1. Jahrgang / Februar 2018 / Nr. 1
6. Jahrgang / Jänner 2024
1. Jahrgang / Februar 2018 / Nr. 1
6. Jahrgang / Jänner 2024
Michael Gruber
Sanktionsklauseln in Versicherungsverträgen
Lilly Plath
Das Kraftfahr-Versicherungsrechts-Änderungsgesetz 2023
Walter Kath
Ausgewählte Aspekte der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2021/2118
Rechtsprechung
Betriebsunterbrechungsversicherung
Feuerversicherung; Kfz-Kaskoversicherung
Haushaltsversicherung; Leitungswasserversicherung
Unfallversicherung; Krankenversicherung
Rechtsschutzversicherung
RSS-Empfehlungen
Betriebsunterbrechungsversicherung
Rechtsschutzversicherung
Steuern. Wirtschaft.
Recht.
Am Punkt.
Mit einem Schwerpunkt zur EU-Taxonomie
TICHY | FUHRMANN (Hrsg.)
2023 752 Seiten, geb. 978-3-7073-4796-8
€ 159,–
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Michael Gruber
Sanktionsklauseln in Versicherungsverträgen .......................................... 2
Lilly Plath
Das Kraftfahr-Versicherungsrechts-Änderungsgesetz 2023 ..................... 13
Walter Kath
Ausgewählte Aspekte der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2021/2118 in das österreichische Recht ...................................................................... 17
Walter Kath
Rechtsprechung ......................................................................................... 29
Betriebsunterbrechungsversicherung (OGH 24. 5. 2023, 7 Ob 62/23b, mit Anmerkung von Christian Mittermair)
Feuerversicherung (OGH 27. 9. 2023, 7 Ob 153/23k, mit Hinweis)
Kfz-Kaskoversicherung (OGH 27. 9. 2023, 7 Ob 127/23m, mit Hinweis)
Haushaltsversicherung (OGH 30. 8. 2023, 7 Ob 59/23m, mit Anmerkung von Walter Kath)
Leitungswasserversicherung (OGH 27. 9. 2023, 7 Ob 95/23f)
Haftpflichtversicherung (OGH 27. 9. 2023, 7 Ob 96/23b)
Unfallversicherung (OGH 30. 8. 2023, 7 Ob 126/23i)
Unfallversicherung (OGH 30. 8. 2023, 7 Ob 124/23w, mit Anmerkung von Walter Kath)
Krankenversicherung (OGH 30. 8. 2023, 7 Ob 117/23s, mit Anmerkung von Herbert Salficky)
Krankenversicherung (OGH 30. 8. 2023, 7 Ob 107/23w)
Rechtsschutzversicherung (OGH 27. 9. 2023, 7 Ob 92/23i)
Rechtsschutzversicherung (OGH 30. 8. 2023, 7 Ob 67/23p)
Erwin Gisch
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Herausgeber:
Prof. Mag. Erwin Gisch, MBA; Univ.-Prof. Dr. Michael Gruber; MMag. Dr. Felix Hörlsberger; Mag. Dr. Walter Kath; MMag. Dr. Martin Ramharter.
Redakteur: Mag. Mateusz Wilgodzki. Medieninhaber und Medienunternehmen: Linde Verlag Ges.m.b.H., 1210 Wien, Scheydgasse 24. Telefon: 01/24 630 Serie. Telefax: 01/24 630-723.
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Geschäftsführung: Mag. Klaus Kornherr und Benjamin Jentzsch.
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Grundlegende Richtung: Fachinformation zum Versicherunsgrecht inklusive steuerlicher und ökonomischer Aspekte. Erscheint sechsmal jährlich.
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Michael Gruber
Es ist ein zweifacher Anlass, der unser Augenmerk auf die in Versicherungsverträgen verbreitet enthaltenen Sanktionsklauseln richtet: Zum einen hat die EU als Antwort auf den Angriff Russlands gegen die Ukraine umfangreiche Sanktionspakete verabschiedet, in denen auch Versicherungsverbote enthalten sind. Zum anderen beurteilte der OGH jüngst eine Sanktionsklausel als intransparent. Im Folgenden sollen zunächst in einem Überblick die Versicherungsverbote in den Russland-Sanktionen der EU dargestellt werden. Dabei kommt es mir angesichts des Normendickichts dieser Sanktionen nicht auf die Vollständigkeit dieser Darstellung an. Vielmehr ist allein der Umstand, dass in den Sanktionspaketen auch Versicherungsverbote enthalten sind, für die rechtliche Beurteilung von Versicherungsverträgen, ob mit oder ohne Sanktionsklausel, vor dem Hintergrund solcher Verbote entscheidend. Dafür ist in weiterer Folge auf den Inhalt und den Zweck solcher Sanktionsklauseln einzugehen. Nach einer Darstellung der Entscheidung vom 19. 4. 2023, 7 Ob 3/23a, in welcher der OGH in einem Verbandsklageverfahren die Sanktionsk lausel in den allgemeinen Versicherungsbedingungen eines Reiseversicherers als intransparent im Sinne des § 6 Abs 3 KSchG beurteilt, soll versucht werden, die Sanktionsklauseln inhaltlich zu bewerten. Dafür wird es zweckmäßig sein, sich Gedanken zur zivilrechtlichen Wirkung der Sanktionen auf Versicherungsverträge zu machen. Im Folgenden gehe ich davon aus, dass auf den Versicherungsvertrag österreichisches Recht anwendbar ist.1
1.Versicherungsverbote in den EU-Russland-Sanktionen
1.1.Die Sanktionen im Überblick
Die EU hat als Reaktion auf den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ihr bereits seit 2014 (anlässlich der Krimannexion durch Russland) bestehendes Sanktionsregime verschärft und weiter ausgebaut. Die EU-Russland-Sanktionen können im Wesentlichen in drei Kategorien eingeteilt werden: personenbezogene Sanktionen, güterbezogene bzw sektorale Sanktionen einschließlich Finanzund Dienstleistungs- bzw Geschäftstätigkeitssanktionen sowie gebietsbezogene Sanktionen.
Die von Februar 2022 bis Juni 2023 verabschiedeten 11 Sanktionspakete der EU finden sich in Änderungs- und Durchführungsverordnungen zu drei bereits 2014 erlassenen Verordnungen des Rates, nämlich der Russland-Sanktionsverordnung, 2 der Russland-Embargoverordnung3 und der die Krimbesetzung durch Russland betreffen-
1 Der vorliegende Beitrag beruht auf dem Manuskript eines Vortrags, den der Verfasser am Wiener Versicherungsrechtstag (20. 10. 2023) gehalten hat.
2 Verordnung (EU) Nr 269/2014 des Rates vom 17. 3. 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen, ABl L 78 vom 17. 3. 2014, S 6. Eine nicht amtliche konsolidierte Fassung (28. 7. 2023) findet sich online unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/ PDF/?uri=CELEX:02014R0269-20230728.
3 Verordnung (EU) Nr 833/2014 des Rates vom 31. 7. 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, ABl L 229 vom 31. 7. 2014, S 1. Eine nicht amtliche konsolidierte Fassung (27. 4. 2023) findet sich online unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/ PDF/?uri=CELEX:02014R0833-20230427.
den Verordnung (EU) Nr 692/2014,4 wieder. Eine weitere im Februar 2022 (im Rahmen des 1. Sanktionspakets) erlassene Verordnung, die Verordnung (EU) 2022/263,5 betrifft die Besetzung der ukrainischen Regionen Donezk und Luhansk durch Russland.
Eine bereits seit 2006 existierende Verordnung gegen Belarus, die Verordnung (EG) Nr 765/ 2006,6 wurde ab Februar 2022 wegen der Beteiligung von Belarus an der russischen Aggression weiter verschärft und ergänzt. Eine weitere im Juli 2023 erlassene Verordnung, die Verordnung (EU) 2023/1529,7 richtet sich gegen den Iran wegen sei-
4 Verordnung (EU) Nr 692/2014 des Rates vom 23. 6. 2014 über Beschränkungen für die Einfuhr von Waren mit Ursprung auf der Krim oder in Sewastopol in die Union als Reaktion auf die rechtswidrige Eingliederung der Krim und Sewastopols durch Annexion, ABl L 183 vom 24. 6. 2014, S 9. Eine nicht amtliche konsolidierte Fassung (6. 10. 2022) findet sich online unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/ DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02014R0692-20221006.
5 Verordnung (EU) 2022/263 des Rates vom 23. 2. 2022 über restriktive Maßnahmen als Reaktion auf die illegale Anerkennung, Besetzung oder Annexion bestimmter nicht von der Regierung kontrollierter ukrainischer Gebiete durch die Russische Föderation, ABl L 42 I vom 23.2. 2022, S 77, Eine nicht amtliche konsolidierte Fassung (7. 10. 2022) findet sich online unter https:// eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri= CELEX:02022R0263-20221007.
6 Verordnung (EG) Nr 765/2006 des Rates vom 18. 5. 2006 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Belarus und der Beteiligung von Belarus an der Aggression Russlands gegen die Ukraine, ABl L 134 vom 20. 5. 2006, 1. Eine nicht amtliche konsolidierte Fassung (5. 8. 2023) findet sich online unter https://eur-lex.europa.eu/ legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02006R076520230805.
7 Verordnung (EU) 2023/1529 des Rates vom 20. 7. 2023 über restriktive Maßnahmen angesichts der militärischen Unterstützung des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine durch Iran, ABl L 186 vom 25. 7. 2023, S 1.
ner militärischen Unterstützung des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine.
Die Sanktionen werden in einem zweistufigen Verfahren verhängt:8 Zunächst erfolgt ein Beschluss des Rates im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (Art 29 EUV). Daran anschließend erlässt der Rat die erforderlichen restriktiven Maßnahmen mit qualifizierter Mehrheit auf gemeinsamen Vorschlag des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und der Europäischen Kommission (Art 215 AEUV).9
Die EU-Russland-Sanktionen gelten für das gesamte Unionsgebiet (einschließlich des Luftraums) sowie an Bord von Flugzeugen und Schiffen, die der Hoheitsgewalt eines Mitgliedstaates unterstehen. Auch ausländische juristische Personen, Einrichtungen und Organisationen unterstehen den EU-Russland-Sanktionen in Bezug auf Geschäfte, die ganz oder teilweise innerhalb der EU getätigt werden. In persönlicher Hinsicht entfalten die EU-Russland-Sanktionen Bindungswirkung für alle natürlichen und juristischen Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates besitzen bzw nach dem Recht eines Mitgliedstaates gegründet oder eingetragen wurden (Art 17 der Russland-Sanktionsverordnung; Art 10 der Verordnung [EU] Nr 692/2014; Art 13 der Russland-Embargoverordnung; Art 15 der Verordnung [EU] 2022/263), somit nicht ausländische Tochtergesellschaften.10
1.2.Die Russland-Embargoverordnung
Die Russland-Embargoverordnung enthält im Wesentlichen güterbezogene bzw sektorale Handelsembargos. Dadurch werden vor allem der Handel, der Export und der Import bestimmte Güter und Technologien oder in Bezug auf bestimmte Sektoren (zB Energiesektor) verboten. Flankiert werden die Ausfuhr- und Einfuhrverbote durch Finanzierungs- und Dienstleistungsverbote.
So ist es nach Art 2 Abs 1 der Russland-Embargoverordnung verboten, Güter und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck (dual use)11 mit oder ohne Ursprung in der EU unmittelbar oder mittelbar an natürliche oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen in Russland oder zur Verwendung in Russland zu verkaufen, zu liefern, zu verbringen oder auszuführen. Art 2 Abs 1a der Russland-Embargoverordnung verbietet die Durchfuhr solcher Güter durch das Hoheitsgebiet Russlands.
Weitere Embargos12 betreffen etwa Güter und Technologien, die zur militärischen und technologischen Stärkung Russlands oder zur Entwicklung des Verteidigungs- und Sicherheitssektors beitragen können (Art 2a und 2b iVm Anhang VII, VIII und IV der Russland-Embargoverordnung), Feuerwaffen und die dazugehörigen Teile, wesentlichen Komponenten und Munition (Art2aa der Russland-Embargoverordnung iVm Anhang I der Verordnung [EU] Nr 258/2012);13 Güter und Technologien aus dem Energie-
8 Etwa Engbrink in Ruhmannseder/D. Lehner/Beukelmann, Compliance aktuell, 4001 Rz 2.
9 Zum Prozedere etwa Wiedmann/Will, Die Russland-Sanktionen der EU, RIW 2022, 173.
10 Wiedmann/Will, RIW 2022, 174.
11 Zur Auslegung kann die Verordnung (EU) 2021/821 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. 5. 2021 über eine Unionsregelung für die Kontrolle der Ausfuhr, der Vermittlung, der technischen Unterstützung der Durchfuhr und der Verbringung betreffend Güter mit doppeltem Verwendungszweck, ABl L 206 vom 11. 6. 2021, S 1, herangezogen werden, auf die Art 2 der Russland-Embargoverordnung mehrfach verweist; siehe auch Wiedmann/Will, RIW 2022, 174.
12 Ausführlich Wiedmann/Will, RIW 2022, 174 ff.
13 Verordnung (EU) Nr 258/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. 3. 2012 zur Umsetzung des Artikels 10 des Protokolls der Vereinten Nationen gegen die unerlaubte Herstellung von Schusswaffen, dazugehörigen Teilen und Komponenten und Munition und gegen den unerlaubten Handel damit, in Ergänzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität (VN-Feuerwaffenprotokoll) und zur Einführung von Ausfuhrgenehmigungen für Feuerwaffen, deren Teile, Komponenten und Munition sowie von Maßnahmen betreffend deren Einfuhr und Durchfuhr, ABl L 94 vom 30. 3. 2012, S 1.
sektor (Art 3, 3a, 3b iVm Anhang II, X und XI der Russland-Embargoverordnung), Güter und Technologien betreffend die Luftund Raumfahrt (Art 3c iVm Anhang XX der der Russland-Embargoverordnung), Güter und Technologien betreffend die Seeschifffahrt (Art 3f iVm Anhang XVI der Russland-Embargoverordnung), Eisen- und Stahlerzeugnisse (Art 3g iVm Anhang XVII der Russland-Embargoverordnung), Luxusgüter (Art 3h iVm Anhang XVIII der Russland-Embargoverordnung); Güter, die in Russland erhebliche Einnahmen bringen (Art 3i iVm Anhang XXI der Russland-Embargoverordnung), Kohle- und ähnliche Erzeugnisse (Art3j iVm Anhang XXII der Russland-Embargoverordnung), Güter, die zur Stärkung der industriellen Kapazitäten Russlands beitragen können (Art 3k iVm Anhang XXIII der RusslandEmbargoverordnung), Rohöl oder Erdölerzeugnisse (Art 3m iVm Anhang XXV der Russland-Embargoverordnung), Gold (Art 3o iVm Anhang XXVI der Russland-Embargoverordnung) sowie die Nutzung von Flüssigerdgasspeicheranlagen (Art 5p der RusslandEmbargoverordnung).14
Für unser heutiges Thema ist wesentlich, dass die Handelsverbote durch das Verbot flankiert werden, unmittelbar oder mittelbar Finanzmittel oder Finanzhilfen im Zusammenhang mit vom Handelsverbot betroffenen Gütern und Technologien für den Verkauf, die Lieferung, die Verbringung oder die Ausfuhr dieser Güter und Technologien oder für damit verbundene technische Hilfe, Vermittlungsdienste oder andere Dienste bereitzustellen (zB Art 2 Abs 2 lit b der Russland-Embargoverordnung).
Durch Art 1 der Verordnung (EU) 2022/32815 wurde in Art1 lit o der Russland-Embargoverordnung klargestellt, dass auch „alle Arten von Versicherungs- und Rückversicherungen, einschließlich Ausfuhrkreditversicherungen“, unter das Bereitstellen von Finanzmitteln oder Finanzhilfen fallen.16 Das Verbot des Bereitstellens von Finanzmitteln und Finanzhilfen ist mithin als umfassendes (akzessorisches) Versicherungsverbot zu lesen.17 Erfasst sind sowohl die Gewährung von Versicherungsschutz als auch die Auszahlung einer Versicherungsleistung. 18
Der sanktionspolitische Sinn solcher Versicherungsverbote beruht auf folgender Überlegung: Die Kapazitäten europäischer Versicherer zur Deckung von Waren, Transportmitteln und Finanzierungsinstrumenten sind ein nicht ohne Weiteres durch Marktteilnehmer aus Drittstaaten substituierbares Gut. Wegen dieser besonderen Bedeutung des europäischen Versicherungsmarktes für den
14 Zusätzlich bestehen im Hinblick auf den Bereich der Luft- und Raumfahrt Lande-, Start- und Überflugverbote für russische Luftfahrzeuge (Art 3d der Russland-Embargoverordnung), für de n Bereich der Seeschifffahrt Einlaufs-, Zugangs- bzw Anlandungsverbote für russische Schiffe zu Häfen und Schleusen im Unionsgebiet (Art 3ea der Russland-Embargoverordnung) sowie hinsichtlich des Verkehrssektors ein Beförderungsverbot von Gütern durch das Unionsgebiet für in Russland niedergelassene Kraftverkehrsunternehmen (Art 3l der Russland-Embargoverordnung). Darüber hinaus normiert Art 2f iVm Anhang XV der Russland-Embargoverordnung ein Übertragungsverbot für gewisse Nachrichtensender im Unionsgebiet.
15 Verordnung (EU) 2022/328 des Rates vom 25. 2. 2022 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr 833/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, ABl L49 vom 25. 2. 2022, S 1.
16 In der konsolidierten Fassung lautet Art 1 lit o der Russland-Embargoverordnung: „‚Bereitstellung von Finanzmitteln oder Finanzhilfen‘ [bezeichnet] jede Maßnahme, ungeachtet der gewählten Mittel, bei der die betreffende Person, Organisation oder Einrichtung ihre Eigenmittel oder wirtschaftlichen Ressourcen, einschließlich, aber nicht beschränkt auf Zuschüsse, Darlehen, Garantien, Bürgschaften, Anleihen, Akkreditive, Lieferantenkredite, Bestellerkredite, Ein- oder Ausfuhrvorauszahlungen und alle Arten von Versicherungs- und Rückversicherungen, einschließlich Ausfuhrkreditversicherungen, unter Bedingungen oder ohne Bedingungen auszahlt oder sich dazu verpflichtet; die Zahlung sowie die Bedingungen für die Zahlung des vereinbarten Preises für eine Ware oder Dienstleistung im Einklang mit der üblichen Geschäftspraxis stellen keine Bereitstellung von Finanzmitteln oder Finanzhilfen dar“
17 Ph. Koch, Versicherungsverbote in dem Russland-Sanktionspaket der Europäischen Union, UKuR 2022, 400 (404).
18 F. Artner/Perner, Versicherung und Krieg, VR 11/2022, 50 (51).
internationalen Warenverkehr kann die EU über die Sanktionierung von Transportdeckungen auch auf solche Verkehrsströme einwirken, die ansonsten außerhalb der Reichweite des europäischen Verordnungsgebers lägen. Ein Beispiel ist die Behinderung des Exports russischen Erdöls durch die Verknappung des verfügbaren Versicherungsschutzes für den Seetransport.19
Zum Teil werden die Versicherungsverbote auch gesondert hervorgehoben, wie zB in Art 3c Abs 2 der Russland-Embargoverordnung, der es verbietet, „unmittelbar oder mittelbar Versicherungen und Rückversicherungen“ im Zusammenhang mit bestimmten Gütern und Technologien für die Verwendung in der Luft- oder Raumfahrtindustrie bereitzustellen.
Überdies enthält Art 5aa Abs 1 der Russland-Embargoverordnung das Verbot, mit bestimmten russischen Unternehmen unmittelbar oder mittelbar Geschäfte zu tätigen. Geschäfte sind wohl auch Versicherungsverträge; insofern besteht ein Versicherungsverbot.20
In der Russland-Embargoverordnung finden sich überdies Finanzsanktionen21 sowie Dienstleistungs- bzw Geschäftstätigkeitssanktionen. Im Einzelnen ist es verboten, öffentliche Finanzmittel oder Finanzhilfen für den Handel mit Russland oder für Investitionen in Russland bereitzustellen (Art 2e der Russland-Embargoverordnung). Verboten ist weiters der Handel mit bestimmten Wertpapieren und Geldmarktinstrumenten (Art 5, 5a, 5f und 5i der Russland-Embargoverordnung). Verboten ist es auch, Einlagen russischer Staatsangehöriger oder in Russland ansässiger natürlicher oder juristischer Personen, Einrichtungen oder Organisationen ab 100.000 € entgegenzunehmen (Art 5b der Russland-Embargoverordnung), öffentliche Aufträge und Konzessionen an gewisse Personen, Einrichtungen und Organisationen zu vergeben (Art 5k der Russland-Embargoverordnung), von der Russischen Föderation kontrollierte Unternehmen unmittelbar oder mittelbarer finanziell zu unterstützen (Art 5l der Russland-Embargoverordnung), die Erbringung (bzw Bereitstellung) von unmittelbarer oder mittelbarer technischer Hilfe, Finanzmittel oder Finanzhilfen im Zusammenhang mit in der Militärgüterliste angeführten Gütern und Technologien (Art 4 der Russland-Embargoverordnung), unmittelbarer oder mittelbarer technischer Hilfe, Vermittlungsdienste, Finanzmittel oder Finanzhilfen im Zusammenhang mit dem Handel mit Drittländern von Rohöl und Erdölerzeugnissen, die ihren Ursprung in Russland haben oder aus Russland ausgeführt wurden, zu erbringen (Art 3n iVm Anhang XXV der Russland-Embargoverordnung)22 und unmittelbare oder mittelbare Dienstleistungen in den Bereichen Wirtschaftsprüfung, Architektur, Ingenieurswesen, Rechtsberatung, IT-Beratung, Markt- und Meinungsforschung sowie technischer Untersuchungen zu erbringen (Art 5n der Russland-Embargoverordnung).23 Verboten sind schließlich Ratingdienstleistungen und damit zusammenhängende Abonnementdienste (Art 5j der Russland-Embargoverordnung). Ebenso ist es verboten, für gewisse Personen, Einrichtungen und Organisationen einen Trust oder eine ähnliche Rechtsgestaltung zu registrieren oder einen Sitz, eine Geschäfts- oder Verwaltungsanschrift oder Verwaltungsdienstleistungen dafür bereitzustellen (Art 5m der RusslandEmbargoverordnung) sowie es russischen Bürgern und dort wohnhaften Personen zu ermöglichen, Posten in Leitungsgremien im Zusammenhang mit kritischer Infrastruktur zu bekleiden (Art 5o der
19 Ph. Koch, UKuR 2022, 400.
20 Ph. Koch, UKuR 2022, 403; F. Artner/Perner, VR 11/2022, 52.
21 Ausführlich Wiedmann/Will, RIW 2022, 177 f.
22 Die daraus entstehenden Probleme für Versicherer analysieren Schwampe/ Scheifler, Der Oil Price Gap für russisches Rohöl und Erdölprodukte für den Handel mit Drittländern und seine Auswirkungen auf die Versicherungswirtschaft, RdTW 2023, 2.
23 Dazu D. P. Schmidt, Dienstleistungsverbote im EU-Sanktionsrecht, ecolex 2023, 646.
Russland-Embargoverordnung).24 Überdies wurden bestimmte Personen, Einrichtungen und Organisationen aus dem internationalen Zahlungsnetzwerk SWIFT ausgeschlossen (Art 5h iVm Anhang XIV der Russland-Embargoverordnung).
1.3.Die Russland-Sanktionsverordnung
Die Russland-Sanktionsverordnung regelt Sanktionen gegen bestimmte in ihrem Anhang I (Sanktionsliste) genannte natürliche oder juristische Personen, Einrichtungen oder Organisationen.25 Dieser Anhang wurde im Laufe der Sanktionspakete laufend um weitere Namen ergänzt. Die Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen dieser Personen, Einrichtungen und Organisationen werden eingefroren (Einfrierungsgebot gemäß Art 2 Abs 1 der Russland-Sanktionsverordnung).26 Den in Anhang I der der Russland-Sanktionsverordnung aufgeführten Personen, Einrichtungen und Organisationen oder den dort aufgeführten mit diesen in Verbindung stehenden Personen, Einrichtungen und Organisationen dürfen weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden27 oder zugutekommen (Bereitstellungsverbot gemäß Art 2 Abs 2 der Russland-Sanktionsverordnung).28
Unter bestimmten Voraussetzungen gelten das Einfrierungsgebot und Bereitstellungsverbot nicht oder nur eingeschränkt (zB Art 4 Abs 1 der Russland-Sanktionsverordnung). Insbesondere kann eingefrorenes Vermögen freigegeben werden, um Verträge, die vor Aufnahme der betreffenden Personen, Einrichtungen und Organisationen in den Anhang I der Russland-Sanktionsverordnung abgeschlossen wurden, erfüllen zu können (Art 6 und 6b der der Russland-Sanktionsverordnung).
Nach Art 1 lit g der Russland-Sanktionsverordnung bezeichnet der Begriff „Gelder“ finanzielle Vermögenswerte und Vorteile jeder Art. Der Verordnungsgeber zählt dann nicht abschließende Regelbeispiele auf.29 „Wirtschaftliche Ressourcen“ bezeichnet nach
24 In Fällen, in denen sich die in den Anhängen der Russland-Embargoverordnung gelisteten Personen, Einrichtungen und Organisationen (siehe zB Anhang XIX der Russland-Embargoverordnung) mit jenen in Anhang I der Russland-Sanktionsverordnung überlagern, soll das jeweils weitreichendere Verbot gelten; vgl Schwendinger/Göcke, Die Russland-Sanktionen der EU, EuZW 2022, 499 (503).
25 Zur Auslegung können auch die Leitlinien des Rates (Doc 10572/22, online abrufbar unter https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-105722022-INIT/en/pdf) herangezogen werden.
26 Die Bestimmung lautet: „Sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen, die Eigentum oder Besitz der in Anhang I aufgeführten natürlichen oder juristischen Personen, Einrichtungen oder Organisationen oder der dort aufgeführten mit diesen in Verbindung stehenden natürlichen oder juristischen Personen, Einrichtungen oder Organisationen sind oder von diesen gehalten oder kontrolliert werden, werden eingefroren.“
27 Dazu EuGH 11. 10. 2007, Rs C-117/06, Möllendorf und Möllendorf-Niehuus, Rn 51: „Desgleichen ist die Wendung ‚zur Verfügung gestellt werden‘ in einem weiten Sinn zu verstehen, da sie sich nicht auf eine besondere rechtliche Qualifizierung bezieht, sondern jede Handlung erfasst, die nach dem anwendbaren nationalen Recht erforderlich ist, damit eine Person tatsächlich die vollständige Verfügungsbefugnis in Bezug auf die betreffende Sache erlangen kann.“
28 Ausführlich Wiedmann/Will, RIW 2022, 176 f; siehe auch A. Fischer, EUSanktionen – Das Bereitstellungsverbot als Sanktions-Compliance-Herausforderung, ecolex 2023, 630.
29 Die Bestimmung lautet: „‚Gelder‘ [bezeichnet] finanzielle Vermögenswerte und Vorteile jeder Art, die Folgendes einschließen, aber nicht darauf beschränkt sind: i) Bargeld, Schecks, Geldforderungen, Wechsel, Zahlungsanweisungen und andere Zahlungsmittel, ii) Einlagen bei Finanzinstituten oder anderen Einrichtungen, Guthaben auf Konten, Zahlungsansprüche und verbriefte Forderungen, iii) öffentlich und privat gehandelte Wertpapiere und Schuldtitel einschließlich Aktien und Anteilen, Wertpapierzertifikate, Obligationen, Schuldscheine, Optionsscheine, Pfandbriefe und Derivate, iv) Zinserträge, Dividenden und andere Einkünfte oder Wertzuwächse aus Vermögenswerten, v) Kredite, Rechte auf Verrechnung, Bürgschaften, Vertragserfüllungsgarantien und andere finanzielle Ansprüche, vi) Akkreditive, Konnossemente, Übereignungsurkunden und vii) Dokumente zur Verbriefung von Anteilen an Fondsvermögen oder anderen Finanzressourcen“
Art 1 lit d der Russland-Sanktionsverordnung Vermögenswerte jeder Art, unabhängig davon, ob sie materiell oder immateriell, beweglich oder unbeweglich sind, bei denen es sich nicht um Gelder handelt, die aber für den Erwerb von Geldern, Waren oder Dienstleistungen verwendet werden können.
Die Auszahlung der Versicherungsleistung im Schadensfall fällt unter den Begriff „Gelder“ im Sinne der Russland-Sanktionsverordnung.30 Die Europäische Kommission hat seit Juni 2022 laufend aktualisierte „FAQs on the implementation of Council Regulation No 833/2014 and Council Regulation No 269/ 2014“ veröffentlicht.31 Darin beantwortet sie unter anderem Fragen zu „Insurance and Reinsurance“ 32 Dort stellt die Europäische Kommission unter Punkt 11. klar, dass auch Versicherungen unter das Verbot der Zurverfügungstellung von Geldern oder wirtschaftlichen Ressourcen fallen: „The prohibition to make funds and economic resources available to a listed person or entity means that an EU operator cannot put any funds or economic resources at the disposal of a listed person, directly or indirectly, whether by gift, sale, barter or any other means, including the return of the listed person’s own resources. The consequence of a listing is that the provision of services to the listed person, including insurance, should cease.“ 33
Entgegen der im Schrifttum vertretenen Auffassung34 sagt die Europäische Kommission aber nicht, dass die Gewährung von Versicherungsschutz unter die Bereitstellung einer wirtschaftlichen Ressource fällt. Die Europäische Kommission sagt nur, dass „the provision of services“ auch „insurance“ inkludiert. Unklar bleibt damit aber, was die Europäische Kommission mit „insurance“ konkret meint. Teleologisch ist aber der Auffassung im Schrifttum zuzustimmen: „Insurance“ meint bereits die Bereitstellung von Versicherungsschutz. Denn schon der Versicherungsschutz vermittelt durch die Zession von Risiken wirtschaftliche Bewegungsfreiheit und diesem Bewegungsspielraum kommt ein selbständiger wirtschaftlicher Wert zu.35 Die Sanktionierung auch schon des Leistungsversprechens kann damit gerechtfertigt werden, dass die sanktionierten Personen, Einrichtungen und Organisationen nicht so frei am Wirtschaftsleben teilhaben können, wie sie es mit einer Versicherung könnten.36
Soweit es also nach der Russland-Sanktionsverordnung verboten ist, den gelisteten Personen, Einrichtungen und Organisationen Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen, fällt unter dieses Verbot nicht nur die Auszahlung der Versicherungsleistung im Versicherungsfall, sondern überhaupt die Gewährung von Versicherungsschutz.
Allerdings können nach Art 4 Abs 1 lit a der Russland-Sanktionsverordnung eingefrorene Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen behördlich freigeben werden oder deren Bereitstellung kann genehmigt werden, wenn sie für die Befriedigung von Grundbedürfnissen, wozu auch ausdrücklich die Bezahlung von Versicherungsprämien zählt, erforderlich sind.37 Zudem können nach Art 7 der RusslandSanktionsverordnung wohl auch Zahlungen, die Versicherungen betreffen, auf ein eingefrorenes Konto durchgeführt werden.38
30 Ph. Koch, UKuR 2022, 404; anderer Ansicht F. Artner/Perner, VR 11/2022, 52 (wirtschaftliche Ressource). Gegen sie spricht aber, dass die Auszahlung der Versicherungsleistung in Geld zu erfolgen hat.
31 Zuletzt Commission Consolidated FAQs (Stand: 22. 12. 2023), online abrufbar unter https://finance.ec.europa.eu/system/files/2023-10/faqs-sanctionsrussia-consolidated_en_3.pdf; dazu auch Ph. Koch, UKuR 2022, 401.
32 Commission Consolidated FAQs, S 97 ff.
33 Commission Consolidated FAQs, S 100 (Hervorhebung von mir).
34 Ph. Koch, UKuR 2022, 403; F. Artner/Perner, VR 11/2022, 52.
35 Ph. Koch, UKuR 2022, 403.
36 F. Artner/Perner, VR 11/2022, 52.
37 Siehe auch Commission Consolidated FAQs, S 100.
38 So wohl Commission Consolidated FAQs, S 100: „Exceptionally, an EU operator could proceed with a payment to the frozen account of a listed person provided such funds are also frozen and provided the payment is due under a contract concluded before the date at which the person was listed (See Article 7).“
1.4.Gebietsbezogene Sanktionen
Eigens mit Sanktionen belegt wurden die 2014 von Russland völkerrechtswidrig annektierten Gebiete der Krim und Sewastopols (Verordnung [EU] Nr 692/2014) sowie jene ukrainischen Gebiete, die seit dem Einmarsch Russlands nicht mehr von der ukrainischen Regierung kontrolliert werden (Verordnung [EU] 2022/263).39 Im Hinblick auf diese Gebiete bestehen Einfuhrverbote von Waren mit Ursprung aus diesen Gebieten samt Bereitstellungsverbote von Finanzmitteln oder Finanzhilfen sowie (Rück)Versicherungen (Art 2 der Verordnung [EU] Nr 692/ 2014; Art 2 der Verordnung [EU] 2022/263), Ausfuhrverbote für bestimmte Güter und Technologien (Art 2b iVm Anhang II der Verordnung [EU] Nr 692/2014; Art 4 und 4a iVm Anhang II der Verordnung [EU] 2022/263), Investitions- und Finanzierungsverbote (Art 2a der Verordnung [EU] Nr 692/2014; Art 3 der Verordnung [EU] 2022/263) sowie Verbote für Dienstleistungen im Zusammenhang mit Infrastrukturprojekten und Tourismus (Art 2c und 2d der Verordnung [EU] Nr 692/2014; Art 5, 5a und 6 der Verordnung [EU] 2022/263).
Auch diese Verordnungen enthalten ausdrückliche Verbote von Versicherungen und Rückversicherungen im Zusammenhang mit der Einfuhr von Waren, die ihren Ursprung auf der Krim, in Sewastopol oder in den von Russland besetzten Gebieten in den Oblasten Donezk und Luhansk haben (Art 2 lit b der Verordnung [EU] Nr 692/2014; Art 2 Abs 1 lit b der Verordnung [EU] 2022/263).
1.5.Sanktionen für Verstöße
Art 8 Abs 1 der Russland-Embargoverordnung,40 Art 15 Abs 1 der Russland-Sanktionsverordnung,41 Art 8 Abs 1 der Verordnung (EU) Nr 692/2014 sowie Art 13 Abs 1 der Verordnung (EU) 2022/263 verpflichten di e Mitgliedstaaten, für Verstöße gegen die jeweilige Verordnung Sanktionen einschließlich strafrechtlicher Sanktionen42 festzulegen. Die vorgesehenen Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Österreich hat 2010 das SanktG erlassen. Dieses Bundesgesetz regelt die Durchführung völkerrechtlich verpflichtender Sanktionsmaßnahmen der Vereinten Nationen oder der EU (einschließlich unmittelbar anwendbarer Sanktionsmaßnahmen der EU), soweit diese nicht in einem anderen Bundesgesetz geregelt ist (§ 1 SanktG). § 11 Abs 1 SanktG sieht bei einer entsprechenden Wertqualifikation eine gerichtliche Strafe vor.43 Zu bedenken ist überdies eine Verbandsverantwortlichkeit nach § 3
39 Ausführlich Wiedmann/Will, RIW 2022, 178 f.
40 Die Bestimmung lautet: „Die Mitgliedstaaten legen für Verstöße gegen diese Verordnung Sanktionen, auch strafrechtliche Sanktionen, fest und treffen alle zur Sicherstellung ihrer Anwendung erforderlichen Maßnahmen. Die vorgesehenen Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. ...“
41 Die Bestimmung entspricht im Wortlaut Art 8 Abs 1 der Russland-Embargoverordnung.
42 In der Verordnung (EU) Nr 692/2014 und in der Verordnung (EU) 2022/ 263 sind die strafrechtlichen Sanktionen nicht erwähnt. Diese finden sich nur in der Russland-Embargoverordnung und in der Russland-Sanktionsverordnung.
43 Die Bestimmung lautet: „Wer entgegen einer Verordnung nach § 2 Abs. 1 oder einem nach dieser Bestimmung gegen ihn erlassenen Bescheid oder entgegen unmittelbar anwendbaren Sanktionsmaßnahmen der Europäischen Union eine Transaktion oder ein sonstiges Rechtsgeschäft in Bezug auf Vermögensbestandteile in einem 100 000 € übersteigenden Wert durchführt, ist, sofern die Tat nicht nach anderen Bestimmungen mit strengerer Strafe bedroht ist, mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.“ (Hervorhebung von mir). Die verbotswidrige Ein- oder Ausfuhr von Gütern ist überdies nach § 79 Abs 1 AußWG 2011 strafbar; weiterführend Glaser/Kert, Die strafrechtliche Bedeutung der EU-Sanktionen gegen Russland, ZWF 2022, 82; zum deutschen Recht etwa Wiedmann/Will, RIW 2022, 179.
VbVG. Für nicht gerichtlich strafbare Handlungen ist in § 12 SanktG eine Verwaltungsstrafe vorgesehen.44
Die Russland-Verordnungen sprechen auch zivilrechtliche Ansprüche aus sanktionswidrigen Verträgen an. Werden von sanktionierten Personen Forderungen (zB Erfüllungs-, Schadenersatz- oder Garantieansprüche) geltend gemacht, deren Erfüllung den Sanktionen zuwiderlaufen würde, können sich Unternehmen gerichtlich und außergerichtlich darauf berufen, dass derartige Ansprüche nicht erfüllt werden dürfen (Art 11 Abs 1 der Russland-Sanktionsverordnung; Art 6 der Verordnung [EU] Nr 692/2014; Art 11 der Russland-Embargoverordnung; Art 10 der Verordnung [EU] 2022/263). In gerichtlichen Verfahren trägt der Anspruchsteller die Beweislast dafür, dass die Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs nicht gegen die EU-Sanktionen verstößt (Art 11 Abs 2 der Russland-Sanktionsverordnung).
Aus der Sicht des österreichischen Zivilrechts stellt sich allerdings die Frage, ob solche Ansprüche überhaupt bestehen können. Denn ein sanktionswidriger Vertrag wird wohl, worauf unter Punkt 4.2. noch einzugehen sein wird, wegen Verbotswidrigkeit nach § 879 Abs 1 ABGB nichtig sein. Dann bestehen aber weder primäre noch sekundäre Ansprüche der sanktionierten Person aus diesem Vertrag. Gerade weil die Verordnungen die Mitgliedstaaten zu wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktionen verpflichten, spricht viel dafür, dass die Verordnungen hier nicht (wie sonst) dem nationalen Recht vorgehen, sondern der EU-Verordnungsgeber die Beurteilung der zivilrechtlichen Frage der Nichtigkeit den Mitgliedstaaten überlässt.45
2.Inhalt und Zweck einer Sanktionsklausel
Versicherer versuchen – zumindest in Teilbereichen –, das Risiko einer durch Sanktionen verbotenen Versicherungsleistung vorbeugend durch Sanktionsklauseln (in allgemeinen Versicherungsbedingungen oder Polizzenklauseln) zu steuern. Zur Aufnahme solcher Klauseln in ihre Verträge werden die Erstversicherer nicht selten von ihren Rückversicherern veranlasst.
Die von den österreichischen Versicherern verwendeten Sanktionsklauseln46 weisen – soweit ersichtlich – einen weitestgehend standardisierten Inhalt entsprechend einer vom Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs (VVO) veröffentlichten Musterklausel47 auf:
„Es besteht – unbeschadet der übrigen Vertragsbestimmungen –Versicherungsschutz nur, soweit und solange dem keine auf die Vertragsparteien direkt anwendbaren Wirtschafts-, Handels- oder Fi-
44 Die Bestimmung lautet auszugsweise: „(1) Wer entgegen einer Verordnung nach § 2 Abs. 1 oder einem nach dieser Bestimmung gegen ihn erlassenen Bescheid oder entgegen unmittelbar anwendbaren Sanktionsmaßnahmen der Europäischen Union eine Transaktion oder ein sonstiges Rechtsgeschäft durchführt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde – im Gebiet einer Gemeinde, für das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist, von der Landespolizeidirektion – mit Geldstrafe bis zu 50 000 € zu bestrafen. (2) Wer entgegen einer Verordnung nach § 2 Abs. 2 Z 5 oder einem nach dieser Bestimmung gegen ihn erlassenen Bescheid oder entgegen unmittelbar anwendbaren Sanktionsmaßnahmen der Europäischen Union Dienstleistungen an natürliche oder juristische Personen zum Zweck der Ausübung geschäftlicher Tätigkeiten in einem bestimmten Staat erbringt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde – im Gebiet einer Gemeinde, für das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist, von der Landespolizeidirektion – mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen oder mit Geldstrafe bis zu 50 000 € zu bestrafen.“ (Hervorhebungen von mir).
45 Siehe Punkt 4.
46 ZB Art 15 AHVB 2017; Art 2.16 ABC 2018; Art 18 der Allgemeinen Bedingungen Teilkasko und Sanktionsklausel 31G der Donau; Sanktionsklausel ASAKL001 der R+V; Sanktionsklausel TEU1 der Uniqa; Art 5b ARB 2019 der Roland; Art 6.2 RVB 2018 der Europäischen Reiseversicherung (siehe Punkt 3.); Besondere Bedingung Nr 9497 der Allianz; Besondere Bedingung 81AH0961 der Generali.
nanzsanktionen bzw. Embargos der Europäischen Union oder der Republik Österreich entgegenstehen.
Dies gilt auch für Wirtschafts-, Handels- oder Finanzsanktionen bzw. Embargos, die durch die Vereinigten Staaten von Amerika oder andere Länder erlassen werden, soweit dem nicht europäische oder österreichische Rechtsvorschriften entgegenstehen.“
Im vorliegenden Zusammenhang interessiert zunächst nur Satz 1:48 Versicherungsschutz demnach besteht nur, soweit und solange dem keine auf die Vertragsparteien direkt anwendbaren Wirtschafts-, Handels- oder Finanzsanktionen bzw Embargos der EU oder der Republik Österreich entgegenstehen. Die Russland-Sanktionen der EU49 fallen unter diese Klausel. Es handelt sich um EU-Verordnungen, die in allen Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbar und damit auf die Vertragsparteien des Versicherungsvertrages direkt anwendbar im Sinne der Sanktionsklausel sind.
In den Vertragswerken der Versicherer findet sich die Sanktionsklausel entweder in den allgemeinen Versicherungsbedingungen, und zwar in der Liste der Risikoausschlüsse oder als eigene Klausel (in der Regel am Ende der allgemeinen Versicherungsbedingungen), oder als Polizzenklausel.
Jedenfalls dann, wenn der Versicherer die Sanktionsklausel unter die Risikoausschlüsse der allgemeinen Versicherungsbedingungen einordnet, handelt es sich bei der Klausel um einen Risikoausschluss. Die Sanktionsklausel ist dann vom Versicherer als Risikoausschluss bezweckt. Nur so kann sie auch ein durchschnittlich verständiger Versicherungsnehmer verstehen.
Unabhängig von ihrer systematischen Verortung, also etwa auch für eine Sanktionsklausel als Polizzenklausel, ist aber davon auszugehen, dass die Sanktionsklausel ganz allgemein einen Risikoausschluss beinhaltet.50 Das Wording der Musterklausel des VVO ist zwar nicht eindeutig, weil die Einleitung der Klausel positiv formuliert:51 „Es besteht ... Versicherungsschutz nur, soweit und solange …“ Schon wesentlich deutlicher sind dagegen Sanktionsklauseln, die wie folgt formuliert sind: „Kein Versicherungsschutz besteht, soweit und solange ...“ 52 Es kann aber für die Qualifikation einer Sanktionsklausel nicht auf deren Wortlaut ankommen. Maßgeblich für die Auslegung von allgemeinen Versicherungsbedingungen ist die Sicht eines durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers.53 Danach stellt sich die Sanktionsklausel als sekundäre Risikobe-
47 Die aktuelle Fassung der (eigentlich nur für die Industrieversicherung gedachten) Musterklausel ist online abrufbar unter https://vvonet.vvo.at/vvo/ vvonet_website.nsf/sysPages/Muster klauseln_Sach_Sanktion.html/$file/ Sanktionsklausel_Industrie.pdf; entsprechend die Musterklausel des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), online abrufbar unter https://www.gdv.de/resource/blob/59054/179083ce1c83fe0641ad faf403ea2fbb/aktuelle-muster-sanktionsklausel-data.pdf.
48 Satz 2 der Klausel bezieht sich vor allem auf die EU-Blocking-Verordnung (Verordnung [EG] Nr 2271/96 des Rates vom 22. 11. 1996 zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen, ABl L 309 vom 29. 11. 1996, S 1; eine nicht amtliche konsolidierte Fassung [7. 8. 2018] find et sich online unter https://eurlex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:01996R227120180807); zu dieser etwa Plath, Die EU-Blocking-Verordnung und ihre Anwendungsschwierigkeiten in der europäischen Gerichtspraxis, EuZW 2020, 375; EuGH 21. 12. 2021, Rs C-124/20, Bank Melli Iran; Johnson, Kündigung von Geschäftsbeziehungen im Lichte der EU-Blocking-Verordnung, CB 2022, 76.
49 Siehe Punkt 1.
50 Wandt, Versicherungsverbote im Rahmen von Embargomaßnahmen, VersR 2013, 257 (264); ebenso für Österreich Kath, Kündigungsrecht und Leistungsfreiheit des Versicherers wegen Gefahrerhöhung infolge des UkraineKriegs? ecolex 2022, 586.
51 Wandt, VersR 2013, 264.
52 So etwa die Sanktionsklausel in OGH 19. 4. 2023, 7 Ob 3/23a; siehe Punkt 3.
53 Ständige Rechtsprechung; vgl etwa RIS-Justiz RS0112256; Gruber in Schauer, VersVG (in Druck) Anh § 1 Rz 8.
grenzung (Risikoausschluss) dar. Denn mit Wandt wird das Verständnis des Versicherungsnehmers weniger durch die gegebenenfalls (wie etwa bei der Musterklausel des VVO) positive Formulierung der Sanktionsklausel, sondern vor allem durch den Ausnahmecharakter dieser Klausel geprägt, die einen nach der (sonstigen allgemeinen) primären Risikoabgrenzung bestehenden Versicherungsschutz abhängig von der Reichweite und Anwendbarkeit eines Embargogesetzes ausschließt.54 Dieses Verständnis des Versicherungsnehmers sollte den Ausschlag geben. Demgegenüber überzeugt mich das Argument von R. Koch weniger, die Sanktionsklausel sei deshalb Teil der primären Risikoumschreibung, weil sie lediglich dem allgemeinen Grundsatz Rechnung trage, dass niemand zu einer (rechtlich) unmöglichen Leistung verpflichtet sein kann.55 Zutreffend ist – worauf noch zurückzukommen sein wird – daran, dass wir es bei den Sanktionen mit einen Unmöglichkeitsfall zu tun haben. Was mir dann aber bei der Einordnung als primäre Risikoumschreibung zu denken gibt, ist, dass die Sanktionsklausel diesfalls nur deklarative Bedeutung hätte. Dies wäre bei einer primären Risikoumschreibung zumindest ungewöhnlich. Überdies wird sich zeigen, dass die Sanktionsklausel hinsichtlich ihrer Folgen vom ohne sie anwendbaren Recht der Unmöglichkeit abweicht, was wiederum eher für die Qualifikation als Risikoausschluss spricht.
Die Einordnung der Sanktionsklausel als primäre Risikoumschreibung oder als Risikoausschluss ist für die Beweislast bedeutsam: Den Beweis für das Vorliegen eines Risikoausschlusses hat der Versicherer zu führen.56 Wäre die Sanktionsklausel Teil der primären Risikoumschreibung, so träfe den Versicherungsnehmer die Beweislast.57
Nun ist aber der Versicherer und nicht der Versicherungsnehmer Adressat der Versicherungsverbote in den Sanktionsbestimmungen. Denn verboten ist die Bereitstellung von Versicherungsschutz durch den Versicherer, nicht die Annahme desselben durch den Versicherungsnehmer. Es ist daher nicht einzusehen, warum der Versicherungsnehmer und nicht der Versicherer die Beweislast für das Vorliegen der von der Sanktionsklausel angesprochenen Sanktionen tragen soll. Wollte man also die Sanktionsklausel als Teil der primären Risikoumschreibung sehen, würde sie den Versicherungsnehmer im Sinne des § 879 Abs 3 ABGB gröblich benachteiligen.58
Das wäre wohl auch dann der Fall, wenn man bei den oben angesprochenen positiv formulierten Sanktionsklauseln (wie etwa der Musterklausel des VVO) argumentierte, der Versicherer wolle mit dieser Formulierung die Beweislast dem Versicherungsnehmer überbinden. Denn dann müsste man sich fragen, worin denn die sachliche Rechtfertigung für diese vertragliche Beweislastverteilung läge. Überdies käme es wieder auf die Formulierung der Klausel an, was wir bereits für die Auslegung der Klausel als nicht entscheidend angesehen haben. Und schließlich müsste man zwischen positiv und negativ formulierten Klauseln hinsichtlich der Beweislast differenzieren, was ebenfalls nicht überzeugt.
Zweifel an der hier vertretenen Beweislastverteilung könnten allerdings dadurch entstehen, dass die einschlägigen EU-Verordnungen – wie unter Punkt 1.5. ausgeführt – dem Anspruchsteller die Beweislast dafür auferlegen, dass die Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs nicht gegen die EU-Sanktionen verstößt. Anspruchsteller wäre bei einem Versicherungsvertrag der Versicherungsnehmer, der Versicherungsschutz oder die Versiche-
54 Wandt, VersR 2013, 264.
55 So R. Koch in Bruck/Möller, VVG V10 (2023) Ziff 1 AHB 2016 Rz 148.
56 Ständige Rechtsprechung; vgl RIS-Justiz RS0107031.
57 Ständige Rechtsprechung; vgl RIS-Justiz RS0043438.
58 Wandt, VersR 2013, 264 (unangemessene Benachteiligung).
rungsleistung beansprucht. Dennoch meine ich, dass die Beweislastverteilung der EU-Verordnungen nicht auf die Frage durchschlagen kann, ob eine Sanktionsklausel nach mitgliedstaatlichem Recht als Risikoumschreibung oder als Risikoausschluss zu qualifizieren ist. Dies zeigt schon die Überlegung, dass die Beweislastverteilung der EU-Verordnungen auch dann eingreift, wenn der Versicherungsvertrag keine Sanktionsklausel enthält.
3.Die Intransparenz einer Sanktionsklausel
In seiner Entscheidung vom 19. 4. 2023, 7 Ob 3/23a, beurteilte der OGH die Sanktionsklausel der RVB 2018 in einem Verbandsklageverfahren als intransparent im Sinne des § 6 Abs 3 KSchG. Die gegenständliche Sanktionsklausel in Art 6.2 RVB 2018 lautet:
„Kein Versicherungsschutz besteht, soweit und solange diesem auf die Vertragsparteien direkt anwendbare Wirtschafts-, Handels- oder Finanzsanktionen bzw. Embargos der Europäischen Union oder der Republik Österreich entgegenstehen. Dies gilt auch für Wirtschafts-, Handels- oder Finanzsanktionen bzw. Embargos, die durch andere Länder erlassen werden, soweit dem nicht europäische oder österreichische Rechtsvorschriften entgegenstehen.“ 59
Im vorliegenden Zusammenhang ist zunächst zu konstatieren, dass diese Sanktionsklausel inhaltlich der unter Punkt 2. dargestellten Musterklausel des VVO und damit dem österreichischen Bedingungsstandard entspricht.
