Lotta Nr. 10: Zukunft nur mit Frauen

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Juni 2015

FRAUEN. LEBEN. LINKS!

Zukunft nur mit Frauen Mein Geld verdiene ich selbst. Meine Arbeit ist mehr wert. Meine Wünsche an die Zukunft. Unser Thema! Lotta queer: Halbzeit für den Mann mit der Viola S. 24

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n Befristung und Leiharbeit stoppen! n Mindestsicherung ohne Sanktionen statt Hartz IV! n Arbeit umverteilen

www.linksfraktion.de

Foto: Mike Fleshman

statt Dauerstress und Existenzangst! n Wohnung und Energie bezahlbar machen! n Mehr Personal f端r Bildung, Pflege und Gesundheit!


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EDITORIAL

© Uwe Steinert

Liebe Leserin, lieber Leser, immer wieder kommen wir auf die so grundlegende, spannend bleibende Frage zurück: Wie erreichen wir ein gutes Leben für alle? Aus dieser Perspektive formulieren wir Ansprüche an den Beruf und erinnern an den allzu oft vernachlässigten „Rest“. Wie möchte ich lernen, mich selbst künstlerisch auszudrücken, wie möchte ich meine Beziehungen gestalten und Kinder großziehen, wie möchte ich wohnen und mich ernähren, wie möchte ich mich in die Gesellschaft einbringen. Und schließlich: Wie geht das alles zusammen?

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n dieser Lotta möchten wir dazu ermutigen, diese Fragen mit neuem Nachdruck zu stellen. Wir gehen dem ganz praktisch nach. So ist Lotta unterwegs mit einer jungen Landwirtin, gut ausgebildet, und doch scheitert ihr Dasein als Bäuerin fast am nicht bezahlbaren Ackerland. Wenn da nicht eine neue Form von Gemeinschaft und gegenseitiger Unterstützung wäre. Die Prekarität unserer Lebensverhältnisse, die viele von uns davon abhält, Pläne zu schmieden und Wünsche auszuleben – diese Prekarität ist eine politische Willensentscheidung. Für uns bedeutet das: So wie es ist, muss es nicht bleiben! Die Zukunft ist Hoffnung, Chance und Utopie. Exemplarisch lassen wir darum junge Frauen zu Wort kommen. Was für ein Leben wollen sie? Lotta lässt sie erzählen, ihre Wünsche und Erwartungen machen nachdenklich, und lassen doch auf eine andere Zukunft hoffen.

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ie wollen wir leben, wir wollen wir arbeiten? Mit dieser Frage beschäftigten sich letztlich alle Gespräche, Diskussionen und Werkstätten während der ersten Linken Woche der Zukunft. Es war ein fröhliches, entspanntes, kluges Aufeinandertreffen von Frauen und Männern aus der Wissenschaft, Kunst und Kultur, Politik und vielen Interessierten. Aus unserer Fraktion beteiligten sich etliche Abgeordnete an dieser Zukunftswerkstatt. In Lotta sprechen sie darüber, was bleibt von diesen Tagen, was müssen wir gemeinsam ändern, um ein „gutes Leben“ zu führen, solidarisch und behutsam zuzüglich unserer Umwelt. Und wie gehen wir mit „anderen“ um? Wie begreifen wir Vielfalt? Als Bereicherung und essenziell für die

kommende Demokratie? Vielfalt in den Lebensweisen wird durch veraltete Gesetze, mit denen tradierte Geschlechter- und Familienbilder bevorzugt werden, eingeschränkt. Lotta schaut erneut auf die Lebenssituation von Alleinerziehenden und auf ihre Benachteiligung gegenüber der traditionellen Familie. Lotta zeigt die Einelternfamilie aber auch als eigenständiges Lebensmodell und macht Vorschläge, wie sie wirklich gleichgestellt werden kann. Und Lotta ist natürlich auch in dieser Ausgabe wie gewohnt queer unterwegs.

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uch diese Lotta ist bunt, lebensfroh, kämpferisch und will nachdenklich machen. Ich hoffe, unser Magazin inspiriert Sie und macht Lust auf die Zukunft.

Ihre

Cornelia Möhring

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2-2015

Inhalt

Mit 27 Jahren zählt Vivian Böllersen zu den jüngsten Bäuerinnen.

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Lotta

Wie kann gutes Leben funktionieren? Wie können Arbeit und der alltägliche lebenswerte „Rest“ zusammengehen? Von Cornelia Möhring Alleinerziehende Mütter und Väter

Schluss mit Symbolpolitik Familienpolitik unabhängig vom Familienstatus

Ein Plädoyer für Gleichstellung

Sarya, Luisa und Patricia sind jung, neugierig auf Leben und wünschen sich ein anderes Miteinander in der Gesellschaft.

6–16 Titelthema

Was für ein Leben will ich?

Wünsche für und Erwartungen an die Zukunft. Was macht eine Bäuerin ohne Land? Warum Bildung und Erziehung ein teures Gut sind

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Zukunftswoche – und nun?

Frauen der Fraktion mit ihren Anregungen und ihrem Ausblick in die Zukunft

Hier die Bildunterschrift

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© Frank Schwarz

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Editorial

© Frank Kopperschläger

Alles drin? Alles toll? lotta@linksfraktion.de

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© Uwe Steinert

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Fest der Linken mit einer Premiere Lesbisch-schwules Stadtfest in Berlin-Schöneberg, das größte in Deutschland: mittendrin Harald Petzold.

Queere Seiten

Halbzeit für den queerpolitischen Sprecher Harald Petzold

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Kunst trifft Politik – ein kulturpolitischer Salon

Queere Seiten

Zentrum QUEER LEBEN Öffnung der Ehe In Memoriam

Eine Frau, die für Frauen baute: Emilie Winkelmann

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Von Bremen in den Bundestag: Birgit Menz

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© Stella von Saldern

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Kunst & Kultur

Dies & Das

Tipps im Telegrammstil Nachlese: Girls Day Aufruf: „Gegen den ‚Marsch für das Leben‘ “ Buchtipp: Als die Soldaten kamen Erinnern: Lesen gegen das Vergessen Reise: Das erste Mal ans Meer

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Schwerpunkt: ZUKUNFT nur mit Frauen

„Ich dachte, mit 20 ist man erwachsen“ Was für ein Leben wollen junge Frauen? Welche Wünsche und Erwartungen haben sie? Was ist ihnen wichtig? Lotta ist im Gespräch mit einer Studentin, einer Abiturientin und einer Schülerin. Was macht ihr gerade? Wie sieht euer Alltag aus? Patricia Diaz Soto: Ich bin in einer seltsamen Zwischenphase. Seit meinem zehnten Lebensjahr bin ich in Spanien aufgewachsen, dort habe ich auch mein Abitur gemacht. Viele meiner spanischen Freunde haben gleich nach der Schule angefangen zu studieren. Ich aber bin mit meiner Familie wegen der Krise nach Deutschland gezogen. Wir haben schon früher, bis zu meinem zehnten Lebensjahr, hier gelebt. Mein Vater ist Deutscher, meine Mutter Kubanerin. Ich wollte eigentlich schon längst studieren, aber das Bewerbungssystem ist so kompliziert, alles hat sich nach hinten verschoben. Wegen meines spanischen Abiturs ist der bürokratische Aufwand bei der Universitätsbewerbung viel höher. Das frustriert mich. Sarya Polat: Ich gehe noch zur Schule, in die 9. Klasse. Meine große Leidenschaft ist Musik, ich möchte unbedingt auf eine Musikspezialschule wechseln. Deswegen stecke ich im Moment ein bisschen in der Klemme. Nächstes Schuljahr habe ich meine Prüfungen zum Mittleren Schulabschluss, dafür muss ich viel lernen. Und jetzt müsste ich noch

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richtig viel Klavier üben für die Aufnahmeprüfung an der neuen Schule. Das ist Stress, aber ich will das unbedingt schaffen. Luisa Seydel: Mein Bachelorstudium geht dem Ende zu, ich schreibe gerade meine Abschlussarbeit. Zwischendurch wollte ich abbrechen, nachdem ich eine große Krise hatte. Jetzt habe ich mich wieder gefangen. Dabei habe ich mir auch helfen lassen, alleine hätte ich das nicht geschafft. Ich habe mich lange gefragt: Wer bin ich eigentlich? Was mache ich hier? Durch das letzte Jahr weiß ich jetzt ziemlich genau, was ich in Zukunft machen will.

linge in den Bezirken Hellersdorf und Marzahn. Wir haben eine Begegnungsstätte eröffnet mit einem selbstverwalteten Internetcafé. Es ist ein guter Freiraum für die Flüchtlinge. Diese Arbeit ist toll, sie hat mich sehr geprägt, aber auch oft

Du hast von einer ehrenamtlichen Arbeit erzählt. Was genau machst du? Luisa: Ich habe vor zwei Jahren mit einigen anderen Leuten einen Verein gegründet. In Berlin-Hellersdorf gab es damals unangenehm rassistische Proteste gegen die Eröffnung eines Flüchtlingsheims. Wir gründeten dagegen eine ‚Willkommensinitiative‘. Der Verein heißt „Hellersdorf hilft“ und wir unterstützen Flücht-

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10 emotional mitgenommen. Ich bin im Vereinsvorstand und habe bei der Gründung total unterschätzt, was wir da auf uns nehmen. Aber es ist eine Herzensangelegenheit von mir. Zukunft – was ist das für euch? Plant ihr etwas?

Patricia: Bei mir kommt erst einmal das Studium. Ich möchte Kulturwissenschaft studieren. Und später will ich nicht superreich sein. Glücklich sein ist mir wichtiger, zufrieden mit der Arbeit, die ich mache, und viel-

leicht anderen Menschen helfen oder Gutes tun. Ich wünsche mir, etwas zu finden, was mich richtig ausfüllen kann.

Illustration: Kristina Heldmann für ZITRUSBLAU

Sarya: Ich will die Schule wechseln und mein Leben lang Musik machen. Ich will auch davon leben können! Ich möchte mir mein Leben selbst finanzieren.

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Schwerpunkt: ZUKUNFT nur mit Frauen

Luisa: Ich möchte einen Master in Politikwissenschaft machen. Komischerweise mache ich mir gar nicht so viele Sorgen. Viel Geld brauche ich nicht, mit meinem Studentennebenjob komme ich gut über die Runden. Nach meinem Master werde ich irgendwo als Politikwissenschaftlerin arbeiten und das Geld wird reichen. Zukunftsängste habe ich nicht. Dann hoffe ich, dass ich im Alter keine Spießerin werde. Ich wünsche mir, dass ich irgendwann weniger wütend sein kann, als ich es jetzt bin. Ich bin so wütend auf viele Zustände in der Gesellschaft. Ich will im Alter noch für eine bessere Welt kämpfen, aber ich hoffe, ich bin dann mit mir und der Umwelt mehr im Reinen. Ich möchte mich irgendwann nicht mehr so furchtbar aufregen müssen. Was regt dich denn auf? Luisa: Das Bildungssystem macht mich wütend. Mich macht wütend, dass Kinder schon so früh abgehängt, stigmatisiert werden, weil sie aus bestimmten Verhältnissen kommen. Mich ärgert, wie unsozial die Regierungspolitik ist, wie wenig Partizipation ermöglicht wird. So viele im Bundestag und in der Regierung haben nie erlebt, was es heißt, ein Arbeiterkind zu sein oder in einem schwierigen Viertel aufgewachsen zu sein. Mich macht die Flüchtlingspolitik unheimlich wütend, dass Menschen illegal sein müssen. Und dann diese Leistungsgesellschaft. Es gibt so wenig Solidarität, es ist eine Ellenbogengesellschaft. Patricia und Sarya, seid ihr auch auf irgendetwas sauer? Patricia: Dass wir – obwohl wir in einer Welt leben, in der Dinge von Menschen gemacht und ent-

