgericht.

[19] Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich der – vom Berufungsgericht zugelassene und von der Beklagten und der Nebenintervenientin beantwortete – Rekurs der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Sie beantragt, den angefochtenen Beschluss abzuändern, „dem Hauptbegehren“ stattzugeben und „im Übrigen die Rechtssache in Ansehung der Zahlungsbegehren“ an das Erstgericht zurückzuverweisen.

[…] Der OGH wies den Rekurs der Klägerin zurück. Rechtliche Beurteilung: […] [21] 1. Das Berufungsgericht begründet die Zulässigkeit des Rekurses zum einen damit, dass zur Frage der Zulässigkeit der Verfolgung eines „Gesamtanspruchs“ durch die Eigentümergemeinschaft bei unterschiedlicher Vertragslage der einzelnen abtretenden Wohnungseigentümer sowie zur Möglichkeit eines Klagebegehrens auf Übertragung einer Heizungsanlage „in das freie und unbeschränkte Miteigentum der Miteigentümer“ im Baurechtswohnungseigentum eine Klarstellung durch den OGH angezeigt sein könnte.

[22] Diese Fragen der Aktivlegitimation der Eigentümergemeinschaft und der Möglichkeit der Begründung von Miteigentum an einer Heizungsanlage im Baurechtswohnungseigentum greift die Klägerin in ihrem Rekurs nicht auf. Das Berufungsgericht ist dem Rechtsstandpunkt der Klägerin insoweit ja ohnedies gefolgt. Der OGH ist nun aber nicht dazu berufen, theoretisch zu einer Rechtsfrage Stellung zu nehmen, deren Lösung durch die zweite Instanz vom Rechtsmittelwerber gar nicht bestritten wird (RIS-Justiz RS0102059). Nur bei Geltendmachung einer (anderen) erheblichen Rechtsfrage wäre die rechtliche Beurteilung durch das Rekursgericht grundsätzlich in jede Richtung zu überprüfen (RS0048272), wobei (dann) im Rekursverfahren gegen einen Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts der Grundsatz der Unzulässigkeit der reformatio in peius nicht gilt (RS0043939).

[23] 2.1. Das Berufungsgericht begründet die Zulassung des Rekurses weiters damit, dass der Frage der transparenten Gestaltung einer Klausel zum Anlagen-Contracting iSd §6 Abs3 KSchG und der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Anlagen-Contracting im Wohnungseigentum gemessen an den Vorgaben des §38 WEG zulässig sei, für die (Bauträger-)Praxis insgesamt erhebliche Bedeutung zukomme.

[24] Die Klägerin erachtet eine Klarstellung und Rechtsfortbildung durch den OGH zudem zur Frage der Inhaltskontrolle nach §864a ABGB und der gröblichen Benachteiligung iSd §879 Abs3 ABGB als geboten. Zu diesen Gesetzesbestimmungen gebe es keine einzige höchstgerichtliche Entscheidung, die sich mit den Besonderheiten des Anlagen-Contractings in einem Bauträgervertrag beschäftige.

[25] 2.2. Ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, wirft nur dann eine erhebliche Rechtsfrage auf, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (RS0042936; RS0042776). Auch eine auszulegende Bestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder einem Vertragsformblatt ist eine spezielle Ausformung im Einzelfall, der lediglich ihre vielfache Anwendung im Rechtsverkehr Bedeutung über den einzelnen Geschäftsfall und Rechtsfall hinaus verschaffen könnte (RS0042871[T2, T21]). Der OGH ist also zur Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern nicht jedenfalls, sondern nur dann berufen, wenn die zweite Instanz Grundsätze höchstgerichtlicher Rechtsprechung missachtet hat oder für die Rechtseinheit und Rechtsentwicklung bedeutsame Fragen zu lösen sind (RS0121516 [T3]). Für die Anrufbarkeit des OGH genügt daher weder der Umstand, dass höchstgerichtliche Rechtsprechung zu gleichen oder ähnlichen Klauseln fehlt (RS0121516 [T4]), noch die bloße Häufigkeit der Verwendung strittiger Klauseln (RS0121516 [T38]; RS0042816 [T1]).

[26] 2.3. Diese Einzelfallbezogenheit betrifft nicht nur die Auslegung von Vertragsbestimmungen im engeren Sinn, sondern auch die In-

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halts- und Geltungskontrolle. So ist etwa die Beantwortung der Frage, ob eine Klausel nach §864a ABGB ungewöhnlich ist, stets von der Kasuistik des Einzelfalls geprägt und auf die singuläre Rechtsbeziehung der Streitteile zugeschnitten, sodass dieser Rechtsfrage in der Regel keine erhebliche Bedeutung iSd §502 Abs1 ZPO zukommt (RS0122393; RS0014646 [T7]). Als Einzelfallentscheidung ist sie nur dann durch den OGH überprüfbar, wenn sie sich nicht im Rahmen der Vorgaben der höchstgerichtlichen Rechtsprechung bewegt und daher im Interesse der Rechtssicherheit zu korrigieren ist (4Ob 69/22h).

[27] Das ist hier nicht der Fall:

[28] Die Geltungskontrolle nach §864a ABGB erfasst nachteilige Bestimmungen ungewöhnlichen Inhalts in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern, mit denen nach dem äußeren Erscheinungsbild der Urkunde nicht zu rechnen war (RS0105643). Die umfangreiche Rechtsprechung des OGH zu §864a ABGB lässt sich dahin zusammenfassen, dass eine Klausel dann objektiv ungewöhnlich iSd §864a ABGB ist, wenn sie von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht, mit der er also nach den Umständen vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht; der Klausel muss also ein Überrumpelungseffekt innewohnen (RS0014646). Die Ungewöhnlichkeit hat sich an der Verkehrsüblichkeit beim betreffenden Geschäftstyp zu orientieren (RS0014627). Nur weil bestimmte Klauseln häufig Verwendung finden, sind sie aus Sicht des Vertragspartners aber noch nicht als im redlichen Verkehr üblich anzusehen (RS0014646 [T15]). Neben ihrem Inhalt ist insb die Stellung der Klausel im Gesamtgefüge des Vertragstexts maßgebend. Für die Ungewöhnlichkeit einer Vertragsbestimmung ist daher die Art ihrer Einordnung in den Text entscheidend. Die Bestimmung ist dann ungewöhnlich, wenn sie im Text derart „versteckt“ ist, dass sie der Vertragspartner dort nicht vermutet, wo sie sich befindet, und dort nicht findet, wo er sie vermuten könnte. Bei der Beurteilung, ob dies der Fall ist, kommt es auf den durchschnittlich sorgfältigen Leser an (RS0014646; RS0014659; RS0105643 [T2]). Die Ungewöhnlichkeit eines Inhalts ist nach dem Gesetzestext objektiv zu verstehen. Ein Abstellen auf die subjektive Erkennbarkeit gerade für den anderen Teil ist daher ausgeschlossen (RS0014627).

[29] Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die in den Kaufverträgen der Neueigentümer enthaltene Bestimmung zum Anlagen-Contracting (Klausel 3.13) sei nicht ungewöhnlich iSd §864a ABGB, bewegt sich innerhalb des Rahmens, den diese höchstgerichtliche Rechtsprechung vorgibt. Die Bestimmung ist nicht im Text versteckt oder deplatziert; sie findet sich im Kapitel „Herstellungsumfang“, zu dem ein sachlich nachvollziehbarer Konnex besteht. Der Umstand, dass es sich um ein umfangreiches Vertragskonvolut handelt, liegt in der Natur der Sache und kann für sich nicht zur Folge haben,

auch Bestimmungen, die an einer Stelle des Vertragstextes eingereiht werden, an der sie inhaltlich auch zu erwarten sind, als ungewöhnlich zu qualifizieren.

[30] 2.4. Gem §6 Abs3 KSchG ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie unklar oder unverständlich abgefasst ist. Das Transparenzgebot begnügt sich nicht mit formeller Textverständlichkeit, sondern verlangt, dass Inhalt und Tragweite vorgefasster Vertragsklauseln für den Verbraucher durchschaubar sind (RS0115217 [T7]; RS012216[T2]). Maßstab für die Transparenz ist das Verständnis des für die jeweilige Vertragsart typischen „Durchschnittskunden“ (vgl RS0126158). Einzelwirkungen des Transparenzgebots sind das Gebot der Erkennbarkeit und Verständlichkeit, das Gebot, den anderen Vertragsteil auf bestimmte Rechtsfolgen hinzuweisen, das Bestimmtheitsgebot, das Gebot der Differenzierung, das Richtigkeitsgebot und das Gebot der Vollständigkeit (RS0115217 [T12]; RS0115219 [T12]).

[31] Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die in den Kaufverträgen der „Neueigentümer“ enthaltene Bestimmung zum Anlagen-Contracting (Klausel 3.13) sei nicht intransparent iSd §6 Abs3 KSchG, steht mit diesen Rechtsprechungsgrundsätzen im Einklang. Die Vertragsbestimmung regelt die Wärmeversorgung (Heizwärme, Warmwasserbereitung) durch die Nebenintervenientin und den Umfang der Leistungspflichten der Beklagten klar und verständlich. Aus deren Wortlaut ergibt sich zweifelsfrei, dass die von der Nebenintervenientin selbst installierte und betriebene Anlage in deren Eigentum verbleiben und somit nicht Gegenstand der von der Verkäuferin zu erbringenden Leistungen gemäß dem Kaufvertrag sein soll. Inhalt und Tragweite dieser Regelung, nämlich, dass die Beklagte gegenüber den „Neueigentümern“ nicht zur Herstellung der Wärmeversorgungsanlage verpflichtet ist und der ihr geschuldete Kaufpreis daher die Kosten dieser Anlage nicht umfasst, ist für den typischen „Durchschnittskäufer“ einer Eigentumswohnung „durchschau-bar“. Diesem muss auch die wirtschaftliche Bedeutung dieser Auslagerung der Wärmeversorgung an einen Dritten, nämlich die Tatsache, dass ihm dafür nicht durch den Kaufpreis abgedeckte Zusatzkosten entstehen, er also wirtschaftlich betrachtet letztlich auch anteilige Errichtungskosten der Heizungsanlage zusätzlich zum Kaufpreis tragen muss, bewusst sein. Die finanzielle Tragweite dieser Regelung wird nicht verschleiert (vgl RS0115217 [T23]; RS0115219 [T33]; RS0122169 [T6]). Jedenfalls im hier zu beurteilenden Einzelfall ist es daher nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht angesichts der klaren Formulierung der Regelung des Contractings eine rechnerische Gegenüberstellung, um welchen konkreten Betrag der Käufer das Wohnungseigentumsobjekt vom Bauträger günstiger erhalten habe, nicht als erforderlich angesehen hat. Es hängt tatsächlich von der konkreten Textierung

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ab, ob und inwieweit vertragliche Vereinbarungen ausreichend transparent sind. Die Anforderungen an das Transparenzgebot dürfen dabei auch nicht überspannt werden.

[32] 2.5. Nach §38 Abs1 WEG sind Vereinbarungen oder Vorbehalte, die geeignet sind, die dem Wohnungseigentumsbewerber oder Wohnungseigentümer zustehenden Nutzungs- oder Verfügungsrechte aufzuheben oder unbillig zu beschränken, rechtsunwirksam. §38 Abs1 WEG erklärt daher (nur) unbillige, einer vernünftigen Interessenabwägung widersprechende Aufhebungen und Beschränkungen für unwirksam (RS0075734; RS0083359 [T2]). Verpflichtungen, die ein Wohnungseigentümer auch bei Gleichgewicht der Vertragslage auf sich genommen hätte, die also einer vernünftigen Interessenabwägung entsprechen, dürfen darunter nicht subsumiert werden (RS0083371).

[33] Auch für die Beurteilung, ob eine Vereinbarung nach §38 WEG nichtig ist, gilt, dass dies eine auf die singuläre Rechtsbeziehung der Streitteile zugeschnittene Frage des Einzelfalls ist, sodass dieser Rechtsfrage in der Regel keine erhebliche Bedeutung iSd §502 Abs1 ZPO zukommt. Dem Berufungsgericht, das sich sehr ausführlich mit dem Meinungsstand in der Literatur auseinandergesetzt hat, ist daher darin zuzustimmen, dass ein Anlagen-Contracting ungeachtet der in aller Regel langen Bindungsdauer nicht per se als unbillige Beschränkung der Rechte der Wohnungseigentümer iSd §38 Abs1 WEG und damit als unzulässig anzusehen ist. Ausgehend vom derzeitigen Verfahrensstand fehlen allerdings Feststellungen zu den von der Beklagten und Nebenintervenientin behaupteten Umständen, die die mit dem vereinbarten Anlagen-Contracting verbundenen Beschränkungen der den Wohnungseigentümern zustehenden Nutzungs- oder Verfügungsrechte im vorliegenden Einzelfall rechtfertigen könnten. Weitergehende Erwägungen dazu hätten mangels Sachverhaltsgrundlage nur theoretisch-abstrakte Bedeutung.