Nach § 6 Abs 3 KSchG ist eine in allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung unwirksam, wenn si e unklar oder unverständlich abgefasst ist.
Der OGH weist in der Entscheidung 7 Ob 3/23a zunächst darauf hin, dass sich das Transparenzgebot nicht mit formeller Textverständlichkeit begnüge, sondern verlange, dass Inhalt und Tragweite vorgefasster Vertragsklauseln für den Verbraucher „durchschaubar“ seien.60
Tatsächlich entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass der Verbraucher in der Lage sein muss, seine Rechtsposition zu durchschauen. Er muss auch in die Lage versetzt werden, den Inhalt und die Tragweite einer Vertragsklausel zu erfassen (Sinnverständlichkeit). Dazu gehört auch, dass der Verbraucher bis zu einem gewissen Grad die wirtschaftlichen Folgen einer Regelung abschätzen kann.61
Bei Lektüre von Art 6.2 Satz 1 RVB 2018 bleibe, so der OGH in der Entscheidung 7 Ob 3/23a, für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer zunächst völlig unklar, inwiefern „Embargos“ der EU oder Österreichs dem Versicherungsschutz einer Reisestorno- und Reiseabbruchversicherung „entgegenstehen“ könnten. Wenn die Beklagte (der Versicherer) vermeine, der Versicherungsnehmer erkenne bei dieser Formulierung, dass „entsprechende Sanktionsnormen“, die die Erbringung von Versicherungsleistungen bei Schadensfällen im Zusammenhang mit bestimmten Ländern oder Personen verbieten, nicht vom Versicherungsschutz umfasst sein sollen, so stelle sich schon, so der OGH, die Frage, warum sie nicht diese Formulierung gewählt habe. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer könne jedenfalls anhand dieser Klausel nicht ansatzweise gesichert einschätzen, wann und in welchem Umfang es zum Entfall des Versicherungsschutzes kommen könnte.62
59 OGH 19. 4. 2023, 7 Ob 3/23a, Rn 36.
60 OGH 19. 4. 2023, 7 Ob 3/23a, Rn 40, unter Hinweis auf RIS-Justiz RS0122169 (T2).
61 Etwa OGH 17. 1. 2007, 7 Ob 131/06z; 17. 1. 2007, 7 Ob 140/06y; 30. 5. 2007, 7 Ob 4/07z; zuletzt etwa OGH 13. 12. 2022, 7 Ob 153/22h.
62 OGH 19. 4. 2023, 7 Ob 3/23a, Rn 41.
Dafür beruft sich der OGH auf die Auffassung zweier deutscher Autoren zur Sanktionsklausel der deutschen AHB.63 Das zeigt für mich bei aller Vorsicht, die man bei Schlussfolgerungen aus höchstgerichtlichen Entscheidungen walten lassen sollte, dass der OGH seine Argumentation nicht auf die Reiseversicherung beschränkt, sondern allgemein auf Sanktionsklauseln im B2CGeschäft anwendbar wissen will.
Nach von Rintelen ergeben sich Transparenzbedenken aus der fehlenden Klarheit zum Inhalt und zur Reichweite der Regelung. Die Regelung sei schon rechtstechnisch missglückt.64 Dafür verweist er auf die Kommentierung von R. Koch. Dieser äußert, worauf der OGH in der Entscheidung 7 Ob 3/23a Bezug nimmt,65 vor allem zwei Transparenzbedenken: Es werde nicht auf das für Rechtsvorschriften kennzeichnende In- und Außerkrafttreten abgestellt, sondern stattdessen die Formulierung ,,solange“ gebraucht. Diese beziehe sich zwar erkennbar auch auf die Dauer der Sanktionen bzw des Embargos, lasse aber eine genaue Bestimmung von deren Beginn und Ende nicht zu. Die Formulierung ,,entgegenstehen“ sei ebenfalls unscharf. Hier hätte der Musterbedingungsgeber besser daran getan, eine Formulierung zu wählen, der zufolge keine Verpflichtung zur Gewährung von Versicherungsschutz bestehe, solange und soweit die Erfüllung des Versicherungsvertrages nach gemeinschaftsrechtlichen oder deutschen Vorschriften unrechtmäßig sei.66
Aus dieser Argumentation erschließt sich für den OGH, dass der hier interessierende Satz 1 der Sanktionsklausel intransparent im Sinne des § 6 Abs 3 KSchG ist.67
Verstärkt wird die Intransparenz der Sanktionsklausel noch durch einen Umstand, der im Verfahren 7 Ob 3/23a offenbar nicht weiter releviert wurde: Die EU hat eine Vielzahl von Sanktionen gegen verschiedene Länder erlassen bzw erlässt diese noch immer.68 Selbst wenn dem Versicherungsnehmer daher verständlich wäre, dass die Sanktionsklausel solche Sanktionen meint, kann er immer noch nicht bzw nur durch erheblichen Rechercheaufwand ermitteln, welche Sanktionen denn jetzt seinen Versicherungsvertrag betreffen. Der Versicherungsnehmer kann also seine rechtliche Position bei Lektüre der Klausel auch in dieser Hinsicht nicht ansatzweise durchschauen.
Was folgern wir aus der OGH-Entscheidung 7 Ob 3/23a?
Die Intransparenz der Sanktionsklausel hat nur Bedeutung für Verbraucher-Versicherungsverträge. Nur auf diese ist § 6 Abs3 KSchG anwendbar.69 Da auch die in anderen Versicherungssparten verwendeten (wie ausgeführt: standardisierten) Sanktions-
63 Von Rintelen in Späte/Schimikowski, Haftpflichtversicherung2 (2015) Ziff 1 AHB Rz 576; R. Koch in Bruck/Möller, VVG IV9 (2013) Ziff 1 AHB 2012 Rz 105; jetzt R. Koch in Bruck/Möller, VVG V10, Ziff 1 AHB 2016 Rz 155. Dabei ist zu bedenken, dass von Rintelen seinerseits auf die Kommentierung von R. Koch verweist.
64 Von Rintelen in Späte/Schimikowski, Haftpflichtversicherung2, Ziff 1 AHB Rz 576.
65 OGH 19. 4. 2023, 7 Ob 3/23a, Rn 41.
66 R. Koch in Bruck/Möller, VVG IV9, Ziff 1 AHB 2012 Rz 105; jetzt R. Koch in Bruck/Möller, VVG V10, Ziff 1 AHB 2016 Rz 155.
67 Zu Satz 2 dieser Klausel OGH 19. 4. 2023, 7 Ob 3/23a, Rn 42: „Gleiches gilt für den zweiten Satz von Art 6.2. RVB 2018. Auch die Reichweite dieses Ausschlusses bleibt für den Versicherungsnehmer im Dunkeln (vgl v. Rintelen in Späte/Schimikowski, Haftpflichtversicherung 2 AHB Z 1 Rn 580 f). Hinzu kommt, dass der zweite Satz eine salvatorische Klausel enthält. Der Oberste Gerichtshof hat bereits zu zahlreichen Klauseln, die Einschränkungen enthalten, wie etwa ‚sofern nicht gesetzliche Bestimmungen entgegen stehen‘ (4 Ob 221/06p [Klausel 2.23]), ‚soweit zulässig‘ (4 Ob 179/18d [Klausel 5]), ‚sofern eine derartige Vereinbarung gesetzlich möglich ist‘ (4 Ob 59/09v [Klausel 26]), ausgesprochen, dass es sich um (nachgeschobene) salvatorische Klauseln handle, die dem Verbraucher das Risiko aufbürden, die (teilweise) Rechtswidrigkeit der beanstandeten Regelung zu erkennen, und ihm daher ein unrichtiges Bild der Rechtslage vermitteln (vgl RS0122045 [T3]).“
68 Zum Überblick siehe etwa https://www.sanctionsmap.eu/#/main.
klauseln ebenso wie die Musterklausel des VVO die vom OGH im Anschluss an R. Koch als intransparent qualifizierten Formulierungen „solange“ und „entgegenstehen“ enthalten, dürfen solche Klauseln in Verbraucher-Versicherungsverträgen nicht (mehr) verwendet werden. Werden Sanktionsklauseln dennoch verwendet, sind sie in Verbraucher-Versicherungsverträgen nach § 6 Abs3 KSchG unwirksam, also nichtig. In Versicherungsverträgen mit Unternehmern als Versicherungsnehmer dürften Sanktionsklauseln – jedenfalls unter dem Prätext der Intransparenz – weiter verwendet werden. Ob Sanktionsklauseln auch inhaltlich unbedenklich sind, müssen wir noch untersuchen.70
4.Inhaltliche Beurteilung der Sanktionsklauseln
4.1.Vorbemerkung
Will man abgesehen von der unter Punkt 3. dargestellten Intransparenz in Verbraucher-Versicherungsverträgen die Sanktionsklauseln in Versicherungsverträgen (auch mit Unternehmern)71 inhaltlich beurteilen, so erscheint es zweckmäßig, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie sich denn die Versicherungsverbote in den von der EU verhängten Sanktionen zivilrechtlich auf Versicherungsverträge auswirken. Dafür ist einerseits zwischen Altverträgen, die vor dem Inkrafttreten der Versicherungsverbote in den Sanktionsnormen abgeschlossen wurden, und Neuverträgen, die nach diesem Zeitpunkt abgeschlossen werden, zu differenzieren. Dabei würde ich bei den in manchen Versicherungssparten üblichen Jahresverträgen mit Verlängerungsklausel auf den ersten Vertragsabschluss abstellen. Dieser Vertrag wäre also dann ein Altvertrag, wenn er erstmals zu einem Zeitpunkt vor dem Inkrafttreten der Versicherungsverbote in den Sanktionsnormen abgeschlossen wurde. Zum anderen ist zwischen Versicherungsverträgen, die eine Sanktionsklausel beinhalten, und Versicherungsverträgen ohne Sanktionsklausel zu unterscheiden.
4.2.Neuverträge (nach dem Inkrafttreten der Sanktionen)
Neuverträge, die nach dem Inkrafttreten der sie erfassenden Versicherungsverbote in den Sanktionsbestimmungen abgeschlossen werden, sind verbotswidrig und daher nach § 879 Abs 1 ABGB nichtig.72 Denn die Sanktionen sind – wie unter Punkt 1. gezeigt –in unmittelbar anwendbaren EU-Verordnungen enthalten. Unmittelbar anwendbares EU-Recht ist als Gesetz im Sinne des § 879 Abs 1 ABGB zu qualifizieren.73
Die Sanktionsbestimmungen enthalten – wie unter Punkt 1. ausgeführt – ausdrücklich Verbote, Versicherungsschutz bereitzustellen, zivilrechtlich gedacht also Verbote, Versicherungsverträge abzuschließen. Ein entgegen diesem Verbot abgeschlossener Versicherungsvertrag ist nach § 879 Abs 1 ABGB gesetzwidrig und daher nichtig. Denn der Verbotszweck der Sanktionsnormen erfordert die Nichtigkeit des Neuvertrages. Zweck dieser Bestimmungen ist es nämlich, für die Dauer der Sanktionen nicht nur den Neuabschluss von Verträgen, sondern auch den Leistungsaustausch zwischen den Vertragsparteien zu verhindern.
69 Die Frage, ob auch ein Verstoß gegen § 864a ABGB vorliege (wie vom OLG Wien als Berufungsgericht festgestellt), konnte nach Ansicht des OGH dahingestellt bleiben; vgl OGH 19. 4. 2023, 7 Ob 3/23a, Rn 43. Das ist für die Reiseversicherung zutreffend, weil hier zumindest im Regelfall ein Verbrauchervertrag vorliegt.
70 Siehe Punkt 4.3.3.
71 Praktisch dürften im Zusammenhang mit den Sanktionen Unternehmerverträge wichtiger sein (zB Transportversicherung). Verbraucherverträge sind wie in der OGH-Entscheidung 7 Ob 3/23a bei der Reiseversicherung oder bei Personenversicherungen für natürliche Personen auf der Sanktionsliste denkbar.
72 F. Artner/Perner, VR 11/2022, 51.
73 Graf in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.05, § 879 Rz 12.
Insbesondere soll verhindert werden, dass der Versicherer während der Sanktionen entgegen dem Verbot Versicherungsschutz gewährt. Bereits erbrachte Leistungen (zB eine bereits bezahlte Versicherungsprämie) sind nach § 877 ABGB rückabzuwickeln.
Der Unterschied zum Altvertrag74 besteht darin, dass der Neuvertrag zu einem Zeitpunkt abgeschlossen wird, zu dem er ausdrücklich verboten ist. Der Versicherer handelt mit dem Abschluss verbotswidrig.
Für die Nichtigkeit sanktionswidriger Verträge spricht im Übrigen auch die unionsrechtliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten, für Sanktionsverstöße entsprechende Sanktionen vorzusehen. Wie unter Punkt 1. ausgeführt, verpflichten Art 8 Abs 1 der Russland-Embargoverordnung und Art 15 Abs 1 der Russland-Sanktionsverordnung die Mitgliedstaaten, für Verstöße gegen die jeweilige Verordnung Sanktionen (einschließlich strafrechtlicher Sanktionen) festzulegen. Die vorgesehenen Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Zivilrechtlich ist nur die Nichtigkeit eines sanktionswidrigen Vertrages eine wirksame und abschreckende Sanktion, weil damit der Leistungsaustausch zwischen den Vertragsparteien verhindert wird.
Ist der Versicherungsvertrag wegen Verbotswidrigkeit nichtig, so ist auch die im Versicherungsvertrag gegebenenfalls vereinbarte Sanktionsklausel nichtig. Insofern hat die Sanktionsklausel nur deklarative Bedeutung.
4.3.Altverträge (vor dem Inkrafttreten der Sanktionen)
4.3.1.Genehmigung von Altverträgen
Die unter Punkt 1. dargestellten Sanktionsbestimmungen enthalten für manche Verbote eine Altvertragsklausel.75 Ein Beispiel wäre Art 2 Abs 5 der Russland-Embargoverordnung.76 Die Möglichkeit einer Genehmigung betrifft vor dem 26. 2. 2022 geschlossene Verträge („Finanzhilfe“ ist ausdrücklich erwähnt) und die Genehmigung musste vor dem 1. 5. 2022 beantragt werden.
4.3.2.Nichtigkeit von Altverträgen?
Bei Altverträgen, die vor dem Inkrafttreten der Versicherungsverbote in den Sanktionsbestimmungen abgeschlossen und nicht genehmigt wurden, stellt sich zunächst die Frage, ob sie ab dem Inkrafttreten wie Neuverträge wegen Verbotswidrigkeit nichtig sind, also gleichsam nichtig werden. Grundsätzlich ist bei der Prüfung der Nichtigkeit nach § 879 Abs 1 ABGB auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen. Bei einer später erlassenen Verbotsnorm hängt es davon ab, ob das Verbot nach seinem Anwe ndungsbereich auch bereits zuvor abgeschlossene Rechtsgeschäfte ergreifen soll.77 Ist nichts anderes vorgesehen, so ist bei Dauerrechtsverhältnissen im Falle einer Gesetzesänderung der in den zeitlichen Geltungsbereich der neuen Rechtslage reichende Teil des Dauertatbestands nach dem neuen Gesetz zu beurteilen.78
74 Siehe Punkt 4.3.
75 Etwa Wiedmann/Will, RIW 2022, 175.
76 Die Bestimmung lautet: „Abweichend von den Absätzen 1 und 2 des vorliegenden Artikels und unbeschadet der Genehmigungspflichten nach der Verordnung (EU) 2021/821 können die zuständigen Behörden den Verkauf, die Lieferung, die Verbringung oder die Ausfuhr von Gütern und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck oder die Bereitstellung von damit verbundener technischer Hilfe und Finanzhilfen für nichtmilitärische Zwecke und für nichtmilitärische Endnutzer genehmigen, nachdem sie festgestellt haben, dass diese Güter oder Technologien oder die damit verbundene technische Hilfe oder Finanzhilfe im Rahmen von vor dem 26. Februar 2022 geschlossenen Verträgen oder von für deren Erfüllung erforderlichen akzessorischen Verträgen bereitzustellen sind, sofern die Genehmigung vor dem 1. Mai 2022 beantragt wird.“
77 Laimer in Klang, ABGB3, § 879 Rz 7.
78 RIS-Justiz RS0008732; Laimer in Klang, ABGB3, § 879 Rz 7; Riedler in Schwimann/Kodek, ABGB5, § 879 Rz 3.
Der Umstand, dass die einige Sanktionsbestimmungen selbst die Möglichkeit der Genehmigung von Altverträgen und der Leistungserbringung aufgrund dieser Verträge vorsehen,79 lässt darauf schließen, dass die Versicherungsverbote jedenfalls nicht generell auch Altverträge erfassen sollen.
Gegen eine nachträgliche Nichtigkeit von Altverträgen spricht aber eine teleologische Überlegung: Dem Zweck der Versicherungsverbote in den Sanktionsbestimmungen wird schon dadurch ausreichend Rechnung getragen, dass bestehende Versicherungsverträge während der Dauer des Verbots nicht durchgeführt werden. Dies kann aber für Altverträge auf anderem Weg, nämlich nach den Bestimmungen über die nachträgliche rechtliche Unmöglichkeit erreicht werden80 und bedarf nicht der nachträglichen Nichtigkeit.
Denn den Sanktionen ist immanent, dass sie von vorübergehender Dauer sein sollen und nach Beendigung des sanktionsauslösenden Umstands, hier also des Ukrainekriegs, wieder aufgehoben werden. Damit kann dem Verordnungsgeber, der Verbote im Rahmen der Sanktionen verhängt, der Wille unterstellt werden, dass bestehende Verträge, deren Durchführung nunmehr verbotswidrig ist, nicht auf Dauer beseitigt werden sollen (Nichtigkeit), sondern für die Dauer der Sanktionen nicht durchgeführt werden sollen (nachträgliche Unmöglichkeit). Nach dem Ende der Sanktionen sollen die Verträge weiter bestehen und dürfen auch wieder durchgeführt werden.
Wer Altverträge wegen Verbotswidrigkeit ab dem Inkrafttreten der Sanktionen als nichtig qualifizieren will, kann die weitere Prüfung hier abbrechen. Für Altverträge würde dann ab diesem Zeitpunkt dasselbe gelten wie für Neuverträge. Wenn aber – wie hier – die Auffassung vertreten wird, dass Altverträge ab dem Inkrafttreten der Sanktionen nicht nichtig sind, muss man sich die Frage stellen, wie sich die Versicherungsverbote in den Sanktionsbestimmungen zivilrechtlich auf bestehende Versicherungsverträge (ohne Sanktionsklausel) auswirken. Denn im Vergleich dazu kann beurteilt werden, ob die in einem Altvertrag enthaltene Sanktionsklausel eine Vertragsbestimmung darstellt, welche einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Vertragsparteien abbildet.
4.3.3.Altverträge ohne Sanktionsklausel
Enthält der Altvertrag keine Sanktionsklausel, so darf der Versicherungsvertrag nach Inkrafttreten des Versicherungsverbots (und ohne eine Genehmigung)81 nicht erfüllt werden. Für die Dauer der Sanktion darf kein Versicherungsschutz gewährt werden. Tritt während dieser Zeit der Versicherungsfall ein, darf der Versicherer die Versicherungsleistung nicht auszahlen.82 Nach österreichischem Recht, dessen Anwendung hier auf den Versicherungsvertrag vorausgesetzt wird, liegt zufällige nachträgliche rechtliche Unmöglichkeit (§ 1447 ABGB) vor.83
Für die zivilrechtliche Einordnung der Sanktionswidrigkeit als rechtliche Unmöglichkeit spricht europarechtlich, dass die einschlägigen EU-Verordnungen – wie unter Punkt 1.5. gezeigt – anordnen, dass sanktionswidrige Verträge nicht erfüllt werden dürfen: Werden von sanktionierten Personen Forderungen (zB Erfüllungs-, Schadensersatz- oder Garantieansprüche) geltend gemacht, deren Erfüllung den Sanktionen zuwiderlaufen würden, können sich Unternehmen gerichtlich und außergerichtlich dar-
79 Siehe Punkt 4.3.1.
80 Siehe Punkt 4.4.3.
81 Siehe Punkt 4.3.1.
82 F. Artner/Perner, VR 11/2022, 52.
83 F. Artner/Perner, VR 11/2022, 52; zum deutschen Recht ebenso Wiedmann/ Will, RIW 2022, 179.
auf berufen, dass derartige Ansprüche nicht erfüllt werden dürfen (Art 11 Abs 1 der Russland-Sanktionsverordnung; Art 6 der Verordnung [EU] Nr 692/2014; Art 11 der Russland-Embargoverordnung; Art 10 der Verordnung [EU] 2022/263).
Damit überlagert das Unionsrecht das nationale Zivilrecht in einem bedeutsamen Punkt: Nach zivilrechtlichen Maßstäben ist die Unmöglichkeit eine leistungshindernde Einrede des Versicherers. Es steht ihm frei, diese Einrede zu erheben oder nicht. Nach Unionsrecht darf der Versicherer seine Leistung nicht erbringen; es handelt sich um ein amtswegig wahrzunehmendes Leistungshindernis, das nicht zur Disposition des Versicherers steht.
Dennoch ist – wie ausgeführt – nicht der Vertrag als solcher verboten und damit nichtig. Vielmehr ist die Leistung aus dem Vertrag verboten. Darin besteht ein Leistungshindernis, das zivilrechtlich als nachträgliche rechtliche Unmöglichkeit zu qualifizieren ist.
Die Beweislast dafür, dass Unmöglichkeit vorliegt, trägt nach österreichischem Zivilrecht derjenige, der sich auf die Unmöglichkeit beruft,84 hier also der Versicherer. Dagegen spricht auch nicht, dass die einschlägigen EU-Verordnungen – wie unter Punkt 1.5. ausgeführt – dem Anspruchsteller die Beweislast dafür auferlegen, dass die Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs nicht gegen die EU-Sanktionen verstößt. Vielmehr passen diese Beweislastregel des Unionsrechts und jene des Zivilrechts ineinander: Behauptet der Versicherer die Sanktionswidrigkeit der Versicherungsleistung, beruft er sich nach der hier vertretenen Auffassung auf Unmöglichkeit und trägt damit für diese Unmöglichkeit in Gestalt der Sanktionswidrigkeit die Beweislast. Behauptet der Versicherungsnehmer, dass der Versicherungsvertrag nicht sanktionswidrig ist und damit die Erfüllung seines Anspruchs aus dem Vertrag nicht gegen die EU-Sanktionen verstößt, so trägt er nach den dargelegten Bestimmungen der EUVerordnungen dafür die Beweislast.
Die hier für die Sanktionswidrigkeit vertretene rechtliche Unmöglichkeit ist allerdings eine vorübergehende. Denn die Sanktionsbestimmungen sind darauf angelegt, dass sie auch (etwa bei Beendigung des Ukrainekriegs) wieder aufgehoben werden.
Daher ist § 68 Abs 2 VersVG auf unseren Sachverhalt nicht anwendbar. § 68 Abs 2 VersVG regelt den nachträglichen Wegfall des versicherten Interesses: Fällt das versicherte Interesse nach dem Beginn der Versicherung weg, so gebührt dem Versicherer die Prämie, die er hätte erheben können, wenn die Versicherung nur bis zum Zeitpunkt beantragt worden wäre, in welchem der Versicherer vom Wegfall des Interesses Kenntnis erlangt. Man könnte in unserem Fall schon darüber nachdenken, ob das Interesse bei Eintreten der Sanktionen überhaupt wegfällt. Denn zB in der Sachversicherung besteht die versicherte Sache ja weiter und wird nicht zerstört, worin ein anerkannter Fall des Interessewegfalls besteht.85
Die Frage braucht nicht weiter vertieft zu werden: § 68 Abs 2 VersVG ist nämlich nach herrschender Auffassung nur bei dauerndem nachträglichem Wegfall des Interesses anwendbar; zeitweiliger Interessemangel reicht nicht aus.86 Dies zeigt auch die Rechtsfolge des nachträglichen Interessewegfalls, die jener des §1447 ABGB entspricht:87 Nachträglicher Interessewegfall führt
84 Holly in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06, § 1447 Rz 31 (mit Nachweisen zur Rechtsprechung).
85 Siehe weiterführend Burtscher/Ertl in Fenyves/Perner/Riedler, VersVG, § 68 Rz 10; Armbrüster in Prölss/Martin, VVG31 (2021) § 80 Rz 10; Halbach in Langheid/Wandt, Münchener Kommentar zum VVG I3 (2022) § 80 Rz 7 ff (jeweils mit Beispielen aus der deutschen Rechtsprechung).
86 Burtscher/Ertl in Fenyves/Perner/Riedler, VersVG, § 68 Rz 12.
87 Burtscher/Ertl in Fenyves/Perner/Riedler, VersVG, § 68 Rz 4.
zu einem Zerfallen des Versicherungsvertrages, ohne dass es einer Kündigung durch eine der beiden Parteien bedürfte.88 Welche Rechtsfolgen der bloß vorübergehende Interessewegfall zeitigt, regelt also § 68 Abs 2 VersVG nicht. Hier müssen wir uns mit einem Rückgriff auf das allgemeine Zivilrecht behelfen.
Fraglich ist aber, ob nicht § 68 Abs 3 VersVG hier einschlägig sein könnte: Fällt das versicherte Interesse nach dem Beginn der Versicherung durch ein Kriegsereignis oder durch eine behördliche Maßnahme aus Anlass eines Krieges weg oder ist der Wegfall des Interesses die unvermeidliche Folge eines Krieges, so gebührt dem Versicherer nur der Teil der Prämie, welcher der Dauer der Gefahrtragung entspricht.
Man könnte wohl die EU-Sanktionen unter die behördlichen Maßnahmen aus Anlass eines Krieges subsumieren. Ich meine aber, dass auch § 68 Abs 3 VersVG nicht wirklich eine für den vorliegenden Sachverhalt angemessene Regelung darstellt: Denn die Rechtsfolge, dass der Versicherungsvertrag zerfällt, passt – wie ausgeführt – nicht zum vorübergehenden nachträglichen Interessewegfall. Wohl auch deshalb wird im Schrifttum ausgeführt, auch § 68 Abs 3 VersVG zum Interessemangel wegen eines Kriegsereignisses sollte nicht leichtfertig auf den bloß zeitweiligen Interessemangel erstreckt werden.89 Aber selbst wenn man § 68 Abs 3 VersVG auch auf vorübergehende Maßnahmen aus Anlass eines Krieges (wie hier die EU-Sanktionen) anwenden wollte, würde die Norm nur das Schicksal der Prämie, nicht aber das Schicksal des Vertrages regeln. Der für den dauernden Interessewegfall angenommene Zerfall des Vertrages passt ja gerade nicht. Zumindest für diese Frage müssen wir uns doch mit der zivilrechtlichen Unmöglichkeit befassen.
Kehren wir also zur zivilrechtlichen Unmöglichkeit zurück! Wenn die Unmöglichkeit nur eine vorübergehende ist, so ist Folgendes zu bedenken: Besteht nach allgemeiner Lebenserfahrung eine ernst zu nehmende, ins Gewicht fallende Chance, dass die bedungene Leistung zumindest zu einem späteren Zeitpunkt wieder möglich sein wird, liegt nach ganz herrschender Meinung nicht Unmöglichkeit, sondern objektiver Verzug vor, der den Erfüllungsanspruch aufrecht lässt.90 Es wäre also in diesem Fall §918 ABGB und nicht § 1447 ABGB anzuwenden.
Die Rechtsfolge des in § 918 ABGB vorgesehenen Rücktritts gilt aber nur für Zielschuldverhältnisse.91 Der Versicherungsvertrag beinhaltet demgegenüber ein Dauerschuldverhältnis.92 Bei Dauerschuldverhältnissen bejaht die Rechtsprechung anstelle des Rücktritts eine vorzeitige Auflösung aus wichtigem Grund, wobei der Maßstab für den wichtigen Grund unter anderem Vertragsverletzungen sind, die bei Zielschuldverhältnissen zum Rücktritt nach § 918 ABGB berechtigen würden.93
Im vorliegenden Fall bedeutet dies: Der Versicherungsnehmer kann den Altvertrag mit Inkrafttreten der Versicherungsverbote in den Sanktionsbestimmungen aus wichtigem Grund vorzeitig auflösen, weil die Leistung des Versicherers für die Dauer der Verbote vorübergehend rechtlich unmöglich ist. Es ist die Leistung des Versicherers, die vorübergehend rechtlich unmöglich ist. Das Recht, sich vom Vertrag zu lösen, steht daher dem Vertragspartner des Versicherer, dem Versicherungsnehmer, nicht aber dem Versicherer selbst zu.
88 Burtscher/Ertl in Fenyves/Perner/Riedler, VersVG, § 68 Rz 20.
89 Burtscher/Ertl in Fenyves/Perner/Riedler, VersVG, § 68 Rz 12.
90 Holly in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06, § 1447 Rz 12; Heidinger in Schwimann/Kodek, ABGB4, § 1447 Rz 3; siehe auch Gruber in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06, § 918 Rz 5.
91 Gruber in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06, § 918 Rz 23.
92 Gruber in Schauer, VersVG, § 1 Rz 9.
93 Gruber in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06, § 918 Rz 23.
Will der Versicherungsnehmer den Vertrag nicht auflösen, so stünde ihm nach allgemeinem Zivilrecht wegen des gestörten Synallagmas im Versicherungsvertrag (der Versicherer darf seine Leistung nicht erbringen) jedenfalls für die Dauer des Versicherungsverbots die Einrede des nicht erfüllten Vertrages gemäß §1052 ABGB zu. Der Versicherungsnehmer hätte daher ein Leistungsverweigerungsrecht hinsichtlich seiner eigenen Leistung, also der Versicherungsprämie.94
Beim Versicherungsvertrag besteht das Leistungsverweigerungsrecht aber nicht nur vorübergehend während der Dauer des Versicherungsverbots. Vielmehr müssen wir nochmals auf die schon erwähnte Regelung des Interessewegfalls wegen einer behördlichen Maßnahme aus Anlass eines Krieges in § 68 Abs 3 VersVG zurückkehren. Selbst wenn man – wie ausgeführt – die Norm wegen des vorübergehenden Charakters der EU-Sanktionen nicht für anwendbar erachtet, zeigt sie doch das Prinzip, nach dem der Gesetzgeber das Prämienschicksal regelt: Dem Versicherer gebührt nur der Teil der Prämie, welcher der Dauer der Gefahrtragung entspricht. Mit anderen Worten: Für die Phase aufrechter EU-Sanktionen hat der Versicherer keinen Prämienanspruch. Auch für die bereits vom Versicherungsnehmer geleisteten Prämien, auf die der Versicherer keinen Anspruch hat, kann man den Gedanken des § 68 Abs 4 VersVG fruchtbar machen: Der Versicherer muss diese Prämien nach Aufhebung der Sanktionen rückerstatten.
Damit besteht aber ein wesentlicher Unterschied zum kaufrechtlich, also von einem Zielschuldverhältnis geprägten § 1052 ABGB: Das zivilrechtliche Leistungsverweigerungsrecht impliziert, dass die zunächst zurückbehaltene Leistung dann doch erbracht werden muss, wenn auch der Vertragspartner seine Leistung erbringt. Die für den Versicherungsvertrag einschlägige Regelung in § 68 VersVG (im Übrigen gemäß § 68a VersVG halbzwingendes Recht) zeigt demgegenüber aber das Prinzip, dass der Versicherungsnehmer für die Dauer des Interessewegfalls keine Prämie, auch nicht nachträglich, zu leisten hat. Eine Prämienzahlungspflicht besteht nur für die Zeit der Gefahrtragung durch den Versicherer. Der Grund für den Unterschied zu § 1052 ABGB besteht darin, dass die Versichererleistung in Gestalt der Gefahrtragung nicht nachgeholt werden kann. Daher entspricht es dem Synallagma des Versicherungsvertrages, dass der Versicherungsnehmer nur für jenen Zeitraum die Prämie zahlen muss, in dem auch der Versicherer die Gefahr trägt.
4.3.4.Altverträge mit Sanktionsklausel
Anders als bei einem Vertrag ohne Sanktionsklausel stellt sich die Vertragsrechtslage zwischen den Parteien dar, wenn der Versicherungsvertrag eine Sanktionsklausel enthält.
Betrachtet man zunächst nur die Sphäre des Versicherers, so scheint auf den ersten Blick im Ergebnis kein großer Unterschied zwischen einem Vertrag mit Sanktionsklausel und einem Vertrag ohne Sanktionsklausel zu bestehen: Bei einer Sanktionsklausel beruft sich der Versicherer für die Dauer eines Versicherungsverbots auf den vereinbarten Risikoausschluss und darf so den Versicherungsschutz verweigern. Tritt während des Versicherungsverbots der Versicherungsfall ein, darf der Versicherer wiederum unter Berufung auf den Risikoausschluss die Versicherungsleistung nicht gewähren. Ohne Sanktionsklausel könnte sich der
94 Zu vergleichbaren Ergebnissen würde man wohl bei Anwendung der Clausula-rebus-sic-stantibus-Regel kommen. Diese ist aber nach der Rechtsprechung ultima ratio und nur subsidiär anwendbar; vgl Pletzer in Kletečka/ Schauer, ABGB-ON1.03, § 901 Rz 29. Wie im Text gezeigt, kann aber das vorliegende Problem mit den Unmögl ichkeits- bzw Verzugsregeln gelöst werden. Eines Rückgriffs auf die Umstandsregel bedarf es nicht.
Versicherer – wie unter Punkt 4.3.3. ausgeführt – auf eine (vorübergehende) rechtliche Unmöglichkeit berufen und ebenfalls den Versicherungsschutz bzw im Versicherungsfall die Versicherungsleistung verweigern.
Diese Überlegungen zeigen aber auch, dass der Versicherer der als vorbeugender Risikobegrenzung gedachten Sanktionsklausel gar nicht bedarf, um dem Risiko eines verbotswidrigen Versicherungsschutzes bzw einer verbotswidrigen Versicherungsleistung zu entgehen. Um diesem mit Strafsanktionen bewährten Risiko zu entgehen, reicht es aus, dass sich der Versicherer für die Dauer des Versicherungsverbots auf die (vorübergehende) rechtliche Unmöglichkeit beruft und aus diesem Grund keinen Versicherungsschutz gewähren darf bzw im Versicherungsfall keine Versicherungsleistung erbringen darf. Dies zeigt, dass die Sanktionsklausel für den Versicherer eigentlich funktionslos ist.
Einen gravierenden Unterschied macht aber die Vereinbarung einer Sanktionsklausel gegenüber einem Vertrag ohne diese Klausel aus, wenn man die vertragliche Situation des Versicherungsnehmers betrachtet: Auch wenn sich der Versicherer auf den Risikoausschluss der Sanktionsklausel beruft und den Versicherungsschutz bzw die Versicherungsleistung verweigert, bleibt der Versicherungsnehmer an den weiter wirksamen Versicherungsvertrag gebunden und muss die Versicherungsprämie weiterzahlen. Ohne die Sanktionsklausel könnte sich der Versicherungsnehmer – wie unter Punkt 4.3.3. ausgeführt – wegen der (vorübergehenden) rechtlichen Unmöglichkeit der Versichererleistung, somit wegen Verzugs, aus wichtigem Grund vom Versicherungsvertrag lösen. Jedenfalls bräuchte der Versicherungsnehmer entsprechend dem Gedanken des § 68 VersVG für die Dauer der Unmöglichkeit keine Versicherungsprämie zu bezahlen.
Dieser Vergleich der vertraglichen Situation des Versicherungsnehmers bei einem Versicherungsvertrag mit Sanktionsklausel einerseits und bei einem Vertrag ohne diese Klausel andererseits spricht dafür, dass die Sanktionsklausel für den Versicherungsnehmer gröblich benachteiligend im Sinne des § 879 Abs 3 ABGB und damit nichtig ist. Der Umstand, dass die Sanktionsklausel für den Versicherer zur Begrenzung seines Risikos eines verbotswidrigen Versicherungsschutzes bzw einer verbotenen Versicherungsleistung – wie ausgeführt – gar nicht notwendig ist, verstärkt diesen Befund.
Nach § 879 Abs 3 ABGB ist eine in allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen festlegt, jedenfalls nichtig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles einen Teil gröblich benachteiligt.
Bei AVB-Klauseln sind sowohl die primäre Risikoumschreibung als auch die sekundären Risikoausschlüsse kontrollfähig.95 Wie nach allgemeinem Zivilrecht bestimmt sich die gröbliche Benachteiligung durch eine AVB-Klausel in erster Linie nach dem dispositiven Recht als Leitbild eines ausgewogenen und gerechten Interessenausgleichs.96 Ein Abweichen vom dispositiven Recht wird unter Umständen schon dann eine gröbliche Benachteiligung des Vertragspartners im Sinne des § 879 Abs 3 ABGB sein können, wenn sich für die Abweichung keine sachliche Rechtfertigung ergibt. Sie ist jedenfalls anzunehmen, wenn die dem Vertragspartner zugedachte Rechtsposition im auffallenden Missverhältnis zur vergleichbaren Rechtsposition des anderen steht, wenn also keine sachlich berechtigte Abweichung von der für den Durchschnittsfall getroffenen Norm des nachgiebigen Rechts vorliegt.97
95 Gruber in Schauer, VersVG, Anh § 1 Rz 24.
96 Gruber in Schauer, VersVG, § 1 Rz 25; OGH 5. 7. 2017, 7 Ob 86/17y; RISJustiz RS0014676.
97 Gruber in Schauer, VersVG, Anh § 1 Rz 26; ständige Rechtsprechung; vgl etwa OGH 9. 7. 2014, 7 Ob 70/14s; RIS-Justiz RS0016914.
Hier weicht die Sanktionsklausel – wie gezeigt – insofern vom dispositiven Recht ab, als für den Versicherungsnehmer bei Anwendung der Sanktionsklausel – anders als nach dem dispositiven Recht – keine Möglichkeit besteht, sich vom Versicherungsvertrag trotz des nicht bestehenden Versicherungsschutzes zu lösen. Auch muss der Versicherungsnehmer weiter seine Prämie bezahlen, während nach dispositivem Recht seine Prämienzahlungspflicht für die Dauer der Sanktionen nicht besteht.
Ein sachlicher Grund dafür, dass der Versicherer den Versicherungsnehmer trotz des verbotenen Versicherungsschutzes unter Berufung auf einen für den Versicherer nicht notwendigen Risikoausschluss weiter am Vertrag festhalten können sollte, ist nicht ersichtlich. Ebenso ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, dass der Versicherer für die Dauer des Versicherungsverbots weiter die Prämie vereinnahmen dürfen sollte. Insgesamt weicht die Sanktionsklausel zum Nachteil des Versicherungsnehmers ohne sachliche Rechtfertigung vom dispositiven Recht ab. Das spricht dafür, dass die Sanktionsklausel gröblich benachteiligend im Sinne des § 879 Abs 3 ABGB ist.
Wenn man – anders als hier vertreten – § 68 Abs 3 VersVG (nachträglicher Interessewegfall wegen einer behördlichen Maßnahme aus Anlass eines Krieges) auch auf den Fall der Versicherungsverbote in den EU-Sanktionen anwenden will, kommt man ebenfalls zur Unwirksamkeit der Sanktionsklausel: Sie weicht wegen der auch für die Dauer der Sanktionen weiter bestehenden Prämienzahlungspflicht des Versicherungsnehmers zu seinem Nachteil von § 68 Abs 3 VersVG ab. Dies ist unzulässig, weil §68 VersVG zugunsten des Versicherungsnehmers halbzwingendes Recht ist (§ 68a VersVG).
Aus den genannten Gründen kann ich für das österreichische Recht Wandt nicht zustimmen, wenn er meint, die inhaltliche Angemessenheit einer Sanktionsklausel sei unproblematisch, soweit sich die Klausel auf Embargobestimmungen von EU-Verordnungen und des deutschen Rechts beziehe. Wandt argumentiert wie folgt: Vertraglich werde vom Versicherungsschutz nur das ausgeschlossen, was gesetzlich nicht wirksam versichert werden könne. Der Versicherer habe ein berechtigtes Interesse daran, durch die vertragliche Begrenzung des Versicherungsschutzes von vornherein auszuschließen, dass die Gewährung von Versicherungsschutz gegen ein für ihn verbindliches straf- oder bußgeldbewehrtes Verbotsgesetz verstoße. Die Interessen des Versicherungsnehmers würden grundsätzlich nicht nachteilig berührt, sofern und soweit wegen des Gesetzesverstoßes auch ohne Sanktionsklausel kein Versicherungsschutz bestehe. Unter der beschriebenen Prämisse liege das Besondere der Klausel gerade darin, dass sie zwar den Versicherer schütze, indem sie einen Verstoß gegen ein Embargogesetz vermeide, dass dieser Schutz des Versicherers aber nicht zulasten des Versicherungsnehmers gehe, indem diesem etwas vorenthalten würde, was ihm ansonsten zustünde. Mit einer AGBrechtlichen Unwirksamkeit der Sanktionsklausel wäre für den Versicherungsnehmer deshalb grundsätzlich nichts gewonnen.98
Diesen Argumenten ist nach den bisherigen Ausführungen wie folgt entgegenzuhalten: Dass der Versicherer ein berechtigtes Interesse daran habe, durch die vertragliche Begrenzung des Versicherungsschutzes von vornherein auszuschließen, dass die Gewährung von Versicherungsschutz gegen ein für ihn verbindliches straf- oder bußgeldbewehrtes Verbotsgesetz verstoße, ist zwar grundsätzlich zutreffend. Es wurde aber gezeigt, dass diesem Interesse auch ohne die Sanktionsklausel (zumindest im österreichischen Recht) ausreichend dadurch Rechnung getragen werden kann, dass sich der Versicherer auf die (vorübergehende) rechtliche Unmöglichkeit berufen kann und sich damit ebenfalls
nicht dem Risiko eines Verstoßes gegen ein sanktionsbewehrtes Verbotsgesetz aussetzt. Mit anderen Worten: Dem zweifelsohne berechtigten Interesse des Versicherers wird auch ohne die Sanktionsklausel durch das dispositive Recht Rechnung getragen. Nicht zugestimmt werden kann der Überlegung, die Interessen des Versicherungsnehmers würden grundsätzlich nicht nachteilig berührt, sofern und soweit wegen des Gesetzesverstoßes auch ohne Sanktionsklausel kein Versicherungsschutz bestehe, bzw dass die Klausel nicht zulasten des Versicherungsnehmers gehe, indem diesem etwas vorenthalten würde, was ihm ansonsten zustünde. Denn darauf kann es nicht ankommen. Nach österreichischem Recht wird der Versicherungsnehmer – wie ausgeführt – gegenüber dem ohne Sanktionsklausel eingreifenden dispositiven Recht dadurch massiv benachteiligt, dass er sich vom für ihn während der Dauer des Versicherungsverbots wertlosen Versicherungsvertrag nicht lösen kann und weiterhin die Prämie bezahlen muss.
Auch das Argument, mit einer AGB-rechtlichen Unwirksamkeit der Sanktionsklausel wäre für den Versicherungsnehmer grundsätzlich nichts gewonnen, überzeugt nicht. Natürlich bekommt der Versicherungsnehmer zumindest bei einem EU-Versicherer den gewünschten Versicherungsschutz während der aufrechten Dauer eines Versicherungsverbots auch nicht. Aber (und das ist nach der hier vertretenen Auffassung entscheidend) der Versicherungsnehmer kann sich, wenn die Sanktionsklausel wegen gröblicher Benachteiligung im Sinne des § 879 Abs 3 ABGB nichtig ist, nach dem dann anwendbaren dispositiven Recht vom Versicherungsvertrag lösen. Auch braucht der Versicherungsnehmer entsprechend dem Gedanken des § 68 VersVG für die Dauer der Unmöglichkeit keine Versicherungsprämie zu bezahlen. Diese Rechtsbehelfe des dispositiven Rechts sind für den Versicherungsnehmer ohne Zweifel ein Gewinn gegenüber der Vertragsrechtslage, wenn die Sanktionsklausel eingreifen würde. Auch der Fall, dass der Versicherer einen globalen Versicherungsschutz anbietet und nur ein Teil davon von den Sanktionen betroffen ist, lässt sich lösen: Es liegt hinsichtlich des sanktionsbehafteten Teils der Versicherung Teilunmöglichkeit vor. Nach den Regeln der Teilunmöglichkeit ist zivilrechtlich zu beurteilen, ob sich der Versicherungsnehmer vom Vertrag lösen kann bzw in welcher Höhe er die Prämie teilweise zu bezahlen hat.
Auf den Punkt gebracht
1. Sanktionsklauseln in Verbraucher-Versicherungsverträgen sind nach der OGH-Entscheidung vom 19. 4. 2023, 7 Ob 3/ 23a, intransparent im Sinne des § 6 Abs 3 KSchG.
2. Neuverträge, die ab dem Inkrafttreten der Sanktionen abgeschlossen werden, sind wegen Verbotswidrigkeit nach § 879 Abs 1 ABGB nichtig.
3. Altverträge, die vor dem Inkrafttreten der Sanktionen abgeschlossen wurden, sind nicht nichtig. Während der Dauer der Sanktionen liegt aber eine vorübergehende nachträgliche rechtliche Unmöglichkeit vor. Der Versicherungsnehmer kann sich aus wichtigem Grund vom Vertrag lösen. Entsprechend dem Gedanken des § 68 VersVG besteht für die Dauer der Unmöglichkeit keine Prämienzahlungspflicht.
4. Sanktionsklauseln in Altverträgen sind für den Versicherungsnehmer gröblich benachteiligend im Sinne des § 879 Abs 3 ABGB, weil ihm dadurch die nach dispositivem Recht bestehende Möglichkeit genommen wird, sich aus wichtigem Grund vom Versicherungsvertrag zu lösen, bzw die nach dispositivem Recht entfallende Prämienzahlungspflicht für die Dauer der Sanktionen weiter besteht.
Lilly Plath
Am 18. 10. 2023 hat der Nationalrat das KraftVerÄG 20231 in Umsetzung der Richtlinie (EU) 2021/21182 beschlossen. Diese Änderungsrichtlinie war nach einer Bewertung der Richtlinie 2009/103/EG3 durch die Europäische Kommission ergangen, worin die Europäische Kommission vier Bereiche sowie punktuelle Einzelthemen identifizierte, in denen Änderungsbedarf bestehe. Insbesondere zu nennen sind die Entschädigung von Verkehrsopfern bei Insolvenz eines Versicherungsunternehmens und die Anpassung der Mindestdeckungssummen sowie Unfälle mit Anhängern.4 Im österreichischen Recht wurden daher mit dem KraftVerÄG 2023 das VOEG, das KHVG, das KFG, das VAG 2016 sowie die StVO angepasst. Die neuen Bestimmungen sind mit 23. 12. 2023 in Kraft getreten. Der vorliegende Beitrag soll einen Überblick über die Änderungen durch das KraftVerÄG 2023 bieten.5
1.Entschädigung von Verkehrsopfern
1.1.Vorbemerkung
Die Änderungen betreffend das VOEG umfassen den umfangmäßig größten Teil des KraftVerÄG 2023, wobei das Hauptaugenmerk auf der Entschädigung von Verkehrsopfern im Falle der Insolvenz oder Liquidation eines Versicherungsunternehmens liegt. Darüber hinaus sieht das KraftVerÄG 2023 eine Änderung des Umfangs der Entschädigungspflicht einerseits und die Einführung neuer Ausnahmen andererseits vor.
1.2.Insolvenz bzw Liquidation des Versicherungsunternehmens
Die Europäische Kommission hat als Teil eines „wirksamen und effizienten Schutzes“ die Notwendigkeit gesehen, dass Geschädigte in ihrem Wohnsitzmitgliedstaat Ansprüche auf Entschädigung geltend machen können.6 Dies schlägt sich in der Änderung der Bestimmungen des VOEG zur Entschädigung bei Insolvenz des Versicherungsunternehmens nieder und erklärt auch die Regelungen zur Erstattung von gezahlten Ent-
1 Kraftfahr-Versicherungsrechts-Änderungsgesetz 2023, BGBl I 2023/129.
2 Richtlinie (EU) 2021/2118 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. 11. 2021 zur Änderung der Richtlinie 2009/103/EG über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht, ABl L 430 vom 2. 12. 2021, S 1.
3 Richtlinie 2009/103/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 9. 2009 über die KraftfahrzeugHaftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht, ABl L 263 vom 7. 10. 2009, S 11. Zitate der Richtlinie 2009/103/EG in diesem Betrag beziehen sich auf die aktuelle, sich aus der Richtlinie (EU) 2021/2118 ergebende Fassung.
4 Erwägungsgrund 2 der Richtlinie (EU) 2021/2118.
5 Für eine vertiefende Betrachtung ausgewählter Themen siehe in diesem Heft Kath, Ausgewählte Aspekte der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2021/2118 in das österreichische Recht, ZVers 2024, 17.
6 Erwägungsgrund 20 der Richtlinie (EU) 2021/2118.
schädigungen zwischen den Entschädigungsstellen des EWR.
§ 5 Abs 1 VOEG neue Fassung normiert, dass der Fachverband der Versicherungsunternehmen statt dem Versicherungsunternehmen Entschädigung leisten muss, sobald über dieses ein Insolvenzverfahren oder ein Liquidationsverfahren im Sinne des Art 268 Abs 1 lit d der Richtlinie 2009/ 138/EG7 eröffnet wurde; für Versicherungsunternehmen mit Sitz im Inland ist auch die Auflösung gemäß § 306 Abs 1 VAG 2016 mitgemeint.8 Dabei kommen nur Schäden einer Person mit inländischem Wohnsitz in Betracht, die im Inland von einem Fahrzeug verursacht wurden, welches von einem Versicherungsunternehmen mit Sitz im Inland oder EWR versichert ist. In § 5 Abs 2 bis 9 VOEG neue Fassung werden der Verfahrensablauf der Entschädigung sowie akzessorische Pflichten des Fachverbands sowie des Versicherungsunternehmens geregelt.
§ 5 Abs 2 VOEG neue Fassung legt fest, dass der Fachverband jenen Betrag zu leisten hat, den das Versicherungsunterne hmen zu leisten hätte. Hintergrund dieser Vorgabe ist der Grundsatz, dass der Geschädigte so zu stellen ist, als wäre das Versicherungsunternehmen nicht zahlungsunfähig.9
§ 5 Abs 3 VOEG neue Fassung bestimmt eine Informationspflicht des Fachverbands über die Insolvenz oder Auflösung eines Haftpflichtversicherers mit Sitz im Inland gegenüber den Entschädigungsstellen der anderen EWR-Vertragsstaaten. Ebenfalls informieren muss der Fachverband das
7 Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. 11. 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II), ABl L 335 vom 17. 12. 2009, S 1.
8 ErlRV 2198 BlgNR 27. GP, 3.
9 ErlRV 2198 BlgNR 27. GP, 4; Erwägungsgrund 20 der Richtlinie (EU) 2021/2118.
Mag. Lilly Plath ist Universitätsassistentin für Unternehmensrecht am Fachbereich Arbeits- und Wirtschaftsrecht der Universität Salzburg.
Versicherungsunternehmen sowie die Entschädigungsstelle des Staates, in dem es seinen Sitz hat, über geltend gemachte Ansprüche durch Geschädigte (§ 5 Abs 4 VOEG neue Fassung). Umgekehrt muss das Versicherungsunternehmen nach § 5 Abs 5 VOEG neue Fassung anzeigen, wenn es Entschädigung leistet oder die Eintrittspflicht bestreitet.