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gilt, damit die Leute wieder abgeschoben werden können. Als Frau fühle ich mich auch nicht besonders gut vertreten. Viele meiner Freundinnen sind mit ihrer Ausbildung oder ihrem Studium fertig geworden. Die kriegen fast nur befristete Verträge und sind damit jederzeit austauschbar. Ich habe nicht das Gefühl, dass die Politik etwas gegen solche Vorgänge unternimmt. Patricia: Politik ist einfach nicht familienfreundlich! schieden werden – nichts ändern. Schlimmer noch, es gibt Menschen, denen die Missstände dann auch noch egal sind. Sarya: Mich macht das mit der Arbeit wütend. Dass ein Altenpfleger viel weniger verdient, als zum Beispiel ein Mathematiker. Dass überhaupt manche Berufe als viel wertvoller wahrgenommen werden, als die eines Erziehers oder Sozialarbeiters. Die Lohnunterschiede machen mich sauer. Fühlt ihr euch von der Politik wahrgenommen? Alle drei (lachend): Nein! Patricia: Vielleicht bin ich noch zu jung, um Politik richtig zu verstehen. Ich bin in einer Phase, in der ich an gar nichts glaube, mir trotzdem wünsche, dass sich die Zustände ändern und verbessern. Luisa: Ich glaube der Politik auch nicht. In der Flüchtlingspolitik wird gerne von einer Willkommenskultur palavert. Ich finde das heuchlerisch, wenn gleichzeitig das Asylgesetz immer weiter verschärft wird oder so etwas wie die Drittstaatenregelung

Könnt ihr euch trotzdem vorstellen, eine Familie zu gründen? Luisa: Ich denke schon, dass ich ein Kind will. Aber jetzt noch nicht, nicht in naher Zukunft. Patricia: Ich will auf jeden Fall Kinder haben. Luisa: Ich dachte früher immer, mit 20 ist man erwachsen, lebt in einer Ehe und hat Kinder. (lacht) Patricia: Meine Oma und Freunde meiner Eltern waren wirklich genau in dem Alter verheiratet und hatten Kinder. Ich selbst will mit 50 Jahren auch keine Teenager mehr im Haus, sondern Zeit für mich haben. Kinder also gerne schon mit 25. Was glaubt ihr, warum bekommen Frauen heute später Kinder? Patricia: Wir wollen erst einmal unsere Zukunft sichern. Unsere Kinder sollen in einem guten Umfeld aufwachsen. Dafür brauchen wir eine feste Arbeit, einen Zukunftsplan. Bei all den Baustellen, die wir bearbeiten müssen, vergeht die Zeit, und wenn die Sicherheit nicht da ist, kommen auch keine Kinder.

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10 Luisa: Meine Eltern sind in der DDR aufgewachsen, das Leben war einfach anders strukturiert. Ich glaube, das späte Kinderkriegen liegt auch an unseren Freiheiten. Ich reise mit meinen Freundinnen ganz viel durch Europa, dann geht man vielleicht noch ein Jahr ins Ausland und man möchte sich bestmöglich aus- und weiterbilden. Da stehen Kinder erst einmal hinten an. Wollt ihr in einer Partnerschaft leben? Luisa: Ich sehe mich in einer Partnerschaft, ja. Aber nicht in einer Ehe. Patricia: Ich will definitiv Kinder haben, aber ich muss keinen Partner haben. Ich habe mich immer als alleinerziehende Mutter gesehen. Irgendwann habe ich gemerkt, dass alle meine Freundinnen über Hochzeiten und Traumprinzen gesprochen haben. In meiner Zukunftsvorstellung gibt es aber nur mich und meine Kinder. Sarya, du bist erst 15 Jahre alt, interessiert dich Politik? Sarya: Ja klar. Ich diskutiere manche Bundestagsentscheidung mit meinen Eltern. In der Schule reden wir auch über Politik. Trotzdem fühle ich mich nicht von der Politik vertreten. Wir dürfen schon sagen, was wir denken, aber diskutiert wird es dann doch nicht. Und mich nervt das Nicht-wählen-Dürfen. Erwachsene, Lehrer und Politiker denken, wir hätten keine Ahnung. Sie wüssten, was für uns das Beste ist. Das nimmt einem jede Motivation, sich wirklich einzumischen. Luisa: Es gibt ja diese U18-Wahlen an den Schulen. Damit wird den Ju-

gendlichen im Prinzip von Anfang an vermittelt: Ihr könnt hier zwar abstimmen, aber es hat keine Auswirkung auf die Realität. Das ermutigt doch niemanden, sich einzubringen. Was würdet ihr ändern wollen? Luisa: Ich würde mich besser fühlen, wenn mehr Frauen im Parlament wären, vor allem mehr junge Frauen. Ich möchte da mehr Migranten und Migrantinnen sehen, das Parlament sollte bunter und vielfältiger besetzt sein. Ich möchte, dass soziale Themen eine größere Rolle spielen und dass die Anliegen junger Menschen ernster genommen werden. Ich fände eine Wahl ab 16 gut und man sollte in der Schule viel mehr über Demokratie und das Wählen lernen. Patricia: Genau! Nicht alle haben eine Vorstellung davon, was in einem Parlament überhaupt passiert. Politik wird als sehr kompliziert empfunden. Dabei geht es doch um Menschen, um uns ganz persönlich und darum, wie wir leben. Das passiert alles so weit entfernt von uns. In der Bildung müsste man anfangen, diese Dinge zu erklären und verständlich zu machen.

Sarya Polat, 15 Jahre alt, Berlin. Schülerin.

Luisa Seydel, 23 Jahre alt, Berlin. Studentin der Politikwissenschaft.

Das Gespräch führte Sophie Freikamp Fotos: Frank Schwarz

atricia Diaz Soto, 21 Jahre P alt, Lütjenburg (in der Nähe von Kiel). Abiturientin.

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Schwerpunkt: ZUKUNFT nur mit Frauen

Vivian Böllersen versucht als erste Landwirtin in Brandenburg, eine Walnussanlage aufzubauen.

© Frank Kopperschläger

Walnüsse anbauen, auf einer eigenen Plantage. Ungewöhnlich, denn das Brandenburger Land ist eher für seine märkische Kiefer und den Beelitzer Spargel bekannt. Vivian Böllersen dazu: „Die Walnuss lässt sich hier problemlos anpflanzen, warum also die hohe Nachfrage aus Übersee decken?“

Bodenlos – oder wie die Bäuerin zu Land kommt Ohne die Ökonauten hätte Vivian Böllersen ihren Traum vom eigenen Wallnusshain nicht umsetzen können.

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n Velten, dreißig Kilometer nordwestlich von Berlin, arbeitet eine junge Frau auf einem Feld. Sie hat eine verrückte Idee: Mitten in Brandenburg möchte sie

Den Walnussbaum kennen viele aus dem eigenen Garten, die Nuss landet in der Regel in der Weihnachtszeit auf dem bunten Teller. Die landwirtschaftliche Nutzung dagegen ist hierzulande nur wenig bekannt. Der Verwendungszweck reicht von Marzipan bis Speiseöl. Außerdem sind Walnüsse reich an Omega3-Fettsäuren, die das Herz schützen und das Denkvermögen ankurbeln können. Schon während des Studiums war der zukünftigen Jungbäuerin klar: „Ich will meine Idee in die Praxis umsetzen.“ Sie widmete ihre Masterarbeit der Walnuss, und hielt frühzeitig Ausschau nach geeignetem Land.

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er Ackerland und Bodeneigentum kaufen möchte, der kommt in Ostdeutschland nicht an der Bundesverwertungs- und Verwaltungsgesellschaft (BVVG) vorbei. Sie hält die Hand über Acker- und Grünflächen und über die Preise. „Bei den Versteigerungen konnte ich mit anderen Bietern nicht mithalten, obwohl ich meine Gebote für realistisch hielt“, erzählt die junge Landwirtin. So folgt auf Vorfreude die Ernüchterung. Großinvestoren, die mit den begehrten Flächen spekulieren, sind kleinen Landwirten und Landwirtinnen wie Böllersen hoffnungslos überlegen. Allein in Brandenburg stiegen die Bodenpreise in den letzten Jahren um mehr als 200 Prozent. Vivian Böllersen aber

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10 gibt ihren Traum nicht auf, schaltet eine Zeitungsannonce – und es meldet sich ein Grundstücksbesitzer aus dem kleinen Ort Velten. „Die Grünfläche entsprach genau meinen Vorstellungen“, erzählt sie. Das passende Stück Land war gefunden, aber wie bezahlen, wenn kein großes Eigenkapital vorhanden ist?

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ilfe kam über ihren Studienkollegen Willi Lehnert und sein frisch ins Leben gerufenes Projekt Ökonauten. Lehnert, selbst angehender Landwirt, ist Mitbegründer der Ökonauten, einer Landgenossenschaft. Während der Linken Woche der Zukunft war er als Experte bei der öffentlichen Werkstatt „Bodenlos – Wie die Bäuerin zu Land kommt“ eingeladen und dort stellte er das Projekt Ökonauten vor. Die Genossenschaft will Agrarflächen in Brandenburg für ökologischen Anbau sichern. Darum sucht sie Mitstreiterinnen und Mitstreiter und unterstützt junge Landwirte finanziell, wenn sie sich auf eigene Beine stellen wollen. Ein Zusammenschluss und ein Vorhaben - maßgeschneidert für Vivian Böllersen. Mit dem Geld der Ökonauten konnte Böllersen die Grünfläche in Velten kaufen. „Stück für Stück baue ich mir jetzt meinen eigenen Walnusshain auf“, strahlt sie. Insgesamt 230 Bäume sollen einmal auf der knapp viereinhalb Hektar großen Plantage stehen. Zurzeit sind es gerade mal zwei Dutzend, gesetzt, behütet und gepflegt seit Ostern dieses Jahres. Bis zur ersten Walnussernte kann es fünf bis zehn Jahre dauern. Beim Pflanzen der zarten Stecklinge halfen die Ökonauten kräftig mit, das werden sie auch weiterhin tun und dafür werden sie später

Ökonauten

Ziel ist die gemeinsame Gestaltung von Landwirtschaft. Mitmachen kann jede und jeder, egal, ob als LandwirtIn oder Genossenschaftsmitglied. Das erste Projekt ist die Walnussanlage von Vivian Böllersen. In Zukunft will die Genossenschaft weitere Flächen gemeinschaftlich erwerben und bewirtschaften. Die ökologisch erzeugten Lebensmittel sollen direkt in der Region abgesetzt werden: Wochenmarkt statt Welthandel.

Taste of Heimat

Ein Verein für nachhaltige Landwirtschaft in Nordrhein-Westfalen, gegründet 2014. Mit der Plattform www.tasteofheimat.de führt er regionale Produzenten und Konsumenten zusammen. Zusätzlich bietet der Verein Workshops für Schulklassen an, um über Qualität, Nachhaltigkeit und Konsumverhalten aufzuklären und zu diskutieren.

belohnt: in Naturalien, mit Walnüssen, mit einem Teil der Ernte. Vivian Böllersen selbst arbeitet wöchentlich auf ihrem Feld. Wässern, säen, pflanzen. „Ständig finde ich neue Aufgaben, bin froh, endlich loslegen zu können“, sagt die Landwirtin.

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ie Fläche zwischen den Bäumen will sie ebenfalls nutzen, zum Beispiel für den Anbau von Wildkräutern. „Daraus lassen sich Smoothies machen“, erklärt sie, ein Getränk, das im nahegelegenen Berlin absoluter Trend ist. Vivan Böllersen arbeitet in Berlin in einem Bioladen, um sich jetzt noch ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Deshalb kennt sie die Wünsche der Verbraucher ziemlich genau. „Die Nachfrage nach regional angebauten Produkten wird immer größer. Die Leute wollen wissen, unter welchen Bedingungen Lebensmittel produziert werden. Vivian Böllersen ist mit 27 Jahren ungewöhnlich jung für den Job einer Landwirtin. Sie zählt zu den wenigen, die überhaupt versuchen, als Bäuerin Fuß zu fassen. Es ist nicht

die harte Arbeit, sondern es sind die finanziellen Hürden, die Jungbäuerinnen und -bauern abschrecken. „Aus meinem Studienkreis weiß ich, wie viele Lust haben, aufs Land zu ziehen und ihren eigenen Hof zu führen“, sagt sie und fügt hinzu: „Alteigentümer sollten wissen, in wessen Hände sie ihr Land geben, das sie ja selbst einst über Jahrzehnte hingebungsvoll gehegt und gepflegt haben.“ Landumverteilung, Landausverkauf, die steil nach oben gehenden Boden- und Pachtpreise vernichten auf lange Sicht jegliche regionale Landwirtschaft. Vivian Böllersen setzt gemeinsam mit den Ökonauten diesem Trend etwas entgegen. Eines Tages möchte sie dann selbst aufs Land ziehen. Vielleicht in fünf Jahren, dann steht der Lohn für ihren Traum und ihre Arbeit an: die erste Ernte. Paul Schwenn Mehr Informationen unter: www.oekonauten-eg.de

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SchWERpUNKT: ZUKUNFT NUR mIT FRAUEN

Der Ausverkauf von Bodeneigentum trifft uns alle. Er muss gestoppt werden. Anträge und Alternativen der Fraktion DIE LINKE

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cker und Wiesen sind einzigartige Naturgüter und wertvolle Lebensräume. Sie sind Lebensgrundlage, Schadstoffsenker und Nährstoffentwickler, aber auch Zeitzeugnisse. Die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft misst sich auch daran, wie sorgsam sie mit diesem Naturreichtum umgeht, erst recht angesichts der aktuell rasant wachsenden Weltbevölkerung. Denn die Ressource Boden ist nicht nur nicht vermehrbar, sondern durch Straßen- und Siedlungsbau in Europa sowie Kriege oder Wüsten im globalen Süden steht immer weniger fruchtbares Ackerland zur Verfügung. Übernutzung oder ungeeignete Anbaumethoden tun ihr Übriges, dass die Ressource Boden ein immer knapperes Gut wird.