[34] Entgegen der Erwägung des Berufungsgerichts in seiner Zulassungsbegründung lässt sich aus der Entscheidung 1Ob 220/14f nichts Gegenteiliges ableiten. Der OGH hat in dieser Entscheidung eine Vertragskonstruktion zum Anlagen-Contracting zwar als unbillige Beschränkung der Wohnungseigentümer iSd §38 WEG erachtet, das aber nicht allein wegen der langen Bindungsdauer (dort 15Jahre). Als problematisch sah er vielmehr auch den Umstand an, dass bei einer wirksamen Vertragsübernahme (der beklagten Eigentümergemeinschaft) die Verpflichtung bestünde, die Kosten der Herstellung der Heizungsanlage über den Grundpreis zusätzlich zum vereinbarten Fixpreis für die erworbenen Wohnungseigentumsobjekte zu zahlen – bei „vorzeitiger“ Vertragsauflösung zuzüglich eines Pönales von 10% –, obwohl sich nach dem dort festgestellten Sachverhalt der klagende Bauträger – anders als hier –zur Herstellung der Gesamtanlage (einschließ-

lich des Heizungssystems) auf eigene Kosten verpflichtet hatte.

[35] Analoges gilt, worauf das Berufungsgericht zutreffend verweist, für die Beurteilung, ob das Anlagen-Contracting gröblich benachteiligend iSd §879 Abs3 ABGB ist.

[36] 3. Ein Rekurs gegen einen Beschluss nach §519 Abs1 Z2 ZPO ist zurückzuweisen, wenn der Rechtsmittelwerber – wie die Klägerin hier – nur Gründe geltend macht, deren Erledigung nicht von der Lösung erheblicher Rechtsfragen abhängt (RS0048272 [T11]). […]

Anmerkung

Da die Klägerin durch Abtretung die Ansprüche der Miteigentümer „gesammelt“ hat, die erhobenen Begehren daher auf einzelnen Verträgen beruhen und die Klägerin nur ein Zahlungsbegehren von unter 5.000€ gestellt hat, haben sich für die Rechtsmittelzulässigkeit allenfalls auch Bewertungsfragen gestellt (vgl dazu auch Höllwerth, wobl2023, 40 [Entscheidungsanmerkung]), deren Lösung der Entscheidung nicht entnommen werden kann.

Auch für konkrete Aussagen zur Transparenz und zur Zulässigkeit einer Vereinbarung über ein Anlagen-Contracting wird die Entscheidung im zweiten Rechtsgang abzuwarten sein. Dem vorliegenden Beschluss ist nicht einmal die konkrete Formulierung der strittigen Klausel zu entnehmen. Es mag schon sein, dass ein Eigentümer erkennen kann, die Beklagte sei nicht zur Herstellung der Wärmeversorgungsanlage verpflichtet und der ihr geschuldete Kaufpreis umfasse daher die Kosten dieser Anlage nicht, doch ist diese Regelung nichts anderes als der Kern des Anlagen-Contractings; ob damit aber zugleich schon die Klausel insgesamt „durchschaubar“ ist, erscheint nicht so ganz selbstverständlich. Und wenn es ein Eigentümer auch versteht, dass ihm durch die Auslagerung der Wärmeversorgung an einen Dritten nicht durch den Kaufpreis abgedeckte Zusatzkosten entstehen und dass er wirtschaftlich betrachtet letztlich auch anteilige Errichtungskosten der Heizungsanlage zusätzlich zum Kaufpreis wird tragen müssen, folgt daraus auch wirklich schon, dass er die „finanzielle Tragweite dieser Regelung“ abzuschätzen vermag? Es ist immerhin interessant, dass die dazu ausgewiesene erste Belegstelle „(vgl RS0115217 [T23] […]“ mit OGH 27.5.2010, 5Ob 64/10p, auf eine Entscheidung verweist, die nicht nur zu einem völlig anders gelagerten Sachverhalt erging, sondern dort gerade eine am Gesetzeswortlaut orientierte Klausel betreffend die Überwälzung von Versicherungsprämien auf die Mieter als intransparent erkannt wurde, weil es „zur Gänze an einer (individuellen) Aufklärung oder Information über die Tragweite“ fehlte. Schließlich wird in der vorliegenden Entscheidung zur Abgrenzung zu OGH 23.12.2014, 1Ob 220/14f, darauf hingewiesen, dass dort im Hinblick auf die Unzulässigkeit nach §38 Abs1 WEG der Eigentümer „die Kosten der Herstellung der Heizungsanlage über den Grundpreis zusätzlich zum vereinbar-

RECHTSPRECHUNG 3/2023 140

ten Fixpreis für die erworbenen Wohnungseigentumsobjekte zu zahlen [hatte], obwohl sich nach dem dort festgestellten Sachverhalt der klagende Bauträger – anders als hier – zur Herstellung der Gesamtanlage (einschließlich des Heizungssystems) auf eigene Kosten verpflichtet hatte“. Immerhin meinte gerade dazu auch hier das Berufungsgericht, die zu beurteilende Regelung „werfe vor allem in Hinblick auf die ,Alteigentümer‘ die Frage auf, weshalb diese zusätzlich zu dem im Kaufvertrag festgesetzten Kaufpreis Investitionskosten zahlen sollten“. Sollten die Verträge der Alteigentümer tatsächlich in die Richtung der Contracting-Klausel geändert worden sein, dann könnte sich durchaus eine gewisse Nähe zur Entscheidung OGH 23.12.2014, 1Ob 220/ 14f, erweisen. All diese Fragen werden im fortgesetzten Verfahren zu klären sein; für Spannung ist also gesorgt.

§§1104 ff ABGB immo aktuell 2023/23

(Teil-)Brauchbarkeit des Bestandobjekts wegen Erhalt von Umsatzersatz?

OGH 28. 2. 2023, 1 Ob 181/22g

Eine erhaltene Förderung in Gestalt des Lockdown-Umsatzersatzes kann eine (beschränkte) Brauchbarkeit eines Bestandobjekts bewirken: Ein Bezug des Lockdown-Umsatzersatzes kann damit ungeachtet von §§1104ff ABGB Zinszahlungspflicht bewirken.

Sachverhalt: Die Beklagte ist Wohnungseigentümerin einer Liegenschaft. Am 8.6.2019 schlossen die Klägerin und die Beklagte einen als Pachtvertrag bezeichneten Bestandvertrag mit einer Laufzeit von 1.7.2019 bis 30.6.2022 ab. PktI. des Vertrags lautet auszugsweise: „Gegenstand dieses Pachtvertrages ist das im Gebäude (Haus) befindliche Unternehmen mit dem Geschäftszweig Gastwirtschaft samt Inventar, Kundenstock, Goodwill und Bestandräumlichkeiten. Dies beinhaltet insb eine vollständig eingerichtete Gaststube und eine ziemlich neuwertige Küche. Des weiteren verfügt die Gasstätte [sic] über einen Gastgarten. [...] Der Pächter ist verpflichtet, das gepachtete Unternehmen den Bestimmungen dieses Vertrages gemäß sowie unter Einhaltung aller gesetzlichen und behördlichen Vorschriften zu führen […].“

Vom 16. 3. 2020 bis 15. 5. 2020 war das Betreten von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe behördlich untersagt (erster Lockdown). Ausnahmen waren ua für das Angebot eines Lieferservice vorgesehen, ab 3.4.2020 auch für Take-away und „click and collect“. Dasselbe galt vom 3.11.2020 bis ins Jahr 2021 hinein (zweiter Lockdown). Ausnahmen bestanden wiederum für Lieferservice und Take-away (Letzteres jedoch nur zwischen 6:00Uhr und 19:00 bzw 20:00Uhr und zeitweise mit Verbot der Konsumation im Umkreis von 50m um die Betriebsstätte).

Die Klägerin bot im April 2020 ein Take-away an, wobei der Tagesumsatz nur 120€ bis 130€ betrug, was nicht kostendeckend war. Ursache für die geringe Nachfrage war, dass die Gastwirtschaft aufgrund ihrer Lage primär von Touristen aufgesucht worden war, die in den Zeiträumen der Lockdowns nicht nach Ös-

terreich kamen. Vom 16.5.2020 bis 31.10.2020 war das Restaurant geöffnet, im November und Dezember 2020 geschlossen, wobei die Klägerin während dieser Zeit weder Lieferservice noch Take-away anbot.

Im März 2020 entrichtete die Klägerin den vollen Bestandzins von 2.520€. Im April 2020 zahlte sie kein Entgelt. Im Mai entrichtete sie einen Bestandzins von 1.920€ und bezahlte im Juni und Juli 2020 wieder den vollen Bestandzins. Für die Monate ab August 2020 vereinbarten die Parteien eine Reduktion des Bestandzinses auf 2.200€. Zahlungen in dieser Höhe erfolgten für August, September und Oktober. Für November und Dezember 2020 entrichtete die Klägerin wiederum keinen Bestandzins.

Für November und Dezember 2020 erhielt die Klägerin staatlichen Umsatzersatz von insgesamt 27.000€. In den Vergleichsmonaten des Jahres 2019 hatte der Umsatz insgesamt etwa 46.000€ betragen.

Die Klägerin kündigte das Bestandverhältnis am 28.9.2020 zum 31.12.2020. Bei der Rückstellung des Bestandobjekts durch die Klägerin war ein ursprünglich geschlossener Seiteneingang geöffnet. Für die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands wendete die Beklagte 200€ auf. Weitere Schäden gab es nicht. Die Klägerin begehrt die Rückzahlung der Kaution. Die Beklagte macht geltend, dass offene Pachtzinsforderungen für April 2020, teilweise Mai 2020 sowie für November und Dezember 2020 in der Höhe von insgesamt 8.160€ bestünden und die Klägerin Schäden von 2.100€ verursacht habe. Diese Beträge wendete sie aufrechnungsweise bis zur Höhe der Klageforderung ein. Die Nichtzahlung des Bestandzinses sei nicht berechtigt gewesen, weil die Klägerin im ersten Lockdown ein Take-away angeboten und im zweiten Lockdown Umsatzersatz erhalten habe.

Rechtliche Beurteilung: […] Zur Relevanz des Umsatzersatzes:

1. Nach Ausbruch der Corona-Pandemie wurde mit dem COVID-19-Gesetz (BGBlI 2020/ 12) das ABBAG-Gesetz (Stammfassung BGBlI 2014/51) zur Ermöglichung finanzieller Hilfen an Unternehmen in mehreren Punkten ergänzt. Insb wurde der Bundesminister für Finanzen in §3b Abs3 ABBAG-Gesetz ermächtigt, mit Verordnung Richtlinien zur Gewährung finanzieller Unterstützungen zu erlassen. Diese Bestimmung war die Grundlage für die folgenden im relevanten Zeitraum geltenden Verordnungen:

• VO betreffend Richtlinien über die Gewährung von Zuschüssen zur Deckung von Fixkosten durch die COVID-19 Finanzierungsagentur des Bundes GmbH (Stammfassung BGBlII 2020/225, Inkrafttreten 26.5.2020; im Folgenden: RL Fixkostenzuschuss);

• VO betreffend Richtlinien über die Gewährung eines Lockdown-Umsatzersatzes durch die COVID-19 Finanzierungsagentur des Bundes GmbH (BGBlII 2020/467, Inkrafttreten 7.11.2020; im Folgenden: RL Umsatzersatz 7.11.2020);

• VO betreffend Richtlinien über die Gewährung eines Lockdown-Umsatzersatzes durch die COVID-19 Finanzierungsagentur des Bundes GmbH (Stammfassung BGBlII 2020/503, Inkrafttreten 24.11.2020; im Folgenden: RL Umsatzersatz 24.11.2020).

