PV-Info 2/2024 Leseprobe

Page 1


19. Jahrgang / Februar 2024 / Nr. 2

Monika Kunesch | Christian Artner | Andreas Gerhartl | Rudolf Grafeneder

Christa Kocher | Martin Kuprian | Judith Morgenstern

Alexandra Platzer | Irina Prinz | Stefan Schuster | Michael Seebacher

Neue

Gesetze und Erlässe

FAQs der Finanzverwaltung zur Mitarbeiterprämie

Für die Praxis

Zielprämien- und Provisionsvereinbarungen

Kollektivvertragsabschluss mit Rückwirkung

Rechtsprechung

Weiterbildungsgeld bei Absolvierung eines Studiums

Steuerfreiheit von Überstundenzuschlägen

Sachbezug für die Privatnutzung eines Firmen-Kfz

Verzögerter Beginn einer Wiedereingliederungsteilzeit

Aufwandersatz für Homeoffice

Familienzeitbonus trotz Krankenhausaufenthalts

Kinderbetreuungsgeld und Untersuchungsnachweise

PV international

Besteuerung von Flugpersonal nach dem DBA Malta

INHALTSVERZEICHNIS

bei fehlenden Untersuchungsnachweisen auch bei kompliziertem Unionsrecht (Christa Kocher)

Besteuerung von in Österreich ansässigem Flugpersonal nach dem DBA

Redaktion:

Chefredakteurin: Mag. Monika Kunesch, LL.M.

Redaktionsteam: Christian Artner; Dr. Andreas Gerhartl; Rudolf Grafeneder; Mag. Christa Kocher; HR Mag. Martin Kuprian; Mag. Judith Morgenstern; Mag. Alexandra Platzer; Dr. Irina Prinz; Mag. Stefan Schuster, LL.M. MBA MSc; Mag. Michael Seebacher.

Medieninhaber und Medienunternehmen:

Linde Verlag Ges.m.b.H., A-1210 Wien, Scheydgasse 24; Telefon: 01/24 630 Serie, Telefax: 01/24 630-723 DW, E-Mail: office@lindeverlag.at; http://www.lindeverlag.at DVR 0002356. Rechtsform der Gesellschaft: Ges. m. b. H., Sitz Wien Firmenbuchnummer: 102235x Fimenbuchgericht: Handelsgericht Wien, ARA-Lizenz-Nr. 3991 Gesellschafter: Anna Jentzsch (35 %) und Jentzsch Holding GmbH (65%)

Geschäftsführer: Mag. Klaus Kornherr, Benjamin Jentzsch

Erscheinungsweise und Bezugspreise: Erscheint zwölfmal jährlich.

Jahresabonnement (Print) 2024 EUR 161,90, (Print & Digital) 2024 EUR 187,60, jeweils inkl. MwSt. zzgl. Versandspesen Einzelheft 2024 EUR 27,10

Unterbleibt die Abbestellung, so läuft das Abonnement automatisch um ein Jahr zu den jeweils gültigen Konditionen weiter. Abbestellungen sind nur zum Ende eines Jahrganges möglich und müssen bis spätestens 30. November schriftlich erfolgen.

Nachdruck – auch auszugsweise – ist nur mit ausdrücklicher Bewilligung des Verlages gestattet. Es wird darauf verwiesen, dass alle Angaben in dieser Fachzeitschrift trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr erfolgen und eine Haftung des Verlages, der Redaktion oder der Autoren ausgeschlossen ist. Für Publikationen in den Fachzeitschriften des Linde Verlags gelten die AGB für Autorinnen und Autoren (abrufbar unter https://www.lindeverlag.at/agb) sowie die Datenschutzerklärung (abrufbar unter https://www.lindeverlag.at/datenschutz).

Anzeigenverkauf und -beratung: Gabriele Hladik, Tel.: 01/24 630-719, E-Mail: gabriele.hladik@lindeverlag.at Sonja Grobauer, Tel.: 0664/787 333 76, E-Mail: sonja.grobauer@lindeverlag.at Herstellung

Druckerei Hans Jentzsch & Co GmbH 1210 Wien, Scheydgasse 31, Tel.: 01/278 42 16-0; E-Mail: office@jentzsch.at Mehrfach umweltzertifiziert (http://www.jentzsch.at)

FAQs der Finanzverwaltung zur Mitarbeiterprämie (vormals: Teuerungsprämie) 2024

Kaum war die Regelung zur neuen Mitarbeiterprämie, die die Teuerungsprämienregelung der Jahre 2022 und 2023 im Jahr 2024 ablöst, im Start-Up-Förderungsgesetz veröffentlicht (BGBl I 2023/200, ausgegeben am 31. 12. 2023, siehe Kunesch, Teuerungsprämie wird zur Mitarbeiterprämie, PV-Info 1/2024, Seite 2f), wurden auch schon die ersten Fragen dazu vom BMF kommentiert (https://www.bmf.gv.at/rechtsnews/ steuern-rechtsnews/aktuelle-infos-und-erlaesse/Fachinformationen---Ertragsteuern/Fachinformationen--Lohnsteuer.html). Es wird wohl nicht bei dieser einen FAQ-Runde bleiben; zu viele Fragen sind noch offen.

Die Arbeitgeber, vor allem Mitglieder der Wirtschaftskammer oder einer Kammer der freien Berufe, warten gespannt darauf, ob in den Verhandlungen mit der zuständigen Gewerkschaft zum aktuellen Kollektivvertrag eine Mitarbeiterprämie vorgesehen wird bzw eine diesbezügliche Regelung der Betriebsvereinbarung überlassen wird. Nur dann haben Arbeitgeber die Chance, steuerfreie Mitarbeiterprämien im Jahr 2024 auszubezahlen –gegebenenfalls durch eine Vereinbarung mit allen Arbeitnehmern, sollte im Unternehmen kein Betriebsrat eingerichtet sein. Bleiben die Kammern bzw die Gewerkschaften untätig, besteht keine Chance auf die Abrechnung einer steuerfreien Mitarbeiterprämie. Unter diesem Aspekt könnte es für Arbeitgeber von Vorteil sein, gar keiner Kammer anzugehören, könnten sie doch diesfalls für alle Arbeitnehmer eine Vereinbarung vorsehen, sofern im Unternehmen kein Betriebsrat eingerichtet ist. Arbeitskräfteüberlassung

Eine Arbeitskraft wird an einen Betrieb überlassen. Der Beschäftiger gewährt aufgrund einer lohngestaltenden Vorschrift gemäß §68 Abs5 Z5 oder 6 EStG eine steuer- und abgabenfreie Mitarbeiterprämie. Es besteht für die überlassene Arbeitskraft ein Anspruch gemäß §10 AÜG auf Gewährung einer im Beschäftiger-Kollektivvertrag geregelten Mitarbeiterprämie. Die Zahlung der Mitarbeiterprämie an die überlassene Arbeitskraft ist ebenfalls steuer- und abgabenfrei.

Sofern seitens des überlassenen Arbeitnehmers ein arbeitsrechtlicher Anspruch auf die Auszahlung einer Mitarbeiterprämie besteht, die im Kollektivvertrag des Beschäftigers vereinbart ist, kann diese steuerfrei ausbezahlt werden. Dies ist unabhängig davon, ob auch der Kollektivvertrag des Überlassers eine solche Prämie vorsieht.

Freiwillige Gewährung aufgrund einer Kollektivvertrags-Ermächtigung Der Kollektivvertrag sieht grundsätzlich eine Erhöhung der Mindestlöhne vor (keine IstLohn-Erhöhung). Bisher wurde eine freiwillige Erhöhung (ohne betriebliche Übung) der Ist-Löhne gewährt. Nunmehr wird innerbetrieblich als Interessenausgleich für eine geringere Erhöhung der Ist-Löhne eine Mitarbeiterprämie auf Basis einer Ermächtigung im Kollektivvertrag gewährt. Die Zahlung der Mitarbeiterprämie ist – wenn es sich dabei nicht um bereits bezahlte Gehälter handelt – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen ebenfalls nicht schädlich für die Steuerbefreiung.

Wird eine Mitarbeiterprämie aufgrund einer kollektivvertraglichen Ermächtigung gewährt, so muss hinsichtlich ihrer Einräumung eine Betriebsvereinbarung vorliegen. Kann eine solche, insbesondere bei Fehlen eines Betriebsrats, nicht abgeschlossen werden, bedarf es einer diesbezüglichen Vereinbarung mit allen Arbeitnehmern.

Sieht der Kollektivvertrag grundsätzlich eine Erhöhung der Mindestlöhne vor und wird innerbetrieblich als Interessenausgleich für eine geringere Erhöhung der Ist-Löhne eine Mit-

Status quo

Die vom BMF beantworteten Fragen

FÜR DIE PRAXIS

arbeiterprämie (auf Basis einer kollektivvertraglichen Ermächtigung) gewährt, so handelt es sich hierbei um keine schädliche Gehaltsumwandlung. Die Mitarbeiterprämie kann demnach bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen steuerfrei ausbezahlt werden.

Dies ergibt sich insbesondere aus den parlamentarischen Materialien, wo ausgeführt wird: „Wird für das Kalenderjahr 2024 kollektivvertraglich vorgesehen, dass als Interessensausgleich für eine geringere Erhöhung der Ist-Monatslöhne eine Mitarbeiterprämie gezahlt wird, dann ist dies – wenn es sich dabei nicht um bereits bezahlte Löhne handelt – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen ebenfalls nicht schädlich für die Steuerbefreiung.“

Anmerkung: Diesbezüglich stellt sich die Frage, ob sich etwas ändern würde, wenn zum Zeitpunkt der Mindestlohnerhöhung im Unternehmen eine Ist-Lohn-Erhöhung vorgenommen wird und daraus eine betriebliche Übung entstanden ist.

Ausblick Es ist zu erwarten, dass das BMF angesichts vieler offener Fragen, wie zB jene einer Differenzierungsmöglichkeit zwischen den Arbeitnehmern in Abhängigkeit von der Zugehörigkeit zum Unternehmen, der Höhe der Bezüge, des Beschäftigungsausmaßes uä, noch weitere FAQs veröffentlichen wird.

Zielprämien- und Provisionsvereinbarungen

–Sonderzahlungen oder laufender Bezug?

Christian Artner

Bei Zielprämienvereinbarungen oder Provisionsvereinbarungen stellt sich die Frage, ob diese sozialversicherungsrechtlich als Sonderzahlung oder als laufender Bezug abzurechnen sind. Vor allem Akontierungsvereinbarungen oder die steueroptimierte Auszahlung (zB als sechsteloptimierte Zahlung in Raten, auch „Formel 7“ genannt) von Prämien führen nach Auffassung der ÖGK zum Ergebnis, dass auch monatlich ausbezahlte Bezüge Sonderzahlungen iSd Sozialversicherung sein können. Dieser Beitrag arbeitet die Unterschiede zwischen Provisionen (laufender Bezug) und Zielprämien (Sonderzahlung) heraus. Die Analyse führt zum Resultat, dass eine Provision durchaus ein laufender Bezug bleiben kann, auch wenn sie nur vierteljährlich bezahlt wird, und eine Zielprämie eine Sonderzahlung bleibt, auch wenn sie „laufend“ akontiert wird.

Bei vielen Unternehmen ist zwischen Jänner und April typische „Bonus-Zeit“, während der den Leistungsträgern mitgeteilt wird, wie hoch ihre Leistungsprämie (Zielerreichungsprämie, Jahresbonus, Gewinnbeteiligung udgl) für das Vorjahr ist. Wird dann die „Formel 7“ oder eventuell eine 14-malige Prämienauszahlung vereinbart, dann werden – angesichts meiner Wahrnehmungen der LV-Praxis – die monatlichen Teilbeträge in der Sozialversicherung häufig als laufende Bezüge erfasst. Zugegebenermaßen werden diese Teilzahlungen von GPLB-Prüfern regelmäßig akzeptiert, weil diesfalls im Regelfall (auch) keine Verminderung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags für Niedrigverdiener möglich ist. Ein praktisches Thema sehe ich jedoch vor allem bei den Sozialleistungen wie Wochengeld, Krankengeld oder Altersteilzeitgeld.

Sonderzahlung oder laufender Bezug?

Zunächst ist die Definition der „Sonderzahlung“ hilfreich, da sie gleichzeitig eine Abgrenzung zum laufenden Bezug mit sich bringt. Es gilt dabei zu beachten, dass der Begriff „Sonderzahlung“ ein ASVG-Begriff ist, währen d im Steuerrecht der Begriff „sonstiger Bezug“ verwendet wird (§67 EStG). Dies sei deshalb erwähnt, da sich der Beitrag speziell mit der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung von wiederkehrenden Prämien und Provisionen beschäftigt.

Sonderzahlungen sind Bezüge, die in größeren Zeiträumen als den Beitragszeiträumen gewährt werden. Voraussetzung ist, dass der Bezug nicht einmalig gewährt wird, sondern

FÜR DIE PRAXIS

dass mit einer Wiedergewährung in größeren Zeiträumen als den Beitragszeiträumen zu rechnen ist (§49 Abs2 ASVG).

Absolut einmalige Zahlungen („Einmalprämien“) werden der Beitragsgrundlage des laufenden Bezugs des betreffenden Beitragszeitraums zugerechnet. In der Praxis kann es daher durchaus vorkommen, dass Prämien oder Provisionen, welche mit einem „Anspruchsvorbehalt“ bezahlt werden und einmalig bleiben, der Beitragsgrundlage des laufenden Bezugs des betreffenden Beitragszeitraums hinzuzurechnen sind, sofern man eben nicht mit einer Wiederkehr rechnen darf.

