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april 2006 | 4. jahrgang

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ÂŤbern soll sein orchester mit stolz und freude betrachten!Âť

the secret life of words ein sopran fährt bus noch ein pissoir dee letzte seiner art


SOMETHING LIKE HAPPINESS – STESTI 7 Tschechische Oscars 2006 – Bester Film - SAN SEBASTIAN 2005 Monika, Dascha und Toník leben in einer kleinen tschechischen Industriestadt. Monika träumt von einem Leben in Amerika, wo ihr Freund bereits auf sie wartet. Dascha setzt ihre ganze Hoffnung in eine Affäre mit dem verheirateten Jára und gerät zunehmend aus dem Gleichgewicht. Durch Toníks Dach tropft der Regen ins Wohnzimmer. Aber das Haus seiner Kindheit, das er mit seiner exzentrischen Tante bewohnt, will er nicht aufgeben, auch wenn die Besitzer der angrenzenden Fabrik die alte Bruchbude schon lange kaufen möchten. Als Dascha mit psychischen Problemen eingeliefert wird, springt Monika – zunächst widerwillig – als Ersatzmutter für ihre beiden Jungen ein. Toník hilft ihr, ist er doch schon seit langem heimlich in Monika verliebt. Zusammen bilden sie eine glückliche Patchworkfamilie und mit Elan und Fantasie schaffen sie sich ihr kleines Paradies. Doch sie wissen, es ist nur ein Glück auf Zeit...

Mittwoch, 19. April // 18:30 h Kino Movie 1, Bern GRATIS TICKETS: 031 318 6050 ODER WWW.ENSUITE.CH

die vorpremière

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KULTUR & GESELLSCHAFT «bern soll sein orchester mit stolz und freude betrachten!» 6 dee letzte seiner art 21

LITERATUR jurij brezan, truman capote, frank schirrmacher 22 letzte lustseite 40

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Titelseite und rechts: Von Sinnen: FFA Zone ldt. Tanz Company, am 26. April im Käfigturm Theater, Bern

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BÜHNE Vor allem... ■ Sie halten das grösste, je in Bern gedruckte Kulturmagazin in den Händen. Mit 80 Seiten gleichen wir tatsächlich schon bald einem Kulturbuch. Finanziell wird dies nicht einfach werden – das ist mir klar. Aber man kann mir auch nicht vorwerfen, in den letzten Jahren unplanmässig agiert zu haben: ensuite – kulturmagazin hat sich weit emporgearbeitet, hat viel Bewegung ausgelöst und ist klar die Nummer 1 in Bern - trotz des anhaltenden Zwists zwischen der städtischen Kulturpolitik und unserem Unternehmen. Aber ich denke, es liegt nicht mehr an uns, um die Gunst einer Stadt zu buhlen. Das haben wir jetzt 4 Jahre lang erfolglos gemacht. Es für mich ein klares Zeichen, wenn ich den Pressekollegen in die Blätter schaue und sehe, dass ich nicht der einzige bin, der Kritik übt. Über ensuite – kulturmagazin liest man zum Beispiel im „Bund“ oder der „Berner Zeitung“ nie etwas - auch nichts Negatives. Trotz dieses städtischen Hindernisses haben wir eine Sensation nach der anderen zu bieten. In dieser Ausgabe zum Beispiel bieten wir neben dem grösseren Umfang, einer neuen klassischen Musik-Redaktion, einigen inhaltlichen Straffungen und neuen Rubriken eine weitere mediale Neuheit: Lisa, die Ladyofwar, eine von uns ausgesuchte italienische Bloggerin, startet neu die Serie und Rubrik: Blog to Print. Noch weiss niemand, wohin es führen wird. Das Konzept ist bedenklich einfach: Lisa (www.ladyofwar.net) kann im ensuite – kulturmagazin pro Monat eine Seite frei für ihren Blog füllen. Was im Internet schnelllebig und vergänglich ist, wird so in einer anderen Form manifestiert. Und dass Lisa in Italien sitzt und der gesamte Kontakt nur über das Internet zustande kam, hat Zeitgeist. Sie als LeserIn dürfen natürlich eingreifen und sich beteiligen. Da muss ich allerdings anfügen, dass sie der italienischen oder englischen Sprache einigermassen mächtig sein sollten. Übrigens war Lisa die letzten drei Jahren inkognito und ohne Gesicht… Und genau solche Aktionen machen ensuite – kulturmagazin zu dem, was es ist: ein lebendiges Kulturmagazin. Nicht ich habe es erfunden, sondern die 35 Beteiligten, welche immer noch gratis aktiv mitarbeiten und mitgestalten und all die AbonnentInnen und Partner, welche uns in den Jahren unterstützt haben. Das ist Bern, das ist Kultur und das sind wir. Frohes Frühlingserwachen.

Lukas Vogelsang

jacko: «aua, ich lebe» 11 «diese blöde sehnsucht!» 14 titaniamania 14 verunsicherung 14

artensuite

die farbe hat mich 32 aufsehen erregende kleckse 32 luxus mit brockenstubencharme 33 er gewinnt bei näherer betrachtung 34 viele, viele bunte marken 35 noch ein pissoir 35 kunstbücher 36 galerien in bern 37 augenspiel 39

KINO/FILM the secret life of words 23 inside man 24 v for vendetta 24 breakfast on pluto 25 das andere kino 26

MUSIK ein sopran fährt bus 16 süsse, lärmende popträume 16 cdtipps 17 ECM listening post 17 april im marians jazzroom 18 «das musikbiz ist wie ein laufband im fitnesscenter» 60

LIFESTYLE marta nawrocka... 5 blog to print 20 curry macht glücklich 28 stadtundland 79

DIVERSES kulturnotizen 4 frühenglisch kommt zu spät 18 stadtläufer 19 tratschundlaber 25 menschen & medien / fauser cartoon 29 menschen: burgeners m&m 30

KULTUR-PR «wie ein leuchten der erinnerung» 10 der wilde westen kommt in den fernen osten! 12 berner weltmusikfrühling 13

STADT THUN peter wyssbrods goldener thunfisch 15 kleinkunstkaleidoskop 78

AGENDA kulturagenda bern 41 museen bern / biel / thun 70 kulturagenda biel 72 kulturagenda thun 77


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JEDER FÜR SECHSEINHALB MINUTEN BERÜHMT

Pix Mix Volume 11 26. April 2006, 20.20 Uhr Foyer, Dampfzentrale www.starfrosch.ch/pixmix

SIMPLY PeRFeCT

WeberHinderSchlatterFeuz, Zürich; Foto: Caroline Minjolle

■ Statt einen Text darüber zu schreiben, sollte ich es besser selber ausprobieren. Hozzy sucht noch Teilnehmer für das Pix Mix, das er seit mehr als einem Jahr zusammen mit seiner Freundin Jacqueline monatlich programmiert. Aufgeschnappt haben sie die Idee, als sie in ihrem anderen Leben als Architekten Tokio besuchten. Dort nennt sich das «Pechakucha» und dient der freien Projektpräsentation vor Fachpublika. Sie haben das Konzept importiert und weiteren Inhalten gegenüber geöffnet. Zwanzig Bilder von mir an die Wand projizieren lassen und während je zwanzig Sekunden live kommentieren? Ich ziehe das kühle blaue Leuchten des Computermonitors dem aufdringlich roten von Bühnenspots vor und verstecke mich lieber hinter Texten. Ausserdem: was könnte ich denn präsentieren? Vielleicht unsere Umgebung via Bildreinigung von Starbucks und Baseballcap-Trägern befreien? Tragtaschen im Längsschnitt sezieren oder im Gegenlicht fotografierte Küchengeräte erläutern? Leider sammle ich weder Wasserläufer im Verpuppungsstadium (keine Ahnung, ob die dies überhaupt tun) noch Ansichten von überbelegten Mehrfachsteckdosen. Auf Reisen muss man mich dazu nötigen, die Welt durch‘s Okular zu betrachten und meine Seiltanzkünste reichen knapp nicht aus, um von verwackelten Schnappschüssen abzulenken. Aber ich könnte ja diese Plattform brauchen, um meine Dienste zu bewerben... oder Filmplakate tiefenpsychologisch analysieren (das gäbe einiges her) oder – wie andere auch schon – mit dem Publikum Rate spielen. Der Anlass ist Kult (eine durchaus nicht geschützte Kategorie) geworden, das Publikum nimmt stets zu - nicht bloss, weil die Beizencrew sogar innert «20 mal 20» ein tolles Menu kocht - aber Jacqueline und Hozzy müssen immer noch ihren ganzen Idealismus aufbringen, um neue Referentinnen zu gewinnen. In Bern grassiert eine Lampenfieber-Pandemie. Immun dagegen scheinen einzig Musiker und eine Handvoll Selbstdarsteller mit reichlich Bühnenerfahrung zu sein. Aber eben; der Anlass lebt von der Vielfalt, Jacqueline vergleicht ihn mit einem gesellschaftlichen Kaleidoskop. Sprayerbilder können schon mal auf eine Präsentation der Stadtpolizei treffen. Wer sich schon getraut hat, meint, die sechs Minuten vierzig wären fast schon krass kurz und den Bildern käme sowieso mehr Aufmerksam zuteil, als den Vortragenden. Ausser diese würden gerade einen Bauchtanz vorführen, eine Oper singen oder Boxen, was alles auch schon vorgekommen ist. Also wenn Ihr’s auch tut, überlege ich mir etwas, versprochen! (jlf)

INTERNATIONALES TANZFESTIVAL SCHWEIZ 27. APRIL–18. MAI 2006 WWW.STEPS.CH T: 0848 870 875 BERN KULTURHALLEN DAMPFZENTRALE 09.05. 19h30 JIN XING DANCE THEATRE SHANGHAI TANZCOMPAGNIE RUBATO BERLIN 10.05. 19h30 JIN XING DANCE THEATRE SHANGHAI TANZCOMPAGNIE RUBATO BERLIN 11.05. 19h30 FILM PHILIPPE SAIRE LAUSANNE 12.05. 19h30 GALA#10 14.05. 19h30 LOUISE LECAVALIER MONTRÉAL STADTTHEATER BERN 04.05. 19h30 BATHSEVA DANCE COMPANY TEL AVIV

BIEL AULA BERUFSBILDUNGSZENTRUM BBZ 04.05. 20h30 INTRODANS ARNHEM 05.05. 20h30 PILOBOLUS DANCE THEATRE CONNECTICUT 12.05. 20h30 RAIMUND HOGHE DÜSSELDORF 13.05. 20h30 FILM PHILIPPE SAIRE LAUSANNE THUN SCHADAUSAAL 29.04. 20h00 PILOBOLUS DANCE THEATRE CONNECTICUT Ehrenpatronat BUNDESRAT PASCAL COUCHEPIN Partner

Konzept und Realisation


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ADRIANO‘S & CESARY: ZIGIS AUSDRÜCKEN UND TIEF DURCHATMEN ■ Kein Aprilscherz: Ab dem 1.4.2006 sind Adriano‘s und Cesary komplett rauchfrei. Nachgefragt, ob sich dieses Gerücht nicht bald in Rauch auflöst, schrieb uns Adrian Iten vom Adriano‘s: alles wahr. Wir vom ensuite, so schlug er vor, könnten ja nun: «in den oft gehörten Chor jener einstimmen, die den Kulturverlust beweinen und sich über das imperiale Gesundheitsdiktat der Amis echauffieren.» Viel spannender fände er aber die Frage, was nun künftig die Luft in der Trendbar anstelle des lästigen Rauchs schwängern würde. Tipp von Adrian: «Übelste Attacken olfaktorischer Terroristen: Guerlin vs. Chanel (was man ja noch riechen könnte), ganz schlimm Janine D. vs. Migrosrasierwasser.» Wir vom ensuite vermuten weiter: Frischer Frühsommerschweiss, frei fliegende Pheromone und Thunfisch-Panini-Rülpser. Auch ins rauchfreie Adriano‘s sollte man seine Nase auf jeden Fall mal reinstecken. Gleiches gilt natürlich für‘s Cesary. (nm)

MARTA NAWROCKA...

AUF STREIFE

STIPENDIEN IN BARCELONA, NEW YORK UND PARIS ■ Berner Künstler haben die Möglichkeit, von drei verschiedenen Bernischen Kulturkommissionen Auslandstipendien für das nächste Jahr zu erhalten. Die kantonale Musikkommission vergibt zwei Musikern vom 5.8.2007 bis zum 31.1.2008 je ein New York-Stipendium. Die kantonale Kommisssion für Foto und Film vergibt bernischen Filmschaffenden und FotografInnen ein Stipendium in Paris vom 1. Juni bis zum 30. November 2007. Ebenso hat die kantonale Kommisssion für Kunst und Architektur sowie Foto und Film ein Stipendium an einen ausgewiesenen Kunstschaffenden zu vergeben, und zwar von Januar bis Juni 2007 in Barcelona. Bei allen genannten Stipendien können die Stipendiaten in der jeweiligen Stadt unentgeltlich in eigens dafür vorgesehenen Appertements wohnen und arbeiten. Die Bewerbungsbedingungen und Anmeldeformulare für diese Stipendien können entweder auf der Webseite des Amtes für Kultur eingesehen und heruntergeladen werden: www.erz.be.ch/kultur oder per Mail an gkk@erz.be.ch oder per Fax: 031 633 83 55 angefordert werden. Die Bewerbungsunterlagen für die New York-Stipendien müssen bis zum 5. Juni 2006, für das Paris-Stipendium bis zum 22. Mai 2006 und für das Barcelona-Stipendium bis zum 17. April 2006 an die Geschäftsstelle der kulturellen Kommission im Amt für Kultur eingereicht werden. (mm)

DREI VARIATIONEN ÜBER DIE LIEBE ■ Eine Frau, ein Mann, beide nackt auf dem Bett, gelöst und zufrieden. Er fährt mit dem Finger über ihren Körper und zählt ihre Schönheitsflecken. Mit dieser Situation voller Intimität lässt der französische Comic-Autor Jean-Philippe Peyraud jede seiner drei Variationen über die Liebe beginnen. Mit viel Feingefühl erforscht er die Klippen und Gipfel der Liebesbeziehung, spürt Gräben auf, alte Konflikte, findet die grossen Gefühle und malt auch die feinen emotionalen Nuancen dazwischen. Peyrauds Protagonisten sind Ex-Geliebte, die sich seit Jahren getrennt - durch Zufall wieder begegnen und einen Abend zusammen verbringen. Alte Leidenschaften brechen hervor, neue Fragen tauchen auf. Jede der drei Variationen beleuchtet andere Hintergründe, andere Charakterzüge und andere Motivationen. Peyrauds Geschichten lesen sich sehr leicht und doch erzählen sie von allem, was das menschliche Liebesleben so kompliziert macht - nicht gefühlsdusselig, aber sehr berührend. (nl) Jean-Philippe Peyraud: Schönheitsflecken Carlsen Comics, 2006

■ SIE haben den Indiekindern die Streifen geklaut. Die Fussgängerzone sieht plötzlich aus wie ein alternativer Konzertschuppen – man könnte meinen, es liefen tonnenweise Emozöglinge durch die Gassen: überall gestreifte Oberteile, Hemden, Pullis und Schals. SIE haben die Indiekinder wohl schon länger beobachtet und heimlich IHRE Notizen gemacht, um im richtigen Moment zuzuschlagen. In dem Augenblick, da die Rockmusik wieder massenfähig wurde, wischten SIE den sensiblen Converse-Trägern deftig eins aus. Denn als diese gerade ahnungslos auf ihrem iPod von The Arcade Fire auf Bonnie Prince Billie umschalten wollten, wurde der sogenannte Beatnik-Look in die Läden gestellt - frei nach Zebra. Und als die Indiekinder endlich die letzte Note von Will Oldham hörten und aufblickten, kamen sie überhaupt nicht mehr zurecht. Das Erkennungszeichen von Ihresgleichen flitzte durch die Strassen, mal mit der aufgepimpten Goldverzierung auf der glattrasierten Brust eines House-Fuzzis, mal um die zierlichen Schultern der Burberry-Jusstudentin drapiert – hundertfach. Streifen bedeuteten plötzlich nicht mehr, dass der Träger sich liebend gerne in Diskussionen über Majorlabels und der Geschichte von At The Drive-In verwickeln liess. Die schwarz-weiss Bebalkten tranken auch nicht abends Rotwein auf Conor Obersts Dauerdepression und liessen Luftsprünge bei der Ankündigung eines neuen Vines-Albums aus. So fühlen sich die Indiekids mal wieder von der Welt betrogen und missverstanden. Was ja eigentlich der Dauerzustand ist, wäre diese modische Entwendung ein Einzelfall. Ist sie aber nicht. Der Irène haben SIE dieses Jahr ihr Knallgrün geklaut. Und vor zwei Jahren musste Anics Türkis dran glauben. Und ich weiss ganz genau, dass sie meine goldenen Schuhe bereits in IHREM Notizbuch vermerkt haben – ich rechne so gegen Sommer mit meinem Individualitätsverlust. Natürlich haben weder wir noch die Indiekids wirklich Anspruch auf unsere vermeintlich einzigartigen Kleider-Gimmicks, doch weh tut es trotzdem. Deshalb appelliere ich hier im Namen von allen, die sich mit ein bisschen Mut und Fantasie anziehen und deshalb zu den potentiellen Opfern zählen: Wenn irgendjemand SIE wieder auf Streife sieht, bitte kräftig auf die Füsse treten und den Notizblock mitgehen lassen. Als Belohnung verschicke ich gestreifte Hemden frei Haus, die gibt’s ja jetzt im H&M für 14.90 Franken...


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G E S E L L S C H A F T Bild: zVg.

«bern soll sein orchester mit stolz und freude betrachten!» Andrey Boreyko über die Arbeit mit dem Berner Symphonie-Orchester (BSO) und sein Leben mit der Musik.

Sonja Koller: Herr Boreyko, Sie dirigieren heute Abend bereits Ihr letztes Abonnementskonzert der laufenden Spielzeit. Wie haben Sie die erste Saison als Chefdirigent in Bern erlebt? Andrey Boreyko: Ich habe diese Stelle in Bern angenommen, weil ich von Anfang an von der Möglichkeit einer sehr guten Zusammenarbeit zwischen dem Orchester und mir überzeugt war. Hier besteht die Chance zu einer schöpferischen Entwicklung. Nach den sechs Konzerten, die ich bisher geleitet habe, ist mein Eindruck insgesamt sehr positiv. Wir arbeiten gerne zusammen und bewegen uns in die richtige Richtung. Man hatte mir gesagt, das Publikum in Bern sei relativ zurückhaltend. Das sehe ich gar nicht so, im Gegenteil. Ich bin sehr positiv überrascht, wie warm, wie nett und wie frenetisch manchmal dieser Applaus ist. Dazu kommt, dass ich spüre, wie unser Spiel beim Publikum auf eine emotionale Resonanz stösst. Die Leute reagieren nicht nur auf die Qualität unserer Arbeit, sondern sie verstehen auch, was wir mit unserer Musik erzählen oder mitteilen möchten. Das ist natürlich toll, darüber freue ich mich sehr. So wie gestern Abend? Das Casino war auch praktisch ausverkauft. Ja, das ist überaus positiv. Ich habe gehört, dass in der letzten Spielzeit nicht alle Konzerte sehr gut besucht waren, und werde versuchen, dies Schritt für Schritt zu ändern. Ich möchte in Zukunft immer häufiger sagen können: «Sie möchten eine Karte für das Konzert heute Abend? Ich freue mich über Ihr Interesse, aber es tut mir leid, wir haben schon alle Karten verkauft!» Gibt es bereits Höhepunkte, an die Sie sich besonders gerne erinnern? Schwer zu sagen, denn jedes Konzert hat eine bestimmte Aufgabe und ein bestimmtes Ziel. Ich wollte in dieser Spielzeit Werke in verschiedenen Stilen spielen, um das Orchester kennen zu lernen. Deshalb habe ich Programme ausgewählt, die stilistisch sehr verschieden sind. Ich glaube, die Spielzeit war so gebaut, dass man keines der Konzerte als Höhepunkt herausheben kann. Ausserdem verstehe ich alle Programme als meine Kinder, beziehungsweise zusammen mit dem Orchester als «unsere gemeinsamen Kinder». Keines der Kinder soll vor den anderen bevorzugt werden. Nun, da Sie das BSO etwas besser kennen: Wie würden Sie seine Eigenheiten beschreiben? Welches

sind seine Stärken, wo liegen Schwächen? Ich würde nicht den Begriff «Schwäche» verwenden. Ich nenne es lieber «noch weniger bearbeitete Felder». Eine Schwäche ist etwas, das man kaum oder gar nicht ändern kann. Dies gibt es bei uns nicht. Hingegen sehe ich Bereiche, in denen wir noch mehr arbeiten müssen: Ich würde sagen, das Orchester braucht mehr Gefühl für Plastizität und Flexibilität. Das Spiel darf noch runder, improvisatorischer werden. In einem Teil des Repertoires braucht man durchaus sehr präzises, strikt rhythmisches Spiel. Aber immer, auch in einem solchen Repertoire, sollte das Orchester mehr atmen. Und um mehr zu atmen, muss man besser aufeinander hören und ständig in Kontakt mit dem Dirigenten bleiben. Wenn sich jemand ganz auf seine Noten konzentriert und ich etwas anders machen möchte als in der Probe – denn Musik kann man nicht zwei Mal genau gleich wiederholen, das ist absolut ausgeschlossen – dann kann er oder sie nicht auf meine Zeichen reagieren. Die Musiker müssen den Dirigenten im Augenwinkel behalten und ständig auf seine Gesten reagieren. Man weiss nie, was kommen wird. Und wenn von neunzig Musikern auch nur drei nicht mitmachen, dann klingt es bereits nicht mehr ideal, es gibt ein Gefühl von nicht ganz sauberen Übergängen. Auf der anderen Seite ist unser Orchester sehr stark darin, präzise und rhythmisch zu spielen. Das ist interessant, es handelt sich eigentlich um zwei Seiten derselben Medaille: Auf der einen Seite steht die Aufmerksamkeit gegenüber dem Notentext. Hier ist alles genau sichtbar und lesbar. Die andere Seite betrifft die Aufmerksamkeit gegenüber dem Dirigenten, gegenüber der schöpferischen Arbeit und dem Unerwarteten. Diese Seite muss noch deutlicher graviert werden. Wie gut haben Sie die Stadt Bern unterdessen kennen gelernt? Noch viel zu wenig. Da ich meistens morgens und abends Probe habe, bieten sich sehr wenige Möglichkeiten, irgendwo hinzufahren. Ausserdem gibt es zwischen den Proben immer etwas zu tun. Doch in der nächsten Spielzeit werde ich ein oder zwei Mal in zwei aufeinander folgenden Wochen Konzerte leiten. An den dazwischen liegenden Wochenenden würde ich mir gerne die Gegend rund um Bern ansehen. Immerhin, durch die Altstadt bin ich schon oft hindurchspaziert und ich habe das Klee-Zentrum besucht.

Aber es gibt noch vieles zu entdecken. Sie haben vorhin die kommende Spielzeit angesprochen. Können Sie bereits Genaueres darüber verraten? Nein, das darf ich nicht. Aber es steht schon alles unter Dach und Fach. Ich hoffe, dass die nächste Konzertsaison mindestens so spannend wird wie die aktuelle. Wir haben auch ein paar sehr interessante Solisten und Dirigenten gewinnen können. Wann wird das neue Programm bekannt gegeben? Am 21. April veranstalten wir eine Pressekonferenz. Und Sie dirigieren mehr Konzerte als in der aktuellen Spielzeit? Ja, ich werde insgesamt zehn Konzerte leiten. Auch in den folgenden Jahren werden es jeweils zehn Konzerte sein. In der laufenden Saison sind es nur sieben, weil ich noch anderweitige Verpflichtungen habe, die bereits abgemacht waren, als ich die Stelle in Bern annahm. Wie sollte das BSO Ihrer Ansicht nach von der Berner Bevölkerung wahrgenommen werden? Welche Rolle soll das Orchester in der Stadt spielen? Das ist eine gute Frage, denn ich habe den Eindruck, dass es hier – obwohl bereits viel gemacht wurde und gemacht wird – noch relativ viel zu tun gibt. Wenn wir heute zehn beliebige Leute, die hier auf der Strasse vorbei kommen, fragen würden, ob es in Bern ein Orchester gibt, wo es spielt, und wie der Chefdirigent heisst, dann bin ich nicht sicher, ob die Hälfte der Befragten alle Antworten wüsste. Ich würde mir sehr wünschen, dass in zwei bis drei Jahren mindestens acht von zehn Passanten diese drei Frage richtig beantworten könnten. Denn die Musiker des Berner Symphonie-Orchesters verdienen es, in der Stadt Bern bekannter und beliebter zu sein. Ich wünsche mir, dass das BSO zu einem Teil von Berns Visitenkarte wird. Zu einem von Berns Markenzeichen – so wie die Bären, das Münster oder der Zibelemärit. Um dies zu realisieren brauchen wir natürlich auch die Hilfe der Bevölkerung, unsere geehrten Politiker eingeschlossen. Es freut mich sehr, dass ich immer mehr wichtige und einflussreiche Damen und Herren der Politbühne an unseren Konzerten sehe und treffe. Das ist ein gutes Zeichen. Aber vom Guten gibt es nie zu viel! Bern ist die Hauptstadt der Schweiz und das BSO das Sinfonieorchester der Hauptstadt. Dies ist eine Verantwortung, und wir sind bereit, zu beweisen, dass wir die Schweiz in der Welt präsentieren können. Natürlich gibt


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es in diesem Land bereits ein wunderbares Orchester mit Weltreputation, aber das bedeutet nicht, dass das BSO deshalb im Schatten stehen bleiben muss. Wir werden alles tun, um unsere Qualität immer weiter zu verbessern. Und es muss sich herumsprechen, dass sich das Orchester auf dem Weg nach oben befindet. Wir haben ein wunderbares Stammpublikum, das unsere Qualität genau kennt, doch es gibt noch eine grosse potenzielle Gruppe von Freunden. Ich möchte unbedingt noch mehr Menschen an unsere Konzerte holen und ihnen zeigen, dass nicht nur Berner Gäste wie das London Symphony Orchestra oder die Wiener Philharmoniker gut spielen können. Das BSO ist ein sehr guter Klangkörper. Ich sehe grosse Perspektiven und habe viel Hoffnung für dieses Orchester. Wie sehen Sie denn ganz allgemein die Funktion der klassischen Musik in unserer Gesellschaft? Klassische Musik ist ein untrennbarer Teil der Kultur. Und ohne Kultur gibt es keine Zukunft: Ohne kulturelle Errungenschaften wie Bibliotheken, Theater, Oper und Museen wird sich jede Gesellschaft langsam, aber unvermeidlich zurückbilden. Die schrecklichen Resultate davon werden jede Zivilisation umbringen, einfach töten. Wer das versteht, pflegt die Kultur, die kulturellen Wurzeln und die Tradition, denn er hat eine wichtige Vision für seine Kinder und Enkel. Wer heute denkt, dass