In § 5 Abs 6 bis 8 VOEG neue Fassung wird der Fachverband verpflichtet, dem Geschädigten binnen drei Monaten ab Antragstellung eine Rückmeldung zu liefern. Diese kann entweder ein mit Gründen versehenes Schadenersatzangebot sein (bei unbestrittener Entschädigungspflicht) oder eine mit Gründen versehene Antwort auf die im Antrag geltend gemachten Punkte. Die Auszahlung hat wiederum binnen drei Monaten zu erfolgen. Hier zeigt sich die Erwägung der Europäischen Kommission, der Geschädigte solle sein Anliegen innerhalb einer angemessenen Frist bearbeitet bekommen.10 Schließlich regelt § 5 Abs 9 VOEG neue Fassung eine Befugnis des Fachverbands zur Zusammenarbeit (hier: Austausch von Informationen)11 mit den Entschädigungsstellen der EWR-Staaten, betroffenen Versicherungsunternehmen, Behörden und anderen interessierten Parteien.
Das Pendant zu § 5 VOEG neue Fassung ist der neue § 8a VOEG, in welchem der Gesetzgeber die Entschädigungspflicht bei Auslandsunfällen regelt. Mit der neuen Bestimmung wird klargestellt, dass die Entschädigungspflicht nach § 8 VOEG auch im Falle der Insolvenz oder Liquidation des Versicherungsunternehmens besteht. Der Fachverband als Entschädigungsstelle im Sinne des § 8a Abs 1 VOEG neue Fassung hat Entschädigung an Personen mit inländischem Wohnsitz in einem Staat, der Teil des Systems der Grünen Karte ist, zu leisten. Das verursachende Fahrzeug muss seinen Standort und auch dessen Versicherer muss seinen Sitz in einem EWR-Vertragsstaat haben. Die Entschädigungspflicht besteht ab dem Zeitpunkt, in dem ein Insolvenzverfahren oder ein Liquidationsverfahren im Sinne des Art 268 Abs 1 lit d der Richtlinie 2009/138/EG eröffnet wurde. Im Übrigen erklärt § 8a Abs 2 VOEG neue Fassung die Vorgaben des § 5 Abs 2 bis 9 VOEG neue Fassung für anwendbar,12 wobei § 5 Abs 3 und 9 VOEG neue Fassung sich in diesem Zusammenhang auch auf die in Art 24 der Richtlinie 2009/103/EG genannten Entschädigungsstellen bezieht.
1.3.Fahrzeugbegriff und Ausnahmen
Durch § 6 VOEG neue Fassung wird die Entschädigungspflicht bei nicht versicherungspflichtigen Fahrzeugen in neuem Umfang abgesteckt:
Einerseits werden nun Fälle erfasst, in denen der Schaden durch ein nicht versicherungspflichtiges Fahrzeug im Sinne des KFG verursacht wurde (§ 6 Abs 1 Z 1 VOEG neue Fassung) oder durch ein Fahrzeug, welches seinen gewöhnlichen Standort in einem anderen EWR-Vertragsstaat hat und nach Art 5 der Richtlinie 2009/103/EG nicht versicherungspflichtig ist (§ 6 Abs 1 Z 2 VOEG neue Fassung).
Andererseits wird ein neuer Fahrzeugbegriff für den Zweck des VOEG eingeführt. Dieser ist in § 6 Abs 2 VOEG neue Fassung normiert und bezeichnet als Fahrzeug „jedes Kraftfahrzeug, das ausschließlich maschinell an Land angetrieben wird, jedoch nicht auf Schienen fährt, mit a) einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von mehr als 25 km/h oder b) einem maximalen Nettogewicht von mehr als 25 kg und einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von mehr als 14 km/h“ (Z 1 leg cit) sowie Anhänger, welche mit einem Fahrzeug nach Z 1 leg cit verwendet werden,
10 Erwägungsgrund 20 der Richtlinie (EU) 2021/2118.
11 Erwägungsgrund 22 der Richtlinie (EU) 2021/2118.
12 ErlRV 2198 BlgNR 27. GP, 4.
unabhängig davon, ob dieser an- oder abgekuppelt ist (Z 2 leg cit). Davon ausgenommen sind jedoch Rollstühle, die ausschließlich für den Gebrauch durch Menschen mit körperlichen Behinderungen bestimmt sind. Ausdrücklich klargestellt wird, dass Fahrzeuge im Sinne des § 1 Abs 2a KFG (E-Bikes) auch als Fahrzeuge im Sinne des § 6 Abs 2 VOEG neue Fassung gelten. Der Gesetzgeber hat hier bewusst die Entschädigungspflicht des Fachverbands beibehalten, obwohl dies nach der Richtlinie nicht angedacht war.13
Erwähnenswert ist an dieser Stelle, dass sich gegenüber der alten Rechtslage nun eine mögliche Lücke eröffnet hat: Durch die Definition des Fahrzeugs fallen nun Schäden, welche durch nicht versicherungspflichtige Fahrzeuge nach § 1 Abs 2 lit a KFG (Bauartgeschwindigkeit nicht höher als 10 km/h) verursacht wurden, aus der Entschädigungspflicht heraus. Der Gesetzgeber sieht aber keine Einschränkung des Verkehrsopferschutzes, „da in der Praxis ... kein Fall denkbar ist, in dem die Entschädigungspflicht des Fachverbands ... ausgelöst würde“. Aus den Erläuterungen geht jedoch hervor, dass etwa ein Rasenmähertraktor in diese Lücke fiele und daher keine Entschädigungspflicht des Fachverbands vorliegen würde.14 Abweichend von dieser Einschätzung kommt Kath zum Ergebnis, dass genau jene Fälle, in denen etwa ein Traktor eben nicht als Beförderungsmittel, sondern als Arbeitsgerät verwendet wird, in den Ausnahmetatbestand des § 6 Abs 4 Z 1 VOEG neue Fassung fallen.15
§ 6 Abs 2 VOEG alte Fassung wurde unverändert als § 6 Abs 3 VOEG neue Fassung übernommen.
Neue Ausnahmen hat der Gesetzgeber im ergänzten § 6 Abs 4 VOEG – wie von der Richtlinie (EU) 2021/2118 vorgegeben –vorgesehen.16 In § 6 Abs 4 Z 1 VOEG neue Fassung wird nunmehr der Begriff „Verwendung“ legal definiert. Auch Fahrzeuge im Rahmen von Motorsportveranstaltungen und -aktivitäten, welche in einem „abgegrenzten Gebiet mit Zugangsbeschränkungen“ stattfinden und für die eine eigene Garantie oder Versicherung abgeschlossen wurde, sind vom Anwendungsbereich ausgenommen (§ 6 Abs 4 Z 2 VOEG neue Fassung). Schäden durch Fahrzeuge im Sinne des § 1 Abs 2 lit b KFG (wie etwa Arbeitsmaschinen oder Sonderkraftfahrzeuge) sind nach § 6 Abs 4 Z 3 VOEG neue Fassung ebenfalls ausgenommen. Schließlich normiert § 6 Abs 4 Z 4 VOEG neue Fassung eine Ausnahme für nicht versicherungspflichtige Fahrzeuge gewisser Gebietskörperschaften sowie Verkehrsunternehmen im Bundeseigentum (§ 59 Abs 2 KFG).
Ebenfalls eingeführt wird nun eine Entschädigungspflicht des Fachverbands für Schäden durch ein Fahrzeug, dessen Versicherungsvertrag aufgrund der Hinterlegung von Kennzeichen und Zulassung ruhend gestellt wurde (§ 4 Abs 1 Z 5 VOEG neue Fassung).17
1.4.Übergang, Finanzierung und Erstattung der Entschädigungsleistung
Nach § 13 VOEG neue Fassung wird der Übergang von Ersatzansprüchen des Geschädigten auf den Fachverband nun nach §16a Abs 4 VOEG neue Fassung geregelt. Dadurch wird eine Übereinstimmung mit den Vorgaben der Richtlinie erreicht. §16a Abs 4 VOEG neue Fassung normiert den Übergang des Anspruchs auf den Fachverband, so dieser selbst geleistet hat.
13 ErlRV 2198 BlgNR 27. GP, 4; Erwägungsgrund 6 der Richtlinie (EU) 2021/2118.
14 ErlRV 2198 BlgNR 27. GP, 4.
15 Siehe in diesem Heft Kath, ZVers 2024, 17 ff.
16 Siehe im Einzelnen in diesem Heft Kath, ZVers 2024, 17 ff.
17 Siehe auch dazu in diesem Heft Kath, ZVers 2024, 17 ff.
Das
Ausgenommen ist hiervon der Anspruch des Geschädigten gegenüber dem Versicherungsnehmer (sowie mitversicherten unfallverursachenden Personen), sofern dessen Haftung vom insolventen Versicherungsunternehmen gedeckt wäre. Das heißt, ein Übergang erfolgt nur für solche Ansprüche gegen den Versicherungsnehmer, die vom Versicherungsunternehmen nicht gedeckt wären.18
Die Finanzierung der Entschädigungsleistungen, die der Fachverband zu leisten hat, ist in § 14 VOEG neue Fassung geregelt. Dieser normiert in Abs 1, dass dem Fachverband die Entschädigungsleistungen (inklusive des Verwaltungsaufwands) von jenen Haftpflichtversicherern, welche im Inland tätig werden, zu ersetzen sind.19 Dabei ist der Ersatz durch die Versicherer anteilig im Verhältnis zum gesamten Prämienaufkommen zu berechnen. Es besteht jedenfalls auch die Möglichkeit, einen Mindestbeitrag von 0,5 % der Aufwendungen vorzuschreiben. Dies trägt der bereits gelebten Praxis Rechnung.20 Soweit der Fachverband Leistungen nach §§ 5 und 8a VOEG neue Fassung erbracht oder erstattet hat, sind gemäß § 14 Abs 2 VOEG neue Fassung nur im Inland zugelassene Versicherer ersatzpflichtig.21
Die Erstattung zwischen den einzelnen Entschädigungsstellen der EWR-Vertragsstaaten wird in § 16a VOEG neue Fassung geregelt. Dabei hat die Entschädigungsstelle, in deren Staat der Haftpflichtversicherer seinen Sitz hat, derjenigen Entschädigungsstelle, welche die Entschädigung an den Geschädigten gezahlt hat, den geleisteten Betrag zu erstatten (§ 16a Abs 1 und 2 VOEG neue Fassung). Diese Zahlungen sollen gemäß § 16a Abs3 VOEG neue Fassung grundsätzlich innerhalb von sechs Monaten erfolgen. Der Übergang der Ansprüche mit Leistung der Erstattung ist in § 16a Abs 4 VOEG neue Fassung geregelt. In § 16a Abs 5 VOEG neue Fassung wird für weitere Verfahrensbestimmungen auf die Vereinbarung bzw den delegierten Rechtsakt gemäß Art 10a Abs 13 und Art 25a Abs 13 der Richtlinie 2009/103/EG verwiesen.
2.Versicherung
2.1.Vorbemerkung
Im versicherungsrechtlichen Bereich werden durch das KraftVerÄG 2023 sowohl das KHVG als auch das VAG 2016 geändert.
2.2.KHVG
In § 4 Abs 1 Z 4 KHVG neue Fassung wird der Ausschlusstatbestand der Verwendung „als ortsgebundene Kraftquelle oder zu ähnlichen Zwecken“ dahin gehend abgeändert, als er nunmehr mit dem (neuen) Verwendungsbegriff im VOEG harmoniert. So können nun Ersatzansprüche ausgeschlossen werden, wenn das Fahrzeug im Unfallzeitpunkt nicht gemäß seiner Verwendung als Beförderungsmittel gebraucht wurde, unabhängig von Merkmalen des Fahrzeugs, Gelände und davon, ob es sich in Bewegung befindet oder nicht.22
Im neu angefügten § 8 Abs 3 KHVG werden Informationspflichten des Versicherers des Anhängers bei einem Unfall normiert. Diese bestehen darin, den Geschädigten auf dessen Antrag hin über die Identität des Versicherers des Zugfahrzeugs oder –falls dieser nicht ermittelbar ist – über den Entschädigungsmechanismus nach § 4 VOEG zu unterrichten.23
18 ErlRV 2198 BlgNR 27. GP, 6.
19 Siehe auch Erwägungsgrund 25 der Richtlinie (EU) 2021/2118.
20 ErlRV 2198 BlgNR 27. GP, 6.
21 ErlRV 2198 BlgNR 27. GP, 6.
22 Siehe im Einzelnen in diesem Heft Kath, ZVers 2024, 17 ff.
23 Siehe in diesem Heft Kath, ZVers 2024, 17 ff.
Ein neuer Modus für die Anpassung der Mindestdeckungssummen wird im neuen § 9 Abs 7 KHVG festgelegt. So hat die BMJ nunmehr per Verordnung die Mindestdeckungssummen an jene Beträge, welche in den gemäß Art 9 der Richtlinie 2009/ 103/EG erlassenen delegierten Rechtsakten der Europäischen Kommission festgelegt werden, anzupassen. Die Europäische Kommission prüft die Mindestdeckungssummen alle fünf Jahre anhand des Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) und passt die Beträge mittels delegierten Rechtsaktes an.24 Darüber hinaus enthält § 9 Abs 7 KHVG neue Fassung eine Ermächtigung an die BMJ, auch jene Beträge, welche nicht unmittelbar durch delegierten Rechtsakt angepasst werden, im Verhältnis zu den übrigen Deckungssummen entsprechend anzupassen. Ebenfalls im Ausmaß der Änderung der übrigen Beträge kann die BMJ die Haftungshöchstbeträge in §§ 15 und 16 EKHG, § 49 GWG 2011, §§ 7a und 7b Reichshaftpflichtgesetz sowie § 11 Rohrleitungsgesetz anpassen.
In § 16 KHVG neue Fassung wird die Schadensverlaufsbescheinigung vereinheitlicht. Dies geschieht vorrangig durch ein Muster, welches mittels Durchführungsrechtsaktes von der Europäischen Kommission festgelegt wird25 und von den Versicherern gemäß Abs 1 leg cit verwendet werden muss. Diese Maßnahme soll maßgeblich zu einer Vereinfachung der Verwendung im grenzüberscheitenden Kontext beitragen.26 Es werden außerdem in Abs 2 und 3 leg cit ein Diskriminierungsverbot aufgrund der Staatsangehörigkeit oder des (früheren) Wohnsitzmitgliedstaates sowie ein Gleichbehandlungsgebot ausländischer Schadensverlaufsbescheinigungen mitaufgenommen. Zuletzt regelt Abs 4 leg cit eine Offenlegungspflicht der Berücksichtigung der Schadensverlaufsbescheinigungen bei der Berechnung der Prämien.
Einen weiteren Schritt, um Versicherungsnehmer in der raschen Durchsetzung ihrer Ansprüche zu unterstützen, setzt der neue § 29a Abs 1a KHVG. Aufgrund der vermehrten Wahrnehmung von Verzögerungen bei der Schadensabwicklung sieht der Gesetzgeber nun eine gesetzlich festgelegte Pflicht des Versicherers vor, Erhebungen zur Feststellung der Ersatzpflicht „zügig voranzutreiben“ sowie nötige Unterlagen „ohne unnötigen Aufschub“ einzufordern. Ein Zuwarten von mehreren Tagen vor Setzen des nächsten Bearbeitungsschritts sei nicht zulässig; generell sei von einer Abwicklung innerhalb von 14 Tagen auszugehen. Die Bestimmung soll den Geschädigten bei der Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen gegen den Versicherer unterstützen und ist dementsprechend als Schutzgesetz ausgestaltet, wodurch die Beweislastumkehr gemäß § 1298 ABGB ausgelöst wird.27 § 31b Abs 4 KHVG neue Fassung trägt dem Auskunftsbedürfnis eines durch ein Fahrzeug aus dem EWR Geschädigten Rechnung. Die neue Bestimmung soll jene Fälle abdecken, in denen ein Fahrzeug gemäß § 5 Z 20 lit a sublit bb VAG 2016 neue Fassung überführt wird. Konkret wird die Zusammenarbeit der verschiedenen beteiligten Stellen geregelt,28 um sicherzustellen, dass der Geschädigte alle Informationen gemäß § 31b Abs 1 KHVG erhält.
Das VAG 2016 wird dahin gehend abgeändert, als weiter reichende Informationspflichten eingeführt werden. Außerdem wird
24 ErlRV 2198 BlgNR 27. GP, 7.
25 Der Durchführungsrechtsakt ist derzeit in Vorbereitung; siehe https://web gate.ec.europa.eu/regdel/#/implementingActs/7408?lang=de.
26 ErlRV 2198 BlgNR 27. GP, 7.
27 ErlRV 2198 BlgNR 27. GP, 8.
28 ErlRV 2198 BlgNR 27. GP, 8.
die Definition der Risikobelegenheit in § 5 Z 20 lit a sublit bb VAG 2016 neue Fassung angepasst. Grundsätzlich ist nach Art 13 Z 13 lit b der Richtlinie 2009/138/EG der Zulassungsmitgliedstaat der Ort der Risikobelegenheit. Bei Überführung des Fahrzeugs in einen Mitgliedstaat gibt es nun zwei Anknüpfungspunkte: „entsprechend der Wahl der für die Haftpflichtversicherung verantwortlichen Person“ 29 der Zulassungsmitgliedstaat oder ab dem Zeitpunkt der Lieferung, Bereitstellung oder Versendung während eines Zeitraums von höchstens 30 Tagen der Bestimmungsmitgliedstaat. Die Bedeutung dieser neu eingefügten Wendung erschließt sich nicht sofort.30 Mittels Vergleichs mit der (geplanten) deutschen Umsetzung lässt sich aber herauslesen, dass es sich schlicht um den Zulassungsmitgliedstaat handeln muss, falls das Fahrzeug bereits zugelassen ist.31 § 306 Abs 1a sowie § 309 Abs 5 VAG 2016 neue Fassung normieren eine Benachrichtigungspflicht der FMA gemäß § 2 VOEG gegenüber dem Fachverband, wenn ein Versicherungsunternehmen, welches ein zugelassener Kfz-Haftpflichtversicherer ist, aufgelöst wird oder über dieses ein Konkursverfahren eröffnet wurde. Diese Informationspflicht soll dazu beitragen, den Fachverband zeitnah über solche Fälle in Kenntnis zu setzen, sodass dieser seinen Pflichten nach dem VOEG nachkommen kann.32
3.Übriges
3.1.Vorbemerkung
Schließlich hat der Gesetzgeber im KFG Begrifflichkeiten angepasst und in der StVO eine Haftpflichtversicherung als Bewilligungsvoraussetzung gewisser Veranstaltungen normiert.
3.2.KFG
Das KFG wird lediglich sprachlich an die aktuelle Rechtslage angepasst. So wurde die Richtlinie 72/166/EWG33 durch die Richtlinie 2009/103/EG ersetzt; dies wird nun auch im neuen Text des § 62 Abs 1 KFG nachvollzogen.
3.3.StVO
Die StVO wird dahin gehend geändert, dass § 64 StVO ein neuer Abs 3a hinzugefügt wird. Dieser bestimmt eine Bewilligungs-
29 Diese Formulierung ist ident mit jener in Art 15 Abs 1 der Richtlinie (EU) 2021/2118.
30 Auch die Erläuterungen verweisen lediglich auf den Wortlaut der Richtlinie; vgl ErlRV 2198 BlgNR 27. GP, 9.
31 Vgl § 57 Abs 4 deutsches VAG in der Fassung BT-Drucksache 20/8094, S39, online abrufbar unter https: //dserver.bundestag.de/btd/20/080/ 2008094.pdf: „Abweichend von Absatz 3 Satz 2 Nummer 2 ist bei einem Fahrzeug, das von einem Mitglied- oder Vertragsstaat in einen anderen überführt wird, entsprechend der Wahl der für die Haftpflichtversicherung verantwortlichen Person folgender Staat als der Mitglied- oder Vertragsstaat anzusehen, in dem das Risiko belegen ist: 1. der Zulassungsstaat oder 2. unmittelbar nach der Abnahme des Fahrzeugs durch den Käufer während eines Zeitraums von 30 Tagen der Bestimmungsmitglied- oder Bestimmungsvertragsstaat.
Satz 1 Nummer 2 gilt auch dann, wenn das Fahrzeug im Bestimmungsmitgliedoder Bestimmungsvertragsstaat nicht offiziell zugelassen wurde.“
32 ErlRV 2198 BlgNR 27. GP, 8 f.
33 Richtlinie 72/166/EWG des Rates vom 24. 4. 1972 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und der Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht, ABl L 103 vom 2. 5. 1972, S 1.
pflicht für „kraftfahrsportliche Veranstaltungen“, die auf Straßen mit öffentlichem Verkehr durchgeführt werden. Wird die Straße für den gesamten übrigen Verkehr gesperrt, ist die Bewilligung nur zu erteilen, wenn eine Haftpflichtversicherung im Sinne des § 64 Abs 2 StVO abgeschlossen wurde. Der Hintergrund dieser Änderung ist die EU-rechtliche Vorgabe, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen müssen, dass für solche Veranstaltungen eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen ist (Art 3 der Richtlinie [EU] 2009/103/EG). Durch die Haftpflichtversicherung als Bewilligungsvoraussetzung soll eine effiziente behördliche Abwicklung sichergestellt werden.34
4.Inkrafttreten, Geltungsbereich und Übergangsbestimmungen
Allgemein gilt, dass die neuen Bestimmungen mit 23. 12. 2023 in Kraft getreten sind (§ 19 Abs 6 VOEG neue Fassung; § 34b Abs 5 KHVG neue Fassung; § 135 Abs 45 KFG neue Fassung; §341 Abs 5 VAG 2016 neue Fassung; § 103 Abs 27 StVO neue Fassung). Im Einzelnen wird die neue Rechtslage auf Sachverhalte, welche sich nach dem 22. 12. 2023 ereignen, für anwendbar erklärt (§ 19 Abs 6 Z 1 bis 4 VOEG neue Fassung; § 34b Abs5 KHVG neue Fassung).
Auf den Punkt gebracht
Durch die Umsetzung der EU-rechtlichen Vorgaben der Richtlinie (EU) 2021/2118 wird vor allem der Schutz für durch Verkehrsunfälle Geschädigte im Falle der Insolvenz bzw Zahlungsunfähigkeit des Versicherungsunternehmens gestärkt. So werden ausführliche Regelungen zur Ersatzleistungspflicht, zum Verfahrensablauf und zu Fristen festgelegt. Außerdem fallen Schäden durch Fahrzeuge, deren Versicherungsvertrag durch Hinterlegung der Kennzeichentafel ruhend gestellt ist, nun auch in den Anwendungsbereich des VOEG. Darüber hinaus werden ein Fahrzeugbegriff sowie ein (negativer) Verwendungsbegriff eingeführt.
Weitere Änderungen ergeben sich im KHVG, welche einerseits einen Gleichlauf mit dem Verwendungsbegriff im VOEG herstellen und andererseits einheitliche Schadensverlaufsbescheinigungen bestimmen. Darüber hinaus wird nun eine Informationspflicht bei Unfällen mit Anhängern normiert. Ebenfalls geändert wird die Form der Anpassung der Mindestdeckungssummen; diese werden nun per Verordnung von der BMJ erlassen.
Die Risikobelegenheit von Fahrzeugen, welche in einen anderen Mitgliedstaat verbracht werden, wurde im VAG 2016 an die neue Rechtslage angepasst; ebenso die Informationspflichten der FMA nach dem VOEG.
Im KFG werden schließlich Begrifflichkeiten aktualisiert, während in der StVO eine Haftpflichtversicherung als Voraussetzung für die Bewilligung von kraftfahrsportlichen Veranstaltungen normiert wird.
34 ErlRV 2198 BlgNR 27. GP, 9.
Walter Kath
Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit einzelnen Aspekten des vom Nationalrat am 18. 10. 2023 angenommenen KraftVerÄG 2023.1 Dieses Artikelgesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2021/2118,2 die zur Änderung der Richtlinie 2009/103/EG3 erlassen worden war, beruht auf einem ursprünglichen Ministerialentwurf des BMJ vom Juni 20234 sowie einer – manche Stellungnahmen im Rahmen des anschließenden Begutachtungsverfahrens aufgreifenden –Regierungsvorlage vom September 2023.5 Neben Änderungen des VOEG und des KHVG werden damit auch (weniger tiefgreifende) Änderungen bzw Ergänzungen des KFG, des VAG 2016 sowie der StVO vorgenommen. Lediglich solche Änderungen der Rechtslage stehen hier im Fokus, die aus Sicht des Autors näherer Erläuterung bedürfen, sei es, dass deren Regelungsgehalt nicht unumstritten erscheint, sei es, dass die Abweichungen der neuen von der bisherigen Rechtslage eingehendere Beleuchtung verdienen, um daraus resultierende praktische Konsequenzen zu verdeutlichen. Einen allgemeinen Gesamtüberblick über das KraftVerÄG 2023 bietet der Beitrag vom Plath in diesem Heft.6
1.Der Verwendungsbegriff und der damit korrespondierende Ausschlusstatbestand des § 4 Abs 1 Z 4 KHVG neue Fassung Anders als dem österreichischen Kraftfahrrecht (§2 Abs 1 KHVG) mangelte dem Gemeinschaftsrecht bislang ein wirklich tauglicher und vor allem eindeutiger Anknüpfungspunkt für die so wesentliche Versicherungspflicht und die nicht weniger bedeutsame Entschädigungspflicht gegenüber Verkehrsopfern durch andere Organisationen als jene der Kfz-Haftpflichtversicherer. Noch die sechste, alle früheren gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien zum Kfz-Haftpflichtversicherungsrecht kodifizierende Richtlinie 2009/103/EG sah – zumindest in der deutschen Sprachfassung – in ihrer zentralen Regelung über die Versicherungspflicht (Art 3 der Richtlinie 2009/103/EG alte Fassung) eine Sicherstellungspflicht der Mitgliedstaten bezüglich des obligaten Abschlusses einer Kfz-Haftpflichtver-
1 Kraftfahr-Versicherungsrechts-Änderungsgesetz 2023, BGBl I 2023/129.
2 Richtlinie (EU) 2021/2118 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. 11. 2021 zur Änderung der Richtlinie 2009/103/EG über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht, ABl L 430 vom 2. 12. 2021, S 1.
3 Richtlinie 2009/103/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 9. 2009 über die KraftfahrzeugHaftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht, ABl L 263 vom 7. 10. 2009, S 11. Zitate der Richtlinie 2009/103/EG in diesem Betrag beziehen sich – soweit nicht anders angegeben –auf die aktuelle, sich aus der Richtlinie (EU) 2021/2118 ergebende Fassung.
4 278/ME 27. GP, online abrufbar unter https://www.par lament.gv.at/gegenstand/XXVII/ME/278.
5 RV 2198 BlgNR 27. GP.
6 Plath , Das Kraftfahr-Versicherungsrechts-Änderungsgesetz 2023, ZVers 2024, 13.
sicherung lediglich für eine „Haftpflicht bei Fahrzeugen “ 7 vor 8 – ein sehr schwammig formulierter Anwendungsbereich ohne klar erkennbare Konturen und Begrenzungen.9 Die daraus resultierenden Unwägbarkeiten wurden durch einen nicht weniger generalisierenden Begriff des „Fahrzeugs“ noch zusätzlich befeuert: „jedes maschinell angetriebene Kraftfahrzeug, welches zum Verkehr zu Lande bestimmt und nicht an Gleise gebunden ist, sowie die Anhänger, auch wenn sie nicht angekuppelt sind“ (Art 1 Z 1 der Richtlinie 2009/103/EG alte Fassung). Daraus konnte durchaus der Eindruck entstehen, jeder noch so ausgerissene Schädigungssachverhalt unter noch so zufälliger Beteiligung eines Kraftfahrzeugs falle in den Deckungsbereich einer (verpflichtend abzuschließenden) Kfz-Haftpflichtversicherung.10 Freilich ergaben sich aus Art12 und insbesondere Art 13 der Richtlinie 2009/103/EG alte Fassung (kraft des darin statuierten Verbots spezieller Ausschlussklauseln) doch zarte Hinweise auf eine zulässige (wenn mit dem
7 Hervorhebung durch den Verfasser.
8 Wobei dies auch an den unterschiedlichen Sprachfassung der Richtlinie gelegen sein mag; siehe dazu näher Loacker, Die Haftpflichtversicherung vor dem EuGH, ZVers 2020, 106 (108).
9 Auch Art 19 der Richtlinie 2009/103/EG alte Fassung führte dies fort, wenn darin das Verfahren zur „Regulierung von Ansprüchen aus al len Unfällen, die durch ein durch die Versicherung nach Artikel 3 gedecktes Fahrzeug verursacht wurden“, angesprochen wird. Auch erfolgt kein näheres Eingehen auf die Rolle, die ein Fahrzeug spielen muss, um damit einhergehende Schäden der Kfz-Haftpflichtversicherung zuzuordnen.
10 Lediglich Art 12 Abs 1 der Richtlinie 2009/103/EG alte Fassung sah bezüglich der darin geregelten Personenschäden präzisierend vor, dass diese aus der „Nutzung eines Fahrzeugs resultieren“ (Hervorhebung durch den Verfasser) müssen.
Ausgewählte Aspekte der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2021/2118 in das österreichische Recht
Zweck der Richtlinie vereinbare) Begrenzung des Deckungsbereichs der obligaten Kfz-Haftpflichtversicherung.11
Dieser alles andere als prägnante Rechtsrahmen erklärt die im Laufe der Jahre rasch gestiegene Anzahl einschlägiger Urteile des EuGH zum verpflichtenden Anwendungsbereich der Kfz-Haftpflichtversicherung. Und nicht zufällig war es gerade diese Judikaturlinie des EuGH,12 die für die nunmehrige, längst überfällige Statuierung eines Verwendungsbegriffs im Unionsrecht unmittelbar Pate stand.
Einerseits wurde auf Unionsebene nämlich nun festgelegt, die Mitgliedstaaten hätten sicherzustellen, dass die Haftpflicht für die „Verwendung“ eines Fahrzeugs durch eine Versicherung gedeckt sei (Art 3 Abs 1 der Richtlinie 2009/103/EG); andererseits wurde die(se) Verwendung als „jede Verwendung eines Fahrzeugs, die seiner Funktion als Beförderungsmittel zum Zeitpunkt des Unfalls entspricht, unabhängig von den Merkmalen des Fahrzeugs und unabhängig von dem Gelände, auf dem das Kraftfahrzeug verwendet wird, und der Tatsache, ob es sich in Bewegung befindet oder nicht“, definiert (Art 1 Z 1a der Richtlinie 2009/103/EG) – eine Legaldefinition, die unmittelbar auf einschlägigen Urteilen des EuGH gründet.13 Damit geht aber auch eine Einschränkung des Anwendungsbereichs der Richtlinie 2009/103/EG durch die nunmehrige Anknüpfung des ursprünglich so umfassenden Fahrzeugbegriffs an Geschwindigkeits- und Gewichtskriterien (Art 1 Z 1 der Richtlinie 2009/103/EG) einher.14
Die Genugtuung darüber, dass der Unionsgesetzgeber dem österreichischen Gesetzgeber gefolgt ist und nun gleichfalls den Anwendungsbereich der Rechtsvorschriften über die Kfz-Haftpflichtversicherung an eine „Verwendung“ des Kraftfahrzeugs bzw des Anhängers knüpft, darf indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich dabei um einen autonomen Begriff des Gemeinschaftsrechts handelt, bei dessen Auslegung nicht einfach auf die nationale Begriffsbedeutung zurückgegriffen werden darf. Richtigerweise muss man Letzteres freilich in den Konjunktiv setzen, zumal dem OGH auch bisher klar sein musste, dass er sich bei seiner Judikatur zum (österreichischen) Verwendungsbegriff in §2 KHVG an der Rechtsprechung des EuGH zum Anwendungsbereich der Richtlinie 2009/103/EG orientieren müsse.15
Bemerkenswert am nunmehrigen unionsrechtlichen Verwendungsbegriff ist aus österreichischer Sicht vor allem der Umstand, dass der österreichische Gesetzgeber davon absah, die unionsrechtliche Begriffsbestimmung ins österreichische Recht zu transferieren, nämlich etwa in § 2 KHVG zu verankern. Vielmehr entschloss er sich dazu, den bisherigen (möglichen) Ausschlusstatbestand einer „Verwendung des versicherten Fahrzeuges als ortsgebundene Kraftquelle oder zu ähnlichen Zwecken“ in § 4 Abs 1 Z 4 KHVG aufzuheben und durch eine spiegelbildliche Umkehrung des neuen unionsrechtlichen Verwendungsbegriffs zu ersetzen. Nunmehr werden also „Ersatzansprüche aus der Verwendung des versicherten Fahrzeugs, wenn diese Verwendung im Unfallzeitpunkt nicht seiner Funktion als Beförderungsmittel entspricht, unabhängig
11 Siehe dazu instruktiv Kapetanovic, Der Kfz-Haftpflichtversicherungsvertrag (2023) 82.
12 Siehe dazu näher Dokalik/Mokrejs-Weinhappel, Kfz-Haftpflicht und Versicherungspflicht, ZVers 2019, 126; Loacker, ZVers 2020, 108.
13 Erwägungsgrund 5 der Richtlinie (EU) 2021/2118 führt diesbezüglich die EuGH-Urteile vom 4. 9. 2014, Rs C-162/13, Vnuk , vom 28. 11. 2017, RsC-514/16, Rodrigues de Andrade, und vom 20. 12. 2017, Rs C-334/16, Núñez Torreiro
14 Siehe auch Kapetanovic, Kfz-Haftpflichtversicherungsvertrag, 108 f; in diesem Heft Plath, ZVers 2024, 13 ff.
15 Was auch tatsächlich der Fall war; si ehe etwa die explizite Bezugnahme auf den EuGH in OGH 21. 10. 2021, 2 Ob 170/20v; dies ebenfalls herausstreichend Kath , Abgrenzung zwischen Kfz-Haftpflichtversicherung und allgemeiner Haftpflichtversicherung, ZVers 2022, 198 (199).
von den Merkmalen des Fahrzeugs und unabhängig von dem Gelände, auf dem das Fahrzeug verwendet wird, und der Tatsache, ob es sich in Bewegung befindet oder nicht“, 16 als zulässiger, also möglicher Ausschlusstatbestand statuiert (§ 4 Abs 1 Z 4 KHVG neue Fassung).
Abgesehen davon, dass es rein logisch betrachtet mehr Sinn gemacht hätte, die Richtlinie diesbezüglich unmittelbar (und nicht bloß mittels spielbildlicher Umkehrung) umzusetzen, bringt die österreichische Vorgangsweise auch eine Schlechterstellung für die Versicherer im Vergleich zur Richtlinie selbst mit sich: Die Einfügung in die Ausschlusstatbestände des § 4 KHVG bedeutet ja mitnichten, dass dieser Ausschlusstatbestand in KfzHaftpflichtversicherungsverträgen nun von Gesetzes wegen gälte; vielmehr bedarf es erst einer vertraglichen Vereinbarung des Ausschlusstatbestands zwischen den Parteien des Versicherungsvertrages. Damit geht auch eine mögliche Umkehr der Beweislast zulasten des Versicherers einher.17
Gegenüber dem bisherigen Ausschlusstatbestand werden sich allerdings kaum nennenswerte Änderungen ergeben: Schon bislang ging der OGH bei Auslegung des Begriff „ortsgebundene Kraftquelle“ ja keineswegs allein vom Kriterium einer Blockierung der Fahrbarkeit (etwa durch Ausfahren von Stützen) aus, sondern forderte zusätzlich, dass das Fahrzeug auf artfremde, mit den typischen Funktionen des Fahrzeugs in keinem Zusammenhang stehende Weise eingesetzt werde.18 Genau dies läuft aber wiederum auf eine Verwendung hinaus, die nicht der Funktion des Fahrzeugs als Beförderungsmittel entspricht, wie zB bei einem Traktor, dessen Hauptfunktion im Zeitpunkt des Eintritts dieses Unfalls nicht darin bestand, als Transportmittel zu dienen, sondern vielmehr darin, als Arbeitsmaschine die für den Betrieb einer Pumpe einer Spritzvorrichtung für Pflanzenschutzmittel erforderliche Antriebskraft zu erzeugen.19
Indes wäre die Entscheidung des österreichischen Gesetzgebers, den neuen unionsrechtlichen Verwendungsbegriff nicht explizit umzusetzen, grundsätzlich auch geeignet, bedenklichere Konsequenzen nach sich ziehen als die soeben angeführten. So mussten etwa auch Anforderungen bedacht werden, die sich daraus ergeben, dass dem Richtlinienwortlaut (und der Rechtsprechung des EuGH) zufolge eine Verwendung des Fahrzeugs – bei Erfüllung der sonstigen Kriterien – „unabhängig von dem Gelände, auf dem das Kraftfahrzeug verwendet wird“, vorliegen (und damit der Versicherungspflicht im Rahmen der obligaten Kfz-Haftpflichtversicherung unterliegen) soll. Dies bedeutet letztlich nichts anderes, als dass aus Sicht des Unionsrechts eine Versicherungspflicht grundsätzlich auch dann besteht, wenn das Fahrzeug nicht auf Straßen mit öffentlichem Verkehr verwendet wird, dass also auch dann der Verwendungstatbestand erfüllt ist. Demgegenüber sieht das bisherige und insofern auch durch das KraftVerÄG 2003 nicht abgeänderte österreichische Kraftfahrrecht eine Versicherungspflicht lediglich für Fahrzeuge und Anhänger vor, die auf Straßen mit öffentlichem Verkehr verwendet werden (§59 Abs 1 iVm § 1 Abs 1 KFG).
Zwar räumt die Richtlinie (EU) 2021/2118 im Gegenzug zu diesem umfassenden Verwendungsbegriff den Mitgliedstaaten explizit die Möglichkeit ein, bezüglich „Fahrzeugen, die ausschließlich in Gebieten eingesetzt werden, deren Zugang gemäß seinen nationalen Rechtsvorschriften eingeschränkt ist“ (Art 5 Abs 4
16 Hervorhebung durch den Verfasser.
17 Grundsätzlich trifft die Beweislast für einen der primären Risikobeschreibung entsprechenden Tatbestand den Versicherungsnehmer. Für die Verwirklichung eines sekundären Risikoausschlusses trifft hingegen den Versicherer die Beweislast; vgl OGH 21. 4. 2004, 7 Ob 301/03w.
18 RIS-Justiz RS0128780; RS0081698.
19 EuGH 28. 11. 2017, Rs C-514/16, Rodrigues de Andrade
Ausgewählte Aspekte der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2021/2118 in das österreichische Recht
der Richtlinie 2009/103/EG), und solchen, „die gemäß seinen nationalen Rechtsvorschriften nicht zur Verwendung auf öffentlichen Straßen zugelassen sind“ (Art 5 Abs 5 der Richtlinie 2009/103/ EG), von Art 3 der Richtlinie 2009/103/EG, also der darin statuierten Versicherungspflicht, abzuweichen. Bloß wird der erste der beiden angeführten Ausnahmetatbestände an die (an die Mitgliedstaaten gerichtete) Bedingung geknüpft, dass auf Schäden, die durch Verwendung dieser Fahrzeuge verursacht werden, das Entschädigungsregime des Art 10 der Richtlinie 2009/103/EG (Entschädigung durch den nationalen Garantiefonds für Fahrzeuge, bei denen einer bestehenden Versicherungspflicht nicht entsprochen wurde; in Österreich ist dies der Mechanismus der Entschädigung durch den Fachverband nach dem VOEG) Anwendung finden müsse. Hinsichtlich des zweiten Ausnahmetatbestands gilt dies im Grundsatz ebenfalls (Art 5 Abs 5 Satz 2 der Richtlinie 2009/103/EG); darüber hinaus werden hier die Mitgliedstaaten aber ermächtigt, solche durch dergestalt verwendete Fahrzeuge zugefügte Schäden, die „in Gebieten verursacht wurden, die aufgrund einer rechtlichen oder physischen Beschränkung des Zugangs zu diesen Gebieten gemäß den nationalen Rechtsvorschriften für die Öffentlichkeit nicht zugänglich sind“, auch von einer Entschädigungspflicht gemäß Art 10 der Richtlinie 2009/103/EG, in Österreich also von einer solchen des Fachverbands nach dem VOEG, auszunehmen (Art 5 Abs 6 der Richtlinie 2009/103/ EG). (Nur) unter dieser zusätzlichen Voraussetzung (nicht zugelassenes Fahrzeug und Gebiet mit Zugangsbeschränkung) soll es der Richtlinie zufolge also zulässig sein, entsprechende Schäden sowohl von der Versicherungspflicht als auch von der Entschädigungspflicht des Fachverbands auszunehmen.
Zusammenfassend zeigt sich also, dass es unter dem neuen Richtlinienregime nicht ohne Weiteres möglich ist, Fahrzeuge, die nur abseits von Straßen mit öffentlichem Verkehr verwendet werden, von der Versicherungspflicht bzw der Kfz-Haftpflichtversicherung auszunehmen.
Dies war indes auch dem österreichischen Gesetzgeber, der von einer Implementierung der nunmehrigen Verwendungsdefinition der Richtlinie absah, bewusst. Um den Erfordernissen der Richtlinie dennoch Genüge zu tun, wurde die bisherige taxative Aufzählung von Entschädigungspflichten des Fachverbands bei nicht versicherungspflichtigen Fahrzeugen, die (bloß) bestimmte, explizit angeführte Konstellationen umfasste, aufgegeben und durch eine Generalklausel ersetzt, die allgemein an solche Schäden anknüpft, die durch Fahrzeuge verursacht werden, welche nicht versicherungspflichtig im Sinne des KFG sind (§ 6 Abs 1 Z 1 VOEG neue Fassung). Die – grundsätzlich nach wie vor zulässige – Herauslösung von Fahrzeugen, die ausschließlich abseits von Straßen mit öffentlichem Verkehr verwendet werden, wurde also mit der (dafür erforderlichen) Entschädigungspflicht vonseiten des Fachverbands der Versicherungsunternehmen kompensiert.20
Die hier angesprochene Thematik bezieht sich im Übrigen allein auf jene Fahrzeuge, die ausschließlich abseits öffentlicher Verkehrsflächen verwendet werden. Für Fahrzeuge, die teils auf Straßen mit öffentlichem Verkehr, teils abseits derselben verwendet werden, besteht nämlich auch nach geltendem österreichi-
20 Diese Beurteilung gilt auch unter Berücksichtigung des Ausschlusstatbestands des § 6 Abs 4 Z 3 VOEG ne ue Fassung. Dieser macht von der durch Art 5 Abs 6 der Richtlinie 2009/103/EG eingeräumten Ermächtigung, Fahrzeuge, die nicht für die Verwendung auf öffentlichen Straßen zugelassen sind, dann (auch) von einer Entschädigungspflicht gemäß Art 10 der Richtlinie 2009/103/EG auszunehmen, wenn die Schadensverursachung in Gebieten erfolgt, die aufgrund einer rechtlichen oder physischen Zugangsbeschränkung für die Öffentlichkeit nicht zugänglich sind, nicht in vollem Maße Gebrauch. Der neue Ausschlusstatbestand des VOEG beschränkt sich für derartige Konstellationen nämlich bloß auf Schäden „zwischen in den Arbeitsbetrieb eingebundenen Personen“
schem Recht unzweifelhaft Versicherungspflicht. Für die Verwendung auf Straßen mit öffentlichem Verkehr bedürfen diese Fahrzeuge ja zwingend einer Zulassung (§ 36 lit a KFG) und des Bestands einer Kfz-Haftpflichtversicherung (§ 36 lit d KFG; ebenso § 37 Abs 2 lit b iVm § 44 Abs 1 lit c KFG). Diese Versicherung deckt dann aber auch die Verwendung des Fahrzeugs abseits besagter Verkehrsflächen. Das steht in Einklang mit den Richtlinienvorgaben, welche die oben angeführten Ausnahmemöglichkeiten des Art 5 Abs 4 und 5 der Richtlinie 2009/103/ EG an die ausschließliche Verwendung des Fahrzeugs auf den von diesen Bestimmungen genannten speziellen Verkehrsflächen knüpfen.
2.Motorsportveranstaltungen und -aktivitäten im Sinne der Richtlinie 2009/103/EG vs kraftfahrsportliche Veranstaltungen im Sinne des österreichischen Kraftfahr- und Kfz-Haftpflichtversicherungsrechts Dem Kfz-Haftpflichtversicherungsrecht auf Gemeinschaftsebene war ein expliziter Ausschlusstatbestand für Motorsportveranstaltungen bislang unbekannt. Dies konnte durchaus Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit nationaler Ausnahmeregelungen der Mitgliedstaaten für derartige Veranstaltungen bzw Wettbewerbe vom Deckungsbereich der Kfz-Haftpflichtversicherung erwecken, wie etwa jene des § 4 Abs 1 Z 5 KHVG alte Fassung, der zufolge Ersatzansprüche aus der Verwendung des Fahrzeugs „bei einer kraftfahrsportlichen Veranstaltung, bei der es auf die Erzielung einer Höchstgeschwindigkeit ankommt, oder ihren Trainingsfahrten“ vom Versicherungsschutz der Kfz-Haftpflichtversicherung ausgeschlossen werden dürfen.
Die auf Ebene des Unionsrechts schlussendlich für derartige Ereignisse erzielte Lösung21 besteht nun nicht darin, diese Veranstaltungen jedenfalls und zwingend in den obligaten Deckungsbereich der Kfz-Haftpflichtversicherung zu integrieren. Vielmehr lässt der Richtliniengeber – den besonderen risikotechnischen Gegebenheiten, die eine Sozialisierung derartiger Gefahren innerhalb des Kreises sämtlicher Kfz-Haftpflichtversicherter wenig angemessen und daher nicht wünschenswert erscheinen lassen, angemessen Rechnung tragend – unter bestimmten Voraussetzungen, die einen hinreichenden Geschädigtenschutz sicherstellen, eine Herausnahme derartiger Aktivitäten aus dem Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherung nunmehr explizit zu.
Eine vollkommene Sanktionierung des (lange geübten) österreichischen Weges also auch in dieser Hinsicht? Fast scheint es so; zumindest scheint die österreichische Legistik dies zunächst so aufgefasst zu haben: Nicht anders ist es zu erklären, dass der Ministerialentwurf von der Absicht geprägt war, den traditionellen Ausschlusstatbestand des § 4 Abs 1 Z 5 KHVG alte Fassung völlig unverändert fortzuschreiben. Erst eine genauere Befassung mit dem Richtlinienwortlaut und den einschlägigen Erwägungsgründen fördert(e) zutage, dass doch nicht unwesentliche Unterschiede zwischen dem neuen Richtlinien- und dem bisherigen österreichischen Gesetzesrecht bestehen.
Im Anschluss an Art 3 Abs 1 heißt es nämlich nun in der Richtlinie 2009/103/EG: „Diese Richtlinie gilt nicht für die Verwendung eines Fahrzeugs bei Motorsportveranstaltungen und -aktivitäten, einschließlich Rennen, Wettbewerben, Trainings, Tests und Demonstrationen in einem abgegrenzten Gebiet mit Zugangsbeschränkungen in einem Mitgliedstaat, wenn der Mitgliedstaat sicherstellt, dass der Veranstalter der Aktivität oder eine andere Partei
21 Zum unionsrechtlichen Gesetzgebungsverfahren näher Hoffer, Die Reform des EU-Haftpflichtversicherungsrec hts – Schwerpunkt Motorsport, ZVR 2019, 290.
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eine alternative Versicherung oder Garantie abgeschlossen hat, die den Schaden für Dritte, einschließlich Zuschauern und anderen Umstehenden, aber nicht notwendigerweise den Schaden für die teilnehmenden Fahrer und ihre Fahrzeuge abdeckt.“
Drei entscheidende Aspekte werden dabei von der Richtlinie adressiert:
■ Abhaltung der Veranstaltung in einem abgegrenzten Gebiet,
■ welches Zugangsbeschränkungen aufweist, sowie
■ Sicherstellung einer alternativen (Haftpflicht-)Versicherung oder Garantie durch den Mitgliedstaat, in dem diese Veranstaltung stattfindet, wobei diese Versicherung bzw Garantie nicht zwingend vom Veranstalter selbst abgeschlossen werden muss.
Dazu bieten die Erwägungsgründe der Richtlinie (EU) 2021/ 2118 noch folgende zusätzliche Klarstellungen:
■ Bei Rennen wird es natürlich immer um die Erreichung bzw Einhaltung einer möglichst hohen Geschwindigkeit gehen. Bei den anderen von der Richtlinie angesprochenen Events, insbesondere also bei Wettbewerben, Tests und Demonstrationen, kann es aber auch um Zuverlässigkeit oder Geschicklichkeit gehen.22 Die Erzielung einer Höchstgeschwindigkeit ist daher ein mögliches, aber keineswegs das einzige Kriterium für den Kreis der von der Versicherung auszuschließenden Veranstaltungen.
■ Ein „abgegrenztes Gebiet mit Zugangsbeschränkungen“ werden in der Regel eine ausgewiesene Motorsportstrecke oder -route und deren unmittelbare Umgebung (wie Sicherheitsbereiche, Bereiche für Boxenstopps etc) sein.23 Ob auch Straßen, die für den sonstigen Verkehr gesperrt sind, als derart abgegrenztes Gebiet anzusehen sind, bleibt offen, scheint aber angesichts der Tatsache, dass als wesentliches Kriterium (auch) der Umstand angeführt wird, dass „der normale Verkehr, die Öffentlichkeit und alle mit der Aktivität nicht verbundenen Parteien die befahrene Strecke nicht tatsächlich oder potenziell gleichzeitig nutzen können“, 24 prinzipiell wohl bejaht werden zu dürfen.
■ Sollten der Veranstalter oder sonstige Dritte trotz entsprechender Verpflichtung keine alternative Versicherung oder Garantie abgeschlossen haben (oder der Mitgliedstaat von vornherein keine derartige Verpflichtung vorsehen), fallen Schadenersatzansprüche aber weiterhin in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2009/103/EG und somit in den Deckungsbereich der Kfz-Haftpflichtversicherung. Lediglich Schäden der teilnehmenden Fahrer selbst und solche an deren Fahrzeugen dürfen dann vom Versicherungsschutz ausgenommen werden.25
■ Der durch eine alternative Versicherung (zB VeranstalterHaftpflichtversicherung) oder Garantie bewirkte Schutz von Geschädigteninteressen soll jenem möglichst nahekommen, der bei Anwendung der Richtlinie 2009/103/EG bestünde.26 Dies kann insbesondere bezüglich der Deckungssumme(n) und etwaiger Risikoausschlüsse bedeutsam sein, allenfalls auch bezüglich eines Direktanspruchs gegen den Versicherer.