Kommt es dennoch (also trotz einer „Anspruchsvorbehaltserklärung“ durch den Dienstgeber) dazu, dass jährlich eine derartige Prämie oder Provision geleistet wird, so liegt dennoch (aufgrund der Wiederkehr) eine Sonderzahlung iSd ASVG vor. Ob derartige Zahlungen als Sonderzahlung zu werten sind, hängt nicht davon ab, ob der Dienstnehmer einen Rechtsanspruch auf diese Leistung hat. Ein vereinbarter Widerrufs- bzw Anspruchsvorbehalt einer Prämie schließt daher die Qualifizierung als Sonderzahlung nicht generell aus.

Nach der Rechtsprechung des OGH sind unter Sonderzahlungen iSd §49 Abs2 ASVG verpflichtende oder freiwillige Zuwendungen zu verstehen, die mit einer gewissen Regelmäßigkeit in bestimmten, über die Beitragszeiträume hinausgehenden Zeitabschnitten wiederkehren, wobei die Regelmäßigkeit der Leistungen im Wesentlichen aus ➜ der Dienstgeberzusage oder ➜ dem tatsächlichen Ablauf der Ereignisse zu beurteilen ist (OGH 5. 10. 2010, 10 ObS146/10h).

Im gegenständlichen Fall war die Einordnung einer der Versicherten als Abteilungsleiterin jeweils am Jahresende zu ihrem fixen Gehalt gewährten Jahresprämie als laufender Bezug oder als Sonderzahlung strittig. Der OGH hatte sich damals mit der Frage auseinanderzusetzen, ob eine jährlich gewährte Bonuszahlung in den Nettoarbeitsverdienst der letzten dreiMonate miteinfließt und daher das tägliche Wochengeld erhöht. Die Höchstrichter kamen schließlich zum Ergebnis, dass es sich dabei um eine Sonderzahlung gehandelt hat. Bei der Bemessung des Wochengeldes werden Sonderzahlungen nur in der Weise berücksichtigt, dass der in den letzten 13 Wochen vor dem Eintritt des Versicherungsfalles der Mutterschaft gebührende Netto-Arbeitsverdienst „nur“ um einen Prozentsatz (21%) zu erhöhen ist.

Prämien oder Provisionen gelten aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht entweder als laufende Bezüge oder als Sonderzahlungen. Die richtige Beurteilung hängt im Regelfall ganz entscheidend von der Ausgestaltung des Prämien- oder Provisionssystems ab und kann nur im Einzelfall beurteilt werden. In der Beratungspraxis besteht meistens das Problem, dass man in diesen Fällen erst dann eine treffsichere Aussage machen kann, wenn der exakte Vertrags- bzw Vereinbarungstext zur Gänze am Tisch liegt.

Jedenfalls kann man sich den „Sozialversicherungsstatus“ nicht willkürlich aussuchen, sondern es kommt auf ein paar entscheidende Faktoren an. Für die Unterscheidung können folgende Parameter für den Praktiker hilfreich sein:

➜ Nach der Judikatur des VwGH kann eine Provision bzw eine Prämie, die nicht monatlich, sondern ein Mal oder zwei Mal jährlich (eventuell auch vierteljährlich) bezahlt wird, dann als Sonderzahlung abgerechnet werden, wenn diese Auszahlungsart auch einen sachlichen Grund hat. Das trifft zB dann zu, wenn eine Provision erst zu einem fixen Auszahlungsstichtag berechnet werden kann, da erst zu diesem Zeitpunkt die Bilanz vorliegt oder der Deckungsbeitrag, von welchem die Höhe der Provision abhängt, erst zu diesem Termin ermittelt werden kann.

☛ Praxishinweis

Prämien und Provisionen

FÜR DIE PRAXIS

➜ Wird eine Provision nicht monatlich, sondern in größeren Zeiträumen als den Beitragszeiträumen abgerechnet und gibt es für diese Form der Abrechnung keinen sachlichen Grund, dann muss diese „Sonderzahlung“ in der Sozialversicherung als laufender Bezug abgerechnet werden. Dabei muss der Betrag auf die einzelnen Anspruchsmonate aufgerollt werden. Eine derartige Aufrollung kann spätestens im Falle einer Lohnabgabenprüfung zu einer unangenehmen Neuberechnung von Sozialversicherungsbeiträgen führen, da in diesem Fall auch die Dienstnehmeranteile vom Dienstgeber zu tragen sind (§60 ASVG).

☛ Praxishinweis Immer dann, wenn eine Zahlung nur zu einem bestimmten Zeitpunkt ermittelt werden kann (zB per Ende eines Quartals oder per Jahresende), weil der Ermittlung konkrete Erfolgsdaten zugrunde gelegt werden, liegt sozialversicherungsrechtlich eine Sonderzahlung vor.

Allgemeines zu Zielvereinbarungen

Teilauszahlung der Zielerreichungsprämie

Mit einer „klassischen“ Jahresprämie will der Dienstgeber in der Regel eine besondere, über die normalen Arbeitsanforderungen hinausgehende Leistung des Dienstnehmers und dessen Beitrag zum Unternehmenserfolg belohnen. Ob und inwieweit ein Anspruch auf eine Prämie besteht, richtet sich nach der zugrunde liegenden Vereinbarung. Für Prämienvereinbarungen und Gewinnbeteiligungen gilt grundsätzlich weitgehende Vertragsfreiheit.

Die Zielerreichungsprämie ist sozialversicherungsrechtlich im Regelfall als Sonderzahlung zu qualifizieren, da oftmals der Anspruch nicht nur von der Erfüllung der persönlich erfolgreichen Arbeitsleistung, sondern vielmehr von anderen (zusätzlichen) Bedingungen abhängt. Dies gilt auch für den Fall, dass für diese Zahlung keine vertragliche Garantie für den regelmäßigen Erhalt der Bonuszahlung besteht.

Wird eine Jahresprämie vereinbart und in Folge monatlich ausgezahlt und auch separat auf dem Lohnnachweis ausgewiesen, so bleibt der Charakter der Sonderzahlung im Sinne des Sozialversicherungsrechts erhalten. Dasselbe sozialversicherungsrechtliche Schicksal ereilt eine nach der „Formel 7“ optimierte Zahlung, obwohl die Lohnsteuer der monatlich gewährten Raten nach dem laufenden Lohnsteuertarif berechnet wird.

Eine Vereinbarung zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer, dass Sonderzahlungen auf mehrere Monate aufgeteilt ausbezahlt werden, bewirkt keine Umwandlung in ein laufendes Entgelt. Der Auszahlungsmodus einer Sonderzahlung hat somit keinen Einfluss. Ausschlaggebend ist, dass der Anspruch in größeren Abständen als den monatlichen Beitragszeiträumen gegeben ist (VwGH 18. 2. 2004, 2001/08/0004). Zu beachten ist, dass die Teilbeträge der Sonderzahlung separat auszuweisen sind.

Erfolgt die monatliche Auszahlung hingegen in der Form, dass der zustehende laufende Bezug um den Sonderzahlungsanteil aufgestockt wird, dann geht der Sonderzahlungscharakter verloren und der gesamte Betrag wird beitragsrechtlich als laufender Bezug abgerechnet.

Beispiel 1

Eine Dienstnehmerin ist bei einem Softwarehersteller angestellt und berät Unternehmen bei der Implementierung von Zeiterfassungsprogrammen. Sie hat für das Kalenderjahr 2023 Anspruch auf eine Jahreszielprämie von bis zu 28.000€. Der Anspruch auf die Prämie hängt von der Erreichung folgender Ziele im Kalenderjahr 2023 ab:

➜ 50% der Prämie stehen zu, wenn sie mehr als 1.400 verrechenbare Stunden leistet.

➜ 50% der Prämie stehen zu, wenn sie mindestens 15 Anwendertreffen und andere Kundenveranstaltungen organisiert.

Die Prämie ist im April 2024 fällig und wird in diesem Monat ausbezahlt.

Lösung:

Da es sich um eine Sonderzahlung handelt, ist diese – streng genommen – dem jährlichen Beitragszeitraum zuzuordnen, in dem der Anspruch auf Zahlung entstanden ist (Kalenderjahr 2023). Die Hälfte der Prämie

FÜR DIE PRAXIS

gilt als erworben, wenn die Dienstnehmerin mehr als 1.400 verrechenbare Stunden geleistet hat. Die zweite Hälfte der Prämie gilt als erworben, wenn die Dienstnehmerin mindestens 15 Anwendertreffen und andere Kundenveranstaltungen organisiert hat. Die Auszahlung (= Fälligkeit) der Prämie im April 2024 ist hingegen nicht mit dem Anspruchserwerb gleichzusetzen.

Die Dienstnehmerin kann im März 2024 durch Unterzeichnung einer Zusatzvereinbarung zwischen einer Auszahlung in einem Betrag im April 2024 oder einer „sechsteloptimalen“ Auszahlung in Raten wählen. Die Prämie wird schließlich rückwirkend ab Jänner aufgerollt und in zwölf gleichen Teilbeträgen als SV-lfd und LSt-lfd sowie zwei Teilbeträgen SV-SZ und LSt-SZ über das ganze Jahr aufgeteilt. Im April erhält die Dienstnehmerin ein Akonto, welches monatlich bis Jahresende in Abzug gebracht wird. Lösung:

Das Gebilde der „Sechsteloptimierung“ („Formel 7“) bedeutet aus Sicht der Sozialversicherung, dass die Vereinbarung zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer, wonach Sonderzahlungen auf mehrere Monate aufgeteilt ausbezahlt werden, keine Umwandlung in ein laufendes Entgelt bewirkt. Der in die Zukunft gerichtete Auszahlungsmodus einer bereits erworbenen Sonderzahlung hat somit keinen Einfluss. Die laufenden Raten einer durch Anwendung einer Jahressechsteloptimierung aufgeteilten Jahresprämie sind als Sonderzahlungen in der Sozialversicherung abzurechnen. Ausschlaggebend ist, dass der Anspruch in größeren Abständen als den monatlichen Beitragszeiträumen gegeben ist. Dies geht auf ein VwGH-Erkenntnis aus dem Jahr 2004 zurück, in welchem entschieden wurde, dass eine Sonderzahlung auch dann in der Sozialversicherung eine Sonderzahlung bleibt, wenn sie zwar monatlich gewährt wird, jedoch separat (mit eigener Lohnart – also nicht in einem All-in untergeht) ausgewiesen wird (VwGH 18.2.2004, 2001/08/ 0004).

Exkurs Lohnsteuer: Eine steuerrechtliche Aufrollung (also eine rückwirkende Berücksichtigung laufender Bezüge zur Erreichung einer sechsteloptimalen Aufteilung von Jahresprämien) ist nicht zulässig (Richtlinie des BMF vom 17. 12. 2019, LStR 2002, Lohnsteuerrichtlinien 2002, BMF-010222/0080-IV/7/2019, Rz1050 LStR). Die Finanzverwaltung akzeptiert nämlich keine rückwirkende Sechsteloptimierung, sondern nur eine, die in die Zukunft gerichtet ist, und verlangt mindestens sechs laufende Ratenzahlungen (Rz1052 LStR).

Ein Geschäftsführer erhält eine jährliche Bonuszahlung, wobei die Höhe von einer Zielerreichung abhängt. Monatlich bekommt er 1.000€ als Akonto ausbezahlt, nach Erstellung des Jahresabschlusses wird die Restzahlung ermittelt. Laut Vereinbarung werden die monatlichen Provisionsakonti auf die erfolgsabhängige Provision („Provisionsspitze“) angerechnet. Es stellt sich die Frage, wie die monatlichen Zahlungen sozialversicherungsrechtlich abzurechnen sind.

Lösung:

Zunächst muss man angesichts der generell komplexen Rechtslage analysieren, ob die Bonuszahlung als Sonderzahlung zu qualifizieren ist. Dazu müsste man sich eingehend mit den Parametern der Bonuszahlung (Ermittlung des Bonus, Faktoren, die zur Bonusermittlung führen, usw) auseinandersetzen und zunächst diese wichtige Vorfrage klären.

Geht man vom geschilderten Sachverhalt aus und setzt man das „übliche“ Ergebnis voraus, dass es sich bei der Bonuszahlung um eine Sonderzahlung handelt, dann sind (auch) die akontierten, monatlichen Zahlungen als Sonderzahlungen zu behandeln. Dieses Resultat ergibt sich aus der Überlegung, dass der Bonus bei einer gesamthaften Auszahlung unzweifelhaft eine Sonderzahlungen iSd ASVG darstellt und die monatlichen Akontierungen dieses Bonus als monatliche Vorauszahlung einer Sonderzahlung zu werten sind.

Anders formuliert: Den „unterschiedlichen“ Bezugstiteln („Akonto“ = laufender Bezug und „Restbonus“ = Sonderzahlung) liegen rechtlich keine verschiedenartigen Anspruchstitel (= „Vereinbarungen“) zugrunde.

Die Tatsache, dass eine Auszahlung monatlich erfolgt, sagt noch nicht unbedingt zwingend etwas über ihr abgabenrechtliches Schicksal aus, vor allem dann, wenn die Jahreszielprämie prinzipiell einer jährlichen Betrachtung unterliegt bzw jährlich ermittelt wird, aber vereinbarungsgemäß monatlich akontiert wird.