Sport, grosse Unterhaltungsshows, Politik und ökonomische Entwicklungen wichtiger seien als kulturelle Aktivitäten, irrt sich. Die klassische Musik begleitet uns seit vielen hundert Jahren, und ich kann mir eine Zukunft ohne sie nicht vorstellen. Und nicht nur für mich selbst – das ist weniger wichtig, wir alle sind nur Gäste hier – es geht um unsere Kinder, Enkel, Urenkel. Die Zukunft liegt in unseren Händen und nur wir, die heute leben, sind vollkommen verantwortlich für sie! Ich bin völlig einverstanden. Aber können Sie noch genauer erklären, was klassische Musik Ihrer Ansicht nach so wertvoll und wichtig macht? Wir entwickeln uns als Zivilisation nur, wenn wir miteinander kommunizieren. Und Musik ist eine Form von Kommunikation. Musik war immer ein Teil des öffentlichen Lebens, des Lebens ausserhalb des Familienkreises. Bis vor wenigen Jahrzehnten spielte das Musizieren auch innerhalb der Familie eine wichtige Rolle. Im Gegensatz zu früheren Jahrhunderten haben wir heute unendlich viele Varianten, wie wir die Freizeit verbringen können. Das Fernsehen zum Beispiel hat sehr viele Leute aus dem klassischen Musik- und Opernbereich weggenommen. Wir können gemütlich zuhause bleiben, Bier trinken und auf dem Bildschirm etwas betrachten, ohne uns anzustrengen, uns vorbereiten und schön anziehen zu müssen. Dies ist meiner Ansicht nach eine ge-

fährliche Tendenz. Die Menschen schliessen sich durch die Massenmedien mehr und mehr in einen engen Kreis ein. Das Fernsehen saugt uns Aufmerksamkeit ab, gibt jedoch nichts als Bild und Klang zurück. Die Beziehung ist einseitig. Wenn hingegen zwei Leute miteinander reden, sich in die Augen schauen, dann ist da ein Austausch von Auren, von Ideen und Energien. Auch im Konzert gibt es einen solchen lebendigen Austausch. Zudem geht es im klassischen Konzert auch um Meditation, manchmal bewusst, manchmal unbewusst. Heute sind wir uns immer mehr gewohnt, das Leben durch die Augen zu empfinden. Wer sich mit klassischer Musik beschäftigt, konzentriert sich hingegen auf sein Gehör. Wer aktiv hört, hört nicht nur nach aussen, sondern auch gegen innen. Er begibt sich auf die Suche nach dem Verhältnis zwischen dem Klang der Welt und der «eigenen», «inneren» Musik. Auch darin liegt für mich der hohe Wert der klassischen Musik. Und schliesslich findet das Meditieren in einem Konzert in der Gemeinschaft statt. Je mehr Leute zusammen sind, desto stärker wirkt die Kraft ihrer Meditation. Wie sind Sie persönlich zur Musik gekommen? Wie ist die Musik in Ihr Leben getreten? Meine Mutter war eine klassische Ballerina, sie hat auch im ersten Teil ihrer Schwangerschaft mit mir noch getanzt. Als sie in den letzten Monaten dann nicht mehr


An bester Lage, in der Ryffabrik, neben dem Marzilibad und gleich vor der Dampfzentrale, ein Bachsteingebäude aus der Jahrhundertwende, in einer Bürogemeinschaft mit allgemeiner Infrastruktur, ist per sofort,

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L I T E R A T U R

selber tanzen konnte, ging sie trotzdem noch täglich ins Theater. Ich habe also sehr viel der klassischen Ballettmusik bereits vor meiner Geburt gehört. Meine ersten Lebensjahre haben wir dann in Polen verbracht. Dort war meine Mutter Tänzerin im Opernhaus, mein Vater Professor an der Universität. Meine Mutter hat mich immer zu den Proben und Aufführungen mitgenommen. Sie hat mir erzählt, ich sei dabei sehr ruhig gewesen, hätte in der Wiege gewartet und Musik gehört. Nur einmal sei ich auf der Suche nach Mama direkt auf die Bühne gekrabbelt. Das war während einer Aufführung von «Schwanensee»! Für das Publikum soll es ein grosser Schock gewesen sein. An meine eigene Reaktion erinnere ich mich leider nicht… Als wir zurück nach St. Petersburg zogen, ergab es sich, dass mich ein Professor in der Grundschule singen hörte, und daraufhin empfahl, mich in die Chorschule zu schicken. Es war eine der beiden berühmtesten Chorschulen der damaligen Sowjetunion. Sie nahm nur Knaben auf und man musste eine Aufnahmeprüfung bestehen. Morgens hatten wir normalen Schulunterricht, nachmittags standen drei bis vier Stunden Musik auf dem Programm. Täglich hatten wir Gehörbildung, Musikgeschichte und so weiter, alles während zehn Jahren. Ich habe in dieser Schule eine fantastische, einfach fantastische Musikausbildung erhalten. Damals habe ich das natürlich nicht verstanden, aber heute kann ich sagen, das war eine der besten Musikausbildungen, die man überhaupt bekommen konnte. Übrigens hat in dieser Schule auch mein Vorgänger beim BSO studiert, Dimitri Kitajenko, sowie viele weitere bekannte russische Dirigenten. Wann haben Sie entschieden, die Musik zu Ihrem Beruf zu machen? Eigentlich war bereits mit dem Eintritt in die Chorschule – also in meinem achten Lebensjahr – klar, dass es nur in diese Richtung weitergehen würde. Obwohl ich nicht sagen kann, dass ich ein Wunderkind gewesen wäre, das nur Klavier spielen oder nur klassische Musik hören wollte. Oh nein, so war es nicht! Die Schule war streng, es gab viele Hausaufgaben und diesen regelmässigen, weichen Druck. Und dann – langsam, langsam – begann die Musik für mich eine immer grössere Rolle zu spielen. Zuerst habe ich Chorleitung und Komposition studiert, dann habe ich Rockmusik gespielt, dann Jazzmusik und parallel dazu Alte Musik. Nach diesen Perioden hab ich mich für das Dirigieren entschieden. Und jetzt habe ich das Gefühl, da zu sein, wo ich sein will. Ich glaube, es ist ein grosses Glück, wenn dies jemand so sagen kann. Ich mache das, was mir gefällt, ich kann von dieser Aktivität leben, ich sehe sehr viele interessante Leute, ich kann reisen. Mein Beruf öffnet mir Türen zu anderen Kulturen.

Können Sie beschreiben, was Sie wahrnehmen und was in Ihnen vorgeht während Sie ein Konzert dirigieren? Zuallererst will ich mit der Musik immer etwas erzählen. Ich bitte dies auch die Musiker zu tun und zu verstehen, dass Musik eine Sprache ist. Damit meine ich nicht konkrete Geschichten im Sinn von «Er ist hinaus gegangen, es war schönes Wetter und die Bäume blühten». In der Musik geht es vielmehr um die Beschreibung emotionaler Zustände. In manchen Werken habe ich ein mehr oder weniger klares Programm dazu im Kopf, dieses möchte ich dem Publikum aber nicht mitteilen, da jeder Zuhörer die Musik auf seine eigene Weise auffasst. Und im physischen Sinn? Was machen Sie, was denken Sie während Sie dirigieren? Wenn ich dirigiere…(Pause) Das ist sehr schwierig zu beschreiben. Was ich sagen kann – absolut eindeutig – ist, dass ich nicht das zu hören versuche, was nahe bei den Ohren liegt, also die Hauptlinie oder Hauptmelodie, sondern die versteckten, polyphonen Stimmen. Ich konzentriere mich auf diese Linien, um zu kontrollieren, ob sie hörbar sind. Wenn nicht, muss ich das Orchester sofort dazu auffordern, die Balance anzupassen. Die Hauptmelodie muss weniger dirigiert werden. Sie wird in den Proben vorbereitet, die Phrasierung gepflegt. Im Konzert möchte ich die Musiker ihre Melodien ausspielen lassen. Aber die Frage des Gleichgewichts, die bleibt zentral. Meine Aufgabe während des Konzertes ist es, die Balance zwischen den verschiedenen Instrumentengruppen zu kontrollieren und gleichzeitig die Musiker zu inspirieren. Um einen Vergleich zu benutzen: Es ist wie bei einem Ball, der auf die Luftsäule eines Ventilators gesetzt wird. Da schwebt er nun, ist irgendwie fixiert und trotzdem ständig in Bewegung. Diesen Ball kann man mit den Händen ein bisschen bewegen, ihn auf der Luftsäule verschieben. Es ist ein Spiel, man kann sich damit vergnügen. Doch wenn man nicht genügend sensibel ist, fällt der Ball sofort runter. Ähnlich verhält es sich beim Dirigieren. Orchestermusik ist «coincidentia oppositorum». Etwas, das Organisation und Stabilität braucht, gleichzeitig jedoch nicht ohne Freiheit und Improvisation existieren kann. – Ein «unstabiler stabiler Prozess» sozusagen, ein Prozess, der stabil ist, jedoch jeden Moment unstabil werden könnte. Es geht um die Kontrolle über etwas, das wahnsinnig… zerbrechlich ist, launisch auch, beständig wechselnd, wunderschön und lebendig... Wichtig ist, dass der Dirigent immer kontrolliert und inspiriert. Inspiriert und kontrolliert. Herz und Kopf, Kopf und Herz. Diese Dualität muss unbedingt im Gleichgewicht sein. Und ein solches Gleichgewicht ist niemals statisch, es bewegt sich immer, es vibriert. Ich finde es eindrücklich zu sehen und zu hören,

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wie die Begeisterung, mit der Sie Ihre Arbeit ausführen, auf das Orchester übergreift. Ich habe selber nicht gehört, wie das Orchester früher gespielt hat. Bestimmt haben die Musiker und das Publikum immer schon gemeinsame Höhepunkte erlebt! Ich geniesse das Musizieren mit dem BSO sehr. Es ist mein grösster Wunsch, dass die Musiker ihre Arbeit als eine Feier betrachten, nicht als Dienst. Ich wünsche mir, dass sie nach den Proben und Konzerten beglückt heimgehen, inspiriert und voll von positiver Energie. Diese teilen sie dann wieder mit den Leuten, denen sie draussen begegnen. Das ist das Schönste. Diese Stimmung möchte ich sowohl beim Orchester als auch beim Publikum weiter pflegen und entwickeln. Ich wünsche mir, dass die Politik diesem Aspekt der kulturellen Tradition wieder mehr Aufmerksamkeit schenken würde. Wir brauchen kulturell interessierte Menschen mit guter Ausbildung – und damit meine ich jetzt nicht Ausbildung im Sinne von Diplomen und Hochschulabschlüssen. Ausbildung bedeutet für mich alles, was in unserem Leben mit uns passiert. Was haben wir gesehen, mit wem und wie haben wir gesprochen, was haben wir gehört? Das ist die Ausbildung, sie beginnt bei der Geburt. Und die Schule ist nur eine von mehreren Formen dieser Ausbildung. Wie gesagt: Ich lade die Berner und Schweizer Politiker sehr herzlich zu unseren Konzerten ein. Ich wünsche mir, dass sie das Orchester dieser Stadt mit Stolz und Freude betrachten. Wir freuen uns sehr, wenn wir die Leute aus dem Bundeshaus ab und zu bei uns begrüssen dürfen. Bild: zVg.


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SONJA KOLLER

«wie ein leuchten der erinnerung»

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Die basel sinfonietta gastiert in Bern – Paul Sacher zu Ehren ■ «Der Weg ist das Ziel», soll Konfuzius gesagt haben. Die basel sinfonietta, die in der aktuellen Saison ihren 25. Geburtstag feiert, stimmt dem chinesischen Philosophen zu und setzt sein Zitat als Motto über ihr Jubiläumsprogramm: «Dieser Satz passt zur bewegenden Geschichte unseres Orchesters», findet die basel sinfonietta, «die ständige Dynamik prägt das Orchester von seinen ersten Tagen bis heute». Geliebte Gratwanderungen. Um künstlerische Träume auszuleben, um ungewöhnliche und experimentelle Musik zum Erklingen zu bringen, und um grenzüberschreitende Produktionen zu verwirklichen, wurde die basel sinfonietta 1980 von jungen Musikerinnen und Musikern mit viel Idealismus gegründet. Von Anfang an war klar, dass das Orchester demokratische Strukturen haben sollte. Also: Kein Chefdirigent, die Orchestermitglieder dürfen in allen Entscheidungsprozessen mitbestimmen, die Geschäftsführung ist schlank und wendig. Die Mitarbeiter des Orchesterbüros sind bei den Musikerinnen und Musikern angestellt – und nicht umgekehrt! Löhne konnten in den ersten Lebensjahren des Orchesters keine gezahlt werden, Krisen und Hindernisse mussten überwunden werden, um das abenteuerliche Unternehmen aufrecht zu halten: «Als eine Gruppe von jungen, idealistischen und begeisterungsfähigen Musiker/-innen sind wir angetreten, um uns für eine Idee einzusetzen. Obwohl uns immer wieder der Untergang prophezeit wurde, haben wir nie aufgegeben. Über die Jahre haben wir uns die Fähigkeit angeeignet, uns immer wieder zu reformieren und uns neuen inneren und äusseren Gegebenheiten anzupassen. Aber unter einer Voraussetzung: Ohne unser Selbstverständnis und unsere künstlerische Eigenständigkeit preiszugeben», erinnert sich Ruedi Linder, dessen Kopf die Idee eines «alternativen Orchesters» im Herbst 1979 entsprang. Auf eine lange Zukunft. Heute ist die basel sinfonietta fest in der schweizerischen Kulturlandschaft verankert

– und sie strahlt weit über die Landesgrenzen hinaus. Dies beweisen auch die unzähligen Glückwünsche, die das Orchester von freundschaftlich verbundenen Komponisten, von enthusiastischen Musikerinnen und von seinem frischen, neugierigen Publikum zum Geburtstag erhielt. So dampft das Orchester nun mit voller Kraft durch sein Jubiläumsjahr – und macht dabei auch eine Extrafahrt nach Bern: Dem grossen Musikförderer und Freund der basel sinfonietta, Paul Sacher zu Ehren, konzertiert das engagierte Sinfonieorchester am 25. April im Kultur-Casino Bern. Paul Sacher verstarb 1999, in diesem Jahr hätte er seinen hundertsten Geburtstag feiern können. Das Konzert steht unter der Leitung des spanischen Dirigenten und Komponisten Cristobal Halffter (geboren 1930 in Madrid). Als Jurymitglieder eines Wettbewerbs für zeitgenössische Musik lernten sich Halffter und Sacher 1968 in Warschau kennen. «Als wir zwei Jahre später erneut dieser Jury angehörten, dieses Mal in Basel, entwickelte sich eine enge und herzliche Freundschaft, die bis zu Paul Sachers Tod andauerte», erzählt der Dirigent. Seine Komposition «Tiento del primer tono y batalla imperial», welche die basel sinfonietta in Bern interpretieren wird, schrieb Cristobal Halffter zu Paul Sachers 80. Geburtstag. In seinem kompositorischen Schaffen beschränkt sich Halffter keineswegs auf ästhetische Fragen. Vielmehr bringt er in seiner Musik stets auch ethische und soziale Probleme zum Ausdruck. So auch im Adagio en forma de rondo, das in Bern als zweites Werk des Abends (nach Mozarts Maurerischer Trauermusik KV 477) auf dem Programm steht: Diese Musik ist geprägt von der geistig-emotionalen Wirkung, welche die Ereignisse des 11. Septembers 2001 auf den Komponisten ausübten. Neue Wege. Uraufführungen gehören zur basel sinfonietta wie das Salz in die Suppe. In der aktuellen Saison stellt das Orchester seinem Publikum das Schlagzeugkonzert phosphor des deutschen Komponisten

Johannes Schöllhorn vor. Den Solopart übernimmt Pascal Pons, dem das Konzert auch gewidmet ist. «Vom Einzelnen zum Ganzen, das Ganze nicht im Ganzen und das Einzelne nicht im Einzelnen ruhend, sondern immer zwischen allen Zwischenstufen und zwischen sich und seiner Rolle oszillierend, stellt das Stück trotz oder gerade wegen seines klaren Aufbaus eine Art «chiaroscuro» dar, eine – wenn man will – «phosphoreszierende Form», schreibt der 1962 geborene Komponist zu seinem neuen Werk. Und er lädt das Publikum dazu ein, sich in dieser Musik einen eigenen Weg zu finden; eine eigene Geschichte wahrzunehmen: «Wie ein Leuchten der Erinnerung».

Zum Konzert: basel sinfonietta Cristobal Halffter, Leitung Pascal Pons, Schlagzeug Dienstag, 25. April, 19:30 h Kultur-Casino Bern (Weitere Termine: 23. April, 19:00 h Basel Stadtcasino // 24. April, 19:30 h Freiburg i. Br. E-Werk) W. A. Mozart: Maurerische Trauermusik c-moll, KV 477 - Cristobal Halffter (*1930): Adagio en forma de rondo - Johannes Schöllhorn (*1962): phosphor, Schlagzeugkonzert (UA) - Cristobal Halffter (*1930): Tiento del primer tono y batalla imperial Vorverkauf: Münstergass-Buchhandlung, Münstergasse 33, Bern Abendkasse ab 18:30 h Preise: CHF 30.- (ermässigt: 15.-) Für weitere Informationen: www.baselsinfonietta.ch


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TILL HILLBRECHT

jacko: «aua, ich lebe» Das zeitgenössische Theatertreffen auawirleben ist heuer besonders reaktionsfreudig ■ Freie Radikale (chemisch: Atome oder Moleküle mit mindestens einem ungepaarten Elektron, meist instabil und besonders reaktionsfreudig), besetzen 11 Tage lang Berns Theaterproduktionstätten. Namentlich freie Radikale (soziologisch: Personen, die schnellen, abrupten Wechsel provozieren, Richtungsänderung mit ev. Gewalterzwingung) werden versucht sein, möglichst viele Zuschauer anzustecken, Reaktionäre einzubinden, um sie einstweilen wieder verseucht auszuspucken. Freie Radikale sind Giftklasse A. A wie Anarchos, die irgend- und nirgendwo in der Gesellschaft hocken. Freie Radikale ist Programm, ist Konzept, ist Name von auawirleben 2006. Das Treffen für zeitgenössisches Theater nimmt für seine diesjährige Ausgabe zum Thema, für was es seit seiner Gründung vor 23 Jahren einsteht: Die Grundintention von auawirleben ist die theatrale Auseinandersetzung mit gesellschaftlicher Realität – und die Realität ist, schaut man über seinen Tellerrand hinaus oder aber auch mal in die eigene Suppe hinein, eine radikale Welt. Was gestern war, zählt heute vielleicht schon als illegal oder, noch schlimmer, umgekehrt und wird ständig von irgendwem bekämpft. Aus einer Laune oder aber einer Zwangslage heraus an den Rand der Gesellschaft geschoben: Selbstverständliches wird unverständlich, ein Mauerblümchen wird zur fleischfressenden Pflanze radikalisiert. Nebst all dem Übel doch eine fruchtbare Erde fürs Theatergedeihen. Wirft man einen Blick auf das Periodensystem von auawirleben 06 wird schnell klar: An freien Radikalen mangelt es beileibe nicht. Und viele Hochkarätige davon tun gütlich daran, am auawirleben Theatertreffen 06 aufzutreten. Ob das Programm die Explosivität des Titels übernimmt, ist nicht einmal so massgebend. Denn weiter wird klar: Radikal heisst zwar heftig, bedeutet auch Extremsituation – aber Kunst sei, was Zündstoff auf eine ganz subtile Art und Weise zu inszenieren

weiss: Beklemmend minimalistisch («Meeresrand», mit Cathrin Störmer), politsatirisch, fesselnd und befreiend («Houdini oder die innere Sicherheit», Mass & Fieber) oder dann aber auch klassisch terroristisch («RAF Unplugged», Barabra Weber & Co). Alles in extremo. Der Rahmen für ein reaktionsfreudiges Programm ist gross, das Theatertreffen indes spannt sich über die ganze Stadt: Tatorte sind das Schlachthaus, Stadttheater Bern, Tojo Theater Reithalle, Dampfzentrale und Festivalzentrum PROGR. Die Strategen der Kommandozentrale haben ganze Arbeit geleistet; der Einsatzplan umfasst zehn Produktionen von Einsatztruppen aus Deutschland, Belgien und der Schweiz, darunter die Kolhaasgruppe & sophiensaele Berlin, Theater Winkelwiese, Maxim Gorki Theater, schauspielfrankfurt. Übliche Verdächtige also, aber auch neue Täter und Täterinnen kollaborieren in Bern. Als nationaler Nachwuchs stehen mit Botho Strauss` Trilogie des Wiedersehens die Studierenden von HKB - Theater (Hochschule der Künste Bern) in ihrer Diplominszenierung auf der Bühne. Zehn Produktionen hält der Veranstalter bereit, drei davon feiern in Bern Uraufführung: «Fernwärme» (von Reto Fringer), «Im inneren Ausland» (Christoph Frick und Susanne Zahnd) und «Jacko Unplugged», zweiter Teil des Unplugged2-Abends von Barbara Weber & Co: Ein Schauspiel über schwarzen Widerstand und weissen Puder. Und falsche Nasen. Für das Konzertfenster gelingt auawirleben ein ganz besonderer Wurf: Die Ausnahmekünstlerin Laurie Anderson performt im Rahmen des Festivals mit «The End of the moon» (2.5., Dampfzentrale) einen poetischen Abend über Weltraum, Krieg und Gesellschaft. Anderson gilt als eine der bedeutendsten Medienkünstlerinnen weltweit und ist in Musik, Theater, Video- und bildender Kunst gleichermassen zuhause. Eine freie Radikale par exellence, deren Werke immer wieder auch gesellschaftskritische Appellation sind. Die Wege der

New Yorkerin kreuzen multimediale Opern und schlichte Soundexperimente und finden sich in erstklassigen Performances wieder. Eine Radikalkur für kulturgeschädigte Bernerinnen und Berner. An die guten Erfahrungen mit dem PROGR als letztjähriges Festivalzentrum will man anknüpfen. Die Turnhalle bildet Treffpunkt für KünstlerInnen und Publikum, es gibt Apéro aber auch radikal warmes Essen. Und ein Fest, und zwar ein richtiges: Mit Zuckerwatte schaukelt man am 6. Mai den Jahrmarktfeelings-Zuckerspiegel in die Höhe, um Tanz und Glitzer mit genügender Energiezufuhr zu frönen. Und da die klebrigen Finger das Händeschütteln bereits im Keim erstickt haben, finde man zu diesem Zeitpunkt anlässlich der RaketenglaceRenaissance doch heraus, ob das Eis des Jahrhunderts immer noch so gut schmeckt wie vor 20 Jahren. Tipp: Es wird. Das Festivalzentrum bietet aber noch weitere Zückerchen; Text+ heisst das allabendliche Dessert für die Ohren, dass Textperformer ab 22:00 h kochen und servieren. Words`n`Beats (Stauffer und Kuratli), Lieblingsbeats (lDeeP), dann und wann aber auch ein Scheisslied (GUZ). Damit will der Veranstalter nicht auf zwei Hochzeiten tanzen, sondern die Slam-Szene als Sprechtheater ins auawirleben-Festival integrieren. Elf Tage lang ist Bern frei. Und radikal. Dem Theatertreffen sei dank: Das Radikal wird auf unsere Gesellschaft losgelassen, um zu beissen und zu kratzen – aua eben. Dann merken wir mal wieder, dass wir noch leben.


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der wilde westen kommt in den fernen osten! Festival Ouest-Est ■ Endlich können sich die in Bern lebenden Romands wieder ein bisschen zu Hause fühlen und müssen nicht in den Westen flüchten, um vom Kulturangebot zu profitieren. Aber auch für kulturinteressierte Nicht-Romands ist es eine Gelegenheit, wieder einmal das französische Wörterbuch aus dem Bücherregal zu holen und dem französischen Charme unserer Künstler zu verfallen. Vor einem Jahr fand das erste Mal das Festival Ouest-Est in Bern statt. Es wurde ein Schritt über die Sprachgrenze gemacht, um den kulturellen Röschtigraben zwischen Romandie und der Deutschschweiz zu überwinden. Damals war es die Partnerstadt Genf, und dieses Jahr ist es Lausanne, genauer die Kulturszene rund um das Théâtre Arsenic. Sandrine Kuster, Leiterin des Théâtre Arsenic und Sandro Lunin vom Schlachthaus Bern haben in Zusammenarbeit mit der neuen Betriebsleitung der Dampfzentrale ein Programm zusammengestellt, das sich zwischen Tanz, Theater, Performance, Musik und Comic bewegt. Die ausgewählten VertreterInnen der Kulturszene Lausanne sind charakteristisch für die zeitgenössische Kultur aus der Romandie und zeigen einen spielerischen Umgang zwischen den Schnittstellen verschiedener Sparten. Diese Auseinandersetzung spiegelt sich auf der Bühne wieder und man findet eine charmante Prise von Selbstironie und Humor in den Stücken. Ob das der Charme der Kulturszene aus der Romandie ausmacht? Was ist eigentlich der Unterschied zwischen der französischen und der deutschsprachigen Schweiz? Wir wissen zwar, dass die Deutschschweizer nicht gerne Hochdeutsch sprechen und die Romands das Schweizerdeutsch eher belustigend finden. Gibt es diesen Röschtigraben wirklich und wollen wir ihn gerne behalten? Eigentlich ist es ja müssig, dass man über diese sogenannten Unterschiede in einer so kleinen Schweiz spricht. Einfach wäre es, zu sagen, wir interessieren uns für eine qualitativ hoch stehende Kulturszene, egal von wo. So ist es! Aber nicht nur. Die Diskussion zu diesem Thema ist nicht uninteressant – geht es doch um kulturelle Unterschiede auf Schmalspurniveau. Wir kennen alle diese Geschichten, von den Romands, die Deutschschweizer nicht lieben, und von den Deutschschwei-

zern, die wohl brav versuchen, französisch zu sprechen, aber trotzdem eher belächelt werden. Ist es nicht auch interessant, dass eine Minderheit wie die Romands ein ausgeprägteres Kultur-Verständnis haben als die Deutschschweizer, die durch ihre Ablehnung gegenüber deutscher Kultur eben nicht einen grossen Bruder im Rücken haben, wie die Romands mit Frankreich? Beim Salongespräch «Sprachübergreifender Kulturaustausch: Kür oder Pflicht?» im Rahmen des Festivals «Ouest-Est» gibt es eine Möglichkeit zur Diskussion. Die Abteilung Theater von Pro Helvetia lädt alle Interessierten zu einem Salon ein, um darüber zu diskutieren, ob ein von der Politik geförderter Austausch zwischen den Regionen wirklich zu Verständigung innerhalb des Landes beiträgt. Kann die Kultur diesen Anspruch einlösen? Gibt es adäquate Vermittlungsformen? Ist für das Theater der Austausch mit dem gleichsprachigen Ausland sinnvoller? Die Hauptsache dieses Festivals sind jedoch die eingeladenen KünstlerInnen. Am Eröffnungsabend in der Dampfzentrale setzt sich Massimo Furlan mit dem Phänomen «Superman» auseinander. Er zeigte seine Arbeiten unter anderem in der Gessnerallee Zürich und im Centre Culturel Suisse in Paris. In Bern wird er das Publikum mit zwei verschiedenen Performances überraschen. Auch Gaspard Buma wollte schon immer «ein starker Mann sein, ein präziser Tänzer, einfach so, ein Superheld, ein umwerfender Liebhaber», und er hilft auch mit einem «Crisis Managment Tool» aus der Patsche. Zu dieser spielerischen «Männergruppe» gesellt sich auch Yan Duyvendak, welcher sich mit dem Wunsch, ein Star zu werden und dem Reality-Fernsehen auseinandersetzt. Weiter geht es mit illustren Namen aus der Theaterszene wie das «Théâtre en Flammes» und Marielle Pinsard zeigen ihre Produktionen im Schlachthaus. In der Dampfzentrale gibt es neben Party mit Optickle VJ Michael Spahr und Marielle Pinsard’s Performance auch die «Young Gods», und der zeitgenössische Tanz ist mit Gilles Jobin’s «Steak House» vertreten. Helge Reumann, der Comic-Zeichner und Illustrator hat nicht nur das Programmheft gestaltet, welches detail-

liert über die Veranstaltungen informiert, sondern zeigt auch ausgewählte Arbeiten im Schlachthaus. Au revoir Röschtigraben – bienvenu Lausanne!

