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„JEDE VORSTELLUNG IST EIN FEST“
from 0831 (01/02.2024)
DIE KÜNSTLERISCHE LEITUNG DES THEATERS IN KEMPTEN, SILVIA ARMBRUSTER, IM INTERVIEW
Den meisten TiK-Besucher:innen dürfte Silvia Armbruster ein Begriff sein. Bereits seit 2015 hat die gebürtige Württembergerin die künstlerische Leitung am Theater in Kempten inne. Wir wollten von der mehrfach ausgezeichneten Regisseurin wissen, wie sie es geschafft hat, die Besucherzahlen seit ihrem Amtsantritt fast zu verdreifachen, wofür sie eine „Wünsch-dir-was“-Freikarte im TiK nutzen würde und natürlich wie lange sie Kempten in ihrer Funktion noch erhalten bleiben wird.
Frau Armbruster, was bedeutet Theater für Sie?
Das, was es für viele andere vermutlich auch bedeutet. Fragen, mit denen wir Menschen uns ständig auseinandersetzen, sind: Wer bin ich? Was wünsche ich mir von meinem Leben? Was möchte ich auf jeden Fall? Und warum klappt es manchmal nicht? Antworten darauf finden manche in der Religion, wieder andere bei Freunden oder dem Therapeuten. Oder eben in der Kunst. Das Schöne am Theater ist, dass die Bühne nicht endlos ist. Es ist ein klar abgegrenzter Raum, eine Art Lebenslabor, in dem Antworten auf die zentralen Fragen des Lebens gefunden werden können. Das ist offensichtlich etwas, das Menschen brauchen. Nicht, weil sie Kunst brauchen, sondern einen Spiegel, der ihnen zeigt, wer sie sind und wie sie agieren können.
Die Zahlen sprechen für sich: Seit Sie als künstlerische Leitung begonnen haben, haben sich die Besucherzahlen von 17.000 auf 45.000 fast verdreifacht. Ihr Geheimrezept?
Was da passiert ist, ist ein Wunder. Dieses liegt eindeutig im Publikum, nicht bei uns. Selbst wenn man es auf einzelne Komponenten zurückführen will, ist es so nicht planbar. Was für mich schon immer wichtig war, ist eine gute Abendvorstellung – wenn die Gäste da sind und das Stück beginnt, ordnet sich jeder im Team diesem Ereignis unter. Jede Vorstellung ist ein Fest, selbst wenn es traurige Stücke sind. Und weil dieses Ziel so klar ist, kann man alle mitnehmen. Jeder Abend soll der Abend der Abende werden, für die Leute auf der Bühne und für das Publikum. Dafür tun wir alles.
Auf die Pandemie folgte der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Viele Kulturschaffende haben mit den Folgen von Inflation und Co. zu kämpfen. Wie sieht es am Theater in Kempten aus? Müssen die Ticketpreise den Gegebenheiten angepasst werden?
Auch wir spüren den Materialkosten- und Energiekostenanstieg ganz deutlich. Ein Beispiel: Vor dem Krieg lagen die Energiekosten bei 6.000 Euro, jetzt sind es 36.000 Euro. Wir hatten – wie eben angesprochen – das Glück, in der letzten Saison 45.000 Tickets verkaufen zu können – mit diesen Einnahmen können wir einiges auffangen. Trotzdem müssen auch wir umdenken, Bühnenbilder und Kostüme wiederverwerten. Als ich in Kempten angefangen habe, hat die Kinderkarte zehn Euro gekostet. Ich habe damals gesagt: ‚Die Kinderkarte darf nicht teurer sein als eine Kinokarte‘. Seitdem kostet sie 7,50 Euro und dafür werde ich mich auch weiterhin vor dem Kulturausschuss und dem Stadtrat einsetzen. Die Ticketpreise für Erwachsene haben wir für die neue Saison minimal angepasst – mal sind es 50 Cent, mal ein, zwei oder drei Euro mehr. Grundsätzlich ist mir ums Theater nicht bange. In Kempten hat sich ein kleiner Theatervirus ausgebreitet, gegen den keine Impfung hilft (lacht). Was mich allerdings nachdenklich stimmt: Inzwischen sagen uns Kindergärten und Schulen aus dem Umland ab, weil die Busfahrt teurer als der Eintritt ins Theater ist – das können sich viele nicht mehr leisten.
Talent kann man nicht unterrichten
Am TiK werden immer wieder regionale Kulturschaffende eingebunden, wie zum Beispiel die Vivid Curls oder Rainer von Vielen. Soll die Zusammenarbeit mit diesen Künstler:innen ausgebaut werden und ist geplant andere Gesichter mit regionalem Bezug einzubinden?