Anders wäre der Fall wohl zu lösen, sofern die monatlichen Zahlungen (zB eine monatliche Fixprämie) mit der Jahreszahlung (zB Jahresbonus) in keinem rechtlichen Zusammen-

Beispiel 1 –Fortsetzung

Beispiel 2

☛ Praxishinweis

FÜR DIE PRAXIS

hang stehen. So gesehen müsste bei der Vereinbarung (= „Rechtstitel“) beachtet werden, dass keine Anrechnung der laufenden Prämien auf die jährlich zu zahlende Jahreszielprämie vorzunehmen ist und die beiden Ansprüche separat ermittelt werden. Für die Berechnung der Jahresprämie wäre optimalerweise eine geänderte Berechnungsweise zu finden, zB in Form eines bestimmten Prozentsatzes des Umsatzes. Dabei dürfte sich in der vertraglichen Vereinbarung kein kalkulatorischer Ansatz wiederfinden, dass dabei die Akontozahlungen Berücksichtigung gefunden haben.

Grundsätzliches zur Provisionsvereinbarung

☛ Praxishinweis

Eine Provision iSd §10 AngG ist eine meist in Prozenten ausgedrückte Beteiligung am Wert solcher Geschäfte des Dienstgebers, die durch die Tätigkeit (Vermittlung oder Abschluss) des Angestellten zustande gekommen sind. Sie richtet sich nach dem Ergebnis der Arbeit, ist also Leistungsentgelt, das vorwiegend vom persönlichen Geschick und der Ausdauer des Angestellten, aber auch von den Marktgegebenheiten abhängt.

Als Entlohnungssystem kommt allerdings nicht nur eine Provisionsgewährung aus einzelnen Geschäften oder eine Gewinnbeteiligung in Betracht; es können auch Beteiligungen, die sich am Umsatz oder sonst an einer Kennzahl des wirtschaftlichen Unternehmenserfolges orientieren, vereinbart werden. Dazu gehört auch die sogenannte Umsatzprovision. Sie ist eine Beteiligung am Wert sämtlicher Geschäfte des Unternehmens oder einer Abteilung, deren Höhe daher nicht nur von der Leistung des Provisionsberechtigten, sondern auch von den Leistungen der übrigen Dienstnehmer abhängt (OGH 30. 1. 1997, 8 ObA 2046/96g).

Wie auch bei Zielprämienvereinbarungen ist die Formulierung der die Provision auslösenden Umstände von hoher Relevanz. Maßgeblich für die Beantwortung der Frage, ob es sich bei der Auszahlung einer Provision sozialversicherungsrechtlich um ein laufendes Entgelt (§49 Abs1 ASVG) oder um eine Sonderzahlung (§49 Abs2 ASVG) handelt, ist die Entstehungsursache der Leistung (Anspruchsprinzip). Schwierig ist oftmals die Beurteilung einer quartalsweise (halbjährlich oder jährlich) ausbezahlten Provision für laufend getätigte Umsätze.

Der VwGH hat dazu Folgendes ausgeführt: Hängt das Entstehen des Provisionsanspruchs nur von der Tätigung laufender Umsätze und nicht von der Erfüllung weiterer Bedingungen ab, sind auch quartalsweise abgerechnete Provisionsspitzen als laufende Bezüge zu behandeln. Wird den Dienstnehmern eine jährliche Mindestprovision für Umsätze zugesagt, stellt dies keine „Bedingung“ des Provisionsanspruchs dar; es sind daher nicht nur die monatlichen Akontierungen der Garantieprovision, sondern auch die quartalsweise abgerechneten Provisionsspitzen als laufende Bezüge zu behandeln (VwGH 26.5.2004, 2000/08/0152).

Hinsichtlich der Qualifikation von Umsatzprovisionen kommt es also nicht darauf an, ob sie in größeren Zeiträumen als den Beitragszeiträumen abgerechnet werden, sondern darauf, wie die jeweilige Vereinbarung ausgestaltet ist, die zwischen den Parteien des Dienstverhältnisses getroffen wurde. Ist das Entstehen des Provisionsanspruchs an keine weiteren Bedingungen als an das Lukrieren laufender Umsätze des Dienstnehmers gebunden, ist eine jährlich (oder halbjährlich bzw quartalsweise) ausbezahlte Umsatzprovision als laufender Bezug zu behandeln und auf die Leistungsmonate aufzurollen.

Beispiel 3

Ein Dienstnehmer erhält für die von ihm erzielten Umsätze 2% Provision.

Diese Basisprovision wird quartalsweise abgerechnet. Überschreiten die im Kalenderjahr erzielten Umsätze ➜ 100.000€, erhöht sich der Provisionsprozentsatz auf 3% für alle Umsätze; ➜ 150.000€, erhöht sich der Provisionsprozentsatz auf 4% für alle Umsätze.

Die finale Provisionsabrechnung (Superprovision) erfolgt im April des Folgejahres.

FÜR DIE PRAXIS

Lösung:

Bei der Basisprovision handelt es sich um einen laufenden Bezug, der durch Aufrollung in die jeweiligen Kalendermonate zu erfassen ist. Die Superprovision ist sozialversicherungsrechtlich als Sonderzahlung einzustufen, da diese laut angenommenem Sachverhalt erst zu einem späteren Zeitpunkt ermittelt werden kann, weil eine gewisse Umsatzschwelle, die vorher definiert wurde, überschritten werden muss und die Höhe der Umsätze eben nicht prognostizierbar ist.

Beitragsrechtlich ist die Superprovision zwar dem abgelaufenen Kalenderjahr zuzuordnen, was aber in der Praxis selten (abgesehen bei zwischenzeitlicher Beendigung des Dienstverhältnisses) in dieser Form umgesetzt wird und von Prüfern selten aufgegriffen wird. In der praktischen Umsetzung stellen sich meist erst dann Fragen, wenn die Superprovision in Zeiträumen ohne Versicherung (Karenz, Präsenzdienst, Zivildienst) ausbezahlt wird oder erst nach Ende des Dienstverhältnisses im Folgejahr fällig wird.

Falls für die Provisionsberechnung „stur“ der Umsatz herangezogen wird und ein monatliches Akonto „bloß“ der Einfachheit halber gewählt wurde und nach zwölf Monaten der Rest zur Auszahlung gelangt, dann ist im Bereich der Sozialversicherung eine Aufrollung durchzuführen und die Provisionsrestzahlung der allgemeinen Beitragsgrundlage zuzuordnen.

Ein Dienstnehmer erhält eine monatliche Umsatzprovision von 3% des Umsatzes als Provision ausbezahlt. Diese Provision wird monatlich als laufender Bezug abgerechnet. Zusätzlich wird bei Zielerreichung ein Jahresbonus vereinbart. Die Jahresziele sind an quantitative (Prämienstaffel) und qualitative Messgrößen geknüpft.

Fraglich ist, ob diese Jahresprämie einmalig als Sonderzahlung abgerechnet werden kann, wenn bereits im Vorfeld eine eigene schriftliche Vereinbarung über die Berechnungsbasis und Auszahlungsmodalität getroffen wurde. Könnte diese Sonderprämie auch für das Quartal vereinbart (Quartalsprämie) und als Sonderzahlung abgerechnet werden?

Lösung:

Der Jahresbonus hängt von einer jährlichen Zielerreichung ab und unterscheidet sich auch nach der Vereinbarung deutlich von den laufenden Bezügen. Wurde zB die Vereinbarung so getroffen, dass bestimmte Werte am Quartalsende oder Jahresende erreicht sein müssen und somit erst dann feststeht, ob und wieviel an Prämie zusteht, dann liegt aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht eine Sonderzahlung vor. Die Erfassung als Sonderzahlung ist sowohl jährlich als auch quartalsweise zulässig.

☛ Praxishinweis

Beispiel 4

Kollektivvertragsabschluss mit Rückwirkung –Wer ist betroffen?

Gastbeitrag von Dr. Christoph Wiesinger

Dr. Christoph Wiesinger ist Referent in der Geschäftsstelle Bau in der Wirtschaftskammer Österreich und fachkundiger Laienrichter am OGH.

Kollektivverträge werden gelegentlich rückwirkend abgeschlossen. In diesem Beitrag wird die Frage behandelt, inwieweit dies zulässig ist, was in der Zwischenzeit gilt, sowie welche Bedeutung ei n solcher rückwirkender Abschluss für Arbeitsverhältnisse, die zwischen dem Zeitpunkt des rückwirkenden Geltungsbeginns, aber vor Abschluss des Kollektivvertrags beendet werden, hat.

Bei jeder Rechtsvorschrift stellt sich die Frage, zu welchem Zeitpunkt sich ein Sachverhalt ereignen muss, damit genau diese Bestimmung anwendbar ist. Beim Kollektivvertrag wird dies als „zeitlicher Geltungsbereich“ bezeichnet. Die Kollektivvertragsparteien können den Beginn dieses zeitlichen Geltungsbereichs ausdrücklich festlegen. Ein rückwirkender Abschluss wird innerhalb bestimmter Grenzen als zulässig erachtet, so etwa im Hinblick auf eine Erhöhung der kollektivvertraglichen Mindestentgelte (VfGH 29. 9. 1994, V 85, 86/92).

FÜR DIE PRAXIS

Nachwirkung des Kollektivvertrags

Voraussetzungen für die Geltung eines Kollektivvertrags

Bei „rahmenrechtlichen“ Bestimmungen ist die Rechtsprechung kritisch (zB bei der Frage der Notwendigkeit eines in einem Kollektivvertrag vorgesehenen Disziplinarverfahrens –OGH 24. 6. 1998, 9 ObA 115/98x).

Oftmals schließen die Kollektivvertragsparteien einen Kollektivvertrag nur befristet ab („Laufzeit“). Das Ende des zeitlichen Geltungsbereichs hat dann zwei Rechtsfolgen, sofern nicht ein neuer Kollektivvertrag abgeschlossen worden ist:

➜ Zum einen tritt der Kollektivvertrag damit außer Kraft und erfasst Arbeitsverhältnisse, die nach diesem Zeitpunkt abgeschlossen werden, nicht mehr. Solche Arbeitsverhältnisse unterliegen erst dann einem Kollektivvertrag, wenn ein solcher neu abgeschlossen wird.

➜ Für bestehende Arbeitsverhältnisse – und das ist der für die Praxis wichtigere Fall –sieht §13 ArbVG vor, dass der Kollektivvertag weiterhin anzuwenden ist („Nachwirkung“), allerdings einzelvertraglich abbedungen werden kann. Mit dem Abschluss eines neuen Kollektivvertrags endet dann die Nachwirkung jedenfalls. Das gilt auch für allfällige Ansprüche, die der neue Kollektivvertrag nicht mehr vorsieht („Ordnungsprinzip“).

Anmerkung: In der Literatur ist umstritten, ob der gesamte Kollektivvertrag nachwirkt oder ob Zulassungsnormen – also jene Bestimmungen, die zulässigerweise von sonst geltenden gesetzlichen Bestimmungen abweichen – nicht der Nachwirkung unterliegen. Die Frage wurde höchstgerichtlich bisher nicht entschieden.

Unbefristet abgeschlossene Kollektivverträge können nach den Bestimmungen des §17 ArbVG gekündigt werden; auch in diesem Fall treten die genannten Rechtsfolgen ein. In der Praxis häufiger ist allerdings der Fall, dass eine Befristung ausläuft.

Ein Arbeitsverhältnis unterliegt einem Kollektivvertrag kraft Gesetzes (dazu bereits ausführlich Wiesinger, Welchem Kollektivvertrag unterliegt ein Arbeitsverhältnis? PV-Info 9/2023, Seite 1ff). Allerdings entfaltet noch nicht der Abschluss des Kollektivvertrags als solcher für Dritte eine rechtliche Wirkung; Voraussetzungen dafür sind die Hinterlegung des Kollektivvertrags beim Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft sowie die von diesem veranlasste Publikation in der Wiener Zeitung (§14 ArbVG).

Anmerkung: Die Kundmachung erfolgt – da es eine Druckausgabe der Wiener Zeitung nicht mehr gibt – nach §2 Abs1 Z4 iVm §6 WZEVI-Gesetz (BGBl I 2023/46) auf der Elektronischen Verlautbarungs- und Informationsplattform des Bundes (www.evi.gv.at).

Medialer Berichterstattung oder der Kundmachung des Abschlusses im Internet durch die Kollektivvertragsparteien selbst (wozu sie nach §7 LSD-BG im Übrigen verpflichtet sind) kommt hingegen keine rechtliche Bedeutung zu.

Rückwirkender Kollektivvertragsabschluss und zwischenzeitig beendete Arbeitsverhältnisse

Ein rückwirkender Kollektivvertragsabschluss ist – wie eingangs erwähnt – dem Grunde nach zulässig, jedenfalls im Hinblick auf die Festlegung des Mindestentgelts. Näher zu prüfen ist allerdings die Frage, ob das „nur“ für im Abschlusszeitpunkt (genau genommen: im Publikationszeitpunkt) bestehende Arbeitsverhältnisse gilt oder auch für solche, die zu diesem Zeitpunkt bereits beendet worden sind.

