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Exklusiv-Interview mit Michael Ballack

Im Exklusiv-Interview spricht Ex-Nationalmannschaftskapitän Michael Ballack über seine Erwartungen an

„DIE REPUTATION STEHT AUF DEM SPIEL“

Auch auf ihn kommt es bei der EM an: Als Abräumer und Antreiber ist Joshua Kimmich im DFB-Team unverzichtbar. Fotos IMAGO (2)/ Laci Perenyi, LaPresse

Unser Experte

Michael Ballack gewann als Fußballprofi mit dem 1. FC Kaiserslautern, Bayern München, und dem FC Chelsea unter anderem fünf nationale Meistertitel und spielte 98-mal für Deutschland. Herr Ballack, Theater im Verband, der Bundestrainerrücktritt, dazu eine Hammergruppe – wie schwarz malen Sie mit Blick auf Deutschland vor der EM?

Mit dem Vorrundenaus 2018 und den letzten Ergebnissen steht die Nationalelf schon unter Druck, was Wiedergutmachung angeht, auch als Aushängeschild des deutschen Fußballs. Wir haben zuletzt enttäuscht. Die Reputation steht auf dem Spiel. Man ist immer zu einem Turnier gefahren, um mindestens das Halbfinale zu erreichen – da müssen wir wieder hinkommen. Von der Qualität her sind wir nach wie vor gut aufgestellt, haben aber auch ein paar Baustellen. Um gegen die Topnationen zu bestehen, muss sich einiges verbessern.

Nazi-Vergleich, Intrigen, Rücktritte – haben Sie sich zuletzt als ehemaliger Kapitän für den DFB geschämt?

Die Außendarstellung war natürlich katastrophal. Es ging um persönliche Befindlichkeiten und Eitelkeiten. Es ist nach wie vor schwierig, diesen Interessenkonflikt zwischen Amateuren und Profis hinzubekommen, auch von den

Strukturen her. Wichtig ist aber, dass man dennoch respektvoll und professionell miteinander umgeht und kommuniziert, und zwar auf allen Ebenen. Jeder muss merken, dass das eine ohne das andere nicht geht und beide Seiten auch gewisse Verpflichtungen haben. Da muss es in Zukunft Personen geben, die das filtern und moderieren.

Hat so ein Theater Einfluss auf die Mannschaft?

Das glaube ich nicht. So viele Berührungspunkte gibt es nicht. Egidius Braun oder Gerhard Mayer-Vorfelder waren zu meiner Zeit für uns greifbar und haben unsere Sprache gesprochen. Zuletzt ging die Tendenz eher in eine andere Richtung. Die Spieler wollen es sportlich wieder hinkriegen, basta.

das DFB-Team, das Theater rund um die Verbandsspitze und seine Favoriten für die Europameisterschaft.

Vorne hui, hinten pfui – oder wie schätzen Sie die DFB-Elf ein?

Individuell sind wir gut aufgestellt. Ob wir als Mannschaft schon wieder so weit sind, um ganz vorne dabei zu sein, muss sich zeigen. Nach vorne haben wir sicher unsere Stärken. Je mehr es nach hinten geht, umso weniger Weltklasse verkörpern wir, da sind wir eher solide unterwegs. Aber Thomas Tuchel hat gerade bei Chelsea eindrucksvoll bewiesen, dass man auch mit einer soliden Defensive extrem gut verteidigen kann, nämlich im Mannschaftsverbund.

Würden Sie aufgrund der Überbesetzung im defensiven Mittelfeld Joshua Kimmich als Rechtsverteidiger zurückziehen?

Aus meiner Sicht eine ganz entscheidende Frage. Ich bin ein Verfechter davon zu sagen: Die Besten sollen spielen. Kimmich hat sich in der Mitte toll entwickelt und natürlich den Anspruch, dort auch zu spielen – mit seiner Persönlichkeit, mit seiner Dominanz. Aber wir haben in der Zentrale ein Überangebot an sehr guten Spielern. Warum sollen jetzt zwei darunter leiden, nur um zwei Spezialisten auf ihren Positionen zu bringen? Zumal Kimmich ja als Rechtsverteidiger groß geworden ist. Löw muss die Spieler kommunikativ mitnehmen, und wenn er diese Überlegung hat, dafür begeistern. Die Mannschaft muss das mittragen. Ich finde, die Option mit Kimmich als Rechtsverteidiger sollte zumindest laut gedacht werden.

Dreier- oder Viererkette?

Die guten Spiele mit einer Dreierkette waren überschaubar. Von daher wäre ich da sehr vorsichtig und würde lieber auf ein System setzen, dem die Mannschaft vertraut. Also Viererkette.

Stehen im Trainingslager der DFB-Elf in Seefeld sofort im Fokus: die Rückkehrer Mats Hummels (l.) und Thomas Müller. Foto: IMAGO/Eibner Europa

Gosens, Halstenberg, Günter: Wer ist Ihr Favorit als Linksverteidiger?