Programm Mittwoch, 5. April 2006 Salon Abteilung Theater Pro Helvetia – Gespräch / Dampfzentrale Gaspard Buma – Performance / Dampfzentrale Massimo Furlan – Performance / Dampfzentrale Yan Duyvendak – Performance / Dampfzentrale Donnerstag, 6. April 2006 Helge Reumann – Vernissage / Schlachthaus Théâtre en Flammes – Theater / Schlachthaus The Young Gods – Konzert / Dampfzentrale Freitag, 7. April 2006 Helge Reumann – Ausstellung / Schlachthaus Théâtre en Flammes – Theater / Schlachthaus Samstag, 8. April 2006 Helge Reumann – Ausstellung / Schlachthaus Marielle Pinsard – Theater / Schlachthaus Massimo Furlan – Performance / Dampfzentrale Gilles Jobin – Tanz / Dampfzentrale VJ Michael Spahr & Marielle Pinsard – Performance + Optickle Video Disco - / Dampfzentrale Sonntag, 9. April 2006 Gilles Jobin – Tanz / Dampfzentrale Kulturhallen Dampfzentrale Marzilistr. 47 3005 Bern kultur@dampfzentrale.ch Reservation: 031 312 12 06 (Anrufbeantworter) und www.dampfzentrale.ch


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berner weltmusikfrühling weitere konzerte ■ Derweil die Knospen spriessen und auch kalendarisch der Frühling Tatsache geworden ist, steht der Weltmusik-Frühling schon kurz vor seinem Schlussbouquet. Wer diese Ausgabe des ensuites dem Postboten aus den Händen nimmt, schafft es gerade noch an die 5. Berner Weltmusiknacht und kommt in den Genuss, nordindische Klänge von zwei Grossmeistern dieser Kunst zu erleben. Klassisch indische Musik hat während Jahrhunderten eine einzigartige Raffinesse und Virtuosität entwickelt. Während Bollywood und Bhangra die Dancefloors erobern und Indien zur Wirtschaftsmacht avanciert, wird auch der Klassik- und Jazzwelt immer mehr bewusst, welch beeindruckende Anzahl an phantastischen Musikern dieser Subkontinent beheimatet. Als Abschlussfeuerwerk der «Musik der Welt» Frühlingskonzerte folgt am 26. April für alle Fans andalusischer Gitarrenakrobatik und edlen Tanzes ein Abend mit der Compania Flamenca des bekannten Gitarristen Antonio Andrade. 5. Berner Weltmusiknacht (Nordindien). Hariprasad Chaurasia, Rajeev Taranath, Sandip Bhattacharya «Ich spiele nicht auf der Flöte, ich singe durch sie». Hariprasad Chaurasia hat sich mit seiner legendären Virtuosität auf der einfachen Bambusflöte längst Weltruf eingespielt. Seine Diskographie und die überdurchschnittliche Zahl seiner jährlichen Konzerte rund um den Erdball sind beeindruckend. Kein Musikfestival in Indien möchte ohne seine Präsenz auskommen und im Westen ist er sowohl als Partner von Musikern wie Yehudi Menuhin, John McLaughlin und Jan Garbarek wie als Botschafter der alten Musiktradition Indiens bekannt. www.hariprasadchaurasia.com Mit Rajeev Taranath haben wir einen der Senior Sarodmeister Indiens zu Gast. Der bescheidene, von der Presse gelobte Musiker entzieht sich jedoch dem grossen Rummel und ist, speziell in Europa, selten zu hören. Er

repräsentiert wie Chaurasia die Senia Beenkar Gharana, die auf Mya Tansen, den berühmten Hofmusiker des Mogulkaisers Akbar zurückgeht. www.rajeevtaranath.com Sandip Bhattacharya, der die beiden Solisten jeweils auf der Tabla begleitet, stammt aus der Musik-Hochburg Varanasi. Nebst der Benares Gharana studierte Sandip auch den Farukhabad Stil und die zur Begleitung des Dhurpada benutzte Doppeltrommel Phakawaj. Er spielte mit vielen von Indiens Top-Musiker und auch in stilübergreifenden Projekten, u.a. mit Mari Boine oder der Gruppe Vedaki (Montreux 2000). www.sandip-tabla.com

Compania Antonio Andrade Andrade wurde in Puebla de Cazalla bei Sevilla, einem der traditionsreichsten Dörfer des Flamencogesangs geboren und wuchs ganz verbunden mit dieser Kunstform auf. Sein Onkel ist José Menese - eine lebende Legende unter den Flamenco-Sängern. Es verstand sich daher von selbst, dass Antonio schon in frühester Kindheit mit dem Gitarrenspiel begann. Seine Lehrmeister waren Romero de Badajoz, Miguel Perez und Antonio Amador vom Gitano-Clan der Amadores. In seiner mittlerweile langen Karriere arbeitet er mit Flamenco-Grössen wie Javier Barón, Israel Galván, Antonio «El Pipa», Javier Cruz, Sara Baras, Carmen Ledesma und vielen anderen zusammen Als künstlerischer Leiter und Produzent der «Compañia Flamenca Alhama & Maria Serrano» hat Antonio Andrade sein Können in zahlreichen Tourneen unter Beweis gestellt und Konzertreisen mit Grossproduktionen führten ihn durch die Opernhäuser und Konzerthallen der Welt. Mit «Noches de Amor» kehrt er auf intimere Bühnen und zum ursprünglichen «Flamenco puro» zurück. Diese kraftvolle und impulsive Grundform bildet auch heute noch das lebendige Rückgrat der weltweit bekanntesten

Kunstform Spaniens. Es ist die physische und emotionale Kontrolle der TänzerInnen über ihren Körper: die Art, wie der Kopf hochgehalten wird, die Bewegungen der Schultern, die Gestik der Arme, die komplexen Rhythmen der Füsse zu denen Instrumentalisten und Sänger im Wechselspiel improvisieren. Die Kraft des «Flamenco puro» kommt aus dem Moment der Katharsis, wenn der Tanz die Kontrolle durchbricht und in reine Energie und Freude umschlägt. Compania Antonio Andrade: Antonio Andrade (guit), David Huertas Bravo (perc, guit, voc), Francisco Javier Orozco (perc, voc), Vicente Dominguez (flute, saxes), «Juanaire» Juan Siddi (dance, palmas), Rosalia Moreno (dance, palmas). http://www.antonio-andrade.com

Musik der Welt in Bern präsentiert: Samstag, 1. April 2006, 20:00 h Salon Royal, Bellevue Palace Bern 5. Berner Weltmusiknacht Hariprasad Chaurasia & Rajeev Taranath (Nordindien) Mittwoch, 26. April, 20:00 h Theater National Bern Compania Flamenca Antonio Andrade (Spanien) In Zusammenarbeit mit WeltMusikWelt ZH und Los Caracoles Preisinfo und Reservation: www.musikderwelt.info Vorverkaufsstellen: Transa Travel & Outdoor, Aarbergergasse 21, Bern Kalisha Rathausgasse 47, Bern


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«DIESE BLÖDE SEHNSUCHT!» Bier für Frauen von Felicia Zeller ■ Wir haben es wahrscheinlich alle schon einmal erlebt: Hat das erste Bier noch gelöste Konversation zur Folge, wird diese spätestens nach dem fünften, sechsten, siebten zu tränenseliger Gefühlsdusselei oder kicherndem Geblödel, es sei denn, man ist nicht schon längst, den Kopf auf dem Tisch, eingeschlafen. Aber reagieren Frauen eigentlich anders auf Alkohol als Männer? Dieser Frage ist die junge deutsche Autorin Felicia Zeller in ihrem Stück «Bier für Frauen» nachgegangen. Sie hat trinkende, saufende und betrunkene Frauen belauscht und das Gehörte zu einer Sprachcollage verarbeitet. Drei Frauen (-typen) – rot, blond und schwarz – durchleben auf der Bühne, stellvertretend für alle trinkenden Frauen, von der Gelegenheits- bis zur Hardcoretrinkerin, sämtliche Phasen eines alkoholisierten Abends. Die drei reden über die üblichen Themen: Aussehen, Männer und darüber, in Zukunft nicht mehr zu trinken. Eine beschwert sich, dass ihr beim Küssen in letzter Zeit immer die Zähne in den Weg kämen, eine andere erzählt, mehr oder weniger amüsiert, von der Gabe sich selbst wie von aussen beobachten zu können. Ganz nebenbei entwickeln die drei ausserdem ein geniales Werbekonzept für die Zukunft. Zwischen den Akten wird jeweils der Alkoholpegel bekannt gegeben, dieser wird spätestens bei zehn Bier zusätzlich mit Alka Seltzer abgemischt. Der Flirt mit dem männlichen Theaterpublikum will auch nicht mehr so richtig gelingen. Das Lallen der Frauen wird mit jedem Bier unzusammenhängender und ihre seelische Verfassung immer trauriger. In dieser Phase fallen dann auch die schönsten Sätze des Abends: «Wenn man dann so ankommt. So mit sich selber, so voller Hoffnung» oder ein völlig verwirrtes: «Was mache ich eigentlich und so weiter...» während die dritte nur noch verzweifelt schreit: «Diese blöde Sehnsucht!». (ss) Bier für Frauen von Felicia Zeller Schweizer Erstaufführung Inszenierung: Katharina Ramser Mit: Susanne Bard, Heidi-Maria Glössner, Grazia Pergoletti 1./2./4./8./12. April wochentags 19:30 h, Samstag / Sonntag 19:00 h, Kornhausbühne.

TITANIAMANIA «In the future, everyone will be famous for 15 minutes.» Andy Warhol ■ Die freie Theatergruppe Far A Day Cage («Polizey») setzt sich in ihrer neuesten Produktion mit dem momentanen Casting-Wahnsinn der TV-Shows auseinander. Den Weggang von drei Gruppenmitgliedern in ein festes Engagement nimmt die Gruppe zum Anlass, ein Casting – offen für jedermann – zu veranstalten und dies direkt in die Produktion mit einzubauen. «Entdeckt zu werden, aus der alltäglichen Anonymität und Durchschnittlichkeit ausbrechen zu können und das Leben eines Stars zu führen, scheint heute für jedermann möglich zu sein, ungeachtet der Talente und Motivationen.» Als Textgrundlage dient Shakespeares «Ein Sommernachtstraum», das zauberhafte Verwirr- und Verwandlungsstück handelt unter anderem von einer Laientheatertruppe. «Kein Stück der klassischen und modernen Literatur bietet besseres Material, um den Fragen um Traum und Wirklichkeit, Hoffnung und Enttäuschung, Selbstbestimmung und Manipulation auf den Grund zu gehen.» Titania, Oberon, Puck und Co. werden zu Jurymitgliedern und die im Winter gecasteten temporären Neumitglieder «egal ob Schauspieler, Soziologiestudenten oder Tramfahrer» präsentieren sich erstmals der Öffentlichkeit. Wer weiss, vielleicht gibt es ja tatsächlich ein Talent zu entdecken. (ss) Titaniamania. Die Midsummer Night’s Casting Show! Far A Day Cage Mit Christoph Moerikofer, Tomas Schweigen, Tatjana Steinbichl, Julia Stöter, Vera von Gunten und die gecasteten Darsteller sowie wechselnde prominente Gäste aus Theater / Medien. Regie: Tomas Schweigen. Konzept: Tomas Schweigen, Julia Stöter, Vera von Gunten. 19. – 22. April um 20:30 h im Schlachthaus Theater Bern, Rathausgasse 20/22.

VERUNSICHERUNG ■ Die Menschen brauchen dank der «Pro Illuminatis» – Pille nur noch zwei Stunden Schlaf, sie sind fit, produktiv und effizient. In einer solchen Welt lebt Herbert K., der weiterhin acht Stunden Schlaf und Träume pro Tag geniesst und somit Gefahr läuft, als Sozialparasit abgestempelt zu werden. Eine Versicherungsgesellschaft versucht ihm sein Verlangen nach Schlaf schleunigst auszutreiben. In einem Aufbauprogramm soll er mit Hilfe seines persönlichen Beraters lernen, seinen Alltag in den Griff zu bekommen: weniger trinken, mehr Sport treiben, gesund leben. Herbert scheitert daran. Jede Nacht zieht es ihn an ein unlöschbares Feuer. «Ein Ort, an dem er ein Alter Ego gebiert, dass ihm die Freiheit jenseits aller Abhängigkeiten von Versicherungen und Vorsorgeplänen aufzeigt.» «Verunsicherung» der jungen Basler Formation TLÖN («Kopie») ist eine unheimliche Zukunftsvision, eine «melancholisch-satirische Social-Fiction, welche die bestehenden Tendenzen im Versicherungswesen auf die Spitze treibt». Musikalisch begleitet wird Herbert auf seiner Odyssee von einem traurigen Gitarristen, der ihm den Blues spielt. (ss) Verunsicherung Eine TLÖN Produktion Regie: Dominique Müller. Text: Dominique Müller, Manuel Bürgin. Musik: Sandro Corbat, Frank Wenzel. Bühne/ Video: Lydia Lymbourides. Kostüme: Judith Steinmann. Spiel: Manuel Bürgin, Sandro Corbat, Dominique Müller, Christopher Novák, Frank Wenzel. 6., 7. & 9. April um 20:30 h im Tojo Theater Reitschule, Neubrückstr. 9.


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TABEA STEINER

peter wyssbrods goldener thunfisch ■ Peter Wyssbrod erhält dieses Jahr den goldenen Thunfisch, den Schweizer Kleinkunstpreis schlechthin. Wenn man sein Lebenswerk kennt, ist das nichts als selbstverständlich. Wenn man es nicht kennt, zuckt man mit den Schultern, oder aber mit den Brauen, wenn man weiss, dass seine Vorgänger Namen tragen wie 05 Gardi Hutter, 04 Thiel und Jean Claude Sassin, 99 Ursus und Nadeschkin, 97 Stimmhorn oder 95 Michael von der Heide, um die prominentesten, der Deutschschweiz jedenfalls, zu nennen. Andreas braucht man gar nicht mehr mit Vor- und Nachnamen zu nennen, so präsent ist er. Zuweilen wird er gar in einem Atemzug mit Tanja Frieden genannt oder in Jugendgottesdiensten zitiert. Nun aber zurück zu Peter Wyssbrod, dem Beehrten des Jahres 2006. Liest man den Pressebericht von Anfang Januar, stolpert man bereits beim Titel: «Ein Unbotmässiger des Theaters» (Thuner Tagblatt). Was um Himmels Willen heisst unbotmässig? Spielt er Stücke von Goethe? Weit gefehlt, er spielt seine eigenen vier Stücke, wobei er als Autor, Regisseur, Bühnenbildner und Interpret fungiert. Vier eigene Stücke und nicht mehr. Er spielt ebenfalls «Das letzte Band» von Samuel Beckett, welcher ihn durch sein Leben begleitet und eine prägende Rolle gespielt hat, und ist ab und zu in Fernsehfilmen wie «Tod einer Ärztin», «Einmal noch Shakespeare» und weiteren zu sehen, aber seine eigenen WyssbrodStücke sind und bleiben vier an der Zahl. Viele Auftritte sind ihm schon verwehrt worden, weil er seine alten Stücke in der Tasche hatte und nichts Neues, das Theater will Frischprodukte über den Ladentisch gehen lassen. Erstaunlich daran ist auch, dass die Stücke in kurzen zeitlichen Abständen geschrieben und uraufgeführt wurden, 1974 «Abfall / Ordures», 1976 «Le Grand Départ», 1979 «Hommage au Théatre» und 1981 «Entracte». Und dann fertig. Er hat gesagt, was er zu sagen hat, und das ist viel. Und er hat es in diesen vier Stücken gesagt, auch wenn «Abfall / Ordures» und «Le Grand Départ» Theaterstücke ohne Worte sind. Und genau das

ist seine Kunst, er braucht die Sprache nicht, um etwas zu sagen, er teilt es ohnehin mit. An diesem Punkt setzt dann aber auch ein gewisses Unverständnis ein, dafür, dass man Peter Wyssbrod in der Deutschschweiz so schlecht kennt. Die Sprache kann es letzten Endes nicht sein, die seinen Erfolg gehemmt hat, er ist Deutschschweizer, nicht einmal bilingue. Nach erfolgreichen Aufführungen am Hechtplatz in Zürich wurde er 1980 von der Pro Helvetia eingeladen, in Le Havre an einer Veranstaltungsreihe teilzunehmen, wofür er nach einigem Zögern sein Stück übersetzen liess. Dies war die Initialzündung für seine Karriere im frankophonen Raum. Nach und nach genoss er einen immer höheren Bekanntheitsgrad in der Westschweiz, Frankreich und Belgien, wurde er 1985 am Festival in Cannes mit der Preis für den besten Schauspieler ausgezeichnet und in der Folge von Pro Helvetia dazu ausgewählt, mit seinem legendären Hommage au Thêatre das Centre Culturel Suisse in Paris zu eröffnen, während er in der Deutschschweiz dem Vergessen anheim fiel. Seine persönliche Ab-Wende von der Deutschschweiz löste ein leicht schizophrenes Erlebnis aus: Seine Bewerbung um Teilnahme an der quinzaine culturelle romande 1986 in Zürich (selektive Auswahl von Theaterproduktionen aus der Westschweiz) wurde mit der Begründung abgelehnt: Sie sind ja doch eigentlich Deutschschweizer, Herr Wyssbrod! Zürich hatte ihn also ins Französische Exil verbannt. Mit einer gehörige Portion Selbstbewusstsein arbeitet er weiter, und das scheint auch das ihn tragende Moment zu sein: ich habe doch Stücke, und ich habe Stücke, mit welchen ich grossen Erfolg hatte, und noch immer hatte, also lasst mich spielen. Und nicht nur an einem einzelnen Abend, sondern eine ganze Serie will ich bespielen, denn es muss sich herumsprechen: Wyssbrod ist in der Stadt, den muss man gesehen haben! Wie einen guten Film oder den Zirkus Knie. Wie 1987 am fest off in Avignon, als er ein Kubikmeter Werbematerial 6000 plakate für sein Programm mitgen-

ommen hatte, und gar nicht wusste wohin damit in dieser grossen Stadt. So beklebte er einfach die Strassen, und dem flic erklärte er, dass man das en suisse halt so handhabe. Sein Programm war eines der erfolgreichsten, und wir haben nun das Prinzip der Wandzeitungen. Und doch, ein Wyssbrod kann nicht gleichzeitig in allen Theater spielen so wie ein Film, und ein Zirkus ist er ebenfalls nicht. Deshalb gibt es noch immer Städte in der Schweiz, in welchen er seine Stücke noch nicht alle gespielt hat, und das würde auch noch eine geraume Weile dauern. Und ich glaube nach wie vor, dass er recht hat: Wyssbrod in der Stadt, das müsste man wirklich gesehen haben. Nur war er bisher in meiner Kleinstadt noch nicht, würde gerne bereits einen Platz reservieren. Sein Problem scheint wirklich darin zu liegen: welches Theater probt schon über eine längere Zeit, um das Stück dann nur ein einziges Mal vorzuführen? Auch kann es nicht daran liegen, dass er Solostücke aufführt, besagter Thiel führt winterfüllend und begeisternd das selbe Stück auf, Ursus und Nadeschkin bieten gar Reprisen an, ausverkauft. Irgendwo scheint es zu klemmen, und man versteht nicht so genau, weshalb, man weiss nur, dass es in der Deutschschweiz ist. Unbotmässig, weil er seine Botschaft nicht ins ganze Land tragen kann? Man spürt es heraus, ein grosses Genie, das nicht das will, was seine Paten wollen, nämlich immer neu gut sein. Man kann auch mit dem immer gleichen gut sein, man kann der Beständigkeit ein neues Gesicht verleihen, indem man ihr die vermeintliche Maske der Langeweile abnimmt und das von Peter Wyssbrod aufsetzt. Denn: auch ein gutes Buch, und gerade eines von Goethe, kann man immer wieder lesen. Und wenn man dann noch weiss, dass Peter Wyssbrod zwischen den einzelnen Auftritten seine Stücke szenisch nicht probt, sondern sie nur im Kopf memoriert, dann wird erst recht klar, dass jeder Auftritt eine Premiere ist. Weiter Informationen: www.ktv.ch


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M U S I K

SARA TRAUFFER

EIN SOPRAN FÄHRT BUS ■ Sie heisst Ernst. Aber sie hat Witz. Auf die Idee, eine Beobachtung während einer Busfahrt zu vertonen, muss man erst einmal kommen. Eine alltägliche Szene, es ist eng und ein Fahrgast stört sich über andere, die ihm auf die Füsse treten, benimmt sich etwas auffallend. Der französische Schriftsteller Raymond Queneau hat sich einen Spass daraus gemacht, diese Kleinigkeit in unzähligen literarischen Stilübungen zu karikieren. Ein gefundenes Fressen für Siegrid Ernst, die deutsche Komponistin mit grossem Interesse für Sprachformulierungen. Sie hat eine Auswahl dieser Stilübungen für eine Solo-Sopranistin in Musik gesetzt und lässt diese herrlich humorvoll durch die unterschiedlichen Stilebenen hüpfen. Mal distanziert, mal direkt, verspielt, umständlich oder ignorant. Da kann es auch mal zu einem heftigen Ausruf kommen, wie man ihn üblicherweise selten in Konzerten zu hören bekommt: «Das ist mir scheissegal!» gehört hier mit zur Komposition. Die CD würde jedoch nicht den Titel «Facetten» tragen, wären darauf nicht auch die anderen Seiten der 1929 geborenen Komponistin zu hören: ernsthaftere, eindringlichere Töne. Zum Beispiel «Damit es anders anfängt zwischen uns allen» für Chor und Orgel nach einem Gedicht von Hilde Domin. Ein ziemlicher Brocken, dramatisch und intensiv, vielleicht sogar politisch deutbar, anspruchsvoll für den Chor, und auch zum Zuhören nicht einfach. Überhaupt ist die CD als Ganzes keine leichte Kost. Sie erfordert genaues, konzentriertes Hinhören, und man kann sich vorstellen, dass die Werke live eine noch weit grössere Wirkung entfalten. Trotzdem: Es lohnt sich, dieser Porträt-CD Zeit zu widmen. Neben den vokalen sind darauf nämlich auch äusserst spannende instrumentale Kompositionen versammelt. Ein Trio für die seltene Besetzung Flöte, Viola und Gitarre etwa. Oder das Eingangsstück «Para» für Mezzosopran, Querflöte, Violoncello und Klavier, wo die Singstimme ohne Text, nur Vokale und Silben singend, wie ein Instrument eingesetzt ist. Facettenreich. Siegrid Ernst: Facetten. Kammermusik und Vokales. 2005 Hastedt HT 5326

Bild: zVg.

