Leseprobe PV-Info | Linde Verlag

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Neue Gesetze und Erlässe

Grenzüberschreitende Homeoffice-Tätigkeit

Für die Praxis

Detailfragen zur Freizeit für die Postensuche

Normalarbeitszeit anders verteilt

Rechtsprechung

Steuerfreiheit von Überstundenzuschlägen

Rückverrechnung des Urlaubszuschusses

Wie viel Dienstleistung darf in einem Werkvertrag stecken?

PV international

Gleichzeitige Karenz der Eltern für unterschiedliche Kinder

Steuerpflichtige Trinkgelder

Monika Kunesch | Christian Artner | Andreas Gerhartl | Rudolf Grafeneder Christa Kocher | Martin Kuprian | Judith Morgenstern Alexandra Platzer | Irina Prinz | Stefan Schuster | Michael Seebacher
Nr. 7
18. Jahrgang / Juli 2023 /

INHALTSVERZEICHNIS

bei grenzüberschreitender Homeoffice-Tätigkeit in der EU,

Impressum

Redaktion:

Chefredakteurin: Mag. Monika Kunesch, LL.M.

Redaktionsteam: Christian Artner; Dr. Andreas Gerhartl; Rudolf Grafeneder; Mag. Christa Kocher; HR Mag. Martin Kuprian; Mag. Judith Morgenstern; Mag. Alexandra Platzer; Dr. Irina Prinz; Mag. Stefan Schuster, LL.M. MBA MSc; Mag. Michael Seebacher.

Medieninhaber und Medienunternehmen:

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E-Mail: office@lindeverlag.at; http://www.lindeverlag.at

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Firmenbuchnummer: 102235x

Fimenbuchgericht: Handelsgericht Wien, ARA-Lizenz-Nr. 3991

Gesellschafter: Anna Jentzsch (35 %) und Jentzsch Holding GmbH (65%)

Geschäftsführer: Mag. Klaus Kornherr, Benjamin Jentzsch

Erscheinungsweise und Bezugspreise:

Erscheint zwölfmal jährlich.

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ISSN 1816-9783

Aktuelles aus der Personalverrechnung 1 Sozialversicherungszuständigkeit
im EWR und in der Schweiz – neue Ausnahmebestimmung für Arbeitnehmer ab 1. 7. 2023 (Monika Kunesch) 1 Detailfragen zur Freizeit für die Postensuche (ChristianArtner) 8 Normalarbeitszeit anders verteilt (Rudolf Grafeneder) 17 Steuerfreiheit von Überstundenzuschlägen eines leitenden Angestellten (Michael Seebacher) 19 Rückverrechnung des Urlaubszuschusses bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses (KVAÜ) (Gastbeitrag Thomas Rauch) 21 Wie viel Dienstleistung darf in einem Werkvertrag stecken? (Christa Kocher) 25 Gleichzeitige Karenz der Eltern für unterschiedliche Kinder (Christa Kocher) 26 Steuerpflichtige Trinkgelder – sonstiger oder laufender Bezug? (Stefan Schuster) 28 Kurz notiert Neue Gesetze und Erlässe Für die Praxis Rechtsprechung PV international

Sehr geehrte Leserinnen, sehr geehrte Leser, Monika Kunesch

jetzt hat sich schlussendlich doch noch etwas bewegt in Sachen grenzüberschreitendes Homeoffice, und Arbeitgeber können aus dem Ausland pendelnden Arbeitnehmern nunmehr ungefähr zwei Homeoffice-Tage gewähren, ohne sich im Wohnstaat der Arbeitnehmer zur Sozialversicherung registrieren zu müssen. Ab 1.7.2023 wird nämlich unter bestimmten Voraussetzungen ein Ausnahmeantrag auf Verbleib der Sozialversicherung im Arbeitgeberstaat möglich sein, wenn das Ausmaß der Homeoffice-Tätigkeit unter 50% liegt – nähere Details dazu finden Sie im ersten Beitrag dieser Ausgabe.

Wieder einmal ist es an der Zeit, Ihnen eine wunderschöne Sommerzeit zu wünschen.

Ihre Monika Kunesch

Aktuelles aus der Personalverrechnung

Mit Wirkung ab 21.6.2023 wurde der Basiszinssatz um 0,5Prozentpunkte auf nunmehr 3,38% erhöht. Das BMF hat daher mit Wirkung ab 21.6.2023 (Erlass des BMF vom 16.6.2023, 2023-0.433.685, BMF-AV 2023/72) die Höhe der Zinssätze für Stundungs-, Aussetzungs-, Anspruchs- und Beschwerdezinsen neu festgesetzt. Die Höhe der Stundungs-, Aussetzungs-, Anspruchs- und Beschwerdezinsen liegt 2Prozentpunkte über dem Basiszinssatz und beträgt somit 5,38%

Die von 1. 5. 2022 bis 30. 6. 2023 befristete Erhöhung von Pendlerpauschale und Pendlereuro wird nicht verlängert (§ 124b Z 395 EStG). Somit müssen in den Personalabrechnungen ab Juli 2023 wieder die alten Werte angesetzt werden.

BMF-Erlass zu Zinserhöhung

Keine Verlängerung des erhöhten Pendlerpauschales

Das Arbeiten im Homeoffice war vor der Pandemie noch die Ausnahme, wurde während der Pandemie zur Notwendigkeit und hat sich nunmehr auf eine abwechselnde Erbringung der Arbeitsleistung im Homeoffice und im Office eingependelt, auf die Arbeitnehmer vielfach nicht mehr verzichten möchten. Wo Arbeitnehmer ihre Arbeitsleistung erbringen, hat allerdings einen wesentlichen Einfluss darauf, welcher Staat sozialversicherungszuständig ist. Die Europäische Kommission hat nunmehr auf die geänderten Bedürfnisse von Wanderarbeitnehmern reagiert und eine neue Ausnahmemöglichkeit auf Verbleib der Sozialversicherungszuständigkeit im Arbeitgeberstaat geschaffen. Für die Personalverrechnung besteht ab Juli 2023 Handlungsbedarf, damit die Sozialversicherungsbeiträge im „richtigen“ Staat abgeführt werden.

Die Verordnung (EG) 883/2004 koordiniert zum Schutz von Wanderarbeitnehmern die nationalen Systeme der sozialen Sicherheit; die nationalen Rechtsvorschriften mit all ihren länderspezifischen Besonderheiten bleiben erhalten. Wesentliches Ziel dieser Koordination ist, dass Personen, die nicht im Beschäftigungsstaat wohnen, zum einen hinsichtlich sozialrechtlicher Belange gleichbehandelt werden, zum anderen innerhalb der EU immer nur einem System der sozialen Sicherheit unterstellt sind, um Komplikationen möglicher Mehrfachunterstellungen zu vermeiden.

Grundsätzliche Regelung

1 EDITORIAL 7/2023
Sozialversicherungszuständigkeit bei grenzüberschreitender Homeoffice-Tätigkeit in der EU, im EWR und in der Schweiz – neue Ausnahmebestimmung für Arbeitnehmer ab 1.7.2023

Beispiel 1

Allgemeiner Anknüpfungspunkt für die Sozialversicherungszuständigkeit ist jener Staat, in welchem die Erwerbstätigkeit ausgeübt wird (Territorialitätsprinzip, Art11 Abs3 lita VO [EG] 883/2004). Das Territorialitätsprinzip muss allerdings in Fällen einer vorübergehenden Beschäftigung in anderen Mitgliedstaaten (Entsendung, Art12 Abs1 VO [EG] 883/2004) und im Falle von parallelen Tätigkeiten in mehreren Mitgliedstaaten (Kollisionsnormen, Art13 Abs1 VO [EG] 883/2004) dem Prinzip der Einfachversicherung weichen. Art16 VO (EG) 883/2004 sieht die Möglichkeit eines Ausnahmeantrags vor, um den entsprechend der Anwendung des Territorialitätsprinzips, der Entsendebestimmung und der Kollisionsnormen bestimmten Zuständigkeitsstaat zu ändern (zu den Grundsätzen bei Homeoffice-Tätigkeit siehe Kunesch, Homeoffice im internationalen Kontext: Sozialversicherungsrechtliche Sicht [Teil2], PV-Info 8/2021, Seite22ff).

PrinzipderEinfachversicherungversus Territorialitätsprinzip

Ausnahmenvom Territorialitätsprinzip

Kollisionsnormen

Entsendung

Art12Abs1VO(EG) 883/2004 biszurHöchstdauervon 24 Monaten

Art13Abs1VO(EG) 883/2004 beiparallelerTätigkeitinmehreren Mitgliedstaaten

Ausnahmegenehmigung

Art16VO (EG)883/2004

Wie dargestellt gilt nach der VO (EG) 883/2004 grundsätzlich das Territorialitätsprinzip So unterliegen Grenzpendler, also Erwerbstätige, die in einem Mitgliedstaat wohnen und in einem anderen Mitgliedstaat arbeiten, grundsätzlich der Sozialversicherungszuständigkeit im Arbeitgeberstaat

Die Anwendung der Entsendebestimmung eröffnet die Möglichkeit, für kurze (nicht mehr als 24 Monate geplante) Remote-Work-Phasen die Sozialversicherungszuständigkeit im zuständigen Mitgliedstaat aufrechtzuhalten. IZm Telework bzw Remote Work könnte von dieser Regelung für „worcation“, also die Verbindung von Arbeit und Urlaub, oder bei notwendiger Betreuung von Angehörigen Gebrauch gemacht werden.

Die Sozialversicherungszuständigkeit von Arbeitnehmern, die ihre Tätigkeit für einen Arbeitgeber parallel in mehreren Mitgliedstaaten, darunter auch im Wohnmitgliedstaat, ausüben, ist nach Art13 Abs1 VO (EG) 883/2004 wie folgt zu bestimmen:

➜ Wird die Tätigkeit zu einem wesentlichen Teil im Wohnmitgliedstaat ausgeübt, so wird die Sozialversicherungszuständigkeit dem Wohnmitgliedstaat zugewiesen. Nach Art16 DVO (EG) 987/2009 gilt ein Anteil von weniger als 25% der Arbeitszeit und/oder des Arbeitsentgelts als nicht wesentlich

➜ Wird die Tätigkeit zu einem nicht wesentlichen Teil im Wohnmitgliedstaat ausgeübt, so wird die Sozialversicherungszuständigkeit dem Arbeitgeberstaat zugewiesen.

Arbeitnehmer SK, wohnhaft in der Slowakei, steht in einem Dienstverhältnis zu Arbeitgeber Ö in Österreich. Er ist Grenzpendler und erbringt seine Arbeitsleistung zu 100% im Büro des österreichischen Arbeitgebers und unterliegt daher entsprechend dem Territorialitätsprinzip der Sozialversicherungszuständigkeit Österreichs. Dies ist auch nach dem 30.6.2023 unverändert.

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7/2023
NEUE GESETZE UND ERLÄSSE

Arbeitnehmer HU, wohnhaft in Ungarn, steht in einem Dienstverhältnis zu Arbeitgeber Ö in Österreich. Er bearbeitet den ungarischen Markt und ist vornehmlich (zu mehr als 80%) in Ungarn tätig. Da er einen wesentlichen Teil seiner Tätigkeit (25% bzw mehr) physisch in Ungarn erbringt, unterliegt sein Dienstverhältnis ungarischer Sozialversicherungszuständigkeit. Dies ist auch nach dem 30.6.2023 unverändert.

Arbeitnehmer DE, wohnhaft in Deutschland, steht in einem Dienstverhältnis zu Arbeitgeber Ö in Österreich. Er hat mit seinem Arbeitgeber für durchschnittlich zwei Arbeitstage pro Woche Telearbeit vereinbart. Da er einen wesentlichen Teil seiner Tätigkeit (25% bzw mehr) physisch in Deutschland erbringt, unterliegt sein Dienstverhältnis deutscher Sozialversicherungszuständigkeit. Nach dem 30.6.2023 kann in diesem Fall von Homeoffice-Tätigkeit von weniger als 50% ein Ausnahmeantrag auf Sozialversicherungszuständigkeit Österreichs gestellt werden. Für diese Konstellation werden ab 1. 7. 2023 unionsweit vereinheitlichte Möglichkeiten, einen Ausnahmeantrag zu stellen, zur Verfügung stehen. Die Voraussetzungen werden im Folgenden beschrieben.

Hinweis: Aus steuerrechtlicher Sicht wird eine Tätigkeit in mehreren (Mitglied-)Staaten regelmäßig zu einer Besteuerung in mehreren (Mitglied-)Staaten führen. Nach Art15 Abs1 OECD-MA wird das Besteuerungsrecht auf Einkünfte aus unselbständiger Tätigkeit regelmäßig dem Ansässigkeitsstaat (= sozialversicherungsrechtlicher Wohnmitgliedstaat) zugewiesen, es sei denn, die Tätigkeit wird im anderen Staat (= Tätigkeitsstaat, Arbeitgeberstaat) ausgeübt. Letzterenfalls kann der Tätigkeitsstaat nur jene Bezüge besteuern, die den Tätigkeitstagen in diesem Staat zuzurechnen sind. Die Ausnahmebestimmung nach Art15 Abs2 OECD-MA kommt nicht zur Anwendung, da im Falle von grenzüberschreitender Tätigkeit der Arbeitnehmer im Sitzstaat des Arbeitgebers tätig wird und daher der Sitzstaat des Arbeitgebers das Besteuerungsrecht auf Einkünfte für in diesem Staat verrichtete Tätigkeiten behält.

Last but not least bietet der Ausnahmeantrag die Möglichkeit, in Abweichung von den oben skizzierten Bestimmungen die Sozialversicherungszuständigkeit in einem anderen Staat zu beantragen. Ausnahmeanträge können individuell gestellt werden oder auf bilateralen oder multilateralen Vereinbarungen basieren.

Entsprechend dem Vorschlag der Verwaltungskommission vom 14.11.2022 (siehe Kunesch, Homeoffice [Telework] in der EU, im EWR und in der Schweiz – ein Update zur Sozialversicherung, PV-Info 12/2022, Seite25ff) hat das österreichische Sozialministerium bereits mit Deutschland (Inkrafttreten grundsätzlich ab 1.1.2023), Tschechien (Inkrafttreten grundsätzlich ab 1.4.2023) und der Slowakei (Inkrafttreten grundsätzlich ab 1.6.2023) bilaterale Rahmenvereinbarungen geschlossen. Entsprechende Anträge entfalten aufgrund der generellen COVID-19-Ausnahmeregelung bis 30.6.2023 grundsätzlich ab 1.7.2023 Rechtswirkung. Demnach kann die Sozialversicherungszuständigkeit des Arbeitgeberstaates bei regelmäßiger Homeoffice-Tätigkeit von maximal 40% im Wohnmitgliedstaat des Arbeitnehmers beibehalten werden.