141 3/2023 RECHTSPRECHUNG

Die Klägerin hat für die Monate November und Dezember 2020 Umsatzersatz beantragt und auch erhalten. Daraus leitet die Beklagte ab, dass bei der Klägerin keine Minderung des Ertrags aus dem Pachtgegenstand eingetreten sei, weswegen sie den Pachtzins auch für diese Monate schulde.

2. Vor Prüfung dieser Frage ist die Rechtslage zum entsprechenden Problem beim Fixkostenzuschuss zu erörtern.

2.1. Nach der Rechtsprechung des OGH handelte es sich beim Fixkostenzuschuss nicht um eine Zuwendung, die dazu gedacht war, den gesetzlichen Mietzinsentfall der Geschäftsraumvermieter wettzumachen (3Ob 184/21m [Rz33ff]; 5Ob 192/21b [Rz32ff]; 9Ob 31/22g [Rz19]). Mit dem Fixkostenzuschuss waren nur effektiv gezahlte Mietzinse zu decken. Der Bestandnehmer war daher primär verpflichtet, die ihm zustehenden Mietzinsminderungen geltend zu machen. Diese Rechtsprechung beruhte darauf, dass Unternehmen nach Pkt3.1.6. RL Fixkostenzuschuss zumutbare Maßnahmen setzen mussten, „um die durch den Fixkostenzuschuss zu deckenden Fixkosten zu reduzieren (Schadensminderungspflicht mittels Ex-ante-Betrachtung)“. Pkt4.1.1.a. RL Fixkostenzuschuss listete Bestandzinse ausdrücklich als solche Fixkosten auf.

2.2. Als Reaktion auf diese Rechtsprechung fügte der Gesetzgeber dem §3b ABBAG-Gesetz mit BGBlI 2021/228 neue Bestimmungen an (§3b Abs2 Z6 sowie Abs5 bis Abs8 ABBAGGesetz). Sie enthalten Regelungen und eine Verordnungsermächtigung zur Rückforderung von Leistungen, deren Höhe von Aufwendungen des begünstigten Unternehmens während eines Betretungsverbots abhing. Grundlage war ein im Plenum des Nationalrats eingebrachter Abänderungsantrag, nach dessen Begründung Fälle erfasst sein sollten, in denen sich im Nachhinein herausstellte, dass tatsächlich nicht geschuldete Bestandzinsaufwendungen im Antrag auf Fördermaßnahmen angesetzt und auch tatsächlich ausbezahlt worden waren (StProtNR, 27. GP, 137. Sitzung, 133); durch Absehen von der Rückforderung bis zu einer bestimmten Höhe des Zuschusses sollten Verfahren „in zigtausend Fällen“ vermieden werden (Abgeordneter Kopf aaO, 131).

2.3. Zur hier zu prüfenden Frage, ob die Gewährung von Umsatzersatz Auswirkungen auf die Anwendung der §§1104ff ABGB hat, liegt bisher eine an der Rechtsprechung zum Fixkostenersatz anknüpfende Entscheidung des OGH vor. Zu 3Ob 36/22y (Rz28) sprach der 3. Senat unter Verweis auf Nemetschke/Koloseus (Umsatzersatz und stellvertretendes Commodum, immolex 2021, 202 [204]) aus, dass die Erwägungen zum Fixkostenzuschuss auch für den Anspruch auf Umsatzersatz gelten müssten. Eine nähere Begründung dieser Folgerung findet sich dort jedoch nicht.

3. In der Literatur wurde zur Auswirkung des Umsatzersatzes iZm einer allfälligen (teil-

weisen) Bestandzinsbefreiung bislang nur vereinzelt Stellung genommen.

3.1. Oberhammer (Pandemie und Geschäftsraummiete, JBl2021, 493ff) weist darauf hin, dass kein Grund ersichtlich sei, warum eine Beihilfe, die […] einen Umsatzersatz darstelle, also genau für jene Kosten gedacht sei, […] welche für gewöhnlich zur Bestreitung der Mietkosten aufgewendet werden, in einem nicht ausreichend engen Zusammenhang mit der Mietzinszahlungspflicht stehen solle, und kommt unter Rückgriff auf das Geschäftsgrundlagenrecht zum Ergebnis, dass öffentliche Beihilfen wie (hier relevant) der Umsatzersatz bei einer etwaigen Bestandzinsreduktion in Anrechnung zu bringen seien.

3.2. Nemetschke/Koloseus (immolex 2021, 202 [204]) führen aus, der Lockdown-Umsatzersatz könne mangels entsprechender Widmung durch den Förderer nicht an die Stelle des Mietzinses treten. Allgemeine Geldflüsse an den Schuldner seien keine Surrogate von „untergegangenen“ Vermögenswerten, die als stellvertretendes Commodum abstrakt überhaupt in Betracht kämen und von einem Gläubiger gefordert werden könnten.

3.3. Jüngst hat sich Weixelbraun-Mohr (Zur Berücksichtigung von Lockdown-Umsatzersatzleistungen bei COVID-19-bedingter Mietzinsminderung, ÖJZ2022, 1241ff) mit dieser Frage auseinandergesetzt. Ihrer Ansicht nach ging der Verordnungsgeber beim Umsatzersatz erkennbar davon aus, dass die Sicherstellung der Liquidität der Unternehmer durch diese finanziellen Zuwendungen gerade auch deren Gläubigern (zur Abdeckung der „Zahlungsverpflichtungen“ des Unternehmers) zugutekommen sollte. Umsatzersatzleistungen, die ein Geschäftsraummieter für solche Zeiträume tatsächlich erhalten habe, für die er eine Mietzinsminderung von seinem Vermieter verlange, seien daher zu berücksichtigen.

4. Auf dieser Grundlage ist Folgendes zu erwägen:

4.1. Die Gewährung von Umsatzersatz beruhte im relevanten Zeitraum auf den oben (D.1.) genannten, jeweils mit Verordnung erlassenen Richtlinien zum Umsatzersatz. Sie stimmen in den hier relevanten Punkten überein.

Nach diesen Richtlinien durfte ein Lockdown-Umsatzersatz nur Unternehmen gewährt werden, bei denen im relevanten Zeitraum und zum Zeitpunkt der Antragstellung die in Pkt3.1. angeführten Voraussetzungen erfüllt waren. Begünstigte Unternehmen waren danach jedenfalls nur solche, die ihren Sitz oder eine Betriebsstätte in Österreich hatten und im Inland eine operative Tätigkeit ausübten, die zu einer Besteuerung der Einkünfte führte (Pkt3.1.1. und 3.1.2.). Die Höhe des Umsatzersatzes knüpfte nach Pkt4.4. grundsätzlich am Umsatz der Vergleichsmonate des Vorjahres an; im Einzelnen waren die Regelungen kompliziert.

Nach Pkt7.4. wurde der Lockdown-Umsatzersatz auf Grundlage einer privatrechtli-

RECHTSPRECHUNG 3/2023 142

chen Vereinbarung (Fördervertrag zwischen der COFAG und dem Antragsteller) gewährt, wobei darauf kein Rechtsanspruch bestand. Pkt8.4. sah eine Rückforderung von ausbezahlten Beträgen ua dann vor, wenn die Förderung auf falschen Angaben beruht hatte, die Förderungsmittel „widmungswidrig“ verwendet worden waren oder sonstige Förderungsvoraussetzungen, Bedingungen oder Auflagen nicht eingehalten worden waren. Zum Verwendungszweck der Förderungen, der für die Beurteilung der „Widmungswidrigkeit“ erforderlich wäre, enthielten die Richtlinien keine Aussagen.

4.2. Wie beim Fixkostenzuschuss handelt es sich beim Lockdown-Umsatzersatz um eine Förderung bestimmter (begünstigter) Unternehmen. War der betroffene Unternehmensträger Bestandnehmer, war er das Förderungssubjekt. Die Richtlinien enthalten aber, anders als jene zum Fixkostenzuschuss, keine Bestimmung, wonach die Unternehmen zumutbare Maßnahmen setzen mussten, um ihre durch den Zuschuss zu deckenden Fixkosten zu reduzieren. Das folgt aus der Konstruktion dieser Förderung, die am (entgangenen) Umsatz und nicht an den (weiter anfallenden) Fixkosten anknüpfte. Damit bietet Pkt8.4. RL Umsatzersatz keine Grundlage für eine allfällige Rückzahlungspflicht, wenn der Unternehmer als Bestandnehmer eine Mietzinsminderung geltend macht.

4.3. Die Rückforderungsregeln des §3b ABBAG-Gesetz idF BGBlI 2021/228 sind auf den Umsatzersatz ebenfalls nicht anwendbar, weil dieser an den Umsatz der Vergleichsmonate des Vorjahres anknüpft und nicht auf tatsächliche Aufwendungen während des Lockdowns (wie etwa den Bestandzins oder andere Fixkosten) abstellt. Die in der Rechtsprechung zum Fixkostenersatz aufgestellten Grundsätze bauen auf einer möglichen Rückzahlungsverpflichtung von Förderbeträgen iZm der Obliegenheit des Bestandnehmers zur Geltendmachung einer Mietzinsminderung auf und können damit nicht auf den Lockdown-Umsatzersatz übertragen werden. Soweit die Entscheidung 3Ob 36/22y die zum Fixkostenzuschuss angestellten Überlegungen auch auf den Umsatzersatz erstreckt, tritt ihr der Senat aus diesen Gründen nicht bei.

4.4. Der Umsatzersatz knüpft an den Umsatz des Unternehmens im Vergleichsmonat des Vorjahres an und ist damit das (der Höhe nach mit einem Prozentsatz begrenzte) Surrogat für den Gesamtwert der von einem Unternehmen abgesetzten Waren und erbrachten Leistungen eines bestimmten Zeitraums, das an die Stelle des mit den vorhandenen Betriebsmitteln erzielbaren, aber wegen des zweiten Lockdowns tatsächlich nicht erzielten Umsatzes getreten ist. Die Gewährung einer solchen Förderung setzte voraus, dass der Unternehmer grundsätzlich über die Mittel verfügen musste, um – theoretisch – Umsatz zu erwirtschaften. Er musste sowohl im Vergleichsmonat als auch im Antragszeitpunkt über einen Sitz oder eine Betriebs-

stätte in Österreich verfügen und zumindest theoretisch eine operative Tätigkeit ausüben können. Wenn der Unternehmensträger Bestandnehmer und der Bestandgegenstand die Betriebsstätte war, mit der er den vergleichbaren Vorjahresumsatz lukriert hatte, hing die Förderung damit von einem aufrechten Bestandverhältnis ab.

4.5. Insoweit ging der Verordnungsgeber daher von der grundsätzlichen Eignung des Bestandgegenstands zur Ausübung des gewerblichen Zwecks, für den er in Bestand genommen wurde, aus. Denn nur so konnte er unterstellen, dass der geförderte Unternehmer auch in den fraglichen Zeiträumen einen entsprechenden Umsatz erwirtschaftet hätte, der ihm nun (teilweise) ersetzt wurde. Damit mag es zwar zutreffen, dass der Bestandgegenstand wegen des Betretungsverbots faktisch nicht zu dem Zweck verwendet werden konnte, der dem zugrunde liegenden Vertrag entsprach. Indem der Verordnungsgeber aber den Umsatzersatz anhand der tatsächlichen Wirtschaftsleistung des Vergleichsmonats des Vorjahres bemaß, stellte er den Bestandnehmer für die Zeiten des Lockdowns so, als hätte er dort ebenfalls entsprechende Einnahmen erzielen können. Damit fingierte er die (teilweise) Brauchbarkeit des Bestandgegenstands zum bedungenen Zweck auch für die Zeit des Betretungsverbots. Der Unternehmer als Bestandnehmer wurde dadurch so gestellt, als wäre der Bestandgegenstand für ihn nutzbar, weil er daraus letztlich Einnahmen – wenn auch erst im Nachhinein bestimmt und in Form der staatlichen Förderungen – erzielen konnte. Diese Wertung des Verordnungsgebers kann bei der Beurteilung der Frage, ob das Bestandobjekt während des Lockdowns grundsätzlich brauchbar iSd §1096 ABGB (und damit gem §§1104ff ABGB) war, nicht unberücksichtigt bleiben.