In Erwägung dieser Eckpunkte der Ausnahmebestimmung der Richtlinie fällt rasch ins Auge, dass diese einschränkende Merkmale enthält, welche der bisherigen österreichischen Regelung
22 Erwägungsgrund 10 der Richtlinie (EU) 2021/2118.
23 Erwägungsgrund 10 der Richtlinie (EU) 2021/2118.
24 Erwägungsgrund 10 der Richtlinie (EU) 2021/2118 (Hervorhebung durch den Verfasser).
25 Erwägungsgrund 11 der Richtlinie (EU) 2021/2118.
26 Erwägungsgrund 12 der Richtlinie (EU) 2021/2118.
fremd waren. Die kraftfahrsportliche Veranstaltung (mit anvisierter Höchstgeschwindigkeit) war nämlich in Österreich in toto von der Kfz-Haftpflichtversicherung ausgeschlossen, wohingegen die Richtlinie eine Ausnahme nur (mehr) dann zulässt, wenn diese Veranstaltung auf abgegrenztem Gebiet mit Zugangsbeschränkungen durchgeführt wird, wobei überdies eine Pflicht zum Abschluss einer alternativen Versicherung bzw Garantie bestehen und eine solche Versicherung bzw Garantie auch tatsächlich abgeschlossen worden sein muss. Insofern ist der Tatbestand der Richtlinie deutlich enger gefasst, als dies im Rahmen des bisherigen § 4 Abs 1 Z 5 KHVG der Fall war. Daraus ergab sich unzweifelhaft Anpassungsbedarf für das österreichische Recht. Unter den zuvor beschriebenen Voraussetzungen nimmt also die Richtlinie 2009/103/EG in ihrer nunmehrigen Fassung Motorsportveranstaltungen und -aktivitäten von ihrem Geltungsbereich aus. Dabei sollte nicht übersehen werden, dass die Richtlinie 2009/103/EG nicht bloß den Anwendungsbereich der verpflichtend abzuschließenden Kfz-Haftpflichtversicherung festschreibt, sondern sich ebenso der Regelung des Kreises jener Konstellationen widmet, in welchen die nationalen Garantiefonds der Mitgliedstaaten durch Fahrzeuge verursachte Schäden zu regulieren haben.27 Demzufolge hat sich der österreichische Gesetzgeber im Rahmen des KraftVerÄG 2023 nicht nur darauf beschränkt, den einschlägigen Ausschlusstatbestand des KHVG entsprechend den Richtlinienvorgaben zu modifizieren, sondern gleichzeitig auch einen entsprechenden Ausschlusstatbestand im VOEG statuiert,28 namentlich in § 6 Abs 4 Z 2 VOEG neue Fassung, welcher unter den dort angeführten Voraussetzungen eine Entschädigungspflicht des Fachverbands ebenfalls ausschließt. Freilich trifft es allein in formaler Hinsicht zu, diesen Ausschlusstatbestand von der Entschädigungspflicht des Fachverbands als „Neuregelung“ innerhalb des österreichischen Verkehrsopferschutzrechts zu bezeichnen; dies insofern, als § 6 Abs 1 VOEG in seiner bisherigen Fassung eine taxative Aufzählung solcher Konstellationen einer Verwendung nicht versicherungspflichtiger Fahrzeuge enthielt, für welche der Fachverband entschädigungspflichtig war; Konstellationen im Sinne des § 1 Abs 2 lit c KFG29 (Verwendung im Rahmen einer kraftfahrsportlichen Veranstaltung) fanden sich nicht in dieser Aufzählung und lösten somit auch bisher keine Entschädigungspflicht des Fachverbands für dabei verursachte Schäden aus. Die nunmehrige Statuierung als expliziter Ausschlusstatbestand im Rahmen des VOEG ist darauf zurückzuführen, dass § 6 Abs 1 Z 1 VOEG in der Fassung des KraftVerÄG 2023 ganz generell – und nicht bloß beschränkt auf taxativ bezeichnete Konstellationen – eine Entschädigungspflicht des Fachverbands für Schäden statuiert, die durch Fahrzeuge verursacht wurden, die nicht versicherungspflichtig im Sinne des KFG sind, was an sich zu einer erheblichen Ausweitung der Entschädigungspflicht führt bzw führen würde30.31
27 Es handelt sich dabei um die Regelungen des Kapitels 4 der Richtlinie 2009/ 103/EG.
28 Auch nach der bisherigen Rechtslage bestand keine Entschädigungspflicht des Fachverbands für Fahrzeugverwendungen im Rahmen motorsportlicher Veranstaltungen. Dies allerdings nicht auf Grundlage eines expliziten Ausschlusstatbestands, sondern aufgrund einer Regelungstechnik, die Konstellationen gemäß § 1 Abs 2 lit c KFG („kraftfahrsportliche Veranstaltung“) nicht in den Kreis jener (in § 6 Abs 1 Z 1 VOEG alte Fassung) taxativ angeführten Fälle aufgenommen hatte, bei denen eine Entschädigungspflicht durch den Fachverband vorgesehen war.
29 Anders als dies bezüglich § 1 Abs 2 lit a, b und d KFG der Fall war.
30 Die Verwendung des Konjunktivs ist dem Umstand geschuldet, dass die neu eingeführten Ausschlüsse des § 6 Abs 4 VOEG diese Ausweitung deutlich relativieren.
31 Dasselbe gilt auch für die nunmehr explizite Herausnahme von Schäden aus der Verwendung von Fahrzeugen gemäß § 59 Abs 2 KFG im Rahmen des §6 Abs 4 Z 4 VOEG neue Fassung.
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Zeichnete sich also ein Implementierungsbedarf der einschlägigen Richtlinienvorgaben im KHVG und im VOEG letztlich unbestreitbar ab, so überrascht doch die Komplexität jener Regelungen (und ihres Zusammenwirkens), die der österreichische Gesetzgeber letztlich im Rahmen des KraftVerÄG 2023 auf den Weg gebracht hat:
■ § 4 Abs 1 Z 5 KHVG neue Fassung: „Von der Versicherung dürfen nur ausgeschlossen werden: Ersatzansprüche aus der Verwendung eines Fahrzeugs bei einer kraftfahrsportlichen Veranstaltung und ihren Trainingsfahrten auf einer für den übrigen Verkehr gesperrten Straße, für die Dauer einer solchen Veranstaltung (§ 1 Abs. 2 lit. c KFG 1967) oder in den Fällen des § 6 Abs.4 Z 2 VOEG“.
■ § 6 Abs 4 Z 2 VOEG neue Fassung: „Der Geschädigte ist nach Abs. 1 nicht zu entschädigen, wenn das Fahrzeug bei einer Motorsportveranstaltung oder -aktivität in einem abgegrenzten Gebiet mit Zugangsbeschränkungen verwendet wird und der Veranstalter der Aktivität oder eine andere Partei eine alternative Versicherung oder Garantie abgeschlossen hat, die den Schaden für Dritte, einschließlich Zuschauern und anderen Umstehenden, aber nicht notwendigerweise den Schaden für die teilnehmenden Fahrer und ihre Fahrzeuge abdeckt“.
■ § 64 Abs 3a StVO neue Fassung: „Wer auf der Straße kraftfahrsportliche Veranstaltungen, einschließlich Rennen, Wettbewerbe, Trainings, Tests und Demonstrationen durchführt, bedarf der Bewilligung der Behörde. Für den Fall der für den gesamten übrigen Verkehr gesperrten Straße darf die Bewilligung nur dann erteilt werden, wenn der Veranstalter eine Haftpflichtversicherung im Sinne des Abs. 2 abgeschlossen hat.“
Zu dieser Trias neuer bzw modifizierter Regelungen tritt noch jene des unverändert fortbestehenden § 1 Abs 2 lit c KFG:32 „Von der Anwendung der Bestimmungen des II. bis XI. Abschnittes dieses Bundesgesetzes [Anmerkung des Verfassers: also auch von der Anwendung der in § 59 Abs 1 KFG statuierten Versicherungspflicht] sind ausgenommen: Kraftfahrzeuge, die bei einer kraftfahrsportlichen Veranstaltung und ihren Trainingsfahrten auf einer für den übrigen Verkehr gesperrten Straße verwendet werden, für die Dauer einer solchen Veranstaltung“.
Besonders komplex geraten ist der nunmehrige Ausschlusstatbestand des KHVG, bei dem erst eine eingehende Analyse zutage fördert, dass es darin nun um eine Zweiteilung geht, nämlich kraftfahrrechtliche Veranstaltungen auf (für den übrigen Verkehr gesperrten) Straßen einerseits, Motorsportveranstaltungen undaktivitäten auf (nicht als Straße anzusehenden) abgegrenzten Gebieten mit Zugangsbeschränkung andererseits. Es soll damit zum Ausdruck gebracht werden, dass der einschlägige Ausschluss –unter näher beschriebenen (durch die Richtlinie vorgegebenen) Voraussetzungen – sowohl für Veranstaltungen auf Straßen als auch für solche auf sonstigen Verkehrsflächen gelten solle. Dem österreichischen Gesetzgeber war offenkundig daran gelegen, hervorzustreichen, dass auch entsprechende Veranstaltungen bzw Aktivitäten auf Straßen, wenn diese für den übrigen Verkehr gesperrt sind, vom Deckungsbereich der Kfz-Haftpflichtversicherung ausgenommen werden können. Die Richtlinie selbst lässt in diesem Punkt – wie oben aufgezeigt – letzte Klarheit vermissen, zumal strittig sein könnte, ob es sich bei Straßen, selbst wenn diese für den übrigen Verkehr gesperrt werden, um „abgegrenzte Gebiete“ handelt.
32 Näher zu dieser Bestimmung und ihrem Verhältnis zum Risikoausschluss des § 4 Abs 1 Z 5 KHVG Kapetanovic, Kfz-Haftpflichtversicherungsvertrag, 131 f.
Nichtsdestoweniger erweckt die Lektüre des § 4 Abs 1 Z 5 KHVG neue Fassung zunächst den Eindruck, dass – bezogen auf Straßen33 – die Richtlinienvorgaben nicht vollständig umgesetzt worden seien, ist doch darin von einer alternativen Versicherung oder Garantie keine Rede. Die Brücke zu diesem Erfordernis schlägt erst der neu eingefügte § 64 Abs 3a StVO. Auch dessen Zusammenspiel mit den übrigen (unverändert fortbestehenden) Regelungen des § 64 StVO ist indes alles andere als einfach zu durchschauen:
■ Grundsätzlich bedarf es für alle sportlichen Veranstaltungen auf Straßen, also nicht bloß für kraftfahrsportliche Veranstaltungen, natürlich aber auch für diese, einer behördlichen Bewilligung (§ 64 Abs 1 StVO). Diese Bewilligung ist, wenn es schützenswerte im Gesetz näher beschriebene Interessen erfordern, von der Behörde nur unter Bedingungen und Auflagen zu erteilen; insbesondere kann die Behörde das Erfordernis einer angemessenen Haftpflichtabdeckung (durch den Veranstalter und die einzelnen Teilnehmer) vorschreiben (§64 Abs 2 StVO). Wenn es die Verkehrssicherheit erfordert und die Verkehrslage zulässt, kann die Behörde die Straße ganz oder teilweise für den sonstigen Verkehr sperren (§ 64 Abs 3 StVO).
■ Dieses System bleibt auch für kraftfahrsportliche Veranstaltungen durch den neuen § 64 Abs 3a StVO weitgehend unangetastet. Insbesondere bleibt § 64 Abs 3 StVO weiterhin anwendbar, sodass auch bei derartigen Veranstaltungen nicht zwingend von einer – noch dazu für den sonstigen Verkehr gänzlich – gesperrten Straße ausgegangen werden kann.
■ Wurde aber die Straße von der Behörde für eine kraftfahrsportliche Veranstaltung tatsächlich für den sonstigen Verkehr gänzlich gesperrt (§ 64 Abs 3 StVO), so muss die Behörde – insofern abweichend von § 64 Abs 2 StVO bzw über diesen hinausgehend – zwingend eine alternative Haftpflichtabdeckung vorschreiben. Allein in dieser Ersetzung des in §64 Abs 2 StVO normierten Könnens durch ein Müssen (bezogen auf kraftfahrsportliche Veranstaltungen „einschließlich Rennen, Wettbewerbe, Trainings, Tests und Demonstrationen“) liegt also die tatsächliche Neuerung durch § 64 Abs 3a StVO.
Dieses mehr als kunstvoll gesponnene System des Zusammenspiels von KHVG und StVO ergibt für kraftfahrsportliche Veranstaltungen, soweit diese auf Straßen abgehalten werden, folgendes Bild:
■ Eine Pflicht zum Abschluss einer alternativen Haftpflichtversicherung (Veranstalter, Teilnehmer) besteht nur für jene kraftfahrsportlichen Veranstaltungen, die auf für den gesamten sonstigen Verkehr gesperrten Straßen durchgeführt werden. Nur diese Straßenveranstaltungen sind daher vom Risikoausschluss umfasst.
■ Wird die Straße nicht für den gesamten übrigen Verkehr gesperrt, kann die Behörde zwar gemäß § 64 Abs 2 StVO den Abschluss einer Veranstalter-Haftpflichtversicherung vorschreiben, muss dies aber nicht, da der neue § 64 Abs 3a StVO insofern nicht anwendbar ist. In diesem Fall ist weder das von der Richtlinie vorgegebene Erfordernis eines abgegrenzten Gebiets mit Zugangsbeschränkungen noch jenes einer verpflichtenden sonstigen Haftpflichtabdeckung erfüllt.
33 Bezüglich der sonstigen abgesperrten Gebiete ist dies anders, zumal hier § 6 Abs 4 Z 2 VOEG neue Fassung (der durch den expliziten Verweis in § 4 Abs1 Z 5 KHVG neue Fassung auch für das Kfz-Haftpflichtversicherungsrecht unmittelbar fruchtbar gemacht wird) den Richtlinienvorgaben durch seine nahezu wortidente Wiedergabe des Richtlinienwortlauts ganz augenscheinlich gerecht wird.
Ausgewählte Aspekte der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2021/2118 in das österreichische Recht
Derartige auf Straßen abgehaltene kraftfahrsportliche Veranstaltungen sind daher – nach der nunmehrigen Rechtslage –vom Deckungsbereich der Kfz-Haftpflichtversicherung sehr wohl umfasst. Sie sind – anders als nach dem bisherigen § 4 Abs 1 Z 5 KHVG – im Rahmen der Kfz-Haftpflichtversicherung gedeckt.34
■ Dieses Regime passt bruchlos zu § 1 Abs 2 lit c KFG: Auch diese Regelung nimmt nur solche kraftfahrsportlichen Straßenveranstaltungen von der Versicherungspflicht des § 59 Abs 1 KFG aus, die auf einer für den übrigen Verkehr gesperrten Straße abgehalten werden.
Bleibt noch zu klären, was denn eigentlich unter einer „kraftfahrsportlichen Veranstaltung“ zu verstehen ist. Der VwGH beschreibt diesen Begriff wie folgt: Unter einer kraftfahrsportlichen Veranstaltung im Sinne des § 1 Abs 2 lit c KFG versteht man „jeden Wettbewerb, an dem Automobile oder Motorräder teilnehmen und bei welchem gewisse Voraussetzungen zu erfüllen sind, die in Form von Ausschreibungen im Vorhinein festgelegt werden. Darunter fallen alle Rennen, Rekordversuche, Leistungswettbewerbe, Zuverlässigkeitsfahrten, Stern- und Zielfahrten ... das Befahren einer Straße von S nach A und wieder retour im ‚Konvoi‘“ ist keine kraftfahrsportliche Veranstaltung. „Dazu kommt, dass die dort [Anmerkung des Verfassers: in § 1 Abs 2 lit c KFG] geforderte ‚Sperre‘ der Straße nicht bloß eine ‚faktische‘, sondern eine ‚rechtliche‘ zu sein hat.“ 35
Unschwer erkennt man, dass also nicht bloß Rennen (im Sinne einer möglichst schnellen Streckenbewältigung) und deren Trainingsfahrten unter diesen Begriff fallen, sondern unter anderem auch Zulässigkeitsfahrten, Zielfahrten etc. Auch die Richtlinie 2009/103/EG spricht ja nicht allein von „Motorsportveranstaltungen und -aktivitäten“, sondern überdies von „Wettbewerben, Trainings, Tests und Demonstrationen“ sowie von „Zuverlässigkeit oder Geschicklichkeit“, die es an den Tag zu legen gelte. Angesichts des geschilderten weiten Begriffsverständnisses scheint im Umstand, dass § 4 Abs 1 Z 5 KHVG neue Fassung allein kraftfahrsportliche Veranstaltungen und ihre Trainingsfahrten vom Versicherungsschutz der Kfz-Haftpflichtversicherung ausschließen lässt, kein gold plating durch den österreichischen Gesetzgeber zu liegen.
Dies wird umso mehr durch den Umstand erhärtet, dass der österreichische Gesetzgeber – auch hier ganz auf den Spuren des Richtliniengebers – bei kraftfahrsportlichen Veranstaltungen als Ausschlusstatbestand der Kfz-Haftpflichtversicherung nunmehr auf das bisher essenzielle Kriterium einer zu erzielenden Höchstgeschwindigkeit verzichtet. Dies zeigt im Übrigen, dass die Richtlinienumsetzung nicht bloß zu einer Einschränkung der Reichweite des einschlägigen Risikoausschlusses führt, sondern –wenngleich in anderer Hinsicht – sogar zu einer Ausweitung desselben, weil eine motorsportliche Veranstaltung bzw Aktivität eben auch andere kompetitive Ziele haben kann als die Erreichung einer Höchstgeschwindigkeit.
Dies erweist auch ein Blick auf die bisherige höchstgerichtliche Rechtsprechung: Einerseits lässt der OGH Zweifel daran anklingen, ob der in allgemeinen Versicherungsbedingungen gebrauchte (Rechts-)Begriff „kraftfahrsportliche Veranstaltung“ tatsächlich derart auszulegen ist, wie dies die (verwaltungsgerichtliche) Judikatur zu § 1 Abs 2 lit c KFG vorgibt. Andererseits wird aber zutreffend hervorgestrichen, dass auch bei einer Auslegung nach dem Begriffsverständnis des durchschnittlichen Versiche-
34 So explizit ErlRV 2198 BlgNR 27. GP, 7: „Eine Verwendung von Kraftfahrzeugen etwa bei einem Rennen auf einer nicht abgesperrten Straße kann unionsrechtlich nicht von der Versicherungspflicht ausgenommen werden und daher auch nicht durch eine Ausschlussklausel begrenzt werden.“
35 VwGH 27. 2. 2004, 2003/02/0283 (zur Zillertaler Oldtimer-Rundfahrt).
rungsnehmers eine Leistungsbewertung im Vordergrund stehen müsse, sei es ein Leistungsvergleich zwischen dem Können der Fahrer oder den Leistungen der Fahrzeuge, sei es die Steigerung oder Zurschaustellung dieser Leistungen, wobei gewisse Voraussetzungen zu erfüllen seien, die im Vorhinein in Form von Ausschreibungen festgelegt würden.36 Auch bei einem solchen Verständnis können die in den Erwägungsgründen zur Richtlinie (EU) 2021/2118 angesprochenen Kriterien der Geschicklichkeit und Zuverlässigkeit durch den österreichischen Ausschlusstatbestand abgedeckt werden. In diesem Sinn wurde eine OldtimerTraktorenparade, bei der die Fahrzeuge und Lenker den Zuschauern vorgestellt und bewertet wurden, als kraftfahrsportliche Veranstaltung qualifiziert,37 nicht aber eine Charity-Veranstaltung mit hochmotorisierten Fahrzeugen ohne Wertungen und ohne Preisverleihung.38 Freilich muss angesichts der Neufassung des § 4 Abs 1 Z 5 KHVG davon ausgegangen werden, dass der Begriff „kraftfahrsportliche Veranstaltung“ (im Rahmen des KHVG) künftig nicht mehr nach dem Begriffsverständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers auszulegen ist; durch die explizite Berufung auf § 1 Abs 2 lit c KFG im nunmehrigen Gesetzestext wird nämlich eindeutig klargestellt, dass allein das –genuin rechtliche – Verständnis maßgebend sein kann, welches die einschlägige Rechtsprechung diesem Begriff beimisst. Dies wird einerseits die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung sein, in letzter Konsequenz aber wohl auch jene des EuGH, wenn man berücksichtigt, dass der österreichische Gesetzgeber sich dieses Begriffs bedient, um den unionsrechtlichen Terminus „Motorsportveranstaltungen und -aktivitäten“ umzusetzen.
All dies erwägend kann konstatiert werden, dass § 4 Abs 1 Z5 KHVG neue Fassung wohl den Vorgaben der Richtlinie im Wesentlichen – mit einer im Folgenden noch zu erwähnenden Ausnahme – entspricht. Nichtsdestoweniger ist die erwähnte Zweiteilung des Ausschlusstatbestands alles andere als transparent und einfach nachvollziehbar ausgefallen: Soweit es um Veranstaltungen auf Straßen geht, bedarf es der zusätzlichen Heranziehung des § 64 StVO, besonders des neuen Abs 3a leg cit, und wohl auch des § 1 Abs 2 lit c KFG; soweit es um andere Verkehrsflächen geht, muss § 6 Abs 4 Z 2 VOEG neue Fassung konsultiert werden, um die Bedeutung, die Reichweite und die Voraussetzungen des Risikoausschlusses erst ergründen zu können. Selbst dann verwirrt den Anwender die unterschiedliche Diktion des VOEG einerseits, des KHVG iVm der StVO und dem KFG andererseits.
In einem – keineswegs unwesentlichen – Punkt bestehen indes Zweifel an der Richtlinienkonformität der österreichischen Umsetzung: Nicht die Richtlinie (EU) 2021/2118 selbst, wohl aber deren Erwägungsgrund 12 betont, dass der durch eine alternative Versicherung (zB Veranstalter-Haftpflichtversicherung) oder Garantie bewirkte Schutz von Geschädigteninteressen jenem möglichst nahekommen solle, der bei Anwendung der Richtlinie 2009/103/EG bestünde. Dass diese Erwartung (besser: dieses Erfordernis) durch § 64 Abs 2 iVm Abs 3a StVO verlässlich abgedeckt wird, erscheint insofern zweifelhaft, als lediglich „eine Versicherung für die gesetzliche Haftpflicht für Personen- und Sachschäden in einer von der Behörde zu bestimmenden angemessenen Höhe“ vorausgesetzt wird. Damit wird aber der bewilligenden Behörde ein überaus weiter Ermessensspielraum eingeräumt, ohne diese an eindeutige gesetzliche Vorgaben zu binden, die etwa sicherstellen, dass die Deckungssummen dieser Haftpflichtabdeckung jenen des KHVG entsprechen, dass dem Geschädig-
36 OGH 30. 10. 2018, 7 Ob 171/18z, ZVR 2019/56 (Reisinger).
37 OGH 28. 4. 2003, 7 Ob 51/03f.
38 OGH 30. 10. 2018, 7 Ob 171/18z.
Ausgewählte Aspekte der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2021/2118 in das österreichische
ten ein direktes Klagerecht gegen den Versicherer zukommt oder dass in der vom Veranstalter abgeschlossenen Versicherung auch die Haftpflichtinteressen der Teilnehmer mitversichert sein müssen.39 Insgesamt reicht dies wohl nicht hin, den mit der Richtlinie verfolgten Zweckvorstellungen Genüge zu tun.
Was den (vom Ausschluss der Deckungspflicht des Kfz-Haftpflichtversicherers zu unterscheidenden) Ausschluss der Entschädigungspflicht des Fachverbands (als Garantiefonds) für Motorsportveranstaltungen anlangt, fällt der Umstand auf, dass der österreichische Gesetzgeber hier – anders als im KHVG – nicht auf den Terminus „kraftfahrsportliche Veranstaltung“ zurückgreift, sondern – getreu der Richtlinie – an „Motorsportveranstaltungen und -aktivitäten“ anknüpft, dabei aber nicht auch die in der Richtlinie explizit angeführten „Tests“ und „Demonstrationen“ in den Gesetzestext des § 6 Abs 4 Z 2 VOEG neue Fassung aufgenommen hat. Solches wäre aber jedenfalls wünschenswert gewesen, da keineswegs unzweifelhaft auf der Hand liegt, ob bzw dass auch Tests und Demonstrationen dem Begriff „Motorsportveranstaltungen und -aktivitäten“ unterliegen.
3.Die Implementierung der neuen Ausschlusstatbestände des KHVG in die AKHB der österreichischen Versicherungsunternehmen
Die neuen (eigentlich: neu formulierten) Ausschlusstatbestände im KHVG gelten nicht per se für jedes einzelne Versicherungsverhältnis, für jeden einzelnen mit einem österreichischen Versicherungsunternehmen abgeschlossenen Kfz-Haftpflichtversicherungsvertrag. Es handelt sich also um keine gesetzlichen Risikoausschlüsse, die ex lege gelten.40 § 4 KHVG enthält vielmehr bloß einen taxativen Katalog jener Risikoausschlüsse, welche Kfz-Haftpflichtversicherer mit ihren Kunden vereinbaren dürfen,41 ohne dies zu müssen. Die Versicherer dürfen also keine anderen (auch anders formulierten) Risikoausschlüsse mit ihren Kunden vereinbaren als jene, die im Gesetz angeführt sind; wollen sie von dieser Ermächtigung tatsächlich Gebrauch machen, bedarf es entsprechender vertraglicher Vereinbarung derartiger Risikoausschlüsse mit dem Versicherungsnehmer. Diese Vereinbarung kann zwar auch auf individueller Grundlage (als im Einzelnen ausgehandelte Vertragsbestimmung) erfolgen, üblicherweise geschieht dies aber durch Einbeziehung (solche Risikoausschlüsse enthaltender) allgemeiner Versicherungsbedingungen42 in den Versicherungsvertrag.
Gerade dieser Weg der Vereinbarung von Risikoausschlüssen wäre aber angesichts der sehr späten Umsetzung der Richtlinie (EU) 2021/2118 durch den österreichischen Gesetzgeber43 mit mancherlei Problemen behaftet gewesen. Diese Richtlinie erfordert nämlich gemäß ihrem Art 2 Abs 1 Satz 1 nicht bloß ihre
39 In der entsprechenden (vorgeschlagenen) Umsetzung der Richtlinie (EU) 2021/2118 in Deutschland, nämlich § 5d deutsches Pflichtversicherungsgesetz (in der Fassung BT-Drucksache 20/8094, online abrufbar unter https://dserver.bundestag.de/btd/20/080/2008094.pdf), finden sich entsprechende betragliche Vorgaben, die jenen der Kfz-Haftpflichtversicherung entsprechen und überdies ein direktes Klagerecht des Geschädigten vorsehen; siehe dazu auch R. Koch, Änderungen der KH-Richtlinie 2009/103/ EG und die geplante Umsetzung in das deutsche Recht, VersR 2023, 681 (686); Burmann/Kemperdiek, Die Reform des Pflichtversicherungsgesetzes, r+s 2023, 893 (896 f).
40 Wie dies etwa beim gesetzlichen subjektiven Risikoausschluss des § 152 VersVG sehr wohl der Fall ist.
41 So der eindeutige Gesetzestext: „Von der Versicherung dürfen nur ausgeschlossen werden …“ (Hervorhebung durch den Verfasser).
42 Die Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Haftpflichtversicherung tragen üblicherweise die Kurzbezeichnung „AKHB“
43 Die Regierungsvorlage zum KraftVerÄG 2023 wurde vom Nationalrat erst am 18. 10. 2023 angenommen und wurde erst nach Abfassung dieses Beitrags (Ende Oktober 2023) am 15. 11. 2023 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht.
Umsetzung durch die Mitgliedstaaten dergestalt, dass Letztere bis zum Stichtag 23. 12. 202344 entsprechende Rechtsvorschriften zu erlassen haben (diesem Erfordernis hätte Österreich ja jedenfalls Rechnung getragen), sondern in Satz 2 leg cit auch eine Anwendung dieser Rechtsvorschriften ab diesem Datum. Bezogen auf die neuen Risikoausschlüsse des KHVG besteht also die Notwendigkeit, dass sowohl zum 23. 12. 2023 bestehende, als auch ab diesem Zeitpunkt neu abgeschlossene Kfz-Haftpflichtversicherungsverträge nicht mehr die bisherigen, sondern die neuen Risikoausschlüsse enthalten, wenn sie derartige Ausschlüsse nach dem Willen der Vertragsparteien überhaupt enthalten sollen.
Dies bedarf, sieht man vom wenig praktischen, weil nicht aufwandsökonomischen Ausnahmefall einzeln ausgehandelter Individualvereinbarungen ab, entsprechender Abänderung der AKHB der einzelnen Versicherungsunternehmen. Selbst bei umgehender Änderung der AKHB nach dem 18. 10. 202345 wäre aber eine Vereinbarung derartiger neuer Ausschlüsse ab dem 23.12. 2023 gar nicht möglich gewesen, bestimmt doch § 18 Abs 1 KHVG, dass die Versicherungsunternehmen ihre Versicherungsbedingungen (für die Kfz-Haftpflichtversicherung) der FMA nicht bloß vorweg mitzuteilen haben, sondern erst nach Ablauf dreier Monate ab Vorlagedatum verwenden, also Versicherungsverträgen zugrunde legen dürfen. Somit war die Verwendung neuer allgemeiner Versicherungsbedingungen zum Stichtag 23. 12. 2023 eigentlich nicht möglich, was allenfalls die Gefahr der Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens durch die Europäische Kommission gemäß Art 258 AEUV nach sich gezogen hätte. Dieser misslichen Situation entzog sich der Gesetzgeber durch Statuierung spezieller Anwendungs- und Übergangsbestimmungen im neu eingefügten § 34b Abs 5 KHVG: Einerseits ändern sich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des KraftVerÄG 2023 bestehende Versicherungsverträge mit einem Ausschlusstatbestand nach § 4 Abs 1 Z 4 oder Z 5 KHVG in der bisherigen Fassung zu diesem Zeitpunkt (automatisch) insoweit, als der Ausschlusstatbestand alter Fassung durch den entsprechenden Ausschlusstatbestand neuer Fassung ersetzt wird. Für Versicherungsverträge, die ab dem 23.12. 2023 abgeschlossen werden, werden die Versicherungsunternehmen in entsprechender Abweichung von § 18 Abs 1 KHVG ermächtigt, Versicherungsbedingungen bereits vor Ablauf der Dreimonatsfrist zu verwenden, wenn diese der Versicherungsaufsichtsbehörde mitgeteilt wurden und die Neufassung bloß der Umsetzung der beiden Ausschlussklauseln entsprechend dem neuen Gesetzeswortlaut dient. Es genügt somit, wenn die Versicherungsunternehmen vor dem 23.12. 2023 allgemeine Versicherungsbedingungen mit neuen Ausschlusstatbeständen verfasst und vor diesem Stichtag auch der FMA mitgeteilt haben.
4.Anhänger(haftpflicht) und Zugfahrzeug
Auch das immer wieder zu Überraschungen und Auseinandersetzungen Anlass gebende Thema des Deckungs- und Haftungsverhältnisses zwischen Anhänger und Zugfahrzeug, insbesondere wenn diese ein Gespann bilden,46 wird durch die Richtlinie (EU)
44 Sieht man von einzelnen speziellen Bestimmungen der Richtlinie ab; siehe dazu näher Art 2 Abs 1 Satz 3 der Richtlinie (EU) 2021/2118.
45 Erst mit diesem Datum stand der Wortlaut der Risikoausschlüsse durch den Annahmebeschluss des Nationalrats (frühestens) fest, blendet man das Einspruchsrecht des Bundesrats gemäß Art 42 Abs 2 und 3 B-VG aus.
46 Erinnert sei in diesem Zusammenhang an das den rechtswissenschaftlichen Diskurs in Deutschland über mehrere Jahre beschäftigende Thema einer Doppelversicherung von Zugfahrzeug und Anhänger im Gefolge der Entscheidung des BGH vom 27. 10. 2010, IV ZR 279/08, BGHZ 187, 211, das letztlich auch den EuGH beschäftigte (vgl EuGH 21. 1. 2016, verb RsC-359/14 und C-475/14, ERGO Insurance ua ) und schließlich in das Gesetz zur Haftung bei Unfällen mit Anhängern und Gespannen im Straßenverkehr, dBGBl I 2020, 1653, mündete.
Ausgewählte Aspekte der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2021/2118 in das österreichische Recht
2021/2118 um ein weiteres, wenngleich zunächst wenig spektakulär anmutendes Kapitel bereichert. In die Richtlinie 2009/ 103/EG wird ein neuer Art 15a eingefügt, der Konstellationen behandelt, bei denen ein Unfall durch ein aus dem Zugfahrzeug und dem damit gezogenen Anhänger bestehendes Gespann verursacht wird. Der Unionsgesetzgeber statuiert für derartige Fälle in Art 15a Abs 1 der Richtlinie 2009/103/EG eine Eintrittspflicht des Anhänger-Haftpflichtversicherers,47 wenn das Zugfahrzeug nicht ermittelt werden kann (wohl aber der Anhänger) und das anwendbare nationale Recht eine Schadenersatzpflicht des Anhänger-Haftpflichtversicherers vorsieht. Dabei bleiben für den Geschädigten günstigere Rechtsvorschriften des geltenden nationalen Rechts unberührt (Art 15a Abs 1 Satz 3 der Richtlinie 2009/103/EG).
Losgelöst davon hat der Haftpflichtversicherer des Anhängers gemäß Art 15a Abs 2 der Richtlinie 2009/103/EG bei derartigen Gespannunfällen, wenn er nach geltendem nationalem Recht gegenüber dem Geschädigten nicht zu (vollem) Schadenersatz verpflichtet ist, diesen über dessen Antrag hin unverzüglich über den Haftpflichtversicherer des Zugfahrzeugs oder – wenn er diesen nicht ermitteln kann – über den Entschädigungsmechanismus via Garantiefonds zu informieren.
Der österreichische Gesetzgeber hat die für sich betrachtet wenig spektakuläre Hinweispflicht des Haftpflichtversicherers des Anhängers in enger Anlehnung an den Richtlinienwortlaut im neu hinzugefügten § 8 Abs 3 KHVG statuiert. Der Entschädigungsmechanismus, über welchen dabei gegebenenfalls zu informieren ist, ist jener des § 4 VOEG.
Von einer Implementierung des Reglements des Art 15a Abs1 der Richtlinie 2009/103/EG sah der Gesetzgeber hingegen – bewusst – ab. Die Erläuterungen führen dazu aus, dass der Regelungen zur Versicherung von Anhängern enthaltende § 8 KHVG (gemeint sind also die bisherigen Abs 1 und 2 leg cit) die Inanspruchnahme des Anhänger-Haftpflichtversicherers an keine besonderen Voraussetzungen knüpfe, insbesondere nicht an den Umstand, dass der Versicherer des Zugfahrzeugs nicht ermittelt werden könne. Somit sei die bestehende Regelung des österreichischen Rechts in diesem Punkt für den Geschädigten günstiger, sodass sich auch eine Umsetzung des Regelungsgehalts des Art 15a Abs 1 der Richtlinie 2009/103/EG erübrige.48
Was genau die Materialien mit dem Hinweis, dass nach geltendem österreichischem Recht die Inanspruchnahme des Anhänger-Haftpflichtversicherers durch den Geschädigten bei Gespannunfällen (nur solche hat Art 15a der Richtlinie 2009/103/ EG zum Gegenstand) ohne Einschränkung möglich sei, zum Ausdruck bringen wollen, bleibt indes äußerst fraglich. Meint der Gesetzgeber tatsächlich, dass der Geschädigte bei Gespannunfällen in Österreich frei wählen könne, ob er den Haftpflichtversicherer des Anhängers oder jenen des Zugfahrzeugs auf Schadenersatz in Anspruch nehmen werde? Wie ist dies mit dem Umstand in Einklang zu bringen, dass § 8 Abs 1 KHVG eine Eintrittspflicht des Anhänger-Haftpflichtversicherers (arg: „Die Versicherung von Anhängern umfaßt auch ...“) für Versicherungsfälle, die mit dem Ziehen des Anhängers durch das Zugfahrzeug zusammenhängen (genau dies beschreibt eben sogenannte Gespannunfälle), nur in folgenden beiden Ausnahmekonstellationen vorsieht: Hinsichtlich der Ersatzansprüche von Insassen eines Omnibusanhängers (Z 1 leg cit) sowie hinsichtlich der
47 Dem Anhänger-Haftpflichtversicherer seinerseits wird über Abs 1 Satz 2 ein Rückgriffsrecht gegen den Versicherer des Zugfahrzeugs bzw gegen den Garantiefonds eingeräumt, sofern dies nach dem anwendbaren nationalen Recht vorgesehen ist.
48 ErlRV 2198 BlgNR 27. GP, 7.
Schäden durch mit dem Anhänger transportiertes Gefahrgut, wenn die Versicherungssumme des Anhängers jene des Zugfahrzeugs übersteigt (Z 2 leg cit). Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass in allen anderen Konstellationen eines Gespannunfalls die Haftpflichtversicherung des Anhängers gerade keine Versicherungsfälle umfasst, die mit dem Ziehen des Anhängers durch ein Zugfahrzeug zusammenhängen! Dann besteht aber natürlich auch keine Eintrittspflicht des Anhängerversicherers. Dementsprechend statuiert im Übrigen auch Art 21.2.1 Muster-AKHB 2015, dass die Versicherung von Anhängern unbeschadet der Bestimmungen des Art 21.2.2 Muster-AKHB 2015 (dieser beschreibt die beiden Ausnahmekonstellationen des § 8 Abs 1 KHVG) nur solche Versicherungsfälle umfasse, die nicht mit dem Ziehen des Anhängers durch ein Kraftfahrzeug zusammenhängen.
Nur für die beiden Spezialkonstellationen des § 8 Abs 1 KHVG trifft also die Aussage zu, dass der Geschädigte entscheiden könne, ob er den Versicherer des Anhängers oder jenen des Zugfahrzeugs in Anspruch nehme. Bei allen anderen Fallgestaltungen eines Gespannunfalls bleibt dem Geschädigten hingegen –mangels Versicherungsschutz im Rahmen des Haftpflichtversicherung des Anhängers – nur die Inanspruchnahme des Versicherers des Zugfahrzeugs. Kann nun aber der Versicherer des Zugfahrzeugs nicht ermittelt werden und sieht das nationale Recht eine Schadenersatzpflicht des Anhänger-Haftpflichtversicherers vor, so bestünde auch eine Umsetzungspflicht bezüglich Art 15a Abs 1 der Richtlinie 2009/103/EG, also der Ermöglichung einer direkten Inanspruchnahme des Anhängerversicherers. Sieht das anwendbare nationale Recht hingegen keine derartige Schadenersatzpflicht dieses Versicherers vor, so bleibt es beim Regime gemäß Art 15a Abs 2 der Richtlinie 2009/103/EG, also einer bloßen Informationspflicht des besagten Versicherers.
5.Bestätigungen über den Schadensverlauf und Bonus-Malus-Systeme
Viele Staaten des EWR, so auch Österreich, kennen in der KfzHaftpflichtversicherung Tarifierungssysteme, welche den Schadensverlauf bei der Prämienvereinbarung und bezüglich der nachfolgenden Prämienentwicklung während der Laufzeit des Versicherungsvertrages berücksichtigen (sogenannte Bonus-Malus-Systeme). Bei schadensfreiem Verlauf während eines Beobachtungszeitraums sinkt die zu bezahlende Prämie für den folgenden Beobachtungszeitraum entsprechend einem vereinbarten Faktor; bei gegenteiligem Verlauf steigt die Prämie hingegen.49
In Österreich bestand zunächst ein für bestimmte Fahrzeugarten verpflichtendes einheitliches Bonus-Malus-System, welches auf einer im Juli 1987 erlassenen Verordnung des BMF50 gründete. Im Zuge des Gesetzgebungsprozesses zum aktuellen, mit BGBl 1994/651 erlassenen KHVG (dieses Gesetz stand ganz im Zeichen des unmittelbar bevorstehenden Beitritts Österreichs zur [damaligen] EG und des damit einhergehenden Bedarfs einer Anpassung des österreichischen Rechtsbestands an den acquis communautaire)51 war der österreichische Gesetzgeber der – zunächst wohlbegründeten – Auffassung, dass seinen Bestrebungen, jenes Niveau an Geschädigten- und Versichertenschutz zu wahren, welches bislang durch das Zusammenspiel von KHVG 1987 (in der Fassung BGBl 1992/770), tarifrelevanten Verord-
49 Siehe etwa Boos, Effizienz von Bonus-Malus-Systemen (1991).
50 Verordnung des Bundesministers für Finanzen vom 27. 7. 1987 über die Prämienbemessung nach dem Schadenverlauf in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung, BGBl 1987/369 in der Fassung BGBl 1993/156, aufgehoben mit der Verordnung BGBl 1994/722.
51 Siehe dazu ausführlich Kath, Kfz-Haftpflichtversicherungsrecht (2003) 103.
Ausgewählte Aspekte der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2021/2118 in das österreichische Recht
nungen des BMF52 und verordneten AKHB 198853 gewährleistet worden war, nicht unerhebliche Grenzen gesetzt seien. Einerseits sollte der gewohnte Schutzstandard nämlich in möglichst weitem Maße in das einschlägige Gesetz selbst transferiert und darin integriert werden, andererseits war entsprechenden Gestaltungshindernissen auf Ebene des Gemeinschaftsrechts54 angemessen Rechnung zu tragen. Letztere bewogen den Gesetzgeber letztlich dazu, von der Statuierung verpflichtender Tarifvorgaben für die Einrichtung und die Gestaltung eines Bonus-Malus-Systems in der Kfz-Haftpflichtversicherung künftig gänzlich abzusehen.55 Es unterblieb somit nicht bloß eine Statuierung entsprechender Vorschriften im Rahmen des KHVG 1994, sondern wurde überdies mit Inkrafttreten des neuen KHVG56 die einschlägige Verordnung des BMF mit Ende August 1994 außer Kraft gesetzt.57 Erst später zeigte sich, dass der österreichische Gesetzgeber etwaige Hemmnisse durch das Gemeinschaftsrecht möglicherweise übervorsichtig bewertet hatte: In einem von der Europäischen Kommission gegen Frankreich wegen des im französischen Code des assurances58 festgelegten einheitlichen Bonus-Malus-Systems eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren gelangte nämlich der EuGH zum Ergebnis, dass dieses französische System zwar Auswirkungen auf die Entwicklung der Prämien für die Kfz-Haftpflichtversicherung habe, jedoch nicht zu einer unmittelbaren Festlegung der Tarife durch den Staat führe. Den Versicherungsunternehmen stehe es frei, die Höhe der Basisprämien festzusetzen. Unter diesen Umständen könne das französische BonusMalus-System nicht einer gegen den Grundsatz der Tariffreiheit verstoßenden Tarifgenehmigungsregelung gleichgestellt werden; die Klage der Europäischen Kommission wurde somit abgewiesen.59 Bei retrospektiver Betrachtung hätte Gleiches aber gewiss auch für jenes österreichische Bonus-Malus-System gegolten, welches Gegenstand der außer Kraft gesetzten Verordnung des BMF gewesen war.
Hatte demnach die Ära eines verpflichtenden und einheitlichen Bonus-Malus-Systems auf Basis hoheitsrechtlicher Vorgaben in Österreich 1994 geendet, so bedeutete dies doch keineswegs ein Verschwinden von Prämientarifen auf Grundlage einer Prämienbemessung nach dem Schadensverlauf aus der österreichischen Praxis der Kfz-Haftpflichtversicherung. Im Gegenteil: Die meisten am österreichischen Versicherungsmarkt tätigen Versicherungsunternehmen bedienten sich auch weiterhin (und nach wie vor) jenes Systems, das zuvor Gegenstand der einschlä-
52 Neben der bereits zitierten Verordnung BGBl 1987/369 sind dies: Verordnung des Bundesministers für Finanzen vom 27. 7. 1987 über die Gliederung des Tarifes in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung, BGBl 1987/ 368 in der Fassung BGBl 1991/5, aufgehoben mit der Verordnung BGBl 1994/721; Verordnung des Bundesministers für Finanzen vom 27. 7. 1987 über den Prämiennachlaß bei Anspruchsverzicht in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung, BGBl 1987/3 70, aufgehoben mit der Verordnung BGBl 1994/723; Verordnung des Bundesministers für Finanzen vom 27. 7. 1987 über die Grenzversicherung, BGBl 1987/371 in der Fassung BGBl 1994/62, aufgehoben mit der Verordnung BGBl 1994/724.
53 Verordnung des Bundesministers für Finanzen vom 27. 1. 1988 über die Festsetzung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung, BGBl 1988/107 in der Fassung BGBl 1993/ 155, aufgehoben mit der Verordnung BGBl 1994/63.
54 Stichwort: grundsätzliche Dienstleistungsfreiheit (nunmehr Art 56 ff AEUV) und deren Begrenzung durch mitgliedstaatliche Maßnahmen zur Wahrung des Allgemeininteresses; siehe dazu ausführlich Kath , Kfz-Haftpflichtversicherungsrecht, 46 ff, 82 ff und 104 ff.
55 Siehe dazu Kath, Kfz-Haftpflichtversicherungsrecht, 117 und 122 f.
56 Dieses trat mit 1. 9. 1994 in Kraft; vgl § 34 Abs 1 KHVG.
57 Verordnung des Bundesministers für Finanzen, mit der die Verordnung über die Prämienbemessung nach dem Schadenverlauf in der KraftfahrzeugHaftpflichtversicherung aufgehoben wird, BGBl 1994/722.
58 Online abrufbar unter https://www.legifrance.gouv.fr/codes/texte_lc/LEGI TEXT000006073984.
59 EuGH 7. 9. 2004, Rs C-347/02, Kommission/Frankreich
gigen Verordnung des BMF gewesen war. Natürlich sind Abweichungen möglich; diese halten sich aber in eher engen Grenzen, etwa bezüglich der Anwendung (oder Nichtanwendung) des Systems auf bestimmte Fahrzeugarten. Im Grunde kann daher nach wie vor von einem recht einheitlichen Bonus-Malus-System der Kfz-Haftpflichtversicherung in Österreich gesprochen werden.
Eingedenk der hohen Bedeutung einer Prämienbemessung nach dem Schadensverlauf in einzelnen Mitgliedstaaten hatte die Richtlinie 2009/103/EG schon bisher in Art 16 eine Verpflichtung der Versicherungsunternehmen 60 vorgesehen, dem Versicherungsnehmer über dessen Antrag eine Bestätigung über gedeckte Schadenersatzansprüche Dritter während der letzten (mindestens) fünf Jahre (oder im Falle der Schadensfreiheit: eine Schadensfreiheitsbestätigung) zu übermitteln. Diese Verpflichtung hatte der österreichische Gesetzgeber in § 16 KHVG alte Fassung getreu den Richtlinienvorgaben und in genauer Anlehnung an diese umgesetzt.
Nichtsdestoweniger gab es – vor allem im grenzüberschreitenden Bereich, sei es im Rahmen des freien Dienstleistungsverkehrs, sei es bei Übersiedlung des Versicherungsnehmers ins Ausland – offenbar erhebliche Schwierigkeiten, mit der Schadensverlaufsbestätigung aus einem anderen Mitgliedstaat gleiche Prämienkonditionen zu erlangen wie jene Kunden, welche die Schadensverlaufsbestätigung eines inländischen Versicherungsunternehmens vorweisen konnten. Diese Probleme waren in erheblichem Maße auf nationale Unterschiede bezüglich des Inhalts und der formalen Gestaltung der Schadensverlaufsbestätigung zurückzuführen.
Dies ist demgemäß auch der Ansatzpunkt für die Richtlinie (EU) 2021/2118: Die Bestätigung über den Schadensverlauf wird künftig in allen Mitgliedstaaten auf Grundlage eines neuen einheitlichen Musters auszustellen sein. Form und Inhalt dieses Musters sollten von der dazu berufenen Europäischen Kommission eigentlich bereits bis 23. 7. 2023 mittels Durchführungsrechtsakten festgelegt werden; diese Rechtsakte werden dem Vernehmen nach allerdings erst im Laufe des Jahres 2024 erlassen werden. Der neue Art 16 Abs 6 der Richtlinie 2009/103/EG enthält entsprechende Vorgaben: Neben Angaben zur Identität des Versicherers, des Versicherungsnehmers und des betreffenden Fahrzeugs sowie zum Beginn- und Enddatum des Versicherungsschutzes sind dies:
■ Anzahl der Haftungsansprüche Dritter, die im Rahmen des Versicherungsvertrages des Versicherungsnehmers während des von der Bescheinigung des Schadensverlaufs abgedeckten Zeitraums reguliert wurden, einschließlich des Datums jeder einzelnen Forderung;
■ zusätzliche Informationen, die im Rahmen der in den Mitgliedstaaten geltenden Vorschriften oder Gepflogenheiten relevant sind.
Einerseits zielt also die Erweiterung der Pflichten rund um Schadensverlaufsbestätigungen auf Vereinheitlichung. Diese Uniformität ist freilich nicht Selbstzweck, sondern soll (und muss) zu greifbaren Ergebnissen führen, welche die Richtlinie (EU) 2021/ 2118 auch klar benennt:
■ Jene Versicherungsunternehmen, die bei der Prämienfestsetzung den früheren Schadensverlauf berücksichtigen, werden darüber in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellte (dann ja einheitlich gestaltete) Bescheinigungen ebenso zu behandeln
60 Alternativ die Verpflichtung einer „Stelle“, welche ein Mitgliedstaat zur Erbringung der Pflichtversicherung oder zur Abgabe derartiger Erklärungen benannt hat.
Ausgewählte Aspekte der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2021/2118 in das österreichische Recht
haben wie solche aus dem Inland, dies vor allem auch im Hinblick auf etwaige Prämiennachlässe. Um zu gewährleisten, dass der Versicherungsnehmer die Beachtung dieser Grundsätze nachprüfen und nachvollziehen kann, haben die Versicherer eine „allgemeine Übersicht“ über ihre Grundsätze bezüglich der Berücksichtigung solcher Bescheinigungen bei der Prämienberechnung offenzulegen. Sensible Geschäftsinformationen (wie etwa Einzelheiten der Tarifvorschriften) sind von dieser Offenlegungspflicht nicht umfasst.61
■ Damit geht die Verpflichtung der Versicherungsunternehmen einher, bei Berücksichtigung ausländischer Schadensverlaufsbestätigungen den Kunden nicht wegen dessen Staatsangehörigkeit oder allein wegen dessen früheren ausländischen Wohnsitzes zu diskriminieren bzw Prämienaufschläge zu verlangen.
Bei näherer Betrachtung der Richtlinienvorgaben für unionsweit einheitliche Bescheinigungen über den Schadensverlauf fragt man sich natürlich, warum es der Europäischen Kommission innerhalb eines Zeitraums von nahezu zwei Jahren seit der am 24.11. 2021 erfolgten Erlassung, der am 2. 12. 2021 erfolgten Veröffentlichung im Amtsblatt der EU und dem 20 Tage danach erfolgten Inkrafttreten der Richtlinie (EU) 2021/2118 nicht möglich war, die angekündigten Durchführungsrechtsakte für einheitliche Musterdokumente zu erlassen.
Freilich liegen hier die Schwierigkeiten im Detail: So hatte der österreichische Gesetzgeber die seinerzeitigen Vorgaben der Richtlinie zu Schadensverlaufsbestätigungen im bisherigen § 16 KHVG zwar detailgetreu umgesetzt; Versicherungsunternehmen sind demnach verpflichtet, dem Versicherungsnehmer binnen zwei Wochen eine Bescheinigung über die innerhalb der letzten fünf Jahre der Vertragslaufzeit gedeckten Geschädigtenansprüche (bzw über die Schadensfreiheit) auszustellen. Bei längerer Vertragslaufzeit bei ein und demselben Versicherer würde eine dem Wortlaut des Gesetzes entsprechende Bescheinigung indes nicht hinreichen, um dem Folgeversicherer eine passende Einstufung im Rahmen des in Österreich gängigen Bonus-Malus-Systems zu ermöglichen. Dieses System, welches einen Ersteinstieg auf Stufe 9 sowie ein Aufrücken um eine Stufe bei schadensfreiem Verlauf des Beobachtungszeitraums vorsieht, erfordert eindeutig mehr als eine Bescheinigung über die letzten fünf Jahre der Vertragslaufzeit. Die in Wahrheit essenzielle Information für den Folgeversicherer ist primär die Bekanntgabe jener Stufe im Bonus-MalusSystem, die der Versicherungsnehmer zuletzt (im Zeitpunkt der Vertragsbeendigung) innehatte. Davon sprechen aber weder die Richtlinie noch das (ihr darin folgende) KHVG. Mit anderen Worten: Eine taugliche Einstufung innerhalb des in Österreich üblichen Bonus-Malus-Systems erfordert mehr bzw andere Informationen für den Folgeversicherer als jene, die Richtlinie und Gesetz vorgeben.