BENEDIKT SARTORIUS

süsse, lärmende popträume ■ «Fantastic. C’est la vie. Ring a bell for joy. Enjoy.» Mit trotzig anmutender Stimme und japanischem Akzent singt die Sängerin und Bassistin Satomi Matsuzaki diesen Aufruf an die Freude und bildet so einen seltsamen Kontrast zur rollenden, lärmenden, ekstaseähnlichen Soundwand der übrigen Band. Eine Gitarrenwand, getrieben von Rumpelkammerschlagzeug, die das aktuelle, mit 56 Minuten Spielzeit für Deerhoof Verhältnisse epische Album «The Runners Four» (Kill Rock Stars) beschliesst. Deerhoof sind eine der Gruppen, die sich keinen Deut um vermeintliche Zauberwörter des Musikbusiness wie Genres, Trends und Durchhörbarkeit scheren. Von Grund auf unberechenbar, ohne je einem wie auch immer gearteten, anmassenden Kunstkonzept verpflichtet zu sein, ziehen Deerhoof ihre Kreise im freien Feld; wenig erstaunlich also, dass Popprominente wie Sonic Youth, Wilco und der Simpsons Erfinder Matt Groening bekennende Anhänger der Gruppe sind. Seit zwölf Jahren betreibt Greg Saunier seine Band, zuerst als Gitarren-Schlagzeug Duo, das 2001 neu formiert und zum Quartett erweitert wurde. Der immens produktive, in San Francisco ansässige Vierer verquirlt auf genialische Weise glückselige Melodien mit Lärm und zitiert sich munter durch die weit verzweigte Geschichte der Popkultur. Ruhelos befinden sich Deerhoof gleich neugierigen Kindern auf der Suche nach immer neuen Überraschungen, Ideen und Abenteuern, die pro Jahr in mindestens einem, oft kürzestmöglichen Album verbraten werden: «Green Cosmos», die im Frühjahr 2005 erschienene EP, führt in gerade mal 18 Minuten

von Noise-Attacken über süssen, opulenten Nippon-Pop bis hin zu entrückten, gespenstischen Kinderliedern. «Milk Man» (2004) legt mit einem hymnischen GitarrenRiff los, Spukorgeln tauchen die Szenerie in ein bombastisches, gotisches Licht. Dazwischen finden sich kleine, listige Nervensägenlieder, die bei aller Widerborstigkeit und Sperrigkeit den herzlichen Charme dieser Band an den Tag legen. Und nun also «The Runners Four»: Zwanzig Stücke, Lieder, Clips, Collagen, die bei jedem Hördurchlauf neu entdeckt werden wollen und müssen. Zwanzig Stücke, die immer neue Facetten freilegen. Schliesslich zwanzig Stücke, von denen mindestens die Hälfte listige Ohrwurmqualitäten besitzt und sei es auch nur der kleinste Haken, die die Melodie schlägt und durch den Kopf wirbelt und zwirbelt, als sei es die einfachste Musik der Welt. «The Runners Four» versteckt seine Ausgereiftheit hinter salopp anmutender Übungsraumatmosphäre, die die Zeitachse einmal mehr aushebelt, damit eher an eine bislang im Vergessen schlummernde Produktion aus den sechziger Jahren erinnert und nichts weniger als süsse, leichtfüssig lärmende, feine, zwielichtige, kurz: abenteuerliche Popmusikträume freisetzt. Einziges CH-Konzert: 4. April, 21:00 h, Bad Bonn, Düdingen. Support: Disco Drive. Weitere Informationen: http://deerhoof.killrockstars.com


C D - T I P P S

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LUKAS VOGELSANG

ECM listening post

Kate Bush – Aerial

Neil Diamond – 12 Songs

■ Nach über 12 Jahren bringt uns Kate Bush die Mystik zurück und wer den Frühling noch nicht wahrgenommen hat, wird mit dem Doppelalbum «Aerial» aus dem Winter gezaubert. Es ist erstaunlich, dass diese Frau in all den Jahren nicht die Spur von ihrem Konzept weggerückt ist. Zum Glück: Sie ist eine der grossen Musikerinnen, welche in den letzten 30 Jahren das Musikgeschehen und die Entwicklungen mitgeprägt hat. Den Erfolg hat sie sich nie durch die Klatsch-Presse erlogen, sondern ging ihren eigenen Weg und Ideen nach. Eigentlich ist sie ein sympathisches Musikerinnen-Gnom und eine Querbeettänzerin. Die zwei CDs haben unterschiedliche Charaktere: «A Sea of Honey» ist klassischer und zeitloser in den Stücken, poppiger, frecher und ein gutes Aufwärmen und Vorbereiten auf «A Sky of Honey», der zweiten CD. Da wird Kate Bush doch konkreter in der Definition, was ein mystisches Popexperiment sein könnte. Man muss gut hinhören, um all die Feinheiten wahrnehmen zu können. Aber der Frühling ist garantiert. Da Kate Bush Kate Bush ist und auch klingt wie Kate Bush, kann man keine Wertung machen. Sie produzierte schon immer musikalische Bilderbücher, Geschichten, die so klingen, wie die Geschichte verläuft. Da gibt es schöne oder weniger erfreuliche Momente – aber sie gehören zu der Geschichte. Wegstreichen kann man nichts. Auch wenn in elf Jahren voluminösere Erwartungen gereift sind, so ist «Aerial» eine meisterliche Überraschung. Die Kraft liegt diesmal in der nicht ausgespielten Möglichkeit. Fast penetrant halten sich die MusikerInnen zurück, spielen fast liegend, in einer verstörenden organischen Verhaltenheit. Man hat zuweilen das Gefühl aus dem Timing zu springen. Kate Bush wiederum, mit ihrer vertrauten Stimme, zaubert darin mit feinen und skurrilen Texten. Auch das ist verwirrlich. Und gerade weil alles so unbegreiflich ist, diese ungekünstelte Mystik in uns eindringt und uns einnimmt, wird das Doppelalbum zur Sucht. Wer sich darauf einlässt wird sein eigener Gefangener. Mit «Aerial» hat Kate Bush nach so langer Zeit wieder unerreichbar unbegreifliche Musik in mystischen Nebel oder in eine Frage gesetzt. Wenn man bedenkt, dass es eigentlich Pop-Musik wäre und ist, taucht man erstaunt gleich nach den ersten Takten ein und entschwindet dieser Welt. Festhalten oder klassieren kann man Kate Bush nicht und es ist ein Segen. (vl)

■ Ich kannte Neil Diamond aus dem Soundtrack zu Jonathan Livingstons Seagull («Die Möwe Jonathan»), welche meine Eltern noch als Langspielplatte in der Sammlung hatten. Als vielleicht fünfjähriges Kind spielte ich diese Platte rauf und runter – irgendwie angetan und unersättlich. Viel später kaufte ich mir sogar die CD – einfach weil die Musik tiefe Bilder in meiner Erinnerung hinterlassen hatte. Für mich waren der amerikanische Songwriter und das Urgestein der bombastischromantischen Kitschmusik schon längst ausgestorben geglaubt. Umso überraschter war ich, als ich hörte, dass er jetzt ein neues Album herausgegeben und dies sogar auf Virgin Radio (England), und als «album of the year 2006» nominiert wurde. Neil Diamond war in den 60er Jahren ein ErfolgsSongschreiber und hat «the Monkees» und vielen anderen Bands und Sängern Songs verkauft. Aber auch sicher selber konnte er immer in den Top Ten halten. Was sich in den «12 Songs» abspielt ist nun aber alles andere als kitschig. Natürlich, einen grossen Teil seiner romantischen Seele hat Neil Diamond nie hergegeben, doch Rick Rubin – ein grossartiger und staubtrockener Produzent – hat aber den Diamant geschliffen und in ein neues Licht gerückt. Neil Diamond, in diesem Jahr 65 Jahre alt, hat wohl das brillanteste aller seiner Produktionen geschaffen. Wir geniessen Songs mit einer unerreichten Erfahrung im Songwriting. Virgin Radio hatte recht, das Album ist ein Versprechen. Und vielleicht mag es an Johnny Cash erinnern und als Kopie erscheinen, doch dass dieser Mann nach so vielen Jahren noch so viel Klasse aufweist, ist phantastisch. Anders betrachtet, kommt dieses Album im perfektesten Moment auf den Markt – eben wegen Johnny Cash. Reinhören ist ein Muss und lassen Sie sich überraschen. (vl)

■ Wenn Schönheit ein musikalischer Begriff wäre, so würden wir sie wie Anouar Brahem besingen. Anouar ist kein unbeschriebenes Blatt mehr. Zusammen mit Rabih Abou-Khalil und Dhafer Youssef gehört er zu den grossen Oud-Spielern, welche dieses Instrument aus dem Schatten der Dattelpalme geholt haben. Als geborener Tunesier (1957) und hat er bei Al Sriti, seinem Musiklehrer und Meister, klassische arabische Musik studiert. Aber Anouar ist ein Reisender, welcher nie an den gleichen Ort zurückkehrt und jeder Schritt heisst Entwicklung, ist Dankbarkeit und Demut. Nur so kann erklärt werden, mit welch Innigkeit er die Oud und seine Kompositionen in diesen Glanz erheben kann. Die Zusammenarbeit mit Manfred Eicher und dem ECM-Label war schon fast geschriebene Prophezeiung. Mit «Le voyage de Sahar» spielt er mit zwei ebenso skurrilen, wie grandiosen Musikern zusammen. Das ist zum einen Jean-Louis Matinier, der mit dem Akkordeon einen so feinen und sensiblen Klang trifft, mit Zärtlichkeit um den Bauchnabel streichend, dass wir nicht erkennen, ob er es nicht wirklich tut. Die Kombination Akkordeon mit der Oud übertrifft bei weitem die Erotik eines argentinischen Bandoneóns. Wenn dann François Couturier noch mit dem Piano dazutrifft, entfährt uns nur noch ein seliger Seufzer. Wenn Schönheit ein musikalischer Begriff wäre, so würde er wie «Le voyage de Sahar» klingen. Nichts bricht aus, nichts entgleitet der Führung, nichts fühlt sich zufällig an. Wir spüren den Sand unter den Füssen, blicken in die Weite und werden zu Entdeckern der Wüste. Es riecht nach dicken Zeltstoffen und es knistert zwischen den Zähnen. Die Musik weckt die Neugierde und führt den Traum. Die Schönheit verschlägt einem zuweilen den Atem. «Le voyage de Sahar» ist bisher das stärkste und perfekteste Album von Anouar Brahem überhaupt. Man kann gespannt sein, auf welche Reise er uns noch einladen wird. Dies hier ist nur eine Oase, doch sein Weg wird noch weiterführen. Geniessen wir den Moment. Anouar Brahem – Le voyage de Sahar // ECM 1915


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M U S I K

april im marians jazzroom Im Rahmen des 31. Internationalen Jazzfestivals Bern 2006

SARAH ELENA SCHWERZMANN

FRÜHENGLISCH KOMMT ZU SPÄT ■ Es ist ja wirklich unglaublich, wie es um unsere Englischkenntnisse steht. Vor nicht allzu langer Zeit habe ich mich ab einem deutschen Auslandjournalisten totgelacht, der eine Rede von Bush zusammenfassen sollte und «homeland security», womit die Sicherheit innerhalb eines Landes gemeint ist, mit «Heimatschutz» übersetzt hat. So stupide und anspruchslos wie Medien im heutigen Zeitalter sein können, ist diese Übersetzung eins zu eins übernommen worden und man durfte in der Zeitung lesen, dass die CIA doch tatsächlich eine «Abteilung für Heimatschutz» hat. Ich kann mir gut vorstellen wie irgendwelche Agenten Vögelchen, die vom Aussterben bedroht sind, nachjagen und Sprayer, die an geschützten Gebäuden ihre Kritzeleien hinterlassen nach Guantánamo verfrachten. Doch seit letztem Samstag, dem 18. März dürfen auch wir Schweizer uns in Grund und Boden schämen. Auf unserem Lieblings- weil einziger nationaler Sender wurde eine tolle Show mit einem ehemaligen Sportmoderator, der bei einem anderen Sender schon lange weg vom Fenster wäre, ausgestrahlt. Ich sitze also um drei Uhr nachts vor dem Fernseher und zappe in die Wiederholung rein. Geputzt und geschniegelt steht dort der Moderator und fragt Sängerin Pink nach ihrem Auftritt: «Haben Sie eigentlich nicht Angst, ihre Stimme mal zu verlieren?». Und sie sagt: «No, I have a naturally hoarse voice.» Und was macht unser Sprachgenie? Er übersetzt, und zwar so: Ach ne, davor habe sie keine Angst, sie habe ja schliesslich eine Stimme wie ein Pferd.» Meine Dolmetschprofessorin wäre wohl aus dem Fenster gesprungen, wenn sie das gehört hätte. Ich meine, okay, wenn man gerade mal einen Sekundarabschluss hat, kann es gut sein, dass man zwischen einer rauen und einer Pferdestimme auf phonetischer Ebene keinen Unterschied machen kann. Es klingt ja schon sehr ähnlich. Nur eine Frage hätte ich noch: Wie bitte klingt eine Pferdestimme bei einem Menschen? Antworten und Interpretationen bitte an sarah@de-bug.de

ERNESTINE ANDERSON

JIM HALL / GEOFFREY KEEZER DUO

■ Ernestine Andersons (voc) Musik basiert auf dem Mainstream. Sie interpretiert World-Jazz, Pop-Standards und Blues. Meist gastiert sie mit kleinen Besetzungen oder mit Bigbands. 1943 sang sie bereits als Teenager mit der «Russell Jacquet`s Band». Auf Ihrer ersten Single begleitete sie fünf Jahre später das «Shifty Henry Orchestra». In den Fünfzigern verschrieb sie sich voll dem Jazz und arbeitete mit Milt Jackson, Quincy Jones und Gigi Gryce. Nachdem Ray Brown Ernestine Anderson auf dem «Turnwater Festival 1975» in Kanada beobachtete, wurde er ihr Manager und daraus resultierte schliesslich ein Vertrag mit Concord Records. Ernestine Anderson ist heute einem sehr breiten Publikum bekannt. Mit ihrer biegsamen Stimme, in der alle Nuancen von zärtlich und gefühlvoll bis ruppig und rau mitschwingen, ist Ernestine Anderson eine der vielseitigsten und wandlungsfähigsten Jazz-Vokalistinnen, die aus der Big Band Zeit hervorgegangen ist. In ihr lebt ein lebensbejahender Blues mit spürbar tiefen Gefühlen. Eric Reed (p), ca. 35ig, muss zu den grössten Hoffnungsträgern der aktuellen internationalen Jazzszene gezählt werden. Er agiert mit Feuer und Einfallsreichtum, wobei der regelmässige Dynamik- und Rhythmuswechsel den Einfluss zeigen kann, den Ahmad Jamal als Vorbild auf Reed hatte und hat. Reed besitzt eine überragende Technik, die aber immer höchst musikalisch eingesetzt wird.

■ Jim Hall, geb. 1930, ist ein US-amerikanischer Jazzgitarrist und Komponist. Er hat unter anderem Platten mit Bill Evans, Ron Carter, Sonny Rollins und vielen weiteren Grössen aufgenommen. Bedeutende Kollegen nennen ihn den grössten lebenden Gitarristen des Jazz!

Ernestine Anderson, voc / Jeff Rupert, ts / Michael Mossman, tb / Terell Stafford, tp / Eric Reed, p / Gerald Cannon, b / Willie Jones III, dr Dienstag, 4. April - Samstag, 8. April 2006, 19:30 und 22:00 h.

RON CARTER QUARTET ■ Ron Carter, geboren 1937 in Michigan (USA), ist ein Jazz-Bassist. Mit über 2500 Alben ist er einer der meistproduzierten Bassisten der Jazzgeschichte. Seine Karriere begann im Miles Davis Quintett der frühen 1960er mit Herbie Hancock, Wayne Shorter und Tony Williams. Carter auch in Soloprojekten aktiv, spielte und produzierte des weiteren auch mit Antonio Carlos Jobim, McCoy Tyner, Stan Getz, Coleman Hawkins, Horace Silver, Kenny Burrell, und vielen anderen bedeutenden Jazzmusikern. Auch als Bandleader spielte er mehr als 20 Alben ein und ist ebenso zu hören auf dem einflussreichen Low End Theory der alternativen Hip-Hop Group «A Tribe Called Quest». Ron Carter lehrt an der Eastman School of Music. Ron Carter, b / Stephen Scott, p / Payton Crossley, dr / Rolando Morales-Matos, perc Dienstag, 11. April - Samstag, 15. April 2006, 19:30 und 22:00 h.

Jim Hall, g / Geoffrey Keezer, p Dienstag, 18. April - Samstag, 22. April 2006, 19:30 und 22:00 h.

NICHOLAS PAYTON QUARTET ■ Nicholas Payton wurde 1973 in eine Musikerfamilie hineingeboren. Im Alter von 4 Jahren lehrte der Vater Nicholas das Trompetenspiel, mit 9 erhielt er erstmals die Möglichkeit, bei der Young Tuxedo Brass Band mitzuspielen. Mit 12 beeindruckte der junge Payton Wynton Marsalis, der seinen Vater anrief, indem er ihm spontan etwas über‘s Telefon vorspielte. Nicholas spielte auch im historischen französischen Viertel von New Orleans, wo er auch an den Mardi Gras-Paraden teilnahm. Wendell Brunious beeinflusste Payton in eine Verschmelzung von traditioneller New Orleans-Musik mit Bebop. Payton fühlt sich von Musikern angezogen, die es verstehen, Gefühle zu transportieren und so wurde er natürlich auch stark von Louis Armstrong und Miles Davis inspiriert. Payton graduierte am New Orleans Center for the Creative Arts und mit 16 spielte Nicholas bereits mit dem Pianisten Marcus Roberts. Clark Terry, Art Blakey und Carl Allen waren andere Musiker, mit denen der junge Payton zusammen arbeitete. 1992 wurde Payton ein Mitglied von Elvin Jones‘ Band. Schon bald übernahm er, erst 19-jährig, die Position des musikalischen Direktors. Eine Funktion, die er bis 1994 ausübte. In der Zeit spielte u. a. auch Ravi Coltrane in Elvin Jones‘ Band. Payton sammelte hier erstmals Erfahrung mit einer regulär-tourenden Band. Daneben spielte er im Jazz at Lincoln Center Orchestra, mit dem er ebenfalls umherreiste, und trat in der Carnegie Hall Jazz Band sowie mit den Newport Jazz Festival All Stars auf. 1996 trug Payton zum Soundtrack von Robert Altmans Film «Kansas City» bei, in dem er auch auftrat. (nr) Nicholas Payton, tp / Danny Grisset, p / Vincente Archer, b / Marcus Gilmore, dr Dienstag, 25. April - Samstag, 29. April 2006, 19:30 und 22:00 h.


D I V E R S E S

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STADTLÄUFER ■ nr. 19 // bestandesaufnahme. In der letzten offiziellen Winterwoche hat mich die Erkältungswelle doch noch erwischt, und so steht die Sonne schon hoch am Himmel, als ich mich aus dem Bett bemühe. Die Sonne? Draussen ist es verdächtig warm, ich höre Vogelgezwitscher und Kindergeschrei und entschliesse mich trotz Gliederschmerzen zu einem Spaziergang. Ich will herausfinden, ob es von gestern auf heute wirklich Frühling geworden ist. Eine erste Bestandesaufnahme scheint dies zu bestätigen. Plötzlich sind all diese Menschen wieder da.

Man kennt sie nicht, nicht persönlich, aber man sieht sie den ganzen Sommer über in Cafés, Parks und in den Freibädern; mit den ersten Sonnenstrahlen tauchen sie wieder auf und spielen Schach in Parks, Fussball auf Wiesen und Gitarre in den Gassen. Auch auf der Pläfä stehen alle Zeichen auf Frühling. Mutig entledigen sich die Sonnenhungrigen ihrer Jacken und Pullover – der Frühling muss ja schliesslich demonstrativ begrüsst werden. Es riecht nach frischen Blumen und frischem Gras. Die Aare schimmert grün und wirkt zum ersten Mal einladend. Und wer lange genug beob-

achtet, bemerkt auch die Veränderung bei Mensch und Tier: Überall wird munter beschnuppert. Doch die ersten Anzeichen der warmen Jahreszeit sind fragil. Der Himmel verdunkelt sich, Wind zieht auf, es sieht nach Regen aus. Im Schatten sieht das Wasser der Aare wieder so kalt aus wie es wirklich ist. Die Menschen ziehen ihre Jacken und Pullover wieder an: So mutig, sich im letzten Moment noch eine Erkältung zu holen, sind sie dann doch wieder nicht. (al)

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K U L T U R

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G E S E L L S C H A F T

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Bild: zVg.

STEPHAN FUCHS

dee letzte seiner art? ■ In dieser Qualität bestimmt! Georgette Dee ist die letzte noch lebende Diseuse. Ein Wort das kaum einer kennt…ausser jene Matrosen die in deutschen Häfen schon vor Anker lagen. Georgette Dee besingt die Matrosen und mit ihnen die Ferne die sich doch so furchtbar gerne nah ankuschelt. Am Saum. Im Mondlicht. Im Schweiss. Auf den Wellen. Nackt. Georgette Dee, dessen Alter ausser einem Berner keiner kennt, ist jetzt schon ein Verlust. Jetzt, wo sie noch lebt und das wird sie noch lange. Und wie. Die Frau ist erwachsen geworden. Oder war sie das schon immer und sie lässt uns erst jetzt daran Teil haben? Verschwunden sind der rote Fummel und das gülden Haar in langer wallender Pracht. Verloren hat Dee damit nichts, dafür gewonnen. Sie ist ehrlicher und emanzipierter geworden – und schlussendlich, sind wir ehrlich, geht es um diese Stimme. Ihre Stimme ist jener Schauer, der auch Nicht-Matrosen die Gischt ins Gesicht schlägt. Auch nicht schwulen Matrosen und Süsswasser- Matrosen wie unsereins. Lassen wir das. Georgette Dee liebt keine Matrosen. Es ist das Leben in all seiner Konsequenz die geliebt sein will – natürlich mit den Matrosen. In all seinen Exzessen, in all seinen Farben und in all seiner tiefen Trauer. Die Trauer über den

Verlust, gleichzeitig süss, fordernd und verlangend. Das Vermissen ist schön, der Schmerz hinreissend. Georgette! Wir haben’s verpasst! Wieso haben wir keine Zigarren geraucht? Wieso haben wir nicht zusammen die Bar geleert, auf den Boden gespuckt wie damals, als der Schauspieler auf der Bühne bis in die fünfte Reihe spuckte, welches dich so berührte? Wieso haben wir nicht über das Boxen im Ring gequatscht und über die Weiber getratscht, wie das richtige Kerle tun? Nun gut, du warst auf Tour, hast dich letzte Woche nur kürzeste Zeit in Bern aufgehalten und mit anderen Jungs an der Museumsnacht über das Töten gesprochen. «Du sollst nicht töten? Sprachgewalt und Schlagkraft... ein biblisches Duell!» Das war sicher auch lustig. Doch dass wir uns nicht trafen, soll kein Verlust sein, wir hätten eh bloss auf den Boden gekotzt, oder zumindest einen himmeltraurigen Morgen erlebt. Ist dies, was Georgette Dee ausmacht? Saufen, rauchen und das bunt? Nein, das ist es nicht. Nicht nur. Vielleicht trinkt die Dame gar nicht. Vielleicht raucht sie nur Damenkippen und keine Havannas. Bei Georgette Dee geht es um einiges mehr. Ihre Stimme verrät, dass sie glaubt, was sie singt. Tief und flammend in diesem Herz, das jeden Tropfen nach aussen zu kehren scheint.

Georgette Dee ist die Reise an den Ursprung der Bretter, welche die grosse Welt bedeutet, ohne selbst zum Abklatsch der guten Zwanziger zu werden. Konsequent. Sie erzählt die Geschichten, die wir verdrängt haben. Die ganz Grossen. Die ganz Aktuellen, die es schon immer waren. Und die, wie auch ihr neues Programm, mehr als doppeldeutig sinnverstanden werden können. «Neben mir: Ich – wie nett!» Kürzlich sass sie auch neben sich auf dem Sofa: «Die Politiker sollen sich besser um die eigentlichen Probleme des Landes kümmern, als die Menschen immer weiter zu gängeln!», meinte sie unlängst in einer TV-Diskussion. Das braucht Mut in einem Geschäft, in dem man sich so leicht demontieren lassen kann. Dee bleibt radikal in allem und offenbar gibt es nun auch ein Leben vor Mitternacht. In der letzten noch lebenden Diseuse steckt subversive Fantasie und das nicht zuwenig. Vielleicht ist dies das Geschenk das wir von Dee bekommen. Jedes Mal, jeden Abend auf‘s Neue an der Bar.

Georgette Dee im PROGR: Am 19., 20. & 22. April um 21:00 h www.georgettedee.de


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L I T E R A T U R

Deutschland über alles

Andere Welten, einen Sommer lang

Frauen kommen, weil die Männer sterben

Jurij Brezan: Der Gymnasiast. Roman.

Truman Capote: Summer Crossing. Roman. Englisch.

Frank Schirrmacher: Minimum. Vom Vergehen und Neuentstehen unserer Gesellschaft.

■ Jurij Brezan, der diesen Juni 90 Jahre alt geworden wäre, ist am 12. März sanft entschlafen. An der Leipziger Buchmesse hätte er lesen sollen, als Zeitzeuge. Er, der schon in seinem stark autobiographisch gefärbten Frühwerk, der Felix-Hanusch-Triologie «Der Gymnasiast» (1958), «Semester der verlorenen Zeit» (1960) sowie «Die Mannesjahre» (1964) die Mannwerdung eines jungen Sorben in gleichzeitiger Abgrenzung und Konfrontation mit seiner deutschen Umgebung schildert, war eine der grossen Stimmen sorbischer Literatur. Felix Hanusch, der sich schon als Kind der Grenze bewusst ist, welche die zumeist sorbische Dienerschaft von ihrer deutschen Herrschaft trennt, erhält als Kind eines Steinbrucharbeiters die Chance, die städtische Schule zu besuchen. Entfremdet ihn sein Bildungsweg zunächst seinen Eltern, lernt er aufgrund der äusseren Ereignisse, die ihren Höhepunkt in der Machtergreifung Hitlers finden, das Volksgut der Sorben und insofern auch seine Herkunftsfamilie schätzen. Wenn er auch zunächst fasziniert ist von jener für ihn unbekannten bürgerlichen Welt, die ein Grossteil seiner Mitschüler auf dem Gymnasium verkörpert, wird ihm immer wieder deutlich gemacht, dass diese Welt nicht die seine ist. Die Beziehung mit dem kommunistischen Aschemädchen Agnes öffnet ihm schliesslich in vielerlei Hinsicht die Augen. Ihm wird klar, dass es nicht reicht, wenn er zwar nicht zum Täter wird, sich aber auch nicht deutlich zu einer anderen Gesinnung bekennt. Diese Erkenntnis führt zu einer noch stärkeren Hinwendung zu seiner ethnischen Herkunft, für die er nun sogar bereit ist, seine Liebe zu der Gutsherrentochter Beate aufs Spiel zu setzen. Was wie ein typischer Bildungsroman beginnt, entpuppt sich zunehmend als Mahnmal für jene ethnischen Minderheiten, die das Dritte Reich zu fressen versucht hat. Glücklicherweise nicht immer mit Erfolg. (sw)

■ Der Name Capote ist zurzeit in aller Munde, umso interessanter, dass im letzten Jahr sein bislang verschollen geglaubter erster Roman «Summer Crossing» bei Random House erschienen ist. Der Autor äussert in einem Interview mit Lawrence Grobel die Überzeugung, den Roman vernichtet zu haben. War Truman Capote bei seinem Romandebüt «Other Voices, Other Rooms» (1948) gerade einmal 23, ist sein nun gefundener Erstling noch in wesentlich jüngeren Jahren entstanden. Nicht von ungefähr erinnert die Protagonistin Grady McNeil an Holly Golightly aus «Breakfast at Tiffany’s», deren Figur für immer mit der Person der unvergleichlichen Audrey Hepburn verknüpft sein wird, obwohl Capote selbst sie als Fehlbesetzung empfunden hatte. Stets angezogen von den Schönen und Reichen, fühlte sich der homosexuelle Autor in Gesellschaft schöner, einflussreicher Frauen am wohlsten. Zu seinen Freundinnen zählten so illustre Namen wie Marilyn Monroe oder Lee Radziwill, die Schwester Jaqueline Onassis’. Grady McNeil nun, Tochter einer einflussreichen New Yorker Familie, steht kurz vor ihrem gesellschaftlichen Debüt, als ihre Eltern sie auf ihren persönlichen Wunsch hin für einen Sommer allein in New York zurück lassen. Schon vor der Abreise ihrer Eltern hat sie ein Verhältnis mit einem Jungen namens Clyde angefangen, welcher nicht ihrer gesellschaftlichen Sphäre entspricht. Unbekümmert setzt sie dieses nun fort, bis hin zu einer überstürzten nächtlichen Heirat. Die Ereignisse überschlagen sich, bis offenbar nur noch ein Ausweg bleibt. Capotes vielgelobte Sprache ist schon in diesem Frühwerk als vollendet zu bezeichnen. Virtuos gelingt es ihm, jene Gesellschaftssphäre einzufangen, in welcher er sich selbst bewegte. Den Rahmen dazu liefert ein überhitztes New York. (sw)

■ «Good bye Europe» titelte die Weltwoche erst kürzlich, insofern vermag der Titel von FAZ-Herausgeber Schirrmachers neuestem Wurf niemanden zu erstaunen. Ausgehend von zwei Ereignissen – demjenigen am Donner-Pass von 1846 einerseits, andererseits jenem von Summerland, einem Vergnügungspark auf der Isle of Man von 1971 – entwickelt der Journalist seine These von der Schicksalsgemeinschaft Familie. Beide Katastrophen beweisen, gemäss Schirrmacher, dass es sich bis zum heutigen Tag bei Familien um sogenannte «Überlebensfabriken» handelt. Nicht die waghalsigen männlichen Einzelgänger sind es, welche sich ihr eigenes Überleben zu sichern vermögen, sondern insbesondere jene Familien, die über die meisten Mitglieder verfügen. In einem Europa mit von Jahr zu Jahr tieferen Geburtenraten sind Schirrmachers Aussagen ein Schlag ins Gesicht. Die Überlebensfabrik Familie wurde bei uns von Vater Staat abgelöst - einem Vater jedoch, der ohne zahlreiche Kinder nicht finanzierbar ist. Diese Kinder nun werden, folgen wir der Argumentation des Journalisten, keine europäischen sein oder nur dann, wenn es uns gelingt, Ethnien mit höheren Geburtenraten zu integrieren. Im Zentrum des Buches stehen, neben den schwindenden Familien, die Frauen, welchen in einer Zeit der Auflösung die Rolle der sozialen und kulturellen Bewahrerinnen zukommt. In diesem Zusammenhang bedient der Frankfurter jedoch auch antiquierte Klischees: So führt er zwei brasilianische Dörfer an, deren Geburtenraten innerhalb kurzer Zeit in dramatischer Weise gesunken sind, was offenbar mit dem regen Konsum der brasilianischen Frauen von Telenovelas in Relation stehe. Galten im letzten und vorletzten Jahrhundert romanlesende Frauen als gesellschaftsgefährdend, sind es nun offenbar Konsumenteninnen der täglichen Vorabendserien. In der Schirrmacherschen Zukunft müssen sich Frauen zumindest nicht nicht mehr in einer von Männern dominierten Welt behaupten, viel mehr werden sie dann die Mehrheit der Bevölkerung stellen. (sw)

Breznan, Jurij: Der Gymnasiast. Roman. Verlag Neues Leben. Berlin 2006. ISBN-10: 3-355-01714-0.