4.6. Mit Oberhammer (JBl2021, 493 [503]) sprechen daher die besseren Gründe dafür, nicht von einer gänzlichen Unbrauchbarkeit des Bestandgegenstands für die hier fraglichen Monate des zweiten Lockdowns auszugehen, wenn der Bestandnehmer, der darin sein Unternehmen betrieben hat, einen Lockdown-Umsatzersatz in Anspruch genommen und erhalten hat. Denn ohne Bestand seines Unternehmens im Miet- oder Pachtgegenstand hätte er über keine entsprechende Betriebsstätte verfügt und damit diese Fördermaßnahme nicht beanspruchen können. Im Ergebnis konnte er daher Einnahmen aus dem Bestandgegenstand lukrieren, sodass tatsächlich von einem (wirtschaftlichen) „Nutzen“ aus dem Bestandvertrag auszugehen ist (so Weixelbraun-Mohr, ÖJZ2022, 1241 [1243]). Dieser Nutzen ist auch für die Frage der Brauchbarkeit des Bestandobjekts in Anschlag zu bringen.

4.7. Ob dies auch gelten würde, wenn zwar grundsätzlich ein Anspruch auf Umsatzersatz bestand, dieser aber nicht beantragt oder nicht

143 3/2023 RECHTSPRECHUNG

gewährt wurde, ist hier nicht zu entscheiden. […]

[…] Das Bestandverhältnis der Streitteile ist als Pachtvertrag zu qualifizieren. Da die Klägerin im April 2020 ein Take-away-Service angeboten hat, schuldet sie für den Zeitraum ab 4.4.2020 bis Ende dieses Monats das vereinbarte Entgelt, weil ihr als Pächterin die Bestimmung des §1105 Satz1 ABGB nicht zugutekommt. In den Monaten November und Dezember 2020 war es der Klägerin wegen der zuvor erlittenen Verluste zwar nicht zumutbar, ein solches Geschäftsmodell zu etablieren oder ein Lieferservice einzurichten. Sie hat für diese Zeit jedoch einen Lockdown Umsatzersatz beantragt und erhalten. Aufgrund dieser Förderung kann bei wertender Betrachtung nicht von einer völligen Unbrauchbarkeit des Bestandobjekts ausgegangen werden. Das hat – weil ein Pachtverhältnis vorliegt – zur Konsequenz, dass sie für diese Monate ebenfalls den vereinbarten Bestandzins schuldet. […]

Anmerkung

Die Ausführungen des OGH in der hier besprochenen Entscheidung betreffen, jeweils vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie, zunächst zum einen Fragen der teilweisen bzw vollständigen Unbrauchbarkeit eines Bestandgegenstands im Lichte von §§1104f ABGB iZm Take-away-Service, zum anderen Fragen der Qualifikation eines Bestandverhältnisses (als Pacht oder Miete) iZm §1105 ABGB, wobei der VfGH bekanntlich jüngst keine Bedenken wegen der Ungleichbehandlung von Miete und Pacht hatte (obwohl bereits vor 70 Jahren Klang in seiner Kommentierung von §1105 ABGB in dem von ihm herausgegebenen ABGB-Kommentar erhebliche Zweifel an deren sachlichen Angemessenheit angemerkt hatte). Beide Fragen wurden bereits in Vorentscheidungen vergleichbar entschieden und in weiterer Folge an zahlreichen Stellen besprochen (Ausübung Take-away-Service bzw dessen Nichtausübung, obwohl wirtschaftlich zumutbar, bewirkt [teilweise] Brauchbarkeit des Bestandobjekts).

Im Rahmen dieser Glosse sollen jedoch jene Aussagen dieser Entscheidung besprochen werden, die neu und mehr als (unangenehm) überraschend zu bezeichnen sind: Die Aussagen des OGH zu der – behaupteten – Relevanz eines „Umsatzersatzes“ auf §§1104f ABGB.

Dem OGH ist zunächst vollinhaltlich bei seiner Aussage zuzustimmen, dass der Fixkostenzuschuss (BGBlII 2020/225 idgF) effektiv gezahlte Mietzinse decken, nicht aber den gesetzlichen Mietzinsentfall der Geschäftsraumvermieter wettmachen soll. Der Bestandnehmer war ja primär (schon förderungsrechtlich) verpflichtet, die ihm zustehenden Mietzinsminderungen nach §§1104f ABGB geltend zu machen und damit seine Fixkostenbelastung so gering wie möglich zu halten.

Diese grundsätzlich zutreffenden Ausführungen des OGH verengen aber bereits hier den

Blick auf Bestandzinse unter Außerachtlassung anderer Fixkosten, für die der Fixkostenzuschuss ebenfalls zur Verfügung gestellt wurde und zu verwenden war: Fixkosten eines Unternehmers erschöpfen sich ja nicht ausschließlich in Bestandzinsen.

Der 1.Senat des OGH stellt sich in weiterer Folge geradezu diametral gegen die Ansicht des 3.Senats (in OGH 19.5.2022, 3Ob 36/22y), dass die Erwägungen zum Fixkostenzuschuss auch für den Anspruch auf Umsatzersatz gelten müssen. Der 1.Senat sieht für diesen Widerspruch zu 3Ob 36/22y folgende Gründe: Obwohl der 1.Senat selbst feststellen muss, dass die RL Umsatzersatz „zum Verwendungszweck […] keine Aussagen“ enthielten (nichts anderes bzw genau das wurde zB in Nemetschke/Koloseus, Umsatzersatz und stellvertretendes Commodum, immolex2021, 202 [204], ausgeführt), meint der 1.Senat daraus den Umkehrschluss ziehen zu können, dass deswegen die Umsatzersatz-Rechtslage eine ganz andere als die Fixkosten-Rechtslage wäre, ohne aber die dafür wohl erforderlichen Anspruchs- bzw Rechtsgrundlagen konkret aufzuzeigen. Das Schweigen eines Verordnungsgebers betreffend Verwendungszweck einer staatlichen Förderung kann im Allgemeinen aber ohne entsprechende Aussagen in „Verordnungsmaterialien“ nicht von einem Zivilgericht in eine konkrete Widmung im Sinne eines „beredten Schweigens“ umgedeutet werden. Die konkrete rechtliche Begründung eines „beredten Schweigens“ bzw Rechtsgrundlage für ein derartiges zulässiges Verständnis des Schweigens bleibt der 1.Senat – soweit ersichtlich – schuldig, weshalb diese Deutung des Schweigens unverständlich bleibt.

Der 1.Senat vermeint weiters, dass der Umsatzersatz „am (entgangenen) Umsatz“ anknüpfte, behandelt diesen Umsatz„ersatz“ als „Umsatz“ und zieht daraus den Schluss, dass dieser „Umsatzersatz“ „an die Stelle des mit den vorhandenen Betriebsmitteln erzielbaren, aber wegen des zweiten Lockdowns tatsächlich nicht erzielten Umsatzes getreten“ sei. Dieses Verständnis des OGH ist – ganz vorsichtig ausgedrückt – zumindest nicht zwingend: Dass diese Förderung kein „Surrogat“ für einen tatsächlichen Umsatz darstellen kann, zeigt sich alleine schon aus der Tatsache, dass dieses „Umsatz-Surrogat“ dann wohl auch hätte umsatzsteuerpflichtig gewesen sein müssen. Da dies aber nicht der Fall war, liegt es auf der Hand, dass diese Förderung namens „Umsatzersatz“ zwar an den Vorperiodenumsatz als Berechnungs- bzw Bemessungsgrundlage anknüpft, aber rechtlich und steuerlich nicht als „Umsatz“ gelten (und in allen Konsequenzen auch nicht als ein solcher behandelt werden) kann. Auch bei einer Bezeichnung einer Förderung sollte man nicht vorschnell von der schlichten Bezeichnung auf den normativen Inhalt schließen.

Im Übrigen ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass neben dem vom 1.Senat als „Surrogat“ bezeichneten und behandelten „Umsatzersatz“ vom österreichischen Gesetzgeber parallel (!) andere Förderungen – wie zB Verlust-

RECHTSPRECHUNG 3/2023 144

ersatz – auch den Empfängern von Umsatzersatz für deren wirtschaftliches Überleben zur Verfügung gestellt wurden: Da (auch) der Verlustersatz explizit unter Schadensminderungspflicht des Empfängers und deswegen die Geltendmachung von §§1104f ABGB rechtlich für die Empfänger der Verlustersatz-Förderung verpflichtend war, kann diesen Empfängern nicht gleichzeitig die Geltendmachung von §§1104f ABGB rechtlich mit dem Argument geraubt werden, durch eine andere Förderung – den Umsatzersatz – wäre ein „Surrogat“ des Umsatzes zur Verfügung gestellt worden, daher sei die „Brauchbarkeit“ des Bestandobjekts gegeben und die – für den Verlustersatz erforderlichen! – Geltendmachung von §§1104 f ABGB rechtlich obsolet! Verlustersatz und Umsatzersatz wurden nicht alternativ zur Verfügung gestellt. Aus der positiven Rechtsordnung selbst kann daher logisch-systematisch nur der zwingende Schluss gezogen werden, dass ein erhaltener Umsatzersatz eben kein „Surrogat“ darstellen kann, der einem Bestandobjekt „Benutzbarkeit“ verleiht und damit die Ansprüche des Bestandnehmers nach §§1104f ABGB aushebelt. Des Weiteren bliebe bei dem Verständnis des 1.Senats unbestimmt und unklar, nach welchen Kriterien welche Gläubiger sich an der Förderung „Umsatzersatz“, die ein Bestandnehmer erhält, bedienen dürften bzw eine Weiterreichung an sich selbst rechtlich fordern könnten. Eine proportionale Aufteilung auf eine Gläubigergemeinschaft findet nach österreichischem Recht nur im Rahmen eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens statt, ebenso wie gezielte Eingriffe in bestimmte Vermögengegenstände eines Schuldners nur im Rahmen eines Exekutionsverfahrens. Eine Privilegierung bestimmter schlicht obligatorisch Berechtigter wie zB Bestandgeber gegenüber allen anderen ist aber dem österreichischen Recht vollkommen unbekannt. Mit „Geschäftsgrundlagenüberlegungen“ – wie etwa von Oberhammer (3.1. und 4.6) – lassen sich interpretativ explizite dispositive Gesetzesbestimmungen wie §§1104f ABGB jedenfalls nicht außer Kraft setzen oder „wegzaubern“, solange iSd §1106 ABGB die Vertragsparteien nichts anderes vereinbart haben (Stichworte „Richtigkeitsgewähr des dispositiven Gesetzesrechts“). Die von Oberhammer am zitieren Ort gemachten Ausführungen wären dann – und nur dann – unter Umständen relevant, hätte der Gesetzgeber die §§1104ff ABGB ersatzlos aufgehoben. Dies ist aber nicht der Fall. So bleiben aber seine Ausführungen auf Basis von „Geschäftsgrundlagenüberlegungen“ reine rechtspolitische Überlegungen und rechtspolitische Appelle: Für ein zulässiges Heranziehen von „Geschäftsgrundlagenüberlegungen“ im Rahmen einer Analogie des Geschäftsgrundlagenrechts fehlt es von vornherein an einer (Doppel-)Lücke, da ja die gesetzlichen Bestimmungen von §§1104ff ABGB gelten, solange der österreichische Gesetzgeber sie nicht aufhebt.

Der 1.Senat übersieht weiters, dass sich die Nutzbarkeit oder Nichtbenutzbarkeit eines Bestandobjekts iSd §§1104f ABGB an den Ver-

hältnissen am Bestandobjekt bemisst und nicht subjektiv an den (finanziellen) Verhältnissen des Bestandnehmers und Förderempfängers.

§§1104f ABGB knüpfen aber nicht an finanzielle Mittel oder den finanziellen Status des konkreten Bestandnehmers an, sondern an die objektive Benutzbarkeit bzw Nichtbenutzbarkeit des konkreten Bestandobjekts nach dem konkreten Vertragszweck.

Die Umsatzersatz-Förderung hat daher tatsächlich weder mit der objektiven Nutzbarkeit des Bestandobjekts noch mit dem konkreten Vertragszweck auch nur irgendetwas zu tun: Der „konkrete Vertragszweck“ eines Geschäftsraumbestandvertrags liegt (ganz sicher) nicht in der Erfüllung einer Antragsvoraussetzung für den Abschluss von (im Zeitpunkt des Abschlusses des Bestandvertrags den Vertragsparteien unbekannten) Förderverträgen.