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ine so limitierte Existenzgrundlage weckt Begehrlichkeiten, besonders in einer Gesellschaft, in der auch Naturressourcen Ware sind. Der Kampf nichtlandwirtschaftlicher Investoren um den Boden treibt weltweit die Preise hoch. In Erwartung hoher, kurzfristiger Renditen kaufen sie Äcker, Wiesen oder ganze Betriebe auf. Bodenkauf- und Pachtpreise können deshalb aus dem Erlös land-

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wirtschaftlicher Arbeit kaum mehr bezahlt werden und eine nachhaltige Landwirtschaft gerät unter die Räder, ganz zu schweigen vom sozialökologischen Umbau, den DIE LINKE für dringend erforderlich hält.

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us diesem Grund wollen wir den Boden als Produktionsgrundlage für regional verankerte Landwirtschaftsbetriebe ebenso sichern wie eine breite Streuung des Bodeneigentums, am besten in öffentlicher Hand oder in Besitz der Leute in den Dörfern und kleinen Städten. Auch Neueinsteiger müssen eine Chance bekommen und erst recht Frauen. Aber Teilhabe am Boden ist mehr. DIE LINKE will eine Allianz der regionalen Landwirtschaft mit der ländlichen Bevölkerung und allen Verbraucherinnen und Verbrauchern für eine nachhaltige Bewirtschaftung der Äcker, Wiesen und Ställe, damit die regionale Versorgung mit Lebensmitteln oder erneuerbaren Energien und ein lebenswertes Umfeld keine Utopie bleiben. Kirsten Tackmann ist agrarpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE

© Christian Rehmer

Ohne Land keine Landwirtschaft

Raus aus dem Bundestag: Kirsten Tackmann vor Ort bei Bauern und ihren Tieren.

Forderungen der Fraktion DIE LINKE • Bodeneigentum offenlegen • Bodenprivatisierung (BVVG) stoppen, öffentliches Bodeneigentum sichern und langfristig verpachten • Obergrenzen für privates Bodeneigentum • Verkauf an strenge Kriterien binden (aktive Landwirte und -wirtinnen, Ortsansässigkeit) • Genehmigungspflicht für Anteilskäufe bei Unternehmen • gemeinsame Bewirtschaftung stärken, beispielsweise in Genossenschaften • Landnutzungsrechte von Frauen, Kleinbauern und -bäuerinnen und Indigenen stärken. Broschüre „Zugang zum Boden“ unter www.plan-b-mitmachen.de

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Ohne uns läuft nichts Der LandFrauenverband ist die größte Frauenorganisation Deutschlands.

LandFrauen haben ein neues Selbstverständnis. Es sind selbstbewusste Frauen mit eigenen Erwerbsbiografien, die nicht mehr allein den Haushalt und die Familien als ihren Aufgabenbereich betrachten, sondern sich selbst als Mitunternehmerin sehen. Es sind gerade Frauen, die neue Chancen erkennen, die mit Kreati-

vität, Entschlossenheit, Willen zur Weiterbildung und unternehmerischem Augenmaß den neuen Herausforderungen begegnen und sich neue Einkommensalternativen erschließen.

Was LandFrauen wollen:

schließen Lücken in der bröckelnden ländlichen Infrastruktur. Mit ihrem Engagement helfen sie mit, Lebens- und Bleibeperspektiven zu schaffen. Nicht zuletzt stärken LandFrauen das Ansehen und die gesellschaftliche Position der Landwirtsfamilien als geachtete und akzeptierte Partner in den Dörfern.

• Eigenes Können gezielt einsetzen, anerkannte Partnerinnen sein • Angemessene Entlohnung oder finanzielle Beteiligung am Unternehmen • Familie gründen und mit dem Partner gemeinsam Anforderungen wie Haushalt, Kindererziehung, Betreuungsaufgaben erfüllen. • Ehrenamtlich tätig sein, sich einmischen, Verantwortung übernehmen

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hrenamtliches Engagement brauchen wir nötiger denn je. Frauen engagieren sich für die Regionen, in denen sie leben und arbeiten. Sie schaffen Arbeitsplätze, leisten Sozialarbeit und

© dlv

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andFrauen tragen heute durch vielfältige Leistungen zur wirtschaftlichen Entwicklung der Regionen und zur Existenzsicherung ihrer Familien bei, insbesondere in den landwirtschaftlichen Betrieben. In der Öffentlichkeit werden ihre Leistungen meist unterschätzt, auch in Statistiken kommen sie nicht vor. Als LandFrauenverband fordern wir daher schon seit Längerem Studien, die dies belegen. Zusätzlich tragen die Frauen durch steigende außerlandwirtschaftliche Erwerbstätigkeit vermehrt zum Familieneinkommen bei.

Brigitte Scherb ist Präsidentin des Deutschen LandFrauenverbands

Der Deutsche LandFrauenverband e. V. • ist der bundesweit größte Frauenverband • Mitglieder sind 22 Landes-LandFrauenverbände mit rund 430 Kreis- und mehr als 12.000 Ortsvereinen • in den Ortsvereinen sind etwa 500.000 Frauen organisiert • Z iele: setzt sich ein für die berufsständischen Interessen der Bäuerinnen, für die Verbesserung der sozialen, wirtschaftlichen und rechtlichen

Situation von Frauen, für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen im ländlichen Raum • dazu zählen Ausbildungsmöglichkeiten, eine genügende Anzahl von Arbeitsplätzen, kulturelle, soziale und infrastrukturelle Einrichtungen Mehr unter www.landfrauen.info

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Schwerpunkt: ZUKUNFT nur mit Frauen

Mehr Wertschätzung, mehr Anerkennung und mehr Lohn

© Nico Limprecht

Immer mehr! Pyramide der Anforderungen.

Bundesweit streikten in den vergangenen Wochen Erzieherinnen und Erzieher. Seit 8. Juni 2015 ist der Streik ausgesetzt, es wurde eine Schlichtung vereinbart. Jutta Krellmann war mitten unter den Streikenden.

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in vierwöchiger Streik ist für alle Betroffenen schwierig. Die Streikenden waren einem enormen Druck ausgesetzt: Zusätzlich zum finanziellen Druck bei einem so langen Streik plagte sie auch noch das schlechte Gewissen, Kinder im Stich zu lassen und deren Eltern organisatorische Höchstleistungen abzuverlangen. Diese Eskalation haben die kommunalen Arbeitgeber bewusst provoziert, anders ist der bisherige Verhandlungsunwillen nicht zu erklären. Deutschlandweit hatten sich mehr als 150.000 Beschäftigte am Ausstand beteiligt. Dabei ging es nicht nur um mehr Geld. Es geht vor

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allem um die längst überfällige Anerkennung ihres Berufsstands. Unsere Erwartung und die inhaltlichen Anforderungen an die Beschäftigten sind ständig gestiegen. Was nicht mithielt, waren die gesellschaftliche Wertschätzung und die Entlohnung. Bestimmte Forderungen brauchen eben den Druck eines Streiks, damit Bewegung in die Verhandlungen kommt.

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ur Erinnerung: Im Mai 2015 gab es eine Urabstimmung bei ver.di und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Mehr als 90 Prozent der Organisierten hatten für den un-

befristeten Streik gestimmt. Die Entschlossenheit der Beschäftigten und ihre Beteiligung am Ausstand waren erstaunlich kraftvoll. Ihr Streik zeigte deutlich, welche Folgen es für die Gesellschaft hat, wenn im Alltag so eine Dienstleistung wie Kinderbetreuung und -erziehung ausfällt. Im April besuchte ich die Streikenden in Hannover, auch in meinem Wahlkreis HamelnPyrmont beteiligten sich fast alle Einrichtungen am Streik. Täglich wurde gemeinsam im Streiklokal gefrühstückt, danach begannen die Aktionen. Im Mittelpunkt standen besonders die Arbeitsbedingungen. Physische und psychische Belastungen sind im Sozial- und Erziehungsbereich überproportional im Vergleich zu anderen Berufsgruppen. Das ist Arbeit an der Grenze der Leistungsfähigkeit. DIE LINKE bleibt bei ihrer Unterstützung zur Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe. Gute Arbeit, gute Löhne, gute Betreuung und gute Bildung für alle. Das muss drin sein!

Jutta Krellmann ist gewerkschaftspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE

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10 Sozial- und Erziehungsdienste sind mehr wert! Ergebnisse einer Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE • Die überwiegende Mehrheit der Beschäftigten in der Erziehung, Sozialarbeit und Heilerziehungspflege sind Frauen in Teilzeitarbeit. Von den 1.222.425 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten (Stand Juni 2014) arbeiten 681.414 Beschäftigte (56 Prozent) in Teilzeit und 1.022.633 der Beschäftigten (84 Prozent) sind Frauen • Ein Drittel der Beschäftigten ist über 50 Jahre alt. Der Anteil verdreifachte sich in den vergangenen zehn Jahren. Im Jahr 2004 waren es 110.448 (17,6 Prozent), 2014 bereits 382.992 Beschäftigte (31,2 Prozent)

• Jeder fünfte Beschäftigte hat einen befristeten Arbeitsvertrag; nahezu doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren. Je jünger die Beschäftigten, desto höher ist der Anteil an Befristungen. Insgesamt stieg die Anzahl der befristeten Arbeitsverträge von 163.000 (2004) auf 277.000 Beschäftigte (2013) • Die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse haben sich in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt. Im Jahr 2004 waren es 26.142 Beschäftigte (4,2 Prozent) und 2014 bereits 90.614 Beschäftigte (7,4 Prozent) Antrag der Fraktion DIE LINKE „Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe jetzt“ unter: http://gleft.de/W3

Auch Lehrerinnen und Lehrer haben gute Gründe zur Aufwertung ihres Berufs

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ber die Arbeit von Lehrkräften gibt es jede Menge Lästerei. Doch die wenigsten, die sich da abfällig äußern, können diese Arbeit wirklich einschätzen. Arbeitszeituntersuchungen zeigen immer wieder, dass Bildungsarbeit in den Schulen nicht in einer 40-Stunden-Woche unterzubringen ist. Nicht nur die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern ist anstrengender geworden, auch die Umsetzung neuer Bildungsstandards. Wer da glaubt, es reiche, vormittags Unterricht zu geben und nachmittags vielleicht ein paar Arbeiten zu korrigieren, der irrt gewaltig. Hinzu kommen für angestellte Lehrkräfte Ungerechtigkeiten in der Bezahlung.