Capote, Truman: Summer Crossing. Roman. Englisch. Random House. New York 2006. ISBN 1-4000-6522-4. Im April 2006 erscheint der Roman in deutscher Übersetzung. Auch empfehlenswert: Capote, Truman: Ich bin schwul, ich bin süchtig, ich bin ein Genie – ein intimes Gespräch mit Lawrence Grobel. Diogenes Verlag. Zürich 1986. ISBN 3 257 21606 8.

Schirrmacher, Frank: Minimum. Vom Vergehen und Neuentstehen unserer Gesellschaft. Karl Blessing Verlag. München 2006. ISBN 10: 3-89667-291-6.


K I N O

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Bild: zVg.

SONJA WENGER

the secret life of words ■ «The secret life of words» ist ein stiller, zutiefst bewegender Film darüber, wie der Mensch mit seiner Vergangenheit umgeht und der Frage, ob es möglich ist, durch Liebe und Verständnis die seelischen Wunden von Kriegsopfern heilen können. Hanna (Sarah Polley) ist beinahe taub und lebt in einer abgeschotteten, klinisch sauberen, bis ins letzte Detail geregelten Welt. Als ihr Vorgesetzter sie quasi dazu zwingt, einmal Urlaub zu nehmen, lässt sie sich auf einer Ölbohrinsel im graukalten Atlantik als Krankenschwester anstellen. Sie soll den bei einem Feuer schwer verletzten Josef (Tim Robbins) so lange pflegen, bis er transportfähig ist. Das Zusammenleben mit den Eigenbrötlern der Insel öffnet Hanna eine völlig neue Welt und aus der anfänglich professionellen Distanz zu Josef entwickelt sich bald eine für beide überraschende Intimität. Sie geht soweit, dass sie einander in ihre Geschichten einweihen, was für Hanna jedoch auch den Abbruch der Beziehung bedeutet. Als Josef wieder gesund ist, macht er sich auf die Suche nach Hanna. Nach «My life without me» ist dies die zweite Zusammenarbeit der kanadischen Schauspielerin Sarah Polley mit der spanischen Regisseurin Isabel Coixet. Auszüge aus einem Interview mit der Regisseurin. Sonja Wenger: Frau Coixet, worum geht es in wenigen Worten in diesem Film? Isabel Coixet: Es geht um das Überleben. Wie ein menschliches Wesen durch die Hölle (der Folter) gehen muss und mit diesen Erfahrungen umgeht. Als ich ein Kind war, habe ich mich immer gefragt, was in Menschen vorgeht, die in einem Konzentrationslager waren. Ich dachte: Sie haben überlebt und nun wird ihr Leben wieder wunderbar sein. Erst Jahre später realisierte ich, dass für diese Menschen danach nur eine andere Art der Hölle beginnt. So wie Hannas Therapeutin im Film einmal sagt: «Die Scham, noch am Leben zu sein». Hanna wird im real existierenden Internationalen Zentrum für

die Rehabilitierung und Beratung von Folteropfern (IRCT) in Dänemark betreut. Wie ist dieser Bezug entstanden? Nach meinem letzten Film «My life without me», bot man mir an, einen Dokumentarfilm über eine Nichtstaatliche Organisation zu machen. Ich hatte Jahre zuvor ein Interview mit der Gründerin des IRCT, Inge Genefke, gehört und war sehr beeindruckt von ihr. Diese Organisation kämpft auf zwei Ebenen: Zum einen auf der politischen, indem sie ganz direkt gegen die Folter kämpft, zum anderen entwickelt sie Therapien, um Folteropfern zu helfen. So kam ich für Interviews mit ihr nach Kopenhagen und habe dort und in Sarajewo, wo das IRCT ein Center hat, auch mit vielen Folteropfern direkt gesprochen. Als ich nach Spanien zurückkehrte, haben mich diese Geschichten nicht mehr losgelassen. Es war aber nie meine Absicht, einen Film über den Balkan oder den Krieg zu machen. Ich glaube nicht, dass man das als aussenstehende Person kann, zu diesem schweren Thema fehlte mir auch der Bezug. Was ich aber mitbrachte, war eine grosses Wissen über das Leiden, denn ich empfinde schon seit meiner Kindheit eine grosse Empathie für Menschen, die gelitten haben. Ich weiss aber nicht, weshalb das so ist. In meinem Leben gab es nie eine grosse Tragödie. Wie gehen sie mit dieser Empathie um? Ich weiss es nicht. Aber als wir diese Dokumentation gemacht haben, konnten wir abends kaum darüber sprechen. Man hört all diese schrecklichen Geschichten und weiss gleichzeitig, dass man diesen Film machen und sich irgendwie davor schützen muss. Jeder Therapeut auf der Welt weiss, dass man einem Menschen nicht helfen kann, wenn man selber schwach ist. Ich sehe diese Fähigkeit als ein Geschenk. Sie haben die Rolle speziell für Sarah Polley geschrieben. Wie kann man sich die Zusammenarbeit mit einer solchen Schauspielerin oder mit Tim Robbins vorstellen?

Mit guten Schauspielern ist die Arbeit sehr viel einfacher, denn sie stellen immer die richtigen Fragen. Tim ist einer dieser wenigen Schauspieler, die an einem Punkt in ihrer Karriere stehen, in denen sie nur noch Rollen annehmen, die sie auch persönlich herausfordern. Und Sarah ist für mich eine der besten Schauspielerinnen dieser Generation. Es gab nur etwas, was mir wirklich Sorge bereitet hat. Ich wusste, dass beide perfekt für die Rollen sein würden. Aber was würde passieren, wenn sie zusammen kommen? Denn sie haben sich vorher nicht gekannt. Ich erinnere mich, dass Tim einen Tag, nachdem George Bush wiedergewählt worden war, für die erste Drehbuchlesung ankam. Entsprechend war er in einer ziemlich miesen Stimmung. Als wir die beiden das erste Mal zusammen sahen, dachten wir, dass dies niemals funktionieren kann. Man muss sich den physischen Unterschied vorstellen. Sarah ist diese zierliche kleine Frau und Tim... Aber vom ersten Moment an, als wir das Skript lasen, entstand diese unglaubliche Chemie zwischen den beiden und das war phantastisch! Mehr Informationen zum IRCT finden Sie unter www.irct.org. Der Film dauert 112 Minuten und kommt am 6.4.2006 in die Kinos.


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INSIDE MAN ■ Der US-amerikanische Regisseur Spike Lee («Malcom X», «25th Hour») hat mit seinem neuesten Film «Inside Man» einen ungemein spannenden Thriller über den perfekten Bankraub geschaffen. Bereits in der ersten Einstellung wendet sich Dalton Russel (Clive Owen), der brilliante Kopf der Bankräuberbande, direkt an das Publikum und ermahnt es, auf jedes Detail zu achten, denn er «wählt seine Worte mit Vorsicht und wiederholt sich niemals.» Und vom ersten Moment an füttert der Film das Publikum mit Informationen, bietet der Geschichte viel Raum für gute Action, für subtilen Humor und spannt mit ständigen Wendungen einen Bogen zu einem überraschenden Ende. Denzel Washington als dynamischer Detective Keith Frazer ist Russels Gegenspieler. Dass ihm dieser stets ein Schritt voraus zu sein scheint, betrachtet er als persönliche Herausforderung. So sind die Begegnungen zwischen den beiden Protagonisten geprägt von gegenseitigem Respekt und dem Kitzel, wer von beiden schneller den nächsten Schritt vorausahnt. Spike Lee sagte in einem Interview einmal: «Ich respektiere die Intelligenz des Publikums sehr und deswegen gebe ich mich nicht mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner zufrieden». Das der Regisseur bei diesem Film nicht nur den üblichen Aufbau eines Thrillers mit chronologischem Aufbau und Schwarz-Weiss-Malerei ignoriert, sondern eine ganz eigene Handschrift entwickelt hat, zeigt sich unter anderem auch in der Musik-Wahl. Mit einem irritierenden, aber faszinierenden «Bollywood meets Rap» als Einstieg, setzt er Akzente, die neugierig machen, nur um dem Film selbst noch einmal einen anderen Dreh zu verleihen. Mit visuellen und musikalischen Referenzen schafft Lee zusätzlich eine Hommage an das Kino der Siebziger Jahre wie beispielsweise «Dog Day Afternoon» mit Al Pacino. Neben dem charismatischen Owen und Washington haben aber auch Christopher Plummer als Bankbesitzer Arthur Case mit düsterer Vergangenheit, und Jodie Foster als obskure Verbindungsperson zwischen Chase und Russel sichtlich Freude an den intelligenten Dialogen und bieten originelle Unterhaltung. (sjw) Der Film dauert 124 Minuten und ist seit dem 23.3.2006 in den Kinos.

Bild: zVg.

SONJA WENGER

v for vendetta ■ «Remember, remember, the Fifth of November» – Am 5. November 1605 wurde in London der legendäre Saboteur Guy Fawkes hingerichtet, der das britische Parlament in die Luft jagen und mit dieser symbolischen Tat der Verfolgung der Katholiken in England ein Ende setzen wollte. Vor diesem historischen Hintergrund zieht der Film «V for Vendetta» den Bogen in eine nahe, erschreckend nachvollziehbare und düstere Zukunft Grossbritanniens, dessen Bevölkerung unter der Überwachung eines totalitären Regimes leidet. Die Menschen sind eingeschüchtert, manipuliert und stehen unter ständiger Kontrolle. Das kleinste Aufmucksen hat schwerste Strafen zu Folge und die Methoden der Polizei erinnern sehr an die Militärdiktaturen von faschistischen Ländern. Die Meinungsfreiheit ist inexistent, das Kulturleben untersteht einer Totalzensur und Religionsfreiheit ist ein Fremdwort. In dieser Atmosphäre der Angst lebt Evey (Natalie Portmann) ein ereignisloses Leben bis zu dem Moment, als sie von Spitzeln der Regierung bedroht wird und der unter einer Maske von Guy Fawkes versteckte Rächer V zufälligerweise rettend zur Stelle ist. Als V kurz darauf die staatliche Fernsehanstalt in seine Gewalt bringt und der Bevölkerung seine Pläne mitteilt, am 5. November Fawkes Vorhaben in die Tat umzusetzen, begegnet er Evey erneut. Da sie nun als seine Komplizin gilt und von der Regierung verfolgt wird, nimmt V sie mit in seine Welt. Evey ist anfänglich von Vs Freiheit des Denkens und seinem Wissen beeindruckt, doch seine Pläne bleiben ihr suspekt. Sie lehnt seinen Feldzug ab, sich an all jenen zu rächen, die ihn für medizinische Experimente missbraucht haben und ihm nicht nur sein Gesicht, - der Grund weshalb er eine Maske trägt - sondern auch seine Menschlichkeit genommen haben. Doch sie muss realisieren, dass sie nicht in ihr altes Leben zurückkehren kann. Als ein Freund (Stephen Fry) sich öffentlich gegen den diktatorischen Kanzler Sutler (John Hurt) stellt, wird er von der Polizei in den Nacht aus seinem Haus entführt

und auch Evey fällt ihnen offenbar in die Hände. «V for Vendetta» basiert auf der Comicgeschichte von David Lloyd, die 1988 zum ersten Mal als Gesamtausgabe im Vertigo Verlag publiziert worden war. Andy und Larry Wachowski, die «Matrix-Macher», schrieben das Drehbuch und James McTeigue gibt mit dem Film sein Regiedebüt. Wem die Stimme unter der Maske vertraut vorkommt, möge sich an den australischen Schauspieler Hugo Weaving (Agent Smith aus der Matrix-Trilogie) erinnern. Ihm gelingt es hervorragend, der unbeweglichen Maske von V nur mit seiner Stimme Leben und Charakter einzuhauchen. Der Film krankte leider wie bereits «Matrix Reloaded» und «Matrix Revolutions» an einer Überdosis Dialog. Das führt streckenweise zu der Irritation, ob es sich bei «V for Vendetta» denn nun um eine Action-ComicVerfilmung oder eher um ein visionäres Moraldrama handelt. Nichtsdestotrotz ist der Film kurzweilig und unterhaltsam, eine düstere Zukunftsvision aber nicht ohne Hoffnung. V möchte vor allem die Bevölkerung aufrütteln und sagt einmal: «Nicht das Volk sollte Angst vor der Regierung haben, sondern die Regierung vor dem Volk». Wenn man bedenkt, dass wir in einer Zeit leben, deren politisches Klima der Angstmache, Paranoia und Unsicherheit beinahe identisch ist mit der Ausgangslage des Films, dann bekommt die Geschichte noch eine zusätzliche Bedeutung. Die Darstellung von «Big Brother is watching you», Orwells Visionen und rassistischer Hetze erinnert nicht nur an «1984» und die Nazis, sondern in einem bedenklichen Ausmass auch an die Einschränkungen von Freiheit und Bürgerrechten in unserer Zeit. In diesem Sinne ist «V for Vendetta» vor allem auch ein gelungenes Plädoyer dafür, den Mächtigen immer wieder auf die Finger zu schauen. Der Film dauert 132 Minuten und ist seit dem 16.3.2006 in den Kinos


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TRATSCHUNDLABER Bild: zVg.

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breakfast on pluto ■ Der irische Regisseur Neil Jordan («The Crying Game», «Interview with a Vampire») hat mit «Breakfast on Pluto» einen liebevollen und witzigen Film geschaffen, der vor allem durch den Mut und die Hingabe des Hauptdarstellers Cillian Murphy («28 Days later», «Red Eye») beeindruckt. Doch auch die exquisite Besetzung der Nebenrollen liest sich wie das Who’s Who des irischen Film- und Musikgeschäfts. Liam Neeson, Stephen Rea, Brian Ferry, Brian Gleeson und Gavin Friday, der sich auch verantwortlich zeichnet für die Musik des Films, die eine eigene und essentielle Rolle spielt. Patrick Braden wird als Baby vor der Türe des katholischen Dorfpfarrers (Neeson) ausgesetzt und nicht die Spatzen, sondern zwei Rotkehlchen pfeifen es von den Dächern, dass Vater Liam diesen Namen mehr als nur in kirchlicher Hinsicht verdient. Patrick wächst bei einer konservativen Pflegefamilie auf und realisiert schon früh, dass er anders ist, denn er besitzt ein unwiderstehliches Flair für Frauenkleider und Make up. Doch statt dieses Bedürfnis zu unterdrücken, umarmt er seine Einzigartigkeit und lebt seinen Hang zum Transvestitismus in vollen Zügen aus. Mit herzerwärmendem Charme und inspirierender Intelligenz schafft es Patrick, der sich selbst «Kitten» nennt, dass nichts und niemand ändern kann, dass er – also sie - so ist, wie sie ist. Mit ihren Freunden, der wilden Charlie (Ruth Negga), dem behinderten Lawrence (Seamus) und dem rebellischen Irwin (Laurence Kinlan) lebt Kitten in ihrer eigenen Welt und philosophiert schon mal mit einer Gruppe von Harley-Bikers über den Sinn des Lebens und den astralen Highway zum Planeten Pluto. Charlie und Irwin werden früh ein Paar, doch als die IRA Anfang der siebziger Jahre neu erstarkt, wird Irwin in ihren Bann gezogen, was ihn später das Leben kosten wird. Als Kitten die Engstirnigkeit im nordirischen Hinterland zu viel wird, macht sie sich auf nach London, um ihre Mutter zu suchen, von der sie nicht mehr weiss, als ihren Namen und dass sie «von der grössten Stadt der Welt verschlungen worden ist».

Kittens Reise ist jedoch erst der Anfang einer Geschichte voller Wendungen und surrealen Überraschungen. Durch ihr neugieriges und freundliches Wesen – das man aber nicht mit Naivität verwechseln sollte – stolpert Kitten zwar von einem Schlamassel in den anderen. Doch genau diese Charaktereigenschaften sind es auch, die sie schützen und ihr immer neue Menschen über den Weg laufen lässt, die sich ihrer annehmen, mal mit guten, mal mit schlechten Absichten. So findet sich Kitten unter anderem als Indianer-Squaw auf der Bühne wieder, als Assistentin eines Kleinvarieté-Zauberers oder als Verdächtige bei einem IRA-Bombenanschlag, bis sie in die Prostitution abrutscht und schliesslich von einer Gruppe Stripperinnen aufgenommen wird. Als sie dort eines Tages überraschenden Besuch von Vater Liam erhält, erfährt sie endlich die Adresse ihrer Mutter. Unter dem Vorwand, eine Umfrage durchführen zu wollen, lernt sie ihre Mutter kennen, kann sich aber nicht überwinden, ihre Identität preiszugeben. Kitten kehrt nach Nordirland zurück, um der schwangeren Charlie beizustehen und sich mit Vater Liam auszusöhnen, nur um am Ende mit Charlie und dem Baby nach London zurückzugehen. Ihre Heimat ist noch nicht bereit, Menschen wie Kitten zu akzeptieren. «Breakfast on Pluto» ist eine Geschichte über das Anderssein, über das Suchen, Verlieren und Finden von Liebe und Freundschaft. Gepaart mit einem wahren Farbenfest der visuellen Ausstattung und einem fulminanten Soundtrack, lässt der Film die Aufbruchstimmung im Irland und Britannien der siebziger Jahre wieder auferstehen und zeigt, dass Männer manchmal wirklich die schöneren Frauen sein können. Der Film dauert 129 Minuten und ist seit dem 16.3.2006 in den Kinos.

■ Geld regiert die Welt, das ist nix Neues. Doch bis anhin konnte man immerhin sicher sein, dass für den Lidschatten aus dem Bodyshop keine Äffchen im Labor gequält wurden. Doch dieses gute Gewissen ist jetzt futsch – der Kosmetikgigant L’Oréal hat vor kurzem die Firma Bodyshop aufgekauft. Wem darüber nun die Tränen kommen, kann sich aber leicht wieder aufmuntern mit dem Lesen der bunten Schweizer Blätter. Die haben letztens ein ungeheures Humorpotential entwickelt. Da finden sich Brüller wie: «Wir essend die Vogelgrippe weg» oder es wird sinniert über die Frage: «Müssen Tokio Hotel eigentlich nicht zur Schule?». Auch gut ist: «Eine Kuh macht muh...Michelle Hunziker macht Werbung für die Schweizer Bauern.» oder der erstaunte Unterton bezüglich des Fakts, dass Salman Rushdie mit einem Model verheiratet ist. Das sei der «lebende Beweis, dass Intellekt auf Frauen halt doch erotisch anziehend sein muss.». Da sage noch ein Mensch, die SchweizerInnen hätten keinen Humor! Ganz neu hingegen ist die Information, dass die böse US-Regierung nun ihre Gefangenen in Guantánamo mit Songs von Eminem foltert. Obwohl es da noch etwas Besseres gibt. Im Interview mit Vera Dillier, der «letzten Überlebenden des Schweizer Jetsets» schreibt die SI nämlich: Ihr Chihuahua-Rüde Macho (12) diktiere ihr zurzeit ein Buch über sein «Leben als Mexikaner in der Schweiz». Bei ihr zuhause sehe es aus, «wie bei Saddam Hussein», so Dillier und Botox hält sie für die «genialste Erfindung aller Zeiten». Auf die Frage nach dem Alter antwortet sie: «Ich frage Sie ja auch nicht nach Ihrem Bankkonto.» und besonders treffend im gleichen Gespräch: «Wissen Sie, ich habe es nicht gerne vulgär.» Immerhin kann sie mit Fug und Recht behaupten, nicht zu heucheln. Dazu ist sie zu blöd. Als Gegenmittel unbedingt zehnmal hintereinander schnell Chihuahua sagen! Zugegebenermassen den Vogel abgeschossen (oho!) hat im März allerdings die US-Ausgabe der ELLE: Der Schreiberin eines Leserbriefes mit dem Namen Lumiere Chieh wurde Folgendes geraten: «Mit diesem Namen sollten Sie sich in Leder kleiden und eine Karriere als Pornostar in Betracht ziehen...». Offen bleibt, ob das tatsächlich eine Überlegung wert ist oder ob die Entschuldigung: «das war doch ironisch gemeint» nur das neue und beliebte Deckmäntelchen für Ehrlichkeit ist.


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D A S

A N D E R E

K I N O

www.cinematte.ch / Telefon 031 312 4546

www.kellerkino.ch / Telefon 031 311 38 05

www.kinokunstmuseum.ch / Telefon 031 328 09 99

Un Autre Monde Als Rahmenprogramm zur gleichnamigen Foto-Ausstellung im Kornhausforum präsentieren wir einen kleinen Querschnitt durch das Filmschaffen auf dem schwarzen Kontinent mit Werken, welche sich durch ihre besondere Bildsprache hervorheben: Delwende Ganz der schnörkellosen, direkten Erzähltradition des westafrikanischen Kinos verpflichtet, erzählt S. Pierre Yaméogo von Männerherrschaft, dem Diktat des Brauchtums und dem Aufbegehren einzelner Frauen. Hyènes Grossartiger Film zu den fatalen Folgen von «Macht und Wahnsinn». Ein irritierendes ästhetisches Hybrid, als Parabel über Kolonialismus und Konsumismus, deren tückische Ironien sich einfacher Deutung widersetzen. Lumumba Die Geschichte von Patrice Lumumba, einer der wichtigsten Figuren der schwarzafrikanischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Ta Dona Auf der einen Seite steht die Suche eines jungen Mannes nach der vollkommenen Weisheit. Im Gegensatz dazu steht die autoritäre Regierung: Ihr repressiver Kampf gegen die Brandrodung erfolgt ohne jeden Respekt vor der Landbevölkerung. Heremakono - En Attendant Le Bonheur Nouadhibou, eine Kleinstadt an der Küste Mauretaniens, ein Ort des Transits. Der Regisseur schildert in ruhigen und wunderschönen Bildern das Leben in dieser afrikanischen Kleinstadt, zeigt ihre Menschen mit grosser Sympathie und subtilem Humor. Dôlè Strassenjungs in Libreville. Ihre Delikte sind ziemlich naiv, manchmal sogar lustig. Mougler braucht Geld, um Medikamente für seine kranke Mutter zu kaufen. Er plant mit seinen Kumpeln, den Kiosk des neuen Lottospiels «Dôlè» auszurauben. TGV In seinem zweiten Spielfilm unternimmt der senegalesische Filmemacher Moussa Touré auf wunderbar leichte Art eine Reise durch seinen schwarzafrikanischen Kontinent. Svenska Nätter Die Filme zum Soundtrack: Passend zum Konzertzyklus mit schwedischen Bands im Berner ISC servieren wir folgendes schwedische Filmschaffen: Pippi geht von Bord von Olle Nordemann, Persona von Ingmar Bergmann, Ronja Räubertochter von Tage Danielsson, Kops von Josef Fares und Together von Lukas Moodysson.

Saratan (Von Ernest Abdyjaparov, Kirgisistan 2005, 90’, Kirgisisch/d/f, Spielfilm) Ernest Abdyjaparov lässt uns in seiner herrlich skurrilen Komödie in die Atmosphäre eines kleinen kirgisischen Dorfes eintauchen, das die Situation des ganzen Landes zehn Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion versinnbildlicht. Überall fehlt es an Geld, und alle versuchen sich durchzuschlagen, so gut sie können. In Form einer Komödie erzählt uns Abdyjaparov die Geschichte, wie die Personen dieses Mikrokosmos zwischen Politik und Religion, Tradition und Moderne mit dem Leben zurechtzukommen suchen. (Ab 13.4.) The Wayward Clouds (Von Tsai Ming-Liang, Taiwan 2005, Originalversion/d/f, Spielfilm) In einer Zeit extremen Wassermangels wird in Fernsehsendungen erklärt, wie man Wasser sparen kann. Statt Wasser soll man zum Beispiel den Saft von Wassermelonen trinken. Doch jeder hat seine eigene Methode, wenn es darum geht, Wasser zu finden. Shiang-Chyi sammelt leere Flaschen auf und füllt sie mit gestohlenem Wasser aus öffentlichen Toiletten. Hsiao-Kang dagegen, jetzt ein Porno-Darsteller, klettert nachts aufs Dach und badet in den Pfützen der fast leeren Wassertanks. Überleben ist schwer, aber noch schlimmer ist die Einsamkeit. Jeder von uns ist wie eine Wolke im stummen Himmel: Man schwebt alleine vor sich hin, ohne je den anderen zu berühren. Eines Tages findet Shiang-Chyi eine Wassermelone und trifft später Hsiao-Kang im Park. Sie verlieben sich. Wenn eine Wolke die andere berührt, was entsteht dann für eine Form? (Ab 20.4.) Viva Zapatero (Von Sabine Guzzanti, Italien 2005, Originalversion/d/f, Dokumentarfilm) Regierungskritiker haben am italienischen Fernsehen nicht mehr viel zu lachen. Regierungschef und Medienmogul Silvio Berlusconi hat sie längst vom Bildschirm verbannt. Lachen kann Italien (und die Schweiz) jetzt aber im Kino - dank dem Film «Viva Zapatero» der italienischen Komikerin Sabina Guzzanti. Ihre erfolgreiche Dokumentation ist eine satirische Anklage gegen die Aushöhlung der Meinungsfreiheit in Italien. (Ab 6.4.)