Hinweis: Faktisch wurden also die abgeschlossenen bilateralen Ausnahmevereinbarungen von der Möglichkeit multilateraler Ausnahmeanträge überholt, zumal die vier Staaten auch bereits das multilaterale Abkommen unterzeichnet haben (siehe im Folgenden). Bereits ausgestellte A1-Bescheinigungen bleiben allerdings wirksam.

Angesichts der im weiteren Verlauf des Beitrags dargestellten Bedeutung der Sozialversicherungszuständigkeit für Wanderarbeitnehmer hat die Verwaltungskommission knapp vor Auslaufen der generellen COVID-19-Ausnahme am 20.4.2023 einen Vorschlag für eine EU-weit einheitliche Ausnahmeantragsmöglichkeit auf Verbleib der Sozialversicherungszuständigkeit im Arbeitgeberstaat präsentiert, sofern die Tätigkeit im Homeoffice unter 50% liegt, würde doch bereits ab einem Tätigkeitsausmaß von mindestens 25% im Wohnmitgliedstaat die Sozialversicherungszuständigkeit in den Wohnmitgliedstaat wechseln. Dadurch soll es Grenzpendlern bzw Grenzgängern ermöglicht werden, bis zu einem Ausmaß von weniger als 50% auch die Möglichkeit von Homeoffice zu nutzen, ohne (die oft gewünschte) Sozialversicherungszuständigkeit im Arbeitgeberstaat zu verlieren.

Beispiel 2

Beispiel 3

Ausnahmeantragsmöglichkeiten

Bilaterale Ausnahmeanträge ab 1. 7. 2023 –faktisch überholt

Multilaterale Ausnahmeanträge ab 1.7.2023

3 NEUE GESETZE UND ERLÄSSE 7/2023

Beispiel 4

Hinweis: Ein Ausnahmeantrag muss nicht gestellt werden, sondern kann gestellt werden. Grenzpendler bzw Grenzgänger können sich ohne Weiteres auf die Grundregelung der Kollisionsnorm nach Art13 Abs1 VO (EG) 883/2004 berufen, wonach bei Tätigkeit im Wohnmitgliedstaat von mindestens 25% die Sozialversicherungszuständigkeit dem Wohnmitgliedstaat zugewiesen wird.

Hier die Voraussetzungen im Einzelnen:

➜ Grenzüberschreitende Telearbeit ist eine Tätigkeit, –die regelmäßig abwechselnd in einem anderen Mitgliedstaat (Wohnmitgliedstaat) und dem Sitzstaat des Arbeitgebers ausgeübt wird, –bei welcher der Arbeitnehmer mithilfe von Informationstechnologie mit dem Arbeitgeber verbunden bleibt und im Homeoffice dieselbe Tätigkeit wie im Büro des Arbeitgebers verrichtet, –die auf einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer beruht. –Die Bestimmungen kommen auch bei mehreren Arbeitgebern, die im selben Staat ansässig sind, zur Anwendung.

➜ Das Ausmaß der Telearbeit muss insgesamt weniger als 50% der Gesamtarbeitszeit betragen.

Folgende Sachverhalte fallen nicht unter die Ausnahmeregelung:

➜ grenzüberschreitende Telearbeit von Selbständigen;

➜ abwechselnde Tätigkeit im Wohnmitgliedstaat und im Staat einer Niederlassung des Arbeitgebers, also nicht im Sitzstaat des Arbeitgebers;

Arbeitnehmer IT, wohnhaft in Italien, steht in einem Dienstverhältnis zur Betriebsstätte eines österreichischen Arbeitgebers in Slowenien. Er erbringt seine Arbeitsleistung zu 40% im Homeoffice in Italien und zu 60% an der Betriebsstätte des österreichischen Arbeitgebers in Slowenien. Die Ausnahmeregelung ist nicht anwendbar, da der gesellschaftsrechtliche Sitz des Arbeitgebers in Österreich liegt. Arbeitnehmer IT unterliegt daher entsprechend der Kollisionsnorm nach Art13 Abs1 VO (EG) 883/2004 der Sozialversicherungszuständigkeit Italiens.

➜ regelmäßige Tätigkeiten im Außendienst oder am Sitz von Kunden, also andere gewöhnliche Tätigkeiten als Homeoffice-Tätigkeiten;

➜ regelmäßige Tätigkeit in anderen Staaten als dem Arbeitgeberstaat und dem Wohnmitgliedstaat.

Hinweis: Vorübergehende Tätigkeiten in anderen Staaten als dem Sitzstaat des Arbeitgebers oder dem Wohnmitgliedstaat unterliegen, sofern die Tätigkeit für nicht länger als 24Monate geplant ist, der Entsendebestimmung nach Art12 Abs1 VO (EG) 883/2004. Ein entsprechendes A1 ist im zuständigen Staat zu beantragen.

Antragsprozedere ➜ Der Ausnahmeantrag ist im Arbeitgeberstaat zu stellen, also jenem Staat, dessen Sozialversicherungszuständigkeit gewünscht ist. In Österreich erfolgt die Antragstellung beim Dachverband der Sozialversicherungsträger.

Hinweis: Bereits auf Basis der bislang von Österreich mit Deutschland, Tschechien und der Slowakei abgeschlossenen bilateralen Rahmenverträge gestellte Ausnahmeanträge bleiben auch nach dem 30.6.2023 aufrecht, die entsprechenden A1 bleiben gültig.

➜ Die Möglichkeit eines Ausnahmeantrags besteht nur dann, wenn beide Staaten (Wohnmitgliedstaat und Arbeitgeberstaat) das Abkommen unterzeichnet haben, sogenannte „Signatarstaaten“ sind, wobei die belgische Verwaltung die Liste der Signatarstaaten pflegt: https://socialsecurity.belgium.be/en/internationally-active/cross-border-teleworkeu-eea-and-switzerland. Zum Zeitpunkt der Drucklegung der aktuellen Ausgabe haben Deutschland, die Schweiz, Liechtenstein, Tschechien, Österreich, Holland, Slowakei, Belgien, Luxemburg, Finnland, Norwegen und Portugal das Abkommen mit Wirkung ab 1.7.2023 unterzeichnet. Damit ist die Rahmenvereinbarung zustande gekommen, da

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NEUE GESETZE UND ERLÄSSE

mindestens zwei Staaten die Vereinbarung unterfertigt haben. Die Rahmenvereinbarung gilt für fünf Jahre und verlängert sich automatisch um weitere fünf Jahre, sofern sie nicht durch Zustimmung aller Signatarstaaten beendet wird. Diesfalls laufen genehmigte Ausnahmebestimmungen weiter, sofern sich an deren Sachverhalt nichts ändert. Hinweis: Soll nach dem 30.6.2023 Homeoffice-Tätigkeit von 25% oder mehr in Mitgliedstaaten ausgeübt werden, die das multilaterale Rahmenabkommen noch nicht unterzeichnet haben, so wechselt nach der Kollisionsnorm des Art13 Abs1 VO (EG) 883/2004 grundsätzlich die Sozialversicherungszuständigkeit in den Wohnmitgliedstaat. Um dies zu vermeiden, könnte im Arbeitgeberstaat ein (individueller) Ausnahmeantrag nach Art16 VO (EG) 883/2004 gestellt werden.

➜ Grundsätzlich ist der Antrag für die Zukunft zu stellen.

➜ Anträge können rückwirkend für maximal drei Monate gestellt werden, sofern während dieser Zeit Sozialversicherungsbeiträge im Arbeitgeberstaat entrichtet wurden.

➜ Im ersten Jahr der multilateralen Ausnahmeregelung (also von 1.7.2023 bis 30.6.2024) können Anträge bis zu zwölf Monate rückwirkend gestellt werden, sofern beide Staaten Signatarstaaten sind.

➜ Für Signaturstaaten, die die Rahmenvereinbarung nach dem 30. 6. 2023 unterzeichnen, gilt die Rahmenvereinbarung ab dem nachfolgenden Monatsersten.

➜ Anträge können nicht rückwirkend für Zeiträume vor dem Beitritt als Signatarstaat gestellt werden.

➜ Ein Antrag kann längstens für drei Jahre mit Verlängerungsmöglichkeit gestellt werden.

➜ Der Informationsaustausch zwischen den Staaten erfolgt auf elektronischem Weg.

Mit 30.6.2023 läuft die generelle COVID-19-Ausnahmeregelung aus. Für die Zeit danach gilt für die Bestimmung der Sozialversicherungszuständigkeit Folgendes:

Zusammenfassung

Der durch die Anwendung von Entsendebestimmung, Kollisionsnormen oder Ausnahmeantrag bestimmte (einzige) sozialversicherungszuständige Mitgliedstaat versichert alle Erwerbstätigkeiten, auch wenn sie (teilweise) im Ausland ausgeübt werden, nach dessen Vorschriften, als ob sie im Inland ausgeübt würden.

Die Sozialversicherungszuständigkeit hat für den betroffenen Arbeitnehmer und dessen Angehörige eine erhebliche Bedeutung für Umfang und Ausmaß sozialrechtlicher Ansprüche.

Krankenversicherung

Nach Art17 VO (EG) 883/2004 erhalten ein Versicherter oder seine Familienangehörigen, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem Beschäftigungsstaat wohnen, Sachleistungen aus der Krankenversicherung in deren Wohnmitgliedstaat auf Rechnung des Beschäftigungsstaates, als ob sie nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaates versichert wären. Aber auch im zuständigen Staat erhalten der Versicherte und seine Familienange-

Bedeutung der Sozialversicherungszuständigkeit für Arbeitnehmer

5 NEUE GESETZE UND ERLÄSSE 7/2023
Wohnmitgliedstaat
berstaat Sozialversicherungszuständigkeit
0 % 100 % Arbeitgeberstaat – Territorialitätsprinzip 20% (ca ein Arbeitstag) 80 % Arbeitgeberstaat – Kollisionsnorm Art13 Abs1 litb 40% (ca zwei Arbeitstage) 60 % Wohnmitgliedstaat
Kollisionsnorm
Arbeitgeberstaat
Ausnahmeantrag
80% (ca vier Arbeitstage) 20 % Wohnmitgliedstaat – Kollisionsnorm
Abs1
100 % 0 % Wohnmitgliedstaat – Territorialitätsprinzip
(anderer) Arbeitge-
nach VO (EG) 883/2004
Art13 Abs1 lita oder
– multilateraler
Art16
Art13
lita

Beispiel 5

hörigen grundsätzlich Sachleistungen aus der Krankenversicherung, als ob sie in diesem Staat versichert wären (Art18 VO [EG] 883/2004, mit wenigen Ausnahmen).

Um im Wohnmitgliedstaat Sachleistungen aus der Krankenversicherung beanspruchen zu können, muss im Beschäftigungsstaat das Formular S1 (Antrag auf Auslandsbetreuung) beantragt werden. Die Anspruchsberechtigung von Angehörigen im Wohnmitgliedstaat richtet sich nach den einschlägigen Bestimmungen des Wohnmitgliedstaates.

Für Geldleistungen bei Krankheit (Krankengeld) sowie Mutterschaft (Wochengeld) und Vaterschaft (Familienzeitbonus) ist stets der Beschäftigungsstaat zuständig, der Geldleistungen nach seinen Regelungen zu gewähren hat (Art21 VO [EG] 883/2004).

Beispiel 6

Familienleistungen

Grundsätzlich hat ein Versicherter nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates Anspruch auf Familienleistungen, auch wenn seine Angehörigen in einem anderen Mitgliedstaat wohnen. Hat allerdings ein Versicherter Anspruch auf Familienleistungen für dieselben Familienangehörigen und denselben Zeitraum in mehreren Mitgliedstaaten, so sieht Art68 Abs1 VO (EG) 883/2004 folgende Prioritätsregelung vor, wobei die Situation der gesamten Familie so zu betrachten ist, wie wenn alle Familienmitglieder im zuständigen Staat wohnen würden (Familienbetrachtungsweise, Art60 VO [EG] 883/2004):

➜ Beschäftigungsstaat vor Wohnmitgliedstaat, sofern Leistungen aus unterschiedlichen Gründen zu gewähren sind.

Familie DE wohnt mit ihren Kindern in Deutschland. Mutter DE ist in Österreich beschäftigt, Vater DE ist nicht erwerbstätig. Nach Art68 Abs1 lita VO (EG) 883/2004 besteht Anspruch auf Familienbeihilfe im Beschäftigungsstaat Österreich.

➜ Werden Leistungen jedoch aus denselben Gründen gewährt, so ist bei Ansprüchen, die durch eine Erwerbstätigkeit ausgelöst werden, jener Mitgliedstaat vorrangig zuständig, in welchem die Kinder wohnen, sofern dort eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird. Werden Ansprüche durch den Wohnort ausgelöst, so ist jeweils der Wohnort der Kinder zuständig. Der Versicherte hat jeweils Anspruch auf die höchste Leistung. Die Abstimmung der Verwaltungsbehörden hinsichtlich der Höhe der vom nachrangigen Beschäftigungsstaat zu leistenden Differenzzahlung erfolgt über das Formular E411.

Familie CZ wohnt mit ihren Kindern in Tschechien. Mutter CZ ist in Österreich beschäftigt, Vater CZ in Tschechien. Nach Art68 Abs1 litb VO (EG) 883/2004 besteht Anspruch auf Familienbeihilfe vorrangig im Wohnmitgliedstaat Tschechien und nachrangig im Beschäftigungsstaat Österreich. Österreich hat eine unionsrechtliche Differenzzahlung zu leisten, sofern der Anspruch in Österreich höher ist.

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UND ERLÄSSE 7/2023
NEUE GESETZE

Hinweis: Da in Österreich Familienleistungen durch den Dienstgeberbeitrag zum Familienlastenausgleichsfonds finanziert werden, wurde mit dem Budgetbegleitgesetz 2011, BGBlI 2010/111, die Regelung eingeführt, dass Arbeitnehmer als im Bundesgebiet beschäftigt gelten und deren Bezüge somit dem Dienstgeberbeitrag unterliegen, wenn sie aufgrund der Bestimmungen der VO (EG) 883/2004 der Sozialversicherungszuständigkeit Österreichs unterliegen. Sofern der Arbeitgeber Mitglied der Kammer der gewerblichen Wirtschaft ist und daher grundsätzl ich der Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag zu entrichten wäre, entfällt dieser nach derzeitiger Verwaltungspraxis (höchstgerichtliche Judikatur liegt noch nicht vor) gleichermaßen, wenn aufgrund der Bestimmungen der VO (EG) 883/2004 keine Sozialversicherungszuständigkeit Österreichs besteht, da die Bemessungsgrundlage zum Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag an jene des Dienstgeberbeitrags nach §41 FLAG knüpft.