Ein Vermengen beider Sphären – Bestandobjekt/Bestandnehmer – würde auch letztlich auf die ganz merkwürdige – und mit §§1104ff ABGB nicht in Einklang zu bringende – Situation hinauslaufen, dass Benützbarkeit eines Bestandobjekts stets – aller außerordentlicher Zufälle iSd §§1104ff ABGB zum Trotz – gegeben sein müsste, wenn und solange sich der konkrete Bestandnehmer den Bestandzins aus welchen Gründen auch immer (zB wegen einer erhaltenen Förderung) noch „leisten“ könne, obwohl das Bestandobjekt objektiv nicht vertragsgemäß nutzbar ist. Folgt man diesen Überlegungen des 1.Senats, dann müsste ein von Feuer, einer großen Überschwemmung oder einem Wetterschlag betroffener Bestandnehmer, dessen Bestandobjekt durch eines dieser Ereignisse unbrauchbar geworden ist, seine Rechte gem §§1104f ABGB verlieren, wenn er staatliche Hilfe oder private Versicherungsleistungen erhält.

Der 1.Senat vermeidet sichtlich die Qualifikation seiner Überlegungen hinsichtlich des Umsatzersatzes als „stellvertretendes Commodum“, bezeichnet aber den Umsatzersatz als „Surrogat“, das frappant an die Terminologie der Rechtsfigur „stellvertretendes Commodum“ erinnert. Dass es sich bei dem Umsatzersatz aber um kein stellvertretendes Commodum iSd österreichischen Rechts handeln kann, da – wie man es auch dreht und wendet – kein einziges Kriterium eines stellvertretenden Commodums iZm dem Umsatzersatz erkennbar ist, liegt aber auf der Hand (zu alldem im Detail Nemetschke/Koloseus, immolex2021, 202):

• Es ist kein untergegangener Leistungsgegenstand oder Vermögenswert auf Seiten des Bestandnehmers erkennbar. Die (untergegangene) Nutzungsmöglichkeit ist kein „Vermögenswert“ des Bestandnehmers, sondern betrifft ja die Leistung des Bestandgebers.

• Der rechtliche Wegfall der Bestandzinszahlungspflicht stellt keinen untergegangenen Vermögenswert des Bestandnehmers dar.

• Ein weggefallener Umsatz ist nicht der geschuldete Leistungsgegenstand eines Bestandnehmers. Der Bestandzins ist entweder ein fixer (daher umsatzunabhängiger)

145 3/2023 RECHTSPRECHUNG

Bestandzins oder ein umsatzabhängiger Bestandzins, wobei dann der Umsatz als Berechnungsgrundlage, aber ebenfalls nicht per se als Leistungsgegenstand dient (keine Globalzession).

Da der Lockdown-Umsatzersatz – wie vom 1.Senat selbst völlig richtig festgestellt – eben gerade keinen bestimmten Verwendungszweck aufweist, kann auch keine bestimmte Widmung für einen bestimmten Verwendungszweck, etwa für Bestandzinse, fingiert werden. Man mag das Fehlen eines bestimmten Verwendungszwecks aus Bestandgebersicht rechtspolitisch beklagen oder eine andere Regelung für wünschenswert erachten. Rechtspolitische Wünsche können aber keine Rechtsgrundlagen schaffen und auch nicht klare explizite gesetzliche Regelungen (§§1104f ABGB) ersetzen oder Schweigen des Verordnungsgebers in Widmungen als „Surrogate“ für einen bestimmten Zweck bzw für bestimmte Endempfänger (Vermieter) umdeuten. Der Bestandvertrag kann weder als Anspruchsgrundlage eines Bestandgebers für staatliche Förderungen dienen, noch kann aus dem Fördervertrag auf einen Rechtsverlust des Bestandnehmers aus dem ABGB – wie zB §§1104f ABGB – geschlossen werden. Derartige Annahmen entbehren jeder Rechtsgrundlage. Weitere Fragen, deren Abhandlung aber den Rahmen dieser Glosse sprengen würden: Wie ist mit Förderungen, die als unionsrechtswidrig erkannt werden, und den diesbezüglich erfolgenden Rückforderungen der COFAG umzugehen? Zusatzfrage: Wie sieht es aus, wenn die Rückforderung erst nach rechtskräftiger Entscheidung im Zivilverfahren erhoben wird? Und, last but not least, stellen sich auch auf verfassungsrechtlicher Ebene nicht ganz unerhebliche Fragen: Dem Verordnungsgeber der Verordnungen betreffend Lockdown-Umsatzersatz (BGBlII 2020/467 idgF bzw BGBlII 2020/503 idgF) fehlt jede (verfassungsrechtliche) Kompetenz, die §§1104f ABGB überlagernde oder ersetzende oder diese aufhebende oder diese ergänzende oder diese „authentisch interpretierende“ Regelungen zu erlassen. Der Verordnungsgeber ist jedenfalls verfassungsrechtlich nicht dazu befugt gewesen, derartige selbständige (zB §§1104f ABGB ändernde) Verordnungen zu erlassen, da selbständige Verordnungen einer ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Ermächtigung des Verfassungsgesetzgebers für den Verordnungsgeber bedürfen (vgl zB Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht, 71, 159, 163f; Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht5, Rz773ff). Eine solche verfassungsrechtliche Ermächtigung für den LockdownUmsatzersatz-Verordnungsgeber liegt aber –wohl ganz unstrittig – nicht vor. Daher ist eine Interpretation der Lockdown-UmsatzersatzVerordnungen in dem Sinne, dass durch diese Verordnungen das normative Verständnis bzw der normative Inhalt von §§1104f ABGB vorgegeben, beeinflusst oder vom gesetzlichen Tatbestandsbild verändert wäre, von vornherein denkunmöglich und unzulässig, da dies ganz of-

fenkundig verfassungswidrig wäre. Es ist vielmehr eine verfassungskonforme Interpretation –soweit im Rahmen der anerkannten Interpretationsmethoden möglich – geboten. Genau dies hat aber der 3.Senat in 3Ob 36/22y völlig zutreffenderweise vorgenommen.

Im Übrigen wäre es ebenso verfassungswidrig anzunehmen, der Gesetzgeber hätte tatsächlich den Verordnungsgeber zur Erlassung einer Verordnung ermächtigt, die in der Gesamtschau von einer Förderung ausgeschlossene Unternehmer (zB wegen Steuerdelikten etc) besser als förderberechtigte Unternehmer gestellt hätte, da letzteren die Rechte nach §§1104ff ABGB wegen Erhalt der Förderung nicht zustehen sollten, zB steuerrechtlich vorbestraften Unternehmern aber schon. Ein derartiges Besserstellen von rechtswidrig handelnden Unternehmern gegenüber nicht rechtswidrig handelnden Unternehmern wäre schlichte Willkür, unsachlich und würde dem Gesetzgeber unterstellen, zur Erlassung verfassungswidriger (unsachlicher) Verordnungen zu ermächtigen. Auch aus diesem Grund muss ein derartiges Verständnis der Umsatzersatz-Verordnungen aus zwingenden verfassungsrechtlichen Gründen ausscheiden.

Der 1.Senat hat sich bei seinen Ausführungen (3.3 und 4.6) schließlich noch auf Ausführungen von Weixelbraun-Mohr in ÖJZ 2022, 1241 (1243), berufen, wonach ein Bestandnehmer Einnahmen in Gestalt des Umsatzersatzes aus dem Bestandgegenstand lukrieren konnte, „sodass tatsächlich von einem (wirtschaftlichen) ,Nutzen‘ aus dem Bestandvertrag auszugehen“ wäre. Dieser Nutzen wäre auch für die Frage der Brauchbarkeit des Bestandobjekts in Anschlag zu bringen. Auch diesen Ausführungen kann aus rechtlicher Sicht schon aus folgendem Grund nicht gefolgt werden: Es ist einhellige Rechtsansicht und auch selbst bekundete Ansicht des 1.Senats (Rz24), dass für die Frage der eingeschränkten oder gar verhinderten Nutzbarkeit eines Bestandobjekts der konkrete Vertragszweck entscheidend ist (vgl zB OGH 25.11.2021, 3Ob 184/21m; 13.12.2021, 5Ob 192/21b, etc).

Es ist aber – wie bereits erwähnt – natürlich nicht der „konkrete Vertragszweck“ eines Geschäftsraumbestandvertrags, als Grundlage für Anträge betreffend Umsatzersatz zu dienen und so einen vertragsgemäßen „Nutzen“ für den Bestandnehmer zu lukrieren.

Aus all diesen Gründen kann daher dem OGH in seinen Ausführungen zur Relevanz des Umsatzersatzes hinsichtlich §§1104ff ABGB nicht gefolgt werden: Wie auch immer gewendet zeigen sich de lege lata keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass eine Umsatzersatz-Förderung an einen Bestandnehmer allein deswegen eine (teilweise) Brauchbarkeit des betroffenen Bestandobjekts iSd §§1104ff ABGB erschafft. Im Gegenteil.

Alfred Nemetschke und Konrad Koloseus Dr. Alfred Nemetschke, LL.M. und Dr. Konrad Koloseus, LL.M. sind Rechtsanwälte in Wien und Partner bei Nemetschke Huber Koloseus Rechtsanwälte GmbH.

RECHTSPRECHUNG 3/2023 146

§1105 ABGB immo aktuell 2023/24

Mietzinsminderung nach §1105 ABGB

während der COVID-19-Pandemie

OGH 12. 4. 2023, 5 Ob 192/22d

Ein Umsatzrückgang ist ein Indiz für eine Gebrauchsbeeinträchtigung, sofern er auf eine Zinsminderung rechtfertigende behördliche Maßnahmen und nicht auf weniger eingreifende Maßnahmen oder auf die allgemeine pandemiebedingte Unlust der Kunden zurückzuführen ist. Ist eine Benutzungsbeeinträchtigung an sich erwiesen, lässt sich aber das Ausmaß der Zinsminderung nicht exakt berechnen, dann kann auch eine Ermessensentscheidung des Gerichts gem §273 ZPO erfolgen.

Sachverhalt: Die Klägerin ist Eigentümerin einer Liegenschaft, auf der ein Einkaufszentrum errichtet ist. Die Beklagte hat darin ein Objekt mit einer Fläche von 1.414m2 angemietet, in dem sie vereinbarungsgemäß ein Fitnessstudio betreibt. Sie bezahlte für die Monate Juli 2020 und Oktober 2020 den fälligen Bestandzins nicht in der ihr vorgeschriebenen Höhe. Auch für die Monate Mai 2021 bis Juli 2021 bezahlte sie die fälligen Mietzinse nur in geminderter Höhe. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind Mietzinsforderungen der Klägerin für die Monate Juli 2020 und Oktober 2020 sowie die Zeit ab 19.5.2021 bis Juli 2021. Sie brachte dazu vor, in diesen Zeiträumen hätten keine Betretungsverbote entsprechend §1 COVID-19-Maßnahmengesetz und der darauf basierenden Verordnungen bestanden. Der Betrieb des Fitnessstudios sei mit einem entsprechenden Sicherheitskonzept möglich gewesen, weswegen sich die Beklagte auf keinen Mietzinsminderungsanspruch nach den §§1104ff ABGB berufen könne.

Die Beklagte wendete ein, durch die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie, insb der Betriebsbeschränkungen und Abstandsregelungen, auf den Geschäftsbetrieb sei der ungestörte Gebrauch des Bestandobjekts auch außerhalb von Zeiten, in denen Betretungsverbote gegolten hätten, nicht möglich gewesen.

Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichts ab, mit dem es das Klagebegehren überwiegend abgewiesen hatte, und verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 29.823,46€ sA. Das Mehrbegehren wies es rechtskräftig ab. Unter Berufung auf die Entscheidung zu 3Ob 209/21p gelangte es zum Ergebnis, dass bei einem Geschäftslokal, das im Wesentlichen vom Kundenverkehr lebe, behördliche Betretungsverbote (für Kunden) zur Unbenutzbarkeit führten. Demgegenüber sei die bloße Angst vor einem Ansteckungsrisiko nicht unter §1104 ABGB zu subsumieren, weil insoweit der Bezug zum Bestandobjekt fehle. Ein Ansteckungsrisiko bei einer Pandemie bestehe überall; alle Menschen, somit sowohl Mieter als auch Vermieter, seien davon betroffen. Ausgehend von diesen Überlegungen könne daher dahingestellt bleiben, ob und, wenn ja, welche Umsatzrückgänge die beklagte Mieterin aufgrund der Pandemie erlitten habe. Zweifellos handle es sich bei Abstandsregelungen um behördliche Vorgaben, deren Einhaltung eine Beeinträchtigung der Nutzung eines Fitnessstudios nach sich ziehen könnten. Dass der schlechte Geschäfts-

gang in den Zeiten außerhalb von Betretungsverboten auf die behördlich verfügten Maßnahmen – wie die Einhaltung eines Mindestabstands – zurückzuführen wäre, hätte aber die beklagte Mieterin unter Beweis stellen müssen. Die entsprechende Negativfeststellung des Erstgerichts geht daher zu ihren Lasten. Rechtliche Beurteilung: 1. Nach nunmehr gesicherter Rechtsprechung ist die COVID-19-Pandemie als „Seuche“ iSd §1104 ABGB zu werten, sodass die aufgrund dieser Pandemie durch Gesetz oder Verordnung angeordneten Betretungsverbote für Geschäftsräume in Bestandobjekten grundsätzlich zu deren Unbenutzbarkeit führen (RIS-Justiz RS0133812).

1.1 Ist der bedungene Gebrauch des Bestandobjekts durch Kundenverkehr gekennzeichnet, so kann ein Betretungsverbot aus Anlass der COVID-19-Pandemie zur (gänzlichen) Unbenutzbarkeit des Bestandobjekts iSd §1104 ABGB führen (3Ob 78/21y; 3Ob 184/21m; 8Ob 131/21d). Ist die vertragsgemäße charakteristische Nutzung hingegen nur eingeschränkt, so kommt es gem §1105 ABGB zu einer Mietzinsminderung im Umfang der Gebrauchsbeeinträchtigung nach der relativen Berechnungsmethode. Bei der Ermittlung des Restnutzens ist erforderlichenfalls §273 ZPO anzuwenden (5Ob 192/21b mwN). Die von der Klägerin geltend gemachten Mietzinsforderungen betreffen keine Zeiträume, für die ein behördliches Betretungsverbot bestand.

1.2 Die Frage, ob ein Bestandgegenstand (teilweise) unbenützbar ist, ist nach dem Vertragszweck zu beurteilen. Die Bestandsache muss eine Verwendung zulassen, wie sie gewöhnlich nach dem Vertragszweck erforderlich ist und der Verkehrssitte entspricht. Mangels anderer Vereinbarungen ist eine mittlere (durchschnittliche) Brauchbarkeit geschuldet (RS0021054; RS0020926). Für die Beurteilung ist daher in erster Linie die (ausdrückliche) Parteienvereinbarung bzw der dem Vertrag zugrunde gelegte Geschäftszweck maßgeblich (RS0021044).

1.3 Ein Umsatzrückgang als solcher reicht im Allgemeinen für sich allein nicht aus, um eine Mietzinsminderung zu begründen (vgl RS0119192 [T5, T6]; RS0117011 [T4, T5]).

2. Nach der Entscheidung 3Ob 209/21p, auf die sich auch das Berufungsgericht stützte, ist eine differenzierte Betrachtung erforderlich: Soweit Umsatzeinbußen des Geschäftsraummieters eine unmittelbare Folge der COVID-19Pandemie sind, die sämtliche Unternehmer wie (auch) den Mieter des Geschäftslokals, insb dessen gesamte Branche, allgemein und insgesamt treffen, sind diese dem Unternehmerrisiko zuzuordnen und daher für den zu zahlenden Mietzins nicht relevant. Diese Auswirkungen der Pandemie sind keine Gebrauchsbeeinträchtigungen des vom Vermieter vereinbarungsgemäß zur Verfügung zu stellenden Objekts. Lassen sich hingegen Umsatzeinbußen des Geschäftsraummieters auf behördliche Maßnahmen, hier also

147 3/2023 RECHTSPRECHUNG

auf jene Betretungsverbote zurückführen, die anlässlich der COVID-19-Pandemie verfügt wurden, sind sie konkrete Folgen einer objektiven Einschränkung des vertraglich bedungenen Gebrauchs des Bestandobjekts und im Rahmen einer Mietzinsminderung zu berücksichtigen.

3. Diese Ansicht wurde in der Folge in den Entscheidungen zu 9Ob 84/21z, 10Ob 46/22w und 4Ob 221/22m bestätigt, sodass von einer mittlerweile gefestigten Rechtsprechung auszugehen ist. Im Hinblick darauf liegt auch die vom Berufungsgericht als erheblich erachtete Rechtsfrage nicht (mehr) vor (vgl RS0112921; RS0112769). Davon abzugehen besteht ungeachtet der in der Literatur geäußerten Kritik (Vonkilch, Neues zum Mietzinsentfall infolge der Corona-Pandemie, wobl2022, 358; Vonkilch, Von subjektiven Gebrauchswünschen und objektiven Nutzungsmöglichkeiten, vorzeitig aufgelösten Studentenheimverträgen und der COVID-19-Pandemie als allgemeinem Unternehmerrisiko, wobl2022, 264 [274f]; Kronthaler, Zur Reduktion der Geschäftsraummiete während der Pandemie, ImmoZak2022, 56) kein Anlass. Im hier zu beurteilenden Fall geht es auch nicht um den Restnutzen eines Geschäftslokals während eines Betretungsverbots, sondern um Umsatzrückgänge, die gerade nicht in Zeiten einer behördlichen Schließung eingetreten sind, sodass entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ein Spannungsverhältnis der referierten Judikatur zu 4Ob 218/21v nicht zu erkennen ist. Zu 7Ob 207/ 21y wurde lediglich auf die vom 3.Senat zu 3Ob 209/21p abgelehnten Meinungen in der Literatur Bezug genommen, nicht aber zu der vom 3.Senat vertretenen Rechtsansicht Stellung genommen, sodass sich eine erhebliche Rechtsfrage entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auch mit einem Verweis auf diese Entscheidung nicht begründen lässt.

4. […]

4.1 Der vorliegende Fall ist dadurch geprägt, dass die von der Beklagten begehrte Mietzinsminderung nicht mit behördlichen Schließungen des Geschäftslokals begründet wird, sondern mit weniger gravierenden (aber ebenfalls durch die Pandemie verursachten) behördlichen Eingriffen, die den Geschäftsgang negativ beeinflusst hätten.

4.2 Umsatzeinbußen des Geschäftsraummieters können zwar ein Indiz für eine Gebrauchsbeeinträchtigung des Mietobjekts sein, die dann allenfalls auf behördliche Maßnahmen zurückgeführt werden kann (3Ob 209/21p ua). Jüngst hat der 4.Senat klargestellt, dass unter behördlichen Maßnahmen, mit denen Umsatzeinbußen als „konkrete Folgen einer objektiven Einschränkung des vertraglich bedungenen Gebrauchs des Bestandobjekts“ einhergehen, nicht nur Betretungsverbote zu verstehen sind, sondern auch mit weniger gravierenden Folgen verbundene (aber ebenfalls durch die Pandemie verursachte) behördliche Eingriffe, wie etwa Zutrittsbeschränkungen durch die Begrenzung der zulässigen Kundenzahl und die Anordnung von einzu-

haltenden Mindestabständen (vgl 4Ob 221/22m [2.1.f; anders dagegen zur Maskenpflicht 2.3.]).

4.3 Auch das Berufungsgericht hielt ausdrücklich fest, dass es sich bei Abstandsregelungen um behördliche Vorgaben handle, deren Einhaltung eine Beeinträchtigung der Nutzung eines Fitnessstudios nach sich ziehen konnten. Die Beweispflicht für die mangelnde Brauchbarkeit des Bestandobjekts, die eine Zinsminderung rechtfertigt, trifft aber den Bestandnehmer (RS0021416; 8Ob 131/21d). Damit oblag der Beklagten der Beweis, dass der Geschäftsrückgang konkrete Folge einer durch behördliche Maßnahmen herbeigeführten objektiven Einschränkung des vertraglich bedungenen Gebrauchs des Bestandobjekts war.

4.4 […] Inwieweit – wenn auch nur ungefähr – der Betrieb der Beklagten durch die behördlich angeordneten Maßnahmen (wie etwa den Mindestabstand) beeinträchtigt worden ist, steht aufgrund der insoweit eindeutigen (Negativ-)Feststellung nicht fest. Damit kann der von ihr ins Treffen geführte Umsatzrückgang in den hier zu beurteilenden Zeiträumen ebenso gut auf geringerwertige, die Gebrauchstauglichkeit des Mietobjekts nicht beeinträchtigende und die Allgemeinheit treffende staatliche Eingriffe wie die Maskenpflicht (dazu 4Ob 221/22m) oder auch nur auf eine pandemiebedingte allgemeine Unlust der Kunden zum Besuch von Fitnessstudios in dieser Zeit, die aber die gesamte Branche, allgemein und insgesamt betroffen hat (3Ob 209/21p; 9Ob 84/21z), zurückgeführt werden. Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht bei dieser Sachverhaltsgrundlage zum Ergebnis gelangte, dass die Beklagte den ihr auferlegten Beweis nicht erbracht hat.

4.5 Ob §273 ZPO anzuwenden ist, ist zwar eine rein verfahrensrechtliche Frage (RS0040282). Eine Ermessensentscheidung nach dieser Bestimmung kommt aber nur in Betracht, wenn feststeht, dass der Partei eine Forderung (hier der Anspruch auf Mietzinsminderung) grundsätzlich zusteht (RS0040364). […]

Anmerkung

Die hier dargestellte Entscheidung des OGH beschäftigt sich mit rechtlichen Fragen rund um die Mietzinsminderung nach §1105 ABGB iZm der COVID-19-Pandemie und bestätigt dazu bereits ergangene Feststellungen der Vorjudikatur. Insb ist mittlerweile höchstgerichtlich klargestellt, dass eine Mietzinsminderung nach §1105 ABGB auch außerhalb von Lockdowns (gänzliche Schließungen) in Betracht kommen kann (vgl OGH 28.2.2023, 4Ob 221/22m), was auch eine der wesentlichen Fragen des gegenständlichen Verfahrens war (Pkt4.1 der rechtlichen Begründung).

Die hier nun besonders interessierenden Gesichtspunkte betreffen zum einen die Frage, ob bzw inwieweit aus einem Umsatzrückgang auf eine Gebrauchsbeschränkung des Mietobjekts geschlossen werden darf, und zum anderen die

RECHTSPRECHUNG 3/2023 148

Frage der Bemessung einer zustehenden Mietzinsminderung im Falle einer grundsätzlich („dem Grunde nach“) festgestellten Benutzungsbeeinträchtigung des Mietobjekts iSd

§1105 ABGB.

Zum Themenkreis „Umsatzrückgang“ – „Gebrauchsbeschränkung“ des Mietobjekts iSd

§1105 ABGB: Entscheidend für das Kriterium Benützbarkeit/ Unbenutzbarkeit eines Bestandobjekts iSd §§1104ff ABGB ist bekanntlich zunächst der von den Vertragsparteien bedungene Gebrauch (vgl zB OGH 12.4.2023, 5Ob 192/22d). Für die Beurteilung, welcher Gebrauch bedungen ist, ist damit in erster Linie die ausdrückliche Parteienvereinbarung bzw der von den Vertragsparteien dem Vertrag zugrunde gelegte Geschäftszweck maßgeblich (vgl zB OGH 12.4.2023, 5Ob 192/22d). Der bedungene Gebrauch von Bestandobjekten zu Zwecken eines Fitnessstudios einerseits und für Zwecke des Handels andererseits ist unterschiedlich, auch wenn in beiden Fällen von „Kundenverkehr“ gesprochen werden kann: Der Gebrauch eines Fitnessstudios setzt zwingend physische Anwesenheit voraus und kann durch Nachfolgeperioden/-termine nicht wieder aufgeholt werden, Handel lässt – im Gegensatz zur Fitnessstudios – das Aufschieben und Nachholen der Geschäftsabschlüsse bzw eine Substitution durch OnlineHandel etc zu.

Für die Beurteilung, ob iSd §1104 ABGB das Bestandobjekt für den bedungenen Gebrauch nutzbar ist oder nicht, ist nach der Rechtsprechung (hingegen) ein objektiver Maßstab anzuwenden (zB OGH 24.3.2022, 3Ob 209/21p).