Man kann sich unschwer vorstellen, dass vergleichbare Probleme auch in anderen Mitgliedstaaten bestehen. Anzunehmenderweise sind es diese Schwierigkeiten, welche die Europäische Kommission daran hinderten, fristgerecht die entsprechenden Rechtsakte zu erlassen. Zwar enthält die Richtlinie selbst die (bereits geschilderte) Vorgabe, dass bei der Festlegung des Kreises jener Informationen, welche die Schadensverlaufsbescheinigung enthalten müsse, zusätzliche Informationen, die im Rahmen der in den Mitgliedstaaten geltenden Vorschriften oder Gepflogenheiten relevant seien, von der Europäischen Kommission zu berücksichtigen seien. Natürlich liegt aber die Schwierigkeit bzw
Gefahr bei einer solchen Vorgan gsweise, welche Besonderheiten jedes einzelnen Mitgliedstaates man berücksichtigen will bzw muss, darin, dass damit überlange, äußerst komplexe Bescheinigungen gestaltet werden, die den Versicherungsunternehmen überdurchschnittlichen Aufwan d abverlangen. Andererseits werden gerade solche Bescheinigungen erforderlich sein, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel einer gleichwertigen Berücksichtigung ausländischer Bescheinigungen auch tatsächlich zu erreichen.
Übrigens hat der österreichische Gesetzgeber auch im Rahmen der erweiterten Neufassung des § 16 KHVG (naheliegenderweise) seine Gewohnheit beibehalten, die den Versicherungsunternehmen auferlegten Pflichten in ganz enger Anlehnung an die entsprechenden Regelungen der Richtlinie zu gestalten. Die Verpflichtung zur Veröffentlichung einer „allgemeinen Übersicht“ über die unternehmensspezifischen Grundsätze bezüglich der Berücksichtigung von Schadensverlaufsbescheinigungen bei der Prämienberechnung beinhaltet (nach „guter“ österreichischer Tradition) auch die Übermittlung in Papier auf Wunsch des Kunden (§ 16 Abs 4 Satz 2 KHVG neue Fassung). Was die Zeitachse von Inkrafttreten und Anwendung der neuen Regelungen über Schadensverlaufsbestätigungen anlangt, ist festzuhalten, dass zwar § 16 KHVG in seiner neuen Fassung zur Gänze mit 23. 12. 2023 in Kraft tritt (§ 34b Abs 5 Satz 1 KHVG neue Fassung); anzuwenden sind die neuen Regelungen des § 16 Abs 1 Satz 2 sowie Abs 2 bis 4 KHVG neue Fassung aber erst ab dem 23. 4. 2024 oder dem Tag der Anwendung der vorerwähnten Durchführungsrechtsakte der Europäischen Kommission, je nachdem, welcher dieser beiden Zeitpunkte später eintritt (§ 34b Abs 5 letzter Satz KHVG neue Fassung).62
6.Entschädigungspflicht des Fachverbands der Versicherungsunternehmen Österreichs für Schäden durch Fahrzeuge, deren Kennzeichentafeln und Zulassungsschein behördlich hinterlegt wurde (§ 52 KFG), bei Ruhend-Stellen der Kfz-Haftpflichtversicherung Neben anderen Möglichkeiten zur Ausnahme besonderer Arten der Fahrzeugverwendung (Art 5 Abs 4 und 5 der Richtlinie 2009/ 103/EG)63 ermöglicht auch der neu eingefügte Art 5 Abs 3 der Richtlinie 2009/103/EG die Herauslösung bestimmter Fahrzeuge aus der Versicherungspflicht durch einzelne Mitgliedstaaten: Fahrzeuge, die vorübergehend oder dauernd stillgelegt wurden und nicht verwendet werden dürfen, können, wenn ein Mitgliedstaat entsprechende Regelungen erlässt, von der Verpflichtung zum Abschluss einer Kfz-Haftpflichtversicherung64 ausgenommen werden. Dies ist freilich an die an die Mitgliedstaaten gerichtete Bedingung geknüpft, dass auf Schäden, die durch Verwendung dieser Fahrzeuge verursacht werden, das Entschädigungsregime des Art 10 der Richtlinie 2009/103/EG (Entschädigung durch den nationalen Garantiefonds für Fahrzeuge, bei denen einer bestehenden Versicherungspflicht nicht entsprochen wurde; in Österreich ist dies der Mechanismus der Entschädigung durch den Fachverband gemäß § 4 VOEG) Anwendung finden müsse. Ob und inwieweit Österreich von dieser Ermächtigung im Rahmen des KraftVerÄG 2023 tatsächlich Gebrauch gemacht hat, ist recht schwierig zu beurteilen. Tatsache ist lediglich, dass mittels § 4 Abs 1 Z 5 VOEG neue Fassung eine (neue) Pflicht des
62 Dies entspricht der Regelung in Art 30 letzter Absatz der Richtlinie 2009/ 103/EG.
63 Siehe Punkt 1.
64 Dies ergibt sich aus der expliziten Bezugnahme auf Art 3 der Richtlinie 2009/103/EG in der erwähnten neuen Bestimmung.
Ausgewählte Aspekte der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2021/2118 in das österreichische
Fachverbands zur Entschädigung für solche Fälle der Fahrzeugverwendung eingeführt wurde, bei denen der Kfz-Haftpflichtversicherungsvertrag aufgrund einer Hinterlegung des Zulassungsscheins und der Kennzeichentafeln gemäß § 52 KFG ruhend gestellt wurde. Dies könnte letztendlich bedeuten, dass Österreich jene Bedingung erfüllt hat (und auch erfüllen wollte),65 welche Art 5 Abs 3 Satz 2 der Richtlinie 2009/103/EG an eine tatsächliche Herauslösung derartiger Fahrzeuge von der Versicherungspflicht knüpft. Freilich stellt sich die Frage, weshalb die Eintrittspflicht dann nicht – wie bezüglich der beiden anderen durch die Richtlinie neu geregelten Ausnahmemöglichkeiten (Art 5 Abs 4 und 5 der Richtlinie 2009/103/EG)66 – in § 6 VOEG neue Fassung (Entschädigung für nicht versicherungspflichtige Fahrzeuge) geregelt wurde.67
Was also auf den ersten Blick nicht eindeutig geklärt ist: Ob in Österreich derartige Fahrzeuge realiter von der Pflicht, eine Kfz-Haftpflichtversicherung für diese abzuschließen und aufrechtzuerhalten, ausgenommen sind! Wäre dies nämlich nicht der Fall, entpuppte sich der neu eingeführte Entschädigungstatbestand des Fachverbands als unnötige Fleißaufgabe des österreichischen Gesetzgebers.
Um diese Frage beantworten zu können, bedarf es eines Blicks auf die Rechts- und Bedingungslage:
■ Gemäß § 52 Abs 1 KFG kann der Zulassungsbesitzer den Zulassungsschein und die Kennzeichentafeln für sein Fahrzeug für eine bestimmte, ein Jahr nicht überschreitende Zeit bei der Behörde, in deren örtlichem Wirkungsbereich das Fahrzeug zugelassen ist, hinterlegen. Durch die Hinterlegung wird die Zulassung des Fahrzeugs zum Verkehr grundsätzlich nicht berührt. Der Zulassungsschein und die Kennzeichentafeln dürfen nur dann wieder ausgefolgt werden, wenn zur zuletzt in der zentralen Zulassungsevidenz erfassten Versicherungsbestätigung kein Widerruf erfolgt ist oder eine neue Versicherungsbestätigung vorgelegt wird.
■ § 59 Abs 1 lit a KFG enthält die Pflicht, für zum Verkehr zugelassene Kraftfahrzeuge und Anhänger eine den Vorschriften des KHVG entsprechende Kfz-Haftpflichtversicherung, auf die österreichisches Recht anzuwenden ist, abzuschließen.
■ Kraftfahrzeuge und Anhänger dürfen auf Straßen mit öffentlichem Verkehr nur verwendet werden, wenn sie unter anderem zum Verkehr zugelassen wurden68 und das behördliche Kennzeichen führen (§ 36 lit a und b KFG).
■ Gemäß Art 18 Muster-AKHB 2015 kann der Versicherungsnehmer, wenn nichts anderes vereinbart wurde, für die Zeit von mindestens sechs Monaten Ruhen des Versicherungsver-
65 Diese Vermutung erfährt eine Bekräftigung durch die Materialien, welche sich zu Begründung der Neuregelung explizit auf diese Richtlinienvorgabe bei Gebrauchmachung von der Ausnahmemöglichkeit berufen; vgl ErlRV 2198 BlgNR 27. GP, 3.
66 Ausschließliche Verwendung des Fahrzeugs auf Gebieten, deren Zugang gemäß den nationalen Rechtsvorschriften eingeschränkt ist (Art 5 Abs 4 der Richtlinie 2009/103/EG); nicht zur Verwendung auf öffentlichen Straßen zugelassene Fahrzeuge (Art 5 Abs 5 der Richtlinie 2009/103/EG); siehe Punkt 1.
67 Es mag freilich sein, dass bei den beiden anderen Ausnahmetatbeständen von vornherein feststeht, dass diese Fahrzeuge nicht versicherungspflichtig sind, während dies bei Fahrzeugen im Sinne des Hinterlegungstatbestands erst während der Zulassungs- und Verwendungsdauer der Fall ist bzw sein kann. Überdies ist gegen die Situie rung im Rahmen des § 4 VOEG umso weniger einzuwenden, als die Richtlinie 2009/103/EG ja in Art 5 – freilich bezüglich all ihrer Ausnahmetatbestände – eine Behandlung fordert, wie sie für jene Fahrzeuge gilt, bei denen einer (tatsächlich bestehenden) Versicherungspflicht nicht entsprochen wurde. Genau dies sind die in § 4 VOEG geregelten Konstellationen aber.
68 Es sei denn, es handelte sich um behördlich bewilligte Probe- oder Überstellungsfahrten im Sinne der §§ 45 und 46 KFG.
trages69 verlangen, wenn er das Fahrzeug gemäß § 43 KFG abgemeldet oder den Zulassungsschein und die Kennzeichentafeln gemäß § 52 KFG hinterlegt hat.
■ Zu guter Letzt ergibt sich aus § 1 Abs 1 KFG, dass „die Bestimmungen dieses Gesetzes“, damit auch die Versicherungspflicht und die Verwendungsvoraussetzungen des § 36 KFG, nur für Kraftfahrzeuge und Anhänger Anwendung finden, die auf Straßen mit öffentlichem Verkehr verwendet werden.
Zusammenfassend ergibt sich aus § 52 iVm § 36 lit b KFG, dass Kraftfahrzeuge, deren Kennzeichentafeln bei der Behörde hinterlegt wurden, während dieser Zeitspanne auf Straßen mit öffentlichem Verkehr weder verwendet werden sollen noch dürfen. Derartige Kraftfahrzeuge hinwiederum sind, so könnte man argumentieren, qua § 1 Abs 1 KFG (unter anderem) von der in § 59 KFG statuierten Versicherungspflicht nicht umfasst. Greift dieses Argument, bedeutet dies, dass ungeachtet gesetzgeberischen Schweigens im Rahmen des § 52 KFG jene Fahrzeuge, die Gegenstand des in dieser Bestimmung geregelten Hinterlegungsprozederes sind, im Hinterlegungszeitraum keine KfzHaftpflichtversicherung aufweisen, eine solche also auch innerhalb desselben nicht unbedingt fortführen müssen. Besteht demnach innerhalb des besagten Zeitraums nach österreichischem Recht keine Versicherungspflicht, so oblag es dem österreichischen Gesetzgeber entsprechend den eindeutigen Richtlinienvorgaben tatsächlich, eine Entschädigungspflicht des Fachverbands im Rahmen des VOEG zu statuieren.
Auf einem anderen Blatt steht, ob es dieser – von der Richtlinie geforderten – Maßnahme tatsächlich bedarf, um die Interessen etwaiger Geschädigter angemessen zu wahren; dies gerade im von § 4 Abs 1 Z 5 VOEG neue Fassung geregelten Fall, in welchem der Versicherungsneh mer den Versicherungsvertrag aufgrund der Hinterlegung von Kennzeichen und Zulassungsschein ruhend stellen lässt. Das Ruhen des Versicherungsvertrages im Sinne des Art 18 Muster-AKHB 2015 ist keiner Beendigung des Vertragsverhältnisses gleichzusetzen. 70 Folglich kommt es auch gar nicht erst zur Ingangsetzung der dreimonatigen Nachdeckungsfrist des Kfz-Haftpflichtversicherers gemäß § 24 Abs 2 KHVG, nach deren Verstreichen der Kfz-Haftpflichtversicherer für danach eingetretene Versicherungsfälle auch geschädigten Dritten gegenüber von seiner Leistungspflicht befreit wäre. Diese zeitliche Limitierung der Nachdeckung kommt dem Versicherer nämlich nur bei Konstellationen zugute, die ein Nichtbestehen oder eine Beendigung des Versicherungsverhältnisses bewirken, nicht für Fälle bloßen Ruhens der Versicherung.
Wird das Fahrzeug, dessen Zulassungsschein und Kennzeichen hinterlegt sind, verbotswidrig auf Straßen mit öffentlichem Verkehr verwendet und werden damit Schäden verursacht, so bleibt der Kfz-Haftpflichtversicherer des Fahrzeugs ungeachtet des Ruhens des Versicherungsvertrages dem geschädigten Dritten gegenüber leistungspflichtig. Einer Entschädigung des Unfallopfers durch den Fachverband bedarf es daher streng genommen
69 Über die genaue Bedeutung und Reichweite dieses Ruhens verschweigen sich die gebräuchlichen AKHB am ös terreichischen Versicherungsmarkt. Jedenfalls aber geht dadurch der Vers icherungsvertrag in eine Phase der Beitragsfreiheit über, wie sich dies anhand der deutschen Schwesternorm, namentlich Punkt H.1.2. der deutschen AKB 2015, online abrufbar unter https://www.gdv.de/resource/blob/6178/f9007a429b57b1ca33dae1c8d84 ca9f9/01-allgemeine-bedingungen-fuer-die-kfz-versicherung-akb-2015-data.pdf, zeigt.
70 So explizit das – wesentlich detailliertere – Pendant zu Art 18 MusterAKHB 2015 im deutschen Kraftfahrversicherungsrecht; vgl Punkt H.1.1. der deutschen AKB 2015.
Ausgewählte Aspekte der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2021/2118 in das österreichische Recht
gar nicht, zumal auch kein „Ausfall eines Haftpflichtversicherers“ 71 droht oder gar vorliegt.
Der Geschädigte wird sich daher in derartigen Fällen künftig nach Belieben entweder an den Kfz-Haftpflichtversicherer oder direkt an den Fachverband der Versicherungsunternehmen wenden können, um Ersatz seiner Schäden zu erlangen. Gemäß § 4 Abs 2 Satz 2 VOEG kann sich der Fachverband dem Geschädigten gegenüber nicht darauf berufen, dass (ohnehin) der Kfz-Haftpflichtversicherer eintrittspflichtig sei. Freilich kann der Fachverband anschließend den auf ihn im Wege der Legalzession (§ 13 VOEG neue Fassung) übergegangenen Schadenersatzanspruch des Geschädigten regressweise vom Haftpflichtigen rückfordern, in wel-
71 So die Überschrift des § 4 VOEG; in diesem Sinn auch zum deutschen Recht BayObLG 21. 5. 1993, 1 St RR 19/93, VersR 1994, 85, das eine Eintrittspflicht des Kfz-Haftpflichtversicherers gegenüber dem Dritten bejahte.
chem Falle letzterer wohl gegenüber seinem Kfz-Haftpflichtversicherer die Deckungsthematik neuerlich aufrollen würde.
Auf den Punkt gebracht
Der österreichische Gesetzgeber hat mit dem KraftVerÄG 2023 gerade noch rechtzeitig für eine termingerechte Umsetzung und Anwendung der Richtlinie (EU) 2021/2118 gesorgt. Die Umsetzung trägt den Erfordernissen der Richtlinie über weite Strecken Rechnung, ist allerdings sehr komplex und teilweise unübersichtlich geraten. Auf die konkrete Umsetzung und Verwirklichung eines der zentralen Ziele der Richtlinie, eine grenzüberschreitende Uniformität, Tauglichkeit, Anerkennung und Berücksichtigung von Schadensverlaufsbestätigungen herbeizuführen, darf man gespannt sein.
Erscheint im April 2024 ca. 220 Seiten, kart. 978-3-7143-0389-6 erhältlich ca. € 72,–
Rechtsprechung
Walter Kath
Betriebsunterbrechungsversicherung:
Voraussetzungen eines Unterbrechungsschadens durch die COVID-19-Pandemie
Teil B Z 11.1.1 und Teil Z 11.1.2 der Allgemeinen Bedingungen AllRisk Sach- und Betriebsunterbrechungs-Bedingungen (Fassung 2011) OGH 24. 5. 2023, 7 Ob 62/23b
1. Bei der Berechnung des Unterbrechungsschadens (Ertragsfall) ist der hypothetische Kausalverlauf ohne (gedeckten) Unterbrechungsgrund heranzuziehen; dem Versicherungsnehmer wird nicht ein gewisser Ertrag garantiert, sondern nur das ersetzt, was ihm ohne Unterbrechung nicht entgangen wäre.
2. Eine Klausel in der Betriebsunterbrechungsversicherung, wonach dem Versicherungsnehmer der durch die konkrete versicherte Betriebsunterbrechung entstandene Unterbrechungsschaden ersetzt wird, ist nicht gröblich benachteiligend.
Aus den Entscheidungsgründen des OGH:
1. Zur Revision der Beklagten:
1.1. Bei der Betriebsunterbrechungsversicherung handelt es sich um eine Sachversicherung, bei der der Betrieb, nicht die Person des Betriebsinhabers versichert ist (RIS-Justiz RS0080975). Versicherungsobjekt ist der Betrieb, wie er vom Versicherungsnehmer üblicherweise geführt wird. Objekt der Betriebsunterbrechungsversicherung ist nicht nur der „technische“ Betrieb, sondern das Unternehmen als wirtschaftliche Einheit (7 Ob 9/22g). Der Tatbestand der Betriebsunterbrechung ist erfüllt, wenn der Betrieb infolge eines versicherten Personen- oder Sachschadens oder eines sonstigen Verhinderungsgrundes in seiner Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist (RIS-Justiz RS0080975 [T7]; 7 Ob 9/22g mwN). 2.
3. Art 3.4 der Besonderen Bedingung Nr 9939 Seuchen-Betriebsunterbrechung, im Folgenden: Besonderen Bedingung, nennt drei Fälle, bei deren Vorliegen Versicherungsschutz besteht. Auch für den durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer ergibt sich bereits aus der Formulierung der Bedingung eindeutig, dass nicht das allgemeine Risiko des Auftretens einer Seuche schlechthin und die zu ihrer Eindämmung ergriffenen (behördlichen) Maßnahmen und damit auch nicht eine daraus resultierende Veränderung der wirtschaftlichen Lage samt eines allenfalls damit verbundenen Ertragsrückgangs, sondern ausschließlich die Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des versicherten Betriebs aufgrund eines dort konkret genannten Verhinderungsgrundes infolge einer dieser Bestimmung zu unterstellenden Seuche versichert wird.
4.1. Im Revisionsverfahren wird nicht mehr angezweifelt, dass der Versicherungsfall nach Art 3.4 Fall 3 der Besonderen Bedingung aufgrund der Unterbrechung des Betriebs wegen der Absonderung der Klägerin und der Mehrzahl ihrer Mitarbeiter im Zeitraum 14. 3. 2020 bis 27. 3. 2020 eingetreten ist. Strittig ist jedoch weiterhin, ob diese Betriebsunterbrechung zu einem Unterbrechungsschaden führte.
4.2.1. Aus Teil B Z 11.1.1 der Allgemeinen Bedingungen AllRisk Sach- und Betriebsunterbrechungs-Bedingungen (Fassung 2011), im Folgenden: AVB, folgt eindeutig, dass nur der tatsäch-
lich durch die Betriebsunterbrechung verursachte Unterbrechungsschaden ersetzt wird; Teil B Z 11.1.2 AVB führt die bei der Ermittlung des Deckungsbeitrags zu berücksichtigenden Umstände an. Die Beklagte hat damit die Betriebsunterbrechungsversicherung als Schadensversicherung konzipiert (§ 1 VersVG). Sie hat es nach den Versicherungsbedingungen übernommen, den beim Versicherungsnehmer (tatsächlich) durch die versicherte Unterbrechung eingetretenen Schaden nach Maßgabe des Vertrages zu decken.
Daraus folgt, dass bei der Berechnung des Unterbrechungsschadens (Ertragsausfall) der hypothetische Kausalverlauf ohne (gedeckten) Unterbrechungsgrund heranzuziehen ist. Dabei kann etwa zu berücksichtigen sein, dass der Ertrag aufgrund wirtschaftlich schlechter Lage auch ohne Betriebsunterbrechung zurückgegangen wäre. Dem Versicherungsnehmer wird nicht ein gewisser Ertrag garantiert, sondern nur ersetzt, was ihm ohne Unterbrechung nicht entgangen wäre. Abzudecken ist jener Schaden, der dem Versicherungsnehmer durch die Unterbrechung entstanden ist (vgl Figl/Perner in Resch, Corona-HB1.06, Kap 20 Rz 13).
4.2.2. Die Beklagte versichert – soweit hier von Interesse – für den durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer den Schaden, der durch eine Betriebsunterbrechung verursacht wird, die daraus resultiert, dass den in diesem Betrieb beschäftigten Personen wegen einer Erkrankung an einer Seuche, eines entsprechenden Krankheits- oder Ansteckungsverdachts oder als Ausscheider bzw Ausscheidungsverdächtiger von bestimmten Erregern die Tätigkeit untersagt wird. Wie ausgeführt, wird der Betrieb nicht schlechthin gegen das Auftreten einer Seuche versichert. Stellen die durch den Ausbruch einer Seuche bewirkten Folgen (Veränderung der wirtschaftlichen Lage samt eines allenfalls damit verbundenen Ertragsrückgangs) das versicherte Risiko aber nicht dar, dann muss dem durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer auch klar sein, dass die – unabhängig von der Betriebsunterbrechung – durch das allgemeine Risiko des Auftretens der Seuche veränderte Marktsituation bei Beurteilung der Schadenshöhe zu berücksichtigen ist (vgl Perner, COVID-19: Deckung in der BUFT? VR 5/2020, 26).
4.3.1. § 879 Abs 3 ABGB geht von einem sehr engen Begriff der Hauptleistung aus. Für Versicherungsverträge gibt es einen Kernbereich der Leistungsbeschreibung, der kontrollfrei ist. Kontrollfrei in allgemeinen Versicherungsbedingungen ist jedenfalls die Festlegung der Versicherungsart und der Prämienhöhe. Im Übrigen ist die Leistungsbeschreibung der allgemeinen Versicherungsbedingungen aber der Inhaltskontrolle zugänglich, ohne dass es darauf ankäme, ob es sich um die Stufe der primären Umschreibung der versicherten Gefahr oder um Risikoausschlüsse handelt. Kontrollmaßstab für die Leistungsbeschreibung außerhalb des Kernbereichs sind die berechtigten Deckungserwartungen des Versicherungsnehmers (RIS-Justiz RS0128209).
Davon ausgehend unterliegen Teil B Z 11.1.1 und Teil B Z11.1.2 AVB der Inhaltskontrolle.
4.3.2.
4.3.3. Die inkriminierte Klausel ist nicht gröblich benachteiligend nach § 879 Abs 3 ABGB. Wie in der Schadensversicherung gerade üblich, wird in der vorliegenden Betriebsunterbrechungsversicherung der dem Versicherungsnehmer durch die konkrete
versicherte Betriebsunterbrechung entstandene Unterbrechungsschaden ersetzt. Das heißt, gedeckt ist nur der Entgang jenes Ertrags, der dem Versicherungsnehmer ohne Unterbrechung nicht entgangen wäre. Die Klausel enthält damit keine Einschränkung gegenüber dem Standard, den der Versicherungsnehmer von einer Versicherung dieser Art erwarten kann.
4.4. In der Berufung auf diese nicht zu beanstandende Klausel kann daher auch kein Verstoß der Beklagten gegen den im besonderen Maß das Versicherungsverhältnis beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben (RIS-Justiz RS0018055) erblickt werden.
5. bis 8. ...
Anmerkung:
Die Entscheidung betrifft wieder einmal das Thema „Seuchen-Betriebsunterbrechungsversicherung und COVID-19“. Wiederum1 ging die klagende Versicherungsnehmerin, die einen Gastgewerbebetrieb führt, am Ende leer aus. Aus der Entscheidung lassen sich insbesondere zwei Schlussfolgerungen ziehen: Die eine betrifft die Seuchen-Betriebsunterbrechungsversicherung im Speziellen, die andere die Betriebsunterbrechungsversicherung im Allgemeinen:
■ Wenn sich die einschlägigen Bedingungen der SeuchenBetriebsunterbrechungsversicherung nicht (ausdrücklich) auf das EpiG berufen,2 wird im Falle einer COVID-19-bedingten Betriebsunterbrechung – voraussichtlich – eine dem Grunde nach gedeckte Betriebsunterbrechung vorliegen.
■ Im Zusammenhang mit der Betriebsunterbrechungsversicherung, und zwar unabhängig von der Betriebsunterbrechungsversicherungsform,3 ist der Unterbrechungsschaden (Einnahmenausfall) wie folgt zu berechnen: Heranzuziehen ist der hypothetische Kausalverlauf ohne den (gedeckten) Unterbrechungsgrund. Es ist also zu eruieren, welche Einnahmen (hypothetisch) erzielt werden hätten können, wenn der Betrieb nicht unterbrochen gewesen wäre. „Dabei kann etwa zu berücksichtigen sein“, dass die Einnahmen „aufgrund wirtschaftlich schlechter Lage auch ohne Betriebsunterbrechung zurückgegangen wäre[n]“. Denn dem Versicherungsnehmer wird durch die Betriebsunterbrechungsversicherung „nicht ein gewisser Ertrag garantiert, sondern nur ersetzt, was ihm ohne Unterbrechung nicht entgangen wäre.“ 4
Werfen wir einen näheren Blick auf die erste Schlussfolgerung: Diese wurde hier bewusst vorsichtig formuliert. Denn bei der Entscheidung ist zu beachten, dass das Vorliegen einer gedeckten Betriebsunterbrechung nach den hier einschlägigen Bedingungen (vom Versicherer) dem Grunde nach „nicht mehr angezweifelt“ wurde.5 Der Fachsenat konnte es sich somit sparen, auf diesen
1 Siehe bereits OGH 24. 2. 2021, 7 Ob 214/20a, ZVers 2021, 133 (Schauer) = EvBl 2021/75 (Kronthaler) = r+s 2021, 381 (Fenyves); 26. 5. 2021, 7 Ob 88/21y; 28. 9. 2022, 7 Ob 106/22x, ecolex 2023/19 (Michler).
2 Wie in diesem Fall Art 3.4 der Besonderen Bedingung Nr 9939 SeuchenBetriebsunterbrechung; vgl dazu et wa die einschlägigen Bedingungen in OGH 24. 2. 2021, 7 Ob 214/20a, Rn 2.
3 Zwei Aspekte deuten meines Erachtens darauf hin, dass die hier zu einem Fall der Seuchen-Betriebsunterbre chungsversicherung eingenommene Sichtweise des Fachsenats für alle Betriebsunterbrechungsversicherungen gelten soll: 1.) Der 7. Senat fußt di e Berechnungsformel auf eine Klausel (Teil B Z11), die in den „Allgemeinen Bedingungen All-Risk Sach- und Betriebsunterbrechungs-Bedingungen“ enthalten ist. 2.) Der OGH folgt damit der Ansicht von Figl/Perner in Resch , Das Corona-Handbuch1.06 (2021) Kap20 Rz 13 (einleitend: „Für alle Formen der Betriebsunterbrechungsversicherung ist bei der Berechnung des Unterbrechungsschadens ...“).
4 Punkt 4.2.1. der Entscheidungsgründe (unter Berufung auf Figl/Perner in Resch, Corona-HB1.06, Kap 20 Rz 13); RIS-Justiz RS0134380.
5 Punkt 4.1. der Entscheidungsgründe.
Punkt näher einzugehen. Meines Erachtens erwecken aber die Ausführungen in Punkt 3. und 4.1. der Entscheidungsbegründung ein wenig den Eindruck, als hätte sich der 7. Senat mit dieser Frage doch ganz gerne auseinandergesetzt.
Wenden wir uns nun der zweiten Schlussfolgerung zu: Grundlage bilden Teil B Z 11.1.1 und Teil B Z 11.1.2 AVB, die nach Auffassung des Fachsenats nicht gröblich benachteiligend im Sinne des § 879 Abs 3 ABGB sind; sie beziehen sich auf den Zeitraum der (tatsächlichen) Betriebsunterbrechung. Gemäß Teil B Z 11.1.2 AVB sind bei der Berechnung des Deckungsbetrags „alle jene Umstände zu berücksichtigen, die dessen Höhe auch ohne Betriebsunterbrechung beeinflusst hätten“. Sodann werden einige Faktoren exemplarisch aufgezählt. Dabei werden einerseits Faktoren angeführt, die sich auf den konkreten versicherten Betrieb beziehen bzw vom Versicherungsnehmer typischerweise beeinflusst werden können (etwa „die technischen und wirtschaftlichen Verhältnisse des versicherten Betriebs“), andererseits Faktoren, die der Versicherungsnehmer nicht beeinflussen kann (insbesondere „die Marktlage, regionale oder weltweite Konjunkturkrisen, Auswirkungen von höherer Gewalt“). Der (externe) Faktor der Marktlage, insbesondere die COVID-19-bedingt überaus schlechte Lage des Marktes, wird in dieser Fallkonstellation vom Fachsenat als entscheidungserheblich hervorgestrichen.
Die Argumentationslinie des Fachsenats in diesem Punkt ist nachvollziehbar. Zugleich regt sie an, darüber nachzudenken, ob die vorgenommene Berücksichtigung (und Gewichtung) des Faktors der Marktlage im Zusammenhang mit Seuchen-Betriebsunterbrechungsversicherungen wirklich sachgerecht ist (sind). Jedenfalls wirft sie einige (Folge-)Fragen auf.
Blenden wir einmal die in vielerlei Hinsicht besondere Situation der COVID-19-Pandemie aus. Stellen wir uns stattdessen einen (Normal-)Fall vor, wo ein (durch eine Seuchen-Betriebsunterbrechung versicherter) Gastgewerbebetrieb aufgrund einer Seuche geschlossen werden muss. Nun hat in der Tourismusbranche die behördliche Schließung eines Gastgewerbebetriebs (oder mehrerer Gastgewerbebetriebe) wegen Ausbruchs einer ansteckenden Krankheit (Seuche) stets das Potenzial, die Marktlage zu beeinflussen. Spannend – und meines Erachtens durchaus herausfordernd – ist die Frage: Auf welche Marktlage soll es hier ankommen?
Um dies herauszufinden, ist es zunächst erforderlich, sich zu überlegen, welcher Markt maßgeblich ist sowie ob (und inwieweit) eine Marktsegmentierung vorzunehmen ist. Weiters ist zu überlegen, wie weit der hier maßgebliche Markt gefasst werden soll bzw darf. Kommt es auf den örtlichen, regionalen oder überregionalen Markt an? Je nachdem, wie diese Fragen beantwortet werden, werden sich der Markt und daraus wiederum dessen Lage im Zeitpunkt der Betriebsunterbrechung ergeben. Dabei ist meines Erachtens auch zu bedenken, dass der Zufall eine große Rolle spielen wird. Der Zufall kann – insbesondere aus der Sicht des Versicherungsnehmers – negative oder auch positive Auswirkungen auf die Berechnung des Unterbrechungsschadens haben. Die überaus negativen Auswirkungen verdeutlicht dieser Fall.
Auch positive Auswirkungen sind denkmöglich: Man stelle sich vor, dass sich die (gedeckte) Betriebsunterbrechung – zufälligerweise – zu einem Zeitpunkt ereignet, in dem der Versicherungsnehmer aufgrund besonders starker Nachfrage seiner Dienstleistung(en) ein x-Faches mehr an Umsatz und Gewinn erzielen hätte können. In einer solchen Situation könnte – der Berechnung und Argumentation dieser OGH-Entscheidung e contrario folgend – zu berücksichtigen sein, dass der Ertrag aufgrund wirtschaftlich guter
Lage gestiegen wäre.6 Zugegebenermaßen ist ein solches (positives Ertrags-)Szenario nicht sehr wahrscheinlich; ebenso wenig war dies hingegen die Wucht der COVID-19-Pandemie. Um derart zufallsbedingte Ausreißer in die eine oder andere Richtung hintanzuhalten, wäre es meines Erachtens überlegenswert, den Faktor der Marktlage so zu verstehen, wie er sich nach dem gewöhnlichen Betriebsergebnis des versicherten Betriebs darstellen würde. Dabei sollte meines Erachtens das Kriterium des gewöhnlichen Betriebsergebnisses retrospektiv betrachtet werden, etwa indem der durchschnittliche Umsatzerlös des betroffenen versicherten Betriebs der vergangenen drei oder fünf Jahre als Schadensgröße herangezogen wird. Ein solches Verständnis der „Marktlage“ im Sinne des Teils B Z 11.1.2 AVB würde dazu führen, dass sich die Marktlage weder besonders negativ noch besonders positiv für die Versicherungsnehmer (wie auch für den Versicherer) auf die Berechnung des Deckungsbetrags auswirken könnte. Überlegenswert wäre es meines Erachtens ferner auch, bei der Berechnung des (einen konkreten versicherten Betriebs betreffenden) Unterbrechungsschadens überhaupt externe Faktoren (wie etwa die Marktlage oder konjunkturelle Entwicklungen) außer Betracht zu lassen.
Zurück zur Berechnungsmethode des 7. Senats: Es ist noch zu bemerken, dass mit der Feststellung der Marktlage meines Erachtens noch nicht alle Prüfungsschritte gesetzt worden sind. Nimmt man den OGH beim Wort, muss man sich in einem nächsten Schritt noch darüber Gedanken machen, ob die Marktlage berücksichtigt werden muss (arg: „Dabei kann etwa zu berücksichtigen sein ...“).7 Unklar ist in diesem Zusammenhang, wann der Faktor der Marktlage außer Betracht bleiben kann. Bejaht man die Berücksichtigung, ist in einem letzten Schritt noch zu fragen, inwieweit der Faktor der Marktlage im Kanon mit den anderen potenziellen Faktoren (arg: „alle jene Umstände ... zB“ [Teil B Z 11.1.2 AVB]) zu gewichten ist. Hierbei könnte man bedenken, dass der Versicherungsnehmer interne Faktoren (zB betriebliche Abläufe) in der Hand hat, externe Faktoren (bzw Risiken [zB Marktlage, Konjunkturentwicklung]) hingegen nicht.
Christian Mittermair
Mag. Christian Mittermair, LL.M. (McGeorge) ist Senior Scientist am Fachbereich Arbeits- und Wirtschaftsrecht der Universität Salzburg.
Feuerversicherung: Grobe Fahrlässigkeit
bei Entsorgung einer Zigarette
§§ 61 und 67 VersVG
OGH 27. 9. 2023, 7 Ob 153/23k
Ob der Schädiger leichte oder grobe Fahrlässigkeit zu verantworten hat, ist nach den konkreten Umständen des Falles zu beurteilen und bildet daher nur dann eine erhebliche Rechtsfrage, wenn dem Berufungsgericht eine krasse Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, die im Interesse der Rechtssicherheit korrigiert werden müsste.
6 So gesehen ist die in Teil B Z 11.1.2 AVB ebenso vorgesehene (Mit-)Berücksichtigung „regionaler und weltweiter Konjunkturkrisen“ (Hervorhebung durch den Verfasser) meines Erachtens problematisch. Denn jedenfalls vom Wortlaut her wäre die Berücksichtigung eines (gegenläufigen) regionalen oder weltweiten konjunkturellen Aufschwungs – mit denkmöglichen positiven Auswirkungen für den Versicherungsnehmer – bei der Berechnung des Unterbrechungsschadens (ohne sachlichen Grund) nicht möglich; vgl dazu den insofern neutraleren Begriff „Marktlage“. In dieser Hinsicht könnte eine gröbliche Benachteiligung im Sinne des § 879 Abs 3 ABGB vorliegen.
7 Punkt 4.2.1. der Entscheidungsgründe (Hervorhebung durch den Verfasser). Die Formulierung des OGH ist insofern interessant, als nach Teil B Z 11.1.2 AVB diverse Umstände, unter anderem die Marktlage, zu berücksichtigen „sind“
Zurückweisung einer vom klagenden Versicherungsunternehmen (welches nach Erbringung der Entschädigung an den Versicherungsnehmer seine Leistungen im Regresswege vom brandverursachenden Benutzer einer Wohnung gestützt auf § 67 VersVG zurückforderte) erhobenen außerordentlichen Revision. Dem Versicherungsvertrag lag ein Regressverzicht des Versicherers gegen Wohnungsinhaber für Fälle leichter Fahrlässigkeit zugrunde.
Brandursache war eine in einem Restmüllsack gemeinsam mit anderen Müllresten entsorgte – zuvor in einer Tasse ausgedrückte – Zigarette. Dem OGH zufolge hat das Berufungsgericht mit der Verneinung grober Fahrlässigkeit den ihm in solchen Wertungsfragen zustehenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten.
Hinweis:
Zur Regressthematik ohne Regressverzicht des Versicherers gegenüber dem Wohnungsinhaber im Rahmen der allgemeinen Versicherungsbedingungen siehe OGH 27. 9. 2023, 7 Ob 99/23v.
Kfz-Kaskoversicherung: Grobe Fahrlässigkeit beim Abstellen des Fahrzeugs auf einer Parkfläche mit Gefälle
§ 61 VersVG
OGH 27. 9. 2023, 7 Ob 127/23m
Die höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der hinreichenden Sicherung eines Kraftfahrzeugs (vor allem beim Abstellen gegenüber abschüssigen Straßenlagen einerseits sowie bei einem Diebstahl andererseits) im Sinne von § 61 VersVG ist vornehmlich von den Erwägungen bestimmt, ob es der Versicherungsnehmer bewusst bei einer unzureichenden Sicherung beließ und in welchem Umfang der drohende Schadenseintritt für den Versicherungsnehmer evident war bzw zumindest evident sein musste. Der Tatbestand des § 61 VersVG wird dann als erfüllt angesehen, wenn der Lenker auf einer abschüssigen Straße bewusst nur einen Gang eingelegt, die Betätigung der Handbremse aber unterlassen hat, hingegen verneint, wenn sich die objektiv ex ante als ausreichend anzusehende Absicherung nur ex post, und zwar aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles, als unzureichend erwiesen hat.
Zwischen dem Kläger und der Beklagten besteht ein Kfz-Kaskoversicherungsvertrag.
Vor dem Haus des Klägers befindet sich eine Parkfläche, die aus gepflasterten Betonsteinen besteht. Das Gefälle der Parkfläche beträgt auf den ersten 4 m nach der Begrenzung durch eine Steinmauer 1 % und steigt innerhalb der nächsten 4 m auf bis zu 30 % an. Der Kläger wusste, dass ein auf der Parkfläche abgestelltes Fahrzeug bei nicht entsprechender Absicherung über eine Wegstrecke von nahezu 20 m wegrollen und dies zu einem größeren Schaden führen kann.
Das Fahrzeug des Klägers verfügt über ein Schaltgetriebe, eine Handbremse und ein sogenanntes Hill-hold-System. Dieses System bewirkt, dass bei Abstellen des Fahrzeugs und kurzem Betätigen des Bremspedals im Leerlauf die Bremse über eine Zeitspanne von etwa 20 Sekunden aktiviert wird und sich anschließend wieder löst. Wenn die Handbremse beim Abstellvorgang nicht aktiviert ist, scheint nach dem Abstellen des Motors auf dem Display im Fahrzeug ein Warnhinweis auf, der für jeden aufmerksamen Kfz-Lenker klar ersichtlich ist. Der Kläger ist mit der technischen Einrichtung des Fahrzeugs gut vertraut.
Der Kläger stelle sein Fahrzeug auf der Parkfläche derart ab, dass es aufgrund des vorhandenen Gefälles abrollen musste, wenn weder die Handbremse noch ein Gang eingelegt waren. Der Kläger legte dennoch keinen Gang ein und zog die Handbremse überhaupt nicht an. Er betätigte jedoch kurz das Bremspedal, wodurch sich das Hill-hold-System aktivierte. Anschließend stieg er aus dem Fahrzeug, ohne sich davor zu ver-
gewissern, ob ein Gang eingelegt oder die Handbremse aktiviert war. Nachdem sich die Bremse nach ungefähr 20 Sekunden wieder löste, rollte das Fahrzeug ab und wurde dadurch beschädigt.
Der Kläger begehrte die Feststellung der Versicherungsdeckung, in eventu Zahlung der Reparaturkosten abzüglich Selbstbehalt. Die Beklagte bestritt das rechtliche Interesse an der Feststellung und wandte Leistungsfreiheit wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles ein.
Das Erstgericht wies das Hauptbegehren mangels rechtlichen Interesses und das Eventualbegehren wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles ab. Das Berufungsgericht gab der dagegen vom Kläger erhobenen Berufung teilweise Folge. Es bestätigte die Abweisung des Feststellungsbegehrens, änderte aber das Eventualbegehren im stattgebenden Sinn ab. Das Fahrzeug des Klägers sei durch die Hill-holdFunktion – wenn auch nur kurzfristig – eingebremst gewesen, weshalb der Kläger auch im Zusammenhang mit dem bestehenden geringen Gefälle von 1 bis 4 % im Bereich der Parkfläche nicht befürchten habe müssen, dass das Fahrzeug wegrollen würde.
Der nachträglich vom Berufungsgericht zugelassenen ordentlichen Revision der Beklagten gab der OGH Folge und stellte das Urteil des Erstgerichts wieder her:
Aus den Entscheidungsgründen des OGH: 1. 2.
Gemäß § 23 Abs 5 StVO ist der Lenker eines Kraftfahrzeugs verpflichtet, dieses vor dem Verlassen so zu sichern, dass es nicht abrollen kann. Welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um das Abrollen eines Fahrzeugs zu verhindern, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (RIS-Justiz RS0075129). Selbst ein Verstoß gegen Schutzgesetze wie etwa die StVO bedeutet als solcher nicht schon grobe Fahrlässigkeit, sondern der ohne Zweifel objektiv besonders schwere Verstoß muss auch subjektiv schwerstens vorwerfbar sein (RIS-Justiz RS0111723).
Die höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der hinreichenden Sicherung eines Kraftfahrzeugs (vor allem beim Abstellen gegenüber abschüssigen Straßenlagen einerseits sowie bei einem Diebstahl andererseits) im Sinne von § 61 VersVG ist vornehmlich von den Erwägungen bestimmt, ob es der Versicherungsnehmer bewusst bei einer unzureichenden Sicherung beließ und in welchem Umfang der drohende Schadenseintritt für den Versicherungsnehmer evident war bzw zumindest evident sein musste. Der Tatbestand des § 61 VersVG wird dann als erfüllt angesehen, wenn der Lenker auf einer abschüssigen Straße bewusst nur einen Gang eingelegt, die Betätigung der Handbremse aber unterlassen hat, hingegen verneint, wenn sich die objektiv ex ante als ausreichend anzusehende Absicherung nur ex post, und zwar aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles, als unzureichend erwiesen hat (vgl 7 Ob 58/77).
3. Der Kläger war im vorliegenden Fall sowohl mit den Örtlichkeiten als auch mit den technischen Einrichtungen seines Fahrzeugs, wozu auch das Hill-hold-System zählt, gut vertraut. Er wusste daher, dass dieses System beim Abstellen des Fahrzeugs und kurzem Betätigen des Bremspedals im Leerlauf die Bremse nur über eine Zeitspanne von etwa 20 Sekunden aktiviert und sich die Bremse anschließend wieder löst. Weiters steht fest, dass er weder einen Gang einlegte noch die Handbremse – trotz eines Warnhinweises am Display – betätigte und das Fahrzeug in einem Bereich abstellte, in dem leichtes (aber rasch und stark zunehmendes) Gefälle besteht. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist den getroffenen Feststellungen nicht zu entnehmen, der Kläger sei irrtümlich davon ausgegangen, er habe das Fahrzeug dauerhaft ordnungsgemäß abgesichert. Anders als hier hatte der Fahrer in der Entscheidung 7 Ob 142/22s den ersten Gang eingelegt und keinen Grund zur Annahme, dass der Gang
nicht eingerastet, das Fahrzeug also nicht dauerhaft gegen Wegrollen abgesichert gewesen war. Die genannte Entscheidung und der vorliegende Fall sind daher – worauf die Revision zutreffend hinweist – nicht vergleichbar.
Auch ergibt sich aus den Feststellungen kein Hinweis auf ein „Augenblicksversagen“ (vgl dazu Vonkilch in Fenyves/Perner/Riedler, VersVG, § 61 Rz 42) des Klägers.
Insgesamt ist das festgestellte Verhalten des Klägers bei den festgestellten örtlichen Gegebenheiten daher nicht mehr als nur leicht fahrlässig einzustufen. Das Ziehen der Handbremse und/ oder Einlegen eines Gangs beim Abstellen des Fahrzeugs auf einem Parkplatz mit Gefälle ist auch bei Vorliegen eines Hill-holdSystems eine einfache und naheliegende Maßnahme, um das Wegrollen des Fahrzeugs zu verhindern, weshalb der Sorgfaltsverstoß dem Kläger auch subjektiv schwer vorwerfbar ist. Durch das Abrollen des Fahrzeugs aufgrund der unterbliebenen Absicherung des Klägers und den Aufprall an der Gartenhütte verwirklichte sich auch genau jene Gefahr, der das Schutzgesetz des § 23 Abs 5 StVO entgegenwirken will.
4. Da der Kläger den Versicherungsfall somit grob fahrlässig herbeigeführt hat, ist die Beklagte gemäß § 61 VersVG leistungsfrei. 5. und 6.
Hinweis:
Zur Thematik grober Fahrlässigkeit beim Abstellen eines Kraftfahrzeugs auf abschüssiger Fläche siehe zuletzt auch OGH 23. 11. 2022, 7 Ob 142/22s, ZVers 2023, 115.
Haushaltsversicherung: Grob fahrlässige Verletzung der einschlägigen Versperr- und Verschlussobliegenheit; Kausalitätsgegenbeweis
Art 4 ABH 2013; Art 3.2 ABS 2001 OGH 30. 8. 2023, 7 Ob 59/23m
1. Nach Ansicht des Fachsenats stellt das Verlassen des Hauses über mehrere Stunden bei unversperrter Terrassentür nicht in jedem Fall ein grob fahrlässiges Verhalten des Versicherungsnehmers dar. Die Kläger behaupteten im Verfahren erster Instanz, sie würden die Tür stets versperrt halten und hätten dies lediglich am Vorfalltag ausnahmsweise vergessen. Zu dieser Behauptung hat das Erstgericht eine Negativfeststellung getroffen, die die Kläger in ihrer Berufung bekämpft haben. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist diese Feststellung von Relevanz, muss doch nach der Rechtsprechung selbst ein objektiv besonders schwerer Sorgfaltsverstoß bei Würdigung aller Umstände des konkreten Falles auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen sein. Wenn es der Versicherungsnehmer einmalig unterlässt, eine Terrassentür zu versperren, liegt aber kein subjektiv schwerstens vorwerfbares Verhalten vor.
2. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, den Klägern sei der Kausalitätsgegenbeweis nicht gelungen, ist somit zutreffend, steht doch fest, dass eine wesentlich größere Gewalteinwirkung notwendig gewesen wäre, um die Türe aufzubrechen, wenn sie versperrt gewesen wäre. Dass nur nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass der Einbruch auch bei versperrter Tür erfolgt wäre, reicht für den Kausalitätsgegenbeweis hingegen nicht aus.
Zwischen den Klägern als Versicherungsnehmer und der Beklagten besteht eine Haushaltsversicherung, der die Allgemeinen Bedingungen für die Haushaltsversicherung (ABH 2013) und die Allgemeinen Bedingungen für die Sachversicherung (ABS 2001) zugrunde liegen.
Art 4 ABH 2013 lautet auszugsweise:
„1. Wenn die Versicherungsräumlichkeiten auch für noch so kurze Zeit von allen Personen verlassen werden,
1.1. sind Eingangs- und Terrassentüren, Fenster und alle sonstigen Öffnungen stets ordnungsgemäß verschlossen zu halten. Dazu sind vorhandene Schlösser zu versperren. Dies gilt nicht für Fenster, Balkontüren und sonstige Öffnungen, durch die ein Täter nur unter Überwindung erschwerender Hindernisse einsteigen kann;
5. Die vorstehenden Obliegenheiten gelten als vereinbarte Sicherheitsvorschriften gemäß Art 3 ABS 2001. Ihre Verletzung führt nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zur Leistungsfreiheit des Versicherers.“
Art 3.2 ABS 2001 lautet:
„Der Versicherer ist von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Schadensfall nach der Verletzung eintritt und die Verletzung auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers beruht. Die Verpflichtung zur Leistung bleibt bestehen, wenn die Verletzung keinen Einfluss auf den Eintritt des Schadensfalles oder soweit sie keinen Einfluss auf den Umfang der Entschädigung gehabt hat oder wenn zur Zeit des Schadensfalles trotz Ablaufs der Frist die Kündigung nicht erfolgt war.“
Es ereignete sich ein Einbruchsdiebstahl in das Wohnhaus der Kläger. Die Kläger hatten beide für viele Stunden das Haus verlassen. Der oder die Täter drangen in diesem Zeitraum über eine Terrassentür in das Haus ein. Diese Tür hatte außen einen fixen Knauf und war versperrbar. Zum Zeitpunkt des Einbruchs war die Tür nicht versperrt, sodass der oder die Täter die Tür „aufhebeln“ konnten. Wäre die Tür zum Zeitpunkt des Einbruchs versperrt gewesen, wäre eine wesentlich größere Gewalteinwirkung notwendig gewesen, um sie aufzubrechen. Dabei wäre eine massivere Ausprägung der Einbruchsspuren zu erwarten gewesen. Den Klägern ist bekannt, dass in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft bereits zu einem früheren Zeitpunkt, wahrscheinlich im selben Jahr, ein Einbruchsdiebstahl verübt wurde.
Die Kläger begehrten Zahlung einer Entschädigung sowie in eventu die Feststellung der Versicherungsdeckung. Sie hätten die Terrassentür mit dem im Schloss befindlichen Schlüssel versperrt. Selbst wenn die Tür nicht versperrt gewesen wäre, würde es sich um ein einmaliges Versehen handeln, sodass eine allfällige Verletzung der Obliegenheit nur auf leichter Fahrlässigkeit beruhe. Der Einbruchsdiebstahl hätte sich im Übrigen unabhängig davon ereignet, ob die Tür versperrt gewesen sei oder nicht. Diese sei nämlich auch im versperrten Zustand einfach aufzuzwängen. Darüber hinaus seien beide Kläger Versicherungsnehmer. Die Obliegenheit des Art 4.1.1 ABH 2013 sei von demjenigen zu erfüllen, der zuletzt das Haus verlassen habe. Dies sei der Zweitkläger gewesen, weshalb eine allfällige Obliegenheitsverletzung nur ihm gegenüber, nicht aber gegenüber der Erstklägerin zur Leistungsfreiheit führen könne.