KRZYSZTOF KIESLOWSKI Fortsetzung der umfassenden Retrospektive mit Kieslowskis Spätwerk (ab 1988). Nach der dokumentarischen Beschreibung der äusseren Welt in den 70er Jahren folgte Kieslowski in den 80ern einem tieferen Blick in den inneren Kosmos der menschlichen Seele. 1984 begann die lange und erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Anwalt Krzysztof Piesiewicz, den er 1982 bei seinen Filmaufnahmen der Kriegsrechtsprozesse im Gerichtssaal kennen gelernt hatte. Die beiden schrieben bis zu Kieslowskis frühem Tod 1996 sämtliche Drehbücher gemeinsam. Nach der Wende 1989 konnte Kieslowski seine Filme ausserhalb von Polen - und vorwiegend in Frankreich - realisieren. Dekalog 1-10 Kieslowski hat zu je einem der biblischen Gebote ein knapp einstündiges Filmwerk geschaffen. Die Menschen in Kieslowskis Dekalog wohnen alle in derselben Hochhaussiedlung. Sie glauben nicht an die Zehn Gebote, halten diese auch nicht für verbindliche Normen und versuchen für ihr Handeln ihre eigenen Orientierungsmassstäbe zu finden. In jeder Folge taucht ein (stummer) Mann auf, ein Schicksalsbote, der den jeweiligen Hauptdarstellern in entscheidenden Momenten ihres Lebens begegnet. «Dekalog 1-10» Sa 1. bis Di 4.4. / Sa 15. bis Di 18.4. Weitere Filme des Kieslowski-Spätwerkes: «La double vie de Véronique» Sa 8.4. 20:30 h / Mo 10.4. 18:30 h / Di 11.4. 18:30 h // «Trois couleurs: bleu» Mo 10. 4. 20:30 h / Di 11.4. 20:30 h / So 23.4. 14:30 h // «Trois couleurs: blanc» So 23.4. 16:30 h / Mo 24.4. 20:30 h / Di 25.4. 20:30 h // «Trois couleurs: rouge» Sa 22.4. 18:30 h / So 23.4. 18:30 h. Wo liegen die Grenzen Europas? «Sorry for Kung Fu» von Ognjen Svilicic (Kroatien 2005) Sa 1.4. 20:30 h / Mo 3.4. 20:30 h / Di 4.4. 20:30 h. LITERATUR UND FILM: Patricia Highsmith «Le cri du hibou» von Claude Chabrol (Frankreich 1987) VORFILM: «Jackson Pollock» von Hans Naumuth Sa 22.4. 20:30 h / Mo 24.4. 18:30 h / Di 25.4. 18:30 h. KUNST UND FILM: Sam Francis «Jackson Pollock: Portrait» von Amanda Pope (USA 1984) VORFILM: «Lee Krasner - The Long View» von Barbara Rose So 9.4. 16:00 h.


F ü r d a s Ta g e s p r o g r a m m d i e Ta g e s z e i t u n g o d e r d a s I n t e r n e t W W W . B E R N E R K I N O . C H

K I NO i n

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Neues vom Schweizer Film 6.- 8.4.06 «La petite Dame du Capitol», Jacqueline Veuve, CH 2006 // «Meerdolen», Peter Guyer, CH 2006 // «Zwischen den Welten», Yusuf Yesilöz, CH 2006

Viviendo al límite (Belkis Vega, Kuba 2004, Span/e) Belkis Vega zeigt das Leben aus der Perspektive von zwei Frauen und drei Männern, die mit HIV infiziert und sowohl an ihrer persönlichen Grenze wie auch am Rande der kubanischen Gesellschaft, «am Limit» leben. Im Film kommen auch dramaturgische Elemente und Kunstformen zum Einsatz: Die Berichte der fünf ProtagonistInnen werden im Playback-Verfahren nachgespielt, wodurch der Film eine grosse emotionale Dichte erfährt. Belkis Vega, die den Film persönlich vorstellt, gehört zu den ganz wenigen Frauen, die in Kuba regelmässig produzieren. (Di 4.4. 20:00 h) Santo Domingo Blues (Alex Wolfe, USA 2003, E) Santo Domingo Blues erzählt die Geschichte von Luis Vargas und der Bachata, dem Gitarrenblues, der ursprünglich vorwiegend in Bars und Bordellen gespielt wurde und inzwischen bei den jungen Latinos in ganz Nordamerika den Rap abgelöst hat. Vargas ist einer der populärsten Bachata-Musiker des Landes, einer, der es geschafft hat, der Brutstätte der Armut zu entkommen und heute mit seinem Mercedes durch New York kurvt. Weitere sensationelle Auftritte sind die von Raulín Rodríguez, Eladio Romero Santos, Aridia Ventura, Teodoro Reyes und Joan Soriano. (Mo 10.4. 20:00 h) Ein Werktag (CH 1931, 61‘, stumm) Der Propagandafilm «Ein Werktag» von Richard Schweizer aus dem Jahr 1931 verfolgt menschliche Schicksale in ihrem Kampf ums Überleben vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise, z.B. das eines Kranführers, eines Lastwagenfahrers oder einer alleinerziehenden Mutter mit fünf Kindern. Im Vorprogramm gibt es dokumentarische Aufnahmen aus Lausanne, La Chaux-de-Fonds und einer Tessiner Schokoladenfabrik aus den frühen Dreissigerjahren zu entdecken. Bei diesem «Sortie du Labo»-Programm handelt sich um von der Cinémathèque suisse und Memoriav frisch restaurierte Filmkopien. Musikalische Begleitung von Wieslaw Pipczynski. (Di 18.4. 20:00 h)

Tschetschenien - Der schmutzige Krieg (13.29.4.06) Das megafon und das Kino der Reitschule legen im April ihren Schwerpunkt auf Tschetschenien, ein Land in Kaukasien, in dem Krieg herrschte und immer noch herrscht. Ein schmutziger, sinnloser Krieg. Wie können Menschen in diesem vom Krieg zerstörten Land leben, bedroht von Entführung, Verschleppung, Vergewaltigung, Mord? Wie bewältigen sie die traumatischen Erlebnisse und Erinnerungen? Was für Überlebensstrategien setzen sie Krieg und Zerstörung entgegen? Das Reitschule-Kino zeigt Filme von engagierten FilmemacherInnen aus Holland, Deutschland und der Schweiz, die sich auf unterschiedliche Weise mit den vom russisch-tschetschenischen Krieg betroffenen Menschen befassen. In «Weisse Raben» erzählen russische Mütter über ihre an Körper und Seele verletzten Söhne, die, nachdem sie an der russisch-tschetschenischen Front verletzt wurden, bei ihnen abgegeben wurden. Der Film erzählt von Menschen, die Täter sind und nicht selten zugleich selbst zu Opfern ihrer Tat werden. «Coca» Sainap Gaschaiewa, hat zusammen mit anderen Frauen Hunderte von Videokassetten versteckt und will sie nach Westeuropa schaffen mit dem Ziel, ein Tribunal zu initialisieren, damit die Schuldigen bestraft werden - auf welcher Seite sie auch stehen. In «Dance, Grozny, Dance» schliesslich zeigt Regisseur Jos de Putter einen aussergewöhnlichen Mann, Ramzan Akhmadov, der mit Strassen- und Waisenhauskindern aus Grosny kaukasische Tänze einstudiert. Sein Engagement ermöglicht ihnen triumphale Auftritte in ganz Europa. Diese Kinder trotzen dem Krieg und zeigen ein Bild von Tschetschenien, das nicht nur aus Terror besteht. Kunst als Überlebensstrategie. Am 15. April ist die Leiterin der russischen NGO «Warm Home» zu Gast. Sie arbeitet in Tschetschenien, Inguschetien und Moskau mit tschetschenischen Flüchtlingen.

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Gangsterfilme Im neuen Zyklus des StudentInnenfilmclubs, der am 24.4. mit «Reservoir Dogs» von Quentin Tarantino beginnt, stehen hartgesottene Gangster im Mittelpunkt. Infos: www.studentinnenfilmclub.ch

www.pasquart.ch / Telefon 032 322 71 01

NEUE SCHWEIZER FILME VOM 7.4. - 8.5.06 Eine Auswahl Melodias, François Bovy, CH 2005 (7.4.-10.4) Jorge ist einer von drei Personen, die in «Melodias» porträtiert werden. Der junge Mann lädt heute Lastwagen ab, früher war er Auftragsmörder. Dario, der Taxichauffeur, erzählt von den täglichen Begegnungen mit kleinkriminellen Fahrgästen. Edwin schliesslich ist Polizist, wie sein Vater, der während eines Einsatzes umgebracht wurde. Rechtskonflikte, Gefahr und Gewalt sind überall und an der Tagesordnung im kolumbianischen Medellin. 1000 Frauen ein Traum, Gabriela Neuhaus, Angelo Scudeletti, CH 2005 (1.5.) Friedensarbeit wird nicht nur von Staatsmännern geleistet - deshalb nominierte ein Komitee um die Politikerin Ruth-Gaby Vermot 1000 Frauen für den Friedensnobelpreis 2005. Z. B. Maggie, die während der Massaker in Burundi Tausende von Kindern gerettet hat. Oder die Inderin Naseeb, deren Familie ermordet wurde und die seither gegen Rassenhass kämpft. Oder Ellen, die sich für Strafgefangene in USGefängnissen einsetzt. In Anwesenheit der Regisseurin (18:00 und 20:30 h). Unser Amerika, Kristina Konrad, CH 2005 (28./29.4.) Eine Spurensuche in einem Land 25 Jahre nach einer Revolution, die niemand für möglich hielt. Eine subjektive Annäherung einer Europäerin, die nach Nicaragua zurückkehrt, wo sie vor 20 Jahren eine der letzten gemeinsamen Utopien miterlebte, die Tausende von Menschen aus aller Welt angezogen hatte. Getragen von der Hoffnung, dem kleinen Staat gelinge es, Armut und Ungleichheit in politischem Pluralismus, gemischter Wirtschaft und Blockfreiheit zu besiegen. Weitere Infos: http://www.pasquart.ch/d/filmpodium.d/programm. d.jsp


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L I F E S T Y L E

Bildlegende: Genauso scharf wie das Red Chicken Curry im Splendid: Bollywoodstar Aishwarya Rai.

NADIA MEIER

curry macht glücklich ■ Es ist Sonntagabend kurz vor zehn. Mir ist nicht eben zumute, als ob ich vor lauter Lachen kleine Champagnerfontänen aus meinen Nasenlöchern prusten müsste. Im Kühlschrank sterben ein paar Joghurts und ein angefaulter Eisbergsalat langsam vor sich hin. Ich habe Hunger. In solchen Momenten gibt es genau drei kulinarische Möglichkeiten, die mich trösten können: Eine eiskalte Vanilla Coke, für mich gekauft und serviert von einem Mann, der ebenso süss schmeckt wie der Inhalt der Flasche, selbst aber keine ist. Zweitens eine doppelte Portion Maki Sushi, und zwar California Roll mit Surimi, Avocado, Gurke und Sesam, zubereitet von einem lächelnden Japaner im goldenen Kimono. Drittens würde ausserdem helfen: Ein scharfes, noch schärferes, auf der Lippe brennendes, in der Nase juckendes, Tränen treibendes, feuerfarbenes Red Chicken Curry. Der Mann hat diesmal keine Vanilla Coke gekauft, da er damit beschäftigt war, mich an einen magischen Ort zu entführen. Und wie man an einem Sonntagabend in Bern einen Sushi-Meister auftreibt, der sich noch nicht auf den Futon gelegt hat, weiss ich wirklich nicht. Wer nun aufmerksam mitgelesen hat, wird bemerkt haben, dass die einzige noch mögliche Rettung das Red Chicken Curry ist. Nun, mir ist bernweit nur ein Ort bekannt, wo man ein ebensolches auch in den unmöglichsten Momenten bekommt: Das Splendid Bollywood Palace. Wir sind fast die letzten Gäste. An der Bar sitzen zwei, die einander nach dem Kino den Film erklären, und rühren nachdenklich ihre Drinks warm. Daneben

beschliessen drei Männer, die ich für Inder halte, ihre Woche mit einem grossen Bier, scheinbar darauf achtend, nicht zu viele Worte zu verlieren. Hinter uns und zum Glück nicht im meinem Blickfeld sitzen zwei junge Pärchen und knutschen und stecken sich die Zungen in die Ohren. Na dann, guten Appetit. Im Splendid Bollywood Palace gibt es eine offene Küche, ich glaube, weil die beiden Köche so hübsch sind. Wir hören zu, wie Brian Johnson sich «Hells bells» aus der Kehle würgt – im Palace wird man während der indischen Mahlzeit mit den unsäglichsten Klassikern berieselt, manchmal sogar abwechselnd mit HitparadenHiphop, naja, wir wissen auch nicht warum – und sehen der liebenswerten Patronne zu, wie sie mit einem Gast ein bisschen Billard spielt. Ich mag jetzt nicht erklären, wie es im Palace aussieht, geht selber hin und schaut es euch an. Vielleicht mögt ihr auch einen Bollywood-Film gucken auf der grossen Leinwand, bald sollen jeden Sonntag solche gezeigt werden. Was aber doch erwähnt werden muss, sind die goldenen Lämpchen, die auf jedem Tisch stehen. Sie sehen ziemlich massiv aus, schwer wie viele Dinge auf den ersten Blick scheinen, denen man im Leben so begegnet. Hebt man sein Tischlämpchen aber, ist es auf einmal ganz leicht, wie eben manch anderes auch. Ich hätte das Schätzchen von einer Lampe am liebsten eingesteckt und mit nach Hause genommen zwecks Schlafzimmerdekoration, aber leider war meine Handtasche zu klein und mein Anstand zu gross.

Jetzt noch zum Red Chicken Curry: Es ist das beste Curry seiner Art in Bern und womöglich überhaupt. Viel mehr gibt es dazu nicht zu vermelden. Es ist einfach ganz scharf und ganz rot. Wobei der Schärfegrad vom Gast bestimmt werden kann, die Farbe hingegen nicht. Dazu gibt es mit geheimen Zauberzutaten verfeinerten Reis und eine schneeweisse Raita-Sauce mit Gurken und Liebe, die der Schärfe ihre Brisanz nimmt und die Tränen trocknet. Nachher ist man einfach satt und glücklich und will nur noch einen gespritzten Weissen und dann ab ins Bett.

Splendid Bollywood Palace Von Werdt-Passage 8, 3011 Bern Telefon 031 534 36 54 Mo - Do 09:00 – 01:30 h Fr & Sa 09:00 – 03:30 h (warme Küche bis 02:00 h!) So 15:00 – 01:30 h Jeden Donnerstag ab 22:00 h: Bärner Beats Live


C A R T O O N

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www.fauser.ch

CHRISTINE WANNER

VON MENSCHEN UND MEDIEN Die «Pro-Kampagnen» - Was uns die Detaillisten auch verkaufen ■ Für den Frühling. Mehr Ostern. Für den zweiten Frühling. Mehr Zeit zum Leben. Für mehr Kaufkraft. Für Arbeitsplätze. Die «Pro-Kampagnen» der Detaillisten sind nicht zu übersehen. Doch ihr Werben im umkämpften Markt kündigt mit dem Slogan «für Arbeitsplätze» bereits die Zeit nach Schnäppchenjagd und Discountitis an. Der Slogan «Für mehr Kaufkraft» spielt nicht auf die Wirtschaftslage an, sondern zielt direkt aufs Portemonnaie: Denn der Discounter Denner verkauft sich seit Jahren mit dem Argument der tiefen Preisen. Wissen wir. Wenn Produktewerbung plötzlich den Slogan «für Arbeitsplätze» bemüht, fällt das auf: Ragusa – für 175 Arbeitsplätze in Courtelary. Feldschlösschen – für 700 Arbeitsplätze in Rheinfelden. Dar Vida – für 213 Arbeitsplätze in Malters. Caffè Latte – für 520 Arbeitsplätze in Ostermundigen. Ovo – für 300 Arbeitsplätze in Neuenegg. Schweizer Marken, hergestellt in der Schweiz. Für die beste Qualität. Und für viele Arbeitsplätze, davon 410‘000 allein bei Coop, lesen wir. Coop-Mediensprecher Karl Weisskopf will damit einmal andere Werte ins Zentrum rücken als «Preis, Preis, Preis», wie er sagt. Die Produktevielfalt solle im Vordergrund stehen und einen Kontrapunkt zu den Aktionen setzen. Für Christian Pfister, Professor für Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte an der Uni Bern kommt diese Kampagne nicht überraschend. Im Zeitalter der globalen Auslagerung von Produktionen und Funktionen

nach China oder Indien werde der Erhalt von Arbeitsplätzen in zunehmendem Masse werbewirksam vermarktet. Dass die Schweizer Qualität als Verkaufsargument zitiert werde, sei bereits in der Reklame vor dem ersten Weltkrieg zu beobachten. Die Kampagne «für Arbeitsplätze» betont nicht in erster Linie die Schweizer Qualität, sondern appelliert an die gesellschaftliche Verantwortung. Diese soziale Dimension bleibt gemäss Journalist und Historiker Daniel Di Falco von der üblichen Werbung systematisch ausgeklammert. Denn die Warenwerbung ziele primär auf den Konsum ab. Die Leitwährung des Konsums sei nicht Verantwortung, sondern Bedürfnis, sei nicht das Politische, sondern das Persönliche. Im genannten Beispiel wird zusätzlich die Verantwortung der Detaillisten thematisiert; mit ihrer Produkte- und Preispolitik bestimmen sie mit, an welche Produzenten das Geschäft geht, respektive wer in der Versorgungs- und Verkaufskette das Einsehen hat. Die Nummer zwei der Schweizer Detaillisten hat diese Verantwortung im vergangenen Jahr eigens zu spüren gekriegt, als Coop unter (Ein)Druck der expandierenden ausländischen Discountketten Preisabschläge durchund ein Tiefpreissegment einführte. Um seine Position zu halten, musste der Detaillist eine Umsatzeinbusse in Kauf nehmen. An diesem Punkt wird deutlich, was die harte Kon-

sequenz allzu harter Konkurrenz im Tiefpreissegment bedeutet: im Kampf um die Kundinnen und Kunden schneiden sich die Wetteifernden ins eigene Fleisch. Im Kampf um Billigprodukte können Schweizer Marken nicht mithalten, denn es finden sich immer Länder und Leute, die bereit sind, zu schlechten und schlechteren Bedingungen für noch weniger Geld zu arbeiten. So wird die Discountitis zum Eigentor. In letzter Konsequenz werden hiesige Arbeitsplätze tatsächlich zum Sonderangebot, bis sie zum Sortiment herausfallen. «Für Arbeitsplätze» geht weiter und spricht die Zeit nach dem Tief- und Tiefstpreis an. Vergleichbare Kampagnen werden sich gemäss Megatrend-Studie des Gottlieb Duttweiler Instituts häufen und die Billigwelle in der Werbung ablösen. Als weiteren Trend macht das Institut den Kampf um Marktanteile in den gehobeneren Preisklassen aus. Unterhalb der klassischen Luxusartikel entstehen diverse Linien des bezahlbaren Auserwählten, «Populux» im Fachjargon. Also mehr Luxus für alle. Mehr. Mehr Zeit zum Leben. Für das Leben mit oder ohne Tom. Und vor allem: Mehr Konsum. Für Genuss ohne Reue. Mehr Wissen über Werbung? Daniel Di Falco, Peter Bär, Christian Pfister (Hg.): Bilder vom besseren Leben. Wie Werbung Geschichte erzählt. 2002. Verlag Haupt.


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M E N S C H E N

EVA MOLLET

burgeners m&m: musik und medizin

Foto: Eva Mollet

■ Hans Burgener ist vierundfünfzig Jahre alt. Seine Haarfarbe reicht von grau bis weiss. Die Haare stehen ihm igelgleich vom Kopf. Burgener ist kein Geigendoktor, sondern ein Dr. Geige, d.h. er ist Musiker und Arzt. Die beiden grossen Ms in seinem Leben ziehen sich wie ein roter Faden durch die Biographie. Manchmal wollen sie vereint werden, dann entstehen u.a. medizinische Musikprojekte oder musikalische Medizinprojekte: Z. B. «Communication invisible». Die Hirnströme der Musiker und Musikerinnen werden während des Spiels visuell sichtbar gemacht, eine Zusammenarbeit mit Hirnforschern der Psychiatrischen Universitätsklinik Bern. Beim Erzählen von der Formation EAM (electronicacoustic-meeting) bekommt Burgener leuchtende Augen. Es ist momentan sein wichtigstes Projekt. Die Band arbeitet seit eineinhalb Jahren zusammen. Die fünf Leute vereinen eine interessante Mischung an Musikstilen: Burgener vertritt die experimentelle, zeitgenössische Musik an der Geige. Mit der Improvisation hat er seine Sprache gefunden. Die Sängerin Christine Lauterburg kommt von der schweizerischen Natur- und Folkmusik. Martin Müller repräsentiert die Jazz und Worldmusik am electric 5-string Cello. Roger Stucki bringt den Computer und die digitalen Klänge mit. Stefan Woodtli spielt Drums in der Rock- und Bluesszene. Was fasziniert an dieser Zusammensetzung? «Mich interessiert die Schnittstelle zwischen elektronischer und akustischer Musik. Die meisten Musiker entscheiden sich für das eine oder das andere. Die Akustiker haben oft einen anderen Zugang zur Musik, als die Elektroniker. Die Letzteren haben einen spielerischen Umgang, aber es lässt sich auf dem Computer nicht improvisieren.» Die Musik von EAM beschreibt sphärische

Klanglandschaften, ist rhythmisch und melodiös. Sie gibt Stimmungen wieder. «Musik ist mehr als nur Töne aneinanderreihen. Musik hat eine Botschaft. Es geht um die Mystik hinter der Musik, das ist der spirituelle Aspekt.» Wie entsteht solche Musik? Meistens bringt Roger Stucki auf dem Laptop einen musikalischen Rahmen. Er schafft den Boden. Die Abfolge der Grooves, Beats und Klangflächen ist vorerst fix. Gemeinsam wird an diesen Klangmodulen experimentiert und schliesslich werden sie in eine Form gebracht. Wichtig sind die Freiräume, die Improteile für Gesang und Geige. Überraschungen sind trotz der Gliederung möglich. «Mir passt, dass ich auf strukturiertem Boden Improvisation ausleben kann. Die Schnittstelle der verschiedenen Musikstile ist eine Herausforderung. Es bringt uns alle weiter, wenn wir diese Auseinandersetzung annehmen. Unser Potential ist noch lange nicht ausgeschöpft. Wir entwickeln uns weiter, indem wir ausprobieren, was möglich ist.» Wie kommen die beiden Ms in Burgeners Leben? Er wächst in einer gut bürgerlichen Familie in Thun auf. Er hat drei Geschwister. Eines davon ist sein Zwillingsbruder. Jeder hatte sein eigenes Ei. Der Vater ist Arzt, die Mutter ist Hausfrau. Mit fünf Jahren beginnt Burgener mit dem Geigenspiel. Die ersten beiden Jahre spielt er ohne Noten. Dieser Zugang zur Musik über das Gehör ist prägend und legt den Grundstein für die Vorliebe zur Improvisation. «Durch diesen Zugang konnte ich später überall auf der Welt mit den verschiedensten Musikern und Musikerinnen spielen. Eine Vortragsübung damals in der Musikschule, werde ich nie vergessen. Ein Junge stand auf der Bühne und geigte, als plötzlich Flüssigkeit aus seinem Hosen-

bein tropfte.» Mit sechzehn besucht Burgener den Gymer in Bern. Danach studiert er Medizin. «Ich konnte mir nichts anderes vorstellen.» Während dem Studium und in der Assistenzzeit kommt die Geige zu kurz. Danach widmet er sich drei Jahre lang hauptsächlich der Musik. Er spielt in klassischen Orchestern, aber auch Folksmusik, Jazz-Rock und Folk-Rock. Später lernt er auf Sri Lanka die Grundkenntnisse der Akupunktur. Er ergänzt die westliche Medizin mit der östlichen. Die chinesische Medizin ist energetisch. «Was ich in der Musik mache, ist nicht weit davon entfernt.» Lange Zeit bleibt Burgener zwischen Medizin und Musik hin und her gerissen. «Heute bin ich froh, dass ich zwei Standbeine in meinem Leben habe. Es führt zu wohltuenden Freiheiten.» Der amerikanische Bassist Barre Phillips ist eine wichtige Persönlichkeit in Burgeners musikalischem Werdegang. «Früher war er ein Vorbild, heute ist er ein guter Freund. Phillips Verständnis von Musik hat mich geprägt. Er ist ein Klangmagier und eine einzigartige musikalische Persönlichkeit.» Zusammen mit Martin Schütz treten sie seit fünfzehn Jahren mit ihrem StringTrio auf. Burgener ist an einigen Projekten, Events, CDs und Bands beteiligt. Es sind zu viele, um sie alle aufzuzählen. Sein Engagement für die Berner Kultur ist vielseitig und langjährig. So soll es bleiben und die Ms werden ihn begleiten. CD-Taufe EAM: Sa., 8.April 2006, 20:30 h im Haberhuus Köniz (in der geheizten Pfrundschüür). Weitere Infos: www.eammusic.ch


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Sam Francis Blue Balls IV, 1960, テ僕 auf Leinwand, 100 x 81 cm, Sammlung E. W. K., Bern ツゥ 2006, Sam Francis Estate / Samuel L. Francis Foundation, California / ARS, New York / ProLitteris Zテシrich


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Die Farbe hat mich Fest der Farbe - Die Sammlung Merzbacher-Mayer Kunsthaus Zürich, Heimplatz 1. Geöffnet Dienstag bis Donnerstag 10:00-21:00 h, Freitag bis Sonntag 10:0017:00 h. Bis 14. Mai 2004.

■ 1914 schrieb Paul Klee während seiner Tunesien-Reise in sein Tagebuch: «Die Farbe hat mich». Nach zehnjährigem Ringen um die Farbe, hat er sie - oder sie ihn - endlich gefunden und er wird sie jetzt in all ihren Möglichkeiten analysieren und anwenden. Klees Werke hängen gleich neben einem weiteren Highlight der neuen Ausstellung im Kunsthaus Zürich mit Werken aus der Sammlung Merzbacher-Mayer: frühe

Bild: André Derain Bâteaux dans le Port de Collioure, 1905 Öl auf Leinwand, 72 x 91 cm Sammlung Werner und Gabriele Merzbacher © 2005 ProLitteris, Zürich

Aufsehen erregende Kleckse

Sam Francis und Bern – Werke von Sam Francis, Samuel Buri, Franz Fedier, Rolf Iseli, Peter Stein Kunstmuseum Bern, Hodlerstrasse 8-12. Geöffnet Dienstag 10:00-21:00 h, Mittwoch bis Sonntag 10:00-17:00 h. Bis 18. Juni 2006.