Arbeitnehmer SK, wohnhaft in der Slowakei, steht in einem Dienstverhältnis zu Arbeitgeber Ö in Österreich. Er erbringt seine Arbeitsleistung zu 80% im Homeoffice in der Slowakei und unterliegt daher slowakischer Sozialversicherungszuständigkeit. Die Bezüge des Arbeitnehmers unterliegen daher nicht dem (Zuschlag zum) Dienstgeberbeitrag zum Familienlastenausgleichsfonds.

Pensionsleistungen

Der Pensionsanspruch besteht jeweils im zuständigen Mitgliedstaat nach dessen Bestimmungen hinsichtlich Berechnung und Anfallsalter. Als für den Auszahlungsanspruch maßgebliche Versicherungszeiten werden allerdings sämtliche Versicherungszeiten der Mitgliedstaaten (inklusive Großbritannien) sowie allenfalls auch von Drittstaaten, mit welchen ein einschlägiges bilaterales Sozialversicherungsabkommen besteht, zusammengerechnet.

Hinweis: Bestehen Pensionsansprüche aus mehreren Mitgliedstaaten, so ist zu beachten, dass diese Pensionszahlungen je nach den Bestimmungen des jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) in den jeweiligen Quellenstaaten der Steuerpflicht unterliegen können. Der Ansässigkeitsstaat im Zeitpunkt der Pensionszahlung hat aufgrund des jeweiligen DBA entweder das Besteuerungsrecht auf die Pensionszahlungen des anderen Staates oder er muss diese Pensionszahlungen unter Progressionsvorbehalt von der Besteuerung freistellen oder die im anderen Mitgliedstaat entrichtete Steuer anrechnen – summa summarum ein für den jeweiligen Pensionisten zum Teil schwer verständlicher Verwaltungsdschungel, der durch einen möglichst durchgängigen Versicherungsverlauf abgewendet werden kann.

Arbeitslosengeld

Arbeitnehmer können Arbeitslosengeld wahlweise im Beschäftigungsstaat oder im Wohnmitgliedstaat beantragen.

Beschäftigen Arbeitgeber Arbeitnehmer, die aufgrund der beschriebenen Bestimmungen in einem anderen Staat der Sozialversicherungszuständigkeit unterliegen, so haben sie nach Art21 VO (EG) 987/2009, auch wenn sie weder Sitz noch Niederlassung in diesem Staat haben, die Rechtsvorschriften hinsichtlich Beitragsabfuhr und Meldepflichten wie niedergelassene Arbeitgeber einzuhalten. Der Arbeitgeber kann allerdings mit dem Arbeitnehmer vereinbaren, dass Letzterer die Zahlung der Beiträge übernimmt; die übrigen Pflichten des Arbeitgebers bestehen aber dennoch.

Beispiel 7

Bedeutung der Sozialversicherungszuständigkeit für Arbeitgeber

7 NEUE GESETZE UND ERLÄSSE 7/2023

Detailfragen zur Freizeit für die Postensuche

Arbeitgeber müssen Arbeitnehmern unter bestimmten Voraussetzungen Postensuchtage und damit bezahlte Freizeit während der Kündigungsfrist gewähren. Doch in welchem Ausmaß stehen Arbeitnehmern diese Postensuchtage zu und dürfen sie diese ausschließlich für die Jobsuche verwenden? Dieser Beitrag analysiert die Anspruchsvoraussetzungen für die Postensuchtage, geht auf die abgabenrechtliche Behandlung einer Abgeltung dieses Freistellungsanspruchs ein und widmet si ch weiteren für die Praxis bedeutenden Fragestellungen.

Begriff Der Anspruch auf Postensuchtage ist ein Anspruch des Arbeitnehmers auf bezahlte Freizeit zur Postensuche während der Kündigungsfrist, um dem Arbeitnehmer das Erlangen eines neuen Arbeitsplatzes zu erleichtern. Ob ein solcher Anspruch besteht, hängt davon ab,

➜ ob eine kollektivvertragliche Regelung für die Postensuche vorliegt und ➜ wie das Arbeitsverhältnis beendet worden ist.

KV-Regelung Besteht eine ausdrückliche kollektivvertragliche Regelung, gilt diese in vollem Umfang. Der Kollektivvertrag kann Ausmaß, Zeitpunkt und weitere Voraussetzungen des Anspruchs auf Postensuche regeln. Das Ausmaß des Anspruchs auf Postensuche ist je nach Kollektivvertrag sehr unterschiedlich. Manche Kollektivverträge sehen einen Anspruch auf Postensuche auch bei Arbeitnehmerkündigung vor.

Beispiele 1

➜ Kollektivvertrag eisen- und metallerzeugende Industrie (PktIV Z7): Bei Kündigung durch den Arbeitnehmer beträgt die Freizeit mindestens vier Stunden. Für Kündigungen bei Erreichen des Pensionsalters gilt §22 Abs2 und3 AngG.

➜ Kollektivvertrag für das metallverarbeitende Gewerbe: Während der Kündigungsfrist hat der Arbeitnehmer zur Arbeitssuche – ausgenommen bei Verzicht auf die Arbeitsleistung – in jeder Arbeitswoche Anspruch auf einen freien Arbeitstag unter Fortzahlung des Lohns. Im Falle von Schichtarbeit gelten diese Bestimmungen sinngemäß. An welchem Tag die Freizeit beansprucht werden kann, ist zu vereinbaren. Kommt eine Vereinbarung nicht zustande, ist der letzte Tag der Arbeitswoche frei.

➜ Kollektivvertrag Arbeiter – Hotel- und Gastgewerbe (Pkt20 litc): Während der Kündigungsfrist hat der Arbeitnehmer auf Verlangen einen Freizeitanspruch auf wöchentlich zwei halbe Tage der Normalarbeitszeit zur Stellensuche, sofern die Notwendigkeit hierzu besteht.

Gesetzliches Ausmaß Ohne eine ausdrückliche kollektivvertragliche Regelung zur Postensuche gelten die gesetzlichen Regelungen. Danach gebührt dem Arbeitnehmer auf sein Verlangen während der Kündigungsfrist

➜ bei Arbeitgeberkündigung

➜ wöchentlich mindestens 1/5 der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit

➜ ohne Schmälerung des Entgelts

als Freizeit zur Postensuche (§22 Abs1 AngG; §1160 ABGB).

Beispiel 2

38,5 Stunden Normalarbeitszeit + 1,5 Stunden (regelmäßige) Mehrarbeit + 2,5 Stunden (regelmäßige) Überstunden = 42,5 Stunden (regelmäßige) wöchentliche Arbeitszeit.

42,5 Stunden : 5 = 8,5 Stunden Freizeit.

Die Postensuchtage müssen nicht tageweise konsumiert werden, sondern der Arbeitnehmer kann diese je nach Bedarf auch stundenweise in Anspruch nehmen. Der Umfang des bezahlten Mindestfreistellungsanspruchs hängt von der Dauer der gesetzlichen, kollektivvertraglichen oder einzelvertraglich vereinbarten längeren Kündigungsfrist

8 FÜR DIE PRAXIS 7/2023

ab. Durch eine „frühzeitige“ Kündigung erhöht sich der Anspruch daher nicht. Bei Berechnung des Anspruchs sind angefangene Wochen voll zu zählen. Hat der Arbeitnehmer schon einen gesetzlichen Pensionsanspruch bzw ist die Zuerkennung einer gesetzlichen Pension ausreichend sicher, gebühren keine Postensuchtage

Aufgrund der Dauer des Dienstverhältnisses hat der Arbeitnehmer eine Kündigungsfrist von zwei Monaten. Somit stehen dem Arbeitnehmer neun Postensuchtage zu (zwei Monate x 4,33 Wochen = 8,67).

Seit der ab 1.1.2001 gültigen Rechtslage sind sich die Experten nicht mehr einig, ob auch im Falle von befristeten Arbeitsverhältnissen oder einer einvernehmlichen Auflösung Postensuchtage zustehen. Der OGH hatte dies für die „alte“ Rechtslage (vor dem 1.1.2001) ausjudiziert. Damals war es für den Anspruch auf Postensuchtage an sich egal, wer das Arbeitsverhältnis kündigte. Lediglich das Ausmaß war unterschiedlich hoch (Arbeitgeberkündigung = acht Stunden; Arbeitnehmerkündigung = vier Stunden). Darauf aufbauend argumentierte der OGH, dass auch bei befristeten Arbeitsverhältnissen bzw einvernehmlicher Beendigung ein Anspruch auf Postensuchtage zusteht (OGH 10.2.1993, 9ObA 604/92). Inwieweit nun ein Anspruch auf Postensuchtage aufgrund der momentanen gesetzlichen Situation des §1160 ABGB bzw §22 AngG besteht, hat der OGH bisher noch nicht entschieden (auch nicht mit der Entscheidung zum KV für Arbeiter in der Metallindustrie; OGH 28.11.2007, 9ObA 148/07). In der Lehre bleibt der Anspruch auf Postensuchtage im Falle einer einvernehmlichen Auflösung strittig (Kaszanits, Das Arbeitsrechtsänderungssetz 2000 – ARÄG 2000, ASoK2000, 235 [237], und Rotter, Wann gebührt Freizeit zur Postensuche? ASoK2002, 217ff, verneinen den Anspruch).

Meist wird jedoch die Meinung vertreten, dass es darauf ankommt, in wessen Interesse oder auf wessen Initiative die Befristung bzw Auflösung des Arbeitsverhältnisses zustande gekommen ist. Kam die Befristung bzw Auflösung aufgrund der Initiative des Arbeitgebers zustande, stehen Postensuchtage zu. Überwiegend wird die Auffassung geteilt, dass ein Anspruch auf Postensuchtage auch bei einvernehmlicher Auflösung und Zeitablauf zusteht, sofern der Zeitpunkt der Auflösung in der Zukunft liegt. Vor allem der Zweck der Postensuchtage legt es nahe, dass bei den gesetzlichen Bestimmungen nicht von einer taxativen Aufzählung der Anspruchsgründe (= Arbeitgeberkündigung) auszugehen ist.

Eine Zweckbindung (Suche eines neuen Arbeitsplatzes) ist nicht vorgesehen, obwohl in der Praxis von „Postensuchtagen“ die Rede ist. Die Freizeit gebührt daher auch dann, wenn die Notwendigkeit der Postensuche gar nicht mehr gegeben ist, da der Arbeitnehmer etwa schon einen neuen Arbeitsplatz gefunden hat (OLG 20.12.1995, 7Ra 62/95). Der Arbeitnehmer hat folglich auch keinen Nachweis darüber zu erbringen, dass er sich während der ihm gewährten Freizeit um einen Arbeitsplatz beworben hat.

Der in §22 AngG bzw §1160 ABGB geregelte Postensuchtageanspruch ist ein Mindestanspruch. Einem Arbeitnehmer kann theoretisch bei Vorliegen eines erhöhten Bedarfs die Freistellung auch für einen längeren Zeitraum zu gewähren sein, weil der Gesetzgeber ausdrücklich nur einen Mindestanspruch für die Freistellung festgelegt hat (vgl OGH 14.10.1980, 4Ob 114/80). Kann der Arbeitnehmer beweisen, dass ein erhöhter Bedarf vorliegt, sind dem Arbeitnehmer über das gesetzliche Ausmaß hinaus Postensuchtage zu gewähren. Die Beweislast für den erheblichen Mehrbedarf liegt allerdings beim Arbeitnehmer.

Anders als bei vielen anderen arbeitsrechtlichen Ansprüchen hängt das Entstehen des Anspruchs auf Postensuchtage ausdrücklich davon ab, dass der Arbeitnehmer die Freizeit während der Kündigungsfrist geltend gemacht hat. Der Anspruch auf Gewährung entsteht somit nicht bereits ex lege durch die Kündigung, sondern erst durch das darauf gerichtete Verlangen des Arbeitnehmers.

Beispiel 3

Unklarheiten

Zweckbindung

Mindestanspruch

Ansuchen

9 FÜR DIE PRAXIS 7/2023

Inanspruchnahme

Das bedeutet, dass der Arbeitgeber die Freizeit nur dann zu gewähren hat, wenn der Arbeitnehmer im Vorhinein diese verlangt hat. Das Verlangen muss spätestens in der Woche erfolgen, für die der Arbeitnehmer den Anspruch geltend macht.

Es ist allerdings nicht notwendig, den Arbeitnehmer auf die Möglichkeit des Freistellungsanspruchs hinzuweisen. „Vergisst“ der Arbeitnehmer oder hat er keine Kenntnis vom Anspruch, dann bedarf es keiner Nachgewährung, und es entsteht auch kein Abgeltungsanspruch in Geld. Ein rückwirkendes Verlangen ist somit ausgeschlossen. Können Postensuchtage aus Gründen, die auf Seiten des Arbeitnehmers liegen, nicht konsumiert werden, verfällt der Freizeitanspruch

Die konkrete Inanspruchnahme und die Fixierung der zeitlichen Lagerung sind grundsätzlich im Einvernehmen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer festzulegen. Obwohl der Arbeitnehmer weder bekanntgeben noch bescheinigen muss, dass er die Freizeit tatsächlich zur Postensuche verwendet, kann die beabsichtigte Verwendung im Falle einer notwendigen Abwägung gegen dienstliche Interessen eine Rolle spielen, vor allem wenn es darum geht, welcher Tag der Woche freizugeben ist. Im Idealfall werden sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer so einigen, dass der Arbeitnehmer nicht gerade in der dringendsten Geschäftszeit dem Dienst fernbleibt, er aber auch nicht durch nicht ausreichend gewährte Freizeit an der Vorstellung beim neuen Arbeitgeber gehindert wird.

Beim Abwägen der gegenseitigen Interessen befindet sich der Arbeitnehmer in Hinblick auf seine existenzielle Absicherung (Jobsuche) im Vorteil. Insbesondere bei Vorliegen beiderseitig wichtiger Interessen gebührt dem Interesse des Arbeitnehmers an der verlangten Freizeit der Vorrang.

Urlaubstage versus Postensuchtage

Ein gesetzlicher Anspruch auf Postensuchtage kommt für jene Zeiten nicht in Betracht, in denen der gekündigte Arbeitnehmer bereits aus anderen Gründen bezahlte Freizeit konsumiert und eine zusätzliche „Freistellung“ begrifflich nicht möglich ist. Das gilt bei fristwidriger Kündigung oder unberechtigter Entlassung für jenen Zeitraum, in dem eine Kündigungsentschädigung gebührt, das gilt aber insbesondere auch für die Dauer eines vereinbarten Erholungsurlaubs.