Ehe auf diese Frage näher eingegangen wird, sei die Bestimmung des §1154 Abs3 ABGB in Erinnerung gerufen, wonach das Entgelt mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses fällig wird. Bei dieser Bestimmung handelt es sich im Übrigen um zugunsten des Arbeitnehmers einseitig zwingendes Recht (§1164 Abs1 ABGB).

Anmerkung: Diese Bestimmung wurde mit der „III. Teilnovelle“ 1916 in das ABGB eingefügt. Grund für diese Regelung war die Erleichterung des Wechsels des Arbeitgebers, damit der Arbeitnehmer nicht für die Zwecke der Zahlung des ausstehenden Entgelts den Arbeitgeber nochmals aufsuchen musste (78 BlgHH 21. Sess, 214). Ob das in Zeiten einer unbaren

FÜR DIE PRAXIS

Entgeltzahlung – die zwischenzeitig in manchen Fällen sogar gesetzlich vorgeschrieben ist –als Motiv noch immer gerechtfertigt ist, mag dahingestellt bleiben. Die Regelung ist nach wie vor in Kraft und daher auch anzuwenden.

Damit zur Rückwirkung: Naheliegend wäre es, für die Lösung dieser Frage auf den Wortlaut des Kollektivvertrags abzustellen. Das setzt aber voraus, dass die Kollektivvertragsparteien eine entsprechende Regelungsmacht besitzen, was daher in einem ersten Schritt zu prüfen ist. Auf den ersten Blick stellt §2 Abs2 Z3 ArbVG eine entsprechende Rechtsgrundlage dar. Diese Bestimmung erfasst nämlich Ansprüche, die dem Arbeitnehmer zwar aufgrund des Arbeitsvertrags zustehen, die aber erst nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses entstehen. Betroffen sind allerdings vor allem betriebliche Pensionsansprüche, was auch aus den Materialien zum ArbVG deutlich hervorgeht (RV 840 BlgNR 13. GP, 55). Ansprüche, die sich aus dem laufenden Arbeitsverhältnis ergeben, sind hingegen ein Fall des §2 Abs2 Z2 ArbVG. Dieser erfasst allerdings „nur“ Arbeitnehmer, worunter aufrechte Arbeitsverhältnisse iSd §1151 ABGB zu verstehen sind.

Aus diesem Grund kommt den Kollektivvertragsparteien gar keine Regelungskompetenz für eine rückwirkende Regelung von Entgeltansprüchen bereits ausgeschiedener Arbeitnehmer zu. Dies steht auch im Einklang mit §1154 Abs3 ABGB, der mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses eine endgültige Leistung der Entgeltansprüche vorsieht. Mangels Befugnis zur Regelung derartiger Fragen durch Kollektivvertrag kommt damit der konkreten Formulierung im Kollektivvertrag keine Bedeutung zu; selbst wenn Gegenteiliges angeordnet werden würde, wäre eine derartige Bestimmung nicht anwendbar.

Wird ein Kollektivvertrag rückwirkend abgeschlossen,

➜ haben die Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Kundmachung des Kollektivvertragsabschlusses auf der Elektronischen Verlautbarungs- und Informationsplattform des Bundes (www.evi.gv.at) noch aufrecht sind, einen entsprechenden Entgeltanspruch

➜ Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis in diesem Zeitraum allerdings arbeitsrechtlich geendet hat, haben einen solchen Anspruch nicht, weil der Anspruch auf das Entgelt bereits mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses entstanden ist (vgl §1154 Abs3 ABGB, der allfälligen entgegenstehenden kollektivvertraglichen Regelungen als einseitig zwingendes Recht derogiert) und die Kollektivvertragsparteien nur für jene Arbeitsverhältnisse eine Regelungskompetenz haben, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der normativen Wirkung aufrecht sind.

Die Laufzeit eines bestimmten Kollektivvertrags endet mit 31. 12. 2023. Tatsächlich einigen sich Fachverband und Gewerkschaft noch vor dem Jahreswechsel – zB am 27. 12. 2023 – auf einen neuen Kollektivvertragsabschluss. Da am 1. 1. 2024 noch keine Kundmachung erfolgt ist, entfaltet der normative Teil des Kollektivvertrags an diesem Tag noch keine Wirkung, weshalb der Kollektivvertrag für bestehende Arbeitsverhältnis nachwirkt. Wird der Abschluss des neues Kollektivvertrags zB am 22. 1. 2024 auf der Elektronischen Verlautbarungs- und Informationsplattform des Bundes kundgemacht, haben Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis zuvor gelöst wurde, für den Jänner keinen Anspruch auf den Lohn (das Gehalt) mit den höheren Werten des neuen Abschlusses.

Hat der Arbeitgeber die Abrechnung aber mit den höheren Werten vorgenommen und diesen höheren Betrag ausbezahlt, kann er im Hinblick auf das Judikat 33 (OGH 23. 4. 1929, Präs 1025/28) wohl keine Rückzahlung fordern.

Der Arbeitgeber kündigt den Arbeitnehmer vor der Publikation des Kollektivvertragsabschlusses auf der Elektronischen Verlautbarungs- und Informationsplattform des Bundes, die Kündigungsfrist endet aber erst danach. In diesem Fall hat der Arbeitnehmer Anspruch auf das Entgelt nach den aktuellen Sätzen (dh des Jahres 2024), weil das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt des Inkrafttretens des normativen Teils des Kollektivvertrags noch aufrecht war. Daher kommt hier die Rückwirkung zum Tragen.

Fazit

Beispiel 1

Weiterbildungsgeld bei Absolvierung eines Studiums

Dr. Andreas Gerhartl

Der Anspruch auf Weiterbildungsgeld ist bei Absolvierung einer Weiterbildungsmaßnahme in Form eines Studiums an das Beibringen von Erfolgsnachweisen gebunden. Im Einzelnen wirft dies zahlreiche Fragen auf. Zwei aktuelle VwGH-Entscheidungen klären unterschiedliche in diesem Zusammenhang auftretende Fragestellungen.

Anspruch auf Weiterbildungsgeld

§26 AlVG regelt den Anspruch auf Weiterbildungsgeld. Diese Bestimmung unterscheidet in Abs1 zwischen Weiterbildungsmaßnahmen in Form eines Studiums und anderen Formen der Weiterbildung (Absolvierung von Kursen, Lehrgängen etc). Die Abgrenzung zwischen beiden Erscheinungsformen ist daher für die Praxis wesentlich. Dies rührt daher, dass unterschiedliche Nachweise für die Absolvierung der jeweiligen Weiterbildungsmaßnahme erbracht werden müssen:

Während bei Maßnahmen, die nicht in Form eines Studiums absolviert werden, gemäß §26 Abs1 Z1 AlVG die Teilnahme an der betreffenden Maßnahme (in einem Mindestumfang) nachgewiesen werden muss, verlangt §26 Abs1 Z5 AlVG bei der Absolvierung von Studien Erfolgsnachweise. Erfolgt die Weiterbildung (ausschließlich) in Form eines Studiums, kommt es daher nicht auf den Nachweis einer zeitlichen Inanspruchnahme an (VfGH 26. 11. 2020, E 957/2020).

Anmerkung: Offen bleibt, was zu gelten hat, wenn eine kombinierte Weiterbildungsmaßnahme (also eine Maßnahme, die zum Teil in Form eines Studiums und zum Teil in anderer Form betrieben wird) vorliegt. Derartige Maßnahmen werden in §26 AlVG nicht geregelt, können aber in der Praxis vorkommen. Die gemäß §26 Abs1 Z1 und Z5 AlVG jeweils geforderten Nachweise werden in diesem Fall wohl kumulativ beigebracht werden müssen, wobei mE der Teilnahmenachweis nach Z1 und der Erfolgsnachweis nach Z5 leg cit jeweils im Verhältnis, das dem Anteil der einzelnen Maßnahmen an der gesamten Weiterbildungsmaßnahme entspricht, zu aliquotieren sind. Rechtsprechung liegt zu dieser Frage aber noch nicht vor.

Ausgelagerter Studiumsteil

Keine Prüfungen möglich

In einem aktuell zu entscheidenden Fall ging es zunächst um die Abgrenzung zwischen Studien und anderen Weiterbildungsmaßnahmen. Im konkreten Fall wurde der Universitätslehrgang Psychotherapie an der Donau-Universität Krems absolviert, in dessen Rahmen auch ein „Fachspezifikum Integrative Gestalttherapie“ abzulegen war. Aufgrund einer Kooperation der Donau-Universität Krems mit gemäß §7 Psychotherapiegesetz anerkannten Ausbildungseinrichtungen wurde dieses Fachspezifikum bei einer derartigen externen Ausbildungseinrichtung, nämlich dem Österreichischen Arbeitskreis für Gruppentherapie und Gruppendynamik (ÖAGG), zurückgelegt.

Der VwGH entschied, dass der Umstand, dass in einem Curriculum eines Universitätsstudiums die Absolvierung von Lehrveranstaltungen auch einer (bestimmten) externen Einrichtung vorgesehen ist, nichts am Vorliegen einer Weiterbildungsmaßnahme ausschließlich in Form eines Studiums ändert. Folglich war im konkreten Fall auch der Zeitraum der Absolvierung des betreffenden Fachspezifikums als Teil des Studiums anzusehen, weshalb für den betreffenden Zeitraum ebenfalls der Erfolgsnachweis nach §26 Abs1 Z5 AlVG zu erbringen war.

Nach §26 Abs1 Z5 AlVG ist der Studienerfolg grundsätzlich durch Ablegung von Prüfungen im Gesamtumfang von vier Semesterwochenstunden oder im Ausmaß von acht ECTS-Punkten nachzuweisen. Alternativ lässt §26 Abs1 Z5 AlVG allerdings auch andere geeignete Erfolgsnachweise wie zB Ablegung der Diplomprüfung oder des Rigorosums

RECHTSPRECHUNG

oder Bestätigung des Fortschritts und zu erwartenden positiven Abschlusses einer Diplomarbeit oder sonstigen Abschlussarbeit zu.

Die Besonderheit des zu beurteilenden Sachverhalts bestand nun darin, dass gemäß der Curriculumsverordnung des betreffenden Studiums eine (einzige) Abschlussprüfung über sämtliche Fächer abzulegen ist. Die Zulassung zu dieser Prüfung setzt ua die erfolgreiche Teilnahme an diversen im Einzelnen genannten Lehrveranstaltungen (auch Praktika) voraus. Folglich können aber während des laufenden Studiums keine Prüfungen absolviert werden. Der VwGH entschied, dass vor diesem Hintergrund somit nicht für jedes Semester der Nachweis durch Ablegung von Prüfungen im Gesamtumfang von vier Semesterwochenstunden oder im Ausmaß von acht ECTS-Punkten gefordert werden kann.

Vielmehr sind nach dem VwGH in dieser speziellen Konstellation auch andere Erfolgsnachweise zu akzeptieren. Sofern im betreffenden Semester nach dem Curriculum keine Prüfungen absolviert werden können, muss daher auch der Nachweis genügen, dass in der konkreten Phase und aufgrund der speziellen Umstände des betriebenen Studiums während des maßgeblichen Semesters alle nach dem Curriculum für dieses Semester vorgesehenen bzw möglichen Lehrinhalte oder jedenfalls Ausbildungseinheiten im Umfang von mindestens 20 Wochenstunden tatsächlich absolviert wurden (VwGH 17. 10. 2023, Ra2021/08/0025).

Eine Weiterbildungsmaßnahme iSd §26 AlVG kann auch an einer ausländischen Bildungseinrichtung stattfinden. Das ist schon daraus abzuleiten, dass ein Auslandsaufenthalt keinen Ruhensgrund für das Weiterbildungsgeld darstellt. Wird die Weiterbildungsmaßnahme dabei in Form eines Studiums betrieben, stellt sich aber die Frage, ob die Nachweispflichten gemäß §26 Abs1 Z5 AlVG anwendbar sind, da diese Bestimmung nach ihrem Wortlaut (nur) für die in §3 StudFG genannten (in Österreich oder Südtirol verorteten) Einrichtungen gilt.

Der VwGH hat diese Frage in einer weiteren aktuellen Entscheidung aber ungeachtet des Wortlauts des §26 Abs1 Z5 AlVG dennoch bejaht. Er führte dazu aus, dass sich der Verweis auf §3 StudFG nur auf die Art der Bildungseinrichtung bezieht, nicht hingegen auch auf deren Lage (in Österreich oder Südtirol), sodass die Absolvierung eines Studiums im Ausland (etwa in Deutschland) der Anwendung des §26 Abs1 Z5 AlVG nicht entgegensteht.

Dazu wurde zunächst festgehalten, dass es zur Erfüllung der Nachweispflicht gemäß §26 Abs1 Z5 AlVG nicht (notwendigerweise) auf das Vorliegen einer aufrechten Inskription oder Immatrikulation ankommt. Ermöglichen studienrechtliche Vo rschriften (zB die Satzung der Universität) eine Fortsetzung bzw einen Abschluss eines Studiums auch ohne aufrechte Inskription oder Immatrikulation, setzt die Erfüllung der von §26 Abs1 Z5 AlVG geforderten Nachweise daher keine Inskription oder Immatrikulation voraus.