■ Die aktuelle Ausstellung im Kunstmuseum Bern widmet sich der Malerei des Amerikaners Sam Francis (19231994) und seinen Beziehungen zu Bern und Berner Künstlern in den Jahren 1955-1963. Francisʼ Verbindung zu Bern entstand im Dezember 1954, als der damalige Direktor der Kunsthalle, Arnold Rüdlinger, und der Berner Galerist Eberhard W. Kornfeld den Künstler in seinem Atelier in Paris aufsuchten. Die entstandenen Freundschaften dienten als Ausgangspunkt für die folgenden Beziehungen des Künstlers zu Bern. Rüdlinger brachte nämlich nicht nur das Werk Francisʼ nach Bern, sondern animierte damit verschiedene Berner Künstler, mit Francis und seinem Werk in Kontakt zu treten und sich mit der neuen amerikanischen Konzeption moderner Malerei, dem sogenannten Tachismus, auseinanderzusetzen. Die neuen Ausdrucksmöglichkei-

Gemälde von Wassily Kandinsky, die nur so leuchten im schwelgerischen Gebrauch der Farben. Ein Erlebnis! Was hier gezeigt wird, ist ein Novum in der Kunst des beginnenden 20. Jahrhunderts, eher sogar mehr, es ist ein Quantensprung. Bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert, mit Impressionisten und Postimpressionisten, zeichnet sich die Entwicklung zu einem vollkommen neuen Gebrauch und einem neuen Verständnis der Farbe ab. Schliesslich nehmen die Fauvisten in Frankreich und die Expressionisten in Deutschland - durchaus zeitgleich aber weitgehend unabhängig - die Farbe bei der Hand und führen sie nun endgültig vom Gegenstand weg in neue Gefilde. Die Farbe wird frei, sie wird bunt und beginnt zu leuchten, wie sie es noch nie getan hat! Hervorragend ist dies bei Kandinsky zu sehen, aber auch bei Kirchner, Matisse (dessen Werk momentan in einer Retrospektive in der Fondation Beyeler in Riehen zu sehen ist) oder Jawlensky, der seine Porträts mit einem wundervollen Rot anreichert und damit Akzente setzt. Es ist nicht ganz selbstverständlich, dass wir nun anhand der Sammlung diese Entwicklung nachverfolgen können - übrigens eine Sicht auf die Kunst-

ten, die der Amerikaner auf der Leinwand umsetzte, sind gekennzeichnet durch die schwungvolle, fliessende Bewegung von kräftigen Farben, dem neuartigen Verständnis von Räumlichkeit und der Auflösung der herkömmlichen Bildauffassung. Kleinteilige Farbzellen werden auf der Leinwand zu Strukturen zusammengefügt, die über den Bildrand hinaus gedacht ein neues Raumverständnis vermitteln. Diese Art von Farb- und Raumkompositionen, erstmals 1955 in der Ausstellung «Tendances Actuelles III» in der Kunsthalle präsentiert, stiessen im zurückhaltenden Bern nicht nur auf offene Augen und mussten sich dem Vorwurf des «Klecksismus» beugen. Durch die Bemühungen Rüdlingers und auch Kornfelds konnten sich dennoch einige Berner Künstler mit Francisʼ Werk anfreunden oder die neuen, modernen Impulse zumindest in ihren

geschichte des 20. Jahrhunderts aus der ganz privaten Sicht eines Sammlers. Um 1900 tätigte Bernhard Mayer - der Grossvater von Gabrielle Merzbacher - die ersten Ankäufe, nur sporadisch aber doch immer wieder gelangten so hervorragende Kunstwerke in seinen Besitz. Als er 1917 per Tram durch Zürich fährt, sieht Mayer im Schaufenster der Galerie Bollag Picassos «Das Paar» von 1904, steigt aus und kauft es gleich. Es zeigt Picassos triste «Blaue Periode» mit ihren kärglichen, verelendeten Gestalten. Viele von Mayers Werken kamen in die Sammlung von Gabrielle und Werner Merzbacher, die in über 40 Jahren die nun zu bestaunende Sammlung aufbauten. Merzbacher, der jüdischer Abstammung ist und im Zweiten Weltkrieg in Ausschwitz seine Eltern verloren hatte, entdeckte früh seine Leidenschaft und das Interesse für die lebhafte Farbe - trotz der Schicksalsschläge oder gerade wegen ihnen? - und begann seine Sammlerleidenschaft mit Werken der Expressionisten und Fauvisten auszuleben. Werke aus über 100 Jahren Kunstgeschichte von Cézanne, über Sam Francis bis zu Bridget Riley zeigt die Ausstellung im Kunsthaus Zürich. Ein Genuss und ein Muss. (di)

eigenen Werken auf ihre Weise umsetzen. Die hiesigen Künstler wurden in ihrem Schaffen bekräftigt, ihre Arbeiten zeichnen sich aber durchaus als eigenständig aus. Die Berner Künstler, Samuel Buri, Franz Fedier, Rolf Iseli und Peter Stein, in der aktuellen Schau im Kunstmuseum den Werken Francisʼ gegenübergestellt, vertreten exemplarisch die Künstlerschaft, die sich mit der abstrakt-expressiven Kunst der Nachkriegszeit befasste. Die Ausstellung soll dem kunstwilligen (Berner-)Betrachter einmal mehr zeigen, dass Kunst in Bern selbst diskursbestimmend und Kristallisationspunkt von neueren Entwicklungen sein kann. Vielleicht soll sie als Exempel aber auch dem Wunsch, dass Bern in Zukunft wieder als Mittelpunkt künstlerischer Internationalität fungieren könnte, Ausdruck verleihen. (mm)


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Luxus mit Brockenstubencharme ■ «Erfinder des Junkie-Chics», höhnte jüngst die Weltwoche über den Modefotografen, der längst als Künstler gilt: Juergen Teller. Tatsächlich hat Juergen Teller diesen bis zu Ermüdung zelebrierten Stil des heruntergekommenen Luxus geprägt. Nach den hedonistischen Achtzigerjahren folgten die von Helen Lagger Neunziger mit ihrer Ikone: Kate Moss. Bis heute eine gute Freundin des Fotografen, welchen sie traf, als sie gerade einmal fünfzehn Jahre alt war. Während in den Achzigern Frauen mit ausdruckstarken Gesichtern wie Debbie Harry, Brooke Shields, Margaux Hemingway oder Polanskis Frau Emanuelle Seigner angesagt waren, folgte in den Neunzigern die Garde der neurotischen, leicht intellektuellen Blassfraktion, die möglichst physisch oder psychisch angeschlagen auszusehen hatte: Joddie Kid, Winona Ryder, Calista Flockhart und unendlich viele No-Names. Berühmt ist Tellers Serie «Go-Sees», wo der Fotograf Mädchen, die an seiner Türe klingelten, um sich bei ihm zu bewerben, ablichtete. Er hat die Kindfrauen in ihrer ganzen Unsicherheit, ohne viel Make-up und in casual wear fotografiert. Modegöttinnen wurden von ihm so von den Podesten geholt. Doch Juergen Teller ist mehr als der Porträtist von mageren Elfen mit Sommersprossen. Seine Arbeit hat sich kontinuierlich weiterentwickelt, sein Stil ist unverkennbar. In einem Internet-Forum fragt die Londoner Künstlerin Tracey Emin, ob er sich bewusst sei, dass er Menschen in seiner Arbeit benutze. «Natürlich benutze ich Leute und Leute benutzen mich. Dies allerdings nicht in einer negativen Art und Weise. So sehr ich sie benutze, so sehr gebe ich ihnen auch etwas. Wenn andere mich benutzen, geben sie mir ebenso etwas», antwortete Teller darauf. Tatsächlich ist Teller nicht nur hinter der Kamera anzutreffen, sondern integriert sich in seinen Fotos häufig selbst. Das Cover des Bildbandes «Ich bin vierzig» zeigt den Künstler, wie er vornüber in einen Teller voller Schweinebraten gefallen ist. Bier und Jägermeister stehen auf dem Tisch. Diese typisch deutschen Insignien stehen zudem auf einem spiessig

rotweiss karierten Tischtuch. Obwohl Teller seit den Achtzigerjahren in London lebt ist das Deutschtum auf vielen seinen Bildern präsent. Man könnte schon nur seinen Hang zum Unprätentiösen, manchmal auch zum Hässlichen, als typisch deutsch bezeichnen. Das Misstrauen gegen klassische Schönheit oder Idealisierung findet man ebenso bei Urgesteinen der deutschen Malerei (Max Beckmann, Baselitz), wie auch bei diversen deutschen Fotografen oder Filmemachern von internationaler Bedeutung (Wolfgang Tillmans, Fassbinder). Juergen Teller ist in seinen Selbstporträts oft nackt und inszeniert sich dabei nicht wirklich vorteilhaft. Es sind provokative Bilder, die wie Schnappschüsse wirken, jedoch keine Schnappschüsse sind. Die grosse Täuschung der Fotografie liegt in der Vor-Täuschung «objektiver Wirklichkeit», schrieb Heinrich Böll in einem Aufsatz. Juergen Tellers Fotografien sind genauso inszeniert wie Bilder, denen man das stundenlange Setting sofort ansieht. Die Serie «Louis XV» zeigt den Fotografen in dekadenten, stark sexuell aufgeladenen Szenen gemeinsam mit der Schauspielerin Charlotte Rampling, die altersmässig seine Mutter sein könnte. Selbst in unserer hemmungslosen Zeit ein gelungener Tabubruch. Ganz andere Töne schlagen seine autobiografischen Stillleben und Porträts von geliebten Menschen an. Er fängt die Magie von Schauplätzen aus seiner Kindheit ein, fotografiert Gegenstände oder für seine Heimat, Bubenreuth / Franken, Stereotypisches wie zum Beispiel ein kleines Rehkitz. Die Serien «Nürnberg» und «Ed in Japan» beinhalten die persönlichsten Arbeiten. Von umstürzlerischem Grunge-Feeling ist hier nicht mehr viel zu spüren. Es sind nostalgische, geschichtsträchtige Bilder darunter, aber auch sehr fröhliche, lebensbejahende Familienbilder voller Humor: Juergen Tellers Mutter, die zwischen einer Schnauze eines ausgestopften Krokodils hervorschaut, Tellers Sohn im Schaumbad und die rebellisch blickende Tochter Lola in verschiedenen Posen. Es verwundert nicht, dass Juergen Teller mit dem Modedesigner Marc Jacobs besonders gerne zusammenarbeitet. Es gibt viele Gemeinsamkeiten zwischen den beiden. Beide kommen

aus der achtziger Punkszene, prägten die neunziger Grunge-Bewegung mit und sind mittlerweile etablierte Grenzgänger zwischen Kunst und Mode. Vergangenheitsbewältigung, Erinnerung und Melancholie haben im Werk von beiden einen wichtigen Stellenwert. Marc Jacobs Kleider strahlen diesen Brockenstubencharme aus, den man bei Juergen Teller ebenso findet: Ein bisschen verstaubt, ein bisschen selbst gestrickt, Zwischentöne wie Beerenrot, Olivgrün und Cognac und diese Patina des Vergilbten, als würde man sich in einem Film der Siebzigerjahre in der DDR befinden. Ziemlich unluxuriös, würde dann nicht plötzlich ein Jupe aus Leopardenfell unter dem wollenen Poncho hervorblitzen. Das Markenzeichen des Mode-Designers ist eine viel zu grosse, hässliche Hornbrille. Nie käme es dem Solarium gebräunten Armani oder dem toll geföhnten Valentino in den Sinn, solch ein Ding der Unmöglichkeit spazieren zu führen. Marc Jacobs Musen sind keine Glamourgirls, sondern Hauswirtschaftslehrerinnen aus seiner Kindheit (wie waren die schon wieder gekleidet?) oder die Regisseurin Sophia Coppola. Juergen Teller ist genau wie David LaChapelle (siehe ensuite-Ausgabe vom März), einer der wichtigsten Fotografen des 21. Jahrhunderts. Der eine zelebriert Alltäglichkeit, Intimität und Melancholie, der andere Spass, Sexiness und Überdrehtheit. Es ist, als müsste man sich zwischen einer deftigen Bratwurst und einem schaumigen Mousse au Chocolat entscheiden. Es kommt eben darauf an, ob man salzig oder süss bevorzugt.

Juergen Teller - Do you know what I Mean - Retrospektive Fondation Cartier pour lʼart contemporain, 261, boulevard Raspail 75014 Paris. Geöffnet Dienstag bis Sonntag 12:0020:00 h. Bis 21. Mai 2006.


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Er gewinnt bei näherer Betrachtung ■ «In einem kleinen Raum nebenan schlug ein Mann mit Pfeife im Mund Nägel in die Wand und hängte seine winzigen Bilder auf. Wenn ich winzig sage, dann meine ich, dass einige nicht grösser als eine Postkarte waren. von Dominik Imhof

Max Beckmann - Traum des Lebens Zentrum Paul Klee, Monument im Fruchtland 3. Geöffnet Donnerstag 10:0021:00 h, Dienstag bis Sonntag 10:00-17:00 h. Bis 18. Juni.

Bild: Max Beckmann Traum von Monte Carlo 1940-1943 Öl auf Leinwand 160 x 200 cm Staatsgalerie Stuttgart

Beckmann warf Paul Klee, der seine Kritzeleien aufhängte, einen verächtlichen Blick zu und schnaubte: ‹Und das nennen Sie Kunst!›» Max Beckmanns Galerist berichtet dies über das Zusammentreffen von Paul Klee und Beckmann beim Einrichten ihrer Ausstellung im Glaspalast in München 1921. Jetzt treffen diese beiden so unterschiedlichen und doch so verwandten Künstler im Zentrum Paul Klee noch einmal aufeinander. Ein Gespräch mit Tilman Osterwold, künstlerischer Leiter des ZPK: Dominik Imhof: Das Interesse für Musik, Theater und Artisten ist eine Gemeinsamkeit im Leben und Schaffen von Paul Klee und Max Beckmann, es gibt aber ebenso viele Kontraste. Wieso also Beckmann im ZPK? Tilman Osterwold: Es ist gerade faszinierend, dass Max Beckmann eigentlich ein Antipode von Klee ist. Vor allem in seiner Bildauffassung und seiner Mentalität, in der subversiven, schon fast anarchischen Art wie Beckmann wild und heftig, oft auch derb

in seinen Werken vorgeht. Spannend ist, dass sich Beckmann und Klee für ähnliche Dinge interessierten, z. B. für Theater, Musik, für Gleichgewicht und Maskierung. Daneben stehen auch diese gebrochenen Romantizismen in ihrer Sicht der Landschaft. Es erscheint so etwas wie eine Kindheitssehnsucht, z. B. wie beide den Mond oder die Sonne malen. Ebenfalls interessant ist ihr Hang zu einer Kontrastierung von Schwarz und Bunt. Farbe wird zu einem metaphorisch verwendeten Gestaltungsfaktor in den Bildern. Gerade bei den Affinitäten zwischen Beckmann und Klee, in dem, was sie inhaltlich und gestalterisch interessiert, werden ihre gegensätzlichen künstlerischen Motivationen sichtbar. Dazu kommt die grosse Melancholie, die beide im Bezug auf die zeitgeschichtlichen Umstände - Zweiter Weltkrieg und Malverbot - aufweisen. Dies spiegelt sich in der Art und Weise, wie sie z. B. persönliche Szenarien zeitgeschichtlich interpretieren. Wie nimmt Max Beckmann das Zeitgeschehen der 1930er Jahre in sein Schaffen auf, nimmt er es überhaupt auf? Er thematisiert es nicht direkt, was Klee auch nur selten macht, nur in wenigen Bildern wie z. B. «Von der Liste gestrichen» (1933). Dieses Bild reflektiert sicherlich die Entlassung von seiner Lehrtätigkeit an der Düsseldorfer Akademie durch die Nationalsozialisten und weist auf seine Betroffenheit. Ich bin der Meinung, dass gerade bei der Lektüre der eindrucksvollen Kriegstagebücher von Beckmann aus dem Ersten Weltkrieg, oder der Briefe, die er seiner Frau geschrieben hat, deutlich wird, wie intensiv sich die Eindrücke jener Kriegsjahre in späteren Bildern manifestieren. Als wären die Bilder der späten Dreissigerjahre und die im Amsterdamer Exil (193747) entstandenen Werke eine melancholisch-tragische Reflexion jener Eindrücke. Viele Beckmann-Bilder strahlen eine eher traurige Grundstimmung aus. Und bei Klee gibt es ja auch diese Erinnerungen an frühere Jahre in seinem späten Schaffen. Das sind diese traumhaften Aspekte, die beide Künstler verbindet. Im Titel «Max Beckmann - Traum des Lebens» soll das deutlich werden. Bei-

de haben sich auf extreme Weise mit der Welt des Traumes beschäftigt. Von Beckmann wie auch von Klee gibt es ausserordentlich viele Zitate und Werktitel zur Thematik des Traums. Beckmann antwortete auf den Ausspruch «Beckmann brutal» in einer Rezension: «Na ja, bin ich ja auch». Und eine Autobiografie beginnt er mit: «Beckmann ist ein nicht sehr sympathischer Mensch». Seine beiden Frauen zwang er, ihre Karrieren aufzugeben. War Beckmann ein Misanthrop? Das ist gewiss selbstironisch inszeniert. Paul Klee strahlt eher weiche Züge aus. Beckmann hatte durchaus sehr sensible Seiten. Ich habe mit Peter Beckmann, seinem Sohn, lange über Max Beckmann gesprochen. Gerade wie er seinem Sohn seitenlange Briefe zu zentralen Fragen des Lebens, der Seele, des Glaubens, der Religiosität schreibt, ist beeindruckend. Beckmann identifizierte sich auch mit der Mentalität des Clowns, der auch diese tragikomischen Nuancen hat, durchaus vergleichbar mit Klees expressiver Thematisierung der Masken, korrespondierend mit den Handpuppen, die er für seinen Sohn Felix gestaltet hat. Beckmanns Schaffen hat etwas Grobes, Rohes und Vulgäres, bei Klee ist es vielmehr die Suche nach einer Harmonie. Diese vulgäre Komponente zeigt Klee so nicht. Andrerseits gibt es bei Klee viele Zeichnungen, farbige Arbeiten auf Papier zu erotischen Themen - beginnend mit der Zeit um 1905. Der Hang zur erotischen Thematik ist weniger drastisch als bei Beckmann.

Reinhard Piper erinnerte sich, wie Beckmann seine zweite Frau, Hilde Kaulbach - Quappi genannt -, 1924 den etwas zögernden Anwesenden mit den aufmunternden Worten vorstellte: «Sie gewinnt bei näherer Betrachtung.» So geht es mir mit seinem bildnerischen Schaffen: auf den ersten Blick nicht wirklich schön, so gewinnt es aber in seinen vielen Facetten und gerade im Vergleich mit Klees Werken bei näherer Betrachtung. Trotz Gleichzeitigkeit und den vielen Gemeinsamkeiten wird deutlich, wie eigen beide in ihrem Charakter und vor allem in ihrem Schaffen blieben.


Viele, viele bunte Marken ■ In einer Zeit, in der wir tagtäglich von Brands, Labels und Logos umgeben sind, in der das Krokodil ganze T-Shirts aufzufressen droht und sich die Telefonieanbieter im Bewerben von Lifestyle überbieten, erscheint der von Sylvia Mutti Bereich der schönen Künste als letzte Bastion, die Eigenständigkeit und das authentische Produkt eines kreativen Individuums als Gegenpol zum industriell angefertigten Massenartikel verteidigt. Gewiss hätten sich Joseph Beuys auch ohne Filzhut oder Andy Warhol ohne wirres Silberhaar in der Kunstwelt durchsetzen können, und dennoch sind es gerade diese markanten Accessoires, die untrennbar mit jenen Künstlerpersönlichkeiten verbunden sind und sich als deren Markenzeichen − ja fast mehr noch als ihre eigentlichen Werke − in das Bewusstsein des Publikums einem Branding gleich eingeprägt haben. Der Kunst im Spannungsfeld zwischen authentischem Ausdruck und kalkulierter Marktstrategie mit Wie-

dererkennungswert, als Mittel optischer Anleihen aus der Werbewelt und subversives Medium zur Konsumkritik, widmen sich derzeit zwei Ausstellungen in Bern und Biel: Mit ihren amüsanten Schadensskizzen von kindlicher Hand hat sich die Mobiliar Versicherung ein bekanntes, visuelles Leitbild geschaffen und dementsprechend ist es auch der einprägsame Stil als künstlerische Marke, welche die Schau als Ausschnitt einer Corporate Collection in der Eingangshalle des Firmenhauptsitzes in Bern dominiert. So symbolisiert Daniele Buetti die Macht der globalen Brands als schmerzhafte und dennoch irritierend ästhetische Tatoos in den makellosen Gesichtern von Models, während beispielsweise Silvia Bächli mit ihren filigranen Tuschebildern, Rolf Iseli mit Erdcollagen und Bernhard Luginbühl mit einer massiven Eisenplastik für charakteristische Handschriften und Materialbearbeitung stehen. Im Centre PasquArt in Biel lassen Künstlerkollektive wie die etoy.CORPORATION oder PROTOPLAST die individuelle Künstlerpersönlichkeit

zu Gunsten einer Marken- und Marktstrategie hinter sich und reflektieren in ihren virtuellen oder imaginären Produkten die Mechanismen der Businesswelt. In breiter Vielfalt mit insgesamt 28 zeitgenössischen Positionen thematisiert die Ausstellung unter anderem werbeähnliche Typographie, Sprache und Gestaltung, Konsumkritik oder Kunstmarken wie die Spraybanane, die als Auszeichnung durch den Bananensprayer bereits am Eingangsbereich des Museums prangt.

Marken, Zeichen, Labels, Werke aus der Sammlung der Mobiliar

Noch ein Pissoir ■ Raffaella Chiara, Martin Blum, Yves Netzhammer und Bernd Schurer, Anselm Stalder, Gregor Zivic. Fünf Positionen. Nicht mehr und nicht weniger. Keine mit dutzenden Namen überfüllte Räume. Sondern fünf Positionen. Und das ist gut so. Fünf Positionen in jeweils kleinen Werkgruppen zeigt uns Andreas Fiedler als Gastkurator im Auftrag des Kunstvereins Solothurn unter dem offenen Titel «Flüchtiger Horizont». Natürlich assoziiert man mit diesem Titel sogleich Landschaft, Natur und deren sichtbare, aber wohl etwas unscharfe Begrenzung, vielleicht ein Dunstschleier, ein feiner Nebel, der die Konturen verblassen lässt - eben einen flüchtigen Horizont. Fiedler fasst den Begriff weiter. Die Grenzen des Horizonts verflüchtigen sich und lassen den Blick auf das Jenseits hinter dem Horizont erahnen oder sogar sichtbar werden: «Jenseits des Horizonts lässt sich eine unbestimmte, eine andere Welt denken.»

Und dies geschieht in den fünf Positionen. Jeder erdenkt sich seine eigene Welt und so ist der Ausstellungstitel wirklich nur ein weiter Kreis, indem sich die Künstler bewegen. Raffaella Chiaras Zeichnungen sind wie gewohnt äusserst fragil und subtil erarbeitet. Feine Linien, die sich immer wieder zu Inseln ballen, ziehen sich über die Fläche. Aus ihnen wachsen Pflanzen und pflanzenartige Gebilde, biomorphe Strukturen. Nur ganz zart erscheint Farbe in diesen Gitterstrukturen. Alles scheint hier irgendwie miteinander verbunden, Grenzen gibt es keine. Kaum zu fassen sind auch Stalders Arbeiten, vor allem in ihrer Heterogenität. Spiegel und Aluminium, Schriftbilder in leuchtendem Gelb, Sternenhimmel mit Tellern aus Fotografien und Malereien zusammengesetzt stehen gleichberechtigt nebeneinander. Zivic ist ein Bastler und Konstrukteur. Ein ganzes Haus, ein Pistolenhaus, hat er errichtet, mit Videoarbeit und Pissoir. Nein, es ist nicht Duchamps «Fontaine», die er

Branding - Das Kunstwerk zwischen Authentizität und Aura, Kritik und Kalkül CentrePasquArt Biel, Seevorstadt 71-75. Geöffnet Mittwoch bis Freitag 14:0018:00 h, Samstag bis Sonntag 11:00-18:00 h. Bis 28. Mai 2006. Die Mobiliar, Bundesgasse 35. Geöffnet Montag bis Freitag 8:00-18:00 h. Bis 6. Mai 2006.

damit aufnimmt, sondern: nach österreichischem Gesetz gilt ein Haus nur als solches, wenn eine Toilette vorhanden ist. Schön ist die Korrespondenz der zweidimensionalen Gitter aus Chiaras Zeichnungen mit den in die Dreidimensionalität übergehenden Bauten von Zivic. Blum konstruiert ebenfalls Räume, aber in Form von Fotografie und Installation. Sie sind als kleine Modelle aus Fotografien angelegt, die wiederum abgelichtet wurden und so eigenartige Täuschungen hervorrufen. Die Töne der Installationen von Netzhammer und Schurer dringen aus dem Untergeschoss bis in die höheren Gefilde des Museums hinauf. Audiovisuelle Collagen sind hier entstanden, die die drei Räume des Untergeschosses bespielen. Computeranimation, umherschweifende Projektionen, Tierstimmen und elektronisch kreierte Töne durchziehen die Räume. Und sie führen uns endgültig in eine eigene, jenseitige Welt hinter einem flüchtigen Horizont. (di)

Bild: Daniele Buetti, Prada 29, 2003, 70 x 100 cm, CPrint, Edition3, 1/3, Sammlung Schweizerische Mobiliar Genossenschaft, Bern. © ProLitteris.

Flüchtiger Horizont Kunstmuseum Solothurn, Werkhofstrasse 30. Geöffnet Dienstag bis Freitag 10:0012:00 h und 14:00-17:00 h, Samstag und Sonntag 10:0017:00 h. Bis 7. Mai.

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Nakis Panayotidis - Worte und Wörter Galerie Henze & Ketterer, Wichtrach. Geöffnet Dienstag bis Freitag 10:00-12:00 h und 14:00-18:00 h sowie Samstag 10:00-16:00 h. Bis 24. April 2006.