Im Fall einer Urlaubsvereinbarung während der Kündigungsfrist (wenn die Freizeit zB eine ganze Woche umfassen soll) steht eine zusätzliche Freizeit für Postensuche nur dann zu, wenn der Arbeitnehmer diese bereits bei der Urlaubsvereinbarung verlangt. Wird während der Kündigungsfrist Urlaub verbraucht, so kann eine Urlaubsvereinbarung für ganze Wochen nicht getroffen werden, sobald der Arbeitnehmer seinen Anspruch auf Freizeit während der Kündigungsfrist erhoben hat (§4 Abs2 UrlG). Es kann aber – auch für mehrere Wochen – in jeder Woche für vier Tage Urlaub und ein Tag Freizeit vereinbart werden. Wenn jedoch ein Arbeitnehmer zunächst eine Urlaubsvereinbarung für einen bestimmten Zeitraum trifft, er aber dann vom Arbeitgeber gekündigt wird, sodass diese Urlaubsvereinbarung einen Teil seiner Kündigungsfrist betrifft, so bleibt diese Urlaubsvereinbarung grundsätzlich aufrecht. Offen ist die Rechtsfrage geblieben, ob ein Arbeitnehmer von einer in Unkenntnis der nachfolgenden Kündigung getroffenen Urlaubsvereinbarung unter Umständen aus wichtigem Grund zurücktreten könnte (OGH 13.9.2012, 8ObA 28/12). ME wäre es wohl möglich, dass der Arbeitnehmer den Rücktritt vom Urlaub erklärt, weil der Erholungszweck iZm der Auflösung des Dienstverhältnisses nicht mehr verwirklicht werden kann.

Verweigerung

Postensuchfreizeit

Gegen einen Vorschlag des Arbeitnehmers kann der Arbeitgeber daher nur zwingende betriebliche Gründe ins Treffen führen. Verweigert der zweifelnde Arbeitgeber unberechtigt die Postensuchtage, dann kann der Arbeitnehmer eigenmächtig die Freizeit in Anspruch nehmen. Trotz allem betritt der Arbeitnehmer unsicheres Terrain, sofern der

10 FÜR DIE PRAXIS 7/2023

Arbeitgeber ausdrücklich die Freizeit abgelehnt hat. Jedenfalls ist der Arbeitnehmer im Streitfall gut beraten, wenn er vor Gericht darlegen kann, welche Aktivitäten er zur Stellensuche in der Freizeit unternommen hat und warum es gerade dieser Zeitraum sein musste. Von einem arbeitsrechtlichen „Foul“ des Arbeitnehmers ist hingegen dann auszugehen, wenn der Arbeitnehmer eigenmächtig und unangemeldet zum Zweck der Postensuche vom Dienst fernbleibt. Liegen nämlich keinerlei zwingende Gründe vor, exakt im betreffenden Zeitraum auf Postensuche zu gehen, dann riskiert der Arbeitnehmer einen Entlassungsgrund.

Der Arbeitnehmer ist im Falle der unberechtigten Verweigerung des Arbeitgebers nicht verpflichtet, von der gefährlichen Möglichkeit der einseitigen Inanspruchnahme der Freizeit bzw des einseitigen Antritts Gebrauch zu machen. Vielmehr steht dem Arbeitnehmer in diesem Fall ein Ersatzanspruch in Geld zu.

Anmerkung: Diese Erwägungen gelten jedoch nicht für die Zeit einer Kündigungsentschädigung (siehe dazu OGH 23.10.2000, 8ObA 174/00x).

Eine Vereitelung der zustehenden Freizeit während der „normalen“ Kündigungsfrist mit weiterlaufender Arbeitspflicht des Arbeitnehmers würde dem Arbeitgeber einen durch Verstoß gegen ein gesetzliches Gebot bewirkten und daher unberechtigten Vorteil bringen. Während er sonst dem Arbeitnehmer bezahlte Freizeit gewähren müsste, käme er durch ungesetzliches Handeln in den vollen Genuss von dessen Arbeitskraft.

Anmerkung: Auch in anderen Fällen der Unmöglichkeit, bereits verdiente Freizeit zu verbrauchen – zB bei nicht konsumierter Ersatzruhe nach §6 ARG – hat die Rechtsprechung einen Geldersatzanspruch des Arbeitnehmers als Vorteilsausgleich anerkannt.

Die Höhe der „Postensuch-Ersatzleistung“ bemisst sich nach dem konkreten Entgelt, worauf der Arbeitnehmer in der jeweiligen Woche der Kündigungsfrist Anspruch hatte. Darunter können auch Überstunden, Zulagen oder andere variable Entgeltbestandteile fallen, sofern diese Leistungen wahrscheinlich angefallen wären. Insoweit muss keine Deckungsgleichheit zwischen der Berechnungsmodalität einer Urlaubsersatzleistung sowie einer „Postensuchtagsentschädigung“ bestehen.

Nicht ganz unstrittig ist die Frage, ob auch anteilige Sonderzahlungen miteinzurechnen sind. Tendenziell wird dies – analog zur Berechnung einer Urlaubsersatzleistung – von der Fachliteratur bejaht. Schließlich handelt es sich um die Abgeltung von „arbeitsfreier Zeit“, die in natura nicht konsumiert wurde. Hätte die Freizeit verbraucht werden können, dann wären die Sonderzahlungen ebenfalls zugestanden.

Das Entgelt für ausbezahlte Postensuchtage entsteht aus Anlass der Beendigung des Dienstverhältnisses und ist nach Ansicht der Sozialversicherungsverwaltung gemäß §49 Abs3 Z7 ASVG beitragsfrei zu behandeln. Anders als bei einer Ersatzleistung für offene Urlaubsansprüche kommt es auch zu keiner Verlängerung der Pflichtversicherung. Diese Aussage wurde bereits in einer Hauptverbandsbesprechung vom 21.1.2004 getroffen und zuletzt in den DGNews vom 5.4.2023 bestätigt (siehe auch Empfehlungen zur einheitlichen Vollzugspraxis der Versicherungsträger im Bereich des Melde-, Versicherungs- und Beitragswesens, E-MVB 049-03-07-004). Da die Abgeltung von Postensuchtagen in der Sozialversicherung beitragsfrei ist, ist auch kein Beitrag an die BVK zu entrichten.

Nach Ansicht der Finanzverwaltung in Rz1108 LStR ist die „Postensuch-Ersatzleistung“ wie eine Urlaubsersatzleistung nach §67 Abs8 litd EStG zu behandeln. Ersatzleistungen für nicht konsumierte Postensuchtage entsprechen wirtschaftlich betrachtet Ersatzleistungen für nicht verbrauchten Urlaub. Demnach ist der laufende Anteil der Entschädigung

Abgeltung Postensuchtage

Berechnung der Abgeltung

Abgabenrechtliche Behandlung

11 FÜR DIE PRAXIS 7/2023

Beispiel 4

mit dem Tarif unter genereller Anwendung der Monatslohnsteuertabelle zu besteuern und der Sonderzahlungsanteil als sonstiger Bezug.

Zahlungen für die Abgeltung von Postensuchtagen sind im Bereich des Dienstgeberbeitrags, Zuschlags zum Dienstgeberbeitrag und der Kommunalsteuer beitragspflichtig

Angabe:

➜ Gehalt: 2.888,00€ (bleibt gleich).

➜ Eintritt am 21.10.2014, Austritt am 31.3.2023.

➜ Kündigung durch den Arbeitgeber (kein Wiedereintritt).

➜ Sonderzahlungen: aliquote Berechnung von UZ und WR; Anspruch jeweils auf ein Monatsgehalt.

➜ Urlaub (Arbeitstage): kein Urlaub verbraucht (im laufenden Urlaubsjahr).

➜ Postensuchtage: Bei Kündigung durch den Arbeitgeber stehen während der Kündigungsfrist Postensuchtage zu, welche der Arbeitnehmer geltend gemacht hat. Aufgrund des Arbeitsanfalls vereinbart der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer, alle gebührenden Tage in Form von Geld abzugelten.

Abrechnung März 2023:

➜ Urlaubsjahr von 21.10.2022 bis 31.3.2023 162 KT.

➜ Offener Urlaub: 25 AT : 365 x 162 = 11,10 (verbrauchter Urlaub: 0).

➜ Erstreckung Pflichtversicherung: 11 AT –> 15 KT; Ende des Entgeltanspruchs: 15.4.2023.

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7/2023
FÜR DIE PRAXIS
Abgeltung Postensuchtage: Kündigungsfrist 3 Monate 9. Berufsjahr Umrechnung in KW 13,00 (3 x 4,3333) pro Woche 1 AT 13,00 Bezugsarten Betrag Gehalt 2.888,00 Urlaubszuschuss (2.888 : 12 x 3) 722,00 Weihnachtsgeld (2.888 : 12 x 3) 722,00 Uel lfd 2.888,00 Gehalt 2.888,00 : 22 x 11,10 AT 1.457,13 Uel Sz 2.888,00 UZ 2.888,00 WR 5.776,00 : 12 : 22 x 11,10 AT 242,85 Postensuchtage lfd 2.888,00 Gehalt 2.888,00 : 22 x 13 AT 1.706,55 Postensuchtage Sz 2.888,00 UZ 2.888,00 WR 5.776,00 : 12 : 22 x 13 AT 284,42 Brutto: 8.022,95 SV: Sz 722,00 Urlaubszuschuss 722,00 Weihnachtsgeld 242,85 Ersatzleistung Sz 0,00 Postensuchtage Sz (beitragsfrei) 1.686,85 x 14,12% 238,18 lfd E.B: 31. 3. 2023 E.E: 15. 4. 2023
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7/2023 03/2023: 2.888,00 Gehalt 0,00 Postensuchtage lfd (beitragsfrei) 2.888,00 x 18,12% 523,31 04/2023: 1.457,13 x 15,12% 220,32 LSt: Sz 1/6: 5.776,00 (2.888 x 2) 242,86 + 1/6 lfd Ersatzleistung (1.457,13 : 6) 284,43 + 1/6 lfd Postensuchtage (1.706,55 : 6) 6.303,29 a) ist 1/6 größer als 2.100 K – 1/6: 8.664,00 Bezüge 01-03/2023 1.457,13 UEL lfd 1.706,55 Postensuchtage lfd 11.827,68 Summe laufende Bezüge 1.971,28 davon 1/6; keine Wiedereinstellung 6.303,29 0,00 – ausbezahlte Sz 6.303,29 b) passt Sz in das verbliebene 1/6 722,00 Urlaubszuschuss 722,00 Weihnachtsgeld 242,85 Ersatzleistung Sz 284,42 Postensuchtage Sz 1.971,27 238,18 – SV Sz 620,00 – Freibetrag 1.113,09 x 6 % 66,79 Lfd 2.888,00 Gehalt 1.457,13 Ersatzleistung lfd 1.706,55 Postensuchtage lfd 6.051,68 743,63 – SV lfd (SV 03/23 + SV 04/23) 5.308,05 x 48 % 2.547,86 1.050,85 1.497,01 1.497,01 netto 5.477,34 – ÖGB – BRU – E-Card Auszahlung 5.477,34 BVK: 1.686,85 SV Sz 4.345,13 SV lfd 6.031,98 x 1,53 % 92,29 außerbetriebliche Abrechnung: Brutto 8.022,95 Befreiung Bemessung 8.022,95 DB 8.022,95 x 3,7 % 296,85 DZ 8.022,95 x 0,38 % 30,49 (DZ Nö) KommSt 8.022,95 x 3 % 240,69 Bezugsarten Betrag
FÜR DIE PRAXIS

Praxisfragen Frage 1: Wenn ein Arbeitnehmer (Kündigung durch AG) während der Kündigungsfrist erkrankt, muss dann eine Ersatzleistung für nicht verbrauchte Postensuchtage bezahlt werden?

Falls der Arbeitnehmer für den Zeitraum des Krankenstands keine Postensuche verlangt hat, so ist keine Ersatzleistung zu bezahlen. Wenn allerdings vor dem Krankenstand Postensuchtage verlangt wurden, dann wird dieser Tag nicht als Krankenstandstag gewertet, da an diesem Tag keine Arbeitsbereitschaft bestand, sodass in weiterer Folge auch nicht durch den Krankenstand eine Dienstverhinderung eintreten kann (so ähnlich wie „vereinbarter Zeitausgleich“ verdrängt Krankenstand).

Vergleichbares gilt, sofern während eines laufenden Krankenstands das Dienstverhältnis durch den Arbeitgeber gekündigt wird. Für die Wochen des Krankenstands stehen keine Postensuchtage zu. Lediglich im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber ist es möglich, die nicht konsumierten Postensuchtage zu einem späteren Zeitpunkt (nach Beendigung des Krankenstands) zu konsumieren. In diesem Fall wird, falls dadurch nicht der ganze Urlaub verbraucht wird, die Urlaubsersatzleistung höher. In der Praxis wird dies aber eher selten anzutreffen sein.

Frage 2: Eine Arbeitnehmerin ist seit Längerem im Krankenstand und erhält auch seit geraumer Zeit kein Entgelt mehr vom Arbeitgeber. Nun wurde die Arbeitgeberkündigung ausgesprochen. Wie ist mit dem Anspruch auf Postensuchtage umzugehen? Da die Arbeitnehmerin einen Arbeitstag pro Woche Anspruch hätte und diesen auch eingefordert hat, stellt sich die Frage, ob die Differenz auf das Krankengeld der ÖGK bezahlt werden muss.

Grundsätzlich kann die Arbeitnehmerin den Postensuchtag in Anspruch nehmen. Da sie aber ohnedies aufgrund der Krankheit nicht arbeitsbereit sein muss, ist sie nicht wegen der Postensuche dienstverhindert. Zusätzliches Entgelt vom Arbeitgeber gebührt daher nicht. Die Situation ist ungefähr mit Zeiträumen bei fristwidriger Kündigung oder unberechtigter Entlassung zu vergleichen, die krankheitsbedingt ohne Entgelt verlaufen. Die Judikatur hat dazu klargestellt, dass für derartige Zeiträume keine Kündigungsentschädigung gebührt, weil die Arbeitsunfähigkeit sozusagen „vorher“ da war.

Frage 3: Besteht ein Anspruch auf Postensuchtage, wenn ein Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist dienstfreigestellt wurde?

Wenn ein Arbeitnehmer bezahlt dienstfreigestellt ist, dann kann dieser nicht zusätzlich Postensuchtage verlangen, da der Arbeitnehmer ohnedies schon bezahlt freibekommt, ohne dass aus irgendeinem Kontingent geschöpft wird.