Studium im Ausland

Kurzstudium Erfolgsnachweise iSd §26 Abs1 Z5 AlVG müssen aber (jeweils) erst nach sechs Monaten (einem Semester) vorgelegt werden. Auch wenn die Bezugsdauer des Weiterbildungsgeldes unter sechs Monaten liegt, muss nach Ablauf von sechs Monaten bzw dem Ende des Semesters ein Erfolgsnachweis (im Umfang einer aliquot an die Bezugsdauer angepassten Stunden- bzw ECTS-Punktezahl) erbracht werden. Konnten während der kürzeren (ein Semester unterschreitenden) Bezugsdauer des Weiterbildungsgeldes keine Prüfungen abgelegt werden, ist stattdessen zumindest ein entsprechender Studienfortschritt zu bescheinigen.

RECHTSPRECHUNG

Im konkreten Fall wurde Weiterbildungsgeld für die Zeit vom 1. 1. 2021 bis 30. 4. 2021 geltend gemacht. Der Anspruchswerber erklärte, nach der bisher erfolgreichen Teilnahme an einem Masterstudium nun seine Masterarbeit schreiben zu wollen. Er legte dazu eine Bestätigung der Universität vor, wonach er auch nach seiner Exmatrikulation am 30. 9. 2020 noch bis zum 29. 9. 2021 Prüfungsleistungen anmelden und danach ablegen könne. Dies schließe auch die Masterarbeit und ein Praxismodul ein.

Der VwGH entschied, dass diese Nachweise für den Anspruch auf Weiterbildungsgeld ausreichend waren. Da die Maßnahme kürzer als sechs Monate dauerte, war dafür noch kein Erfolgsnachweis erforderlich, sondern es genügte, die beabsichtigte Absolvierung einer Weiterbildungsmaßnahme (mit der Möglichkeit, am Ende des Semesters einen Nachweis iSd §26 Abs1 Z5 AlVG erbringen zu können) glaubhaft zu machen. Dies erfolgte im konkreten Fall durch die Erklärung des Anspruchswerbers und die Bestätigung der Universität. Anhaltspunkte dafür, dass das Studium nicht ernsthaft betrieben würde, lagen nicht vor. Das Weiterbildungsgeld war daher zuzuerkennen (VwGH 17. 10. 2023, Ro2022/08/0017).

Steuerfreiheit von Überstundenzuschlägen unter Berücksichtigung des angewendeten Arbeitszeitmodells

Gastbeitrag von Dr. Günter Steinlechner

Dr. Günter Steinlechner ist Unternehmensberater in Hartberg.

Der VwGH orientiert sich in der Entscheidung vom 16. 11. 2023, Ra 2021/15/0091, bei der Antwort auf die Frage, inwieweit Überstundenzuschläge steuerfrei ausgezahlt werden können, an den arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen des angewendeten Arbeitszeitmodells, konkret der Durchrechnung der Normalarbeitszeit. Die Entscheidung betrifft Überstunden in einem Beherbergungsbetrieb, geht aber weit über das Hotel- und Gastgewerbe hinaus. Sie ist auf Basis des zugrunde liegenden Sachverhalts auch anzuwenden, wenn ein Überstundenpauschale vereinbart ist.

Ausgangssituation In einem Beherbergungsbetrieb wurden Überstundenpauschalen ausbezahlt und aus diesen steuerfreie Überstundenzuschläge herausgeschält. Laut Meinung des Finanzamts waren aus den vorgelegten Arbeitszeitaufzeichnungen nur die gesamten Arbeitszeiten im Betrieb ersichtlich, nicht aber, an welchen Tagen und zu welchen Tagesstunden die einzelnen Beschäftigten Überstunden leisteten.

In zweiter Instanz erkannte das Bundesfinanzgericht (BFG) an, dass Arbeitszeitnachweise auf elektronischem Weg geführt wurden und die Arbeitszeiten der einzelnen Beschäftigten darin ua mit Datum, Beginn, Pause und Ende an geführt waren. Gleichzeitig ging es aber davon aus, dass sich aus der im Kollektivvertrag vorgesehenen Durchrechnung über die ganze Saison keine Lagerung der Normalarbeitszeit ableiten lasse. Die Feststellung, wann eine qualifizierte Überstunde geleistet worden sei, sei daher nicht möglich.

Der VwGH hob das Erkenntnis des BFG wegen Rechtswidrigkeit auf. Unter mehrfachem Hinweis auf Köck/Steinlechner, Personalverrechnung im Gastgewerbe und in der Hotellerie5 (2022), betonte der VwGH:

RECHTSPRECHUNG

„Mit dem im angefochtenen Erkenntnis vertretenen Standpunkt, aufgrund der vereinbarten Durchrechnung seien Feststellungen dahingehend, wann eine (qualifizierte) Überstunde geleistet worden sei, überhaupt nicht möglich, ist das BFG [...] schon deswegen nicht im Recht, weil Stunden, die die tägliche Arbeitszeit von neun Stunden und die wöchentliche Arbeitszeit von 48 Stunden übersteigen, nicht der Durchrechnung unterliegen und aus dem Saldo an Plus- und Minusstunden ausscheiden. Insoweit liegen sofort Überstunden vor, die nach §68 Abs.1 oder Abs.2 EStG 1988 steuerfrei behandelt werden können. Weiters ist zu berücksichtigen, dass im Abrechnungsmonat am Ende des Durchrechnungszeitraums allenfalls bestehende Zeitguthaben zu Überstunden werden. Diese Überstunden sind, soweit sie im Abrechnungsmonat erbracht worden sind, einem bestimmten Lohnzahlungszeitraum zuordenbar und daher ebenfalls einer Begünstigung gemäß §68 Abs.1 oder Abs.2 EStG 1988 zugänglich.“

Die Entscheidung des VwGH ist unmissverständlich und eindeutig. Die Finanzämter werden sich in Zukunft – anders als im gegenständlichen Fall – bei Vorliegen von entsprechend geführten Arbeitszeitaufzeichnungen nicht mehr mit der Feststellung begnügen können, dass sich bei Anwendung eines gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Arbeitszeitmodells keine Lagerung der Normalarbeitszeit ergibt und sich damit keine qualifizierten Überstunden ableiten lassen. Vielmehr werden sie sich inhaltlich mit jenem konkreten Arbeitszeitmodell auseinandersetzen müssen, das beim einzelnen Beschäftigten im Betrieb angewendet wird.

Das bedeutet im Falle einer Durchrechnung der Normalarbeitszeit, dass Monat für Monat die Tagesüberstunden und die Wochenüberstunden und in jenem Monat, in dem der Durchrechnungszeitraum endet, zusätzlich Überstunden aus der Überschreitung der durchschnittlichen wöchentlichen Normalarbeitszeit im Durchrechnungszeitraum, die sogenannten Saldoüberstunden, für die steuerfreie Auszahlung der Überstundenzuschläge herangezogen werden können.

Eine Möglichkeit, solche Saldoüberstunden rückwirkend auf die einzelnen Monate eines Durchrechnungszeitraums aufzuteilen, wenn zu wenige Tages- oder Wochenüberstunden angefallen sind, um die steuerrechtliche Begünstigung optimal nützen zu können, besteht aber weiterhin nicht.

Abschließend sei betont, dass diese Entscheidung des VwGH auch dann greift, wenn eine Überstundenpauschale vereinbart ist. Eine solche darf nach der ständigen Rechtsprechung des OGH den Beschäftigten ja nicht schlechter stellen als die einzelne Abgeltung von Überstunden. Insofern ist eine Deckungsprüfung am Ende eines jeden Kalenderjahres oder eines anderen Zeitraums von zwölf Monaten erforderlich. Damit ist es aber auch konsequent und zulässig, wenn für im einzelnen Abrechnungszeitraum konkret geleistete Überstunden, die durch ein Überstundenpauschale abgedeckt sind, die Steuerbegünstigung genutzt wird.

Alles in allem hat sich der VwGH damit – äußerst begrüßenswert – bei den steuerrechtlichen Begünstigungen strikt an der arbeitsrechtlichen Entstehung von Überstunden orientiert, was in der Praxis zu deutlichen Erleichterungen in der Lohnverrechnung führen sollte.

Folgen dieser Entscheidung

Sachbezug für die Privatnutzung eines

Firmen-Kfz

durch den wesentlich beteiligten GesellschafterGeschäftsführer

Mag. Michael Seebacher

Wird dem wesentlich (mehr als 25%) beteiligten Gesellschafter-Geschäftsführer von der Kapitalgesellschaft ein Firmen-Kfz zur Privatnutzung zur Verfügung gestellt, ist ein Sachbezug nach den Bestimmungen der Verordnung über die Bewertung von Sachbezügen betreffend Kraftfahrzeuge bei wesentlich beteiligten Gesellschafter-Geschäftsführern anzusetzen, selbst wenn ein Privatanteil an die Gesellschaft entrichtet wird, aber es über die durchgeführten Privatfahrten keine Nachweise gibt (VwGH 31. 8. 2023, Ra 2023/15/ 0071).

Sachverhalt Im Zuge einer Prüfung lohnabhängiger Abgaben und Beiträge bei einer Kapitalgesellschaft (GmbH) wurde ein Sachbezug – nach Abzug des geleisteten Kostenbeitrags in Form eines Privatanteils aufgrund einer Kostenteilungsvereinbarung für die Privatnutzung des FirmenKfz durch den wesentlich beteiligten Gesellschafter-Geschäftsführer – in die Beitragsgrundlage zum Dienstgeberbeitrag samt Zuschlag einbezogen.

Erkenntnis des BFG Die dagegen erhobene Beschwerde wies das BFG als unbegründet ab.

Begründend führte das BFG aus, dass aufgrund der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über die Bewertung von Sachbezügen betreffend Kraftfahrzeuge bei wesentlich beteiligten Gesellschafter-Geschäftsführern für die Bemessung des geldwerten Vorteils aus der privaten Nutzung des zur Verfügung gestellten Kraftfahrzeugs §4 SachbezugswerteVO sinngemäß anzuwenden sei. Der geldwerte Vorteil aus der privaten Nutzung des zur Verfügung gestellten Kraftfahrzeugs könne nur dann nach den auf die Privatnutzung entfallenden, von der Kapitalgesellschaft getragenen Aufwendungen bemessen werden, wenn der wesentlich Beteiligte den Anteil der privaten Fahrten (zB durch Vorlage eines Fahrtenbuches) nachweise. Einen entsprechenden Nachweis habe der wesentlich beteiligte Gesellschafter-Geschäftsführer bzw die GmbH nicht erbracht, weshalb der geldwerte Vorteil in sinngemäßer Anwendung der SachbezugswerteVO zu ermitteln sei.

Die vom wesentlich beteiligten Gesellschafter-Geschäftsführer geleisteten Kostenbeiträge, die nach der Rechtsprechung des VwGH auch dann zu berücksichtigen sind, wenn sie erst am Jahresende ermittelt und dem Gesellschafter-Geschäftsführer über das Verrechnungskonto angelastet werden (vgl VwGH 24. 10. 2019, Ra 2018/15/0099), wurden bereits vom Finanzamt vom Sachbezugswert in Abzug gebracht.

Erkenntnis des VwGH Die dagegen eingebrachte außerordentliche Revision wies der VwGH nunmehr mit dem gegenständlichen Beschluss zurück.

Nach Ansicht der Revisionswerberin widerspreche das Erkenntnis des BFG der Judikatur des VwGH, weil trotz eines festgestellten ausreichenden Ersatzes der aus der Privatnutzung des Fahrzeugs resultierenden Kosten durch den Gesellschafter-Geschäftsführer an die GmbH ein geldwerter Vorteil angenommen würde. Nach der Rechtsprechung des VwGH liege kein geldwerter Vorteil vor, wenn der Gesellschafter-Geschäftsführer verpflichtet sei, der Kapitalgesellschaft (zumindest) die sich aus der Privatnutzung des Kraftfahrzeugs resultierenden Kosten zu ersetzen (vgl VwGH 24. 10. 2019, Ra 2018/15/0099).

Der VwGH führte dazu aus, dass die aufgestellten Behauptungen, der GesellschafterGeschäftsführer habe ausreichenden Ersatz für die aus der Privatnutzung des Fahrzeugs

RECHTSPRECHUNG

resultierenden Kosten geleistet und es sei ihm kein geldwerter Vorteil aus der Privatnutzung erwachsen, mangels entsprechender Nachweise im Widerspruch zu den Feststellungen des BFG stehen.

Im Erkenntnis vom 24. 10. 2019, Ra 2018/15/0099 (zur Rechtslage vor Inkrafttreten der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über die Bewertung von Sachbezügen betreffend Kraftfahrzeuge bei wesentlich beteiligten Gesellschafter-Geschäftsführern, BGBl II 2018/70), hat der VwGH ausgesprochen, dass kein Vorteil iSd §22 Z2 EStG vorliegt, wenn der Gesellschafter-Geschäftsführer verpflichtet ist, der Kapitalgesellschaft (zumindest) die sich aus der Privatnutzung des Kraftfahrzeugs resultierenden Kosten zu ersetzen.

Dass der Kapitalgesellschaft die aus der Privatnutzung des Kraftfahrzeugs resultierenden Kosten ersetzt worden sind, hat das BFG nicht festgestellt. Nach den Feststellungen des BFG hat die GmbH gerade nicht nachgewiesen, dass dem Gesellschafter-Geschäftsführer durch die Privatnutzung des Kraftfahrzeugs kein geldwerter Vorteil entstanden ist.

Der VwGH bestätigt mit diesem Erkenntnis (erste Rechtsprechung) den Ansatz eines Sachbezugs für die Privatnutzung eines Firmen-Kfz durch den wesentlich beteiligten Gesellschafter-Geschäftsführer nach der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über die Bewertung von Sachbezügen betreffend Kraftfahrzeuge bei wesentlich beteiligten Gesellschafter-Geschäftsführern (BGBl II 2018/70).