Bis zum Jahr 2006 gab es eine Bundesbesoldungsverordnung, in die alle Lehrkräfte eingruppiert waren, und es galt der Bundesangestelltentarif. Seit der Föderalismusreform von 2006 ist das anders. Da können die Länder ihre eigenen Besoldungsgesetze machen und es gilt für angestellte Lehrkräfte ein mit den Ländern ausgehandelter Tarif. Doch eine Entgeltordnung, in der die angestellten Lehrkräfte mit ihren unterschiedlichen Ausbildungen vergleichbar zu ihren beamteten Kolleginnen und Kollegen eingeordnet werden, gibt es nicht. Sie wurde versprochen, auch verhandelt, aber bislang ohne Ergebnis. Das bedeutet, dass angestellte Lehrkräfte deutlich weniger verdienen als ver-

beamtete und dazu in den Ländern noch unterschiedlich. In den vergangenen Jahren wurden außerdem aufgrund der öffentlichen Kassenlage der Länder mehrfach Zugeständnisse vonseiten der Beschäftigten gemacht. Lehrkräfte jedoch nach Haushaltslage zu bezahlen, geht gar nicht. Es geht um die Würdigung einer gesellschaftlich wichtigen Aufgabe – der Bildung junger Menschen.

Rosemarie Hein ist bildungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE

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SchWERpUNKT: ZUKUNFT NUR mIT FRAUEN

Verdiente Aufwertung

© picture alliance/dpa

Warum ver.di mit den Frauen und Männer der Erziehungs- und Sozialberufe auf die Straße ging und für eine gesellschaftliche Wertschätzung ihrer Berufe kämpft.

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m Sozial- und Erziehungsdienst – also in Krippen, Kitas, Horten, Jugendzentren, in der Schulsozialarbeit, in Jugendämtern, in Heimen für Kinder und Jugendliche sowie in Einrichtungen und Angeboten der Behindertenhilfe und vielen weiteren Arbeitsgebieten – sind bundesweit 750.000 Menschen tätig. Von ihrer Arbeit profitieren wir alle. Die meisten Beschäftigten sind Frauen. Mehr als zwei Drittel dieser Kolleginnen arbeiten in Teilzeit – häufig nicht auf eigenen Wunsch. Die Bewertung ihrer Arbeit ist 25 Jahre alt. In dieser Zeit hat sich vieles verändert. Kindergärten sind zu Orten frühkindlicher Bildung geworden. Kinderschutz ist in aller Munde und die Arbeit der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter erhält in

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unserer Gesellschaft eine immer größere Bedeutung. Vor dem Hintergrund wachsender Armut, einem Einwanderungsland, einer Gesellschaft, in der die soziale Herkunft eine entscheidende Bedeutung für den Werdegang der Kinder hat, sind die Aufgaben im Sozial- und Erziehungsdienst immer anspruchsvoller, umfassender und für den Einzelnen wie für die gesamte Gesellschaft immer wertvoller geworden.

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us diesem Grund will ver.di gemeinsam mit den Beschäftigten eine deutliche Erhöhung der Einkommen für die Sozial- und Erziehungsberufe durchsetzen. Tausende Kolleginnen und Kollegen von öffentlichen, aber

auch von freien und konfessionellen Trägern machten bundesweit deutlich, dass jetzt die Zeit ist, eine Aufwertung vorzunehmen. Dieser Konflikt wird entscheiden, welche Attraktivität diese Tätigkeiten künftig haben werden, in welcher Qualität sie angeboten werden können und was der Gesellschaft die Arbeit mit und für Menschen wert ist. Alexander Wegner ist ver.diBundesfachgruppenleiter für Sozial-, Kinder- und Jugendhilfe

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Gleichstellung unabhängig vom Familienstand

Immer noch die Ausnahme: alleinerziehende Väter. Von zehn Alleinerziehenden sind neun Frauen.

Alleinerziehende brauchen keine Symbolpolitik, sie wollen ökonomische Eigenständigkeit und als Familienform anerkannt werden.

© Felix Zimmer

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gute Vereinbarkeit von Arbeits- und Familienleben verfestigen sich aber berufliche Nachteile. Die ökonomische Eigenständigkeit ist Wunsch vieler Alleinerziehender, selten aber Realität.

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as tun? Als Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) streiten wir für eine Gleichstellung von Frauen und Eltern am Arbeitsmarkt, etwa durch ein Entgeltgleichheitsgesetz und eine Quote. Als VAMV fordern wir, Leistungen für Alleinerziehende wie den Unterhaltsvorschuss und kurzfristig die steuerliche Entlastung deutlich auszubauen und zu dynamisieren. Langfristig setzen wir uns für einen Systemwechsel ein, der konsistent über unterschiedliche Lebensphasen hinweg auf ökonomische Eigenständigkeit sowie auf die aktive Elternschaft für Mütter und Väter setzt. Das heißt, auf

eine Individualbesteuerung und auf die direkte Förderung von Kindern durch eine Kindergrundsicherung – völlig unabhängig von der Familienform und dem Einkommen ihrer Eltern.

© vamv

prechen wir über Alleinerziehende, dann sprechen wir über Frauen: Neun von zehn Alleinerziehenden sind Mütter. Für sie als Frauen und Mütter verschränken und verstärken sich Benachteiligungen am Arbeitsmarkt. Nur jede vierte Alleinerziehende kann sich auf einen angemessenen Unterhalt für ihr Kind verlassen, jede zweite gar nicht. Familienpolitik ist in Deutschland weiterhin auf Ehepaare und auf das Ernährermodell ausgerichtet, auch wenn es Modernisierungsinseln wie das Elterngeld gibt. Was fehlt, ist ein roter Faden, der bis ins Alter hält und nicht nur bis zum Ende der Ehe. Ehegattensplitting, beitragsfreie Mitversicherung von Ehegattinnen und -gatten bei der Krankenkasse oder Minijobs sind massive Anreize für Mütter, beruflich zurückzustecken, und fördern eine traditionelle Arbeitsteilung trotz partnerschaftlicher Wünsche. Bricht die Ehe auseinander, ändern sich mit dem Unterhaltsrecht die Regeln: Statt Familien- ist Erwerbsarbeit angesagt. Mit Kind, mit beruflicher Bremse – Teilzeit und/ oder Minijob – und ohne ausreichende Voraussetzungen für eine

Miriam Hoheisel ist Bundesgeschäftsführerin des Verbands alleinerziehender Mütter und Väter e. V. Mehr Informationen unter: www.vamv.de

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Wenn ein Kind allein mit Mutter oder Vater lebt

„Es sollten nun endlich Fehler der Großen Koalition von 2007 ausgebügelt werden, indem man beim Unterhaltsvorschuss die Anrechnung des Kindergelds zu 100 Prozent wieder zurücknimmt. Das würde Alleinerziehenden effektiver helfen als eine steuerliche Entlastung. Zudem fordern wir schon lange, dass der Unterhaltsvorschuss entfristet wird. Es ist unerklärlich, warum man nur 72 Monate bis zum 12. Lebensjahr des Kindes Unterhaltsvorschuss erhalten kann, wo doch jeder zweite Elternteil keinen Unterhalt zahlt.“

Jörn Wunderlich, familienpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE

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© Katy Spichal/Shotshop.com

SchWERpUNKT: ZUKUNFT FÜR ALLEINERZIEhENDE

Einelternfamilien sind längst Alltag in Deutschland, sie nehmen zahlenmäßig sogar zu. Leben Mütter und Väter ihren Alltag in der Regel selbstbewusst, ist ihre wirtschaftliche Situation dagegen häufig problematisch. Ein Plädoyer für eine faire Familienpolitik.

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ie Alleinerziehenden waren zunächst einmal im Bundeshaushalt 2015 nicht vorgesehen. Erst nach Protesten bequemte sich die Bundesregierung, auch für diese Form der Familie Angebote zu machen. Wie sehen die aus? Beraten wurde über das Gesetz zur Anhebung des Grundfreibetrags, des Kinderfreibetrags, des Kindergelds und des Kinderzuschlags. Das Gesetz sieht vor, rückwirkend zum 1. Januar 2015 das Kindergeld anzuheben. Und zwar monatlich um 4 Euro. Das bedeutet, für das erste und zweite Kind steigt der Betrag auf 188 Euro, für das dritte auf 194 Euro und auf 219 Euro für jedes weitere Kind. Ab nächstes Jahr soll dann eine weitere Erhöhung um 2 Euro in Kraft treten. Dazu kommt die geplante Anhe-

bung des Entlastungsbetrags für alleinerziehende Familien. Der stagniert seit Jahren, soll nun von 1.308 Euro um 600 Euro auf 1.908 Euro jährlich steigen. Bei jedem weiteren Kind würde der Entlastungbetrag um 240 Euro aufgestockt werden. In der Öffentlichkeit wird das Vorhaben vonseiten der Koalition mit den Schlagworten „Herstellung von Steuergerechtigkeit“ und „Bekämpfung von Armut“ dargestellt. Dazu muss man wissen, dass die Armutsrisikoquote in Alleinerziehendenhaushalten seit Jahren 40 Prozent beträgt. Wird die Anhebung des Entlastungsbetrags daran etwas ändern? DIE LINKE stellte das Regierungsvorhaben auf den Prüfstand.

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10 Von einer Einkommensteuerentlastung kann nur profitieren, wer auch ein Einkommen hat, das zu einer Einkommensteuerzahlung führt. Es muss also über dem ohnehin steuerfreien monatlichen Bruttoeinkommen von 1.069 Euro liegen. Bei einem Monatseinkommen von beispielsweise 1.250 Euro würde eine Mutter mit einem Kind monatlich um 8,50 Euro entlastet werden. Das käme einem Kinobesuch fürs Kind alle zwei Monate gleich, ließe noch ein kleine Portion Popcorn zu. Knapp 40 Prozent der Alleinerziehenden sind ohnehin auf Hartz IV angewiesen. Alarmierend ist die Entwicklung bei der Erwerbstätigkeit Alleinerziehender. Seit dem Jahr 2002 gibt es eine massive Abnahme der Vollzeitbeschäftigung, hingegen nimmt die Teilzeit seit 2005 kontinuierlich zu. Wenn Alleinerziehende in Teilzeit beschäftigt sind, kann der Kinderzuschlag in Anspruch genommen und der Hartz-IV-Bezug somit ver-

mieden werden. Dadurch erhöht sich das Einkommen alleinerziehender Familien. Mit der Erhöhung des Wohngelds im Jahr 2009 wurden sie ebenfalls unterstützt. Negativ auf das Einkommen von Alleinerziehenden wirkt sich dagegen die Streichung des Heizkostenzuschlags seit 2010 und die 2007 beschlossene 100-prozentige Anrechnung des Kindergelds auf den Unterhaltsvorschuss aus. Die Folge: Seit fünf Jahren gehen Alleinerziehende bei jeder Kindergelderhöhung leer aus.

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azit: Die angekündigte Anhebung des Entlastungsbeitrags holt Alleinerziehende nicht wie versprochen aus der Armut.

„Steuerliche Maßnahmen reichen bei Weitem nicht aus, um die Situation von Alleinerziehenden nachhaltig zu verbessern. Denn sie kommen bei zu wenig Betroffenen an. Wir brauchen stattdessen vor allem arbeitsmarkt- und sozialpolitische Instrumente. Dazu gehören die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, ein verbesserter Kündigungsschutz, gute Teilzeitarbeitsbedingungen und vor allen Dingen eine flächendeckende, gebührenfreie, bedarfs- und altersgerechte Kindertagesbetreuung.“

DIE LINKE will für Einelternfamilien wie für alle Familienformen Lebensbedingungen erreichen, die ein planbares und gutes Leben ohne Zukunftsängste ermöglichen. Dazu ist politisch jedoch eine 180-GradWende nötig.

Susanna Karawanskij, für DIE LINKE Mitglied im Finanzausschuss des Bundestags

Zahlen und Fakten • Es gibt in Deutschland 1,6 Millionen Alleinerziehende • Einelternfamilien sind neben Lebenspartnerschaften die einzige Familienform, die in den vergangenen Jahren zahlenmäßig zugenommen hat • Seit 1996 nimmt die Vollzeiterwerbstätigkeit von alleinerziehenden Frauen ab (1996: 41 Prozent/ 2013: 34 Prozent) • Die Teilzeiterwerbstätigkeit dagegen stieg massiv an (1996: 21 Prozent/ 2013: 36 Prozent) • Circa 40 Prozent der Alleinerziehenden müssen Transferleistungen wie Hartz IV beanspruchen

• Fast zwei Drittel der Alleinerziehenden leben unter der Armutsgrenze • 35 Prozent der Alleinerziehenden haben ein monatliches Nettoeinkommen von unter 1.300 Euro Mehr Informationen unter KA 17/14518 und 18/4789 Anträge der Fraktion DIE LINKE: • Alleinerziehung von Kindern würdigen – Alleinerziehende gebührend unterstützen • Alleinerziehende entlasten – Unterhaltsvorschuss ausbauen

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Schwerpunkt: ZUKUNFT nur mit Frauen

Anders leben, anders wirtschaften, anders denken Partei und Fraktion DIE LINKE und die RosaLuxemburg-Stiftung luden in diesem Frühjahr zu einer ersten Linken Woche der Zukunft ein. Über eintausend Frauen und Männer, dazu Kinder, in jedem Alter und aus allen Regionen der Bundesrepublik besuchten an den vier Tagen die Diskussionen, Werkstätten, Vorträge, Filmveranstaltungen, Lesungen und andere Kulturangebote. Immer ging es um die Frage: Wie wollen wir arbeiten, wie wollen wir leben in

© Frank Schwarz

Katja Kipping am Eröffnungsabend der Zukunftswoche.