Frage 4: Mit einer teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmerin wird – ausgehend von der Geschäftsleitung – eine einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses vereinbart. Die Arbeitszeit beträgt 25 Stunden pro Woche. Hat die Arbeitnehmerin Anspruch auf Postensuchtage?

Der Anspruch auf Postensuchtage richtet sich zunächst nach den Vorschriften des Kollektivvertrags. Gibt es im KV keine Regelung, so kommen die gesetzlichen Bestimmungen zum Zuge.

Die gesetzlichen Bestimmungen sehen nur für den Fall der Arbeitgeberkündigung Postensuchtage vor. Allerdings gibt es Tendenzen in der arbeitsrechtlichen Judikatur, dass man die Postensuchtage auch analog auf Auflösungsvarianten anwendet, bei denen die Auflösungsinitiative vom Arbeitgeber ausgeht (zB bei längeren Befristungen und rechtzeitigen Verständigungen vom Befristungsende oder aber auch bei einvernehmlichen Auflösun-

14 FÜR DIE PRAXIS 7/2023

gen). Gesichert ist dies zwar noch nicht 100%ig, aber es ist doch ein bestimmter Trend zu erkennen. Geht also die Auflösungsinitiative vom Arbeitgeber aus, so besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass dem Arbeitnehmer Postensuchtage zukommen sollen, sofern der Zeitpunkt der Auflösung in der Zukunft liegt. Gegebenenfalls besteht ein Freizeitanspruch im Ausmaß eines Fünftels der wöchentlichen Arbeitszeit (25 Stunden : 5 = 5 Stunden), und zwar pro begonnener Woche zwischen der Auflösungsvereinbarung und dem tatsächlichen Beschäftigungsende, limitiert allerdings mit dem Freistellunganspruch, der der fiktiv einzuhaltenden Arbeitgeberkündigungsfrist entspricht. Ging der Wunsch der einvernehmlichen Auflösung von der Arbeitnehmerin aus, dann steht keine Kündigungsfreizeit zu. Wird das Arbeitsverhältnis im beiderseitigen Einvernehmen sofort beendet, stellt sich die Frage der Freizeit während der Kündigungsfrist nicht.

Frage 5: Die Postensuchtage sind mit dem Arbeitgeber zu vereinbaren, und Anspruch besteht nur auf Verlangen des Arbeitnehmers. Kann der Arbeitnehmer verlangen, die Postensuchtage zu horten und in einem Stück zu konsumieren?

Grundsätzlich ist ein „Horten“ der Freizeit nicht möglich. Ansprüche, die in einer Woche nicht in Anspruch genommen wurden, verfallen. In einem Stück können Postensuchtage nur dann konsumiert werden, wenn dies der Arbeitgeber erlaubt und mit dem Arbeitnehmer vereinbart. In der Praxis wird häufig unter zusätzlicher Berücksichtigung von Resturlauben ein „letzter Arbeitstag“ fixiert, der vom Ende des Arbeitsverhältnisses rückgerechnet (auch) die gesamten Postensuchtage während der Kündigungsfrist abdeckt.

Eine Kumulierung von mehreren Postensuchtagen innerhalb einer Woche wäre unter Umständen auch dann denkbar, falls in einer Woche mehrere wichtige Bewerbungstermine wahrgenommen werden, die sich zeitlich nicht anders verteilen lassen oder bedingt durch längere Anreisezeiten einen länger als einen Tag währenden Zeitaufwand verursachen. Diesfalls kommen dann die Bestimmungen des §8 Abs3 AngG bzw §1154b Abs5 ABGB zur Anwendung. In diesem Fall bestünde allerdings eine Nachweispflicht in Bezug auf die Bewerbung (wenn dies der Arbeitgeber verlangt), was ja bei der allgemeinen Postensuche nicht der Fall ist.

Anmerkung: Der Arbeitnehmer behält gemäß §8 Abs3 AngG bzw §1154b Abs5 ABGB den Anspruch auf das Entgelt, wenn er durch andere wichtige, seine Person betreffende Gründe ohne sein Verschulden während einer verhältnismäßig kurzen Zeit an der Leistung seiner Dienste verhindert wird.

Frage 6: In einigen Kollektivverträgen sind Bestimmungen anzutreffen, die auch bei Arbeitnehmerkündigung einen Anspruch auf Postensuchtage vorsehen. Sinngemäß ist in den Kollektivverträgen vorgesehen, dass „während der Kündigungszeit der Arbeitnehmer Anspruch auf Freizeit zur Postensuche im Ausmaß von 1 Arbeitstag pro Arbeitswoche ohne Schmälerung des Entgelts hat“ (zB KV Fleischer für Arbeiter). Gibt es demnach in diesen Kollektivverträgen einen Anspruch auf Postensuche sowohl bei Arbeitnehmer- als auch bei Arbeitgeberkündigung?

Es ist jedenfalls zu beachten, dass durch Kollektivverträge abweichende – und zwar sowohl günstigere als auch ungünstigere – Regelungen getroffen werden können. Die in der Frage eingebundene KV-Passage sieht den Anspruch auf Postensuchtage für beide Formen der Kündigung vor. Dies rührt meistens noch aus jener Zeit, wo tatsächlich auch gesetzlich in beiden Fällen die Postensuchtage zustanden. Der KV-Text wurde vermutlich seither nie aktualisiert und gilt daher als „versteinertes“ (günstigeres) Recht für die Arbeitnehmer weiter.

15 FÜR DIE PRAXIS 7/2023

Frage 7: Ein Arbeitgeber hat eine Angestellte gekündigt. Diese hat während der Kündigungsfrist bereits Postensuchtage in Anspruch genommen. Während der Kündigungsfrist vereinbart der Arbeitgeber im beiderseitigen Einvernehmen die Rücknahme der Kündigung. Dürfen die „verbrauchten“ Postensuchtage einseitig in Urlaubstage umgewandelt werden?

Nein, diese Vorgangsweise ist nicht möglich. Die bereits konsumierten Postensuchtage wurden quasi „gutgläubig verbraucht“. Außerdem steht das Verbot der Urlaubsvereinbarung (§4 Abs2 UrlG) entgegen, wenn bereits bei Abschluss der Urlaubsvereinbarung bekannt war, dass die Arbeitnehmerin einen sonstigen Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei Entfall der Arbeitsleistung hat.

Frage 8: Muss der Arbeitgeber (vor allem im Falle einer AN-Kündigung) einfach so „glauben“, wenn der Arbeitnehmer quasi das Zauberwort „Arbeitssuche“ sagt? Schließlich wird eine Bestätigung kaum zu erlangen sein, wenn der Arbeitnehmer zuhause am Computer Stellenanzeigen durchforstet. Für Arbeitgeber kann dadurch der Eindruck entstehen, dass keine Möglichkeit besteht, dagegenzuwirken, wenn im Raum steht, dass der Arbeitnehmer die Arbeitssuche „nur vorschiebt“ und etwas anderes mit dem freien Tag anfangen will.

Seit der Beschäftigungsnovelle 1993, BGBl1993/502, sind die gesetzlichen Postensuchtage gemäß §22 Abs1 AngG bzw §1160 ABGB nicht mehr ausdrücklich für die Suche eines neuen Arbeitsplatzes zweckgebunden. Wofür der Arbeitnehmer die Freizeit verwendet, ist allein seine Sache. Er muss dies weder bekanntgeben noch bescheinigen. Lediglich im Falle einer notwendigen Abwägung gegen dienstliche Interessen bei der Frage, welcher Tag der Woche freizugeben ist, kann die beabsichtigte Verwendung eine Rolle spielen.

Frage 9: Einem Arbeitnehmer wurde ordnungsgemäß gekündigt und er ist noch bis 30.9.2023 beschäftigt. Der Arbeitnehmer möchte die Postensuchtage in Anspruch nehmen. Der Arbeitgeber vertritt den Standpunkt, dass der Arbeitnehmer keine neue Arbeit suchen wird, da der Arbeitnehmer ohnehin in zwei Jahren in Pension gehen wird. Hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Postensuchtage?

Allgemein kann man sagen, dass diese Argumentation des Arbeitgebers nicht greifen kann, da es sich ja offiziell um eine Freizeit während der Kündigungsfrist handelt. Trotz Erreichens des Pensionsalters ist es Arbeitnehmern nicht verwehrt, weiter berufstätig sein zu wollen. Kein Anspruch auf Freizeit während der Kündigungsfrist besteht, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich in Pension geht.

Aus Sicht des Arbeitnehmers sollte dieser jedenfalls die Postensuchtage, die ihm laut Kündigungsfrist zustehen, offiziell geltend machen. Im Falle einer hier wohl grundlosen Verweigerung kann er dafür eine Ersatzleistung verlangen (also eine finanzielle Entschädigung).

Wenn der Arbeitnehmer tatsächlich „frei“ braucht, weil er sich bei einem potenziellen neuen Arbeitgeber bewirbt, dann kann er alternativ jedenfalls auf §8 Abs3 AngG oder §1154b Abs5 ABGB (je nachdem, ob Angestellter oder Arbeiter) gestützt diese notwendige Freizeit antreten; diesfalls allerdings mit Nachweis.

16 FÜR DIE PRAXIS 7/2023

Normalarbeitszeit anders verteilt

Im Newsletter 6/2023 der ÖGK vom 30.5.2023 wurde ein Thema aufgegriffen, das vor allem in der Bauwirtschaft immer wieder zu Problemen bei der monatlichen Beitragsgrundlagenmeldung (mBGM) führt. In diversen Kollektivverträgen, ua im Baugewerbe, besteht die Möglichkeit, innerhalb eines Durchrechnungszeitraums die Arbeitszeit flexibel zu gestalten (zB „kurze/lange Woche“). Was dabei bei der Bildung der Beitragsgrundlage und in weiterer Folge bei der mBGM zu beachten ist, wird in diesem Beitrag näher erläutert.

Der Kollektivvertrag für das Baugewerbe/die Bauindustrie lässt auf Grundlage des §4 Abs6 Arbeitszeitgesetz die Verteilung der 39-stündigen Normalarbeitszeit innerhalb eines Zweiwochenzeitraums aufgeteilt in eine „kurze“ und eine „lange“ Woche zu. Je nachdem, welches Modell laut Kollektivvertrag vereinbart wird, kann die Arbeitszeit in der ➜ langen Woche von Montag bis Freitag zwischen 43 und 45 Stunden und in der ➜ kurzen Woche von Montag bis Donnerstag zwischen 35 und 36 Stunden betragen. Die Arbeitszeit in zwei Wochen beläuft sich somit auf 78 Stunden (bei Einarbeitung maximal 81Stunden).

In der Bauwirtschaft wird das Entgelt überwiegend nach den tatsächlich geleisteten Stunden abgerechnet. Für jeden einzelnen Arbeitstag steht daher ein Entgelt zu, das der tatsächlichen Tagesarbeitszeit multipliziert mit dem Stundenlohn entspricht. Die Abrechnung des Entgelts mittels mBGM ist bei derartigen Arbeitszeitmodellen im Regelfall unproblematisch.

Im Kollektivvertrag für das Baugewerbe/die Bauindustrie ist definiert, dass das Arbeitsverhältnis grundsätzlich nur zum letzten Arbeitstag einer Kalenderwoche gelöst werden kann (Ausnahme: nur bei Arbeitsverhältnissen bis zu fünf Jahren kann vor dem letzten Arbeitstag einer Kalenderwoche, bei Beendigung der Baustelle, das Arbeitsverhältnis während der Woche gelöst werden).

Unter dem letzten Arbeitstag der Kalenderwoche ist der letzte Arbeitstag, an dem in einer Kalenderwoche Arbeitsleistungen zu erbringen sind, zu verstehen. In aller Regel ist darunter der Freitag zu verstehen; das gilt auch bei den Arbeitszeitmodellen kurze/lange Woche für den Freitag der kurzen Woche, weil dieser Tag als eingearbeiteter Tag gilt. Der Freitag der kurzen Woche ist im Rahmen des Durchrechnungsmodells sowohl arbeitsals auch sozialversicherungsrechtlich als Arbeitstag bzw Versicherungstag zu werten.

Wenn daher in einer kurzen Woche das Beschäftigungsverhältnis am Freitag endet und dieser Freitag in einen neuen Kalendermonat – somit in einen neuen Beitragszeitraum –fällt, stellt sich die Frage, wie die mBGM in solchen Fällen auszufertigen ist. Dies insofern, als sämtliche gebührende Stundenlöhne bereits im Vormonat abgerechnet wurden.

Grundsätzlich gilt, dass für jeden Versicherungstag auch eine Beitragsgrundlage zu melden ist. In dieser besonderen Konstellation besteht für den Freitag der kurzen Woche allerdings kein Entgeltanspruch, obwohl das Beschäftigungsverhältnis aufrecht ist und ein Tag der Pflichtversicherung vorliegt. Das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG) beinhaltet in diesem Zusammenhang eine spezielle Bestimmung, die bei der Lösung dieser Problematik hilft.

In §44 Abs7 ASVG ist geregelt, dass im Falle einer abweichenden Vereinbarung der Arbeitszeit das Entgelt für jene Zeiträume als erworben gilt, die die versicherte Person eingearbeitet hat – in diesem Fall der Freitag der kurzen Woche. Dies gilt auch dann, wenn bei

Kollektivvertragliche Grundlage

Arbeitsrechtlicher Entgeltanspruch

Problematik bei Beendigungen

Bildung der Beitragsgrundlage

17 FÜR DIE PRAXIS 7/2023

Beispiel

Durchrechnung der Normalarbeitszeit gemäß §4 Abs4 und6 AZG festgelegt ist, dass der Dienstnehmer nach der jeweils tatsächlich geleisteten Arbeitszeit entlohnt wird.

Bildung

Aufgrund dieser Bestimmung ergibt sich somit, dass ein Teil des verdienten Entgelts sozialversicherungsrechtlich als Beitragsgrundlage (für den ersten Tag) des Folgemonats heranzuziehen ist. Eine entsprechende aliquote Berechnung ist daher vorzunehmen

Die mBGM des Vormonats muss in weiterer Folge betragsmäßig korrigiert werden. Eine Storno-mBGM und eine neue mBGM sind daher zu übermitteln.

Mit der mBGM des Folgemonates ist anschließend die Meldung der errechneten Beitragsgrundlage vorzunehmen.

In Summe bleibt der Entgeltanspruch unverändert. Es kommt lediglich zu einer Aufteilung der Beitragsgrundlage auf zwei Beitragszeiträume. Der Versicherungsumfang ändert sich nicht, auch wenn die errechnete Beitragsgrundlage im Folgemonat unter der Geringfügigkeitsgrenze liegt.