Diese Rechtsprechung ist auch für eine in der Praxis häufig vorkommende Vorgangsweise relevant. Demnach wird ein im Schätzungswege ermittelter Privatanteil für die Privatnutzung des Firmen-Kfz am Verrechnungskonto des wesentlich beteiligten GesellschafterGeschäftsführers angelastet.

Wie der VwGH nunmehr ausgeführt hat, kann damit der Ansatz eines Sachbezugs nach der Verordnung nicht umgangen werden. Im Schätzungswege ermittelte und am Verrechnungskonto angelastete Privatanteile mindern allenfalls als Kostenbeiträge den Sachbezugswert, schließen diesen jedoch nicht aus.

Hinzuweisen ist auch darauf, dass der nach der Verordnung ermittelte Sachbezugswert nicht nur in die Beitrags-/Bemessungsgrundlage zum Dienstgebebeitrag samt Zuschlag sowie zur Kommunalsteuer einzubeziehen ist, sondern als sonstige Vergütung jeder Art iSd §22 Z2 EStG auch im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung des wesentlich beteiligten Gesellschafter-Geschäftsführers entsprechend anzusetzen ist.

Indirekt bestätigt der VwGH mit diesem Beschluss auch die Anordnung in der Verordnung über die Bewertung von Sachbezügen betreffend Kraftfahrzeuge bei wesentlich beteiligten Gesellschafter-Geschäftsführern, wonach nur dann für die Bemessung des geldwerten Vorteils aus der privaten Nutzung des zur Verfügung gestellten Kraftfahrzeugs von der sinngemäßen Anwendung des §4 SachbezugswerteVO abgewichen und der geldwerte Vorteil aus der privaten Nutzung des zur Verfügung gestellten Kraftfahrzeugs nach den auf die private Nutzung entfallenden, vom Überlasser des Fahrzeugs getragenen Aufwendungen bemessen werden kann, wenn der Empfänger des Sachbezugs den Anteil der privaten Fahrten (zB durch Vorlage eines Fahrtenbuches) nachweist

Nur bei entsprechendem Nachweis kann abweichend der Privatanteil als Sachbezug angesetzt werden. Ist dies der Fall und bezahlt der wesentlich beteiligte Gesellschafter-Geschäftsführer die aus der Privatnutzung entstandenen Kosten an die GmbH, mindert dieser Kostenbeitrag den Sachbezugswert auf null. Damit kommt man im Endeffekt zum selben Ergebnis, das der VwGH im Erkenntnis vom 24. 10. 2019, Ra 2018/15/0099, ausgesprochen hat.

Anmerkung

Verzögerter Beginn einer Wiedereingliederungsteilzeit

Dr. Andreas Gerhartl

Der Anspruch auf Wiedereingliederungsgeld setzt eine Wiedereingliederungsteilzeitvereinbarung voraus, in der auch der Beginn der Wiedereingliederungsteilzeit festgelegt sein muss. Dadurch, dass dieser geplante Antrittstermin wegen neuerlicher Erkrankung des Arbeitnehmers nicht eingehalten werden kann, geht der Anspruch auf Wiedereingliederungsgeld aber nicht unter (OGH 28. 8. 2023, 10 ObS73/23t).

Sachverhalt Die klagende Arbeitnehmerin war vom 28. 3. 2022 bis 11. 7. 2022 aufgrund einer schweren Erkrankung arbeitsunfähig. Am 18. 7. 2022 vereinbarte sie mit ihrem Arbeitgeber eine Wiedereingliederungsteilzeit für den Zeitraum vom 8. 8. 2022 bis 7. 2. 2023. Mit Schreiben vom 27. 7. 2022 teilte ihr die ÖGK mit, dass ihr Antrag auf Wiedereingliederungsteilzeit vom chef- und kontrollärztlichen Dienst bewilligt worden sei und sie daher Anspruch auf Wiedereingliederungsgeld habe.

Aufgrund einer neuerlichen Erkrankung befand sie sich vom 1. 8. 2022 bis 19. 8. 2022 (Freitag) im Krankenstand. Am 22. 8. 2022 trat sie den Dienst wieder an. Die ÖGK lehnte die Zuerkennung von Wiedereingliederungsgeld mit der Begründung ab, dass ein Dienstantritt am 8. 8. 2022 aufgrund der neuerlichen Erkrankung nicht möglich war. Im Verfahren vor dem OGH war strittig, ob Wiedereingliederungsgeld für den Zeitraum vom 22. 8. 2022 bis 7. 2. 2023 gebührt.

Anspruch auf Wiedereingliederungsgeld

Der OGH gab der gegen die Ablehnung des Anspruchs auf Wiedereingliederungsgeld eingebrachten Klage statt.

Gemäß §13a Abs1 Satz 1 AVRAG kann (unter den gesetzlich normierten Voraussetzungen) eine Wiedereingliederungsteilzeit vereinbart werden. Nach Satz 2 dieser Bestimmung muss die Wiedereingliederungsteilzeit spätestens einen Monat nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit iSd ersten Satzes angetreten werden. Dies lässt offen, ob der Dienst innerhalb eines Monats nach dem Ende des Krankenstands tatsächlich angetreten werden oder ob lediglich der geplante Zeitpunkt des Antritts der Wiedereingliederungszeitpunkt innerhalb der Monatsfrist liegen muss.

Die historische Interpretation ergibt klar die Absicht des Gesetzgebers, durch die Einführung des §13a Abs1 Satz 2 AVRAG lediglich klarzustellen, dass die Wiedereingliederungsteilzeit nicht unmittelbar (nahtlos) an den (mehr als sechswöchigen ununterbrochenen) Krankenstand anschließen muss (ErlRV 164 BlgNR 26. GP, 1, 3). Diese Regelung soll daher lediglich dem Arbeitnehmer einen gewissen Spielraum bieten, nicht aber die Wirksamkeit der Vereinbarung der Wiedereingliederungsteilzeit davon abhängig machen, dass der zu einem gesetzlich zulässigen Zeitpunkt geplante Antritt der Wiedereingliederungsteilzeit auch tatsächlich erfolgt.

Liegt eine Vereinbarung einer Wiedereingliederungsteilzeit vor, der die chef- und kontrollärztliche Bewilligung erteilt wird (§143d Abs1 ASVG), entsteht Anspruch auf Wiedereingliederungsgeld frühestens mit dem geplanten Antritt der Wiedereingliederungsteilzeit. Wird die Wiedereingliederungsteilzeit erst zu einem späteren Zeitpunkt angetreten, so gebührt auch Wiedereingliederungsgeld erst zu diesem späteren Zeitpunkt (§120 Z2a ASVG, §143d Abs1 ASVG).

Im Ergebnis war der Anspruch auf Wiedereingliederungsgeld für den Zeitraum vom 22.8. 2022 bis 7. 2. 2023 daher zu bejahen.

Aufwandersatz für Homeoffice

Gastbeitrag von Dr. Anna Mertinz und Mag. Martin Lanner

Dr. Anna Mertinz ist Rechtsanwältin bei der KWR Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH in Wien mit Schwerpunkt unter anderem im Arbeitsrecht.

Mag. Martin Lanner ist Rechtsanwalt bei der KWR Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH in Wien mit Schwerpunkt unter anderem im Arbeitsrecht.

In einer kürzlich veröffentlichten Entscheidung nahm der OGH erstmals konkret zu der Frage Stellung, wie Aufwendungen von Arbeitnehmern iZm Homeoffice zu behandeln sind. Mit Aufwendungen in diesem Zusammenhang sind zB Miete und Strom gemeint. Es handelt sich bei dieser Entscheidung um die erste Entscheidung des OGH zu Höhe und Ausmaß von Aufwandersatz bei Tätigkeiten im Homeoffice seit Inkrafttreten der gesetzlichen Regelungen zum Homeoffice (OGH 23. 9. 2023, 9 ObA 31/23h).

Die klagende Arbeitnehmerin war zunächst ab März 2020 (im „1. Lockdown“) vorübergehend und ab April 2020 dauerhaft im Homeoffice tätig. Ein Büroarbeitsplatz stand ihr nicht zur Verfügung. Die Arbeitnehmerin lehnte den Abschluss einer „Work-fromHome“-Vereinbarung, die einen monatlichen Aufwandersatz von 250€ brutto vorgesehen hätte, ab. Der Arbeitgeber stellte einen Laptop, ein Firmenhandy und einen Bürosessel zur Verfügung. Die Arbeitnehmerin erhielt keinen Aufwandersatz vom Arbeitgeber bezahlt.

Die erste und zweite Instanz sprachen der Arbeitnehmerin einen monatlichen Aufwandersatz von 135€ netto zu. Der OGH bestätigte dies.

Das Erstgericht führte insbesondere aus, dass bei der Ermittlung des angemessenen Betrags das zeitliche Ausmaß der Nutzung der Wohnräumlichkeiten (die Arbeitnehmerin arbeitete Teilzeit) ebenso zu berücksichtigen sei wie die Höhe des den übrigen Mitarbeitern von der Arbeitgeberin bezahlten Homeoffice-Pauschales (250€ brutto pro Monat). Der zugesprochene Aufwandersatz deckte Aufwendungen wie insbesondere anteilige Miete, Betriebskosten (Strom, Wasser, Heizung, Haushaltsreparaturen etc) und auch anteilige Kosten des Internetanschlusses ab. Damit würden auch die Belastungen der Arbeitnehmerin und ihrer Familie berücksichtigt, da die Klägerin bei anspruchsvollen Tätigkeiten gezwungen war, ihre Familienmitglieder aus dem Wohnzimmer zu schicken.

Die Arbeitnehmerin befand sich seit August 2021 durchgehend im Krankenstand. Für diesen Zeitraum wiesen die Gerichte den begehrten Aufwandersatz ab, da es sich dabei nicht um Entgelt handelt, das von der Entgeltfortzahlungspflicht im Krankheitsfall erfasst wäre.

Seit Beginn der Corona-Pandemie ist Homeoffice in vielen Betrieben ein nicht mehr wegzudenkender Teil des Arbeitsalltags. Die gesetzliche Regelung in §2h Abs3 AVRAG, wonach der Arbeitgeber die erforderlichen „digitalen Arbeitsmittel“ bereitzustellen oder angemessenen Kostenersatz zu leisten hat, ließ und lässt nach wie vor viele Fragen offen.

Während aufgrund der gesetzlichen Regelungen schon bisher weitgehend Einigkeit darüber herrscht, dass der Arbeitgeber die unmittelbar für die Arbeit im Homeoffice notwendigen digitalen Arbeitsmittel wie etwa Laptop oder Telefon bereitzustellen hat oder dafür Aufwandersatz zu leisten hatte, wurde nunmehr durch den OGH klargestellt, dass

Hintergrund und Bedeutung der Entscheidung für die Praxis

RECHTSPRECHUNG

der Aufwandersatz zusätzlich auch anteilige Strom- und Heizkosten sowie einen Anteil an der Miete zu umfassen hat. Nach den Ausführungen des Erstgerichts – die Instanzen gingen darauf nicht mehr explizit ein – war im Anlassfall mit der eingeschränkten Nutzbarkeit des Homeoffice-Zimmers für die übrigen Familienmitglieder sogar ein immaterielles Element zu berücksichtigen.

In welcher Form, in welcher Höhe und wie konkret der damit verbundene Aufwand des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber zu ersetzen ist, war bisher nicht vom OGH geklärt. Auch die hier besprochene Entscheidung kann ab er nicht als Festsetzung der Mindest- oder Maximalhöhe des Aufwandersatzes im Fall von Homeoffice gesehen werden. Es handelt sich um eine Entscheidung, die in einem konkreten und besonderen Sachverhalt getroffen wurde.

Vertraglicher

Ausschluss des Anspruchs auf Aufwandersatz?

Empfehlung

Der Anspruch auf Aufwandersatz stützt sich auf eine analoge Anwendung des §1014 ABGB. Diese Bestimmung ist nicht zwingend anzuwenden, sondern kann vertraglich abbedungen werden. Allerdings setzt eine Sittenwidrigkeitskontrolle den Vertragsparteien gewisse Grenzen.

Inwieweit ein gänzlicher oder teilweiser Ausschluss des Aufwandersatzes zulässig ist, hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab. Zu berücksichtigende Faktoren sind etwa: von wem der Wunsch nach Homeoffice ausging, allfällige Einsparungen des Arbeitnehmers (zB Fahrtkosten) sowie besondere Anforderungen an den HomeofficeArbeitsplatz (zB ausreichend Platz für mehrere Bildschirme).

In der hier besprochenen Entscheidung des OGH stand der Arbeitnehmerin gar kein Büroarbeitsplatz zur Verfügung. In solchen Fällen ist der Ausschluss des Aufwandersatzes daher wohl eher nicht denkbar. Bei einem hohen Entgeltniveau, wenn der Wunsch nach Homeoffice vom Arbeitnehmer ausgeht und dennoch ein Büroarbeitsplatz alternativ zur Verfügung steht, könnte es aber zulässig sein, den Anspruch auf Aufwandersatz komplett auszuschließen

Die höchstgerichtliche Entscheidung erfordert einen kritischen Blick auf bereits abgeschlossene Homeoffice-Vereinbarungen und auf aktuell in Verwendung stehende Vertragsvorlagen. Vor diesem Hintergrund sollten bestehende Homeoffice-Vereinbarungen geprüft und gegebenenfalls adaptiert werden.