Der OGH hat mehrmals (zB OGH 24.3.2022, 3Ob 209/21p, Rz29) festgehalten, dass im Sinne eines derartigen „objektiven Maßstabs“ eine derartige „objektive Einschränkung“ des vertraglich bedungenen Gebrauchs des Bestandobjekts in behördlichen Maßnahmen, die anlässlich der COVID-19-Pandemie verfügt wurden, liegen kann.

Die persönliche, sachliche und zeitliche Geltung der geltenden behördlichen Maßnahmen hinsichtlich eines davon direkt betroffenen Bestandobjekts schafft damit in diesem Sinne den objektiven Nachweis der Unbenutzbarkeit/eingeschränkten Benutzbarkeit des Bestandobjekts. Aus welchen subjektiven Befindlichkeiten die vom behördlichen Betretungsverbot betroffenen Kunden hingegen das Bestandobjekt wie hier das Fitnesscenter letztlich nicht betreten, ob aus Rechtstreue (hinsichtlich des behördlich verhängten Betretungsverbots) oder aus „eingeschränkter Konsumlust“ oder aus sonstigen „Unlustgefühlen“ oder aus „Ohnmacht“ vor der Gesamtsituation, kann bei einer nachgewiesenen objektiven Unbenutzbarkeit keine Rolle mehr spielen. Ist ein objektives Nutzungshindernis gegeben (zB Behördeneingriff mit Relevanz für Kundenbetretung bei Bestandobjekten mit Kundenverkehr), dann sind §§1104ff ABGB objektiv gegeben und schließt das die rechtliche Relevanz von subjektiven Motiven von Kunden nach §1107 ABGB logisch aus: Richtet sich eine

Behördenmaßnahme an (potenzielle) Kunden des Bestandnehmers, dann ist deren Reaktion (gehorsame Befolgung der Behördenmaßnahme, dadurch bewirkte Kunden-Unlustgefühle usw) daher nicht der Sphäre des Bestandnehmers iSd §1107 ABGB zuzurechnen. Nach der Rechtsprechung des OGH stellen Umsatzrückgänge per se keine „objektive“ Nutzungsbeeinträchtigung dar (zB OGH 24.3.2022, 3Ob 209/21p) und reicht als solcher im Allgemeinen für sich allein nicht aus, um eine Mietzinsminderung zu begründen (vgl oben Pkt1.3 der rechtlichen Begründung). Der OGH hat jedoch auch bereits festgestellt (OGH 22.11.2022, 10Ob 46/ 22w), dass „Umsatzrückgänge dann zu einer Mietzinsminderung führen, wenn sie Ausdruck, das heißt unmittelbare Folge der – etwa wegen behördlicher Maßnahmen – eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit des konkreten Geschäftslokals sind“ (vgl oben Pkt2. der rechtlichen Begründung).

Das bedeutet, dass für den OGH Umsatzrückgänge als solche selbst keine „Gebrauchsbeeinträchtigung“ darstellen, sondern dass Umsatzrückgänge iZm §§1104ff ABGB als („unmittelbare“) Folge/ Konsequenz einer Gebrauchsbeeinträchtigung zu verstehen sind.

Nach der hier besprochenen Entscheidung (vgl oben Pkt4.1 der rechtlichen Begründung) sind Umsatzeinbußen eines Geschäftsraummieters aber eben auch ein „Indiz“ für eine Gebrauchsbeeinträchtigung des Mietobjekts. Damit ist insoweit Klarheit erzielt, dass (auch) nach Ansicht des OGH insoweit Umsatzrückgänge als (den Eindruck verstärkendes) Indiz auf eine konkrete Betroffenheit des Bestandobjekts iZm §§1104ff ABGB sowie jedenfalls im Rahmen der sich vorzunehmenden Bemessung der zustehenden Mietzinsminderung zu beachten sind. Zum Themenkreis „Bemessung einer Mietzinsminderung im Rahmen von §1105 ABGB“: Ist eine Nutzungsbeeinträchtigung des konkreten Bestandobjekts im Rahmen des vertraglich vereinbarten Verwendungszwecks iSd §§1104ff ABGB – insb durch Behördeneingriffe – dem Grunde nach nachgewiesen, so hat nach bisheriger Rechtsprechung grundsätzlich das Gericht die Mietzinsminderung anhand der relativen Berechnungsmethode durch den Vergleich des Mietzinses für das mangelfreie Mietobjekt und dem Mietzins, der für das Mietobjekt mit Mangel erzielt werden kann, festzustellen (vgl oben Pkt1.1 der rechtlichen Begründung): Daher wäre die Minderung durch Vergleich des vereinbarten Bestandzinses zu jenem Bestandzins zu ermitteln, der trotz Gebrauchsbeeinträchtigung am Markt zu erzielen wäre. Maßgebend sind der Grad und die Dauer der Unbrauchbarkeit. Ein Heranziehen der „relativen Berechnungsmethode“ in diesem Zusammenhang wirft aber erhebliche praktische Probleme auf: Im Beweisverfahren müsste die zu klärende Frage dann lauten: „Was wäre zum Zeitpunkt des [Bestand]vertragsabschlusses der für das Bestandobjekt am Markt an Mietzins zu erzielen gewesen, wenn man damals die durch COVID-19 nunmehr herbeigeführten Gebrauchsbeeinträchtigungen angemessen in Rechnung gestellt hätte?“ (Formulierung

149 3/2023 RECHTSPRECHUNG

von Vonkilch, Mietzinsminderung bei der Geschäftsraummiete wegen COVID-19 „jenseits“ der Lockdowns, wobl2021, 321 [328]). Eine wahrhaftige Antwort auf diese Frage ist realistischerweise schlicht unmöglich. Bei Ermittlung des Restnutzens ist daher in aller Regel – weil „erforderlich“ im Sinne von „praktisch unvermeidlich“ – §273 ZPO anzuwenden, wobei das Gericht in diesem Rahmen dann dafür auch Periodenvergleiche – und damit Bezugnahmen auf Umsatzrückgänge – heranziehen kann (in diesem Sinne auch bereits OGH 1.12.2005, 2Ob 275/05p: „Es ist auch nicht zu beanstanden, wenn sich das Berufungsgericht bei der Bemessung der Höhe der Zinsminderung gem §273 ZPO am festgestellten Umsatzrückgang von rund 20% orientiert hat. Hingegen ist die von ihm vorgenommene weitere Reduktion auf 15% wegen bloß für möglich gehaltener, nicht näher bezeichneter anderer wirtschaftlicher Faktoren nicht angebracht“; ebenso zB OGH 22.11.2022, 10Ob 46/22w: „Davon ausgehend können – wie bereits in der Entscheidung 9Ob 84/21z festgehalten – Umsatzrückgänge dann zu einer Mietzinsminderung führen, wenn sie Ausdruck, das heißt unmittelbare Folge der –etwa wegen behördlicher Maßnahmen – eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit des konkreten Geschäftslokals sind“).

Nach höchstgerichtlicher Rechtsprechung darf im Übrigen bei der Ermittlung des Restnutzens (und damit bei der Ausmessung der Mietzinsminderung) „nicht unberücksichtigt bleiben […], dass wegen der Schwierigkeit der Ermittlung des Restnutzens die Anwendung von §273 ZPO naheliegt (4Ob 218/21v, ErwGr1.2) [sowie] als Parameter dafür Umsatzeinbußen, soweit sie auf anlässlich der COVID-19-Pandemie verfügte behördliche Maßnahmen zurückgehen, heranzuziehen sein können (9Ob 84/21v, 10Ob 46/22w)“ Nach OGH 24.3.2023, 6Ob 239/22y, ist aber nicht nur auf die Veränderung des Umsatzes, sondern auch insgesamt auf die Reduktion des geschäftlichen Ertrags unter Berücksichtigung von Fixkosten und der allfälligen Reduktion variabler Kosten abzustellen, die als Grundlage für eine Entscheidung nach §273 Abs2 ZPO bilden, aber nicht zu einer exakten „Errechnung“ führen können.

Konrad Koloseus und Alfred Nemetschke

Dr. Konrad Koloseus, LL.M. und Dr. Alfred Nemetschke, LL.M. sind Rechtsanwälte in Wien und Partner bei Nemetschke Huber Koloseus Rechtsanwälte GmbH.

§30 Abs2 Z3 Fall2 MRG immo aktuell 2023/25

Unleidliches Verhalten

OGH 20. 4. 2023, 2 Ob 62/23s

Sachverhalt: [1] Die Vorinstanzen erklärten – gestützt auf §30 Abs2 Z3 Fall2 MRG – die gerichtliche Aufkündigung der Klägerin vom 25.3.2022 für rechtswirksam und verpflichteten die Beklagte zur Räumung der gemieteten Wohnräume.

[…] Der OGH wies die außerordentliche Revision der Mieterin zurück.

Rechtliche Beurteilung: […] [3] 1. Eine Kündigung wegen unleidlichen Verhaltens setzt eine Störung des friedlichen Zusammenlebens voraus, die durch längere Zeit fortgesetzt wird oder sich in häufigen Wiederholungen äußert und überdies nach ihrer Art das bei den besonderen Verhältnissen des einzelnen Falls erfahrungsgemäß geduldete Ausmaß übersteigt. Einmalige Vorfälle bilden den Kündigungsgrund nur, wenn sie schwerwiegend sind; jedoch können mehrere, an sich geringfügige Vorfälle den Kündigungstatbestand bilden (RIS-Justiz RS0070303; RS0067678). Es kommt nicht darauf an, ob den Mieter ein Verschulden trifft, sondern darauf, ob das objektiv in Erscheinung tretende Verhalten als ein grob ungehöriges, das Zusammenwohnen verleidendes angesehen werden muss, auch wenn es etwa auf eine geistige Erkrankung zurückgeführt werden kann. Bei krankheitsbedingtem Verhalten ist jedoch eine Interessenabwägung aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls vorzunehmen (RS0067733 [insb T5]), die als typische Einzelfallbeurteilung in der Regel nicht revisibel ist (RS0020957 [T4]).

[4] Stellt der Mieter nach der – für Beurteilung des Vorliegens des Kündigungsgrundes grundsätzlich maßgebenden (RS0070378 [T3]) –Zustellung der Aufkündigung sein unleidliches Verhalten ein, ist diese Verhaltensänderung bei Beurteilung des Gesamtverhaltens mitzuberücksichtigen (RS0067519 [T3]) und kann bei Vorliegen einer positiven Zukunftsprognose zur Abweisung der Klage führen, sofern die Wiederholung der bisherigen Unzukömmlichkeiten ausgeschlossen werden kann (RS0070378 [T2]). Auch die Frage, ob bei einer Verhaltensänderung nach Einbringung der Aufkündigung der Schluss zulässig ist, dass die Wiederholung der bisherigen Unzukömmlichkeiten auszuschließen ist, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden (RS0042790).

[5] 2. Wenn das Berufungsgericht unter Hinweis auf das wiederholte Hinauswerfen von Unrat, Essensresten, Wäsche, aber auch schwereren Gegenständen (Flaschen, Tellern etc) aus der im vierten Stock gelegenen Wohnung auf den Gehsteig sowie den Gang und die Verursachung nächtlichen Lärms durch die an paranoider Schizophrenie und Wahnvorstellungen leidende Beklagten den Kündigungsgrund des §30 Abs2 Z3 Fall2 MRG bejaht, stellt dies keine aufzugreifende Fehlbeurteilung dar. Dasselbe gilt für die negative Zukunftsprognose. Dass eine Wiederholung der bisherigen – nach Aufkündigung zwar gebesserten, aber nicht völlig eingestellten – Unzulänglichkeiten ausgeschlossen wäre, steht gerade nicht fest.

Anmerkung

Die standardmäßigen Aspekte zu einer Standardkündigung: Wie ist es nun wirklich mit der Relevanz einer angeblichen Verhaltensänderung? Kommt es – vgl RS0067534 – nicht doch allein auf das Vorliegen des Kündigungsgrun-

RECHTSPRECHUNG 3/2023 150

des zum Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung an? Ein Kündigungsgrund beruht am Ende im Verlust des Vertrauensverhältnisses der Streitteile; kann danach eine spätere Verhaltensänderung Geschehenes wieder rückgängig machen? Vielleicht haben sich mit der Prognosejudikatur aber auch nur Billigkeitserwägungen in Einzelfällen zu Rechtssätzen verdichtet und verselbständigt.