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Zukunft? Expertinnen und Experten aus vielen Wissenschaftsbereichen, aus Gewerkschaften und aus der Politik, aber auch Praktiker aus unzähligen Projekten standen Rede und Antwort. Die Neugier und die Beteiligung der Besucher machte Mut. Doch was bleibt jetzt für die Tage danach? Acht Frauen aus der Fraktion erzählen, was sie von der Woche der linken Zukunft in ihren Alltag mitgenommen haben und umsetzen wollen.

Zukunft geht nur mit Frauen

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enn ich an die Zukunft denke, dann stelle ich mir eine Gesellschaft vor, an der alle Menschen gleichberechtigt teilhaben: an Arbeit, Fürsorge und Selbstsorge, an der gemeinsamen und demokratischen Gestaltung der Gesellschaft. Wenn wir uns in eine solche Zukunft aufmachen wollen, weiß ich nicht, wie der Weg anders als vom Standpunkt der Frauen aus zu beschreiten wäre. Dass es holprig wird, wir vielleicht auch mal falsch abbiegen, wird sich schwer vermeiden lassen. Was wir jedoch gerade in Deutschland und Europa sehen, ist mehr als nur einmal falsch abzubiegen. Wird die neoliberale Austeritätspolitik,

die zu Armut und Prekarität führt, die den Boden für rechte, konservative und antifeministische Ideen bereitet, fortgesetzt, landen wir alle früher oder später in einer Sackgasse. Dass Frauen diejenigen sein werden, die zuerst und besonders betroffen sein werden, können wir bereits jetzt an vielen Beispielen sehen oder erahnen. Deswegen brauchen wir einen Kompass, der uns im Widerstand gegen diese Entwicklung auf dem richtigen Kurs hält. Für mich ist das die Vier-in-einemPerspektive. Nicht mehr und nicht weniger. Katja Kipping ist sozialpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE und Parteivorsitzende

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10 „Die Vergangenheit frisst die Zukunft“… nicht ändern zu können. Europa.Anders.Machen. Unter diesem Motto wurde am 20. Juni in Berlin gegen die deutsche Flüchtlings- und Griechenlandpolitik demonstriert. Der Kampf für ein demokratisches und solidarisches Europa ist nicht verloren. Er fängt gerade erst an! Sahra Wagenknecht ist 1. stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE © Frank Schwarz

… sagte der Ökonom Thomas Piketty mit Blick auf die wachsende Ungleichheit. Um die Ansprüche der Reichen auf das künftige Sozialprodukt zu erfüllen, wird längst Raubbau an Mensch und Natur betrieben. Der Leistungsdruck macht viele Beschäftigte krank. Natürliche Ressourcen werden schneller vernutzt, als sie sich regenerieren können. Verschuldete Staaten werden zu gnadenlosen Sozialkürzungen genötigt. Proteste gegen diese Politik werden kriminalisiert, Wahlergebnisse – wie in Griechenland – einfach ignoriert. Doch die größte Bedrohung für unsere Zukunft ist die Erwartung, sie

Offene Fragen statt einfache Antworten

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© privat

ie wollen wir in Zukunft pflegen und gepflegt werden? Diese Frage ist untrennbar verbunden mit der Frage, wie wollen wir zukünftig leben und arbeiten. Denn Lebens- und Arbeitsverhältnisse stehen in einem direkten Wechselverhältnis zu den Pflege- und Sorgeverhältnissen. Im Englischen steht dafür der mehrdimensionale Begriff Care. Care, die Sorge um uns und andere, in die Gesellschaftsanalyse miteinzubeziehen, war und ist ein feministisches Anliegen. Nicht nur, weil in diesem Bereich mehrheitlich Frauen – entlohnt oder unentgeltlich zu Hause – tätig sind, sondern auch, weil der Blick auf Leben und

Arbeit insgesamt geweitet wird. Die Diskussion dazu ist offen und gerade mal am Anfang Die Linke Woche der Zukunft stellte erfreulicherweise viele richtige Fragen, anstatt einfache Antworten auf eine komplizierte und komplexe Materie zu liefern. Bei den Debatten kamen verschiedene Akteure miteinander ins Gespräch. Gleichzeitig habe ich während der Veranstaltungen ein großes „Wir-Gefühl“ erlebt – eine gute Grundlage für eine solidarische Diskussion und für ein solidarisches Miteinander. Pia Zimmermann ist pflegepolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE

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Schwerpunkt: ZUKUNFT nur mit Frauen

© Frank Schwarz

Nulltarif im Nahverkehr

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ch habe als Schlüsselsatz aus einer Podiumsrunde aufgeschrieben: „Umverteilung reicht nicht – wir brauchen Umbau – sozial-ökologisch-demokratisch.“ Die allermeisten – und vor allem Frauen – wissen, dass unsere Lebensweise die natürlichen Lebens-

grundlagen zerstört. Klimawandel, Artensterben und Raubbau an Bodenschätzen sind die Folgen der kapitalistischen Produktions- und Konsummaschinerie. Wir sind eingespannt als Arbeitskräfte und Konsumentinnen. Die Frage ist: Was muss verändert werden? Politisch, gesetzlich, kulturell, damit „gutes Leben“ hier bei uns nicht zulasten der Menschen im globalen Süden geht und auf Kosten unserer Kinder? Darauf theoretische und praktische Antworten zu finden, sehe ich als die zentrale Herausforderung für DIE LINKE. Es gibt viele individuelle und gemeinschaftliche Vorhaben, dem zerstörerischen Wachstums-

zwang zu entkommen: Tauschringe, Stadtgärten, solidarische Wohnprojekte, Autoverzicht. Das ist gut, reicht aber nicht. Mein konkretes „Umbauprojekt“ ist der Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr. Wir wollen mehr und bessere Bus- und Bahnangebote, die alle jederzeit nutzen können, mit einer solidarischen Umlage und Nahverkehrsabgabe finanzieren. Weniger Autos, mehr Ruhe und Raum für Kinder, Fußgänger und Radlerinnen – damit verbinden wir sattes Rot mit kräftigem Grün. Sabine Leidig ist verkehrspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE

Nehmt die digitale Welt in eure eigenen Hände

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Neue Arbeitszeitmodelle und mehr Teilhabe sind möglich, aber alles muss erkämpft werden, denn alles kann sich auch ins Gegenteil ver-

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Halina Wawzyniak (Mitte) unterwegs in ihrem Wahlkreis. © Rico Prauss

igitale Revolution ist ein Schlagwort, hinter dem sich verbirgt, dass unser aller Leben sich grundlegend ändert. Sie ermöglicht mehr Transparenz und Offenheit, zugleich aber auch mehr Ausbeutung, mehr Überwachung und die Vernichtung von Arbeit. Frauen sind mittendrin im Geschehen, aber sie bestimmen den Diskurs nicht. Die Wikipedia wird zu 90 Prozent von Männern gestaltet, mehr als 60 Prozent der Blogs werden von Frauen geschrieben, in der öffentlichen Wahrnehmung aber werden die männlichen Blogger gefeiert.

kehren. Aus meiner Sicht hat der Zukunftskongress sich diesem großen Thema zu wenig gewidmet. Wer heute über Arbeit redet, muss über digitale Arbeitswelten sprechen, darüber, wie grundlegend sie unser Leben und uns verändern. Wer über Geschlechtergerechtigkeit nach-

denkt, wird sich Gedanken darüber machen müssen, wie sie in einer von Algorithmen bestimmten Welt herzustellen ist. Halina Wawzyniak ist netzpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE

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Caren Lay (l.) zusammen mit Sabine Zimmermann (r.) in der Debatte über öffentliche Daseinsvorsorge.

Solidarisch und ökonomisch

Sabine Zimmermann ist arbeitspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE

Caren Lay leitet den Arbeitskreis Regional- und Strukturpolitik der Fraktion DIE LINKE

© Frank Schwarz

ganze Bereich ist jedoch unterfinanziert. Gleichzeitig ist diese überwiegend weibliche Erwerbsarbeit oft prekär, niedrig entlohnt und mit hoher Arbeitsbelastung verbunden. Mehr und bessere soziale Dienstleistungen würden ein wichtiger Baustein zum Abbau der Benachteiligung und für mehr Gleichstellung von Frauen sein. Ich plädiere dafür, das zu einem zentralen Projekt der Fraktion DIE LINKE zu machen.

Soziale Dienstleistungen – ein Baustein für mehr Gleichstellung

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s gibt zu wenig gute, öffentlich organisierte soziale Dienste in Deutschland. Dabei ist der Bedarf bei Kindererziehung, Bildung und Pflege nach wie vor nicht gedeckt. Diese Schere erschwert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erheblich und überfordert Angehörige. Das sind meistens Frauen. Erziehungs- und Pflegearbeit wird auf den privaten Bereich abgeschoben. Dabei könnten mehr und bessere soziale Dienstleistungen eine höhere Erwerbstätigkeit und Entgeltgleichheit für Frauen befördern. Der

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s gibt eine Vielzahl selbstverwalteter Betriebe und alternativer Projekte, die bedarfsgerecht statt profitorientiert arbeiten, die demokratische, hierarchiefreie Entscheidungsstrukturen im Betrieb haben und die nachhaltig produzieren. In Lateinamerika haben selbstverwaltete Betriebe inzwischen eine große Bedeutung und sind zu einem wichtigen Anker sozialer Bewegungen geworden. Das alles ist nicht automatisch mit einem feministischen Anspruch verbunden. Aber solidarische Ökonomie bietet das Potenzial, die patriarchale Abwertung der sozialen Reproduktion infrage zu stellen und Hierarchien zwischen den Geschlechtern abzubauen: ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu einer feministischen, ökologischen und solidarischen Ökonomie!

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ir stecken mitten in einer neuen Phase rassistischer Mobilisierung und enthemmter rechter Gewalt gegen Flüchtlinge, gegen ihre Unterkünfte und gegen Menschen, die sich in der Flüchtlingshilfe engagieren. DIE LINKE ist die Partei der Flüchtlingshelfer und -helferinnen – mit der Betonung auf Helferinnen. Denn es sind insbesondere Frauen, die sich in den Kommunen, in den Unterkünften, in den Bündnissen

gegen rechts engagieren. Sie sind konfrontiert mit Unverständnis, sogar Anfeindungen in Gemeinderäten, in der Nachbarschaft, in der Öffentlichkeit. Es geht um die Verteidigung einer solidarischen Gesellschaft, aber auch um elementaren Schutz der Schwächsten. Eine Flüchtlingspolitik des Willkommens, die den Schutz der Menschenrechte auch für Flüchtlinge in den Mittelpunkt stellt, ist die soziale Frage im Jahr 2015.

© Frank Schwarz

Eine Flüchtlingspolitik des Willkommens

Martina Renner ist für die Fraktion DIE LINKE Obfrau im NSA-Untersuchungsausschuss

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Queer Der Mann, der auch Viola spielen kann Für Harald Petzold ist Halbzeit. Als Bundestagsneuling kam er vor zwei Jahren in die Fraktion. Seitdem streitet er für die Rechte von LSBTTIQ*Menschen. Was hat er bewegt, was bewegt ihn?