Dass Löw auf dieser Position gleich drei Spieler nominiert hat, zeigt mir, dass er sich bezüglich der Besetzung noch unschlüssig ist. Mir geht es genau so. Günter hat wenig Erfahrung, ihn sehe ich nicht als Stammspieler. Zwischen den anderen beiden muss die

Form entscheiden.

Fehlt ein klassischer Stürmer wie Miroslav Klose?

Diesen Spielertyp gibt es insgesamt weniger. Wir haben keinen Stürmer, der für diese Rolle prädestiniert ist: Ob Havertz, Gnabry, Werner, Müller oder Volland, alle haben andere Qualitäten. Ich hoffe, dass Jogi Löw Werner dahin bekommt, dass

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Zwei deutsche Nationalspieler mit Hand am Henkelpott: Kai Havertz (links) und Timo Werner vom FC Chelsea nach dem Champions-League-Finale. Foto: IMAGO/Sportimage

« ICH HOFFE, DASS JOGI LÖW WERNER DAHIN BEKOMMT, DASS ER BEI DER EM UNSERE TORE SCHIESST. »

er bei der EM unsere Tore schießt.

Wo sehen Sie Müller?

Ich glaube, dass er hinter den Spitzen am besten aufgehoben ist, wie bei Bayern. Mit seiner Nase und seinen Wegen ist er wie gemacht für die Unterstützung des Stürmers. Auch weil er unheimlich gut antizipieren kann, wenn andere Spieler ihre Positionen verlassen und er diese Räume ausfüllt beziehungsweise nutzt. Thomas ist ein unheimlich komplexer Mannschaftsspieler, auch als Korrektiv im Defensivverbund.

Was ändert sich in der Hierarchie durch die Rückkehr von Müller und Mats Hummels?

Erst mal kommt dadurch Erfahrung und Qualität zurück. Aber natürlich wird es spannend, wie diejenigen damit umgehen, die zuletzt mehr Verantwortung übernehmen sollten wie Kimmich, Goretzka oder Gündogan. Hummels und Müller sind intelligent genug, um Positivität reinzubringen, vielleicht auch Reibung. Aber sie müssen auch dann gelassen bleiben, wenn sie mal nicht von Anfang an spielen. Das ist keine einfache Situation, aber die hat der Trainer sich selbst geschaffen.

Hätte Löw direkt nach dem 0:6 in Spanien oder dem 1:2 gegen Nordmazedonien zurücktreten müssen?

Ich bin der Meinung, dass man die Position des Bundestrainers immer in einem Zweijahresrhythmus bewerten sollte – es sei denn, die Ergebnisse sind durchgehend eklatant schlecht. Die Turniere müssen der Gradmesser sein, dazu der Entwicklungsprozess. Wenn man 2018 der Meinung war, mit Löw bis zur EM weiterzumachen, sollte man es auch durchziehen. Alles andere wäre Aktionismus gewesen, auch wenn die Tendenz zuletzt nicht gut war, ganz klar.

Ist Hansi Flick der richtige Nachfolger?

Von der Konstellation ist er sicher die beste Lösung, auch mit seiner Vergangenheit beim DFB. Es ist für den Verband ein Glücksfall, dass er auf dem Markt war. Mit seiner ruhigen Art kann er sicher helfen. Und dass er mit Stars umgehen kann, hat er bei einem Topklub bewiesen.

Großer Gewinner ist wieder mal Oliver Bierhoff. Wäre es nicht konsequent gewesen, wenn er nach den Querelen und Misserfolgen auch zurückgetreten wäre?

Das fällt mir schwer zu beurteilen, weil man seine genaue Position und die Entscheidungskompetenzen ehrlicherweise nicht immer zuordnen kann. Manchmal ist er eng an der Nationalelf, dann wieder eher im Akademie- und Nachwuchsbereich. Dann sucht er den Bundestrainer oder kümmert sich um die Vermarktung. Ich bin kein Freund davon, dass man eine Position von der anderen abhängig macht, aber die Hierarchie und die Zuständigkeiten müssen klar geregelt sein. Sonst ist es kein Wunder, dass gewisse Personen überhaupt nicht kritisch hinterfragt werden.

Wer sind für Sie die Turnierfavoriten?

Frankreich ist das Team, das es zu schlagen gilt – das müssen sie sich gefallen lassen. Die Portugiesen, die unglücklicherweise ebenfalls in unserer Gruppe spielen, schätze ich auch sehr stark ein. Mit Ronaldo haben sie einen Superstar, der die Gewinnermentalität auf die ganze Mannschaft überträgt, dazu tolle junge Spieler wie Dias oder Fernandes. Auch England hat wirklich vielversprechende Jungs, aber ich warne vor zu hohen Erwartungen. Das Hauptproblem, welches sie immer wieder haben, ist der Umgang mit diesen riesigen Ansprüchen. Ich würde sie nicht im obersten Regal einordnen, Belgien hingegen schon.

Wer hat das Zeug zum Superstar?

Foden oder Mount könnten durchstarten, wenn England weit kommt. Mbappé ist vermutlich der Spieler, der am ehesten in der Lage ist, dem Spiel seinen Stempel aufzudrücken und Frankreich zum Titel zu führen.

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