Jede Zusammenarbeit, die gelingt, ist Ansporn, sie weiterzuführen. Neben den von Ihnen angesprochenen Künstlern hat beispielsweise auch Nadine Viktor von den Wendejacken viel im TiK mitgewirkt, sie ist jetzt auch wieder bei einer Premiere dabei – das möchte ich nicht missen. Mich interessiert aber nicht, ob jemand aus der Region ist, sondern, ob jemand gut ist. Wenn ich eine künstlerische Qualität wahrnehme, ist mir egal, woher die Person kommt. Sogar, ob sie eine Ausbildung hat. Talent kann man nicht unterrichten. Man kann nur unterrichten, wie man mit Talent umgeht.
Was war das schönste Lob, das Sie jemals auf eines Ihrer Stücke erreicht hat?
Das war nach einer Vorstellung von ‚Kassandra‘. Das Stück, das auf der Romanvorlage von Christa Wolf basiert und von Julia Jaschke in der Hauptrolle gespielt wurde, ist überhaupt keine heitere Geschichte. Es gibt nicht einen Satz, der zum Lachen anregt. Nach einer Vorstellung – ich saß an der Bar im Theater – kam eine Zuschauerin strahlend auf mich zu und sagte: ‚Frau Armbruster, ich hab die ganze Zeit so geheult!‘ Das hat sie mit einer Begeisterung und Lebensfreude erzählt, die mich umgehauen hat. Das ist das, was ich anfangs meinte: Theater ist wie eine Therapiesitzung.
Wenn Sie eine Freikarte hätten, mit der Sie sich als künstlerische Leitung des TiK einen konkreten Wunsch erfüllen könnten, welcher wäre das?
Es gibt einen unerfüllten Wunsch, seit ich in Kempten bin: ein Theaterpädagoge. ‚Der Mensch ist nur dort frei, wo er spielt‘, hat Schiller einst gesagt. Unter diesem Aspekt könnte man wesentlich mehr mit Schulen pädagogisch zusammenarbeiten, schließlich sind wir eine Schulstadt. Und die Schulen tragen durch die Folgen der Pandemie und die Migrationsbewegungen, die dort aufgefangen werden, ohnehin eine hohe Last. Mit einem Theaterpädagogen könnten wir unserem Bildungsauftrag viel mehr gerecht werden.
Sie haben im Laufe Ihrer Karriere schon viele Stationen besuchen dürfen, unter anderem Stuttgart, Mannheim, Bremen und München. Was ist die wichtigste Erkenntnis, die Sie von Ihren früheren Stationen in Ihre heutige Arbeit einfließen lassen?
Die beiden Regisseure, die mich in meiner Zeit als Regieassistentin geprägt haben – George Tabori und Johann Kresnik –, hatten eines gemeinsam: Mut. Bei der Auswahl der Stücke stand nie der Gedanke im Vordergrund, wie das Publikum wohl darauf reagieren würde. Dadurch hatten alle Beteiligten die Freiheit, Neues, Spannendes, Aufregendes auszuprobieren.
Wie lange werden Sie auf Ihrer beruflichen Reise noch Station in Kempten machen?
Parallel zu meiner Tätigkeit in Kempten inszeniere ich nach wie vor auch in anderen Städten. Ich halte es für wichtig, andere Institutionen von innen zu erleben und so Kontakte für das TiK zu knüpfen. Wie lange mein Wirken in Kempten noch andauern wird, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantworten. Was ich jedoch feststelle: Je größer ein Theater ist, desto mehr ist man in meiner Funktion mit organisatorischen Aufgaben betraut. Meine Stärke sehe ich aber nach wie vor im künstlerischen Bereich, sei es das Inszenieren oder das Unterrichten.
In unserer diesmaligen Titelstory blicken wir auf das Jahr 2023 zurück und befassen uns gleichzeitig damit, worauf wir uns im nächsten Jahr freuen dürfen. Wie blicken Sie auf das aktuelle und das kommende Jahr?
Mein persönliches Highlight ist und bleibt meine Tochter. Mutter zu sein, ist nach wie vor sehr aufregend und emotional.
Und auf das TiK bezogen?
..ist das Highlight das Allgäuer Publikum. Ein Publikum, das trotz Inflation, Krisen und Kriegen ins Theater strömt – mit wachem Geist und mitfühlendem Herzen. Ein mutiges Publikum, das den Konflikten unserer Zeit ins Auge sehen möchte und nicht daran vorbei. Dieses Allgäuer Publikum hat ein kleines Theaterwunder ermöglicht. Und nun arbeiten wir fieberhaft daran, dass dieses Publikum auch im nächsten Jahr gerne das Theater in Kempten besucht. Geplant sind viele Eigenproduktionen, beispielsweise Peer Gynt ab April nächsten Jahres. Auch an unseren zweisprachigen Produktionen wie ‚Peter und der Wolf‘ oder ‚Robinson & Crusoe‘ wollen wir festhalten. Außerdem steht ein großes Tanzprojekt mit der ‚Tanz der Wut‘-Choreografin Christina Comtesse an. Für diese Produktion gründen wir einen Ü50-Bewegungschor und beginnen, uns mit der Antike zu beschäftigen. Mehr darf ich an dieser Stelle leider noch nicht verraten.
Vielen Dank für den spannenden Einblick und viel Erfolg bei den kommenden Projekten!