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arald Petzold ist ein sportlicher Typ. Fast 1,90 Meter groß, es fehlt ein einziger Zentimeter. Und er ist ein musikalischer Mann. Musik zählt seit seinem siebten Lebensjahr zum Alltag und zur Ausbildung. Die begann am Konservatorium Cottbus und wurde nach dem Umzug der Eltern in Dresden fortgesetzt. „Eigentlich war die Trompete mein Wunschinstrument“, erzählt Petzold. Aber die „großen Hände, die langen Finger“ seien geradezu ideal für die Bratsche gewesen. Sagten die Lehrer damals. Für den Schüler Petzold war ohnehin nur eines wichtig: „Es sollte ein Instrument sein, das ich immer dabeihaben konnte.“ Das hat geklappt, das professionelle Spielen in einem Orchester auch, doch dazu später mehr. Harald Petzold hat noch eine zweite Leidenschaft: die Politik. Vorgesehen war das nicht. Aber gerade hatte er das Studium als Diplomlehrer für Musik und Deutsch an der Pädagogischen Hochschule in Potsdam absolviert und ein Forschungsstudium für Musikwissenschaften angefangen, änderte sich

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1989 nicht nur das Land, sondern auch sein Lebensweg. Der Mann mit der Bratsche ging in die Politik, und sie lässt ihn seitdem auch nicht mehr los. Erste Station: der Brandenburger Landtag. Dort zog Harald Petzold 1990 als linker Abgeordneter ein. Neun Jahre lang arbeitete er als bildungspolitischer Sprecher. Parallel – weil sein Diplomabschluss unter den neuen Verhältnissen keine Anerkennung gefunden hätte – setzte sich Petzold erneut auf die „Schulbank“, machte noch einmal ein Lehramtsstudium, dieses Mal für politische Bildung. Nach dem Referendariat arbeitete er bis 2005 an der Immanuel Kant Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe in Falkensee. Dort bekam er einen Spitznamen. Man nannte ihn das „Reisebüro Petzold“. Lächelnd, denn sein Unterricht fand häufig „unterwegs“ statt, außerhalb der Schule, beim Orchester der Staatsoper, in den Werkstätten der Komischen Oper oder in den Rathäusern der Umgebung. Der Pädagoge Petzold will nichts anderes als der Politiker Petzold: „Menschen sollen in die Lage versetzt werden, die Dinge selbst in die Hände zu nehmen.

Egal, wie alt oder jung sie sind.“ Bei all seinen Unternehmungen trägt Harald Petzold sichtbar die Regenbogenfarben an seinem Jackett. Anfeindungen hat er nur selten erlebt.

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m Herbst 2013 wird Harald Petzold dann erstmals als Abgeordneter in den Bundestag gewählt. Das Hohe Haus allerdings kannte er längst, als Mitarbeiter. Beispielsweise als Büroleiter seiner jetzigen Fraktionskollegin Kirsten Tackmann oder als Ansprechpartner im Hintergrund seines jetzigen Fachbereichs, bei seiner Vorgängerin Barbara Höll, die seit den 90er Jahren bis zu ihrem Ausscheiden 2013 die queerpolitische Sprecherin der Fraktion der PDS und später für DIE LINKE war. Bislang hat übrigens keine andere Fraktion im Bundestag einen so speziellen Fachpolitiker für die Gleichstellung von LSBTTIQ* benannt. Auch Bündnis 90/Die Grünen nicht. Seine beiden ersten Parlamentsjahre seien „weg wie nichts“, sagt Petzold. Er sei „auch stinksauer, dass alles so lange dauert“. Aber Zorn „ändert noch nichts“. Also versucht er, Brücken zu bauen, Schritt für Schritt.

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10 Und so ist doch etliches möglich geworden. Zum Beispiel durch Öffentlichkeit eine Sensibilisierung für die Lebensprobleme von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans* und inter*Menschen zu erreichen. Darüber hinaus konnte die Rehabilitierung und Entschädigung von Menschen, die nach 1945 für ihr Anderssein nach Paragraf 175 verfolgt und verurteilt wurden, in allen Fraktionen auf die Tagesordnung gesetzt werden. „Allein nicht mehr stigmatisiert und kriminalisiert zu sein“, so Petzold, wäre für die Betroffenen, inzwischen hochbetagt, ein spätes Glück. Dafür streitet er. Ein weiterer Erfolg: die über die Fraktionsgrenzen hinweg gebildete LSBTTIQ-Abgeordnetengruppe. Sie entstand erst in dieser Legislaturperiode und von CSU bis zur LINKEN arbeiten dort Abgeordnete aus allen Fraktionen zusammen.

Adoptionsrecht, ein besseres Asylrecht, Regenbogen-Bildungspläne in allen Bundesländern, Abbau von Trans*Diskriminierung, die Abschaffung frühkindlicher Operationen bei nicht eindeutigem Geschlecht und vieles mehr. Das macht Petzold auf der politischen Bühne, in der Fraktion und im Parlament, und er macht es als leidenschaftlicher Musiker. Denn der Mann mit der Bratsche ist Mitglied bei concentus alius, dem deutschlandweit einzigen Homophilharmonischen Orchester. Gegründet wurde es 1999 in Berlin, vor über zehn Jahren erlebte Harald Petzold das Orchester während der Interkulturellen Woche in Rathenow und fragte an, ob er mitspielen dürfe. Seitdem macht er mit. Einmal die Woche proben die Frauen und Männer,

mehrmals im Jahr gibt es öffentliche Auftritte. Benefizkonzerte für HIV-Erkrankte, den Hospizdienst Tauwerk, für die Organisation der Rechte von LSBTTIQ in Russland und Osteuropa und vieles andere mehr. Dieser „etwas andere Zusammenklang“ sei eine „Oase, ein Ausgleich zum beinharten Politikalltag“. Dort holt sich der immer noch einzige queerpolitische Sprecher im Parlament innere Kraft und dieses Stückchen Schönheit, das nur die Kunst vermitteln kann. Gisela Zimmer * LSBTTIQ – Lesbische, schwule, bisexuelle, transgender, transsexuelle, intersexuelle und queere Menschen

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u tun bleibt trotzdem noch reichlich. Harald Petzold wird in seiner angenehm sachlichen, ruhigen und klugen Art weiterstreiten für die Gleichstellung von LSBTTIQ*Menschen. Die Ehe für alle gehört dazu (siehe auch Seite 27), das volle

© Frank Schwarz

Harald Petzold ist seit 2013 Abgeordneter der Fraktion DIE LINKE und der einzige queerpolitische Sprecher im Parlament.

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QUEER

„Wir sollten aufhören, Menschen in Frauen und Männer einzuteilen“

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UEER LEBEN ist ein geschützter Ort für Menschen, die Fragen zu ihrem Geschlecht und ihrer geschlechtlichen Identität haben, so beschreibt Mari Günther die Trans*- und Inter*beratung. Sie baute das Zentrum auf und arbeitet als Systemische Therapeutin. Das Besondere: Die Betreuerinnen und Betreuer, die Beraterinnen und Berater bringen nicht nur ihr Fachwissen mit, sondern sie sind zum Teil selbst Trans* oder Inter*Personen. Ansprechbar sind sie für Erwachsene, die Zweifel an ihrer geschlechtlichen Identität haben oder bereits offen ihre Trans* oder Inter*Geschlechtlichkeit leben. Aber auch für Familien, für Eltern, für Kinder und für Partnerinnen und Partner von Trans* oder Inter*Personen. „Bei uns finden alle eine Menge Wissen und wertfreies Zuhören“, so Mari Günther. Darüber hinaus leistet QUEER LEBEN Jugendhilfe. Das Zentrum be-

treut Wohngruppen für Trans* und Inter*Jugendliche, aber auch für schwule und lesbische Teenager.

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n allen Bevölkerungsschichten, in allen Milieus, in Stadt und Land gibt es Menschen, die sich als trans*, inter* oder queer bezeichnen. Genaue Zahlen darüber, wie viele es sind, existieren nicht. Etliche Trans* und queer lebende Personen jedoch, die in die Berliner Beratungsstelle kommen, sind von Armut, Beschäftigungslosigkeit und Wohnungslosigkeit betroffen oder bedroht. Hinzu kommt eine offene oder versteckte Diskriminierung: Menschen, die als geschlechtlich uneindeutig wahrgenommen werden, sind am Arbeitsplatz und im persönlichen Umfeld nicht selten Hohn, Spott und Anfeindungen ausgesetzt. So eine permanente Diskriminierung bleibt nicht ohne Folgen, erläutert Mari Günther. „Menschen, die gesellschaftlichen Minderheiten angehören, häufiger Diskriminierungserfahrungen machen, demzu-

folge häufiger an sich selbst zweifeln, stellen ihr Selbstbewusstsein und ihr Identitätskonzept infrage.“ Das kann sie häufiger anfällig für psychische Störungen machen. Davon seien nicht nur Queer, Trans* und Inter*Personen betroffen, sondern auch Menschen mit anderer Hautfarbe oder einer anderen politischen Einstellung.

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ari Günther hat Wünsche an uns, an die Gesellschaft, an die Politik. „Die Frage nach geschlechtlicher Zuordnung und der geschlechtlichen Entscheidung sollte entdramatisiert werden.“ Es gebe bereits Länder, in denen der Wandel vom einen zum anderen Geschlecht undramatisch und unbürokratisch sei. „Man sollte es unterlassen, Menschen in Männer und Frauen einzuteilen, daran dann auch noch eine so große Aufregung zu koppeln.“ Sophie Freikamp

© privat

QUEER LEBEN in Berlin ist seit 2009 ein spezielles Beratungsund Betreuungszentrum für Trans* und Inter*Personen

Angefragt: Zwischen Geschlecht Im Herbst 2014 fragte DIE LINKE bei der Bundesregierung nach, welche Studien zur Diskriminierung von Transsexuellen, Intersexuellen und Transgendern der Bundesregierung bekannt sind oder welche sie selbst in Auftrag gegeben oder unterstützt hat. Dazu gab es ausführliche und erstaunliche Aussagen. Dazu zählt, „…. dass es empirisch gesicherte Hinweise darauf gibt, dass insbesondere in den sozialen Kontexten Ausbildungs- und Arbeitsplatz, Schule, Familie und Freizeit ein hoher Aufklärungs- und Unterstützungsbedarf feststellbar ist. Alle Antworten unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/024/1802482.pdf.

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Mari Günther baute das Zentrum QUEER LEBEN auf und ist als Systemische Therapeutin tätig. Mehr Informationen unter: https://queer-leben.de/

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Es geht auch anders

Stock photo © michaklootwijk

Nicht der Gesetzgeber hat es entschieden, sondern die irische Bevölkerung stimmte für das Recht auf Ehe für alle

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ie Iren schreiben also die gleichgeschlechtliche Ehe in ihre Verfassung. Möglich wurde diese Änderung per Volksabstimmung. Und das in einem Land, das zutiefst katholisch geprägt ist. Die Bevölkerung gab damit ein klares Ja zu Toleranz und Offenheit, für die freie Entscheidung jedes Einzelnen über die ganz private Form des Zusammenlebens. Das ist ein historischer Schritt. Weder Staat noch Kirche haben das Recht, darüber zu entscheiden, wie und mit wem man leben darf oder nicht. Deutschland muss jetzt nachziehen, wenn es den Anschluss an Europa nicht völlig verlieren will.

Der Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Menschen gleichen Geschlechts liegt dem Deutschen Bundestag bereits seit Dezember 2013 vor. Im Juni 2015 stellte die LINKE erneut einen Antrag. Allerdings müsste die Union endlich ihre Blockadehaltung aufgeben. Und die SPD ihr Wahlversprechen einlösen. Denn allein damit wäre eine rechnerische Mehrheit für das Gesetz vorhanden. Am 1. Juli 2015 soll sich der Rechtsausschuss des Bundestags auf Antrag der Fraktion DIE LINKE in einer öffentlichen Anhörung mit dem Gesetzentwurf zur Öffnung der Ehe befassen. Ich sage: Yes we can, und zwei Drittel der Bevölkerung sagen das auch. Die

Regierung wäre gut beraten, das Wollen der Bürger ernst zu nehmen. Dann könnten nicht nur in Irland, sondern auch in Deutschland noch vor der Sommerpause die Hochzeitsglocken für gleichgeschlechtliche Paare läuten.