Wenn ein Pauschalbetrag als Aufwandersatz vorgesehen wird, sollten in Zukunft die „wertbestimmenden“ Faktoren (zB Homeoffice im Interesse des Arbeitnehmers, Einsparungen des Arbeitnehmers, besondere Anforderungen an den Arbeitsplatz) angeführt und festgehalten werden, dass der Betrag von den Parteien als angemessen erachtet wird. Bei Teilzeitbeschäftigten ist eine Aliquotierung des Pauschales zulässig, aber nicht erforderlich.

Wird der Aufwandersatz gänzlich ausgeschlossen, sollten die Gründe dafür explizit angeführt werden, um eine Sittenwidrigkeit möglichst auszuschließen. Dabei ist insbesondere auf eine (hohe) Überzahlung hinzuweisen sowie herauszustreichen, dass/wenn Homeoffice im (ausschließlichen) Interesse des Arbeitnehmers gewährt wird.

Es ist auch denkbar, Aufwendungen für das Homeoffice in All-in-Vereinbarungen einzubeziehen und somit abzugelten. In diesem Fall ist darauf zu achten, eine entsprechend eindeutige Formulierung der All-in-Klausel zu wählen. Die Überzahlung sollte auch entsprechend ausreichend hoch ein.

Familienzeitbonus trotz Krankenhausaufenthalts von Mutter und Kind

Befinden sich während der Familienzeit sowohl das Kind als auch die Mutter medizinisch indiziert im Krankenhaus, kann kein gemeinsamer Haushalt vorliegen. Familienzeitbonus gebührt dem Vater allerdings trotzdem, wenn Vater und Mutter das Kind im Ausmaß von zumindest vier Stunden pro Tag betreut und gepflegt haben (OGH 22. 8. 2023, 10 ObS98/23v).

Das Kind des Klägers wurde am 27. 3. 2022 geboren und musste aufgrund einer Zungenfehlbildung am 28. 3. 2022 operativ versorgt werden. Auch die Mutter des Kindes blieb wegen eines Kaiserschnitts noch im Spital. Mutter und Kind wurden am 31. 3. 2022 aus der Spitalspflege entlassen. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde das Kind von beiden Elternteilen im Ausmaß von mindestens durchschnittlich vier Stunden täglich gepflegt und betreut. Ab der Entlassung fanden sich Kind und Mutter im gemeinsamen Haushalt ein.

Die ÖGK wies den Antrag auf Familienzeitbonus in der Zeit von 27. 3. 2022 bis 23. 4. 2022 wegen der stationären Behandlung der Mutter ab.

Die Vorinstanzen sprachen dagegen den Familienzeitbonus zu. Auch der OGH konnte in der außerordentlichen Revision der ÖGK keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung erkennen.

Anspruch auf Familienzeitbonus besteht ua dann, wenn sich der Vater im gesamten Anspruchszeitraum in Familienzeit befindet und darüber hinaus er, das Kind und der andere Elternteil im gemeinsamen Haushalt leben. Während des Spitalsaufenthalts des Kindes und der Mutter fehlt es an einem gemeinsamen Haushalt. Dies schadet jedoch dann dem Anspruch nicht, wenn bei einem medizinisch indizierten Krankenhausaufenthalt des Kindes dieses durch den Vater und den anderen Elternteil im Mindestausmaß von jeweils durchschnittlich vier Stunden täglich gepflegt und betreut wird (§2 Abs3a FamZeitbG).

Diese Bestimmung trägt dem Umstand Rechnung, dass zwar die Versorgung des Kindes während eines Krankenhausaufenthalts durch das Krankenhaus wahrgenommen wird, aber der Zweck der Familienzeit trotzdem erreicht werden kann, wenn die Eltern ihr Kind im Krankhaus persönlich pflegen und betreuen.

Das Argument der ÖGK, dass bei einem medizinisch indizierten Krankenhausaufenthalt der Mutter sich der Vater nicht in Familienzeit befinden könne, findet im Gesetzeswortlaut keine Grundlage. Dieser stellt nämlich nicht auf einen bestimmten „Aufenthalt“ der Mutter ab, sondern erstens darauf, dass sich das Kind in einem medizinisch indizierten Spitalsaufenthalt befindet, und zweitens darauf, dass es während dieses Spitalsaufenthalts persönlich vom Vater und vom anderen Elternteil betreut und gepflegt wird.

Alle von der ÖGK in der außerordentlichen Revision gegen den Zuspruch von Familienzeitbonus vorgebrachten Entscheidungen des OGH waren auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil entweder das Datum der Geburt vor dem 1. 1. 2019 lag (OGH 20. 11. 2018, 10 ObS109/18d; 30. 7. 2019, 10 ObS101/19d; 13. 9. 2019, 10 ObS115/19p), kein medizinisch indizierter Krankenhausaufenthalt des Kindes vorlag (OGH 16. 4. 2020, 10 ObS29/20t; 28.7. 2022, 10 ObS60/22d; vgl auch OGH 25. 1. 2022, 10 ObS82/21p, Rz26) oder der Vater das Kind pandemiebedingt nicht pflegen und betreuen konnte (OGH 13. 9. 2022, 10ObS109/22k, Rz19).

Sachverhalt

Pflege bei Krankenhausaufenthalt

Bisherige Entscheidungen nicht anwendbar

RECHTSPRECHUNG

Anmerkung Aufgrund einer Gesetzesänderung (siehe Gerhartl, Änderungen bei Familienzeit und Kinderbetreuungsgeld, PV-Info 11/2023, Seite 8f) gebührt für Geburten ab 1. 11. 2023 der Familienzeitbonus – sofern alle anderen Voraussetzungen erfüllt sind – auch dann, wenn aufgrund eines medizinisch erforderlichen Krankenhausaufenthalts des anderen Elternteils (zB aufgrund von Komplikationen infolge der Geburt) kein gemeinsamer Haushalt des anderen Elternteils mit dem Vater und dem Kind vorliegt. Dafür muss der Vater den anderen Elternteil in Anwesenheit des Kindes im Durchschnitt von mindestens zwei Stunden täglich persönlich pflegen und betreuen. Der Vater hat das Ausmaß der Pflege und Betreuung des anderen Elternteils durch ihn im Beisein des Kindes durch Bestätigungen des Krankenhauses beim Krankenversicherungsträger nachzuweisen.

Auch bei der bereits bestehenden Regelung betreffend den medizinisch erforderlichen Krankenhausaufenthalt des Kindes genügt für Geburten ab 1. 11. 2023 eine durchschnittlich zweistündige tägliche Pflege und Betreuung durch den Vater und den anderen Elternteil (bisher: vier Stunden).

Gekürztes Kinderbetreuungsgeld bei fehlenden Untersuchungsnachweisen

auch bei kompliziertem Unionsrecht

Mag. Christa Kocher

Was ist das Ergebnis, wenn für Familienleistungen drei Staaten zuständig sein könnten? Zweimal Ablehnung, einmal gar keine Entscheidung! Leichtgemacht wird es Familien durch das Unionsrecht nicht. Die Komplexität der Zuständigkeitsregelungen beim Kinderbetreuungsgeld führen aber nicht dazu, dass die nationalen Vorschriften gegenüber demjenigen Sozialversicherungsträger, von dem Leistungen begehrt werden, nicht einzuhalten wären. Auch in einem „D reistaatenverhältnis“ sind daher die Nachweise der Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen der ÖGK vorzulegen, widrigenfalls das Kinderbetreuungsgeld gekürzt wird (OGH 22. 8. 2023, 10 ObS52/23d).

Sachverhalt

Die Klägerin befindet sich seit 1. 9. 2012 in einem aufrechten Dienstverhältnis zu einem österreichischen Dienstgeber. Am 25. 7. 2018 verlegte sie ihren Hauptwohnsitz von Österreich nach Deutschland zu ihrem Ehemann, der in Frankreich selbständig erwerbstätig ist. Der Sohn der Klägerin wurde am 6. 9. 2018 geboren. Das Wochengeld bezog die Klägerin von 6. 9. 2018 bis 13. 11. 2018 in Höhe von 79,35€. Die Klägerin lebt mit ihrem Sohn im gemeinsamen Haushalt mit hauptwohnsitzlicher Meldung in Deutschland. Mit dem österreichischen Dienstgeber wurde eine Karenz bis 1. 4. 2020 vereinbart, die später auch noch verlängert wurde. Der Antrag auf deutsches Kindergeld wurde von der Familienkasse Bayern Nord abgelehnt, da die Klägerin eine Erwerbstätigkeit in Österreich und ihr Ehegatte eine Erwerbstätigkeit in Frankreich ausübe. Die ÖGK teilte dem französischen Sozialversicherungsträger mit, dass sie sich nicht für die Zahlung von Familienleistungen für den Sohn der Klägerin zuständig erachte. Der französische Versicherungsträger traf über den Antrag auf französische Familienleistung keine Entscheidung. Die erste bis sechste Mutter-Kind-Pass-Untersuchung absolvierte die Klägerin in Österreich und wies diese auch der ÖGK gegenüber nach. Die Untersuchungen sieben bis zehn erfolgten in Deutschland. Nachweise legte die Klägerin der ÖGK nicht vor.

RECHTSPRECHUNG

Die ÖGK sprach in ihrem Bescheid aus, dass das Kinderbetreuungsgeld während des Wochengeldbezugs ruhe. Den Anspruch auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld in der Zeit von 14. 11. 2018 bis 5. 9. 2019 lehnte sie ab und hielt aus „prozessualer Vorsicht“ fest, dass ein etwaiger Anspruch wegen der fehlenden Untersuchungsnachweise um 1.300€ zu reduzieren wäre.

Das Erstgericht sprach der Klägerin das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens mit Ausnahme des Zeitraums für den Wochengeldbezug zu. Eine Scheinkarenz liege bei der Klägerin nicht vor. Die ÖGK sei vorrangig zuständig, allerdings sei das Kinderbetreuungsgeld um 1.300€ zu kürzen, da die in Deutschland vorgenommenen Untersuchungen zwar als gleichrangig anzusehen wären, die Klägerin aber der ÖGK keine Nachweise vorgelegt habe.

Gegen dieses Urteil erhoben sowohl die Klägerin als auch die ÖGK Berufung. Das Berufungsgericht bestätigte die Kürzung des Kinderbetreuungsgeldes um 1.300€. Hinsichtlich der ÖGK ging das Berufungsgericht davon aus, dass Österreich nur nachrangig zuständig sei, da die ÖGK ihre Zuständigkeit verneint und Frankreich sich dazu nicht geäußert habe, weshalb von einer Wirksamkeit dieser vorläufigen Entscheidung der ÖGK auszugehen sei.

Im Ergebnis ändere sich aber nichts, da aufgrund des Art7 DVO (EG) 987/2009 die ÖGK verpflichtet sei, der Klägerin eine vorläufige Leistung zu erbringen.

Die von der Klägerin in ihrer außerordentlichen Revision geltend gemachten Gründe führten auch beim OGH zu keiner Änderung der Entscheidung.

Den Einwand, dass das deutsche Mutterpass-System dem österreichischen vergleichbar sei, im Unterschied zu diesem jedoch keine Nachweispflicht vorsehe und daher der Klägerin die mangelnden Nachweise nicht vorgeworfen werden können, teilte der OGH nicht.

Die VO (EG) 883/2004 koordiniert die unterschiedlichen nationalen Sozialversicherungssysteme, schafft jedoch kein gemeinsames System der sozialen Sicherheit. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH bleiben die Mitgliedstaaten für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit zuständig. Jeder Mitgliedstaat schafft daher die Voraussetzungen für die Begründung von Ansprüchen. Die fehlende Nachweispflicht für Untersuchungen in Deutschland ist nicht ausschlaggebend, da Deutschland zur Gewährung von Familienleistungen an die Klägerin nicht zuständig ist. Eine Nachweispflicht beeinträchtigt laut Berufungsgericht auch nicht die Freizügigkeit der Klägerin und ist daher nicht unionsrechtswidrig

Die Frage, ob die Klägerin den nicht rechtzeitigen Nachweis der Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen zu vertreten hat, hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab. Die Klägerin hat sechs Untersuchungen der ÖGK vorgelegt und wurde im Antrag auf Kinderbetreuungsgeld auch darauf hingewiesen, dass weitere Nachweise vorzulegen sind.

Die Klägerin wandte ein, dass ihr aufgrund der äußerst komplizierten Rechtslage bei einem „Dreistaatenverhältnis“ und den ihr gegenüber geäußerten Unzuständigkeiten nicht vorwerfbar sei, dass sie die Nachweise nicht fristgerecht vorgelegt hätte. Das ließ der OGH nicht gelten, da die Komplexität die Frage der vor- und nachrangigen Zuständigkeit zur Gewährung von Familienleistungen betrifft, aber nicht die davon getrennt zu behandelnde Frage, welche nationalen Vorschriften gegenüber demjenigen Sozialversicherungsträger, von dem Leistungen begehrt werden, einzuhalten sind. Darüber hinaus wurde von den Vorinstanzen ohnehin zutreffend davon ausgegangen, dass die deutschen MutterpassUntersuchungen als gleichrangig anzusehen sind.