Johann Höllwerth

§16 Abs2 WEG immo aktuell 2023/26

Terrassenwidmung

OGH 18. 4. 2023, 5 Ob 18/23t

Die Auffassung des Berufungsgerichts, es liege keine bagatellhafte Änderung mehr vor, wenn es durch die Belegung des gesamten Hausgartens mit Terrassenplatten zu einer Widmungsänderung von Garten auf Terrasse gekommen sei, ist nicht korrekturbedürftig.

Sachverhalt: [1] Die Streitteile sind Mit- und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft. Dem Objekt der Beklagten ist ein Garten im Ausmaß von 40,42 m2 als Zubehör zugeordnet. Die Klägerin ist Wohnungseigentümerin der unmittelbar darüber liegenden Wohnung.

[2] Das Erstgericht wies Wiederherstellungs- und Unterlassungsbegehren der Klägerin betreffend Veränderungen dieser Gartenfläche ab.

[3] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge und verpflichtete die Beklagte, binnen zwei Monaten den vorherigen Zustand durch Entfernung der – näher bezeichneten – Terrassenverbauung wiederherzustellen sowie die Verbauung des Gartens als Terrasse und jede ähnliche derartige Handlung zu unterlassen. Den Entscheidungsgegenstand bewertete es mit 5.000€ übersteigend. Die ordentliche Revision ließ es nachträglich zu, weil es bei Beurteilung der Frage, ob die Klägerin als Einzelrechtsnachfolgerin durch die Rechtsnachfolgeklausel an die verfahrensgegenständlichen Änderungen gebunden sei, möglicherweise von der Rechtsprechung des OGH (den Entscheidungen 5Ob 119/20s und 5Ob 219/15s [gemeint: 5Ob 219/16s]) abgewichen sein könnte.

[…] Der OGH wies die Revision der Beklagten zurück.

Rechtliche Beurteilung: [7] 1.1. Gem §16 Abs2 WEG ist der Wohnungseigentümer zu Änderungen (einschließlich Widmungsänderungen) an seinem Wohnungseigentumsobjekt auf seine Kosten unter dort näher beschriebenen Voraussetzungen berechtigt. Der Änderungsbegriff des §16 Abs2 WEG ist nach ständiger Rechtsprechung des OGH weit auszulegen (RIS-Justiz RS0083108 [T1]; RS0083132). Jede Änderung, die eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen anderer Wohnungseigentümer mit sich bringen könnte, bedarf der Zustimmung aller übrigen Wohnungseigentümer oder der Genehmigung durch den Außerstreitrichter in einem Verfahren nach §52 Abs1 Z2 WEG (RS0083132 [T10]). Holt der änderungswillige Wohnungs-

eigentümer die Zustimmung der anderen Miteigentümer oder die Genehmigung des Außerstreitrichters nicht ein oder setzt er sich über den Widerspruch eines anderen Miteigentümers hinweg, handelt er in unerlaubter Eigenmacht und kann im streitigen Rechtsweg zur Beseitigung der Änderung (gegebenenfalls auch zur Unterlassung künftiger Änderungen) verhalten werden (RS0083156; RS0005944).

[8] 1.2. Nach ständiger Rechtsprechung (RS0109247) kann das Vorliegen einer Änderung iSd §16 Abs2 WEG nur für bagatellhafte Umgestaltungen verneint werden. Zu 5Ob 25/ 13g ging der Fachsenat bei Gartengestaltungsmaßnahmen in Form der Errichtung eines Maschendrahtzauns, Verlegung einer Terrassenfläche von (nicht den gesamten Garten umfassenden) 13,5m2 samt Randleiste, Anbringung von drei Betonringen im Boden zur Verwendung als Blumentröge und Errichtung von 8cm hohen Randleisten von bagatellhaften und daher nicht genehmigungsbedürftigen Änderungen aus. Nach der Entscheidung 5Ob 84/18s ist bei der Beurteilung der Genehmigungsbedürftigkeit der Änderung auch die mögliche Interessenbeeinträchtigung der anderen Mit- und Wohnungseigentümer durch eine erhebliche Beeinträchtigung des äußeren Erscheinungsbildes des Hauses (dort ebenfalls Garten) zu berücksichtigen.

[9] 1.3. Die Auffassung des Berufungsgerichts, hier liege keine bagatellhafte Änderung mehr vor, zumal es durch die Belegung des gesamten (!) Hausgartens mit Terrassenplatten zu einer Widmungsänderung von Garten auf Terrasse gekommen sei, ist nicht korrekturbedürftig. Auch wenn die Platten bei schwimmender Verlegung leichter entfernbar sein mögen als aus einem Mörtelbett, lässt sich dies nicht mit einer Abdeckung durch eine Plane vergleichen. Die Abtragung der obersten Erdschicht samt Bewuchs, Anbringung einer Schotterschicht und Verlegung von Terrassenplatten als eine auf Dauer angelegte Widmungsänderung des Hausgartens auf Terrasse zu sehen, bedarf daher keiner Korrektur im Einzelfall. Insoweit unterscheidet sich der Sachverhalt von den Entscheidungen 5Ob 25/13g und 5Ob 84/18s, wo rein oberflächliche Gestaltungsmaßnahmen zu beurteilen waren, die nur einen geringen Teil des Hausgartens betrafen. Auf die Frage, ob – isoliert betrachtet –nur die Änderungen des Terrassenbelags im Jahr 2021 als bagatellhaft zu beurteilen wären, kommt es nicht an, zumal der Hausgarten bereits 2013 grundlegend umgestaltet wurde.

[10] 2.1. Die zu beurteilenden Änderungen hätten daher der Zustimmung sämtlicher übriger Mit- und Wohnungseigentümer bedurft. Wird eine solche Zustimmung der Übrigen erteilt, wirken deren rechtsgestaltende Parteienerklärungen materiellrechtlich. Sie führen die beabsichtigte Rechtsänderung direkt herbei (5Ob 119/20s; 5Ob 219/16s mwN).

[11] 2.2. Eine Zustimmung aller übrigen (damaligen) Mit- und Wohnungseigentümer zu

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den Veränderungen des Hausgartens Top76 lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen. Sie wurde auch nicht schlüssig behauptet, zumal der Umstand, dass sie dagegen „nicht geklagt haben“, dafür nicht ausreichen kann. Die Frage, ob es wohnungseigentumsrechtlich überhaupt denkbar ist, dass die Beklagte (als Rechtsvorgängerin der Klägerin) sich selbst eine – hier ohnedies nicht festgestellte – Zustimmung zu Änderungen an einem anderen in ihrem Wohnungseigentum stehenden Objekt erteilen und diese wirksam an die Klägerin überbinden könnte, bedarf daher keiner näheren Erörterung.

[12] 2.3. Damit unterscheidet sich der Sachverhalt grundlegend von jenem zu 5Ob 119/20s, wonach eine ausdrückliche Zustimmung des Einzelrechtsvorgängers vorlag. Der Antragsteller hatte sämtliche Baumaßnahmen noch vor deren Durchführung mit dem damaligen weiteren Mit- und Wohnungseigentümer, dem Einzelrechtsvorgänger des Antragsgegners und mit diesem selbst besprochen und deren Zustimmung eingeholt. Die vom Berufungsgericht angesprochene Abweichung von der Entscheidung

5Ob 119/20s ist daher nicht ersichtlich. Auch 5Ob 219/16s befasste sich mit der Frage der Bindung des Einzelrechtsnachfolgers an Verfügungsakte im WEG im Fall der außergerichtlich erlangten Zustimmung aller übrigen Mit- und Wohnungseigentümer, die hier weder schlüssig behauptet noch festgestellt wurde.

3. Rechtsnachfolgeklauseln im Kaufvertrag, die die Übertragung sämtlicher Rechte und Pflichten des Veräußerers auf den Erwerber vorsehen, sieht die Rechtsprechung als für eine Überbindung von obligatorischen Rechten ausreichend an (vgl RS0011871; RS0013619), soweit es um Rechte und Pflichten geht, die unmittelbar mit der Nutzung der veräußerten Liegenschaft oder des veräußerten Liegenschaftsanteils zusammenhängen (RS0013619 [T3]; 5Ob 87/20k). Hier bezieht sich der Wiederherstellungs- und Unterlassungsanspruch der Klägerin aber nicht auf den ihr veräußerten Liegenschaftsanteil, sondern denjenigen der Beklagten.

[13] 4.1. Einen Verzicht nach §1444 ABGB auf ihr zustehende Abwehrrechte könnte die Klägerin zwar iSd §863 ABGB auch stillschweigend erklären (RS0014090 [T1]; 5 Ob 219/16s). Allerdings ist bei der Frage des konkludenten Verzichts besondere Zurückhaltung und Vorsicht geboten (RS0014420 [T4]; RS0014090 [T2]; RS0014146 [T5]). Ein Verzicht darf nur angenommen werden, wenn besondere Umstände darauf hinweisen, dass er ernstlich gewollt ist (RS0014190 [T10]), also ein darauf gerichteter Wille des Anspruchsberechtigten aus den festgestellten Verhältnissen eindeutig hervorgeht (RS0014234). Bloße Untätigkeit des Berechtigten selbst über einen längeren Zeitraum reicht für sich allein nicht aus, von einem Verzicht auszugehen (RS0014190 [T9, T11]).

[14] 4.2. Ein Verhalten der Klägerin, das auf einen Verzicht auf ihre dinglichen Abwehrrechte

betreffend die Änderungen im Garten der Top76 schließen ließe, steht nicht fest. Sie war zwar nach Ankauf ihrer Wohnung zunächst untätig, beschwerte sich allerdings unmittelbar nach der Verlegung der dunklen Terrassendielen per Mail bei der Beklagten und forderte die Wiederherstellung des Hausgartens entsprechend den Bestimmungen des Kauf- und Wohnungseigentumsvertrags. Hier nicht von einem rechtswirksamen Verzicht der Klägerin auf ihr zustehende Abwehransprüche auszugehen, ist keine im Einzelfall korrekturbedürftige Fehlbeurteilung.

[15] 5. Damit war die Revision zurückzuweisen. […]

Anmerkung

Die Begründung konnte sich in dem vom erkennenden Senat angenommenen Fall des §510 Abs3 ZPO auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken, weshalb es – zulässig – an der Wiedergabe des entscheidungswesentlichen Sachverhalts fehlt. Daher gibt aber auch der in der Begründung enthaltene knappe Hinweis, dass dem Objekt der Beklagten „ein Garten im Ausmaß von 40,42 m2 als Zubehör zugeordnet [sei]“, zu denken. Sollte damit Zubehör-Wohnungseigentum nach §2 Abs3 WEG 2002 gemeint sein, wofür auch der in der Entscheidung ausdrücklich verwendete Begriff „Hausgarten“ sprechen könnte, dann müsste es sich allerdings – für die übliche kleine Gartenfläche wenig wahrscheinlich – um einen mit dem Wohnungseigentumsobjekt baulich nicht verbundenen Teil der Liegenschaft handeln oder liegt überhaupt eine Wohnungseigentumsbegründung nach dem WEG 1975 vor. Jedenfalls ist aber auch von einer „Widmungsänderung“ die Rede, gemeint angeblich von „Garten“ auf „Terrasse“, was aber wohl wieder ein selbständiges Objekt erfordern würde, könnte doch die Veränderung der der Wohnung vorgelagerten Wiese in eine Terrasse nicht zur Änderung der Wohnungswidmung (worauf?) führen. Da die Klägerin (auch) ein Wiederherstellungsbegehren stellte, war unabhängig von einer fraglichen Widmungsänderung die (in Wahrheit vielleicht einzige) Frage zu klären, ob (auch) eine bloß bagatellhafte Änderung der tatsächlichen Beschaffenheit der betreffenden Fläche oder doch mehr vorliegt. Letzteres hat der erkennende Senat hier im Gegensatz zur Entscheidung OGH 28.8.2013, 5Ob 25/13g, bejaht. Zumindest lässt sich aus dem referierten Vergleich mit der Entscheidung OGH 28.8.2013, 5Ob 25/13g, der (vorsichtige) Schluss ableiten, dass es für die Bagatellhaftigkeit auf den flächenmäßigen Umfang der Änderung ankommt, wird doch betont, dass in der bezeichneten Vorentscheidung nur die „Verlegung einer Terrassenfläche von (nicht den gesamten Garten umfassenden) 13,5m2“ erfolgt sei, während es hier zur „Belegung des gesamten (!) Hausgartens mit Terrassenplatten“ gekommen sei.

RECHTSPRECHUNG 3/2023 152

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