Harald Petzold ist queerpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE

Ehe für gleichgeschlechtliche Paare Antrag der Fraktion DIE LINKE Der Bundesrat hat am 12. 6. 2015 die Bundesregierung dazu aufgefordert, gleichgeschlechtliche Paare vollständig gleichzubehandeln (Bundesratsdrucksache 273/15). Die Bundesregierung sollte dem Folge leisten, indem sie unverzüglich einen eigenen Gesetzentwurf zur Öffnung der Ehe einbringt. Gleichgeschlechtlichen Paaren ist bis heute die Ehe verwehrt, was eine konkrete

rechtliche und symbolische Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität darstellt. Angesichts des gesellschaftlichen Wandels und der damit verbundenen Änderung des Eheverständnisses gibt es keine haltbaren Gründe, gleichgeschlechtliche und nichtgleichgeschlechtliche Paare unterschiedlich zu behandeln und am Ehehindernis der Gleichgeschlechtlichkeit festzuhalten.

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IN MEMORIAM

© Berlinische Galerie/Richard Knoth

Emilie Winkelmann wurde am 8. Mai 1875 in Aken an der Elbe geboren.

Wohnungen für Frauen und Studentinnen Emilie Winkelmann war Deutschlands erste freie Architektin. Sie setzte Maßstäbe für gemeinschaftliches Wohnen von Frauen.

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milie Winkelmann war Tochter eines Lehrers. Doch statt dem Vater und den Vorstellungen ihrer Zeit zu folgen und Lehrerin zu werden, wählte sie einen völlig anderen Lebensweg. Sie erlernte – für Mädchen Ende des 19. Jahrhunderts mehr als ungewöhnlich – das Zimmermannshand-

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werk und arbeitete im Baubetrieb ihres Großvaters. Im Jahr 1902 gelang ihr die Aufnahme eines Architekturstudiums an der Universität Hannover – ebenfalls ungewöhnlich, weil Frauen zu dieser Zeit keinen offiziellen Zutritt zu Universitäten hatten. Ihr Gesuch hatte sie mit „E. Winkelmann“ unterzeichnet. Im

Jahr1906 wurde ihr dann allerdings die Zulassung zum Staatsexamen verweigert. Daraufhin ging Emilie Winkelmann nach Berlin und eröffnete als erste freie Architektin ein eigenes Büro. Sie arbeitete so erfolgreich, dass sie bis zu 15 Zeichner beschäftigte.

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b 1912 betreute sie einen außergewöhnlichen Bau in Neubabelsberg. Auftraggeberin war die Genossenschaft der Wohnstätten für Frauen. Diese Genossenschaft wollte gesunde und preiswerte Unterkünfte für pensionierte, gebildete, aber nicht sehr bemittelte Frauen errichten. Dabei ging es nicht um gemeinnützige Einrichtungen wie Stiftungen oder Altersheime. Die Zielgruppe waren Frauen, die durch eigene Arbeit wirtschaftlich unabhängig waren, und die sich diese Unabhängigkeit in einem hohen Maße im Alter bewahren wollten. Diese Unabhängigkeit und Eigenständigkeit sollte jedoch im Alter nicht zur Isolation führen, sondern die Möglichkeit bieten, in einer selbst gewählten Gemeinschaft mit anderen Frauen zu leben, die ähnliche Interessen und Lebenserfahrungen hatten.

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ine ausgesprochen moderne Idee weit vor unserer Zeit. In den Jahren 1913 bis 1914 entstand nach den Plänen von Emilie Winkelmann eine Art Modellprojekt, denn die Genossenschaft hatte vor, weitere Häuser zu errichten. Das erste Winkelmann-Haus bestand aus drei Stockwerken mit insgesamt 14 Wohnungen. Die wiederum zählten ein bis drei Räume. Jede hatte einen eigenen Eingangsbereich, eine Küche, Loggia und Toilette, die größeren Wohnungen hatten sogar ein eigenes Bad, die anderen mussten sich Etagenbä-

der teilen. Das Haus verfügte über eine Zentralheizung, Heißwasser und elektrischen Strom. Jede Bewohnerin hatte somit ihren eigenen abgeschlossenen Lebensbereich. Im Erdgeschoss befand sich ein Speisesaal. Er bot den Frauen die Möglichkeit für gemeinsames Essen und Gespräche. Schon lange bevor das Haus fertig war, waren die Wohnungen vergeben. Nach diesem ersten Frauenwohnprojekt gerieten die weiteren Pläne ins Stocken. Der Erste Weltkrieg zerstörte die Wohnträume, danach die Inflation das gesammelte Kapital. Erst 1927 entstand eine zweite Einrichtung.

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leichzeitig arbeitete Emilie Winkelmann an einem neuem Projekt, das unter der Schirmherrschaft von Kaiserin Auguste Viktoria stand. Sie entwickelte das Viktoria Studienhaus, eine Wohn- und Bildungsstätte für Berliner Studentinnen. Unterstützt wurde das Projekt von der Frauenrechtlerin Ottilie von Hansemann, die sich für die Zulassung von Frauen zu allen Studiengängen einsetzte. Von ihr kam auch der entscheidende Kapitalbeitrag für den Gebäudekomplex, bestehend aus Klassenräumen und Wohnheim für die Studentinnen. Auch hier gab es elektrischen Strom und Warmwasser, sogar Fahrstühle. Außerdem befanden sich im Erdgeschoss ein großer Saal, eine Bibliothek und im Hof gab es einen eigenen Garten. Heute steht dieses Haus unter Denkmalschutz und trägt den Namen „Ottilie von Hansemann“. 1928 erhielt Emilie Winkelmann endlich auch eine offizielle Würdigung: Sie wurde in den Bund der Architekten aufgenommen. Da war sie bereits chronisch erkrankt, seit 1916 litt die Architektin an einem Ohrleiden, das später zu Schwer-

© akg-images

Im Jahr 1907 erhielt sie den 1. Preis in einem Architekturwettbewerb für ein Berliner Theatergebäude. In den folgenden Jahren entwarf sie Villen, Land- und Gutshäuser für Leute, die das Geld dafür hatten. Aber es gab auch Aufträge für den Bau von Mietshäusern und Fabriken.

Das Viktoria-Studienhaus um 1940. In diesem Jahr ist es 100 Jahre alt und steht unter Denkmalschutz.

hörigkeit führen sollte. Trotzdem arbeitete sie weiter. Sie modernisierte Guts- und Herrenhäuser, baute neue Gebäude. Beispielsweise das Schloss Nieden der Familie von Winterfeld in der Nähe von Pasewalk im Land Brandenburg.

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n den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs wurde sie von einer Familie ihrer Bauherren auf Gut Hovedissen bei Bielefeld aufgenommen. Nach Ende des Kriegs kümmerte sie sich um den Wiederaufbau des Guts und um die Unterbringung von Flüchtlingen und Vertriebenen. Emilie Winkelmann starb im August 1951 und wurde im Familiengrab in Aken, SachsenAnhalt, beigesetzt. Irina Modrow

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KUNST & KULTUR

Kunst trifft Politik

© Fraktion DIE LINKE

Eine neue Veranstaltungsreihe, offen für alle

Sigrid Hupach

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igrid Hupach ist ausgebildete Architektin, hat den freien Markt in dieser Branche kennengelernt, damit auch das berufliche Auf und Ab. Diese eigene Erfahrung war für sie ein Grund mehr, jetzt als kulturpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE dafür Öffentlichkeit und einen direkten Draht zu Künstlern und Kulturschaffenden herzustellen. Sie „erfand“ den kulturpolitischen Salon „Kunst trifft Politik“. Der erste fand bereits statt, im März in Thüringen zum Thema Kreatives Prekariat, dabei ein freier Musicaldarsteller, die Chefin der Jugendkunsthochschule Nordhausen und Katja Mitteldorf, kulturpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag. Denn beim Miteinanderreden soll es nicht bleiben. Thüringen arbeitet an einem Kulturfördergesetz. Da kann die Offenlegung von Problemen nur gut sein.

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ieser Salon soll regelmäßig stattfinden, immer abwechselnd, mal in Thüringen, mal in Berlin. Dort wird es am 22. September die zweite öffentliche „Kunst trifft Politik“-Debatte geben. Diesmal zum Thema „Kulturwandel? – Gleichstellung im Kulturbetrieb“. Cornelia Möhring, stellvertretende Fraktionsvorsitzende und verantwortlich für feministische Politik, wird mit auf dem Podium streiten. Denn auch im Jahr 2015 gilt: Je lukrativer, spezialisierter und besser bezahlt eine Arbeitsstelle, desto wahrscheinlicher ist es, dass ein Mann sie bekommt. Dieses Ungleichgewicht besteht auch im Kulturbetrieb. Zwar ist die Zahl der Studentinnen in künstlerischen Studiengängen in den letzten Jahren deutlich angestiegen – oft sogar über die der männlichen Kommilitonen hinaus. Doch die wenigen, die es schaffen, ihren Lebensunterhalt mit Kunst zu verdienen, sind noch immer größtenteils männlich. Im

Bereich Film wurden zuletzt weniger als 15 Prozent der TV-Regieaufträge an Frauen vergeben, bei fast ausgeglichener Geschlechterverteilung an den Filmhochschulen. „Pro Quote Regie“, der Zusammenschluss von Regisseurinnen, möchte diese Vergabepraxis unter die Lupe nehmen und fordert eine Quotierung der Aufträge.

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ässt sich das Instrument Quote für öffentliche Gremien und neuerdings auch für Aufsichtsräte von Unternehmen auf den Kunstbetrieb übertragen? Adressiert es die Ursachen des Problems? Welche sind das überhaupt? Wird damit nicht ein Leistungsprinzip unterstützt, das weder Männern noch Frauen dient, sondern im Dienst des ökonomischen Systems steht? Gemeinsam mit zwei politisch engagierten Künstlerinnen aus Film und Malerei wird über Auswege aus dieser gesamtgesellschaftlichen Misere diskutiert und dabei die Frage gestellt, ob und wie staatliche Quotierungen ein Weg in die „richtige Richtung“ sein könnten und was „feministische Kulturpolitik“ eigentlich bedeutet. KUNST TRIFFT POLITIK #2 Wann: 22. September 2015 Wo: Salon der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Franz-Mehring-Platz 1, Berlin Öffentliche Veranstaltung Eintritt frei

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10 Politik.Musik.Literatur.Begegnungen. Am 11. und 12. September 2015 findet in Berlin wieder das Fest der Linken statt. Unter anderem mit einer szenischen Lesung und einer Debatte über einen „Heimatlosen“.

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ugust 1965: Vor dem Landgericht in Frankfurt am Main geht nach 20 Verhandlungsmonaten und 183 Verhandlungstagen der AuschwitzProzess zu Ende. Es ist der größte Prozess in der Geschichte der deutschen Strafjustiz. Durchgesetzt hatte ihn der Hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer gegen die massiven Widerstände von Politik und Justiz in der damaligen Bundesrepublik. Ein halbes Jahrhundert danach wollen DIE LINKE und die RosaLuxemburg-Stiftung an Fritz Bauer

erinnern. Geboren 1903 in Stuttgart, wuchs er in einer jüdischen Familie auf, war mit 27 Jahren der jüngste Amtsrichter der Weimarer Republik, wurde 1933 verhaftet und aus dem Amt gejagt. Der Grund dafür: seine jüdische Herkunft. Er flieht nach Dänemark, nach Schweden. Vier Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs kommt er zurück. Geht zunächst nach Braunschweig, 1956 dann nach Frankfurt am Main. Und dort wird der Remigrant Generalstaatsanwalt, Vorgesetzter von fast 200 Staatsanwälten, Chef des größten Strafverfolgungsapparats der noch jungen Bundesrepublik. Sein großes Thema: „Der Unrechtsstaat der Jahre 1933 bis 1945. Sich seiner zu erinnern, über ihn aufzuklären, seine Wurzeln zu erkennen – und vor allem sein Fortwirken.“

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Hannes Heer, Gregor Gysi, Jan Korte, Burghart Klaußner – der übrigens in dem neuen Film „Die Heimatlosen“ den Generalstaatsanwalt Fritz Bauer verkörpert – und Luc Jochimsen selbst. Prominent besetzt ist dann auch die Diskussionsrunde danach: Hannes Heer, vor allem bekannt durch die Wehrmachtsausstellung, Erardo Rautenberg, Generalstaatsanwalt Land Brandenburg, Jan Korte, linkes Mitglied im Innenausschuss des Bundestags, und Volkmar Schöneburg, Jurist und Landtagsabgeordneter der Fraktion DIE LINKE in Potsdam. Gisela Zimmer

Fritz Bauer. Ohne ihn hätte es den AuschwitzProzess nicht gegeben

© ullstein bild / dpa

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uc Jochimsen, Journalistin und selbst einst Abgeordnete der Linken, recherchierte in Archiven, stellte 50 Jahre nach dem Auschwitz-Prozess aus Plädoyers, Aufsätzen, Vorträgen, Büchern, Interviewantworten von Fritz Bauer eine Collage zusammen. Beim Fest der Linken wird diese szenische Lesung Premiere haben mit vielen prominenten Gästen, die in die Rollen der Beteiligten von damals schlüpfen. Dabei sind Michel Friedman,

Fritz Bauer – und der Unrechtsstaat Szenische Lesung und Diskussion Berlin, Kino Babylon 12. September 2015 Beginn 17.00 Uhr

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Vorgestellt

„Ich war aufgeregt, aber unsicher? Nein“ Birgit Menz ist die Neue in der Fraktion DIE LINKE. Bundespolitik ist neu für sie, das Abgeordnetenmandat auch, sich politisch einzumischen dagegen nicht.

