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VON KEMPTEN NACH BERLIN, VON VIVA ZU MTV WIE DER KEMPTENER ELMAR GIGLINGER DAS DEUTSCHE MUSIKFERNSEHEN MIT PRÄGTE

von Selina Baur

In ihrem kürzlich erschienenen Buch „MTViva liebt dich!” erinnern sich Elmar Giglinger und Markus Kavka zurück an die aufregenden Zeiten von VIVA und MTV. Und das mit zahlreichen Gästen wie Moderatorin Heike Makatsch oder der Band Fanta 4. Im Interview erzählt uns Elmar von seinem Aufstieg vom Redakteur zum Programmdirektor bei VIVA sowie MTV und wie sich das Musikfernsehen über die Jahre verändert hat.

Elmar, vier schnelle Fragen zum Einstieg:

Ärzte oder Toten Hosen?

In den 80ern war ich Hosen-Fan, mittlerweile ganz klar: Ärzte.

Blur oder Oasis?

In den 90ern Oasis, das hat sich dann gedreht.

Der letzte Song, den du gehört hast?

„Going, Going, Gone“ von Bob Dylan. Die bis vor Kurzem unveröffentlichte Life-Version von 1978.

Liebstes MTV-unplugged-Album?

International Nirvana. National Die Toten Hosen. Da haben sie mir besser gefallen als Die Ärzte.

Was motivierte dich dazu, in der Musikredaktion von VIVA anzufangen?

Ich habe schon als Teenager Musikvideos geliebt und in den 80ern davon geträumt, irgendwann einmal bei MTV anfangen zu dürfen – oder überhaupt im Musikfernsehen. Als ich noch bei der Deutschen Fernsehnachrichten Agentur gearbeitet habe, überwiegend im politischen Bereich, habe ich relativ schnell festgestellt: ‚Das ist nicht mein Ding.‘ Dann habe ich einen Artikel gesehen: ‚Deutsches Musikfernsehen, VIVA TV kommt‘ und habe am selben Tag noch meine Bewerbung abgeschickt.

Vom Radiosprecher zum Programmdirektor. Wie wird man denn Programmleiter im Musikfernsehen?

Ich befürchte, dass es heute in dieser Form in den Medien nicht mehr möglich ist, so aufzusteigen, wie es damals bei mir der Fall war. Damals war alles neu, es gab also noch keine große Auswahl und dementsprechend keine starke Konkurrenz. Nach einem Jahr war ich bereits Redaktionsleiter, dreieinhalb Jahre später Programmdirektor. Irgendwie schien ich verschiedene Dinge ganz gut gemacht zu haben. Es war einfach eine Zeit, in der sehr viel sehr schnell passieren konnte und dazu kam natürlich das nötige Quäntchen Glück.

Wie habt ihr es geschafft, ständig aktuelle Inhalte für die Zuschauenden zu liefern?

VIVA war neben MTV der einzige Sender, der sich 24/7 um die Jungen, die unter 30-Jährigen, gekümmert hat. Wir haben relativ schnell ein Gefühl dafür entwickelt, was bei der Zielgruppe gut ankommt und was nicht so sehr. Als wir angefangen haben, war die Frage: Was würden wir eigentlich gerne sehen? Das hat sich über die Jahre verändert, nicht zuletzt, weil wir auch älter wurden. Wichtig war, nicht nur das persönliche Lieblingsprogramm zu gestalten, sondern auch andere Interessen zu berücksichtigen.

AUF EINMAL WAR DAS MUSIKVIDEO NUR NOCH EINEN KLICK ENTFERNT.

Im Laufe der Zeit hat MTV gefühlt nur noch Reality-Shows gezeigt, obwohl die Nachfrage nach Musik noch da war. Warum wurde immer weniger musikbezogenes Programm gezeigt?

Interessanterweise waren wir in den 2000er Jahren mit MTV Deutschland der MTV-Kanal, der weltweit mehr Musik gesendet hat als jeder andere. Doch klar, in den Nuller Jahren begann das Internetzeitalter. Bis dahin war die natürliche Heimat der Musikvideos das Musikfernsehen gewesen. Auf einmal war das Musikvideo nur noch einen Klick entfernt. Darauf mussten wir reagieren und zwar mit anderen popkulturellen Inhalten, die sich unbedingt von den großen Sendern unterscheiden mussten. Um ehrlich zu sein, es wurde Ende der Nullerjahre immer trashiger, zuvor gab es viel hochwertig Produziertes. Ich denke an „Dismissed”, die „Osbournes“ oder „Jackass“.

Elmar 1994, kurz nachdem er bei VIVA TV angefangen hatte. Zu der Zeit war er weiterhin regelmäßig in Kempten und hat gerne beim heutigen „0831“-Herausgeber im ProMarkt CDs gekauft und über Neuerscheinungen gefachsimpelt.

MTV und VIVA galten nicht charakteristisch für Political Correctness. Wie wärt ihr heutzutage mit Musikvideos von Bands wie zum Beispiel Rammstein umgegangen?