➜ Fortsetzung zur obigen Tabelle; Beschäftigung des Arbeiters von 21. 8. 2023 bis 1. 9. 2023.

➜ Stundenlohn des Arbeiters: 15€ brutto pro Stunde.

Lösung:

➜ 15€ x 78 Stunden = 1.170€.

➜ Beitragsgrundlage für August 2023: 1.170€ : 10 Tage x 9 Tage im August = 1.053€.

➜ Beitragsgrundlage für September 2023: 1.170€ : 10 Tage x 1 Tag im September = 117€.

18 FÜR DIE PRAXIS 7/2023
der Beitragsgrundlage
abweichender Normalarbeitszeit Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Arbeitsstunden lange Woche 21.8.2023 22.8.2023 23.8.2023 24.8.2023 25.8.2023 (5 Arbeitstage) 9 Stunden 9 Stunden 9 Stunden 8 Stunden 8 Stunden 43 Stunden Beitragsgrundlage August kurze Woche 28.8.2023 29.8.2023 30.8.2023 31.8.2023 1.9.2023 (4 Arbeitstage) 9 Stunden 9 Stunden 9 Stunden 8 Stunden 35 Stunden Beitragsgrundlage August Beitragsgrundlage September aliquoter Übertrag in den Beitragszeitraum September
bei

Steuerfreiheit von Überstundenzuschlägen eines leitenden Angestellten

Überstundenzuschläge gemäß §68 Abs2 EStG eines leitenden Angestellten, der weder dem Arbeitszeitgesetz noch einem Kollektivvertrag unterliegt, sind steuerpflichtig (BFG 3.3.2022, RV/2100605/2019; Revision vom VwGH mit Beschluss vom 1.6. 2022, Ra2022/15/0039, zurückgewiesen).

Im Zuge einer Prüfung lohnabhängiger Abgaben und Beiträge sind die von der Arbeitgeberin aufgrund einer Überstundenpauschale steuerfrei gemäß §68 Abs2 EStG abgerechneten Überstundenzuschläge (86€ monatlich) eines leitenden Angestellten, der weder dem Arbeitszeitgesetz unterliegt noch in den persönlichen Anwendungsbereich des Kollektivvertrags fällt, steuerpflichtig nachverrechnet worden. Dies insbesondere, weil vom leitenden Angestellten zu keiner Zeit Arbeitszeitaufzeichnungen geführt worden sind und somit nicht nachgewiesen werden konnte, dass tatsächlich Überstunden geleistet worden sind.

Das BFG bestätigte mit dem gegenständlichen Erkenntnis die Steuerpflicht der Überstundenzuschläge. Eine dagegen erhobene Revision der Arbeitgeberin wies der VwGH mittlerweile – allerdings lediglich aus formellen Gründen – mit Beschluss zurück.

Begründend führte das BFG aus, dass Überstundenzuschläge nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH nur dann steuerfrei behandelt werden können, wenn die Ableistung der Überstunden durch entsprechende Aufzeichnungen nachgewiesen wird und insbesondere die genaue Anzahl, die zeitliche Lagerung aller im Einzelnen tatsächlich geleisteten Überstunden sowie die genaue Höhe der dafür über das sonstige Arbeitsentgelt hinaus mit den Entlohnungen für diese Überstunden bezahlten Zuschläge feststehen. Die Steuerbegünstigung für Überstundenzuschläge setzt insbesondere eine Vereinbarung über die vom Arbeitnehmer exakt zu erbringenden Arbeitsstunden (Normalarbeitsstunden und Überstunden) voraus. Wenn nicht festgelegt ist, in welchem Ausmaß Normalarbeitszeit und Überstunden – mit normalem Zuschlag einerseits und mit erhöhtem Zuschlag andererseits – zu erbringen sind, ist es nicht möglich, die Höhe des Grundlohns zu eruieren.

Nach Ansicht des BFG haben leitende Angestellte, die nicht dem Arbeitszeitgesetz unterliegen und deren Normalarbeitszeit sich nicht aufgrund lohngestaltender Vorschriften wie Kollektivverträge oder Betriebsvereinbarungen, sondern aufgrund von Einzeldienstverträgen ergibt, keinen Anspruch auf eine begünstigte Besteuerung von Überstunden gemäß §68 EStG, und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine Pauschalvereinbarung handelt oder ob die Abgeltung in Form der Einzelverrechnung erfolgt (vgl VwGH 23.3.1982, 81/14/0085).

Im gegenständlichen Fall stellte das BFG unzweifelhaft fest, dass der leitende Angestellte weder dem Arbeitszeitgesetz noch dem Kollektivvertrag unterliegt, sodass bereits aus diesem Grund die Beschwerde abzuweisen wäre.

Aber auch der Vereinbarung, dass mit dem Bruttogehalt 6Mehrarbeitsstunden, 16 Überstundengrundlöhne und 16Überstundenzuschläge (50%) abgegolten sind, fehlt es an einer Festlegung der Anzahl der in der Gesamtstundenleistung enthaltenen und zu leistenden Überstunden. Selbst Aufzeichnungen über geleistete Überstunden ersetzen keine entsprechende Vereinbarung. Mangels Festlegung einer Gesamtstundenleistung ist es nicht möglich, aus dem Dienstvertrag den Grundlohn zu berechnen. Würden die jeweils tatsäch-

Sachverhalt

Erkenntnis des BFG

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lich geleisteten Überstunden der Berechnung zugrunde gelegt, wäre der Grundlohn schwankend, was dem Begriff eines solchen Lohns widersprechen würde (vgl zB VwGH 29.1.1998, 96/15/0250, mwN).

Überdies obliegt es demjenigen, der eine abgabenrechtliche Begünstigung in Anspruch nehmen möchte, selbst einwandfrei und unter Ausschluss jeden Zweifels jene Umstände darzulegen, die für die Begünstigung sprechen (vgl zB VwGH 28.10.2004, 2000/15/0054, mwN). Der Nachweis von Überstunden kann nur durch zeitnah erstellte Aufzeichnungen erbracht werden, aus denen hervorgeht, an welchen Tagen und zu welchen Tagesstunden der leitende Angestellte die Überstunden geleistet hat (VwGH 18.12.1996, 94/15/0156). Weder können im Vorhinein erstellte Dienstverträge noch nachträgliche Rekonstruktionen der zeitlichen Lagerung der Überstunden wie Zeugenaussagen oder Bestätigungen solche Aufzeichnungen ersetzen, hätten es doch sonst Arbeitgeber und Arbeitnehmer weitgehend in der Hand, eine begünstigte Besteuerung des Arbeitslohns durch missbräuchliche Verteilung der geleisteten Überstunden herbeizuführen (VwGH 28.10.1993, 90/14/0029; BFG 30.6.2021, RV/7101731/2020).

Da zu keinem Zeitpunkt Zeitaufzeichnungen geführt wurden, war die Beschwerde abzuweisen. Auch wurde dadurch der Nachweis eines zwingenden betrieblichen Erfordernisses an der Leistung von Überstunden nicht erbracht (vgl zB VwGH 26.1.2006, 2002/15/0207).

Dass im Rahmen von Vorprüfungen das Herausrechnen steuerfreier Überstundenzuschläge nie beanstandet wurde, ist unbeachtlich und auch nicht durch den Grundsatz von Treu und Glauben geschützt. Der Umstand, dass mehrere Prüfungen eine bestimmte Vorgangsweise unbeanstandet gelassen haben, hinderte die Behörde nicht, diese Vorgangsweise für spätere Zeiträume anders zu beurteilen. Das Abgehen von der bisherigen Verwaltungsübung bedeutet keinen Verstoß gegen Treu und Glauben. Vielmehr ist die Behörde nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, von einer gesetzwidrigen Verwaltungsübung, einer gesetzlich nicht gedeckten Rechtsauffassung oder einer unrichtigen Tatsachenwürdigung abzugehen, sobald sie ihr Fehlverhalten erkennt (vgl zB VwGH 16.9.2003, 97/14/0169, mwN).

Anmerkung Das BFG hat mit dem gegenständlichen Erkenntnis klargestellt, dass leitende Angestellte, die weder dem Arbeitszeitgesetz noch dem Kollektivvertrag unterliegen, keine Überstundenzuschläge steuerfrei gemäß §68 Abs2 EStG abrechnen können.

Wie das BFG zutreffend ausgeführt hat, ist die Verwaltungspraxis in Bezug auf die nicht qualifizierten Überstundenzuschläge „großzügiger“ und akzeptiert auch bei derartigen leitenden Angestellten die Steuerfreiheit der Überstundenzuschläge für tatsächlich geleistete Überstunden. Allerdings ist in diesem Fall auch die Einhaltung der in den LStR dafür genannten Voraussetzungen erforderlich. Nach Rz1161 LStR sind für die Berücksichtigung von steuerfreien Zuschlägen iSd §68 Abs2 EStG grundsätzlich keine gesonderten Aufzeichnungen erforderlich, sofern bereits in früheren Lohnzahlungszeiträumen Überstunden in diesem oder einem höheren Ausmaß erbracht und gezahlt wurden. Dies gilt auch für das Herausschälen von steuerfreien Überstundenzuschlägen gemäß §68 Abs2 EStG aus einer Gesamtgehaltsvereinbarung. Notwendige Voraussetzung zur Anwendung dieser Ausnahmen ist jedoch, dass bei Beginn des Dienstverhältnisses bzw erstmaliger Ableistung von Überstunden gemäß §68 Abs2 EStG diese jedenfalls über einen Zeitraum von sechs Monaten aufzuzeichnen sind. Werden vom Arbeitgeber Aufzeichnungen aufgrund des Arbeitszeitgesetzes oder aufgrund innerbetrieblicher Regelungen geführt, sind diese auch für steuerliche Zwecke maßgeblich.

Werden die Voraussetzungen, die die Verwaltungspraxis vorschreibt, nicht eingehalten, ist es, wie es das gegenständliche Erkenntnis des BFG deutlich zeigt, nahezu unmöglich, die Steuerfreiheit von allfälligen Überstundenzuschlägen, die die Verwaltungspraxis

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grundsätzlich zulässt, im Beschwerdeverfahren zu erwirken. Das BFG und der VwGH sind nämlich an die LStR nicht gebunden. Aus derartigen Richtlinien oder Erlässen können den Parteien mangels Kundmachung im Bundesgesetzblatt weder subjektive, vor dem VwGH verfolgbare Rechte erwachsen, noch ihnen Pflichten auferlegt werden, da es sich bei den LStR um keine für den VwGH beachtliche Rechtsquelle handelt (vgl zB VwGH 28.1.2003, 2002/14/0139, mwN).

In derartigen Fällen, wie dem gegenständlichen vom BFG entschiedenen, ist es somit unerlässlich, die in den LStR genannten Mindesterfordernisse zumindest einzuhalten.

Anzumerken ist auch, dass die „großzügigere“ Verwaltungspraxis nur für nicht qualifizierte Überstundenzuschläge gemäß §68 Abs2 EStG gilt, nicht hingegen für qualifizierte Überstundenzuschläge gemäß §68 Abs1 EStG. Für Letztere sind die strengen, durch die Judikatur geprägten Voraussetzungen einzuhalten, damit diese steuerfrei abgerechnet werden können (siehe dazu auch Rz1163 LStR).

des Urlaubszuschusses bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses (KVAÜ)

Gastbeitrag von Dr. Thomas Rauch

Dr. Thomas Rauch ist Arbeitsrechtsexperte der Sozialpolitischen Abteilung der Wirtschaftskammer Wien im Ruhestand und Autor des mittler weile in 21.Auflage erschienenen Linde-Fachbuchs „Arbeitsrecht für Arbeitgeber“, des in 2.Auflage erschienenen EFZG-Kommentars, des Fachbuchs „Arbeitgeber und Betriebsrat im betrieblichen Alltag“ und eines jährlichen ASoK-Spezials (zuletzt „Arbeitsrecht 2023“).

Nach dem Kollektivvertrag für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung (KVAÜ) ist der Teil des (bereits zur Gänze bezahlten) Urlaubszuschusses, der bei unterjähriger Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf den restlichen Teil des Kalenderjahres entfällt, zurückzuzahlen. Die Rückzahlungsverpflichtung ist beschränkt auf den Teil des Urlaubszuschusses, der dem noch nicht verbrauchten Teil des Urlaubs entspricht. Dabei kommt es nicht darauf an, dass der im letzten Jahr des Arbeitsverhältnisses verbrauchte Urlaub im letzten Jahr entstanden ist (OGH 25.1.2023, 8 ObA 85/22s).

Der KVAÜ sieht auszugsweise im AbschnittXVI zum Urlaubszuschuss Folgendes vor:

„3.Der Urlaubszuschuss ist bei Antritt des Urlaubs fällig. Bei Teilung des Urlaubs gebührt nur der entsprechende Teil des Urlaubszuschusses. […] In allen Fällen ist der Urlaubszuschuss jedoch spätestens mit der Abrechnung des Monats Juni eines jeden Jahres fällig. Bei Eintritt nach dem 30.Juni eines Jahres gilt hinsichtlich der Fälligkeit Pkt4.

4.Arbeitnehmer erhalten im Eintrittsjahr den aliquoten Teil des Urlaubszuschusses vom Eintrittsdatum bis zum Ende des Kalenderjahres (je Woche 1/52). Wird bei Eintritten nach dem 30.Juni eines Jahres ein Urlaub bis zum Ende des Kalenderjahres nicht angetreten, wird dieser aliquote Urlaubszuschuss mit der Abrechnung für Dezember ausbezahlt.

5.Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nach Verbrauch eines Urlaubs und Erhalt des Urlaubszuschusses, jedoch vor Ablauf des Kalenderjahres endet, haben den auf den restlichen Teil des Kalenderjahres entfallenden Anteil des Urlaubszuschusses zurückzuzahlen. Diese Rückzahlungsverpflichtung des bereits erhaltenen Urlaubszuschusses ist einge-

Urlaubszuschuss laut KVAÜ

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Rückverrechnung

schränkt auf den Teil des Urlaubszuschusses, der dem noch nicht verbrauchten Teil des Urlaubs entspricht.“

Sachverhalt Das Arbeitsverhältnis der Klägerin wurde aufgrund ihres Pensionsantritts mit 31.7.2021 aufgelöst. Im Mai 2021 wurde ihr der gesamte Urlaubszuschuss von 3.653,49€ brutto bezahlt. Im Zeitraum Mai bis Juli 2021 hat die Klägerin 41Urlaubstage verbraucht, davon entfielen 27,18Arbeitstage auf den Urlaubssaldo von Ende 2020 und 13,82 Arbeitstage auf den Urlaub für das Kalenderjahr 2021. Der noch offene Urlaub für 2021 betrug bei Pensionsantritt 11,18 Arbeitstage.

Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses vertrat der beklagte Arbeitgeber aufgrund seiner Auslegung des AbschnittsXVI Z5 KVAÜ und davon ausgehend, dass die Klägerin bei Ende des Arbeitsverhältnisses am 31.7.2021 von 25 Urlaubstagen des Jahres 2020 14,52 Urlaubstage verbraucht habe, den Standpunkt, die Klägerin hätte für 10,48 Urlaubstage (=25 – 14,52) den Urlaubszuschuss zurückzuzahlen (somit einen Betrag von 1.531,54€ brutto wie folgt: 3.653,49€ : 25 Urlaubstage = 146,14€ Urlaubszuschuss pro Tag; 10,48 x 146,14€ = 1.531,54€ brutto). Dieser Betrag wurde von noch offenen Entgeltansprüchen der Klägerin in Abzug gebracht.

Die Klägerin begehrte in ihrer Klage den abgezogenen Betrag, weil sie im letzten Jahr mehr als einen Jahresurlaub verbraucht habe.

Entscheidung des OGH

Der OGH hat in der eingangs erwähnten Entscheidung vom 25.1.2023 insbesondere auf folgende Aspekte verwiesen:

Kollektivverträge (normativer Teil) sind wie Gesetze nach den §§6 und7 ABGB auszulegen (OGH 24.5.2017, 9ObA 43/17i; 30.10.2017, 9ObA 93/17t). Wesentlicher Ausgangspunkt ist der Text des Kollektivvertrags, wie er sich für den Anwender darstellt (OGH 26.6.2003, 8ObA 210/02v). Auszugehen ist daher vom jeweils geltenden Wortlaut des Kollektivvertrags.

Entsprechend dem Zweck der Sonderzahlungen, dem Arbeitnehmer das Tragen der Mehrkosten, die mit dem Urlaub bzw Weihnachten verbunden sind, zu erleichtern, ist der Urlaubszuschuss grundsätzlich mit dem Urlaubsantritt bzw spätestens mit der Abrechnung für Juni fällig und die Weihnachtsremuneration spätestens am Ende jener Woche, in die der 1.12. fällt (OGH 28.10.2016, 9ObA 120/16m; 29.4.2021, 9ObA 25/21y, zum KVAÜ).

Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass der Urlaubszuschuss nur dann zusteht, wenn der Urlaub (dessen Finanzierung der Urlaubszuschuss nach der Grundidee dient) tatsächlich verbraucht wird. Vielmehr gelten die Sonderzahlungen auch die geleistete Arbeit ab. Der früher motivierende Zusammenhang zwischen Urlaub und Weihnachten und den Sonderzahlungen ist im Laufe der Zeit weitestgehend weggefallen (OGH 3.3.2010, 9ObA 151/09k). Dies ergibt sich aus dem KVAÜ schon dadurch, dass einem Arbeitnehmer, der nach dem 30.6. eingetreten ist und keinen Urlaub verbraucht hat, der aliquote Urlaubszuschuss mit der Abrechnung für Dezember zu bezahlen ist.

Eine Verknüpfung des Urlaubsanspruchs bzw des laufenden Konsums von Urlaub mit dem Urlaubszuschuss kann nicht in allgemeiner Weise hergestellt werden bzw würde dies eine ausdrückliche Grundlage erfordern (OGH 29.11.2017, 8ObS6/17s, zu einer teilweise ähnlichen Bestimmung wie im KVAÜ).

Tritt ein Arbeitnehmer im aktuellen Jahr einen Urlaub an, so wird bereits durch diesen Urlaubsantritt der Urlaubszuschuss fällig. Der AbschnittXVI Z3 Satz1 KVAÜ differenziert nicht zwischen Urlaubsansprüchen aus vergangenen Urlaubsjahren und dem Urlaubsanspruch des aktuellen Urlaubsjahres. Der KVAÜ enthält keinen Hinweis, dass

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der Urlaubszuschuss erst dann fällig wird, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub des aktuellen Jahres verbraucht. Tritt der Arbeitnehmer zB bereits im Jänner einen mehrwöchigen Urlaub an, so hat er einen Anspruch auf Auszahlung des entsprechenden Teils des Urlaubszuschusses (AbschnittXVI Z3 KVAÜ). Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um einen Urlaub aus einem Vorjahr oder den zuletzt entstandenen Urlaub handelt.

Nach AbschnittXVI Z5 Satz2 KVAÜ ist die Verpflichtung zur Rückzahlung des bereits vorhandenen, aber wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Ablauf des Kalenderjahres überproportionalen Urlaubszuschusses „eingeschränkt auf den Teil des Urlaubszuschusses, der dem noch nicht verbrauchten Teil des Urlaubs entspricht“. Diese Regelung beruht auf dem Gedanken, dass bei gänzlichem Verbrauch des Urlaubs wohl auch der gesamte Urlaubszuschuss verbraucht wurde und es deshalb dem Arbeitnehmer unzumutbar ist, diesen aliquot zurückzuzahlen, wenn sein Arbeitsverhältnis vorzeitig endet, sodass ihm an sich weniger Urlaubszuschuss aliquot zugestanden wäre. Da der Urlaubszuschuss zur Finanzierung des aktuell verbrauchten Urlaubs dient, muss AbschnittXVI Z5 KVAÜ dahin ausgelegt werden, dass keine Rückzahlungsverpflichtung besteht, wenn im laufenden Jahr zumindest Urlaub im Ausmaß des jährlichen Urlaubsanspruchs (25 oder 30 Arbeitstage) verbraucht wurde, weil davon auszugehen ist, dass der aktuelle Urlaubszuschuss für diesen Urlaub verbraucht wurde.

Die gegenteilige Auffassung von Rothe (Rothe, Arbeiter- und Angestellten-KVAÜ4 [2020] AbschnittXVI Rz27), wonach jene Urlaubsteile, die fiktiv auf ein altes Urlaubsjahr entfallen und im neuen Kalenderjahr verbraucht werden, die Verpflichtung zur Zahlung des Urlaubszuschusses nicht auslösen, da der Urlaubszuschuss für diesen Urlaubsteil schon bezahlt wurde, wird hingegen vom OGH nicht geteilt (der auf Schindler, Arbeitskräfteüberlassungs-KV5 [2022] 384 und 388, sowie Kurzböck, Der NEUE Arbeiter-KV in der Arbeitskräfteüberlassung, LV Aktuell Sonderheft [2012] 75, verweist, die seine Auslegung teilen).

ME ist hierzu festzuhalten, dass es im auszulegenden AbschnittXVI Z5 KVAÜ um die Rückzahlung des zur Gänze bezahlten Urlaubszuschusses bei unterjähriger Auflösung des Arbeitsverhältnisses und damit einen Überbezug geht.

Der jeweilige Kollektivvertrag, welcher den Anspruch auf die Sonderzahlungen vorsieht, kann auch die Höhe, Fälligkeit und Berechnung sowie auch die Rückverrechnung der Sonderzahlungen bei unterjährigem Ausscheiden eines Arbeitnehmers regeln. Den Kollektivvertragsparteien steht auch das Recht zu, das Entstehen des Anspruchs auf Sonderzahlungen an bestimmte Bedingungen zu knüpfen (OGH 14.9.1995, 9ObA 40/95; 30.1.2018, 9ObA 141/17a).

Für die Rückverrechnung von Sonderzahlungen bei unterjähriger Auflösung des Arbeitsverhältnisses kann der Kollektivvertrag eine Regelung vornehmen (wie zB AbschnittXVI Z5 KVAÜ). Enthält der Kollektivvertrag dazu keine Bestimmung, so ist die Rückverrechnung jedenfalls zulässig, weil jeglicher Anhaltspunkt fehlt, dass ein Anspruch auf die gesamte Sonderzahlung gegeben sein könnte (OGH 12.8.1999, 8 ObA 221/99d).

Diesbezüglich ist auch keine Ausnahme vorgesehen, wenn der Urlaub des aktuellen Jahres bereits zur Gänze verbraucht sein sollte und der Urlaubszuschuss daher nicht der Finanzierung eines Urlaubs dienen kann. Dies ergibt sich schon daraus, dass (wie der OGH in der hier erörterten aktuellen Entscheidung selbst ausführt) der Zusammenhang zwischen Urlaub und Urlaubszuschuss im Laufe der Zeit weitestgehend entfallen ist. Dennoch bleibt es den Kollektivvertragsparteien unbenommen, die Rückzahlung des Urlaubszuschusses bei unterjähriger Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Urlaubskonsum zu verknüpfen

Rückverrechnung von Sonderzahlungen

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Zinsen für Forderungen aus Dienstverhältnissen

Urlaub dient der Erholung des Arbeitnehmers, die durch den vorübergehenden Entfall der arbeitsrechtlichen Pflichtbindungen und der Schaffung eines Freiraums für die Selbstbestimmung erreicht wird (OGH 22.11.1989, 9 ObA 306/89). Die Erholung wird durch den laufenden Verbrauch des Urlaubs am besten verwirklicht. Dementsprechend sieht §4 Abs1 UrlG vor, dass der Urlaub so zu vereinbaren ist, dass er möglichst bis zum Ende des Urlaubsjahres, in dem der Anspruch entstanden ist, verbraucht werden kann. Falls der Arbeitgeber nicht den laufenden Verbrauch des Urlaubs durch entsprechende organisatorische Maßnahmen absichert, so hat er bei Ende des Arbeitsverhältnisses eine entsprechend höhere Vergütung des Resturlaubs zu bezahlen (Ersatzleistung nach §10 Abs1 UrlG).

Sollte der Arbeitnehmer den Abschluss von Urlaubsvereinbarungen unterlassen, so verjährt sein Urlaubsanspruch nach Ablauf von zwei Jahren ab dem Ende des Urlaubsjahres, in dem er entstanden ist (§4 Abs5 UrlG). Diese Bestimmung sowie insbesondere auch das Ablöseverbot (§7 UrlG) sollen den laufenden Urlaubskonsum zwecks optimaler Erholung des Arbeitnehmers sicherstellen.

Den Kollektivvertragsparteien bleibt es unbenommen, mittels zB einer Rückverrechnungsregelung eine zusätzliche Maßnahme zur Sicherung der regelmäßigen Erholung des Arbeitnehmers durch laufenden Urlaubskonsum zu treffen. Eine solche zusätzliche Absicherung der Regelmäßigkeit der Erholung durch Urlaub iSd §4 Abs1 UrlG wird nur durch den laufenden Konsum von Urlaub und letztlich den Verbrauch des im Jahr der Auflösung des Arbeitsverhältnisses entstanden en Urlaubs erreicht. Verbraucht also der Arbeitnehmer jährlich den jeweils entstandenen Urlaub, so entfällt die Rückverrechnung im letzten Jahr des Arbeitsverhältnisses und wird damit der regelmäßige Verbrauch von Urlaub begünstigt. Wird die Rückverrechnung auch dann ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer einen Alturlaub in entsprechendem Ausmaß im letzten Jahr verbraucht, so wird damit der laufende Urlaubskonsum nicht gefördert. Die Meinung des OGH, dass dem Arbeitnehmer die Rückverrechnung „unzumutbar“ sei, wenn er im letzten Jahr des Arbeitsverhältnisses einen Alturlaub im Ausmaß eines gänzlichen Jahresurlaubs verbraucht habe (und den Urlaubszuschuss für die Finanzierung dieses Urlaubs benötige), übersieht, dass in einer solchen Konstellation in Vorjahren der Urlaubszuschuss bezahlt und nicht für die Finanzierung der Urlaubsgestaltung, sondern für künftige Urlaube gewidmet („aufgehoben“) werden konnte.

ME entfällt also die Rückverrechnung des zur Gänze bezahlten Urlaubszuschusses im Jahr der unterjährigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses nur dann, wenn der in diesem Jahr entstandene Urlaub verbraucht wird, weil nur dadurch der laufende Urlaubskonsum (iSd Erholung des Arbeitnehmers) gefördert wird (und entspricht dies im Ergebnis auch den Erkenntnissen der Unterinstanzen).

Begehrt wurde von der Klägerin ein Zinssatz von 8,85% nach §49a ASGG. Diese Bestimmung sieht weiters vor, dass der Zinssatz des ABGB in Höhe von 4% (§1000 Abs1 ABGB) anzuwenden ist, wenn die Verzögerung der Zahlung auf einer vertretbaren Rechtsansicht des Schuldners beruht. Eine vertretbare Rechtsansicht ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Schuldner zu einer Rechtsfrage, zu der noch keine Judikatur vorliegt, eine nachvollziehbare Rechtsauffassung vertritt (OGH 26.3.1997, 9ObA 80/ 97y). Da der OGH die Rechtsansicht von Rothe für vertretbar angesehen hat, wurde das auf Zahlung weiterer Zinsen in Höhe von 4,58% ab 1.8.2021 gerichtete Mehrbegehren abgewiesen (Details zu §49a ASGG siehe Rauch, Arbeitsrecht für Arbeitgeber21 [2022] 852).

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RECHTSPRECHUNG

Wie viel Dienstleistung darf in einem Werkvertrag stecken?

Auf diese Frage ließ sich der VwGH erst gar nicht ein. Er zitierte ein weiteres Mal die von der ständigen Rechtsprechung des VwGH entwickelte Abgrenzung des (freien) Dienstvertrags vom Werkvertrag. Wer sich zur laufenden Abhaltung von Kursen verpflichtet, nicht aber zur Erbringung eines individualisierten und konkretisierten Werks, arbeitet im Rahmen eines (freien) Dienstvertrags (VwGH 4.10.2022, Ra2022/08/0130).

Die Revisionswerberin betreibt ein Fitnesscenter. Dort wurden von der Erst- und der Zweitbeteiligten Tanz- und Fitnesskurse abgehalten. Die Tätigkeit der Erstmitbeteiligten wurde von der ÖGK und dem BVwG als freier Dienstvertrag, die Tätigkeit der Zweitmitbeteiligten als Dienstvertrag (mit Einkünften unter der Geringfügigkeitsgrenze liegend) qualifiziert. Das BVwG sprach aus, dass eine Revision nicht zulässig sei.

Nach Art133 Abs4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des VwGH abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des VwGH nicht einheitlich beantwortet wird. Pauschale Behauptungen erfüllen die Voraussetzung nicht.