© Stella von Saldern

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irgit Menz kann sich noch ganz genau an den Tag erinnern, an dem sie mit ihrer Unterschrift bestätigte, den Platz in der Fraktion anzunehmen. Es war ein Freitag. Freitag, der 13. März. Dann schmunzelt sie, erzählt vom ungewollten „Fehlstart“ im Berliner Parlament. Unterzeichnet hatte sie ihren Vertrag in Bremen, ihrer jetzigen Heimatstadt. Als frischgebackene Abgeordnete dachte sie, es gebe danach ein offizielles Schreiben, eine Art Einladung vom Parlamentspräsidium. Das gab es aber nicht. Und während sie wartete, verpasste sie ihre erste Sitzungswoche. Kein Kavaliersdelikt, sagt sie, aber erklärbar und auf diese Weise machte sie auch ihre erste handfeste Erfahrung: Im sogenannten Hohen Haus läuft alles viel normaler als vermutet und – man muss sich schon selbst kümmern.

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eboren wurde Birgit Menz im Osten, in Suhl, im Mai 1962. Von Thüringen ging sie nach Leipzig, studierte an der Fachhochschule, lernte Buchhändlerin und Bücher wurden fortan - vor allem die, die sich mit Gegenwart beschäftigen - verlässliche Freunde und Wegbegleiter. Gleichzeitig begann sie sich für Politik, für Gesellschaft, für Zusammenhänge zu interessieren. Zu Beginn der 1980er Jahre trat sie in die SED ein, trat auch nicht aus, als sich mit der gesellschaftlichen Wende nicht nur das Land, sondern auch ihr ganz privates Dasein änderte. Den Umbruch sah sie als Chance, etwas neu zu gestalten und zu verändern. Damals, so sagt sie, sei sie „eigentlich schüchtern“ gewesen, aber plötzlich wurden „Kräfte wach, die sie nicht an sich kannte“. Birgit Menz suchte das offene Gespräch, ging auf Leute zu, klingelte an Haustüren, debattierte auf Straßen und Plätzen. Das macht sie heute immer noch gern. Am Infostand, zuhören und reden, immer im direkten Kontakt mit den Leuten. Jetzt allerdings in Bremen. Dorthin hat es sie 1997 verschlagen, der Liebe wegen. Das Gefühl von Zuhause oder Heimat geben ihr ohnehin weniger Orte als vielmehr Freunde, Kollegen, linke Mitstreiter, sowohl an der Basis als auch im Bremer Landesvorstand der Linken, dem sie angehört.

Expertin für Bildung und Ausbildung in der Fraktion DIE LINKE und im Parlament einen Namen gemacht, war jedoch am Ende der vergangenen Legislaturperiode während einer Plenardebatte zusammengebrochen und ins Koma gefallen. Daraus erwachte sie wieder, doch den aufwendigen Politikjob schafft sie nicht mehr. Das zu entscheiden, dafür ließ die Fraktion DIE LINKE ihr alle Zeit. Für Nachfolgerin Birgit Menz war es vor allem eine Zeit der „eigenen Traurigkeit“. Denn die Hoffnung, „der Gesundheitszustand bessert sich, sie schafft es“, blieb bis zum Schluss. Jetzt ist der Staffelstab übergeben, aber Birgit Menz, die übrigens einen ähnlich üppigen

Haarschopf trägt wie ihre Bremer Vorgängerin, sagt souverän, sie trete nicht in deren Fußstapfen. Das könne und wolle sie auch gar nicht. Ihr Fachgebiet ist der Ausschuss für Umwelt, Natur, Naturschutz, Bau und Reaktorwesen. Da fühlt sie sich kompetent, das sei ein Bereich, in dem sich Mensch und Umwelt, sprich Soziales und behutsamer Umgang mit Ressourcen, sehr gut zusammendenken und entscheiden lassen. Das will sie angehen. Dafür bleiben ihr noch gute zweieinhalb Jahre Zeit. Dann wird schon wieder neu gewählt. Gisela Zimmer

© Frank Schwarz

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etzt also der Sprung in den Bundestag. Der ist schon so etwas wie ein Meilenstein. Zumal sie bislang keinerlei Erfahrung als Abgeordnete hat. Und so sei sie zwar „aufgeregt gewesen, aber unsicher? Nein“. Außerdem wurde sie sehr freundlich und von den „erfahrenen“ Frauen und Männern in der Fraktion begrüßt. Birgit Menz folgt auf Agnes Alpers. Die hatte sich als

Blumen für die Neue: Ein Willkommensgruß von Fraktionschef Gregor Gysi.

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© Frank Schwarz

Girls’Day

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m 23. April waren wieder Mädchen zwischen 14 und 16 Jahren zu Gast in der Fraktion. Beim Speeddating kamen sie vor allem mit den weiblichen Abgeordneten ins Gespräch. Und Johanna Hennecke schrieb uns danach: „Der Girls’Day hat mir sehr gut gefallen. Ich habe viel gelernt und verstehe jetzt viel besser, wie die Bundesregierung funktioniert. Die Abgeordneten kennenzulernen und ihnen Fragen stellen zu dürfen, fand

ich super. Die Führung durch das Gebäude war wirklich spannend, aber vor allem die Plenarsitzung. Insgesamt war es ein sehr schöner Girls’Day mit gutem Programm, entspannter Atmosphäre und netten Leuten. Wenn ihr nächstes

Jahr wieder einen Girls’Day macht, könnt ihr ihn genauso gestalten.“ Viele Grüße Johanna Hennecke PS: Ich kann mir jetzt, nach dem Girls’Day, wirklich vorstellen, Abgeordnete zu werden.

Am 19. September wird vor dem Bundeskanzleramt erneut ein sogenannter Marsch für das Leben beginnen. Abtreibungsgegner*innen aus Deutschland und ganz Europa fordern das Verbot und die Bestrafung von Schwangerschaftsabbrüchen. Mit einem breiten Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung wollen viele Vereine, lokale gemeinnützige Gruppen und Parteien gegen die „Lebensschützer*innen“ mobilisieren und demonstrieren. Auch die Fraktion DIE LINKE unterstützt das Anliegen und wendet sich entschieden gegen ausschließende, rechte Familienideologien, die der Lebenswirklichkeit der Menschen nicht entsprechen. Also hinkommen und sich wehren!

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Fröhliches, nachdenkliches Lesen

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eit über 20 Jahren lädt Gesine Lötzsch immer am 10. Mai zum „Lesen gegen das Vergessen“ ein. Die Veranstaltung erinnert an die schreckliche Nacht der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933. Damals brannten tausendfach Bücher deutscher Dichter und Denker. In diesem Jahr kamen - 82 Jahre danach – wieder Hunderte Menschen auf den Berliner Bebelplatz, um den prominenten Vorlesern zu lauschen. Diesmal waren dabei die Schauspieler Otto Mellies, Peter Bause, Jens-Uwe Bogadtke und Ernst-Georg Schwill. Musiker Tino Eisbrenner, Liedersänger Reinhold Andert, Gregor Gysi, Poetry

© Uwe Steinert

Geht hin und wehrt euch!

Slamerin Jessy James LaFleur, Andreas Nachama, Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, und die deutsch-französische Journalistin Beate Klarsfeld. Es wurde viel gelacht und es gab viel Beifall: für den spöttischen Heine, den frivolen Brecht, den satirischen Gorki, einen nachdenklichen Thomas Mann. Einige Schüler der Big Soul Band der Gustav-Heinemann-Schule aus Berlin-Marienfelde überraschten mit Wortwitz. Das Wort habe „Macht“, steige „wie Phönix aus der Asche“, sei „Gedankenträger“ und „Gedanken sind frei“. Eine wunderschöne Einladung zur Lesung gegen das Vergessen im nächsten Jahr.

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10 Lotta-Lesetipp:

„Als die Soldaten kamen“ Ende des Zweiten Weltkriegs 1945. Die Soldaten, die das Land von der nationalsozialistischen Herrschaft befreiten, brachten für viele Frauen neues Leid. Zahllose Mädchen und Frauen wurden Opfer sexueller Gewalt, überall im Land. Denn entgegen der verbreiteten Vorstellung wurden nicht nur „die Russen“ zu Tätern, sondern auch Amerikaner, Franzosen und Briten. Auf Basis vieler neuer Quellen umreißt Miriam Gebhardt erstmals historisch fundiert das Ausmaß der Gewalt bei Kriegsende und in der Besatzungszeit. Zugleich beschreibt sie eindrücklich, wie die vergewaltigten Frauen in

späteren Jahren immer wieder zu Opfern wurden: von Ärzten, die Abtreibungen willkürlich befürworteten oder ablehnten, von Sozialfürsorgern, die Schwangere in Heime steckten, von Juristen, die Entschädigungen verweigerten. Und nicht zuletzt von einer Gesellschaft, die bis in unsere Tage die massenhaft verübten Verbrechen am liebsten beschweigen und verdrängen würde. Miriam Gebhardt Als die Soldaten kamen Die Vergewaltigung deutscher Frauen am Ende des Zweiten Weltkriegs 352 Seiten, 21,99 €, Verlag: DVA Sachbuch

Zum ersten Mal ans Meer

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nfang des Jahres hatten Gregor Gysi und Petra Pau an die SOS-Kinderdörfer in Deutschland eine Spende in Höhe von 100.000 Euro übergeben. Diese Summe stammte aus der Diätenerhöhung für Abgeordnete. Die Fraktion DIE LINKE lehnte angesichts zunehmender gesellschaftlicher Armut diese Erhöhung ab. Die Koalitionsmehrheit beschloss sie, und die Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE legten das ungewollte Diätenplus daraufhin für soziale Anliegen zurück. Die Kinder in den

SOS-Kinderdörfer sollten das Geld bekommen – und sie sollten selbst entscheiden, was sie damit anfangen möchten. Petra Pau hatte für das SOS-Familienzentrum in ihrem Wahlkreis Berlin-Hellersdorf gespendet. Die Kinder dort wünschten sich eine Reise an die Ostsee. Zum Sommeranfang fuhren sie los. Für die meisten war es die erste Reise ans Meer.

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Petra Pau umringt von Kindern des SOSFamilienzentrums Berlin-Hellersdorf ER100-2

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Mehr Bäume. Weniger CO 2 .

Herausgeberin: Fraktion DIE LINKE. im Bundestag Platz der Republik 1, 11011 Berlin Telefon: 030 / 22 75 11 70 Fax: 030 / 22 75 61 28 fraktion@linksfraktion.de V.i.S.d.P: Sahra Wagenknecht, MdB Dietmar Bartsch, MdB (Anschrift wie Herausgeberin)

Leitung: Cornelia Möhring Redaktion: Gisela Zimmer, Jana Hoffmann, Sophie Freikamp Titelfoto: ©Christian Mang Gestaltung und Satz: Zitrusblau GmbH, Berlin, www.zitrusblau.de Druck: MediaService GmbH, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin Redaktionsschluss: 30. 5. 2015

Erscheinungsweise: 3-mal im Jahr Kontakt: lotta@linksfraktion.de

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