STADTGESPRÄCH
Schreibkünstler
G
oethe hat bei seinem Aufenthalt im Schloss Homburg offenbar erbärmlich gefroren. Über den rufend und gestikulierend über
die Dorotheenstraße marschierenden Hölderlin machten sich Homburgs Kinder lustig. Dostojewski sitzt, seinen beim Glücksspiel verlorenen Talern nachsinnend, als Denkmal auf einer Bank im Kurhausgarten. Ein Akt des Skandals um Oscar Wilde spielte auf der Homburger Bühne, und Henry James suchte unter den Bäumen von Park und Wald den Schatten, den er sich in mediterranen Landen so sehnsüchtig gewünscht hatte. Wir haben große Schriftsteller benannt. Dichter, Dramatiker und Romanciers, die Homburg vor der Höhe mit ihren Besuchen beehrten, auch manche Spuren in ihren wortreichen Werken hinterließen. Ihretwegen fühlt sich unsere Stadt der Literatur besonders verbunden, ja hat ihr vor knapp 50 Jahren einen eigenen Preis, den Hölderlin-Preis, gestiftet.
Goethe: mehrere Besuche, ein Gedicht Nun aber zu den „großen“ Schreibkünstlern, wobei wir diesmal, man verzeihe uns, Friedrich Hölderlin zur Seite schieben. Die Nachfeiern zu seinem 250. Geburtstag sind ja immer noch in vollem Gange. Ein Jubiläum können wir aber mit einem weiteren Gestirn der deutschen Dichtkunst vermelden: Johann Wolfgang Goethe – noch ohne „von“ – schrieb sein Homburg-Gedicht „Pilgers Morgenlied“ vor 250 Jahren! Wahrscheinlich auf der Fahrt von Homburg nach Wetzlar, wo er nach einer gewissen Auszeit seine Juristen-Laufbahn wieder aufnahm. Der Blick auf Homburgs Wahrzeichen, den Weißen Turm, inspirierte ihn, und im Herzen hatte er seine Angebetete, die Hofdame Louise von Ziegler, genannt Lila. „Morgennebel, Lila, /
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Hüllen deinen Turm um. / Soll ich ihn zum / Letztenmal nicht sehn!“ Es ist das einzige Mal, dass Goethe Homburg in seinen Dichtungen ein Denkmal setzte. Aber nicht das letzte Mal, dass er den Weißen Turm erblickte. Nur wenige Monate nach „Pilgers Morgenlied“, Ende des Jahres 1772, kehrte er auf der Rückreise von Wetzlar, diesmal mit Schmerzen im Herzen wegen Charlotte Buff, im landgräflichen Hof ein. Im Winter 1780 besuchte er Friedrich V. Ludwig von Hessen-Homburg zusammen mit dem Weimarer Herzog Carl August, und im Oktober 1814, nun schon Staatsminister und der berühmte Herr von Goethe, hatte er seinen Freund Johann Isaac von Gerning dabei.