Die außerordentliche Revision begründete die Beschwerdeführerin damit, dass die Frage zu klären sei, ob im Rahmen eines Werkvertrags Dienstleistungen angeboten werden könnten, oder ob „jedweder Dienstleistungsvertrag“ beim Vorliegen auch nur eines Merkmals der persönlichen Abhängigkeit zum „automatischen Vorliegen“ einer Pflichtversicherung nach dem ASVG führe.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des VwGH, dass allen drei Vertragstypen (Dienstvertrag, freier Dienstvertrag, Werkvertrag) die freiwillige Verpflichtung zur Arbeit, die Entgeltlichkeit sowie eine gewisse Dauer gemeinsam sind.

Zur Unterscheidung zwischen einem (freien) Dienstvertrag und einem Werkvertrag kommt es entscheidend darauf an, ob sich jemand auf gewisse Zeit zur Dienstleistung für einen anderen (den Dienstgeber) verpflichtet. In diesem Fall liegt ein Dienstvertrag vor. Wird die Herstellung eines Werks gegen Entgelt übernommen, wobei es sich um eine im Vertrag individualisierte und konkretisierte Leistung, also eine in sich geschlossene Einheit handelt, liegt ein Werkvertrag vor.

Beim Dienstvertrag kommt es primär auf die rechtlich begründete Verfügungsmacht des Dienstgebers über die Arbeitskraft des Dienstnehmers, also auf die Bereitschaft des Dienstnehmers zur Erbringung von Dienstleistungen für eine bestimmte Zeit, an. Der Werkvertrag dagegen begründet in der Regel ein Zielschuldverhältnis. Die Verpflichtung besteht darin, die genau umrissene Leistung – in der Regel bis zu einem bestimmten Termin – zu erbringen. Mit der Erbringung der Leistung endet das Vertragsverhältnis. Das Interesse des Bestellers und die Vertragsverpflichtung des Werkunternehmers sind lediglich auf das Endprodukt als solches gerichtet. Für den Werkvertrag ist die Gewährleistungsverpflichtung essenziell, die am Maßstab des Erfolgs der Tätigkeit gemessen werden kann (zB VwGH 29.1.2020, Ra2018/08/0028).

Das BVwG hat sich bei seiner Beurteilung, es lägen Dienstverträge vor, im Sinn dieser Rechtsprechung darauf gestützt, dass die Erst- und die Zweitmitbeteiligte sich gegenüber der revisionswerbenden Partei zur laufenden Abhaltung von Kursen – somit zu Dienstleistungen –, nicht aber zur Erbringung eines Werks – somit zu individualisierten und konkretisierten Leistungen – verpflichtet hätten.

Sachverhalt

Zulassungsbegründung für die außerordentliche Revision

Dienstvertrag versus Werkvertrag

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Mit ihrem Vorbringen zeigt die Revisionswerberin nicht konkret auf, dass das BVwG mit dieser fallbezogenen Beurteilung von der dargestellten Judikatur des VwGH abgewichen wäre. Die Revision war daher ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Gleichzeitige Karenz der Eltern für unterschiedliche Kinder

Wieder einmal hatte sich der OGH mit dem Anspruch auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt auseinanderzusetzen. Wieder einmal standen die nationalen Gleichstellungserfordernisse im Mittelpunkt. Entscheidend war diesmal die Frage, ob die unzulässige gleichzeitige Inanspruchnahme von Karenz durch beide Eltern nur für dasselbe oder auch für verschiedene Kinder gilt. Damit wird diese Entscheidung des OGH aber auch außerhalb des Bereichs Kinderbetreuungsgeld arbeitsrechtlich interessant (OGH 18.10.2022, 10ObS61/22a).

Sachverhalt Die Klägerin lebt mit ihrem Ehemann und den gemeinsamen drei Töchtern (M, geboren am 29.11.2018, F, geboren am 1.3.2020, und S, geboren am 10.2.2021) in Deutschland. Der Ehemann arbeitet in Deutschland, die Klägerin in Österreich. Aufgrund der Geburt von M vereinbarte die Klägerin mit dem Arbeitgeber Karenz. Innerhalb dieser Karenz wurde sie wieder schwanger und befand sich für M noch bis 3.10.2019 in Karenz und ab 4.10.2019 bis 26.4.2020 in Mutterschutz für F. Aufgrund der Geburt von F vereinbarte sie wieder Karenz von 27.4.2020 bis 28.2.2022. Für die Zeit von 26.4.2020 bis 28.2.2021 beantragte sie einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld. Ihr Ehemann nahm vom 24.2.2020 bis 15.7.2020 für M deutsche Elternzeit in Anspruch.

Die ÖGK lehnte diesen Antrag ab, da sich die Klägerin entgegen §15 Abs1a MSchG und §15a Abs2 MSchG mehr als einen Monat (zwischen 27.4.2020 und 15.7.2020) gleichzeitig mit ihrem Gatten in Karenz befunden habe. Da eine der Ausübung einer Erwerbstätigkeit gleichgestellte Situation iSd VO (EG) 883/2004 nur vorliege, wenn die Karenz den Bestimmungen des MSchG entspreche, sei Österreich für die Gewährung von Familienleistungen nicht zuständig.

Das Erstgericht wies das gegen diesen Bescheid erhobene Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht sprach der Klägerin dagegen das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld zu (sogar mehr als die Klägerin in ihrer Berufung geltend machte, weswegen dieses Mehrbegehren vom OGH wegen Nichtigkeit aufzuheben war). Laut Berufungsgericht habe die Klägerin nur dann Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld, wenn sie einer Erwerbstätigkeit gleichgestellte Zeiten in Form von Mutterschutz und Karenz vorweisen könne. Fraglich wäre nur, ob die Karenzzeiten den Bestimmungen des MSchG entsprochen hätten. Die Vorschrift, wonach sich Eltern nicht gleichzeitig in Karenz befinden dürften, beziehe sich laut Berufungsgericht aber nur auf ein und dasselbe Kind. Befinden sich die Eltern aber für unterschiedliche Kinder in Karenz, liege die lückenlose Aneinanderreihung von gleichgestellten Zeiten vor, was zur subsidiären Zuständigkeit Österreichs für das Kinderbetreuungsgeld führe.

Abgesehen von der aufzugreifenden Nichtigkeit sah das der OGH auch so.

26 PV INTERNATIONAL 7/2023
Mag. Christa Kocher

Eine Definition des Begriffs „Beschäftigung“ iSd Art1 lita VO (EG) 883/2004 ist für den Bereich des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes in §24 Abs2 KBGG festgelegt. Die Zuständigkeit Österreichs wird nur dann ausgelöst, wenn die nationalen Gleichstellungserfordernisse, also die Voraussetzungen und die Bedingungen des MSchG (und VKG), eingehalten werden. Es bedarf für die Leistungszuständigkeit Österreichs und für die Erfüllung der Voraussetzungen für den Bezug von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld die lückenlose Aneinanderreihung von Zeiten der „Beschäftigung (einschließlich Mutterschutz- und Karenzzeiten)“

In ihrer Revision argumentierte die Beklagte, dass der Wortlaut des §15 Abs1a MSchG eindeutig sei und für die Interpretation des Berufungsgerichts keinen Raum lasse: Eine gleichzeitige Karenz sei nur im Zuge des erstmaligen Wechsels der Bezugsperson und nur für einen Zeitraum von einem Monat zulässig (§15a Abs2 MSchG), was unstrittig nicht erfüllt sei.

Der OGH stimmt der ÖGK zwar grundsätzlich zu, dass gemäß §15 Abs1a MSchG iVm §15a Abs2 MSchG sowie §2 VKG die gleichzeitige Inanspruchnahme von Karenz durch beide Elternteile für länger als einen Monat nicht zulässig ist (OGH 28.7.2020, 10 ObS81/20i, zur gleichzeitigen Karenz für ein und dasselbe Kind). Isoliert betrachtet ist die Auslegung der beklagten Partei, wonach die gleichzeitige Inanspruchnahme „von Karenz“ sowohl für ein und dasselbe Kind als auch für verschiedene Kinder nicht zulässig ist, durchaus möglich. Allerdings sprechen laut OGH sowohl die systematische Betrachtung als auch die historische Entwicklung gegen diese Auslegung.

Die Frage einer gleichzeitigen Karenz beider Eltern stellte sich erst mit der Möglichkeit der Väterkarenz. Ursprünglich hatten Väter nur dann und soweit Anspruch auf Karenz, als der Mutter ein solcher Anspruch zukam und die Mutter diesen nicht in Anspruch nahm. Die Konsequenz aus diesem, von der Mutter abgeleiteten Anspruch war nicht nur, dass eine gleichzeitige Inanspruchnahme beider Eltern unmöglich war, sondern, dass sich dieser aufgeteilte Anspruch auch zwingend auf dasselbe Kind beziehen musste. Dieser abgeleitete Anspruch des Vaters widersprach dem EU-Recht. Durch die Novelle BGBlI 1999/153 haben nunmehr auch Väter einen eigenständigen Anspruch auf Väterkarenz. Daran, dass die Karenz für dasselbe Kind bloß aufgeteilt und die aufgeteilten Zeiten nicht gleichzeitig konsumiert werden können, änderte sich aber nichts.

Der nunmehrige §15 Abs1a MSchG (eingefügt durch die Novelle BGBlI 2004/123) sowie der zweite Halbsatz des §2 Abs1 VKG (geändert mit der Novelle BGBlI 2004/124) wurden deshalb eingefügt, weil die Europäische Kommission (trotz der Änderungen durch die Novelle BGBlI 1999/153) das Bestehen eines individuellen, nicht hinter das Recht der Mutter zurücktretenden Anspruchs des Vaters auf Karenz bezweifelte. Inhaltliche Änderungen sollte es durch diese Novellen aber ausdrücklich nicht geben.

Für den OGH ergibt sich somit weder aus der Entwicklung der betreffenden Bestimmungen noch aus den Gesetzesmaterialien, dass die ursprüngliche, auf die Karenz für dasselbe Kind abzielende Regelung auf die gleichzeitige Karenz für verschiedene Kinder ausgeweitet werden sollte. Die Ansicht der ÖGK würde im Fall von getrenntlebenden Eltern dazu führen, dass nur für ein Kind Karenz in Anspruch genommen werden könnte und das andere unbetreut bliebe.

§15 Abs1a MSchG ist daher dahingehend auszulegen, dass er nur die gleichzeitige Inanspruchnahme von Karenz für dasselbe Kind erfasst und ausschließt, nicht jedoch für unterschiedliche Kinder

Erwerbstätigkeit und gleichgestellte Zeiten

Gleichzeitige Karenz durch beide Eltern

Entwicklung der Väterkarenz

Gleichzeitige Karenz für verschiedene Kinder möglich

27 PV INTERNATIONAL 7/2023

Steuerpflichtige Trinkgelder – sonstiger oder laufender Bezug?

Grundsätzlich sind Trinkgelder steuerfrei, sofern sie gewisse Voraussetzungen erfüllen. Das BFG (23.1.2023, RV/1100264/2022) hatte zu klären, ob, wenn es sich mangels solcher Voraussetzungen um spezifische steuerpflichtige Trinkgelder handelt, diese einen sonstigen oder laufenden Bezug darstellen.

Sachverhalt Eine in Österreich steuerrechtlich ansässige Grenzgängerin bezog bei einem ausländischen Arbeitgeber 2020 ganzjährig Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Im zugrunde gelegten Jahreslohnausweis samt Beiblatt wurden als sonstige Bezüge ein 13. und 14. Monatsgehalt sowie ein Leistungsbonus angeführt. Die mit der Tätigkeit der Steuerpflichtigen erworbenen Trinkgelder (Tronc-Anteile: Dabei handelt es sich um einen Trinkgeldpool etwa in Casinos. Dies findet meist dort Anwendung, wo die direkte Annahme von Trinkgeld untersagt ist, wie etwa im Glücksspielsektor.) wurden als laufender Bezug ausgewiesen

Die Steuerpflichtige begehrte ua die Behandlung der Tronc-Anteile als sonstigen Bezug.

BFG-Erkenntnis Das BFG wies die Beschwerde als unbegründet ab. Im Verfahren wurde die Beschwerdeführerin mehrmals aufgefordert, den Arbeitsvertrag vorzulegen, um zu prüfen, ob die Widmung der Zahlungen anders vorgenommen werden muss, als dies im Lohnausweis ersichtlich ist. Diesen Vorhalten wurde nicht entsprochen. In der Begründung wurde ausgeführt, was als laufender und als sonstiger Bezug zu sehen ist. Kernaussage ist, dass sonstige Bezüge zusätzlich zum laufenden Arbeitslohn ausbezahlt werden müssen. Sonstige Bezüge müssen sich sowohl durch den anspruchsbegründenden Rechtstitel als auch durch die tatsächliche Auszahlung (Zufluss; Auszahlungsmodalität) deutlich von den laufenden Bezügen unterscheiden.

Das Gericht sah keine Gründe, den vom Arbeitgeber übermittelten Lohnausweis als unzutreffend zu werten.

Anmerkungen

Trinkgelder sind unter bestimmten Voraussetzungen von der Einkommensteuer befreit (§3 Abs1 Z16a EStG). Das steuerfreie Trinkgeld muss

➜ ortsüblich sein,

➜ an Arbeitnehmer

➜ von dritter Seite

➜ aufgrund deren Arbeitsleistung

➜ freiwillig gewährt werden, und

➜ es darf kein gesetzliches oder kollektivvertragliches Annahmeverbot bestehen.

Ob im gegenständlichen Fall ein schädliches Annahmeverbot im Ausland bestand oder nicht, lässt sich aus der Entscheidung nicht erkennen. Nach österreichischer Rechtsordnung sind (direkte) Trinkgeldannahmen beim Glücksspiel untersagt (§27 GSpG).

Das Erkenntnis zeigt jedoch auch einen Weg auf, um ein allfälliges steuerpflichtiges Trinkgeld einkommensteuerrechtlich als sonstigen Bezug zu gestalten. Nicht umsonst wurde ua der Arbeitsvertrag der Steuerpflichtigen angefordert, um hier Klarheit zu erlangen, ob der Rechtsanspruch und die Auszahlungsmodalität des Trinkgeldanteils so gestaltet sind, dass es sich um einen sonstigen Bezug handeln würde. Dies könnte im Arbeitsvertrag derart gestaltet werden, dass die Auszahlung dieser Ansprüche etwa vierteljährlich erfolgt. Eine aufgrund rein steuerrechtlicher Optimierung vorgenommene derartige Vereinbarung ist nicht schädlich (vgl Schuster, Die Sechstelbegünstigung für Grenzgänger nach Deutschland, PV-Info 4/2021, Seite29).

28 PV INTERNATIONAL 7/2023

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