Die Beklagte wandte ein: Die Tür, durch die der Einbruch erfolgt sei, sei nicht versperrt gewesen, obwohl beide Kläger das Haus verlassen hätten. Es liege daher eine grob fahrlässige Verletzung der Obliegenheit gemäß Art 4.1.1 ABH 2013 durch beide Kläger vor.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren wegen grob fahrlässiger Verletzung der vereinbarten Sicherheitsvorschrift (Art 4.1.1 ABH 2013) ab. Die Kläger hätten die Tür nämlich nicht versperrt und auch nicht nachweisen können, dass dieser Umstand ein einmaliges Ereignis gewesen sei. Die Obliegenheitsverletzung treffe nach außen hin beide Kläger, zumal sie das Haus am Vorfalltag beide verlassen hätten. Den Kausalitätsgegenbeweis hätten die Kläger nicht erbracht, weil das Aufbrechen der Tür im versperrten Zustand eine erhöhte Gewalteinwirkung erfordere. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Mängel- und Beweisrüge der Kläger zur vom Erstgericht getroffenen Negativfeststellung, dass das Nichtversperren der Tür erstmalig erfolgt sei, müsse mangels Relevanz inhaltlich nicht behandelt werden, weil das Verhalten der Kläger ohnehin als grob fahrlässig zu beurteilen sei.
Der von den Klägern erhobenen außerordentlichen Revision gab der OGH im Sinne des Aufhebungsantrags Folge.
Aus den Entscheidungsgründen des OGH:
1. ...
2.1. Im Revisionsverfahren ist nicht strittig, dass der Beklagten der Nachweis der Verletzung des objektiven Tatbestands der Obliegenheit gemäß Art 4.1.1 ABH 2013 gelungen ist, sodass Art3.2 ABS 2001 zu prüfen ist. Dies setzt zunächst voraus, dass die Kläger diese Obliegenheit weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt haben, wofür sie behauptungs- und beweispflichtig sind (RIS-Justiz RS0081313; RS0043510):
2.2. Grobe Fahrlässigkeit wird allgemein im Versicherungsvertragsrecht dann als gegeben erachtet, wenn schon einfachste, naheliegende Überlegungen nicht angestellt und Maßnahmen nicht ergriffen werden, die jedermann einleuchten müssen, wenn jedenfalls völlige Gleichgültigkeit gegen das vorliegt, was offenbar unter den gebotenen Umständen hätte geschehen müssen (RIS-Justiz RS0080371). Grobe Fahrlässigkeit erfordert, dass ein objektiv besonders schwerer Sorgfaltsverstoß bei Würdigung aller Umstände des konkreten Falles auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen ist (RIS-Justiz RS0030272).
2.2.1. Nach Ansicht des Fachsenats stellt das Verlassen des Hauses über mehrere Stunden bei unversperrter Terrassentür nicht in jedem Fall ein grob fahrlässiges Verhalten des Versicherungsnehmers dar. Dies auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass den Klägern bekannt war, dass in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft bereits zu einem früheren Zeitpunkt ein Einbruchsdiebstahl verübt wurde, handelte es sich dabei doch um ein einmaliges Ereignis. Die Kläger behaupteten im Verfahren erster Instanz, sie würden die Tür stets versperrt halten und hätten dies lediglich am Vorfalltag ausnahmsweise vergessen. Zu dieser Behauptung hat das Erstgericht eine Negativfeststellung getroffen, die die Kläger in ihrer Berufung bekämpft haben. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist diese Feststellung von Relevanz, muss doch nach der Rechtsprechung selbst ein objektiv besonders schwerer Sorgfaltsverstoß bei Würdigung aller Umstände des konkreten Falles auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen sein. Wenn es der Versicherungsnehmer einmalig unterlässt, eine Terrassentür zu versperren, liegt aber kein subjektiv schwerstens vorwerfbares Verhalten vor.
2.2.2. Hätte die Rüge der Kläger Erfolg, könnte im fortgesetzten Verfahren eine für die Kläger günstige Feststellung getroffen werden und ein bloß leicht fahrlässiges Verhalten der Kläger vorliegen, sodass die Verletzung der Obliegenheit gemäß Art 4.1.1 ABH 2013 nicht die Leistungsfreiheit der Beklagten bewirken würde. In Wahrnehmung dieses Umstands war daher das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben und ihm die neuerliche Entscheidung aufzutragen.
3. Schon an dieser Stelle wird auf Folgendes hingewiesen:
3.1. Der Fachsenat hat den Nachweis, dass der Eintritt des Versicherungsfalles nicht auf der erhöhten Gefahrenlage beruhte, die typischerweise durch die Obliegenheitsverletzung entsteht (Kausalitätsgegenbeweis), bereits als misslungen angesehen, wenn durch die Obliegenheitsverletzung die Gefahr eines Einbruchsdiebstahls deshalb gesteigert wird, weil einem Einbrecher, etwa durch ein Fenster in Kippstellung, weniger Widerstand geboten wird als durch ein geschlossenes Fenster (7 Ob 239/12s; vgl auch 7 Ob 240/18x; 7 Ob 47/22w). Die Verpflichtung, die Wohnung zu versperren, ist ebenfalls eine Obliegenheit mit dem jedem Versicherungsnehmer erkennbaren Zweck, ein unbefugtes Eindringen unmöglich zu machen oder zumindest erheblich zu erschweren. Dieser Zweck kann nicht bereits durch das bloße Zuziehen einer Wohnungstür erreicht werden, bietet dies doch schon nach allgemeinem Kenntnisstand einen weit geringeren Einbruchsschutz (7 Ob 240/18x mwN).
Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, den Klägern sei der Kausalitätsgegenbeweis nicht gelungen, ist somit zutreffend, steht doch fest, dass eine wesentlich größere Gewalteinwirkung notwendig gewesen wäre, um die Türe aufzubrechen, wenn sie versperrt gewesen wäre. Dass nur nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass der Einbruch auch bei versperrter Tür erfolgt wäre, reicht für den Kausalitätsgegenbeweis hingegen nicht aus.
3.2. Die Kläger führen unter Berufung auf die Entscheidung 7Ob 214/97x aus, die Beklagte sei nur gegenüber dem Zweitbeklagten leistungsfrei, weil dieser als Letzter das Haus verlassen und daher nur er die Obliegenheit verletzt habe. Diese Argumentation scheitert schon daran, dass der Sachverhalt der zitierten Entscheidung mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar ist. Hier haben beide Kläger gegen 9:00 Uhr das Haus verlassen und die Tür nicht versperrt, sodass die Obliegenheitsverletzung schon deshalb beiden anzulasten ist. 4. und 5.
Anmerkung:
Angesichts der speziellen Regelung in Art 3.2 der im vorliegenden Fall vereinbarten ABS 2001 ist bei Verletzung von (im Anlassfall vereinbarten) „Sicherheitsvorschriften“, also gefahrenrelevanten Obliegenheiten vom Typus des § 6 Abs 2 VersVG, entgegen der gesetzlichen Grundsatzbestimmung nicht bereits ein leicht fahrlässiger Verstoß gegen die Obliegenheit für eine allfällige Leistungsfreiheit des Versicherers hinreichend, sondern zumindest grobe Fahrlässigkeit gefordert. Weiters ist ein Einfluss des obliegenheitsverletzenden Verhaltens auf den Eintritt des Versicherungsfalles oder zumindest den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung vorausgesetzt, um gänzliche oder zumindest teilweise Leistungsfreiheit zu bewirken.
Der Versicherer hat den objektiven Tatbestand der Obliegenheitsverletzung zu beweisen; Nichtverschulden und Nicht- bzw bloßer Teileinfluss fallen demgegenüber in die Beweispflicht des Versicherungsnehmers.1 Im Falle des Art 3.2 ABS 2001 fällt auch der Beweis eines geringeren Verschuldensgrades als grober Fahrlässigkeit im Rahmen einer vom Versicherer bereits bewiesenen Obliegenheitsverletzung in die Beweispflicht des Versicherungsnehmers.2 Dies wird auch in der vorliegenden Entscheidung des OGH zutreffend festgehalten.
Überraschend ist hingegen folgender Aspekt der Entscheidung: Es mag durchaus angehen, nicht jedes Unversperrt-Lassen einer Terrassentür beim Verlassen der Wohnung von vornerein als grob fahrlässig zu qualifizieren; hierin ist dem Höchstgericht durchaus zuzustimmen. Bloß erscheint es als Akt des Kind-mitdem-Bade-Ausgießens dem Einwand der Kläger, beim Unversperrt-Lassen habe es sich um ein einmaliges Versehen gehandelt, wohingegen sonst die Tür stets versperrt gehalten worden sei, für die Verschuldensbeurteilung gewichtige bzw entscheidende Relevanz beizumessen. Schließlich handelt es sich bei der Beurteilung der qualifiziert schuldhaften Verletzung gefahrenrelevanter vertraglicher Obliegenheiten im Sinne des § 6 Abs 2 VersVG nicht um Fragen nach einer Gefahrerhöhung gemäß §§ 23 ff VersVG, bei welcher das Element einer gewissen Dauer des Zustands erhöhter Gefahr eine tragende Rolle spielt. Auch bei unbeaufsichtigtem Erhitzen von Öl auf einem Herd wird man nicht stets grobe Fahrlässigkeit (hier: bei der Beurteilung der Voraussetzungen des § 61 VersVG) bejahen dürfen; nichtsdestoweniger wäre es
1 RIS-Justiz RS0043728; RS0081313; RS0043510.
2 Entgegen RSS-E 75/20, ZVers 2021, 150; siehe bereits RIS-Justiz RS0043728.
auch in diesem Zusammenhang kaum angebracht, dem Versicherungsnehmer weniger gewichtiges Verschulden allein deshalb zuzubilligen, weil er sich bislang beim Erhitzen von Öl durchaus vorsichtig verhalten habe. Es mag also durchaus sein, dass im vorliegenden Fall Aspekte vorlagen, die gegen grob fahrlässiges Verhalten der Versicherungsnehmer sprachen. Diese wären allerdings in deren Beweispflicht gefallen und es kommt dem – im fortgesetzten Verfahren allenfalls tatsächlich nachzuweisenden – Umstand, früher die Tür stets versperrt zu haben, meines Erachtens kein entscheidendes Gewicht zu. Dies umso mehr, als ein derartiges Vorbringen ohne Weiteres im Rahmen der Parteienvernehmung zu erstatten und vom Versicherer wohl kaum zu entkräften sein wird.
Den Ausführungen des Höchstgerichts zum Kausalitätsgegenbeweis ist demgegenüber uneingeschränkt beizupflichten.
Walter Kath
Leitungswasserversicherung: Begriff des „Rohrgebrechens“ an angeschlossenen Einrichtungen bei Undichtheit einer Silikonverbindung zwischen Rohr und angeschlossener Einrichtung
Art 3.3 ZGEP
OGH 27. 9. 2023, 7 Ob 95/23f
1. Eine Deckung der Schäden an der angeschlossenen Einrichtung selbst ist nach der Bedingungslage nur für den Fall eines Rohrgebrechens vorgesehen. Ein solches setzt voraus, dass das Material des Rohres (einschließlich Dichtungen, Flanschen, Muffen, Verschraubungen, Druckausgleicher und Kniestücken) ein Loch oder einen Riss bekommt, mithin ein Sachsubstanzschaden eintritt. Hier wurde die aus Silikonkitt bestehende Verbindung zwischen dem Rohr und der Steinzeug-Halbschale undicht. Davon war das Material des Rohres nicht betroffen, weshalb darin kein Rohrgebrechen im Sinne der Versicherungsbedingungen liegt.
2. Ein Rohr ist eine dem Wasserdurchfluss dienende Ummantelung, die eine bestimmte Festigkeit aufweisen muss und geschlossen ist. Dass es sich bei einem Rohr um ein geschlossenes System handelt, wird auch ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer so verstehen. Eine (etwa zur Hälfte offene) Halbschale ist daher kein Rohr. Auch die Verbindung mit dem Rohrsystem führt nicht dazu, dass die Steinzeug-Halbschale, mag sie auch ein funktionaler Teil der Hausentwässerungsleitung sein, dadurch zu einem Rohr wird.
3. Ausdrücklich in den Deckungsumfang eingeschlossen wird aber die Behebung von Dichtungsschäden an Zu- und Ableitungsrohren. Die Schadhaftigkeit des der Abdichtung dienenden Silikons am gegenständlichen Rohr ist ein solcher Dichtungsschaden, weshalb die dafür erforderlichen Behebungskosten vom Versicherungsschutz umfasst sind.
Zwischen den Parteien besteht ein Versicherungsvertrag für die Sparte „Leitungswasserschaden“, dem die Versicherungsbedingungen Klipp & Klar – Bedingung für die Zuhause & Glücklich Eigenheimversicherung, Deckungsvariante „Premium“ (ZGEP) – ZE12, in der Fassung 9/2018, zugrunde liegen.
Art 3 ZGEP („Welche Gefahren sind versichert?“) lautet auszugsweise: „3. Leitungswasser ist Wasser in Zu- oder Ableitungsrohren der Wasserversorgung oder angeschlossener Einrichtungen (wie zB Warmwasserversorgungs-, Zentralheizungs-, auch Fußbodenheizungs- und Schwimmbadversorgungsanlagen).
Mitversichert ist das Vorhandensein einer wasserführenden Fußbodenheizung.
Versichert sind
Schäden durch
– Austreten von Leitungswasser, auch wenn es mit Frostschutzmittel versetzt ist, aus den vorgenannten Rohren und Einrichtungen; sowie
– die Kosten für die Behebung von Bruch- bzw Leckschäden an leitungswasserführenden Rohren bzw Mischwasserkanälen einschließlich der erforderlichen Nebenarbeiten ohne Rücksicht auf die Entstehungsursache (zB durch Rost oder Korrosion) innerhalb des versicherten Gebäudes, innerhalb und außerhalb des Versicherungsgrundstücks.
– Schäden an den an die Leitung angeschlossenen Einrichtungen und Armaturen (zB Wasserhähne, Waschbecken, Klosetts, Badeeinrichtungen, Heizkörper, Heizkessel und Boiler), wenn deren Erneuerung oder Reparatur im Zuge der Behebung eines Rohrgebrechens notwendig ist; – Behebung von Dichtungsschäden an Zu- und Ableitungsrohren ...“
Beim Kläger entstand ein Wasserschaden, weil eine Verbindung mit Silikonkitt zwischen einem Kunststoffrohr und einer Steinzeug-Halbschale undicht geworden war. Diese Undichtheit wurde nicht durch ein Gebrechen am Kunststoffrohr herbeigeführt, sondern aufgrund der nicht dichten Verbindung zwischen Rohr und Steinzeug-Halbschale. Die Steinzeug-Halbschale wurde ursprünglich als Teil eines offenen Gerinnes in den betonierten Schacht eingesetzt und als funktionaler Teil der Hausentwässerungsleitung verwendet. Die Beklagte bezahlte vor Klagseinbringung einen Teilbetrag für die Schadensbehebung.
Der Kläger begehrte weitere Schadensbehebungskosten. Die Beklagte wandte ein, sie schulde gemäß ihren Versicherungsbedingungen lediglich die Folgeschadensanierung, welche sie bereits bezahlt habe. Da kein Rohrbruch vorgelegen habe, schulde sie darüber hinaus nicht auch Kosten für die Ursachenbehebung.
Das Erstgericht erkannte das Klagebegehren als dem Grunde nach zu Recht bestehend. Der Austritt von Leitungswasser aus einer angeschlossenen Einrichtung sei nach den Bedingungen versichert; die genaue Schadenshöhe sei erst durch ein Sachverständigengutachten zu klären. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und hob das Ersturteil zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung auf. Bei der Steinzeug-Halbschale handle es sich um eine angeschlossene Einrichtung. Es liege daher ein Dichtungsschaden an einer angeschlossenen Einrichtung und kein Rohrgebrechen oder ein Dichtungsschaden an Zu- und Ableitungsrohren vor. Nach dem Wortlaut der Versicherungsbedingungen würden Schäden an den an die Leitung angeschlossenen Einrichtungen und Armaturen nur ersetzt, wenn deren Erneuerung oder Reparatur im Zuge der Behebung eines Rohrgebrechens notwendig sei. Damit gebühre aber kein Ersatz für Schäden an der angeschlossenen Einrichtung selbst. Da die Beklagte bereits einen Teilbetrag vor Klagseinbringung bezahlt habe und Feststellungen fehlen würden, welche Schäden durch den Wasseraustritt entstanden seien, könne derzeit noch nicht beurteilt werden, ob das Klagebegehren hinsichtlich eines noch zu ersetzenden Schadens durch den Wasseraustritt zu Recht bestehe.
Der vom Kläger erhobenen ordentlichen Revision gab der OGH nicht Folge.
Aus der Begründung des OGH: 1.1. bis 2. ...
2.1. Die Leitungswasserschadensversicherung war bereits Gegenstand mehrerer Entscheidungen des Fachsenats. Diese Rechtsprechung lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die Versicherung gegen Leitungswasser bietet Schutz gegen Schäden, die durch den Austritt von Wasser aus Zu- oder Ableitungsrohren oder angeschlossenen Einrichtungen von Wasserleitungs-, Warmwasserversorgungs- oder Zentralheizungsanlagen sowie aus Etagenheizungen entstehen. Sie ist eine Sachversicherung, die dem Erhalt des Gebäudes, sohin des Eigentums des Versicherungsnehmers dient. Unter Leitungswasser ist aus wasserführenden Rohrleitungen, Armaturen oder angeschlossenen Einrichtungen austreten-
des Wasser zu verstehen, wobei der Versicherungsschutz auch Flüssigkeitsaustritt am Ende einer wasserführenden Rohrleitung umfasst (vgl 7 Ob 135/22m mwN).
2.2. Eine angeschlossene Einrichtung im Sinne des Art 3.3 ZGEP ist nach dem Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers jedes Behältnis, das bestimmungsgemäß Wasser durchlässt oder aufnimmt und dauernd durch eine Zuleitung oder durch eine Ableitung oder durch beides mit dem Rohrsystem verbunden ist (7 Ob 185/17d mwN; 7 Ob 184/22t). Hierzu gehören Einrichtungen zum Zwecke des Wasserdurchlaufs (Hähne, Ventile, Filter), Einrichtungen zum Gebrauch stehenden Wassers (Waschbecken, Badewannen, Schwimmbecken), Einrichtungen zum Gebrauch stehenden oder durchlaufenden Wassers (Waschmaschinen, Toiletteninstallationen) und Einrichtungen zur Bearbeitung von Wasser (Rüffer in Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG4, Punkt A.4. VGB 2016 – Wert 1914 GNP Rz 8). Die Steinzeug-Halbschale dient dem Wasserdurchlauf und ist aufgrund ihrer Verbindung mit einem Rohrsystem eine angeschlossene Einrichtung im Sinne dieser Definition. Eine Deckung der Schäden an der angeschlossenen Einrichtung selbst ist nach der Bedingungslage nur für den Fall eines Rohrgebrechens vorgesehen. Ein solches setzt voraus, dass das Material des Rohres (einschließlich Dichtungen, Flanschen, Muffen, Verschraubungen, Druckausgleicher und Kniestücken) ein Loch oder einen Riss bekommt, mithin ein Sachsubstanzschaden eintritt (Spielmann in Martin/Reusch/Schimikowski/Wandt, Sachversicherung4 [2022] § 5 Rz 53). Hier wurde die aus Silikonkitt bestehende Verbindung zwischen dem Rohr und der Steinzeug-Halbschale undicht. Davon war das Material des Rohres nicht betroffen, weshalb darin kein Rohrgebrechen im Sinne der Versicherungsbedingungen liegt.
2.3. Ein Rohr ist eine dem Wasserdurchfluss dienende Ummantelung, die eine bestimmte Festigkeit aufweisen muss und geschlossen ist (vgl Hahn in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch3 [2015] § 34 Rz 6; Spielmann in Martin/Reusch/Schimikowski/Wandt, Sachversicherung4, § 5 Rz 18 [zur insoweit vergleichbaren deutschen Bedingungslage]). Dass es sich bei einem Rohr um ein geschlossenes System handelt, wird auch ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer so verstehen. Eine (etwa zur Hälfte offene) Halbschale ist daher kein Rohr. Auch die Verbindung mit dem Rohrsystem führt entgegen der Ansicht des Klägers nicht dazu, dass die Steinzeug-Halbschale, mag sie auch ein funktionaler Teil der Hausentwässerungsleitung sein, dadurch zu einem Rohr wird.
2.4. Ausdrücklich in den Deckungsumfang eingeschlossen wird aber im letzten Unterpunkt des Art 3.3 ZGEP die Behebung von Dichtungsschäden an Zu- und Ableitungsrohren. Die Schadhaftigkeit des der Abdichtung dienenden Silikons am gegenständlichen Rohr ist ein solcher Dichtungsschaden, weshalb die dafür erforderlichen Behebungskosten vom Versicherungsschutz umfasst sind.
3. Da auch nicht feststeht wie hoch die Behebungskosten dieses Schadens sind, erweist sich die Aufhebung des Ersturteils und die Zurückverweisung der Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung durch das Berufungsgericht im Ergebnis als zutreffend. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren sowohl Feststellungen zur Höhe der zu deckenden Schäden, die durch den Wasseraustritt entstanden sind, als auch zu den Behebungskosten für den Dichtungsschaden am Silikon zu treffen haben.
4. und 5. ...
Haftpflichtversicherung: Zu den Risikoausschlüssen bezüglich einer dem Vorsatz gleichzuhaltenden Handlung bzw Unterlassung sowie einer grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalles unter bewusstem Zuwiderhandeln gegen näher bestimmte Vorschriften
Art 7.2.1 AHVB 2006; Abschnitt A Z 3 EHVB 2006
OGH 27. 9. 2023, 7 Ob 96/23b
1. Art 7.2 AHVB 2006 schließt parallel zu § 152 VersVG den Versicherungsschutz für Schäden aus, die der Versicherte rechtswidrig und vorsätzlich herbeigeführt hat. Dem Vorsatz wird in Art 7.2.1 AHVB 2006 die Inkaufnahme des Schadens, der als Folge einer Handlung oder Unterlassung mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann, gleichgestellt. Das Bedenken und der Entschluss des Versicherungsnehmers müssen sich nicht auf den Schadenserfolg selbst, sondern nur auf einen diesem Erfolg vorgelagerten Umstand beziehen, der im Falle von Art 7.2.1 AHVB 2006 eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür begründet, dass es wirklich zum Eintritt des Schadens kommen kann. Ob der Haftpflichtversicherte eine Schadenszufügung in Kauf genommen hat, ist eine Tatfrage. 2. Im Falle von Abschnitt A Z 3 EHVB 2006 ist die Versicherung nur dann leistungsfrei, wenn der Versicherungsfall einerseits grob fahrlässig herbeigeführt wurde und andererseits bewusst gegen geltende Gesetze, Verordnungen oder behördliche Vorschriften verstoßen wird. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorhanden sein. Die Leistungsfreiheit des Versicherers setzt daher nicht das Kennen-Müssen, das heißt einen grob fahrlässigen Verstoß gegen Vorschriften, voraus, sondern einen bewussten, das heißt vorsätzlichen Verstoß. Der Versicherungsnehmer muss die Verbotsvorschrift zwar nicht in ihrem Wortlaut und in ihrem genauen Umfang kennen, er muss sich aber bei seiner Vorgangsweise bewusst sein, dass er damit gegen Vorschriften verstößt, muss also das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit seiner Handlungsweise haben.
Zwischen der Klägerin und der Beklagten bestand eine „A.-Business-Absicherung für das Baugewerbe“. Dem Versicherungsvertrag lagen unter anderem die Allgemeinen und Ergänzenden Allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung der Beklagten (AHVB 2006 und EHVB 2006), Fassung 2014, zugrunde. Diese lauten auszugsweise:
Art 7.2.1 AHVB 2006:
„2. Die Versicherung erstreckt sich nicht auf Schadenersatzverpflichtungen der Personen, die den Schaden, für den sie von einem Dritten verantwortlich gemacht werden, rechtswidrig vorsätzlich herbeigeführt haben. Dem Vorsatz wird gleichgehalten
2.1. eine Handlung oder Unterlassung, bei welcher der Schadenseintritt mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden musste, jedoch in Kauf genommen wurde (zB im Hinblick auf die Wahl einer kosten- oder zeitsparenden Arbeitsweise)“
Abschnitt A Z 3 EHVB 2006 lautet:
„Der Versicherer ist von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsfall grobfahrlässig herbeigeführt wurde und bewusst – insbesondere im Hinblick auf die Wahl einer kosten- oder zeitersparenden Arbeitsweise oder Ausführungsweise einer Tätigkeit – den für den versicherten Betrieb oder für den versicherten Beruf oder für das versicherte Risiko geltenden Gesetzen, Verordnungen oder behördlichen Vorschriften zuwidergehandelt wurde, und zwar durch einen Versicherungsnehmer oder dessen gesetzlichen Vertreter oder dessen leitenden Angestellten im Sinne des Arbeitsverfassungsgesetzes (BGBl 1974/22 in der jeweils geltenden Fassung) bzw über Veranlassung oder mit Einverständnis einer dieser Personen.“
Die Klägerin war mit Arbeiten im Keller eines Hauses beauftragt worden. Im Zuge der vom Geschäftsführer der Klägerin durchgeführten Baggerarbeiten kam es zu massiven Schäden am Haus.
Die Klägerin erhob gegen die Beklagte das Hauptbegehren auf Feststellung der Versicherungsdeckung; eventualiter wurde ein Leistungsbegehren auf Zahlung eines Geldbetrags erhoben.
Das Erstgericht wies das Feststellungsbegehren ab und gab dem Eventualbegehren auf Zahlung zur Gänze statt. Das Berufungsgericht gab infolge Berufung der Beklagten dem Eventualbegehren in geringerem Umfang statt und wies das betragliche Mehrbegehren ab.
Der OGH wies die von beiden Verfahrensparteien erhobenen außerordentlichen Revisionen zurück.
Aus der Begründung des OGH:
I. Revision der Klägerin
1. Unabhängig davon, ob man der Ansicht der Revisionswerberin folgt, dass in der vorliegenden Konstellation die Abweisung ihres Hauptbegehrens auf Feststellung der Versicherungsdeckung nicht in Rechtskraft erwachsen ist, ist ihre Revision schon deshalb unzulässig, weil sich ihr Anspruch gegen die Beklagte aus dem Versicherungsvertrag aufgrund ihres konstitutiven Anerkenntnisses vollständig und endgültig in einen Zahlungsanspruch gewandelt hat (vgl RIS-Justiz RS0080603; RS0130422), sodass sie jedenfalls kein rechtliches Interesse mehr an einer Feststellung der Deckungspflicht hat, und zwar auch nicht in jenem Umfang, in dem das Berufungsgericht das Zahlungsbegehren abgewiesen hat.
2. Die außerordentliche Revision der Klägerin zeigt somit keine Rechtsfrage der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf.
II. Revision der Beklagten
1. Die behauptete Aktenwidrigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft, liegt jedoch nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
2. Bei den Bestimmungen von Art 7.2.1 AHVB 2006 und Abschnitt A Z 3 EHVB 2006 handelt es sich um Risikoausschlüsse (RIS-Justiz RS0081678; RS0081866). Die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Risikoausschlusses als Ausnahmetatbestand liegt beim Versicherer (RIS-Justiz RS0107031; Reisinger in Fenyves/Perner/ Riedler, VersVG, § 152 Rz 40).
3.1. Art 7.2 AHVB 2006 schließt parallel zu § 152 VersVG den Versicherungsschutz für Schäden aus, die der Versicherte rechtswidrig und vorsätzlich herbeigeführt hat. Dem Vorsatz wird in Art 7.2.1 AHVB 2006 die Inkaufnahme des Schadens, der als Folge einer Handlung oder Unterlassung mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann, gleichgestellt. Das Bedenken und der Entschluss des Versicherungsnehmers müssen sich nicht auf den Schadenserfolg selbst, sondern nur auf einen diesem Erfolg vorgelagerten Umstand beziehen (RIS-Justiz RS0087592), der im Falle von Art 7.2.1 AHVB 2006 eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür begründet, dass es wirklich zum Eintritt des Schadens kommen kann. Ob der Haftpflichtversicherte eine Schadenszufügung in Kauf genommen hat, ist eine Tatfrage (7 Ob 14/18m mwN; vgl auch RIS-Justiz RS0081689).
3.2. Der ehemalige Geschäftsführer und zum Schädigungszeitpunkt Liquidator der Klägerin ist Baupolier mit langjähriger Erfahrung. Er hat im Keller des Gebäudes zirka 25 cm Bodenschicht ohne Abstützungsmaßnahmen mit einem kleinen Bagger entfernt, wobei das Fundament untergraben wurde. Er prüfte den Untergrund, während er das erste Stück mit dem Bagger abzog. Ihm hätte in dem Augenblick, als erkennbar war, dass die bestehende Gründungsunterkante untergraben wird, klar sein müssen, dass damit in die Standfestigkeit des Bauwerks eingegriffen wird. Er hätte die Arbeitsweise entweder sofort sach- und fachgerecht an diese Umstände anpassen oder einstellen müssen.
3.3. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, der Beklagten sei der Nachweis der Verwirklichung dieses Risikoausschlusses nicht gelungen, ist nicht korrekturbedürftig, gibt es doch im festgestellten Sachverhalt keinen Anhaltspunkt für das von Art 7.2.1 AHVB 2006 geforderte vorsätzliche Zuwiderhandeln der Versicherungsnehmerin; ebenso wenig für eine Inkaufnahme des Schadens, steht doch fest, dass er bei Bedenken nicht in das Gewölbe gefahren wäre, weil ihn das in Lebensgefahr gebracht hätte. Die von der Klägerin unterlassene Voruntersuchung des Fundierungsbereichs ist schon deshalb nicht relevant, weil feststeht, dass aufgrund der Geringfügigkeit des Vorhabens hier keine Voruntersuchungen durchzuführen gewesen wären. Zu M. G. führt die Beklagte in der Revision selbst aus, dessen Verhalten sei (nur) als grob fahrlässig anzusehen, was für die Verwirklichung dieses Risikoausschlusses aber gerade nicht ausreichend ist.
4.1. Im Falle von Abschnitt A Z 3 EHVB 2006 ist die Versicherung nur dann leistungsfrei, wenn der Versicherungsfall einerseits grob fahrlässig herbeigeführt wurde und andererseits bewusst gegen geltende Gesetze, Verordnungen oder behördliche Vorschriften verstoßen wird. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorhanden sein (RIS-Justiz RS0119745). Die Leistungsfreiheit des Versicherers setzt daher nicht das Kennen-Müssen, das heißt einen grob fahrlässigen Verstoß gegen Vorschriften, voraus, sondern einen bewussten, das heißt vorsätzlichen Verstoß (7 Ob 99/ 13d; 7 Ob 8/18d). Der Versicherungsnehmer muss die Verbotsvorschrift zwar nicht in ihrem Wortlaut und in ihrem genauen Umfang kennen, er muss sich aber bei seiner Vorgangsweise bewusst sein, dass er damit gegen Vorschriften verstößt, muss also das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit seiner Handlungsweise haben (RIS-Justiz RS0052282).
4.2. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, auch dieser Risikoausschluss sei nicht verwirklicht, ist ebenfalls nicht korrekturbedürftig, fehlt doch schon ein konkretes Vorbringen der Beklagten dazu, dass sich der für die Klägerin tätige Liquidator bei seiner Vorgangsweise bewusst war, dass er damit gegen die von der Beklagten behaupteten Vorschriften verstößt. Derartiges lässt sich auch dem Sachverhalt nicht entnehmen.
Im Übrigen verlangt Abschnitt A Z 3 EHVB 2006 einen Verstoß gegen Gesetze, Verordnungen oder behördliche Vorschriften. ÖNORMEN sind aber, soweit sie nicht durch konkrete Rechtsvorschriften für verbindlich erklärt wurden, rechtlich nichts weiter als Vertragsschablonen (RIS-Justiz RS0038622 [T9]). Die Beklagte brachte in erster Instanz auch gar nicht vor, dass die von ihr ins Treffen geführten ÖNORMEN, die der Liquidator der Klägerin verletzt haben soll, durch eine konkrete Rechtsvorschrift für verbindlich erklärt wurde. Die von der Beklagten darüber hinaus herangezogene BauV gilt nach ihrem § 1 Abs 1 für die Beschäftigung von Arbeitnehmern auf Baustellen im Sinne des § 2 Abs 3 Satz 3 ASchG. Warum diese Vorschrift auf die vom Liquidator der Klägerin allein durchgeführten Baggerarbeiten anzuwenden sein soll, kann die Beklagte nicht schlüssig darlegen.
5. Auch die außerordentliche Revision der Beklagten zeigt keine Rechtsfrage im Sinne von § 502 Abs 1 ZPO auf.
Unfallversicherung: Unzulässigkeit des ordentlichen Rechtswegs für die Geltendmachung vorprozessualer Vertretungskosten nach geleisteter Zahlung des Unfallversicherers vor Prozessbeginn?
§ 1333 Abs 2 ABGB
OGH 30. 8. 2023, 7 Ob 126/23i
1. Der Anspruch auf Kostenersatz richtet sich nach den Regeln des Verfahrensrechts und kann deshalb nicht ohne Weiteres auf allgemeine schadenersatzrechtliche Grundsätze gestützt werden. Kostenforderungen müssen im Verfahren über den Hauptanspruch geltend gemacht werden und können deshalb grundsätzlich nicht gesondert eingeklagt werden, wenn über die Hauptsache noch kein Prozess anhängig ist. Einer gesonderten Einklagung dieser Kosten steht die Unzulässigkeit des Rechtswegs entgegen.
2. Auch mit der Einführung des § 1333 Abs 3 ABGB (nunmehr: § 1333 Abs 2 ABGB) wurde keine selbständige Anspruchsgrundlage betreffend den Ersatz anwaltlicher Kosten für außergerichtliche Betreibungs- und Einbringungsmaßnahmen geschaffen, da solche Kosten grundsätzlich akzessorisch zum Hauptanspruch sind und nur im Kostenverzeichnis geltend gemacht werden können. Für eine selbständige Geltendmachung ist daher der ordentliche Rechtsweg unzulässig.
3. Der ordentliche Rechtsweg ist allerdings dann zulässig, wenn der Hauptanspruch durch Erfüllen, Verzicht oder Anerkenntnis erloschen oder darüber ein Vergleich geschlossen worden ist. Die Voraussetzungen für die selbständige Einklagbarkeit sind vom Kläger zu behaupten.
Zwischen dem Kläger und der Beklagten bestand ein Unfallversicherungsvertrag. Der Kläger erlitt bei einem Verkehrsunfall schwere Verletzungen. Seine Rechtsvertretung teilte den Schadensfall der Beklagten mit und ersuchte um Bestätigung des aufrechten Versicherungsschutzes. Die Beklagte lehnte den Deckungsschutz zunächst ab, leistete aber nach zahlreichen Aufforderungen schließlich einen bestimmten Geldbetrag. Der Kläger begehrte nun den Ersatz seiner Rechtsanwaltskosten, die ihm im Zusammenhang mit der (außergerichtlichen) Abwicklung des Schadensfalles entstanden seien.
Die Beklagte wandte unter anderem die Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs ein.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Das Berufungsgericht hob über Berufung der Beklagten das Ersturteil einschließlich des diesem vorangegangenen Verfahrens als nichtig auf und wies die Klage zurück. Der Kläger habe vorgebracht, dass die Beklagte zwar die Zahlung einer Versicherungsleistung in bestimmter Höhe angekündigt habe, in weiterer Folge aber von seinem Rechtsvertreter darauf hingewiesen worden sei, dass bei der Berechnung der Versicherungsleistung die Indexanpassung nicht vorgenommen worden und tatsächlich eine entsprechend höhere Versicherungsleistung zu erbringen sei. Dem Vorbringen des behauptungspflichtigen Klägers sei zu entnehmen, dass er von der Beklagten diesen entsprechend höheren Betrag begehrt habe; aus seinem Vorbringen sei aber nicht ableitbar, dass er mit der vom Versicherer geleisteten Zahlung seinen Anspruch als erfüllt erachtete. Eine selbständige Einklagung vorprozessualer Kosten könne aber nur erfolgen, wenn kein Hauptanspruch mehr bestehe. Es liege daher Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs vor.
Dem vom Kläger gegen diesen Beschluss erhobenen Rekurs gab der OGH nicht Folge.
Aus der Begründung des OGH:
1. Der Anspruch auf Kostenersatz richtet sich nach den Regeln des Verfahrensrechts und kann deshalb nicht ohne Weiteres auf allgemeine schadenersatzrechtliche Grundsätze gestützt werden. Kostenforderungen müssen im Verfahren über den Hauptanspruch geltend gemacht werden, und können deshalb grundsätzlich nicht gesondert eingeklagt werden, wenn über die Hauptsache noch kein Prozess anhängig ist. Einer gesonderten Einklagung dieser Kosten steht die Unzulässigkeit des Rechtswegs entgegen (8 Ob 83/22x mwN).
2. Auch mit der Einführung des § 1333 Abs 3 ABGB wurde keine selbständige Anspruchsgrundlage betreffend den Ersatz an-
waltlicher Kosten für außergerichtliche Betreibungs- und Einbringungsmaßnahmen geschaffen, da solche Kosten grundsätzlich akzessorisch zum Hauptanspruch sind und nur im Kostenverzeichnis geltend gemacht werden können. Für eine selbständige Geltendmachung ist daher der ordentliche Rechtsweg unzulässig (RIS-Justiz RS0120431; RS0035770; RS0035721).
Der ordentliche Rechtsweg ist allerdings dann zulässig, wenn der Hauptanspruch durch Erfüllen, Verzicht oder Anerkenntnis erloschen oder darüber ein Vergleich geschlossen worden ist (RIS-Justiz RS0111906; RS0036070; vgl auch RIS-Justiz RS0035826). Die Voraussetzungen für die selbständige Einklagbarkeit sind vom Kläger zu behaupten (RIS-Justiz RS0035826 [T14]; 6 Ob 195/16v; 8 Ob 83/22x).
3.1. Im vorliegenden Fall brachte der Kläger vor, dass die Beklagte schlussendlich ihre Ablehnung offenbar revidiert und im März 2021 die Zahlung einer Versicherungsleistung in Höhe von 210.568,27 € angekündigt habe. Sie sei sodann wiederum seitens der Klagevertreter darauf hingewiesen worden, dass bei der Berechnung der Versicherungsleistung die Indexanpassung nicht vorgenommen und tatsächlich eine Versicherungsleistung von 216.637,80 € zu zahlen sei (ON 1.3). Schließlich habe die Beklagte sich am 31. 3. 2021 bereit erklärt, die berechtigte Versicherungsleistung in Höhe von 210.568,27 € aus der Unfallversicherung an den Kläger zu entrichten (ON 6.11). Als Bemessungsgrundlage für die Rechtsanwaltskosten in Höhe von 10.810,98 € habe der Anspruch des Klägers gegenüber der Beklagten in Höhe von 210.568,27 € gedient (ON 6.12). Vom Gesamtbetrag in Höhe von 210.568,27 € sei der Betrag von 10.810,98 € einbehalten worden (ON 12.21).
3.2. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Kläger habe kein ausreichendes Vorbringen erstattet, aus dem der Wegfall der Akzessorietät abgeleitet werden könne, ist nicht zu beanstanden. Aus dem Vorbringen, dass die Beklagte einerseits 216.637,80 € zu zahlen gehabt und sie andererseits die berechtigte Versicherungsleistung in Höhe von 210.568,27 € entrichtet habe, lässt sich – entgegen der Ansicht des Klägers – gerade nicht hinreichend deutlich darauf schließen, dass er seinen Anspruch mit der tatsächlich geleisteten Zahlung zur Gänze als erfüllt erachtet.
Auch wandte die Beklagte die Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs ausdrücklich mit Hinweis darauf ein, dass der Kläger den Ersatz von Kosten geltend mache, die akzessorisch zum Hauptanspruch seien, dennoch unterblieb jegliche weitere Klarstellung.
4.1. Die geltend gemachte Nichtigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens des Berufungsgerichts liegt nicht vor. Die Ausführungen des Berufungsgerichts, es stehe nicht fest, ob auch die Differenz zum ursprünglich geforderten Betrag bezahlt worden sei, der Differenzbetrag könnte daher nach wie vor eingeklagt werden, stellen keine Tatsachenfeststellungen dar, sondern bringen lediglich zum Ausdruck, dass sich kein endgültiges Unterbleiben der Geltendmachung dieser Differenz aus dem Vorbringen des Klägers ergibt.
4.2. Das vom Kläger herangezogene Vorbringen der Beklagten, aufgrund eines von ihm behaupteten Unfallereignisses sei es zu Leistungen durch die Beklagte in Höhe von 210.568,27 € gekommen, darüber hinausgehende Ansprüche stünden dem Kläger aber jedenfalls nicht zu, gibt keinen Aufschluss darüber, ob der Kläger seinen (Haupt-)Anspruch zur Gänze als erfüllt erachtet. Ebenso wenig ist aus diesem Vorbringen der Beklagten abzuleiten, dass dieser Umstand von ihr zugestanden wurde.
5. ...
Unfallversicherung: Schulter vom Armwert der Gliedertaxe mitumfasst?
AUVB 2006
OGH 30. 8. 2023, 7 Ob 124/23w
1. Die vom Berufungsgericht und vom Kläger als erheblich angesehene Frage stellt sich nicht. Selbst wenn man mit dem Kläger davon ausginge, dass eine Verletzung der „Schulter“ nicht vom Armwert der Gliedertaxe erfasst ist, wäre für ihn nichts gewonnen.
2. Der vorliegende Fall ist aufgrund der konkreten Feststellungen dadurch gekennzeichnet, dass beim Unfall eine Verletzung des rechten Armes erfolgte und die Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenks ausschließlich eine (teilweise) Funktionsunfähigkeit des rechten Armes bewirkte. Eine darüber hinausgehende selbständige Gebrauchsminderung der Schulter bzw anderer ihrer Komponenten steht hingegen nicht fest und wurde im erstgerichtlichen Verfahren nicht dargelegt.
Der Kläger ist der Erbe seines Vaters, der bei der Beklagten unfallversichert war. Die dem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Allgemeinen Bedingungen für den Premium-Unfallschutz (AUVB 2006) lauten auszugsweise:
„G. Was versteht man unter dauernder Invalidität? Wie wird der Invaliditätsgrad bemessen?
1. Dauernde Invalidität liegt vor, wenn die versicherte Person durch den Unfall auf Lebenszeit in ihrer körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist.
3. Maßgeblich für die Ermittlung der dauernden Invalidität ist der Zustand der Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit zum Zeitpunkt der ärztlichen Untersuchung bzw zum Zeitpunkt der Erstellung des medizinischen Gutachtens.
Bei völligem Verlust oder völliger Funktionsunfähigkeit der nachstehend genannten Körperteile und Sinnesorgane gelten zur Bemessung des Invaliditätsgrades ausschließlich, soweit nichts anderes vereinbart ist, die folgenden Bewertungsgrundlagen (Gliedertaxe):
eines Armes ... 70 %
Für andere Körperteile und Sinnesorgane bemisst sich der Invaliditätsgrad danach, inwieweit die normale körperliche oder geistige Funktionsfähigkeit insgesamt beeinträchtigt ist. Dabei sind ausschließliche medizinische Gesichtspunkte zu berücksichtigen.
4. Bei Teilverlust oder Funktionsbeeinträchtigung gilt der entsprechende Teil des jeweiligen Prozentsatzes.
5. Ist die Funktion mehrerer Körperteile oder Sinnesorgane durch den Unfall beeinträchtigt, werden die ermittelten Invaliditätsgrade zusammengerechnet. Mehr als 100 % werden jedoch nicht berücksichtigt. ...“
Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil der OGH zur Frage der Zurechnung des Schultergelenks zum Arm im Sinne der Gliedertaxe bisher noch nicht Stellung genommen habe. Der OGH wies die ordentliche Revision des Klägers als unzulässig zurück.
Aus der Begründung des OGH:
1.1. ...
1.2. Für den Fall einer dauernden Invalidität des Versicherten, hat der Versicherer die sich aus der Versicherungssumme und dem Grad der Invalidität zu berechnende Versicherungsleistung zu erbringen. Die Gliedertaxe bestimmt nach einem abstrakten und generellen Maßstab feste Invaliditätsgrade bei Verlust oder Funktionsunfähigkeit der in ihr benannten Glieder. Bei teilweisem Verlust oder teilweiser Funktions- oder Gebrauchsunfähigkeit wird der entsprechende Teil des Prozentsatzes angenommen. Die Funktions- oder Gebrauchsfähigkeit eines Gliedes wird übli-
cherweise in Bruchteilen der vollen Gebrauchsunfähigkeit ausgedrückt. Der in der Gliedertaxe vorgesehene Prozentsatz wird entsprechend diesem Bruchteil vermindert (7 Ob 82/13d mwN). Bei nicht in der Gliedertaxe genannten „anderen“ Körperteilen und Sinnesorganen bemisst sich der Invaliditätsgrad danach, inwieweit die normale körperliche oder geistige Funktionsunfähigkeit nach ausschließlich medizinischen Gesichtspunkten beeinträchtigt ist.
1.3. In der Unfallversicherung hat damit die Beurteilung des Vorliegens und des Grades einer dauernden Invalidität bezogen auf einzelne Körperteile bzw Sinnesorgane oder einer (nach medizinischen Gesichtspunkten) spezifischen Funktionsunfähigkeit zu erfolgen (RIS-Justiz RS0130798). Bei der Funktionsbeeinträchtigung kommt es dabei nicht auf den Sitz der Verletzung an, sondern darauf, wo sich die Verletzung auswirkt.
2.1. Die vom Berufungsgericht und vom Kläger als erheblich angesehene Frage stellt sich nicht. Selbst wenn man mit dem Kläger davon ausginge, dass eine Verletzung der „Schulter“ nicht vom Armwert der Gliedertaxe erfasst ist, wäre für ihn nichts gewonnen:
Der Vater des Klägers zog sich bei einem Sturz einen – dem Arm zuzuordnenden – Mehrfragmentverrenkungsbruch des rechten Oberarmkopfes zu. Die eingesetzte Delta-Reverse-Prothese wurde nach Auftreten einer Infektion entfernt und durch einen Spacer ersetzt. Der Vater des Klägers litt an einer Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenks, die eine Gebrauchsminderung des Armes bewirkte. So war die Innen- und Außenrotationsbewegung im Wesentlichen aufgehoben, ein Nacken- und Kreuzgriff nicht mehr durchführbar und die Muskulatur des rechten Armes verschmächtigt.
2.2. Der vorliegende Fall ist aufgrund der konkreten Feststellungen daher dadurch gekennzeichnet, dass beim Unfall eine Verletzung des rechten Armes erfolgte und die Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenks ausschließlich eine (teilweise) Funktionsunfähigkeit des rechten Armes bewirkte. Eine darüber hinausgehende selbständige Gebrauchsminderung der Schulter bzw anderer ihrer Komponenten steht hingegen nicht fest und wurde im erstgerichtlichen Verfahren nicht dargelegt.
2.3. Vor diesem Hintergrund ist die Bemessung der dauernden Invalidität anhand des Armwerts durch die Vorinstanzen nicht zu beanstanden. Die dem Invaliditätsgrad von 21 % entsprechende Entschädigung wurde dem Vater des Klägers von der Beklagten auch ausbezahlt.
2.4. Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich insofern auch von dem in der Revision angesprochenen, vom BGH zu IVZR 104/13 entschiedenen Fall. Dort erlitt der Kläger beim Sturz eine Schulterprellung sowie eine Sprengung des linken Schultereckgelenks (der Verbindung des Schlüsselbeins mit dem Schulterblatt) mit positivem Klaviertastenphänomen (im Schweregrad Tossy II), was dort zu einer konkret festgestellten Gebrauchsminderung der linken Schulter führte.
3.
Anmerkung:
Wie bereits anlässlich der Entscheidung vom 29. 9. 2021, 7 Ob 94/21f, konnte der OGH die praktisch bedeutsame Frage offenlassen, ob der Grad der dauernden Invalidität bei selbständiger Gebrauchsminderung der Schulter anhand des in den gängigen AUVB prozentuell bestimmten Armwerts zu ermitteln sei oder entsprechend der für andere Körperteile und Sinnesorgane allgemein zu beurteilenden Beeinträchtigung der normalen körper-
lichen oder geistigen Funktionsunfähigkeit nach ausschließlich medizinischen Gesichtspunkten. Als problematisch erwies sich neuerlich der Umstand, dass Verletzungen im Schulterbereich oftmals eine unmittelbare Funktionsbeeinträchtigung des Armes bewirken, nicht hingegen zu selbständigen (nicht armbezogenen) zusätzlichen Beeinträchtigungen der Schulterfunktion führen. Den bisherigen Versuchen, der Ansicht des BGH in seiner Entscheidung vom 1. 4. 2015, IV ZR 104/13,1 auch in Österreich zum Durchbruch zu verhelfen, war deshalb im Ergebnis kein Erfolg beschieden. In besagter Entscheidung war der BGH zur Auffassung gelangt, dass der Invaliditätsgrad bei Gebrauchsminderung der Schulter nicht nach der Gliedertaxe, sondern nach den Regeln zur Invaliditätsbestimmung für andere Körperteile zu ermitteln sei, wenn das „Schultergelenk“ in den Bestimmungen der Gliedertaxe über Verlust oder völlige Funktionsbeeinträchtigung eines „Armes“ keine Erwähnung finde.
Ursache für den Meinungsumschwung aufseiten des BGH2 war der Umstand, dass anders als bei früheren Bedingungswerken der Unfallversicherung in der Gliedertaxe neuerer Bedingungsgenerationen kein Ansatz mehr für „Verlust oder Funktionsunfähigkeit ... eines Armes im Schultergelenk“ gebildet, sondern allein auf Funktionsstörungen des Armes abgestellt werde. Somit deute für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nichts darauf hin, dass der gesamte Schultergürtel zum Arm zählen und eine dort eintretende Gesundheitsbeeinträchtigung bei der Bestimmung des Invaliditätsgrades als bedingungsgemäße Funktionsstörung des Armes gelten solle. Vielmehr werde der Versicherungsnehmer der Staffelung im Rahmen der Gliedertaxe entnehmen, dass zum Arm nur dessen in der Gliedertaxe im Einzelnen benannte Teile, nämlich die Finger, die Hand, der Arm unterhalb und bis oberhalb des Ellenbogens, schließlich der restliche Arm zählen solle. Teile der Schulterpartie, mögen sie auch funktionell dazu bestimmt sein, die zwischen Arm und Rumpf auftretenden Kräfte aufzunehmen und somit die Funktionsfähigkeit des Armes zu gewährleisten, werde er hingegen nicht als vom Bedingungswortlaut erfasst ansehen.
Praktische Konsequenzen können sich vor allem dann ergeben, wenn es – was dem OGH zufolge in den von ihm bisher entschiedenen Konstellationen nicht zutraf – neben Beeinträchtigungen der Armfunktionen auch zu selbständigen Funktionsbeeinträchtigungen der Schulter kommt. Zählt nämlich die Schulter nicht zum Arm(wert), so käme eine Addition der einzelnen Invaliditätsgrade für Schulter- und Armfunktionen in Betracht.
Walter Kath
Krankenversicherung: Zur Mitversicherung eines neugeborenen Kindes im Krankenversicherungsvertrag der Mutter unter Verzicht des Versicherers auf sein Antragsablehnungsrecht in den allgemeinen Versicherungsbedingungen; Begriff „Pseudomakler“
§ 2 der Allgemeinen Bedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustaggegeldversicherung; § 44 VersVG
OGH 30. 8. 2023, 7 Ob 117/23s
1. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass zwischen der Klägerin und der Beklagten durch die Annahme des Anbots
1 VersR 2015, 617 (Dörrrenbächer).
2 Vgl etwa BGH 14. 12. 2011, IV ZR 34/11, VersR 2012, 351.
der Beklagten noch kein Versicherungsvertrag zustande gekommen ist, ist vor dem Hintergrund der von der Beklagten gemeinsam mit ihrem Anbot übermittelten Zusatzangaben, ob es und wie – erst in weiterer Folge – zu einem Vertragsschluss kommen werde, nicht korrekturbedürftig, auch wenn im Schreiben von einem „Anbot“ die Rede ist.