Kunststoffwechselsystem

Bildgedicht

Lichtdieb

■ «Ein anonymer Gönner hat uns ein Legat von einigen Zentnern Dynamit versprochen. Sobald wir das Geschenk abholen können, werden wir damit zu Ihnen nach Bern fahren und hoffen gerne, dass Sie zu Hause (d.h. in der Kunsthalle) sein werden, wann wir die künstlerischen Qualitäten des Pülverleins erproben.» Dies die Worte des Präsidenten einer «Vereinigung für kulturelle Veranstaltungen» an Harald Szeemann (1933-2005). Anlass war natürlich «When Attitudes Become Form», die kongeniale und legendäre Ausstellung 1969 in der Kunsthalle Bern. Was so schockierte, war diese Freiheit der Präsentation, diese Verstörung der Erlebnisroutine, wie man sie nicht mehr kannte: «Erlebnisintensität ohne Energieverlust». Die Ausstellung war nicht mehr nur Kunstvermittlung, sondern ein immer weiterführender Versuch, eigene Obsessionen - ein Museum der Obsessionen - zu realisieren. Hans-Joachim Müller, ehemaliger Kunstkritiker der «Zeit» und Feuilletonchef der «Basler Zeitung», jetzt freier Autor, präsentiert in 13 Kapiteln den Menschen und vor allem den Macher, den Ausstellungsmacher - den freien Kurator Harald Szeemann. Am Kapitelanfang steht jeweils eine Chronik, deren Highlight im nachfolgenden Text analysiert wird. So durchschreitet Müller die Lebens- und Schaffenswege, von den Attitüden zur «documenta 5», den «Jungesellenmaschinen», der Zeit am Kunsthaus Zürich, der visionären Schweiz und den Biennalen in Venedig bis hin zum visionären Belgien. Ein schmaler Band (gerade mal 168 Seiten sind es) ist im Hatje Cantz Verlag (Schweizer Lizenzausgabe bei Benteli) erschienen. Hier schreibt ein Insider, ohne sich aber in die Falle des zu detailverliebten Insiderwissens und Anekdotischen zu begeben. Zwar ist es eine Biografie, aber wie der Buchtitel bereits verrät, geht es um Szeemanns Arbeit im Dienste der Künstler. Ein schön und reich bebilderter Band, der einen kenntnisreichen Überblick zu Harald Szeemann liefert. (di)

■ Wie Worte, oder besser Buchstaben eines Gedichtes, eines guten Gedichtes, schmiegen sich die einfachen Schwarzweissfotografien in «East Broadway Breakdown» von Christopher Wool aneinander. Einfache Fotografien, weil sie unprätentiös und ungekünstelt, ungestellt und wahr, aber immer vollkommen subjektiv daherkommen - einfach also keinesfalls negativ gemeint. Es entsteht ein Rhythmus, ein Fluss der Bilder, Symmetrien und Gleichklänge. Ein Motiv kehrt wieder, eine Komposition zeigt sich erneut. Vielleicht ist es gar nicht so weit hergeholt, Wools Fotografien mit Worten und Sätzen und Gedichten in Verbindung zu setzen, denn schliesslich malt Wool (geboren 1955) seit geraumer Zeit grossformatige Schriftbilder. Übrigens auch in schwarzweiss. Damit versuchte er bereits in den 1980er Jahren das Kompositorische aus der Malerei zu verbanden, vielleicht sogar das Kunstschaffen zu dekonstruieren. Als Fotograf ist Wool wenig bekannt. Zwischen 1994 und 1995 machte Wool in der Lower East Side von New York hunderte von Fotografien mit einer Kleinbildkamera. Und dies nachts. Im Winter 2001/02 nahm Wool die Fotografien noch einmal zur Hand, schuf eine Bilddatenbank und druckte davon drei Exemplare auf Fotopapier aus. Die Graphische Sammlung der ETH erwarb 2004 ein Exemplar dieser Edition, die noch bis Anfang April in einer kleinen Ausstellung zu sehen ist. Die Kamera scheint zu torkeln, scheint durch die Strassen zu rasen und doch alles festzuhalten: Strassen, heruntergekommene Häuserfronten, Hauseingänge und Treppen, der Mensch bleibt im Hintergrund, dafür aber Müll und eingezäunte Natur. Das Bild wird unscharf, wird aus der Horizontalen geworfen. Also auch hier Dekonstruktion und fehlende Komposition. So nüchtern wie die Fotografien von Wool, so nüchtern haben er und Hans Werner Holzwarth auch die Publikation gestaltet. Bis auf den Titel und das Impressum gibt es rein gar nichts zu lesen, nicht einmal Seitenzahlen. So wird daraus ein assoziatives Bildgedicht ohne jede Störung. (di)

■ «Prometeo ladro anche io» heisst eine Installation von Nakis Panayotidis, die er im letzten Jahr mit einer ganzen Serie ähnlicher Werke in Thessaloniki zeigte. Aus diesem Anlass und einer Ausstellung in der Galerie Henze & Ketterer erschien nun bei Benteli ein umfangreicher Katalog. Besagte Installation besteht aus einer mit Bleifolie bespannten Fläche, aus der eine Faust mit einer roten Leuchtstoffröhre herausragt. Das rote Licht verweist auf den Mythos von Prometheus, der sich den Göttern widersetzt, ihnen das Feuer raubt und es den Menschen bringt. Er bringt den Menschen Erleuchtung - und Kultur! Das Motiv des Lichts ist erst einmal in Form von Leuchtstoffröhren in seinem Werk zu finden. Verbunden mit dieser rebellischen und Wände durchbrechenden Faust erhalten die Arbeiten etwas Kämpferisches. Teils sind die Leuchtstoffröhren mit Wörtern und Sätzen beschriftet. Interessanter sind Panayotidisʻ malerisch-fotografische Objekte. Wie man merkt, sie sind nicht ganz einfach zu etikettieren. Einerseits sind es Fotografien von oftmals verlassenen und heruntergekommenen Gebäuden. Auch hier eignet sich der Künstler etwas an - raubt. Panayotidis erwähnt zu seinen Arbeiten: «Ich kam und raubte, um zu kreieren.» Zeit interessiert ihn an der Fotografie, die vergangene Zeit und die damit verbundenen Geschichten. Die Fotografien werden übermalt und mit verschiedenen Materialien wie Wachsblöcken, Steinen, Holz oder wieder Leuchtstoffröhren verbunden, Stoffen, die an seine Herkunft aus der Arte Povera erinnern. Das von Bruno Corà herausgegebene Buch zeigt Werke aus allen Schaffensphasen des Künstlers seit Mitte der 1980er Jahre. Etwas befremdlich wirkt die Entscheidung, Texte in Griechisch, Französisch, Italienisch und Deutsch teils mit Übersetzungen aufzunehmen. Vieles ist damit für viele schlicht und einfach überflüssig, gleichzeitig aber ist es ein Zeugnis der Stationen im Leben des Künstlers: 1947 in Athen geboren, Architekturstudium in Turin und schliesslich seine Wahlheimat Bern, wo ihm bereits 1994 das Kunstmuseum eine Ausstellung widmete. (di)

Hans-Joachim Müller, Harald Szeemann - Ausstellungsmacher, Hatje Cantz/Benteli, 168 Seiten, 2006, Fr. 42.00.

Christopher Wool, East Broadway Breakdown, Holzwarth Publications, 328 Seiten, 2003, Fr. 78.00.

Nakis Panayotidis - Ladro di Luce, Benteli, 240 Seiten, 2005, Fr. 58.00.


GALERIEN IN BERN Altes Schlachthaus Metzgergasse 15, Burgdorf // Tel 034 422 97 86 annex14 - Galerie für zeitgenössische Kunst Junkerngasse 14, 3011 Bern // Tel 031 311 97 04 Mi-Fr 13:00-18:30 h / Sa 11:00-16:00 h Pamela Rosenkranz, Jean-Claude FreymondGut On Paper 4.3. - 8.4.06 Michal Budny 22.4. - 27.5.06 Art-House Mittlere Strasse 3A, 3600 Thun // Tel 033 222 93 74 Mi-Fr 14:00-17:30 h / Sa 11:00-16:00 h Roset Gemälde «Poetische Physik Ausstellung: 4.3. - 1.4.06 Franziska Ewald: Malerei Martina Lauinger: Eisenplastiken Vernissage: Fr 7.4.06 Ausstellung: 8.4. - 6.5.06 Art + Vision Junkerngasse 34, 3011 Bern // Tel 031 311 31 91 Di-Fr 14:00-19:00 h / Do 14:00-21:00 h / Sa 11:00-16:00 h Beat Brechbühl Atelier Bodoni, Neue Einblattdrucke, Poesie zu Sehen 14.1. - 4.2.06 Bärtschihus Gümligen Dorfstrasse 14, 3073 Gümligen ESPACE Indigo Stauffacher Buchhandlung, 3011 Bern Tel 0844 88 00 40 Ladenöffnungszeiten novelline 26.4. - 29.5.06

Über novelline Novelline ist Kunstfigur und Künstlerinnenname in einem. Zur selben Zeit handelt es sich immer um ein und dieselbe Figur, was die Bilder zu Spiegelbilder oder Identifikationsfiguren der Künstlerin macht und so das Gesamtwerk zu einem fortdauernden Tagebuch werden lässt. Die Künstlerin versucht die Essenz der Weiblichkeit auf Papier festzuhalten, was zu einem unendlichen Prozess geworden ist. Es entstehen bissige Dornröschen, Blut weinende Madonnen und morbide Schönheiten. Das Symbol von Novelline ist ein Einhorn, das für Individualität und Einzigartigkeit steht, aber auch für etwas Unreales, das nur in Legenden und Märchen vorkommt - ein bisschen verloren in einer rationalen Welt. bk Galerie Bernhard Bischoff & Partner Speichergasse 8, 3011 Bern // Tel 031 312 06 66 Mi-Fr 14:00-18:00 h / Sa 11:00-16:00 h oder nach Absprache Zeitzeichen Rudolf Blättler, Kotscha Reist 24.3.-13.5.06 - Eröffnung 24.3.06, 17:00-23:00 h Galerie 25 2577 Siselen // Tel: 032 396 20 71 Fr-So 14:00-19:00 h oder nach telefonischer Vereinbarung Neueröffnung im August 2006 Galerie 67 Belpstrasse 67, 3007 Bern // Tel 031 371 95 71 Mo 13:30-18:30 h, Di-Fr 9:00-12:00 h & 13:3018:30 h & Sa 9:00-12:00 h Kunst aus Brasilien Verschiedene Künstler Austellung März bis April

Huber.Huber Eine Versuchsanordnung Vernissage: Fr, 7.4.06, 18:00 h 8.4. - 6.5.06 Galerie Tom Blaess Uferweg 10, 3018 Bern // Tel 079 222 46 61 Besichtigung auf Anfrage Arbeiten des Druckateliers Galerie Beatrice Brunner Nydeggstalden 26, 3011 Bern // Tel. 031 312 40 12 Mi / Do / Fr 14:00-18:00 h / Sa 11:00-16:00 h Doris Staub Muster «fluids» 10.3 - 8.4.06 Galerie Henze & Ketterer Kirchstrasse 26, 3114 Wichtrach // Tel 031 781 06 01 Di-Fr 10:00-12:00 h & 14:00-18:00 h / Sa 10:0016:00 h Nakis Panayotidis – «Wörter und Worte» 14.1. - 22.4.06 Expressionismus, insbesondere Brücke 14.1. - 22.4.06 Fritz Winter – zum 100. Geburtstag Lyrische und Expressive Abstraktion aus fünf Jahrzehnten 14.1. - 22.4.06 Galerie Duflon & Racz Gerechtigkeitsgasse 40, Bern Tel 031 311 42 62 Do 14:00-20:00 h & Sa 11:00-17:00 h, sowie auf tel. Vereinbarung Martha Grunenwaldt *1910, Belgien art brut

Galerie 849 MüM Gurtenpark im Grünen, Wabern Täglich von 9:00-18:00 h Galerie Artraktion Hodlerstrasse 16, 3011 Bern // Tel: 031 311 63 30 Do & Fr 15:00-18:00 h, Sa 11:00-16:00 h oder nach Vereinbarung Urs Borner Via Maddalena Vernissage: Fr 28.4., 17.30-20:00 h Begrüssung durch Dr. Urs Staub Finissage: Fr 19.5., 17:30-20:00 h Galerie bis Heute Amtshausgasse 22, Bern / Tel. 031-311 78 77 Do-Fr 14:00-18:30 h, Sa 11:00-16:00 h & nach Vereinbarung

Galerieneintrag: Auf den Seiten «Galerien in Bern» werden seit November 2005 nur noch Galerien publiziert, welche unsere jährliche Publikationsgebühr bezahlt haben. Wer sich hier eintragen lassen möchte, melde sich bei der Redaktion: Telefon 031 318 6050 oder redaktion@ensuite.ch.

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Galerie Margit Haldemann Brunngasse 14 / Brunngasshalde 31 // Tel: 031 311 56 56 Mi 11:30-18:30 h / Do & Fr 14:30-18:30 h / Sa 11:00-16:00 h Peter von Gunten: «Zufe Zafe e Cervèlo» Fotoarbeiten Venedig Vernissage: Mi 26.4.06, 18:00-20:00 h. Es spricht Fred Zaugg 26.4. - 20.5.06

In Vorbereitung Galerie Kornfeld: Auktionen 15. & 16.6.06

Kunstreich Gerechtigkeitsgasse 76, 3011 Bern // Tel 031 311 48 49 Mo-Fr 09:00-18:30 h / Do 09:00-20:00 h / Sa 09:00-16:00 h Dimitri Clown Fantasy bis zum 15.4.06 Shang Hutter Figuren und Zeichnungen 27.4. - 3.6.06

Galerie Ramseyer & Kaelin Junkerngasse 1, 3011 Bern // Tel 031 311 41 72 Mi-Fr 16:00-19:00 h / Sa 13:00-16:00 h Barbara Bandi, Esther Quarroz Finissage: Sa 1.4.06, 13:00-16:00 h Heinz Inderbitzi, Malgorzata Kulczyk 11.4. - 29.4.06 Lukas Salzmann «Second Nature» Buchvernissage am 28.4.06, 18:45 h. Es spricht Ulrich Gerster Nur 28. & 29.4.06 Galerie Martin Krebs Münstergasse 43, 3011 Bern // Tel 031 311 73 70 Di-Fr: 14:30-18:30 h / Sa 10:00-14:00 h Stefan Haenni Vom Niesen zu den Pyramiden Dauer der Ausstellung: bis Samstag, 1.4. Jean-François Luthy «Augenblicke» Vernissage: Sa 8.4.06, 11:30-15:30 h Dauer der Ausstellung: bis Sa 13.5.06 Galerie Kornfeld Laupenstrasse 41, 3001 Bern // Tel 031 381 46 73 www.kornfeld.ch Mo-Fr 14:00-17:00 h / Sa 10:00-12:00 h Sam Francis Graphik der Jahre 1960 bis 1990 8.3. - 13.4.06

Marianne Vögeli / Walter Vögeli / Raoul Ris Besichtigung auf Anfrage

Galerie Rigassi Münstergasse 62, 3011 Bern // Tel 031 311 69 64 Di-Fr 11:30-13:30 h & 15:30-19:00 h, Sa 11:0016:00 h Martin Disler 5.4. - 24.5.06 Galerie Silvia Steiner Seevorstadt 57, 2502 Biel / 032 323 46 56 Mi-Fr 14:00-18:00 h & Sa 14:00-17:00 h Blumen / Fleurs / Fiori Sibylle Heusser, Beatrix Sitter-Liver Vernissage: 22.4., 17:00-19:00h 22.4. - 20.5.06 Kornhausforum Forum für Medien und Gestaltung Kornhausplatz 18, 3011 Bern // Tel 031 312 91 10 Di-Fr 10:00-19:00 h, Do bis 20:00 h & Sa/So 10:00-17:00 h Un autre monde 15 FotografInnen zeigen zeitgenössische Fotografie des afrikanischen Kontinents 3.3. - 9.4.06 CoverArtCulture 2 Vernissage: Do 6.4. 06, 21:00 h 5.4. - 29.4.06 Künstlerhaus Postgasse 20, 3011 Bern // Tel: 031 311 53 76 Austellung Bilder & Objekte

Kunstraum Oktogon Aarstrasse 96, 3005 Bern Fr 16:00-19:00 h / Sa 11:00-15:00 h Cécile Wick 1.4. - 6.5.06 KunstQuelle Galerie Brunngasse 14, Bern // Tel 076 331 97 75 Do 14:30-18:00 h, oder nach telefonischer Vereinbarung. «Déjà vu?» Bilder von Walter Fuchs und Lilian Rappo ab 1.2.06, bis auf weiteres. ONO Bühne Galerie Bar Gerechtigkeitsgasse 31, 3011 Bern // Tel 031 312 73 10 Fr & Sa 13:00-17:00 h - Nachtgalerie: Mi-Sa ab 22:00 h C. W. Marsens Photoausstellung Ausstellungsdauer: 4. - 30.5.06

PROGR Zentrum für Kulturproduktion Speichergasse 4, Bern Leerraum [ ] Soundinstallation Strotter Inst. (CH) / fm3 (CN/USA) Ort: Ausstellungszone, Treppenhaus (Eingang Turnhalle)


2.3. - 2.4.06 Mi-So 14:00-17:00 h Leerraum [ ] Soundinstallation Kenneth Kirschner (USA) 6. - 30.4. Mi-So 14:00-17:00 h Ort: Leerraum, 1.OG & Treppenhaus Eingang Turnhalle «Reisen Zur Kunst» 11.4. 19:00 h Eröffnung Ausstellung Ort: Ausstellungszone, Videokunst.ch, 1.OG Mit Pierre Vadi, Samuel Herzog & Judith Albert Dauer der Ausstellung im PROGR: 12.4. - 28.5. videokunst.ch «Reisen Zur Kunst» Arbeiten von Mauricio Dias & Walter Riedweg, Monica Studer & Christoph van den Berg und Alex Hanimann 12.4. - 18.6. (!) Mi-So 14:00 h -17:00 h «come together» ab 11.4 bis auf weiteres San Keller & Su Yung Park Ort: Ausstellungszone RAUM Militärstrasse 60, Bern Mo-Fr 16:00-19:00 h / Sa 12-16:00 h Andrea Dora Wolfsämpf Die Hand im Arm der Farbe Malerei Ausstellung: 3.3. - 7.4.06 Minsk in translation Die Lyrikerin Lavinia Greenlaw aus London und ihr Übersetzer Raphael Urweider lesen aus ihrem neuen Werk MINSK 28.4.06, 20:00 h Schloss Hünigen 3510 Konolfingen Täglich von 8:00-21:00 h Janeric Johansson Installation Permanente Bilder-Ausstellung im Neubau SLM Kunstausstellung Dorfplatz 5, 3110 Münsingen // Tel 031 724 11 11 Mo-Do 8:00-12:00 h & 13:30-17:00h / Fr 8:0012:00 h & 13:30-18:00 h Die zweite Austellung ist für die Monate Juni / Juli 2006 geplant.

Stadtgalerie Hodlerstr. 22 + 24A 3011 Bern // Tel 031 311 43 35 Mi-So 14:00-17:00 h Yanick Fournier «Kriegsspiel» (Pop2/643) Eröffnung: Fr 31.3. 18:30 h Yanick Fournier, zeigt in seiner ersten Einzelaus-stellung in der Schweiz eine Installation, die auf dem Computerspiel «Prince of Persia» basiert und den STAGE-Pavillon in einen Raum zwischen virtuellem Spielfeld und realer Gefahrenzone verwandelt. 1.4. - 7.5.06 Wartsaal 3 Helvetiaplatz 3 Bern // Tel 031 351 33 21 täglich von 10:00-12:30 h & 15:00-19:00 h Regina Glatz Acryl Bilder 21.4. - 23.4.06 Ann Chen Mittagskonzert 26.4.06

Temporäre Ausstellungsräume Kunstrevue «TROU» Rue de Fer 8, 2800 Delémont 48 Originalgraphiken von Van Bram Velde, Meret Oppenheim, Oscar Wiggli, Gottfried Tritten, Mario Botta. Die Kunstrevue TROU (Redaktion und Druck im Berner Jura, Moutier und Crémines) stellt zum ersten Mal alle 48 Originalgraphiken die seit 1979 mit der Vorzugsausgabe erschienen sind in den Ausstellungsräumen der Stiftung Anne und Robert aus. Es sind Künstler wie Van Bram Velde, Meret Oppenheim, Oscar Wiggli, Gottfried Tritten, Mario Botta, etc. vertreten. 10.3. - 23.4.06

Dominik Imhof

Augenspiel ■ Juri Steiner wird ab Anfang 2007 Leiter des Zentrums Paul Klee. Er wird das sicher nicht ganz einfache Erbe von Andreas Marti übernehmen, wird dafür sorgen müssen, dass das ZPK weiterhin in aller Munde bleibt und nach seinem Startbonus nicht in Vergessenheit gerät. Wie schwierig das ist, sieht man bei den zahlreichen anderen monografischen Museen im internationalen Raum. Das Mono machtʻs schwierig, stets bleibt man gebunden an den einen oder die eine (ja es gibt ein paar wenige monografische Museen für Künstlerinnen, z. B. Käthe Kollwitz und äh...). Ein Plus des ZPK ist sicher der Drang zu grossen Namen, nach denen das Publikum immer noch strebt und zu denen Klee sicher zählt, aber auch seine wirklich umfangreiche und auch abwechslungsreiche Sammlung (ca. 4000 Klees), so dass immer wieder mal was Neues gezeigt werden kann, ob das reicht. Um zurück zu Steiner zu kommen: Für die Entscheidung waren für den Stiftungsrat Steiners Ideen zur Umsetzung des Zentrumsgedankens massgebend, die Verbindung von Kindermuseum, Konzerten und bildnerischen Künsten. Man darf gespannt sein, wie Steiner die drei Sparten verbindet und am Leben erhält. Ob sich die Strategie in Sachen Wechselausstellung bewährt, muss sich ebenfalls erst bewähren, im Moment mit der ersten tatsächlichen Wechselausstellung mit Werken von Max Beckmann. Wenn sich das ZPK hier einen Namen machen kann, trägt dies sicher einiges zu seinem weiteren und anhaltenden Erfolg bei und man kann so auch NichtKlee-Liebhaber anlocken. Und noch zu etwas ganz anderem: Seit kurzer Zeit ist nun das Schweizerische Institut für Kunstwissenschaft mit seiner Website www. sikart.ch und einem umfassenden Lexikon zur Schweizer Kunst online. So erhält jeder vom gemütlichen Heim aus Zugang zu den Daten des SIK und dies noch umsonst. Und noch dies: Am 18. März sind im Photoforum PasquArt in Biel die Fotopreise des Kantons Bern 2006 verliehen worden. Zu den Gewinnern zählen Irina Polin, Christian Helmle, mit Anerkennungspreisen wurden Franziska Frutiger, Chantal Michel und Jon Naiman geehrt. Werke der Preisträger und weiterer Künstler sind noch bis zum 16. April im Photoforum zu sehen. Sehenswert.

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L E T Z T E

L U S T S E I T E Hinweis: Die Texte auf der letzten Lustseite sind nicht ganz jugendfrei. Wir bitten die LeserInnen unter 18 Jahren, diese Texte aufzubewahren und erst bei bei voller Reife zu lesen.

■ viel zeit, um aus dem fenster zu schauen. rechterhand der schnell-imbiss; kein personenverkehr, ab und zu hält ein auto. männer steigen aus und kurz darauf wieder ein. sehr wahrscheinlich ein leerer raum, ein imbiss, der die stufen ‚verlassen’, ‚einsam’ und ‚tot’ duchlaufen hat. linkerhand ein wohngebäude. helle fenster, balkone, nur durch die milchglasscheiben der mittleren fensterreihe dringt kein blick. als beobachter ahnt man frisch geduschte körper in badezimmern. frauen und männer, die auf der waage oder vor dem spiegel stehen. hände auf haut, die körpermilch verteilen. manchmal öffnet sich eines dieser fenster und nackte haut wird sichtbar. details sind jedoch auf diese distanz nicht auszumachen, alters- und geschlechtslose menschen treten auf und ab. weder augenfarbe noch körperbau noch hände erzählen etwas mehr. unten dann der garten mit ein paar vorwitzigen pflänzchen. unbewohnt, leer, die nachbarkinder haben das wühlen im boden, schreien, katzen-verkleiden, das rumfahren auf holzrädern noch nicht aufgenommen. die alleinerziehende mit ihren freundinnen ist auch noch nicht aufgetaucht, die geräuschkulisse netten lachens und schwatzen fehlt. die tramhaltestelle schräg gegenüber ist leer. niemand wartet und niemand steigt aus. vielleicht ist ein krieg ausgebrochen und der, der aus dem fenster schaut, weiss es noch nicht. beobachten nötigt das denken zu geduld

und konzentration. schweift der geist ab, produziert er geschichten, erinnerungen und eigene bilder. andere, frühere fensterblicke tauchen auf. diese erinnerten fensterblicke sind begleitet von tom waits und dem eindruck eines nächtlichen dauerregens. man stand damals in einem anderen zuhause, schaute aus einem anderen fenster und hörte traurige musik, die einem nichts anhaben konnte. man wartete und die zeit verging ganz gut dabei. jetzt ist die damals im überschuss vorhandene zeit geschrumpft und das warten scheint eine ungute lösung. man sollte auf ein lohnendes, auf ein bestimmtes ‚etwas’ warten. weich, warm, golden und ein bisschen fordernd könnte es sein. aber die zeiteinheiten fliessen unstrukturiert weiter, katzen streifen durch den garten und nestbauende vögel klagen sie an. später am tag streiten sich an der tramhaltestelle ein mann und eine frau. man müsste das fenster öffnen, um zu hören, worum es geht, aber dazu reicht die neugier nicht. der mann steigt erst beim dritten tram ein und die frau läuft weg. ob es regnet, dass sie die schultern so hochzieht und die hände in den taschen vergräbt? natürlich könnte der beobachter auch aufs bett liegen und an die weisse decke schauen. oder irgendeine andere überbrückungshandlung beginnen – lesen, essen, tv. aber das ist alles mit bewegung verbunden und mit verrichtungen, die in einer bestimmten reihenfolge getätigt werden müssen.

bei einem dasein im standby-modus am fenster scheint das unmöglich. die kontrolle der technischen geräte ist das maximum an interesse und bewegung: sms/negativ, anrufe in abwesenheit/negativ, anrufbeantworter/negativ. der beobachter legt sich jetzt doch ins bett; er liest die ewig gleichen erotischen stellen in den büchern auf seinem nachttisch und masturbiert dazu. nachher steht er auf, wäscht sich im badezimmer und lässt sich durch die milchglasscheibe beobachten. dann, sich fast schon lebendig und als teil des sozialen lebens fühlend, legt er sich wieder hin und schläft ein. (vonfrau)

impressum ensuite – kulturmagazin erscheint monatlich als Gratis- und Abonnementzeitung. Auflage: 10‘000 / davon 1‘300 Aboversand Adresse: ensuite – kulturmagazin; Sandrainstrasse 3; 3007 Bern; Telefon 031 318 6050; mail: redaktion@ensuite.ch Herausgeber: Verein WE ARE, Bern Redaktion: Lukas Vogelsang (vl); Stephan Fuchs (sf); Dominik Imhof (di) // Jean-Luc Froidevaux (jlf), Till Hillbrecht (th), Sonja Koller (sk), Helen Lagger (hl), Andy Limacher (al), Isabelle Lüthy (il), Marta Nawrocka (mn), Nadia Meier (nm), Eva Mollet (ev), Silvia Mutti (sm), Eva Pfirter (ep), Nicolas Richard (nr), Benedikt Sartorius (bs), Anne-Sophie Scholl, Sarah Elena Schwerzmann (ses), Sarah Stähli (ss), Tabea Steiner (ts), Sara Trauffer (st), Simone Wahli (sw), Christine Wanner (cw), Kathrina von Wartburg (kvw), Sonja Wenger (sjw), Vonfrau (Redaktion) Korrektorat: Monique Meyer (mm) Cartoon: Bruno Fauser, Bern; Telefon 031 312 64 76 Agenda: bewegungsmelder, Bern, allevents, Biel; ensuite - kulturmagazin Abonnemente: 58 Franken für ein Jahr / 11 Ausgaben. Abodienst: 031 318 6050 Web: interwerk gmbh Anzeigenverkauf: Marc de Roche, anzeigen@ensuite.ch Gestaltung: interwerk gmbh: Lukas Vogelsang; Anna Vershinova Produktion & Druckvorstufe: interwerk gmbh, Bern Druck: Fischer AG für Data und Print Vertrieb: Gratisauflage an 350 Orten im Kanton Bern; passive attack; Telefon 031 398 38 66 Redaktionelle

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wünscht bis zum 11. des Vormonates. Über die Publikation entscheidet die Redaktion. Bildmaterial digital oder im Original beilegen. Agendahinweise bis spätestens am 18. des Vormonates. Redaktionsschluss der Ausgabe ist jeweils am 18. des Vormonates.

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(siehe auch www.ensuite.ch - menü: veranstalter) Die Redaktion ensuite - kulturmagazin ist politisch, wirtschaftlich und ethisch unabhängig und selbständig. Die Texte repräsentieren die Meinungen der Autoren/innen, nicht jene der Redaktion. Copyrights für alle Informationen und Bilder liegen beim Verein WE

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