Deutscher Mutterpass gleichrangig

Vorläufige Leistung bei mangelnder Einigung der Mitgliedstaaten

Kein gemeinsames System sozialer Sicherheit

Komplizierte Rechtslage schützt nicht vor Nachweisverpflichtung

Besteuerung von in Österreich ansässigem Flugpersonal nach dem DBA Malta

Gastbeitrag von MMag. Karl Waser

MMag. Karl Waser ist Steuerberater, Partner und Head of Global Employment Services bei der ICON Wirtschaftstreuhand GmbH.

In der EAS-Auskunft 3448 vom 17. 11. 2023 beschäftigte sich das BMF mit der Besteuerung von in Österreich ansässigem Flugpersonal nach dem DBA Malta und der Frage, ob es zu einer Vermeidung der Doppelbesteuerung durch Befreiung oder Anrechnung kommt.

EAS3448 vom 17. 11. 2023 lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein (im internationalen Flugverkehr eingesetzter) Pilot mit Wohnsitz und abkommensrechtlicher Ansässigkeit in Österreich ist bei einer Fluggesellschaft angestellt, deren Ort der Geschäftsleitung sich in Malta befindet. Das BMF beschäftigte sich in dieser EAS sodann mit der Frage, nach welcher Methode (Befreiungsmethode oder Anrechnungsmethode) Österreich als Ansässigkeitsstaat des Dienstnehmers (= Piloten) die Doppelbesteuerung zu vermeiden hat. Ob im konkreten Fall Malta tatsächlich ein Besteuerungsrecht ausübte, ergibt sich aus EAS3448 nicht eindeutig. Aufgrund der beschriebenen Umstände ist aber davon auszugehen, dass in Malta entweder keine oder nur eine Niedrigbesteuerung erfolgte.

Das BMF kommt zum Ergebnis, dass in diesem Fall die (in der Regel ungünstigere) Anrechnungsmethode zur Anwendung kommt. Dies überrascht insofern, als auf den ersten Blick als primäre Methode die Befreiungsmethode normiert wird (Art23 Abs1 DBA Malta, BGBl 1979/294 idF BGBl III 2018/93), die Anrechnungsmethode hingegen nurfür die in Art23 Abs2 DBA Malta angeführten Verteilungsnormen für Passiveinkünfte (Dividenden, Zinsen, Lizenzgebühren). Wie argumentiert also das BMF diese Lösung?

Grundsätze der Besteuerung von Flugpersonal nach dem OECD-MA idF vor dem Update 2017

In diesem Zusammenhang lohnt sich zuallererst ein Blick auf Art15 Abs3 OECD-MA idF vor dem Update 2017, dem Art15 Abs3 DBA Malta nachgebildet ist. Dieser lautet wie folgt: „Ungeachtet der vorstehenden Bestimmungen dieses Artikels können Vergütungen für unselbständige Arbeit, die an Bord eines Seeschiffes oder Luftfahrzeugs, das im internationalen Verkehr betrieben wird, oder an Bord eines Schiffes, das der Binnenschifffahrt dient, ausgeübt wird, in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des Unternehmens befindet.“

Es handelt sich dabei um eine lex specialis für Bordpersonal, die in Abweichung von den allgemeinen Grundsätzen des Besteuerungsrechts für Einkünfte aus unselbständiger Arbeit das Besteuerungsrecht für Einkünfte von Flugpersonal nicht am Arbeitsort ausrichtet, sondern jenem Staat zuweist, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des betreibenden Unternehmens befindet. Hintergrund für diese Sondernorm ist die Schwierigkeit der Bestimmung des Arbeitsorts von Bordpersonal im internationalen Verkehr (vgl Bendlinger, Internationales Steuerrecht2 [2019] 839). Die Verteilungsnorm selbst trifft dabei noch keine Anordnung, wie die Doppelbesteuerung im Ansässigkeitsstaat zu vermeiden ist (sogenannte „offene Verteilungsnorm“). Dies erfolgt erst im Methodenartikel (vgl dazu allgemein Bendlinger, Internationales Steuerrecht2, 541).

Wie bereits dargestellt, folgt Art15 Abs3 DBA Malta im Wesentlichen der Textierung von Art15 Abs3 OECD-MA idF vor dem Update 2017. In Abweichung zum OECD-MA sind Einkünfte aus der Binnenschifffahrt nicht von Art15 Abs3 DBA Malta umfasst. Das BMF kommt daher konsequenterweise zum Ergebnis, dass es – wie auch nach Art15 Abs3 OECD-MA – zur Vermeidung der Doppelbesteuerung der Anwendung des Methodenartikels bedarf. Analog zu vielen anderen österreichischen DBA ist der Methodenartikel in Art23 DBA Malta „zweigeteilt“; Art23 Abs1 DBA Malta sieht grundsätzlich („vorbehaltlich Abs2“) die Anwendung der Befreiungsmethode vor, Art21 Abs2 DBA Malta normiert – dem Wortlaut nach beschränkt auf die Verteilungsnormen der Art10 (Dividenden), 11 (Zinsen) und 12 (Lizenzgebühren) – als Ausnahme davon die Anwendung der Anrechnungsmethode.

Das BMF weist in der EAS allerdings darauf hin, dass sich Art21 Abs1 DBA Malta in einem wesentlichen Punkt vom OECD-MA unterscheidet. Art21 Abs1 DBA Malta lautet: „Bezieht eine in einem Vertragsstaat ansässige Person Einkünfte oder hat sie Vermögen und können diese Einkünfte oder dieses Vermögen nach diesem Abkommen nur in dem anderen Vertragsstaat besteuert werden, so nimmt der erstgenannte Staat, vorbehaltlich des Abs2, diese Einkünfte oder dieses Vermögen von der Besteuerung aus.“ Entscheidend ist hier nach Meinung des BMF das Wort „nur“. Danach soll die Anwendung der Befreiungsmethode auf jene Verteilungsnormen des DBA Malta eingeschränkt sein, in denen die Verteilungsnorm selbst schon Österreich als Ansässigkeitsstaat das Besteuerungsrecht entzieht, dh auf sogenannte „komplette Verteilungsnormen“. Dies ist wie oben dargestellt allerdings bei der Verteilungsnorm des Art15 Abs3 DBA Malta nicht der Fall.

Die unmittelbare Anwendung der in Art23 Abs2 DBA Malta normierten Anrechnungsmethode scheitert gemäß BMF wiederum daran, dass die Verteilungsnorm des Art15 Abs3 DBA Malta nicht (explizit) in Art23 Abs2 DBA Malta genannt ist. Die Folge wäre, dass das österreichische Besteuerungsrecht damit weder nach der Verteilungsnorm noch nach dem Methodenartikel eingeschränkt ist. Da dieses – sofern Malta tatsächlich Steuern erhebt – zu einer Doppelbesteuerung führende Auslegungsergebnis allerdings nicht dem Sinn und Zweck eines DBA entsprechen würde, gesteht das BMF zu, dass die Anrechnungsmethode für diesen Fall zumindest analog auch auf Art15 Abs3 DBA Malta angewandt werden kann. Das BMF begründet die vorzugsweise Anwendung der Anrechnungsmethode damit, dass diese – anders als die Befreiungsmethode – sowohl den Eintritt von Doppelbesteuerung als auch den Fall von Doppelnichtbesteuerung vermeiden würde. Dieses Auslegungsergebnis stehe auch im Einklang mit der durch das MLI abgeänderten Präambel des DBA Malta, die als Ziel des Abkommens nicht nur die Beseitigung der Doppelbesteuerung, sondern auch die Vermeidung von Nicht- oder Niedrigbesteuerung vorsieht.

Die Argumentation des BMF in EAS3448 klingt auf den ersten Blick durchaus nachvollziehbar. Sie ist allerdings im Hinblick auf die folgenden Überlegungen abzulehnen: Zum einen ist zu beachten, dass die im gegenständlichen EAS behandelte Verteilungsnorm für Bordpersonal (Art15 Abs3 DBA Malta) nicht die einzige offene Verteilungsnorm ist. Folgt man der Argumentation des BMF, müsste es konsequenterweise auch bei allen anderen offenen Verteilungsnormen des DBA Malta zu einem Wechsel von der Befreiungs- zur Anrechnungsmethode kommen. Dies beträfe zB die Verteilungsnorm für Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen (Art6 DBA Malta), Unternehmensgewinne, wenn es sich dabei um einer Betriebsstätte zurechenbare Gewinne handelt (Art7 DBA Malta), aus der Veräußerung von Vermögen iSd Art13 Abs1 und 2 DBA Malta, aus im anderen Land ausgeübter unselbständiger Arbeit (Art15 DBA Malta) etc. Es kann wohl nicht davon ausgegangen werden, dass die Vertragsparteien beim Abschluss des DBA eine

Besteuerung von Flugpersonal nach dem DBA Malta

Kritik an der BMF-Auslegung

solche Vielzahl an Verteilungsnormen aus dem Anwendungsbereich des Art23 Abs1 DBA Malta (Befreiungsmethode) ausnehmen wollten, ohne zugleich durch expliziten Einbezug in den Anwendungsbereich des Art23 Abs2 DBA Malta (Anrechnungsmethode) eine Vorkehrung zur Vermeidung von Doppelbesteuerung zu treffen. Auch das BMF selbst scheint bislang davon ausgegangen zu sein, dass für andere offene Verteilungsnormen des DBA Malta sehr wohl die Befreiungsmethode zur Anwendung kommt (vgl EAS1956 zur Tätigkeit einer in Österreich ansässigen Person, die Einkünfte als Gesellschafter-Geschäftsführer einer maltesischen Kapitalgesellschaft erzielt).

Zum anderen ist zu beachten, dass „komplette Verteilungsnormen“, wie sie anscheinend in Art23 Abs1 DBA Malta mit dem Zusatz „nur“ angesprochen werden sollen, schon per Definition die Doppelbesteuerung durch ihre Zuteilung selbst verhindern. Der Methodenartikel kommt somit gar nicht mehr zur Anwendung (siehe mwN Kofler in Aigner/Kofler/ Tumpel, DBA2 [2019] Rz54). Würde man Art23 Abs1 DBA Malta in der Weise auslegen, dass unter die darin angeführte Befreiungsmethode nur „komplette Verteilungsnormen“ fallen, wäre Art23 Abs1 DBA Malta letztlich unnötig.

Vielmehr ist davon auszugehen, dass von den Vertragsparteien damals sehr wohl beabsichtigt war, alle nicht explizit in Art23 Abs2 DBA Malta genannten offenen Verteilungsnormen in den Anwendungsbereich der Befreiungsmethode aufzunehmen. Dies zeigt mE auch ein Vergleich mit der englischen Sprachfassung dieser Bestimmung, die gemäß der Schlussformel zum DBA gleichermaßen verbindlich ist. Diese lautet: „Where a resident of a Contracting State derives income or owns capital which may be taxed in the other Contracting State in accordance with the provisions of this Convention, the first mentioned State shall, subject to the provisions of paragraph (2) herof, exempt such income or capital from tax […].“ In der englischen Fassung findet sich – anders als in der deutschen Fassung – das Wort „nur“ (only) nämlich nicht.

Fazit Nach Meinung des BMF unterliegen Einkünfte, die ein in Österreich ansässiger Pilot einer Fluglinie mit Ort der Geschäftsleitung in Malta erzielt, der österreichischen Besteuerung. Die Befreiungsmethode komme nicht zur Anwendung, eine allfällige maltesische Steuer könne aber angerechnet werden.

Auch wenn das BMF in EAS3448 nicht ausdrücklich darauf eingeht, müsste dies dann aber auch für alle anderen – nicht explizit in Art23 Abs2 DBA Malta genannten – offenen Verteilungsnormen des DBA Malta gelten (zB Einkünfte aus einer maltesischen Betriebsstätte).

Sowohl systematische Erwägungen als auch ein Blick auf die englische Sprachfassung sprechen allerdings dafür, dass sowohl für die Verteilungsnorm des Art15 Abs3 DBA Malta als auch für alle anderen, nicht explizit in Art23 Abs2 DBA Malta genannten offenen Verteilungsnormen die Befreiungsmethode zur Anwendung kommt.

Für Sie ist es eine Steuerentlastung.

Für Ihre Mitarbeitenden eine Pause im Lieblingscafé.

Sodexo BRS heißt jetzt Pluxee. Benefits für das, was wirklich zählt, gibt’s ab sofort auf pluxee.at .

Altersteilzeit NEU

Neue Rechtslage ab 1.1.2024

z Schrittweise Reduktion der Förderung für Blockzeitvereinbarungen ab 1.1.2024

z Neue Berechnung des Lohnausgleichs für neue und für bestehende Vereinbarungen

z Beispielfälle: Ermittlung von Lohnausgleich und Beitragsgrundlage; Abrechnung in der Altersteilzeit

z Umgang mit Entgelterhöhungen

z Wann sind Änderungsmeldungen zur Umstellung auf die neue Rechtslage durchzuführen?

z Ausfüllhilfe für Änderungsmeldungen ab 1.1.2024

z Erforderliche Umstellung der Lohnarten zur richtigen Ermittlung der Lohnnebenkosten

z Neue Gestaltungsmöglichkeiten durch kleine Blockung bei kontinuierlicher Altersteilzeit

z Auswirkungen der Anhebung des Pensionsantrittsalters für Frauen auf den Beginn von Altersteilzeit

Mag. Monika Kunesch, LL.M. Selbstständige Steuerberaterin

Mag. Alexandra Platzer Selbstständige Steuerberaterin

Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.