(Lacht) Gute Frage, schwierige Frage. Also: Vor Kontroversen hatten wir nie Angst, ganz im Gegenteil, wir haben sie sogar gerne gesucht. Auch in Abgrenzung zu den bestehenden Fernsehsendern, die sehr korrekt, brav und Mainstream waren. Gleichzeitig hatten wir immer eine politische Haltung. Beispielsweise 2003 die MTV-Deutschland-Kampagne ‘War is not the Answer’. Nun zur eigentlichen Frage: Geht es im Musikfernsehen um die Lieder oder um den Künstler? Es gibt verschiedene Meinungen dazu und ich kann beide Seiten verstehen. Rammstein halte ich für eine ganz schwierige Diskussion. Ich glaube, dass wir Rammstein zunächst vorsorglich vom Sender genommen hätten, um uns erstmal Gedanken darüber zu machen, inwieweit nicht zweifelsfrei bewiesene Vorwürfe wirklich den Bann eines Künstlers rechtfertigen. Wie wir es entschieden hätten, weiß ich nicht.

2000 mit Michi Beck, Thomas D. und der damaligen MTV-Geschäftsführerin Christiane zu Salm auf der Aftershow-Party zum MTV Unplugged der Fantastischen Vier in der Balver Höhle im Sauerland. Es war die erste deutsche Unplugged-Produktion, die fast nicht stattgefunden hätte, da es in der Höhle kurz vorher einen Wassereinbruch gab. Nun, vielleicht hätte man keine Tropfsteinhöhle wählen sollen ;). Man hat aber daraus gelernt, es war die letzte Unplugged- Produktion in einer Naturlocation. Fortan wurde indoor aufgezeichnet.

Es gab kaum eine Abgrenzung zwischen Berufsund Privatleben. Hier mit Heike Makatsch vor ein paar Jahren auf einer Party in Berlin.

Die Gründung von VIVA fiel in eine politisch sehr polarisierende Zeit. Das Ende des Kalten Kriegs, die Wende. Gab es spürbare Unterschiede bei der Ausstrahlung in Ost- und Westdeutschland?

Überhaupt nicht. Wir hatten am Anfang ohne Absicht sehr wenige Mitarbeitende aus dem Osten. Das hat sich aber schnell geändert. Mit MTV in Berlin sowieso. ‚Kommst du aus dem Westen oder dem Osten?‘, das hat niemanden interessiert. In der Wahrnehmung haben wir auch nichts gespürt. Wenn wir mit Moderatoren in Köln oder Cottbus waren, die Reaktionen waren immer die gleichen.

Welche Lehren hast du aus deiner Karriere im Musikfernsehen gezogen?

Ich habe im Hörfunk und beim Musikfernsehen noch viel mehr gespürt, wie wichtig Freude und Spaß an der Arbeit ist. Wie es ist, wenn sich Arbeit nicht wie Arbeit anfühlt. Allerdings war Programmleitung kein 40-Stunden-Job.

Hat dir das Arbeiten im Musikfernsehen keinen Spaß mehr gemacht oder hat das andere Gründe?

Ich war Senderverantwortlicher und habe 2009 gesehen, wie der Sender unter mir zusammenbricht. Das, was wir über viele Jahre aufgebaut hatten, wurde im Wochentakt eingestampft. Dafür wollte ich nicht verantwortlich sein. Es war eine spontane, emotionale Entscheidung. Die Konzernspitze zu der Zeit war eine neue. Ich bin eines Morgens hingefahren und hatte überhaupt nicht ans Aufhören gedacht. Nachmittags hatte ich ein Meeting mit meinem damaligen Europa-Vorgesetzten und es war so mies, dass ich gesagt habe: ‚Ich gehe jetzt nach Hause und wenn du mir ein Angebot machst, komme ich morgen nicht wieder.‘

Gab es spezielle Gründe, von Berlin nach Kempten zurückzukehren?

Ich habe 16 Jahre lang in Berlin gelebt und liebe es heute noch. Aber wenn du irgendwann im höheren Alter feststellst, dass der Tag am Berg wichtiger ist als die Nacht im Club, bist du besser in Kempten aufgehoben als in Berlin.

Die Rolling Stones haben lange vor MTV und VIVA angefangen und kürzlich ihr 31. Album veröffentlicht. Hast du schon reingehört?

Ja, ich war in meiner Jugend großer Stones-Fan. Ich finde alles, was sie von 1968 bis 1981 veröffentlicht haben, großartig. Nicht ein schlechter Song. Dann habe ich angefangen, sie wirklich zu hassen, weil das, was sie ab den 1990ern veröffentlicht haben, teilweise katastrophal war. Ich habe sie auch live nicht mehr gerne geguckt. Aber das neue Album ist ein gelungenes, das kann man tatsächlich wieder durchhören.

Was steht jetzt für dich an? Dürfen wir uns im neuen Jahr auf spannende Projekte von dir freuen?

Markus und ich werden Anfang nächsten Jahres noch Lesungen geben. Außerdem bin ich als Experte für Rhetorik, Körpersprache und Stimmklang tätig und begleite Menschen und Unternehmen. Ob es Moderations-, Kamera- oder Präsentationstraining ist, es ist vieles liegen geblieben und dem werde ich mich ab Mai wieder widmen.

Wir verlosen 2x1 Ausgabe von „MTViva liebt dich!” Du möchtest mitmachen? Dann sende uns einfach eine E-Mail mit dem Betreff „MTViva” an 0831@liveinverlag.de und schon landest du im Lostopf.

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