2. Die überdurchschnittliche Vertragsvermittlung in bloß einer einzigen Sparte kann schlicht darauf zurückzuführen sein, dass der Makler strikt die ihm obliegende Pflicht zum best advice befolgt und erkennt, dass ein bestimmter Versicherer in besagter Sparte (in der Regel) Bestanbieter ist.
Die Klägerin ist bei der Beklagten aufrecht krankenzusatzversichert. Der Versicherung liegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (im Folgenden: AVB) zugrunde. Sie lauten auszugsweise: „§ 2. Abschluss des Versicherungsvertrages
(4) Über die Antragsannahme (Beitrittsannahme) entscheidet die Geschäftsleitung des Versicherers. Anträge (Beitritte) können ohne Angabe von Gründen abgelehnt werden. Die Entscheidung ist dem Antragsteller schriftlich mitzuteilen. Mit der Zustellung (Aushändigung) des Versicherungsscheins oder einer schriftlichen Annahmeerklärung ist der Versicherungsvertrag abgeschlossen. Vor Abschluss des Vertrages (Beitritt zur Gruppenversicherung) besteht kein Versicherungsschutz.
(5) Bei neugeborenen Kindern verzichtet der Versicherer in der Krankheitskostenversicherung unter folgenden Voraussetzungen auf das Recht der Ablehnung (§ 2 Abs 4) und auf einen Leistungsausschluss gemäß § 6 Abs 1 und 2:
a) Die Eltern des Kindes müssen seit mindestens drei Monaten nach Tarifen versichert sein, die dem für das Kind beantragten Versicherungsschutz entsprechen;
b) die Mitversicherung des Kindes muss innerhalb eines Monats nach der Geburt mit Wirkung ab dem Geburtsmonat beantragt werden;
c) wenn schon Kinder vorhanden sind, müssen alle im gemeinsamen Haushalt lebenden Kinder unter 18 Jahren im Anschluss an die Versicherung der Eltern schon mitversichert sein.
...“
Die Versicherungsmaklerin der Klägerin war dem Verfahren aufseiten der Klägerin als Nebenintervenientin beigetreten.
Der Sohn der Klägerin wurde am 12. 10. 2019 geboren. Am 5. 11. 2019 übermittelte die Klägerin den Antrag auf Mitversicherung ihres Sohnes mit Versicherungsbeginn 1. 11. 2019 an die Nebenintervenientin. Diese leitete den Antrag am 13. 11. 2019 an die Beklagte zur Prüfung weiter. Nach telefonischer Einforderung einiger zusätzlicher Informationen erstellte die Beklagte am 14. 11. 2019 ein Anbot für eine Mitversicherung, mit Beginn 1. 11. 2019 (Stichtag 1. 12. 2019) mit folgenden Zusatzangaben:
„Die Berechnung [der Prämie] bezieht sich auf oben angeführten Versicherungsbeginn und beruht auf der Voraussetzung, dass die versicherte(n) Person(en) gesund ist (sind) und keine erhöhten Risiken bekannt sind. Für einen Vertragsabschluss ist ein eigener Antrag und dessen Annahme durch die M. AG erforderlich.“
Nach Rücksprache mit der Klägerin erklärte daraufhin die Nebenintervenientin mit E-Mail vom 20. 11. 2019 der Beklagten gegenüber, die Klägerin nehme das Anbot an und ersuchte um Polizzierung. Die Beklagte teilte der Nebenintervenientin mit, dass der Antrag an die Fachabteilung zur Polizzierung weitergeleitet werde. Während der Antragsprüfung durch die Beklagte wurde beim Sohn der Klägerin eine Erbkrankheit festgestellt, die der Beklagten am 21. 11. 2019 nachgemeldet wurde. Die Beklagte lehnte daraufhin die Annahme des Mitversicherungsantrags ab.
Die Klägerin begehrt den Ersatz von im Zusammenhang mit der Erkrankung ihres Sohnes angefallener Heilungskosten und die Feststellung dessen aufrechter Mitversicherung in ihrem Krankenzusatzversicherungsvertrag bei der Beklagten. Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab.
Der OGH wies die von der Klägerin erhobene außerordentliche Revision als unzulässig zurück.
Aus der Begründung des OGH:
1. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass zwischen der Klägerin und der Beklagten durch die Annahme des Anbots der Beklagten vom 14. 11. 2019 durch die Klägerin am 20. 11. 2019 noch kein Versicherungsvertrag zustande gekommen ist, ist vor dem Hintergrund der von der Beklagten gemeinsam mit ihrem Anbot vom 14. 11. 2019 übermittelten Zusatzangaben, ob es und wie – erst in weiterer Folge – zu einem Vertragsschluss kommen werde, nicht korrekturbedürftig, auch wenn im Schreiben von einem „Anbot“ die Rede ist.
2. Dass die Klägerin die Voraussetzungen für die begünstigte Mitversicherung von Neugeborenen nach § 2 Abs 5 AVB der Beklagten nicht erfüllt hat, ziehen die Revisionswerber zu Recht nicht mehr in Zweifel.
3. Eine Krankenzusatzversicherung kann nur auf Basis der vertraglichen Vereinbarungen zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer geschlossen werden. Hier geht es um eine begünstigte Einbeziehung eines Kindes in einen bestehenden Vertrag unter Verzicht der Beklagten auf ihr Ablehnungsrecht, wofür Bedingungen vorgesehen wurden. Das Festlegen von Bedingungen dafür hat den offenbaren Grund in der Prämienkalkulation des im Rahmen der Gesetze darin freien Versicherers (vgl 7 Ob 130/ 13p, wo bereits aus gleicher Klausel die Rechtsansicht, dass darin eine unsachliche Differenzierung liegt, unbeantwortet blieb). Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, § 2 Abs 5 AVB der Beklagten sei in diesem Rahmen weder gröblich benachteiligend noch intransparent, ist nicht zu beanstanden.
4. Nach ständiger Rechtsprechung ist der Versicherungsmakler zwar regelmäßig ein Doppelmakler, wird aber trotzdem als Hilfsperson des Versicherungsnehmers dessen Sphäre zugerechnet und hat primär als „Bundesgenosse“ des Versicherten dessen Interessen zu wahren (RIS-Justiz RS0114041). Ein Pseudomakler ist ein Vermittler, der zum Versicherer in einem solchen wirtschaftlichen Naheverhältnis steht, das es zweifelhaft erscheinen lässt, ob er in der Lage ist, überwiegende Interessen des Versicherungsnehmers zu wahren (§ 44 VersVG; RIS-Justiz RS0114041). Dass die Vorinstanzen von einem solchen Naheverhältnis nicht ausgegangen sind, bedarf unter Berücksichtigung der Feststellungen, wonach keine dauernde Geschäfts- oder Vermittlungstätigkeit zwischen der Nebenintervenientin und der Beklagten besteht und die Nebenintervenientin von verschiedenen Angeboten verschiedener Versicherungsunternehmen das ihrer Ansicht nach entsprechend beste Angebot für den jeweiligen Versicherungsnehmer sucht und nicht für eine bestimmte Versicherung tätig wird, keiner Korrektur. Der von der Nebenintervenientin für ein besonderes Naheverhältnis ins Treffen geführte Umstand, sie habe in der Sparte Krankenzusatzversicherung immer die Beklagte gewählt, trägt diese Schlussfolgerung nicht, weil die überdurchschnittliche Vertragsvermittlung in bloß einer einzigen Sparte schlicht darauf zurückzuführen sein kann, dass der Makler strikt die ihm obliegende Pflicht zum best advice befolgt und erkennt, dass ein bestimmter Versicherer in besagter Sparte (in der Regel) Bestanbieter ist (Kath in Fenyves/Perner/Riedler, VersVG, § 44 Rz 10).
5.
Anmerkung:
Für den Abschluss von Versicherungsverträgen gelten die allgemeinen rechtsgeschäftlichen Regelungen, sodass Versicherungsverträge grundsätzlich formfrei und konkludent abgeschlossen werden können. Da das Gesetz keine feste Rollenverteilung
kennt, ist es durchaus möglich, dass der Antrag auf Abschluss des Versicherungsvertrages sowohl von der Versicherungsnehmerin als auch vom Versicherer gestellt werden kann und dieser jeweils vom anderen Vertragspartner dann angenommen wird.1
Mit der Bestimmung des § 5 VersVG ist der Gesetzgeber allerdings vom sogenannten Polizzenmodell ausgegangen, wonach die Versicherungsnehmerin den Antrag auf Abschluss des Versicherungsvertrages stellt und dieser dann vom Versicherer durch Zustellung der Versicherungspolizze konkludent angenommen wird.2
Stellt daher der Versicherer der Versicherungsnehmerin für die Antragsstellung ein standardisiertes Antragsformular zur Verfügung, handelt es sich in der Regel nicht um ein bindendes Anbot des Versicherers, sondern vielmehr um eine Einladung der Versicherungsnehmerin, einen Antrag auf Abschluss des Versicherungsvertrages zu stellen.3
Übermittelt der Versicherer der Versicherungsnehmerin daher ein „Anbot“, das diese unterfertigen soll, wird vor dem Hintergrund der gesetzlichen Bestimmung des § 5 VersVG im Zweifel davon auszugehen sein, dass die Unterfertigung dieses Anbots des Versicherers als Antrag auf Abschluss des Versicherungsvertrages zu werten ist, wobei dieser Antrag dann erst durch Übermittlung der Versicherungspolizze durch den Versicherer anzunehmen ist.
Dies deshalb, weil andernfalls die gesetzliche Bestimmung des § 5 VersVG, die grundsätzlich die Versicherungsnehmerin schützt, unanwendbar würde.4
Im konkreten Fall hat das Anbot des Versicherers sogar den Hinweis enthalten, dass für einen Vertragsabschluss ein eigener Antrag und dessen Annahme durch den Versicherer erforderlich ist, wodurch ausreichend deutlich geworden ist, dass das Anbot des Versicherers lediglich eine Einladung zur Antragsstellung durch die Versicherungsnehmerin gewesen ist. Darauf verweist das Höchstgericht zutreffend.
Liegt daher durch die Einladung zur Antragsstellung noch kein bindendes Anbot des Versicherers vor, konnte durch die „Annahmeerklärung“ der Versicherungsnehmerin der Versicherungsvertrag auch nicht dadurch zustande kommen, weil es an einem bindenden Offert des Versicherers fehlt.5 Durch die Annahmeerklärung der Versicherungsnehmerin wurde aber hinlänglich deutlich, dass sich die Versicherungsnehmerin hinsichtlich des Abschlusses eines Versicherungsvertrages binden möchte, sodass ihre „Annahmeerklärung“ zutreffend als bindender Antrag verstanden werden durfte, welches Verständnis im konkreten Fall der Versicherer sogar ausdrücklich der Versicherungsmaklerin der Versicherungsnehmerin mitgeteilt hat.
Wenn in weiterer Folge der Versicherer allerdings die Annahme des Antrags der Versicherungsnehmerin abgelehnt hat, scheiterte der Vertragsabschluss am fehlenden Konsens beider Vertragsteile.6 Bereits in der vom Höchstgericht zitierten Vorentscheidung vom 16. 10. 2013, 7 Ob 130/13p, hat das Höchstgericht darauf hingewiesen, dass es auch beim Abschluss einer Krankenzusatzversicherung des rechtsgeschäftlichen Konsenses zwischen Versi-
1 Wieser in Kath/Kronsteiner/Kunisch/Reisinger/Wieser, Praxishandbuch Versicherungsvertragsrecht I (2019) Rz 654.
2 Wieser in Kath ua, Versicherungsvertragsrecht I, Rz 688; Perner, Privatversicherungsrecht (2021) Rz 2.12.
3 Schauer, Zivilrechtliche Grundlagen des Vertragsabschlusses im Onlinevertrieb, in Gruber, Onlineversicherung (2022) 127 (128).
4 Kriegner, Das Invitatiomodell im österreichischen Versicherungsrecht, WBl 2016, 809.
5 Rummel in Rummel/Lukas, ABGB4, § 861 Rz 3 und 18.
6 Schickmair in Klang, ABGB3, § 861 Rz 33.
cherer und Versicherungsnehmer bedarf, der nach allgemeinen rechtsgeschäftlichen Grundsätzen herzustellen ist.
Bleibt abschließend anzumerken, dass das Höchstgericht auch zutreffend darauf hingewiesen hat, dass aus der bloßen Auswahl eines Versicherers durch die Versicherungsmaklerin keine Nahebeziehung zu diesem begründet wird, die die Qualifikation einer Pseudomaklerin im Sinne des § 44 VersVG rechtfertigen könnte.7
Herbert Salficky
Dr. Herbert Salficky ist Rechtsanwalt in Wien.
Krankenversicherung: Unwirksamkeit von Regelungen über eine zeitliche Begrenzung der Leistungspflicht auf 364 Tage innerhalb von drei Versicherungsjahren im Bedingungsabschnitt „Beendigung der Versicherung“
§ 864a ABGB; Punkt VI. Abs 3 3 der Besonderen Versicherungsbedingungen für die Krankheitskostenversicherung Krankengeldtarif für unselbständig und selbständig Erwerbstätige MIK 28/16_060
OGH 30. 8. 2023, 7 Ob 107/23w
1. Die Geltungskontrolle nach § 864a ABGB geht der Inhaltskontrolle gemäß § 879 ABGB vor. Objektiv ungewöhnlich nach § 864a ABGB ist eine Klausel, die von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht, mit der er also nach den Umständen vernünftigerweise nicht zu rechnen brauchte. Der Klausel muss ein „Überrumpelungseffekt“ innewohnen. Entscheidend ist, ob die Klausel beim entsprechenden Geschäftstyp üblich ist und ob sie den redlichen Vertragsgewohnheiten entspricht. Auf ihren Inhalt allein kommt es aber nicht an. Er spielt vor allem im Zusammenhang mit der Stellung im Gesamtgefüge des Vertragstextes eine Rolle, denn das Ungewöhnliche einer Vertragsbestimmung ergibt sich besonders aus der Art ihrer Einordnung in den allgemeinen Geschäftsbedingungen. Die Bestimmung darf im Text nicht derart „versteckt sein“, dass sie der Vertragspartner, ein durchschnittlich sorgfältiger Leser, dort nicht vermutet, wo sie sich befindet, und dort nicht findet, wo er sie vermuten könnte. Erfasst sind alle dem Kunden nachteilige Klauseln; eine grobe Benachteiligung nach § 879 Abs 3 ABGB ist nicht vorausgesetzt. Die Geltungskontrolle ist nicht allein auf Nebenabreden beschränkt, sondern umfasst auch Vertragsbestimmungen über die Begründung, Umgestaltung bzw Erweiterung der Hauptpflichten.
2. Unter der Überschrift „Beendigung der Versicherung“ wird der durchschnittlich sorgfältige Leser thematisch auch nur Regelungen über die Beendigung des Versicherungsverhältnisses erwarten und gerade keine Einschränkung der unter der entsprechenden Überschrift „Leistungsvoraussetzungen“ enthaltenen Leistungsbeschreibung. Keine andere Überschrift lässt vermuten, dass in den BVB eine weitere Umschreibung der Leistungen (vor allem in Form einer Leistungsbegrenzung) bei aufrechtem Versicherungsverhältnis vorgenommen wird. Die Vertragsparteien der Beklagten werden daher davon ausgehen, dass es zu diesem Thema keine besondere Bestimmung in den BVB gibt. Auf gar keinen Fall werden sie eine Begrenzung der Leistung bei Fortbestehen des Vertragsverhältnisses unter der Überschrift „Beendigung der Versicherung“ vermuten oder gar suchen.
7 Kath in Fenyves/Perner/Riedler, VersVG, § 44 Rz 5.
Zwischen dem Kläger und der Beklagten bestand ein Krankenversicherung-Gesundheitsversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (in Hinkunft: AVB) sowie die Besonderen Versicherungsbedingungen für die Krankheitskostenversicherung Krankengeldtarif für unselbstständig und selbstständig Erwerbstätige MIK 28/16_060 (in Hinkunft: BVB) zugrunde lagen. Es wurde ein tägliches Krankengeld ab dem 29. Tag der 100%igen Arbeitsunfähigkeit vereinbart.
Seit Beginn des Versicherungsvertrages (1. 7. 2017) befand sich der Kläger vom 14. 2. 2018 bis zum 8. 7. 2018 wegen eines Bandscheibenvorfalls für 145 Tage und vom 26. 3. 2020 bis zum Tag seiner Ruhestandsversetzung (1. 4. 2022) im Krankenstand. In beiden Fällen lag eine 100%ige Arbeitsunfähigkeit vor.
Die AVB lauten – auszugsweise – wie folgt: „§ 5. Art und Umfang des Versicherungsschutzes (1) Art und Umfang des Versicherungsschutzes ergeben sich aus dem Tarif (den Besonderen Versicherungsbedingungen – BVB) und dem Versicherungsschein.
(19) Krankengeld
In Krankheitskostentarifen, in denen Leistungen hierfür vorgesehen sind, wird bei Arbeitsunfähigkeit bei Krankheit und Unfallfolgen an vollbeschäftigte Hauptversicherte in der Sozialversicherung (Dienstnehmer), nicht aber an mitversicherte Familienangehörige, sofern sie sich während der Dauer der Erkrankung in häuslicher Pflege befinden, in der ständigen Wohnung gepflegt und behandelt werden und aufgrund der ordnungsgemäßen Krankmeldung bei der zuständigen Pflichtkrankenkasse in Krankenstand geführt werden, ein Krankengeld für eine im Tarif vorgesehene Dauer der häuslichen Pflege bezahlt.
...
Für einen fortlaufenden Krankenstand wird das Krankengeld nur einmal bis zum tariflichen Höchstausmaß ausbezahlt. Ein neuerlicher Krankenstand gilt als gegeben, wenn zwischen dem Abschluss des ersten Krankenstands und dem neuerlichen Krankenstand eine mindestens sechs Wochen dauernde Dienstleistung liegt.
§ 13. Kündigung durch den Versicherungsnehmer (1) Der Versicherungsvertrag wird auf Lebenszeit des Versicherungsnehmers abgeschlossen. Der Versicherungsnehmer hat das Recht, den Versicherungsvertrag zum Ende eines jeden Versicherungsjahres, frühestens aber zum Ablauf einer vereinbarten Vertragsdauer, mit einer Frist von drei Monaten zu kündigen.
...“
Die BVB lauten auszugsweise:
„Erster Abschnitt – Tarifbestimmungen
Unter Anwendung der Bestimmungen des § 1 AVB werden folgende Leistungen erbracht. Die Höhe dieser Leistungen ergibt sich aus dem zweiten Abschnitt – Leistungen.
I. Versicherungsfall
(1) Versicherungsfall nach diesem Tarif ist der Nachweis und die Feststellung einer völligen (100%igen) Arbeitsunfähigkeit. ...
(a) Ein Krankengeld für unselbständig Erwerbstätige wird nur dann vergütet, wenn eine Krankenstandsbestätigung von der gesetzlichen Sozialversicherung vorliegt. Der Versicherungsfall beginnt bei unselbständig Erwerbstätigen mit dem Eintritt der völligen Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit oder Unfallfolgen und endet, wenn keine völlige Arbeitsunfähigkeit mehr besteht.
II. Leistungsvoraussetzungen
(1) Bei einer durch Krankheit oder Unfall hervorgerufenen völligen (100%igen) Arbeitsunfähigkeit wird nach Ablauf der vereinbarten Karenzzeit für die Dauer der völligen (100%igen) Arbeitsunfähigkeit und Einschluss der Sonn- und Feiertage ein vereinbartes Krankengeld pro Tag geleistet. Die Karenzzeit beträgt 28 Tage.
(2) Der Anspruch auf Krankengeld endet mit dem letzten Tag der nachgewiesenen Arbeitsunfähigkeit, spätestens zu dem Zeitpunkt, in welchem die gesetzliche Krankenkasse ihre Krankengeldleistungen einstellt.
III. Summenbegrenzung
IV. Obliegenheiten
V. Familienrabatt, Aufnahmealter
VI. Beendigung der Versicherung
(1) Unbeschadet der Bestimmungen der §§ 11, 13, 14 und 15 AVB endet die Versicherung nach Vorlage der entsprechenden Nachweise auch:
(a) durch Beendigung des ständigen Dienst- und Arbeitsverhältnisses; (b) durch Entfall jeglichen Einkommens aus selbständiger Erwerbstätigkeit;
(c) durch Eintritt der dauernden Berufsunfähigkeit oder Invalidität; eine solche liegt dann vor, wenn die versicherte Person im bisher ausgeübten Beruf auf nicht absehbare Zeit mehr als 50 % erwerbsunfähig wird.
(2) Kündigt der Versicherer die Versicherung gemäß § 14 Abs 1 AVB, endet der Versicherungsschutz in Abänderung der Bestimmungen des § 9 Abs2 AVB nach Ablauf von vier Wochen ab Beendigung des Versicherungsvertrages.
(3) Leistungen werden für längstens 364 Tage innerhalb von drei Versicherungsjahren erbracht. In diesem Fall kann der Versicherer den Vertrag zum Ende des Monats, in dem die Leistung für 364 Tage erbracht wurde, kündigen.
Zweiter Abschnitt – Leistungen
Krankengeld für unselbständig Erwerbstätige Ab dem 29. Tag der 100%igen Arbeitsunfähigkeit ... 60 €.“
Der Kläger begehrt Krankengeld für den Krankenstand vom 26. 12. 2020 bis zum 31. 3. 2022 im Ausmaß von (weiteren) 364 Tagen. Die Beklagte habe Leistungen bis zum 25. 12. 2020 erbracht. Die Ablehnung der weiteren Leistung durch die Beklagte sei jedoch ungerechtfertigt. Der einzige Hinweis auf die von der Beklagten behauptete maximale Leistungspflicht für 364 Tage innerhalb von drei Versicherungsjahren sei nur in Punkt VI. BVB („Beendigung der Versicherung“) enthalten. Die Bestimmung sei unwirksam. Sie sei intransparent gemäß § 6 Abs 3 KSchG, gröblich benachteiligend nach § 879 Abs 3 ABGB und an einer Stelle in den BVB formuliert, an der mit einer solchen nachteiligen Bestimmung nicht zu rechnen sei. Da sich der Kläger vom 26. 3. 2020 bis zum 31. 3. 2022 durchgehend im Krankenstand befunden habe und dieser über die ersten drei Versicherungsjahre hinausgehend bestanden habe, habe er auch über diesen genannten Zeitraum hinaus Versicherungsleistungen in Form des Krankengeldes zu erhalten.
Die Beklagte bestritt das Klagebegehren. Der zweite Krankenstand sei innerhalb der ersten drei Versicherungsjahre entstanden und habe daher nicht in den zweiten drei Versicherungsjahren neu zu laufen begonnen. Es handle sich daher um keinen neuen Schadensfall. Auslösend sei immer der erste Tag des Krankenstandsversicherungsfalles. Die BVB seien in diesem Punkt weder missverständlich noch gröblich benachteiligend. Es sei einem verständigen Versicherungsnehmer möglich und zumutbar, diese auf einer Seite zusammengefassten BVB durchzulesen, zu verstehen und richtig zu beurteilen. Von einer „versteckten Klausel“ könne daher nicht gesprochen werden. Es ergebe sich klar und deutlich, dass es sich unabhängig von der Anzahl der Versicherungsfälle um eine Risikobeschränkung im Sinne eines Maximalanspruchs für 364 Tage innerhalb von drei Versicherungsjahren handle.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es erachtete das vertragliche Ausmaß der Versicherungsleistungen durch die Beklagte zur Gänze erfüllt und lehnte weiter gehende Ansprüche des Klägers aus dem Versicherungsvertrag ab. Aus dem Wortlaut der Leistungsbeschränkung in PunktVI. Abs 3 BVB ergebe sich in Zusammenschau mit § 13 AVB, in dem der Begriff „Versicherungsjahr“ definiert sei, für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer unzweifelhaft, dass das Versicherungsjahr mit dem Wirksamwerden der Versicherung beginne und von der Versicherung innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren Leistungen für längstens 364 Tage zu erbringen seien. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer habe die Leistungsbegrenzungsregelung nicht so auffassen können, dass die Krankengeldversicherung für unbeschränkt viele Krankenstandstage auszubezahlen sei. Das Interesse des Versicherers bei Personen, die innerhalb von drei Jahren mehr als 364 Tage Krankenstandstage aufweisen, diene einerseits der Leistungsbegrenzung und auch der Kündigungsmöglichkeit nach Erbringung des Tagegeldes für diesen Zeitraum und gewährleiste eine – mit vertretbarem Aufwand und zeitnah zu treffende – Entscheidung über die Versicherungsleistungen. Durch eine unbegrenzte Krankengeld-
leistungsverpflichtung für den Versicherer ließe sich eine möglichst günstige Tarifkalkulation aber nicht gewährleisten.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge und änderte das Urteil dahin gehend ab, dass es dem Kläger einen Teilbetrag zusprach; das darüber hinausgehende Mehrbegehren wurde abgewiesen. Durch den zu Art und Umfang des Versicherungsschutzes in den AVB ausdrücklichen Verweis auf die BVB liege eine objektiv ungewöhnliche Klausel im Sinne des § 864a ABGB nicht vor, weil der Kläger mit dieser Klausel und deren Inhalt nicht „überrumpelt“ und/oder überrascht werde habe können und die BVB – nur eine Seite umfassend – überschaubar seien. Nach § 5 Abs 19 AVB stehe dem Versicherungsnehmer für einen fortlaufenden Krankenstand Krankengeld nur einmal bis zum –in Punkt VI. Abs 3 BVB geregelten – tariflichen Höchstausmaß zu. Somit habe der Kläger für den mit 26. 3. 2020 begonnenen und fortwährenden Krankenstand Anspruch auf ein Tagegeld von insgesamt 364 Tagen. Ein darüber hinausgehender Anspruch bestehe – unbeschadet der Überschreitung eines Zeitraums von drei Versicherungsjahren – für diesen Versicherungsfall nicht. Die Bestimmung in Punkt VI. Abs 3 BVB iVm § 5 Abs 1 und 19 AVB könne in verschränkter Interpretation nur so ausgelegt werden, dass dem Kläger für seinen (zweiten) Krankenstand (nach Versicherungsbeginn) ein Krankengeld bis zu 364 Tagen (tarifliches Höchstausmaß) zustehe und die Leistungsbegrenzung von „364 Tagen im Zeitraum von drei Versicherungsjahren“ nicht bedeute, dass dieser Zeitraum (nur) die ersten drei Versicherungsjahre umfasse und in den darauffolgenden drei Versicherungsjahren keine weitere Leistung mehr (auch nicht wegen eines bereits eingetretenen Versicherungsfalles) zu erbringen wäre. Die Leistungsbegrenzung nach Punkt VI. Abs3 BVB räume der Beklagten in diesem Zusammenhang nur ein (zusätzliches) Kündigungsrecht ein. Das Transparenzgebot gemäß § 6 Abs3 KSchG sei gewahrt. Der von der Beklagten erhobenen ordentlichen Revision gab der OGH nicht, jener des Klägers hingegen zur Gänze Folge und gab dem restlichen Klagebegehren statt.
Aus den Entscheidungsgründen des OGH:
1.1. In § 178b Abs 1 bis 4 VersVG werden typische Versicherungsfälle und Leistungsversprechen in den bedeutendsten Formen der privaten Krankenversicherung definiert. § 178b VersVG ist dispositiv und daher im Rahmen der Vertragsfreiheit abdingbar. Die Vertragsparteien können somit weitgehend selbst wählen, wie die Krankenversicherung ausgestaltet sein muss. Typischerweise wird die private Krankenversicherung als sogenannte Zusatzversicherung abgeschlossen (7 Ob 202/22i).
1.2. Gemäß § 178b Abs 3 VersVG ist bei der – hier interessierenden – Krankengeldversicherung der Versicherer verpflichtet, den als Folge von Krankheit oder Unfall durch Arbeitsunfähigkeit verursachten Verdienstausfall durch das vereinbarte Krankengeld zu ersetzen. Bei der Krankengeldversicherung ist Versicherungsfall die als Folge von Krankheit und Unfall herbeigeführte Arbeitsunfähigkeit (7 Ob 189/19y).
1.3. Die Krankenversicherung ist im Regelfall als „lebenslanges“ Versicherungsverhältnis konzipiert (§ 178i Abs 1 VersVG). Eine Ausnahme vom Ausschluss der ordentlichen Kündigung besteht für die Krankengeldversicherung. Bei dieser Vertragsart kann der Versicherer sowohl nach § 8 Abs 2 VersVG als auch aufgrund von Vertragsbestimmungen kündigen (§ 178i Abs 2 VersVG; vgl 7 Ob 189/19y).
2.1. und 2.2.
2.3. Die Geltungskontrolle nach § 864a ABGB geht der Inhaltskontrolle gemäß § 879 ABGB vor (RIS-Justiz RS0037089). Objektiv ungewöhnlich nach § 864a ABGB ist eine Klausel, die von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht, mit der er also nach den Umständen vernünftigerweise nicht zu rechnen brauchte. Der Klausel muss ein „Überrumpelungseffekt“ innewohnen (RIS-Justiz RS0014646). Entscheidend ist, ob die Klausel beim entsprechenden Geschäftstyp üblich ist und ob sie den redli-
chen Vertragsgewohnheiten entspricht (RIS-Justiz RS0105643 [T3]). Auf ihren Inhalt allein kommt es aber nicht an. Er spielt vor allem im Zusammenhang mit der Stellung im Gesamtgefüge des Vertragstextes eine Rolle, denn das Ungewöhnliche einer Vertragsbestimmung ergibt sich besonders aus der Art ihrer Einordnung in den allgemeinen Geschäftsbedingungen (RIS-Justiz RS0014659 [T2]). Die Bestimmung darf im Text nicht derart „versteckt sein“, dass sie der Vertragspartner, ein durchschnittlich sorgfältiger Leser, dort nicht vermutet, wo sie sich befindet, und dort nicht findet, wo er sie vermuten könnte (RIS-Justiz RS0014646 [T14]). Erfasst sind alle dem Kunden nachteilige Klauseln; eine grobe Benachteiligung nach § 879 Abs 3 ABGB ist nicht vorausgesetzt (RIS-Justiz RS0123234). Die Geltungskontrolle ist nicht allein auf Nebenabreden beschränkt, sondern umfasst auch Vertragsbestimmungen über die Begründung, Umgestaltung bzw Erweiterung der Hauptpflichten (RIS-Justiz RS0014603).
3.1. Die Beklagte argumentiert, dass § 5 (1) AVB hinsichtlich Art und Umfang des Versicherungsschutzes auf den Tarif (die BVB) verweisen. Aus Punkt VI. Abs 3 BVB folge, dass Leistungen für längstens 364 Tage innerhalb von drei Versicherungsjahren erbracht würden. Für die Periode der nächsten drei Versicherungsjahre sei künftig wiederum für maximal 364 Tage Krankengeld zu erbringen, wenn in diesem Zeitraum weitere Krankenstände (aufgrund neuerlicher Erkrankungen) anfallen würden. Die Beklagte beruft sich damit darauf, dass eine Leistungsbeschränkung (Leistungsbegrenzung) für das Krankentagegeld in Punkt VI. Abs3 BVB geregelt sei.
3.2.1. Die BVB definieren unter „Erster Abschnitt – Tarifbestimmungen“ in Punkt I. unter der gleichlautenden Überschrift den Versicherungsfall. Dieser beginnt mit dem Eintritt der völligen (100%igen) Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit oder Unfallfolgen (Punkt I. Abs 1 BVB) und endet, wenn die Arbeitsunfähigkeit nicht mehr besteht (Punkt I. Abs 1 lit a und b BVB). Unter der Überschrift „II. Leistungsvoraussetzungen“ regelt Punkt II. Abs1 BVB, dass bei einer durch Krankheit oder Unfall hervorgerufenen völligen Arbeitsunfähigkeit nach Ablauf der vereinbarten Karenzzeit (28 Tage) für die Dauer der völligen (100%igen) Arbeitsunfähigkeit und Einschluss von Sonn- und Feiertagen das vereinbarte Krankengeld pro Tag (hier: 60 €) geleistet wird. In Punkt II. Abs 2 BVB wird festgehalten, dass der Anspruch mit dem letzten Tag der nachgewiesenen Arbeitsunfähigkeit, spätestens in dem Zeitpunkt, in welchem die gesetzliche Krankenkassa die Krankengeldleistungen einstellt, endet.
3.2.2. Aus Punkt I. im Zusammenhalt mit Punkt II. BVB folgt daher nach dem Wortlaut grundsätzlich ein Anspruch auf Krankengeld für die Dauer der völligen Arbeitsunfähigkeit unter Berücksichtigung der vereinbarten Karenzfrist.
3.3. Im Anschluss finden sich in den BVB die Überschriften „III.Summenbegrenzung“, „IV. Obliegenheiten“, „V. Familienrabatt, Aufnahmealter“ und „VI. Beendigung der Versicherung“. In PunktVI. Abs 1 a bis c BVB wird eine Erweiterung der in §§ 11, 13, 14 und 15 AVB vorgesehenen Gründe der Beendigung des Versicherungsvertrages angeführt (Beendigung des ständigen Dienst- und Arbeitsverhältnisses, Entfall jeglichen Einkommens aus selbständiger Erwerbstätigkeit und Eintritt dauernder Berufsunfähigkeit oder Invalidität). Punkt VI. Abs 2 BVB sieht für den Fall der Kündigung durch den Versicherer gemäß § 14 Abs 1 AVB das Ende des Versicherungsschutzes nach Ablauf von vier Wochen ab Beendigung des Versicherungsvertrages vor.
3.4.1. In der von der Beklagten herangezogenen Bestimmung des Punktes VI. Abs 3 BVB wird festgehalten, dass Leistungen für längstens 364 Tage innerhalb von drei Versicherungsjahren er-
bracht werden. In diesem Fall kann der Versicherer den Vertrag zum Ende des Monats, in dem die Leistung für 364 Tage erbracht wurde, kündigen.
3.4.2. Die Textierung spricht für die Vereinbarung eines Kündigungsrechts nach § 178i Abs 2 VersVG. Darauf muss hier aber nicht näher eingegangen werden, gründet die Beklagte ihren gegen das Leistungsbegehren erhobenen Einwand doch – wie ausgeführt – darauf, dass Punkt VI. Abs 3 BVB eine Begrenzung der in Punkt II. BVB umschriebenen versicherten Leistungen darstellt.
3.4.3. Unter der Überschrift „Beendigung der Versicherung“ wird der durchschnittlich sorgfältige Leser thematisch auch nur Regelungen über die Beendigung des Versicherungsverhältnisses erwarten und gerade keine Einschränkung der unter der entsprechenden Überschrift „Leistungsvoraussetzungen“ enthaltenen Leistungsbeschreibung. Keine andere Überschrift lässt vermuten, dass in den BVB eine weitere Umschreibung der Leistungen (vor allem in Form einer Leistungsbegrenzung) bei aufrechtem Versicherungsverhältnis vorgenommen wird. Die Vertragsparteien der Beklagten werden daher davon ausgehen, dass es zu diesem Thema keine besondere Bestimmung in den BVB gibt. Auf gar keinen Fall werden sie eine Begrenzung der Leistung bei Fortbestehen des Vertragsverhältnisses unter der Überschrift „Beendigung der Versicherung“ vermuten oder gar suchen.
3.4.4. Die von der Beklagten in Punkt VI. Abs 3 BVB unterstellte Leistungsbegrenzung ist damit ungewöhnlich und unwirksam nach § 864a ABGB.
4.1. Davon ausgehend besteht der Anspruch des Klägers auf Erbringung des Krankengeldes für die Dauer seiner völligen Arbeitsunfähigkeit. Dem Klagebegehren war daher Folge zu geben.
4.2. In diesem Zusammenhang wird der vom Berufungsgericht vertretenen – selbst von der Beklagten bemängelten – Rechtsansicht, dass ausgehend von § 5 Abs 19 AVB iVm Punkt VI. Abs 3 BVB für den zweiten fortlaufenden Krankenstand nur einmal das Krankengeld bis zum tariflichen Höchstausmaß (= 364 Tage) zustehe, nicht beigetreten: Abgesehen davon, dass die dortige Leistungsbegrenzung ungewöhnlich und damit unwirksam ist, verweist § 5 Abs 19 AVB weder auf Punkt VI. Abs 3 BVB noch enthält diese Regelung nach dem Wortlaut eine Leistungsbegrenzung pro Versicherungsfall.
5.1. ...
Rechtsschutzversicherung: Unwirksamkeit eines Risikoausschlusses bezüglich der Wahrnehmung rechtlicher Interessen „in ursächlichem Zusammenhang mit Akten der Hoheitsverwaltung“
§ 6 Abs 3 und § 28 KSchG; § 879 Abs 3 ABGB; Art 7.1.2 ARB 2020
OGH 27. 9. 2023, 7 Ob 92/23i
1. Die Klausel nimmt die Wahrnehmung rechtlicher Interessen vom Versicherungsschutz aus, die in ursächlichem Zusammenhang mit Akten der Hoheitsverwaltung stehen. Im Anschluss daran zählt sie bestimmte Verwaltungsangelegenheiten und eine Angelegenheit der ordentlichen Gerichtsbarkeit demonstrativ (arg: „wie insbesondere“) auf. Entgegen der Ansicht der Beklagten ergibt sich aus der Klausel nicht ansatzweise, dass lediglich verwaltungsbehördliche oder gerichtliche „Bewilligungsverfahren“ vom Versicherungsschutz ausgenommen sind, was deutlich zu formulieren der Beklag-
ten freigestanden wäre. Die Reichweite des Risikoausschlusses bleibt damit für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer im Unklaren. Auch die nachfolgende beispielhafte Aufzählung führt entgegen der Ansicht der Beklagten nicht zur Transparenz der Klausel, lässt sie doch den durchschnittlichen Versicherungsnehmer durch die bloß beispielhafte Aufzählung weiterhin im Unklaren, welche (sonstigen) Hoheitsakte vom Risikoausschluss umfasst sind.
2. Soweit die Revision mit ihrer Behauptung, die Klausel werde seit Jahrzehnten „wohl verstanden“, darauf hinaus möchte, diese werde nur eingeschränkt hinsichtlich der demonstrativ aufgezählten Rechtsmaterien verstanden und angewendet, ist ihr entgegenzuhalten, dass im Verbandsprozess weder auf die praktische Handhabung noch auf individuelle Erklärungen oder Vereinbarungen Rücksicht genommen werden kann und das der Klausel vom Verwender der allgemeinen Geschäftsbedingungen beigelegte Verständnis nicht maßgeblich ist.
3. Die Klausel ist daher zusammengefasst intransparent gemäß § 6 Abs 3 KSchG, sodass auf die Frage der gröblichen Benachteiligung nicht mehr eingegangen werden muss.
Der Kläger, ein zur Verbandsklage nach § 29 Abs 1 KSchG befugter Verband, begehrte im Rahmen einer solchen Verbandsklage vom beklagten Versicherer die Unterlassung der Verwendung nachstehender Klausel der Rechtsschutzversicherung, die Unterlassung der Berufung auf diese oder eine sinngleiche Klausel sowie Urteilsveröffentlichung. Die Klausel sei sowohl gröblich benachteiligend im Sinne des § 879 Abs 3 ABGB als auch intransparent im Sinne des § 6 Abs 3 KSchG.
Die in Art 7.1.2 ARB 2020 der Beklagten enthaltene Klausel lautet:
„Artikel 7 – Was ist vom Versicherungsschutz ausgeschlossen? (Allgemeine Risikoausschlüsse)
Kein Versicherungsschutz besteht für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen
1. in ursächlichem Zusammenhang
1.2. mit ... Akten der Hoheitsverwaltung wie insbesondere Enteignungs, Flurverfassungs-, Raumordnungs-, Grundverkehrs- oder Grundbuchsangelegenheiten“
Erst- und Berufungsgericht gaben dem Klagebegehren statt: die inkriminierte Klausel sei sowohl gröblich benachteiligend als auch intransparent.
Der OGH gab der von der Beklagten erhobenen ordentlichen Revision nicht Folge.
Aus den Entscheidungsgründen des OGH:
1. bis 2.1.
2.2. In ihrer Revision führt die Beklagte aus, kein Versicherungsnehmer erwarte eine Allgefahrendeckung für alle Rechtsprobleme, welche mit Akten der Hoheitsverwaltung verbunden seien. Es gebe auch keinen Standard, weil keine Rechtsschutzversicherung für verwaltungsbehördliche Bewilligungsverfahren Rechtsschutz gewähre. Aus den besonderen Bestimmungen der Rechtsschutzversicherung sei die konkrete Leistungsbeschreibung, die ein verständiger Verbraucher von seiner Versicherung erwarten könne, ersichtlich. Durch die demonstrative Aufzählung werde der Begriff „Akte der Hoheitsverwaltung“ auch ausreichend verständlich und konkretisiert. Es sei zwar richtig, dass Grundbuchsangelegenheiten der ordentlichen Gerichtsbarkeit zugeordnet seien. Diese seien aber ohnehin nicht versichert, unabhängig davon, ob sie der Gerichtsbarkeit oder der Verwaltung zugeordnet seien. Es hieße, „das Kinde mit dem Bade auszuschütten“, wenn die vorliegende Klausel, die seit Jahrzehnten von allen Konsumenten und beteiligten Verkehrskreisen wohl verstanden werde, zur Gänze eliminiert werde. In der klarstellend demonstrativen Aufzählung liege zudem ein materiell selbständiger Regelungsbereich.
2.3.1. und 2.3.2.
2.3.3. Die Klausel nimmt die Wahrnehmung rechtlicher Interessen vom Versicherungsschutz aus, die in ursächlichem Zusammenhang mit Akten der Hoheitsverwaltung stehen. Im Anschluss daran zählt sie bestimmte Verwaltungsangelegenheiten und eine Angelegenheit der ordentlichen Gerichtsbarkeit demonstrativ (arg: „wie insbesondere“) auf. Entgegen der Ansicht der Beklagten ergibt sich aus der Klausel nicht ansatzweise, dass lediglich verwaltungsbehördliche oder gerichtliche „Bewilligungsverfahren“ vom Versicherungsschutz ausgenommen sind, was deutlich zu formulieren der Beklagten freigestanden wäre. Die Reichweite des Risikoausschlusses bleibt damit für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer im Unklaren. Auch die nachfolgende beispielhafte Aufzählung führt entgegen der Ansicht der Beklagten nicht zur Transparenz der Klausel, lässt sie den durchschnittlichen Versicherungsnehmer durch die bloß beispielhafte Aufzählung weiterhin im Unklaren, welche (sonstigen) Hoheitsakte vom Risikoausschluss umfasst sind. Dies umso mehr, als durch den Hinweis auf Grundbuchsangelegenheiten sogar unklar bleibt, ob bzw inwieweit auch gerichtliche Verfahren vom Versicherungsschutz ausgenommen sind. Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer ist damit en tgegen der Ansicht der Beklagten auch keineswegs hinreichend deutlich erkennbar, dass etwa die in der Revision angeführten Amtshaftungsansprüche gegen einen Rechtsträger aus Akten der Hoheitsverwaltung nicht unter den Risikoausschluss zu subsumieren sind.
Die von der Revision zitierte Entscheidung 6 Ob 181/17m (Klausel 19) betraf eine Klausel in einem Mietvertrag, die mit der vorliegenden Vertragsbestimmung nicht vergleichbar ist.
2.3.4. Soweit die Revision mit ihrer Behauptung, die Klausel werde seit Jahrzehnten „wohl verstanden“, darauf hinaus möchte, diese werde nur eingeschränkt hinsichtlich der demonstrativ aufgezählten Rechtsmaterien verstanden und angewendet, ist ihr entgegenzuhalten, dass im Verbandsprozess weder auf die praktische Handhabung noch auf individuelle Erklärungen oder Vereinbarungen Rücksicht genommen werden kann (RIS-Justiz RS0121726 [T4]; RS0121943) und das der Klausel vom Verwender der allgemeinen Geschäftsbedingungen beigelegte Verständnis nicht maßgeblich ist (RIS-Justiz RS0016590 [T23]).
2.3.5. Die Klausel ist daher zusammengefasst intransparent gemäß § 6 Abs 3 KSchG, sodass auf die Frage der gröblichen Benachteiligung nicht mehr eingegangen werden muss. 3. bis 3.2.
Rechtsschutzversicherung: Rechtliches Interesse an der Feststellung der Deckungspflicht des Rechtsschutzversicherers trotz außergerichtlicher Deckungszusage nach vorausgegangener Deckungsablehnung?
§ 228 ZPO
OGH 30. 8. 2023, 7 Ob 67/23p
1. Die Feststellungsklage bedarf eines konkreten aktuellen Anlasses, der zur Hintanhaltung einer nicht bloß vermeintlichen, sondern tatsächlichen und ernstlichen Gefährdung der Rechtslage des Klägers eine ehebaldige gerichtliche Entscheidung notwendig macht. Ob ein dadurch entstandenes rechtliches Interesse dann wegfällt, wenn der Beklagte während des Rechtsstreits seine Rechtsanmaßung oder Rechtsbestreitung zurückzieht oder sogar den Bestand oder Nichtbestand des streitigen Rechts oder Rechtsverhältnisses im Rechtsstreit an-
erkennt, ist nach den besonderen Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. Rein theoretische Befürchtungen genügen den Erfordernissen des § 228 ZPO in Bezug auf die „rechtlichpraktische Bedeutung“ der begehrten Feststellung nicht. Aus dem Verhalten des Gegners kann aber nur dann ein Fortfall des Feststellungsinteresses abgeleitet werden, wenn dadurch völlig zweifelsfrei die bisher aktuelle Gefährdung der Rechtsposition auf Dauer beseitigt wird; nicht aber auch schon dann, wenn nur das streitige Rechtsverhältnis als solches während des Prozesses anerkannt oder zugestanden wird und zu befürchten ist, dass diese rein privatrechtlich wirksame Erklärung Gegenstand eines neuen Rechtsstreits werden kann. 2. Die Beklagte brachte im erstinstanzlichen Verfahren trotz der Deckungszusage bis zuletzt vor, der Kläger habe sie über seine Provisionsansprüche unvollständig informiert, zumal diese Ansprüche gemäß seinem Vorbringen bereits zum Zeitpunkt der ersten Kontaktaufnahme mit ihr bekannt gewesen seien; es zeige sich, dass die Beklagte entgegen den Behauptungen des Klägers nicht über den gesamten Sachverhalt in Kenntnis gesetzt worden sei, weshalb die Deckungsablehnung zu Recht erfolgt sei. Dem Kläger ist daher zuzustimmen, dass durch das (widersprüchliche) Verhalten der Beklagten nicht völlig zweifelsfrei die bisher aktuelle Gefährdung seiner Rechtsposition auf Dauer beseitigt wird. Bei einem solchen Vorgehen der Beklagten kann auch nicht von „rein theoretischen Befürchtungen“ des Klägers gesprochen werden, sodass sein rechtliches Interesse an der Feststellung der Versicherungsdeckung im Sinne des § 228 ZPO schon deshalb fortbesteht.
Im Rahmen des Rechtsschutzversicherungsvertrages zwischen dem Kläger als Versicherungsnehmer und der Beklagten bestand Versicherungsschutz unter anderem für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in Verfahren vor Arbeitsgerichten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis oder dessen Anbahnung.
Der Kläger war von seiner Arbeitgeberin gekündigt worden. Er beabsichtigte, gegen diese Provisionsansprüche geltend zu machen. Um deren genaue Höhe berechnen zu können, benötigte er von seiner ehemaligen Arbeitgeberin Unterlagen.
Zunächst begehrte der Kläger von der Beklagten Rechtsschutzdeckung (primär) für die Einbringung einer Kündigungsanfechtungsklage aufgrund eines verpönten Motivs sowie einer „voraussichtlich“ mit 10.000 € zu bewertenden Stufenklage (Rechnungs- und Leistungsbegehren). Unter Berufung auf zwei – nicht mehr relevante – Risikoausschlüsse lehnte die Beklagte die Rechtsschutzdeckung ab.
Nachfolgend stellte der Kläger eine weitere, insbesondere auf die Geltendmachung von Provisionsansprüchen gegen seine ehemalige Arbeitgeberin gerichtete Deckungsanfrage. Auch diese Deckungsanfrage lehnte die Beklagte ab.
Im Rahmen des vorliegenden Verfahrens begehrte der Kläger zunächst die Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten für die gerichtliche Geltendmachung des Rechnungslegungs- und des sich daraus ergebenden Provisionsanspruchs gegenüber seiner ehemaligen Dienstgeberin. Die Beklagte beantragte Klageabweisung.
Nachdem das Erstgericht eine vergleichsweise Regelung angeregt hatte, bot die Beklagte dem Kläger Rechtsschutzdeckung für eine einzubringende Stufenklage (Rechnungslegung und Zahlung) unter Zugrundelegung eines Streitwerts von 10.000 € an. Im Deckungsprozess solle Kostenaufhebung eintreten. Der Kläger forderte hingegen Deckung auf Basis eines Streitwerts von 15.000 € und vollen Kostenersatz. Ein darauf von der Beklagten unterbreitetes Anbot, den vom Kläger vorgeschlagenen Streitwert zu akzeptieren und die halbe Pauschalgebühr zu refundieren, wurde vom Kläger abgelehnt.
Darauf teilte die Beklagte im September 2022 der Klagevertreterin schriftlich mit: „Zurückkommend auf die bisherige Korrespondenz bestätigen wir im Rahmen der Rechtsschutzbedingungen Kostendeckung für das
Verfahren erster Instanz wegen Rechnungslegung und Zahlung hinsichtlich der offenen Provisionsansprüche, sohin für eine Stufenklage, wobei die Rechnungslegung mit 10.000 € zu bewerten ist. Ein sich daraus nachfolgend allenfalls ergebendes Zahlungsbegehren wird der Höhe nach mit uns abzustimmen sein.“
Der Kläger begehrte zuletzt die Feststellung, dass die Beklagte ihm gegenüber aufgrund und im Umfang des zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrages Deckung für die gerichtliche Geltendmachung des Rechnungslegungsanspruchs (Streitwert: 15.000 €, in eventu 10.000 € sowie wiederum in eventu ohne angegebenen Streitwert) und in weiterer Folge des sich daraus ergebenden Provisionsanspruchs (Stufenklage) gegenüber seiner ehemaligen Dienstgeberin zu gewähren habe. Die außergerichtliche Erklärung der Beklagten sei nur ein deklaratives Anerkenntnis, stelle aber kein Leistungs- oder Deckungsversprechen dar.
Die Beklagte wandte ein, der Kläger sei durch die Deckungszusage klaglos gestellt. Im Übrigen habe der Kläger die Beklagte über seine Provisionsansprüche unvollständig informiert, sodass die Deckungsablehnung zu Recht erfolgt sei.
Das Erstgericht gab dem primären Klagebegehren statt. Die Beklagte sei nicht berechtigt, eine Begrenzung der Kostendeckung vorzunehmen. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Haupt- und die beiden Eventualbegehren ab. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Deckungszusage der Beklagten als deklaratorisches oder konstitutives Anerkenntnis zu werten sei, weil auch ein deklaratorisches Anerkenntnis das rechtliche Interesse des Klägers an der Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten beseitige. Da der Kläger auch keinen Anspruch auf eine Deckungserklärung mit einem Streitwert von 15.000 € gehabt habe, habe er durch die Deckungszusage der Beklagten alles erhalten, worauf er einen vertraglichen Anspruch habe.
Der OGH gab der ordentlichen Revision des Klägers und in diesem Zusammenhang dem Eventualbegehren dergestalt Folge, dass die Deckungspflicht des Versicherers für die gerichtliche Geltendmachung des Rechnungslegungsanspruchs (Streitwert: 10.000 €) und des sich daraus allenfalls ergebenden Provisionsanspruchs (Stufenklage) festgestellt wurde.
Aus den Entscheidungsgründen des OGH:
1. ...
2. Vor Fälligkeit des Leistungsanspruchs kann nur auf Feststellung dahin geklagt werden, dass der Versicherer verpflichtet ist, Rechtsschutzdeckung in bestimmten Angelegenheiten zu gewähren. Nach Eintritt der Fälligkeit ist die Frage der Deckungspflicht sodann Vorfrage für den Leistungsanspruch (RIS-Justiz RS0127808 [T4]).
3. Die Feststellungsklage bedarf eines konkreten aktuellen Anlasses, der zur Hintanhaltung einer nicht bloß vermeintlichen, sondern tatsächlichen und ernstlichen Gefährdung der Rechtslage des Klägers eine ehebaldige gerichtliche Entscheidung notwendig macht (RIS-Justiz RS0039215; vgl auch RIS-Justiz RS0039071 [T1]). Ob ein dadurch entstandenes rechtliches Interesse dann wegfällt, wenn der Beklagte während des Rechtsstreits seine Rechtsanmaßung oder Rechtsbestreitung zurückzieht oder sogar den Bestand oder Nichtbestand des streitigen Rechts oder Rechtsverhältnisses im Rechtsstreit anerkennt, ist nach den besonderen Umständen des Einzelfalles zu beurteilen (RIS-Justiz RS0039224; Frauenberger-Pfeiler in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3, §228 ZPO Rz 86). Rein theoretische Befürchtungen genügen den Erfordernissen des § 228 ZPO in Bezug auf die „rechtlich-
praktische Bedeutung“ der begehrten Feststellung nicht (RIS-Justiz RS0039224 [T3]). Aus dem Verhalten des Gegners kann aber nur dann ein Fortfall des Feststellungsinteresses abgeleitet werden, wenn dadurch völlig zweifelsfrei die bisher aktuelle Gefährdung der Rechtsposition auf Dauer beseitigt wird; nicht aber auch schon dann, wenn nur das streitige Rechtsverhältnis als solches während des Prozesses anerkannt oder zugestanden wird und zu befürchten ist, dass diese rein privatrechtlich wirksame Erklärung Gegenstand eines neuen Rechtsstreits werden kann (RIS-Justiz RS0038985; Frauenberger-Pfeiler in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3, § 228 ZPO Rz 131). Daher nimmt ein konstitutives Anerkenntnis, das alles das zu bieten vermag, was auch ein Feststellungsurteil bieten könnte, einem Feststellungsbegehren das rechtliche Interesse (2 Ob 11/18h mwN; RIS-Justiz RS0034315). Fällt das Feststellungsinteresse nach Klagseinbringung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung fort, dann ist die Feststellungsklage abzuweisen (3 Ob 161/15w; 6 Ob 127/20z).
4. Der Anerkenntnisvertrag (konstitutives Anerkenntnis) muss grundsätzlich als zweiseitiges Rechtsgeschäft gegenüber dem anderen Vertragsteil erklärt oder wenigstens für ihn bestimmt und von ihm (zumindest schlüssig) angenommen werden (RIS-Justiz RS0032621; 7 Ob 192/13f mwN). Auch wenn daher die Beklagte mit ihrer Deckungszusage ein vormals strittiges Recht (zumindest teilweise) geklärt hat, scheidet ein konstitutives (Teil-)Anerkenntnis des Deckungsanspruchs in der konkreten Konstellation mangels Annahme durch den Kläger aus.
5. Ob eine nach Deckungsablehnung durch den Versicherer und Einbringung der Deckungsklage durch den Versicherungsnehmer erklärte außergerichtliche Deckungszusage des Versicherers im Sinne eines – wie hier – bloß deklaratorischen Anerkenntnisses (vgl 7 Ob 205/19a) zum Wegfall des rechtlichen Interesses führt, kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben. Die Beklagte brachte nämlich im erstinstanzlichen Verfahren trotz der Deckungszusage vom 5. 9. 2022 bis zuletzt vor, der Kläger habe sie über seine Provisionsansprüche unvollständig informiert, zumal diese Ansprüche gemäß seinem Vorbringen bereits zum Zeitpunkt der ersten Kontaktaufnahme mit ihr bekannt gewesen seien; es zeige sich, dass die Beklagte entgegen den Behauptungen des Klägers nicht über den gesamten Sachverhalt in Kenntnis gesetzt worden sei, weshalb die Deckungsablehnung zu Recht erfolgt sei. Dem Kläger ist daher zuzustimmen, dass durch das (widersprüchliche) Verhalten der Beklagten nicht völlig zweifelsfrei die bisher aktuelle Gefährdung seiner Rechtsposition auf Dauer beseitigt wird. Bei einem solchen Vorgehen der Beklagten kann auch nicht von „rein theoretischen Befürchtungen“ des Klägers gesprochen werden, sodass sein rechtliches Interesse an der Feststellung der Versicherungsdeckung im Sinne des § 228 ZPO schon deshalb fortbesteht.
6. Der Revision des Klägers war daher Folge zu geben und dessen Feststellungsklage mit den aus dem Spruch ersichtlichen Einschränkungen stattzugeben, weil sich der Kläger in der Revision ausdrücklich mit der Begrenzung der Deckung auf das Verfahren erster Instanz bei einem Streitwert von 10.000 € einverstanden erklärt hat.
7. ...
RSS-Empfehlungen
Erwin Gisch
Betriebsunterbrechungsversicherung:
Kein Versicherungsschutz für Betriebsunterbrechungen infolge von Krankheiten, die vor Versicherungsbeginn entstanden sind
RSS-E 84/23
1. Gemäß Art 2.1.2.1 BF02 besteht kein Versicherungsschutz für Betriebsunterbrechungen infolge von Krankheiten, die vor Versicherungsbeginn entstanden sind. Art 1.3.1 BF02 definiert die Krankheit als einen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft anormalen körperlichen oder geistigen Zustand, der ärztlicher Behandlung bedarf. Dass ein derartiger anormaler Zustand bereits spätestens zu Versicherungsbeginn vorgelegen ist, wird von der Antragstellerin nicht behauptet; vielmehr geht dies sogar implizit aus ihrer Schadensmeldung hervor, wonach sie zu diesem Zeitpunkt bereits in Behandlung gestanden ist.
2. Weist die Versicherung in der Polizze auf eine Abweichung der Polizze vom Versicherungsantrag hinsichtlich des Versicherungsbeginns und -endes hin und entspricht dieser Hinweis in seiner Form und in seinem Inhalt den Erfordernissen des § 5 Abs 2 VersVG, so kann dies einen Versicherungsfall, der nach dem ursprünglichen Antrag versichert gewesen wäre, zu einem vorvertraglichen Versicherungsfall machen.
Die Antragstellerin hat bei der antragsgegnerischen Versicherung eine Betriebsunterbrechungsversicherung für ihre Tätigkeit als Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe abgeschlossen. Nach Angaben der Antragstellervertreterin übermittelte diese den Versicherungsantrag, der der Schlichtungskommission nicht vorliegt, am 11. 2. 2022. Nach diversen Nachfragen (unter anderem wegen eines geänderten Deckungsbeitrags und eines hausärztlichen Gutachtens) stellte die Antragsgegnerin am 2. 6. 2022 die Polizze aus; diese ging der Antragstellervertreterin am 3. 6. 2022 zu.
Es sind die Klipp & Klar-Versicherungsbedingungen der Unternehmer & Erfolgreich Betriebsunterbrechungsversicherung 2008 für freiberuflich Tätige und Selbständige vereinbart (BF02), welche auszugsweise lauten:
„Artikel 1 – Was ist versichert? Wo und wann besteht Versicherungsschutz? Was gilt als Versicherungsfall?
3. Personenschaden
Unter Personenschaden versteht man die völlige (100%ige) Erwerbsunfähigkeit der versicherten Person, für den Betrieb verantwortlichen und leitenden Person infolge
– Krankheit
– Unfall
– Quarantäne
3.1. Krankheit ist ein nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft anormaler körperlicher oder geistiger Zustand, der ärztlicher Behandlung bedarf. Nicht als Krankheit gelten Schwangerschaft und Entbindung einschließlich darauf zurückzuführender Beschwerden.
.,.
Artikel 2 – Was ist nicht versichert?
1. Kein Versicherungsschutz besteht für Unterbrechungsschäden ...
1.2. aufgrund von Erwerbsunfähigkeit der versicherten Person
1.2.1. infolge einer Krankheit, die vor Versicherungsbeginn entstanden ist, bzw eines Unfalls, der vor Versicherungsbeginn eingetreten ist; ...“
Die Vertragsdauer ist auf der Polizze mit „31. 5. 2022 bis 1. 1. 2033, jeweils 0:00 Uhr“ angegeben.
Auf Seite 2 der Polizze, die insgesamt zwei Seiten umfasst, ist vermerkt:
„1BU2-Sonderklausel-Betriebsunterbrechungsversicherung Versicherungsbeginn/-ende weichen vom Antrag ab.“ Dieser Absatz ist mit Sternchen umrandet und hebt sich dadurch vom Rest der Polizze deutlich ab.
Am Beiblatt der Polizze finden sich diverse rechtliche Belehrungen, darunter auch unter „Sonstiges“ folgender Hinweis:
„* Abweichungen der Polizze vom Antrag sind in der Versicherungspolizze auffällig gekennzeichnet. Die Abweichung gilt als genehmigt, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb eines Monats nach Zugang der Versicherungspolizze in geschriebener Form widerspricht.“
Nach eigenen Angaben versuchte die Antragstellervertreterin in den darauffolgenden Tagen mehrfach, bei der Antragsgegnerin eine Vorverlegung des Versicherungsbeginns zu erreichen, was von dieser mit der Begründung abgelehnt worden sei, dass in der Betriebsunterbrechungsversicherung für freiberuflich Tätige kein rückwirkender Versicherungsbeginn vorgesehen sei.
Am 8. 6. 2022 teilte die Antragstellerin der Antragstellervertreterin mit, dass sie bei einer Selbstuntersuchung einen „Tastbefund in der linken Brust entdeckt“ habe, der mammografisch, sonografisch und am 31. 5. 2022 stanzbioptisch abgeklärt worden sei. Es handle sich um ein Mammakarzinom, das behandelt werden müsse. Die Antragstellervertreterin leitete dies am selben Tag an die Antragsgegnerin weiter.
Am 5. 8. 2022 meldete die Antragstellerin den Eintritt des Versicherungsfalles, da die Praxis wegen ihrer Behandlung ab 4. 7. 2022 zeitweilig völlig geschlossen war ... In der Schadensmeldung gab die Antragstellerin diverse Behandlungen an, beginnend mit einer Sonografie am 30.5. 2022.
Aufgrund der ausdrücklichen Mitteilung der Antragsgegnerin, am Schlichtungsverfahren nicht teilzunehmen, ist gemäß Punkt 4.3, der Satzung der von der Antragstellerin geschilderte Sachverhalt der Empfehlung zugrunde zu legen. Die Schlichtungskommission ist jedoch in ihrer rechtlichen Beurteilung frei.
RSS-Empfehlung:
Der Antrag, der antragsgegnerischen Versicherung, die Deckung des Schadens ... aus der Betriebsunterbrechungsunterbrechungsversicherung ... zu empfehlen, wird abgewiesen.
Da die Antragsgegnerin ihren Einwand der Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht zurückgezogen hat, ist nur die Frage der Deckung des gegenständlichen Schadensfalles aus der Betriebsunterbrechungsversicherung zu prüfen.
Gemäß Art 2.1.2.1 BF02 besteht kein Versicherungsschutz für Betriebsunterbrechungen infolge von Krankheiten, die vor Versicherungsbeginn entstanden sind. Art 1.3.1 BF02 definiert die Krankheit als einen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft anormalen körperlichen oder geistigen Zustand, der ärztlicher Behandlung bedarf. Dass ein derartiger anormaler Zustand bereits spätestens am 30. 5. 2022 vorgelegen ist, wird von der Antragstellerin nicht behauptet; vielmehr geht dies sogar implizit aus ihrer Schadensmeldung hervor, wonach sie am 30. 5. 2022 bereits in Behandlung gestanden ist.
Soweit sich die Antragsgegnerin darauf beruft, dass der Beginn des Versicherungsvertrages der 31. 5. 2022 ist, ist festzuhalten, dass die Antragsgegnerin in der Polizze auf eine Abweichung der Polizze vom Versicherungsantrag hinsichtlich des Versicherungsbeginns und -endes hingewiesen hat. Dieser Hinweis entspricht in ihrer Form und in ihrem Inhalt den Erfordernissen des § 5 Abs 2 VersVG. Die Antragstellervertreterin hat in ihrem Vorbringen nicht ausdrücklich vorgebracht, der Abweichung im Sinne des § 5 Abs 1 VersVG widersprochen zu haben, sondern nur, dass sie mit dem Versicherer erfolglos Gespräche über eine Vorverlegung des Versicherungsbeginns geführt habe. Selbst bei einem Widerspruch gegen die Abweichung wäre jedoch für die Frage der Deckung des Versicherungsfalles für die Antragstellerin nichts zu gewinnen, da bei einem fristgerechten Widerspruch gegen die Abweichungen in der Versicherungspolizze der Antrag als abgelehnt gilt und erlischt (vgl Fenyves in Fenyves/Perner/Riedler, VersVG, § 5 Rz 45).
Rechtsschutzversicherung: Verstoßtheorie im Schadenersatz-Rechtsschutz; Rechtsschutz für Erbrecht
RSS-E 95/23
1. Art 2 ARB 2017: Voraussetzung eines Leistungsanspruchs des Versicherungsnehmers ist der Eintritt eines Versicherungsfalles innerhalb des vereinbarten persönlichen, zeitlichen und örtlichen Geltungsbereichs.
2. Die Frage, ob ein Versicherungsfall in die Deckung fällt oder nicht, richtet sich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles.
3. Soweit der Antragsteller behauptet, dass die Erbmasse um 20.000 € verkürzt worden sei und ihm als gesetzlichem Erben ein Drittel dieses Betrags zustehe, kann dies nur so verstanden werden, dass er behauptet, die Abhebung wäre widerrechtlich erfolgt, weshalb dem verstorbenen Vater ein Schadenersatzanspruch in Höhe des abgehobenen Betrags zustehe, und dieser Schadenersatzanspruch sei in die Erbmasse gefallen.
4. Im Schadenersatz-Rechtsschutz gilt für die Geltendmachung von Vermögensschäden gemäß Art 2.3 ARB 2017 die Verstoßtheorie. Der Versicherungsfall ist daher bereits mit der erfolgten widerrechtlichen Bargeldabhebung eingetreten. Ein etwaiger Anspruch auf Rechtsschutzdeckung wäre in diesem Zeitpunkt nur dem hier nicht versicherten Vater des Antragstellers zugestanden. Die nachfolgende Universalsukzession aufgrund der Einantwortung als Erbe führt zwar dazu, dass der Herausgabeanspruch im Umfang seines Erbanteils auf den Antragsteller übergeht. Da jedoch keine Versicherungsdeckung für den Vater bestanden hat, kann diesbezüglich auch kein Anspruch auf den Antragsteller übergehen.
5. Art 26 ARB 2017: Das Erbrecht umfasst die Gesamtheit aller Normen, die den Übergang des vererblichen Vermögens einer natürlichen Person nach deren Tod auf andere – natürliche oder juristische – Personen regeln. Das Erbrecht des Antragstellers wird im vorliegenden Fall jedoch nicht bestritten; er wurde sogar bereits als gesetzlicher Erbe zu einem Drittel in die Verlassenschaft seines Vaters eingeantwortet. Voraussetzung eines Deckungsanspruchs wäre aber eine im Sinne der Risikobeschreibung erbrechtlich begründete Auseinandersetzung. Jedoch verwirklicht nicht jeder anlässlich eines Erbfalles ausbrechende Rechtsstreit die Risikobeschreibung.
6. Ein solcher könnte allenfalls die Geltendmachung eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs durch den Antragsteller sein. Soweit der Antragsteller behauptet, dass sein Pflichtteil (ein Sechstel) durch eine Schenkung des Verstorbenen verkürzt worden sei, könnte er diesen Anspruch gegenüber dem Beschenkten mit Deckung aus dem Baustein „Rechtsschutz für Erbrecht“ geltend machen. Jedoch kann der geltend gemachte Anspruch in diesem Fall nicht höher als ein Sechstel des geschenkten Betrags sein, was mit dem Vorbringen des Antragstellers, ihm stünde ein Drittel des abgehobenen Betrags zu, nicht in Einklang zu bringen ist.
Der Antragsteller hat bei der Rechtsvorgängerin der antragsgegnerischen Versicherung eine ... Privat-Rechtsschutz-Premium-Versicherung .,. abgeschlossen. Vereinbart sind die ARB 2017, welche auszugsweise lauten: „Artikel 2 – Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?
...
3. In den übrigen Fällen – insbesondere auch für die Geltendmachung eines reinen Vermögensschadens (Artikel 17.2.1, Artikel 18.2.1 und Artikel 19.2.1) sowie für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen wegen reiner Vermögensschäden (Artikel 23.2.1 und Artikel 24.2.1.1) – gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften; der Versicherungsfall gilt in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem eine der genannten Personen begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen.
Artikel 19 – Schadenersatz- und Straf-Rechtsschutz für den Privat-, Berufs- und Betriebsbereich
2. Was ist versichert?
Der Versicherungsschutz umfasst
2.1. Schadenersatz-Rechtsschutz für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts wegen erlittener Personen-, Sach- oder Vermögensschäden;
...
Artikel 26 – Rechtsschutz für Erbrecht
2. Was ist versichert?
2.1. Der Versicherungsschutz umfasst die Wahrnehmung rechtlicher Interessen vor österreichischen Gerichten aus dem Bereich des Erbrechts.
...“
Der Antragsteller begehrt Rechtsschutzdeckung für die Geltendmachung von Ansprüchen gegen seinen Bruder Ing. E. ... Dieser soll zu Lebzeiten des gemeinsamen Vaters F. ... am 29. 6. 2021 von dessen Sparkonto 20.000 € abgehoben haben. F. ... verstarb am 30. 10. 2021; mit Einantwortungsbeschluss vom 16. 8. 2022 wurde der Antragsteller zu einem Drittel als gesetzlicher Erbe in die Verlassenschaft eingeantwortet. Der Antragsteller fordert nun ein Drittel des abgehobenen Betrags von seinem Bruder, da die Erbmasse um diesen Teil verkürzt worden sei.
Die Antragsgegnerin lehnte mit Schreiben vom 2. 1. 2023 die Deckung für diesen Teil der Forderung ab (hinsichtlich eines geringeren Teils, der nach dem Todestag abgehoben worden sein soll, bestätigte sie die Deckung [hier nicht streitgegenständlich]). Die Abhebungen seien keine eigenen rechtlichen Ansprüche des Kunden und daher nicht versichert.
Dagegen richtet sich der Schlichtungsantrag vom 20. 2. 2023. Es handle sich um einen im Baustein „Erbrecht“ versicherten, erbrechtlichen Anspruch des Antragstellers.
Die Antragsgegnerin teilte mit Schreiben vom 14. 3. 2023 mit, am Schlichtungsverfahren nicht teilzunehmen. Daher war gemäß Punkt 4.3. der Satzung der vom Antragsteller geschilderte Sachverhalt der Empfehlung zugrunde zu legen. Die Schlichtungskommission ist jedoch in ihrer rechtlichen Beurteilung frei.
RSS-Empfehlung:
Der Antrag, der antragsgegnerischen Versicherung die Deckung des Rechtsschutzfalles ... aus der Rechtsschutzversicherung ... zu empfehlen, wird abgewiesen.
Voraussetzung eines Leistungsanspruchs des Versicherungsnehmers ist der Eintritt eines Versicherungsfalles innerhalb des vereinbarten persönlichen, zeitlichen und örtlichen Geltungsbereichs (vgl Kronsteiner, Die Rechtsschutzversicherung [2018] 16).
Daher ist im Ergebnis der Antragsgegnerin zuzustimmen, dass sich die Frage, ob ein Vers icherungsfall in die Deckung fällt oder nicht, nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles richtet.
Soweit der Antragsteller behauptet, dass die Erbmasse um 20.000 € verkürzt worden sei und ihm als gesetzlichem Erben ein Drittel dieses Betrags zustehe, kann dies nur so verstanden werden, dass er behauptet, die Abhebung wäre widerrechtlich erfolgt, weshalb dem verstorbenen Vater ein Schadenersatzanspruch in Höhe des abgehobenen Betrags zustehe, und dieser Schadenersatzanspruch sei in die Erbmasse gefallen.
Im Schadenersatz-Rechtsschutz gilt für die Geltendmachung von Vermögensschäden gemäß Art 2.3 ARB 2017 die Verstoßtheorie. Der Versicherungsfall ist daher bereits mit der erfolgten widerrechtlichen Bargeldabhebung eingetreten. Ein etwaiger Anspruch auf Rechtsschutzdeckung wäre in diesem Zeitpunkt nur dem hier nicht versicherten Vater des Antragstellers zugestanden. Die nachfolgende Universalsukzession aufgrund der Einantwortung als Erbe führt zwar dazu, dass der Herausgabeanspruch im Umfang seines Erbanteils auf den Antragsteller übergeht. Da jedoch keine Versicherungsdeckung für den Vater bestanden hat, kann diesbezüglich auch kein Anspruch auf den Antragsteller übergehen.
Es besteht auch keine Deckung des Rechtsstreits aus dem Baustein „Rechtsschutz in Erbrechtssachen“. Das Erbrecht umfasst die Gesamtheit aller Normen, die den Übergang des vererblichen Vermögens einer natürlichen Person nach deren Tod auf andere –natürliche oder juristische – Personen regeln (Kronsteiner, Rechtsschutzversicherung, 99). Das Erbrecht des Antragstellers wird im vorliegenden Fall jedoch nicht bestritten; er wurde sogar bereits als gesetzlicher Erbe zu einem Drittel in die Verlassenschaft seines Vaters eingeantwortet. Voraussetzung eines Deckungsanspruchs wäre aber eine im Sinne der Risikobeschreibung erbrechtlich begründete Auseinandersetzung. Jedoch verwirklicht nicht jeder anlässlich eines Erbfalles ausbrechende Rechtsstreit die Risikobeschreibung.
Ein solcher könnte allenfalls die Geltendmachung eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs durch den Antragsteller sein. Soweit der Antragsteller behauptet, dass sein Pflichtteil (ein Sechstel) durch eine Schenkung des Verstorbenen verkürzt worden sei, könnte er diesen Anspruch gegenüber dem Beschenkten mit Deckung aus dem Baustein „Rechtsschutz für Erbrecht“ geltend machen. Jedoch kann der geltend gemachte Anspruch in diesem Fall nicht höher als ein Sechstel des geschenkten Betrags sein, was mit dem Vorbringen des Antragstellers, ihm stünde ein Drittel des abgehobenen Betrags zu, nicht in Einklang zu bringen ist.
Rechtsschutzversicherung: Sonderklausel
COVID-19
RSS-E 98/23
1. Gemäß § 37b AMSG können Kurzarbeitsbeihilfen auch unabhängig von der COVID-19-Pandemie gewährt werden. Jedoch enthält § 37b AMSG in den Fassungen, die im frag-
lichen Zeitraum im ersten Halbjahr 2021 in Geltung standen, in Abs 7 bis 9 explizit Sonderbestimmungen, die im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie stehen, so zB die Klarstellung, dass wirtschaftliche Schwierigkeiten als Auswirkungen im Zusammenhang mit dem Coronavirus (COVID-19) vorübergehende nicht saisonbedingte wirtschaftliche Schwierigkeiten im Sinne des § 37b Abs 1 Z 1 AMSG sind und für diesen Fall auch höhere Pauschalsätze vorgesehen werden können.
2. Vonseiten des Antragstellers wurde auch kein Vorbringen erstattet, dass andere Gründe als die genannten Verkehrsbeschränkungen die wirtschaftlichen Schwierigkeiten im versicherten Unternehmen ausgelöst hätten und daher die Beantragung von Kurzarbeitsbeihilfen nötig war.
3. Damit ist aber bereits der notwendige ursächliche Zusammenhang für die Anwendbarkeit des Risikoausschlusses im Sinne der Sonderklausel COVID-19 gegeben. Wäre es nicht aufgrund der COVID-19-Pandemie, die unstrittig eine Ausnahmesituation darstellt, zu Verkehrsbeschränkungen gekommen, die wiederum als eine hoheitsrechtliche Anordnung, die an eine Personenmehrheit gerichtet sind, gelten, wäre es nicht zu den wirtschaftlichen Schwierigkeiten gekommen, die die Antragstellerin veranlasst haben, eine Kurzarbeitsbeihilfe zu beantragen.
Die Antragstellerin hat per 6. 5. 2021 bei der antragsgegnerischen Versicherung eine Rechtsschutzversicherung „Universal-Straf-Rechtsschutz für Unternehmen“ ... abgeschlossen. Vereinbart sind die USRB_U PL 2019.
Weiters wurde folgende Sondervereinbarung getroffen:
„Sonderklausel COVID-19 Kein Versicherungsschutz besteht für strafrechtliche bzw verwaltungsrechtliche Vorwürfe, die in ursächlichem Zusammenhang mit hoheitsrechtlichen Anordnungen betreffend COVID-2019 stehen, die aufgrund einer Ausnahmesituation an eine Personenmehrheit gerichtet sind.“
Mit Schreiben vom 31. 1. 2023 meldete die Antragstellervertreterin der Antragsgegnerin folgenden Schadensfall: Gegen die Antragstellerin und drei ihrer Mitarbeiter (einer davon, der ehemalige Geschäftsführer, ist zwischenzeitlich verstorben) wurde wegen des Verdachts auf Urkundenfälschung und gewerbsmäßigen Betrug ermittelt. Dem Anlassbericht der zuständigen Landespolizeidirektion ist zu entnehmen, dass ein ehemaliger Mitarbeiter der Antragstellerin dem AMS am 16. 8. 2021 eine E-Mail übermittelt habe, wonach die Verantwortlichen der Antragstellerin Arbeitsstunden ab Jänner 2021 falsch verzeichnet hätten, um eine höhere Auszahlung von Kurzarbeitszeitbeihilfen gemäß § 37b AMSG durch das AMS zu erlangen.
Die Staatsanwaltschaft ordnete daraufhin am 23. 11. 2021 die Sicherstellung der Arbeitszeitaufzeichnungen der Antragsgegnerin an. Das Ermittlungsverfahren gegen die Antragstellerin wurde am 9. 11. 2022 gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellt. Die Antragstellerin begehrt die Zahlung der zwischenzeitlich angefallenen Verteidigungskosten in Höhe von 44.540,91 €.
Die Antragsgegnerin lehnte die Deckung mit Schreiben vom 15. 2. 2023 mit der Begründung ab, der Versicherungsfall sei vorvertraglich eingetreten (dies wird in weiterer Folge von der Antragsgegnerin nicht mehr eingewendet, da dies offenbar auf einer Fehlinformation beruhte). Weiters bestehe kein Versicherungsschutz bei Versicherungsfällen gemäß der Sonderklausel COVID-19.
Dagegen richtet sich der Schlichtungsantrag vom 20. 3. 2023.
Die Antragsgegnerin hat am Schlichtungsverfahren teilgenommen.
RSS-Empfehlung:
Der Antrag, der antragsgegnerischen Versicherung die Deckung des Rechtsschutzfalles ... aus der Rechtsschutzversicherung ... zu empfehlen, wird abgewiesen.
Der Versicherungsvertrag ist ein Konsensualvertrag, der formfrei geschlossen werden kann (vgl OGH 21. 4. 2004, 7 Ob 315/ 03d; RIS-Justiz RS0117649; RSS-E 1/13). Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach Vertragsauslegungsgrundsätzen auszulegen. Die Auslegung hat sich daher am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers zu orientieren. Es ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (vgl RIS-Justiz RS0008901; so auch RSS-E 38/15).
Der OGH hat in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen, dass Ausnahmetatbestände, die die vom Versicherer übernommene Gefahr einschränken oder ausschließen, als Ausschlüsse nicht weiter ausgelegt werden dürfen, als es ihr Sinn unter Betrachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise sowie des Regelungszusammenhanges erfordert.
Den Beweis für das Vorliegen eines Risikoausschlusses als Ausnahmetatbestand hat der Versicherer zu führen (RIS-Justiz RS0107031).
Für eine inhaltlich vergleichbare Klausel in Art 7.1.4 ARB 2006 hat der OGH zum Zweck der Klausel Folgendes festgehalten (vgl OGH 24. 3. 2021, 7 Ob 42/21h):
Der Risikoausschlusses des Art 7.1.4 ARB 2006 lässt nicht allein den Zusammenhang mit hoheitsrechtlichen Anordnungen genügen, sondern verlangt zusätzlich, dass diese aufgrund einer Ausnahmesituation erfolgen und sich überdies an eine Personenmehrheit richten. Dadurch wird klar, dass damit besonders schwer kalkulierbare, weil unabsehbare Risiken ausgeschlossen werden sollen, die sich im Gefolge eines außergewöhnlichen Ereignisses verwirklichen, das behördliche Maßnahmen gegen eine größere Anzahl von Personen erfordert (zutreffend Karauscheck/ Pillwein, Maßnahmen zur Verhinderung von COVID-19 und Rechtsschutzversicherungen, immo aktuell 2020, 90 [92]).
Der Antragstellervertreterin ist zwar zuzustimmen, dass gemäß § 37b AMSG Kurzarbeitsbeihilfen auch unabhängig von der COVID-19-Pandemie gewährt werden können. Jedoch enthält § 37b AMSG in den Fassungen, die im fraglichen Zeitraum im ersten Halbjahr 2021 in Geltung standen, in Abs 7 bis 9 explizit Sonderbestimmungen, die im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie stehen, so zB die Klarstellung, dass wirtschaftliche Schwierigkeiten als Auswirkungen im Zusammenhang mit dem Coronavirus (COVID-19) vorübergehende nicht saisonbedingte wirtschaftliche Schwierigkeiten im Sinne des §37b Abs 1 Z 1 AMSG sind und für diesen Fall auch höhere Pauschalsätze vorgesehen werden können.
Es darf als bekannt vorausgesetzt werden, dass aufgrund der COVID-19-Pandemie im ersten Halbjahr 2021 weitgehende Beschränkungen der Gastronomie in Österreich bestanden haben; so waren bis zum 19. 5. 2021 Gastronomiebetriebe generell für den Kundenverkehr geschlossen. Vonseiten des Antragstellers wurde auch kein Vorbringen erstattet, dass andere Gründe als die genannten Verkehrsbeschränkungen die wirtschaftlichen Schwierigkeiten im versicherten Unternehmen ausgelöst hätten und daher die Beantragung von Kurzarbeitsbeihilfen nötig war.
Damit ist aber bereits der notwendige ursächliche Zusammenhang für die Anwendbarkeit des Risikoausschlusses im Sinne der Sonderklausel COVID-19 gegeben. Wäre es nicht aufgrund der COVID-19-Pandemie, die unstrittig eine Ausnahmesituation darstellt, zu Verkehrsbeschränkungen gekommen, die wiederum als eine hoheitsrechtliche Anordnung, die an eine Personenmehrheit gerichtet sind, gelten, wäre es nicht zu den wirtschaftlichen Schwierigkeiten gekommen, die die Antragstellerin veranlasst haben, eine Kurzar beitsbeihilfe zu beantragen.
Rechtsschutzversicherung: Deckungsausschluss bei Auseinandersetzungen aus Verträgen, wenn durch ein Anerkenntnis eine neue Rechtsgrundlage geschaffen wurde
RSS-E 100/23
1. Nach dem Wortlaut des Art 7.2.2 ARB 2013 kann die Deckung bei Auseinandersetzungen aus Verträgen entfallen, wenn durch ein Anerkenntnis eine neue Rechtsgrundlage geschaffen wurde. Zusätzliche Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Ausschlusses ist aber weiters, dass ohne die Vereinbarung kein Versicherungsschutz gegeben wäre.
2. Soweit sich also die Antragstellervertreterin darauf beruft, dass der Versicherungsfall in der aus ihrer Sicht unberechtigten Zurückziehung der Deckungszusage durch die Kfz-Haftpflichtversicherung liegt, ist ihr entgegenzuhalten, dass diesfalls zu prüfen ist, ob auch ohne das Anerkenntnis ein von der Rechtsschutzversicherung gedeckter Versicherungsfall vorliegt.
3. § 5 VersVG schafft eine Genehmigungsfiktion bei Abweichungen vom Antrag, wobei umgekehrt die fehlende Information des Versicherers über Abweichungen bzw eine fehlende Rechtsbelehrung ihrerseits fingiert, dass der Versicherungsvertrag mit den für den Versicherungsnehmer besseren Bestimmungen zustande gekommen ist. Ein Verstoß im Sinne des Art 2 ARB 2013 liegt daher erst dann vor, wenn der Versicherer abweichend von diesem Vertragsinhalt die Deckung ablehnt.
Die Antragstellerin hat per 16. 10. 2013 für ihr Unternehmen bei der antragsgegnerischen Versicherung eine Universal-Straf-Rechtsschutzversicherung für Unternehmen ... abgeschlossen. Als Deckungserweiterung ist der Baustein „Versicherungs-Vertrags-Rechtsschutz für den Betriebsbereich“ für gerichtliche Streitigkeiten aus Versicherungsverträgen ohne Streitwertobergrenze vereinbart. Für diesen Baustein gelten die ARB 2013, die auszugsweise wie folgt lauten:
„Artikel 2 – Was gilt als Versicherungsfall und wann gilt er als eingetreten?
...
3. In den übrigen Fällen gilt als Versicherungsfall der tatsächliche oder behauptete Verstoß des Versicherungsnehmers, Gegners oder eines Dritten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften; der Versicherungsfall gilt in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem eine der genannten Personen begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen.
4. Bei mehreren Verstößen ist der erste adäquat ursächliche Verstoß maßgeblich, wobei Verstöße, die länger als ein Jahr vor Versicherungsbeginn zurückliegen, für die Feststellung des Versicherungsfalles außer Betracht bleiben.
Artikel 3 – Für welchen Zeitraum gilt die Versicherung (zeitlicher Geltungsbereich)?
1. Die Versicherung erstreckt sich auf Versicherungsfälle, die während der Laufzeit des Versicherungsvertrages eintreten.
2. Löst eine Willenserklärung oder Rechtshandlung des Versicherungsnehmers, des Gegners oder eines Dritten, die vor Versicherungsbeginn vorgenommen wurde, den Versicherungsfall gemäß Artikel 2.3 aus, besteht kein Versicherungsschutz.
Willenserklärungen oder Rechtshandlungen, die länger als ein Jahr vor Versicherungsbeginn vorgenommen wurden, bleiben dabei außer Betracht.
Artikel 7 – Was ist vom Versicherungsschutz ausgeschlossen?
2. Vom Versicherungsschutz sind ferner ausgeschlossen
2.2. Auseinandersetzungen aus Verträgen, mit denen durch Wechselbegebung, Vergleich, Anerkenntnis oder ähnliche Vereinbarungen eine neue
Rechtsgrundlage geschaffen wurde, es sei denn, ohne die neue Rechtsgrundlage wäre Versicherungsschutz gegeben; ...“
Die Antragstellerin begehrt Versicherungsschutz für einen Rechtsstreit mit ihrem Kfz-Flotten-Haftpflichtversicherer. Nach einem Verkehrsunfall, bei dem ein Fahrzeug der Versicherungsnehmerin einem anderen eigenen Fahrzeug auffuhr, war strittig, ob die Versicherung von Eigenschäden an anderen Fahrzeugen der Versicherungsnehmerin mitversichert war. Die Maklerin hatte dies in der ursprünglichen Ausschreibung der Kfz-Haftpflichtdeckung angefragt. Nach einiger Korrespondenz zwischen Versicherungsmaklerin und Kfz-Versicherer sagte Letzterer die Deckung zu, um sie später wieder wegen eines „Irrtums“ zu widerrufen. Der Rechtsschutzversicherer lehnte die Deckung ab, weil die Verletzung der vorvertraglichen Aufklärungs- und Warnpflichten vor Abschluss des Rechtsschutzversicherungsvertrages erfolgt sei. Soweit sich die Versicherungsnehmerin auf ein Anerkenntnis berufe, greife der Ausschluss des Art 7.2.2 ARB 2013.
Die Antragsgegnerin hat am Schlichtungsverfahren teilgenommen.
RSS-Empfehlung:
Der antragsgegnerischen Versicherung wird die Deckung des Rechtsschutzfalles .,. aus der Rechtsschutzversicherung ... empfohlen.
Nach ständiger Rechtsprechung sind allgemeine Vertragsbedingungen so auszulegen, wie sie sich einem durchschnittlichen Angehörigen aus dem angesprochenen Adressatenkreis erschließen. Ihre Klauseln sind, wenn sie nicht auch Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen (vgl RIS-Justiz RS0050063).
Wendet man diese Kriterien der Rechtsprechung auf den der Empfehlung zugrunde zu legenden Sachverhalt an, ist zuerst festzuhalten, dass nach dem Wortlaut des Art 7.2.2 ARB 2013 die Deckung bei Auseinandersetzungen aus Verträgen entfallen kann, wenn durch ein Anerkenntnis eine neue Rechtsgrundlage geschaffen wurde. Zusätzliche Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Ausschlusses ist aber weiters, dass ohne die Vereinbarung kein Versicherungsschutz gegeben wäre.
Soweit sich also die Antragstellervertreterin darauf beruft, dass der Versicherungsfall in der aus ihrer Sicht unberechtigten Zurückziehung der Deckungszusage durch die A. besteht, ist ihr entgegenzuhalten, dass diesfalls zu prüfen ist, ob auch ohne das Anerkenntnis ein von der Rechtsschutzversicherung gedeckter Versicherungsfall vorliegt.
Die Antragstellerin stützt ihren Anspruch in der Mahnklage (neben dem eventualiter vorgebrachten Anerkenntnis) auf zwei weitere Rechtsgrundlagen: Zum einen sei der Versicherungsvertrag nach dem Offert, das die Versicherung von Eigenschäden enthalten habe, im Sinne des § 5 Abs 3 VersVG mit diesem Inhalt zustande gekommen; zum anderen habe die A. ihre Aufklärungs- und Warnpflichten verletzt.
Beruht ein Rechtsschutzfall auf mehreren Anspruchsgrundlagen, liegt eine sogenannte Anspruchsgrundlagenkonkurrenz vor. Nach herrschender Auffassung in Deutschland umfasst die Deckungspflicht in derartigen Fällen auch solche nicht versicherten Anspruchsgrundlagen, soweit die ungedeckte Anspruchsgrundlage nicht weiter reicht als die gedeckte und beide gleichwertig nebeneinander bestehen (Stahl in Harbauer, Rechtsschutzversicherung8 [2010] 656).
Hinsichtlich einer allfälligen Verletzung von Aufklärungspflichten ist festzuhalten, dass die Antragstellerin diesbezüglich nur einen konkreten für den Eintritt des Versicherungsfalles adäquaten Verstoß vorwerfen kann, der jedenfalls vor Vertragsbeginn des Versicherungsvertrages liegt. Somit wäre die Rechtsver-
folgung diesbezüglich nicht vom Versicherungsschutz umfasst. Weiters ist der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen, dass bei Verletzung von vorvertraglichen Aufklärungspflichten grundsätzlich nicht das Erfüllungsinteresse, sondern der Vertrauensschaden zu ersetzen ist (vgl RIS-Justiz RS0016374). Der Geschädigte ist so zu stellen, wie er stünde, wenn die Pflichtverletzung nicht begangen worden wäre. Soweit die Antragstellerin daher die Deckung begehrt, müsste ermittelt werden, welche Mehrprämie bei diesem oder einem vergleichbaren Vertrag eines anderen Versicherers im Laufe der Jahre zu zahlen gewesen wäre.
Soweit sich die Antragstellerin auf die Regelung des § 5 Abs 3 VersVG beruft, wonach bei einer Abweichung zwischen Polizze und Antrag der Versicherer auf die Abweichungen hinweisen muss, widrigenfalls der Inhalt des Antrags als Vertragsinhalt gilt, ist festzuhalten, dass das bloße Abweichen von Antrag und Polizze noch keinen rechtlichen Verstoß darstellt. Vielmehr ist es im Rahmen der Vertragsfreiheit des Versicherers, den Versicherungsantrag nicht in mit dem vom Versicherungsnehmer gewünschten Inhalt anzunehmen, sondern einen anderen Inhalt anzubieten. § 5 VersVG schafft eine Genehmigungsfiktion bei Abweichungen vom Antrag (RIS-Justiz RS0115114), wobei umgekehrt die fehlende Information des Versicherers über Abweichungen bzw eine fehlende Rechtsbelehrung ihrerseits fingiert, dass der Versicherungsvertrag mit den für den Versicherungsnehmer besseren Bestimmungen zustande gekommen ist. Ein Verstoß im Sinne des Art 2 ARB 2013 liegt daher erst dann vor, wenn der Versicherer abweichend von diesem Vertragsinhalt die Deckung ablehnt.
Diese Ablehnung der Deckung erfolgte während der Laufzeit des Rechtsschutzvertrages; auf den zeitlichen Deckungsausschluss des Art 3.2 ARB 2013 von Versicherungsfällen, die auf Willenserklärungen vor Vertragsabschluss beruhen, hat sich die Antragsgegnerin im Schlichtungsverfahren nicht berufen. Sie wäre diesbezüglich behauptungs- und beweispflichtig, dass trotz der Korrespondenz vom Mai 2012 zumindest eine der Willenserklärungen, die zum Abschluss der Flottenhaftpflichtversicherung geführt haben, erst nach dem 15. 10. 2012, also innerhalb eines Jahres vor Beginn des Rechtsschutzversicherungsvertrages, erfolgt ist.
Im Ergebnis besteht also Deckung des Rechtsschutzfalles, weil sich die Antragstellerin mit der Berufung auf die Anwendbarkeit des § 5 Abs 3 VersVG auf einen Versicherungsfall, der während der Laufzeit des Rechtsschutzversicherungsvertrages eingetreten ist, stützen kann. Die grundsätzlich nicht versicherte Berufung auf die Verletzung von vorvertraglichen Aufklärungspflichten steht dazu in Konkurrenz, dass dieser Anspruch weiter reichen würde als der versicherte Deckungsanspruch, wird jedoch von keiner der Streitparteien behauptet. Da somit grundsätzlich ein versicherter Rechtsschutzfall vorliegt, schadet auch die hilfsweise Begründung, dass der Anspruch von der A. anerkannt worden sei, nicht.
Zurückweisung der Kündigung einer Rechtsschutzversicherung
RSS-E 101/23
1. Es ist darauf hinzuweisen, dass im Bereich der Rechtsschutzversicherung ein Kündigungsrecht gemäß §§ 69 und 70 VersVG grundsätzlich nicht unmittelbar zusteht, sondern die Sonderbestimmung des § 158o VersVG speziell und ausschließlich für die Veräußerung von Unternehmen zur Anwendung kommt.
2. Weiters ist festzuhalten, dass die Übergabe eines gemäß § 8 Abs 1 UGB in das Firmenbuch eingetragenen Unternehmens, das selbst keine juristische Person ist, von der das Unternehmen führenden noch lebenden natürlichen Person auf eine andere natürliche Person nur im Wege der Einzelrechtsnachfolge möglich ist. Insofern liegt in der Übergabe des Unternehmens nach Ansicht der Schlichtungskommission eine Veräußerung im Sinne des § 158o VersVG vor, welche zu einer Kündigung des Versicherungsvertrages durch den Erwerber berechtigt.
3. Gleiches gilt auch für die Einbringung des Unternehmens in eine Personengesellschaft. Auch dieser Vorgang stellt eine Veräußerung im Sinne des § 69 VersVG, auf den § 158o VersVG verweist, dar.
Das antragstellende Unternehmen war als ... e.U. seit 27. 8. 2021 bei der Antragsgegnerin ... rechtsschutzversichert. Als versichertes Risiko ist laut Polizze vom 1. 9. 2022 der Baustein „Fahrzeug-Rechtsschutz und Fahrzeug-Vertrags-Rechtsschutz“ für den PKW/Kombi mit dem Kennzeichen ... genannt. Als Vertragsdauer war der 1. 9. 2031 vereinbart. Inhaber war bis 30. 12. 2022 W., geboren 1960. Mit diesem Tag wurde der neue Inhaber, sein Sohn W., geboren 1992, ins Firmenbuch eingetragen.
Die Antragstellervertreterin kündigte nach eigenen Angaben mit Schreiben vom 30. 1. 2023 diesen (und weitere, hier nicht streitgegenständliche) Versicherungsverträge auf. Das Kündigungsschreiben liegt der Schlichtungskommission nicht vor.
Mit Schreiben vom 7. 2. 2023 wies die Antragsgegnerin die Kündigung zu einem der hier nicht gegenständlichen Versicherungsverträge mit der Begründung zurück, dass bei Veräußerung des versicherten Risikos an den Versicherungsnehmer kein Kündigungsrecht wegen Besitzwechsels gemäß § 70 VersVG bestehe.
Ebenfalls mit Schreiben vom 7. 2. 2023 kündigte nach eigenen Angaben die Antragstellervertreterin unter anderem den streitgegenständlichen Vertrag mit der Begründung, dass die ... e.U. in die nunmehrige Antragstellerin umgegründet worden ist. Laut Firmenbuch wurde die Änderung am 2. 2. 2023 eingetragen.
Die Antragsgegnerin wies nach eigenen Angaben mit Schreiben vom 9. 2. 2023 die Kündigung vom 7. 2. 2023 mit der Begründung zurück, dass es sich bei der Umwandlung von einem Einzelunternehmen auf eine offene Gesellschaft um eine Gesamtrechtsnachfolge handle und daher eine Kündigung nach § 70 VersVG nicht zustehe. Die Antragstellervertreterin bestreitet den Zugang dieser Kündigungszurückweisung.
In weiterer Folge brachte die Antragstellervertreterin vor, dass sowohl die Begründung der Zurückweisungen unrichtig sei als auch keine rechtzeitige Zurückweisung im Sinne der Entscheidung des OGH vom 17. 5. 2001, 7 Ob 97/01t, erfolgt ist. Erst auf Nachfrage der Antragstellervertreterin habe die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 9. 3. 2023 die Kündigung der Verträge abgelehnt.
Die Antragsgegnerin hielt dennoch an ihrer Rechtsmeinung fest, dass die Kündigungen des Vertrages unwirksam sei.
Dagegen richtet sich der Schlichtungsantrag vom 21. 4. 2023. Das versicherte Fahrzeug sei auf den neuen Inhaber anzumelden.
Die Antragsgegnerin teilte mit Schreiben vom 6. 6. 2023 mit, am Schlichtungsverfahren nicht teilzunehmen. Daher war gemäß Punkt 4.3. der Satzung der von der Antragstellerin bzw deren Vertreterin geschilderte Sachverhalt der Empfehlung zugrunde zu legen. Die Schlichtungskommission ist jedoch in ihrer rechtlichen Beurteilung frei.
RSS-Empfehlung:
Der antragsgegnerischen Versicherung wird empfohlen, die Wirksamkeit der am 30. 1. 2023 ausgesprochenen Kündigung des Versicherungsvertrages ... anzuerkennen.
Nach ständiger Judikatur ist die Kündigung eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung und bedarf zu ihrer Wirksamkeit keines Einverständnisses des Erklärungsempfängers (vgl RIS-Justiz RS0028555; RS0080174).
Es entspricht auch der ständigen Judikatur, dass der Versicherer verpflichtet ist, unwirksame Kündigungen jeder Art alsbald zurückzuweisen. Erfolgt eine solche Zurückweisung nicht, dann ist die Kündigung als wirksam zu behandeln. Die dogmatische Begründung für diese Ansicht liegt im Grundsatz von Treu und Glauben, der im Versicherungsverhältnis im Vordergrund steht. Die Klärung der Vertragslage ist bei einer unklaren oder rechtlich mangelhaften Kündigung sowohl für den Fall des Eintritts des Versicherungsfalles als auch im umgekehrten Fall dringend geboten. Deshalb muss der Versicherer eine Klärung unverzüglich einleiten. Die nicht rechtzeitige Zurückweisung einer – aus welchen Gründen immer – unwirksamen Kündigung ist als Zustimmung zur vorzeitigen Auflösung des Vertragsverhältnisses oder als Verzicht auf die Geltendmachung der aus der Verspätung oder der Unwirksamkeit einer Kündigung abgeleiteten Rechtsfolgen anzusehen (vgl OGH 8. 3. 1990, 7 Ob 10/90; RIS-Justiz RS0080729).
Wenngleich die Frage der Unverzüglichkeit immer eine Frage des Einzelfalles ist, hat der OGH in seiner Entscheidung vom 17.5. 2001, 7 Ob 97/01t, in einem durchaus vergleichbaren Fall festgehalten, dass das Berufungsgericht in einem Fall, bei dem eine zeitwidrige Kündigung, die beim Versicherer am 28. 12. 1999 einlangte und am 19. 1. 2000 zurückgewiesen wurde, trotz der Besonderheit der Weihnachtsfeiertage, des Jahreswechsels und des sogenannten Millenniumsdatums die Kündigungszurückweisung als verspätet und damit unwirksam beurteilt hat, seinen Ermessenspielraum nicht überschritten hat.
Da sich die Antragsgegnerin am Verfahren nicht beteiligt hat, ist im Sinne des Vorbringens der Antragstellervertreterin davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin die Kündigung des gegenständlichen Versicherungsvertrages vom 7. 2. 2023 frühestens am 9.3.2023, somit nicht rechtzeitig zurückgewiesen hat.
Für ein allfälliges streitiges Verfahren wäre die Antragstellerin für den Zugang der Kündigung bei der Antragsgegnerin beweispflichtig, die Antragsgegnerin wiederum für den Zugang der Zurückweisung der Kündigung bei der Antragstellerin bzw deren Vertreterin.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass im Bereich der Rechtsschutzversicherung ein Kündigungsrecht gemäß §§ 69 und 70 VersVG grundsätzlich nicht unmittelbar zusteht, sondern die Sonderbestimmung des § 158o VersVG speziell und ausschließlich für die Veräußerung von Unternehmen zur Anwendung kommt.
Weiters ist festzuhalten, dass die Übergabe eines gemäß § 8 Abs 1 UGB in das Firmenbuch eingetragenen Unternehmens, das selbst keine juristische Person ist, von der das Unternehmen führenden noch lebenden natürlichen Person auf eine andere natürliche Person nur im Wege der Einzelrechtsnachfolge möglich ist. Insofern liegt in der Übergabe des Unternehmens nach Ansicht der Schlichtungskommission eine Veräußerung im Sinne des § 158o VersVG vor, welche zu einer Kündigung des Versicherungsvertrages durch den Erwerber berechtigt.
Gleiches gilt auch für die Einbringung des Unternehmens in eine Personengesellschaft. Auch dieser Vorgang stellt eine Veräußerung im Sinne des § 69 VersVG, auf den § 158o VersVG verweist, dar (vgl E. Palten in Fenyves/Perner/Riedler, VersVG, § 69 Rz 28).
Der Schlichtungsantrag lässt offen, ob die Kündigung des Versicherungsvertrages per sofort oder per Schluss der laufenden Versicherungsperiode erfolgt ist, weshalb die Empfehlung lediglich auf die Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung abzielt.
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