Anzeigen-Spezial • 21. August 2018
Energie Das letzte Leuchten Sie war der Inbegriff der Moderne – die Glühlampe. Am 1. September endet ihre Ära. Fast 200 Jahre nach dem Moment, als die ersten Fäden in einem kleinen Glasballon zum Glühen, vor allem aber zum Leuchten gebracht wurden. Nun werden nur noch Energiesparlampen produziert. Dass das Zeitalter des Stromfressers zu Ende geht, geschieht nicht ohne Grund: Energiesparlampen sind 80 Prozent effizienter und brennen etwa 6000 bis 15 000 Stunden. Effizienz ist auch ein Themen-Schwerpunkt beim 7. Ostdeutschen Energieforum in Leipzig. Ebenso stehen die drei großen D der Energiewende – Dezentralisierung, Dekarbonisierung, Digitalisierung – auf der Agenda der mehr als 400 Teilnehmer aus Politik, Energiewirtschaft und Wissenschaft. Sie senden eine klare Botschaft Richtung Berlin: Ein „Weiter so“ ist unverantwortlich. Warum die Energiewende ins Stocken geraten ist und was zu tun ist, um energiepolitisch die Kurve zu kriegen, thematisiert dieses LVZ-Spezial.
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Ostdeutsches EnergiEforum
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Kommentar Von Kristian Kirpal*
Neue Perspektiven für Infrastruktur
D
as Stichwort „Energiewende“ verzeichnet bei Google mehr als 4,6 Millionen Treffer. Eine imposante Zahl, die vor allem seit 2011 rasant gestiegen ist, als die Bundesregierung einen so noch nie dagewesenen energiepolitischen Schnitt für Deutschland verordnete. Sieben Jahre danach ist vieles auf den Weg gebracht, wurden beispielsweise die Forderungen nach mehr Wettbewerbsfairness in punkto Angleichung der Stromkosten für die ostdeutschen Unternehmen endlich von der Politik erhört, und dennoch sind vor allem die technischen Herausforderungen geblieben. So stehen unter anderem die Technologien zur Stromspeicherung weiter im Fokus, um die Energiewende zum Erfolg werden zu lassen. Das 7. Energieforschungsprogramm der Bundesregierung soll ab 2019 mit jährlich rund 1,1 Milliarden Euro das andauernde Speicherproblem lösen. Ein wichtiges Signal – auch an die in Sachsen ansässigen Forschungseinrichtungen in der Speicherforschung. Fördergeld ist das eine, gute Ideen das andere. Es sollte doch gelingen, den Strukturwandel volkswirtschaftlich so geschickt anzustellen, um auch die vorhandene Infrastruktur weiter zu nutzen. So eignen sich beispielsweise Kraftwerksstandorte auch nach der Braunkohleverstromung als leistungsfähige Energiestandorte. Ob als Großspeicher für die Regelung des Stromnetzes, die Umwandlung von Strom in Methan und/ oder Wasserstoff sowie deren Einspeisung in das Gasnetz oder auch die Rückverstromung von erzeugtem Gas: Die technische Infrastruktur und Netzanbindungen der Kraftwerke an das bestehende Strom- und Gasnetz bieten viele Möglichkeiten der Nachnutzung. Wir in unserer Region haben die Köpfe, solche innovativen Lösungen zu finden und Innovationsführer in diesen Zukunftsfeldern zu werden. Das diesjährige Ostdeutsche Energieforum soll dabei wieder eine Plattform des intensiven Austauschs und neuer Ideen sein – getreu dem Motto: „Zukunft ist das, was wir daraus machen!“ * Präsident der Industrie- und Handels kammer (IHK) zu Leipzig
Dienstag, 21. August 2018 | NR. 194
■■ Der Anteil der erneuerbaren Energien
derung des Schienenverkehrs und der energetischen Sanierung von Häusern genutzt werden.
am gesamten deutschen Energieverbrauch ist weiter gestiegen. Im ersten Halbjahr lag der Anteil der regenerativen Träger bei 14 Prozent, nach 13,32 Prozent im Vorjahreszeitraum. Das geht aus Zahlen der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen hervor.
■■ Lange Jahre gehörten die deutschen
Strompreise in Europa zu den höchsten, aber irgendwo anders war die Elektrizität immer noch etwas teurer. Nun liegt der Strompreis in Deutschland ganz an der Spitze. Für einen Jahresverbrauch von bis zu 2500 Kilowattstunden hat Deutschland den langjährigen Spitzenreiter Dänemark abgelöst. Demnach zahlten deutsche Haushalte im Jahresmittel 33,62 Cent je Kilowattstunde, die Dänen 32,89 Cent, die Niederländer 10,6 Cent.
■■ Trotz der steigenden Ökostromerzeu-
gung hat es im ersten Halbjahr weniger Noteingriffe zur Stabilisierung der deutschen Stromnetze gegeben. Die vier Übertragungsnetzbetreiber melden für Januar bis Juni zurückgehende Zahlen. Beim Netzbetreiber 50Hertz, der für das Übertragungsnetz in den ostdeutschen Bundesländern sowie in Hamburg zuständig ist, haben sich die Noteingriffe bei den konventionellen Kraftwerken mehr als halbiert. Sie gingen binnen Jahresfrist von rund 3400 Gigawattstunden auf etwa 1250 Gigawattstunden zurück. Die Leistung aus Windkraftanlagen musste im ersten Halbjahr 2018 um 300 Gigawattstunden reduziert werden. Im Vorjahreszeitraum waren es 415 Gigawattstunden.
■■ Die EEG-Umlage dürfte Experten zu-
folge im kommenden Jahr den Strompreis nicht steigen lassen. Der online verfügbare Rechner der Denkfabrik Agora Energiewende liefert für 2019 einen Wert von 6,78 Cent pro Kilowattstunde Strom. Dieses Jahr lag die Umlage zu Förderung der erneuerbaren Energien, die Verbraucher mit der Stromrechnung bezahlen, bei 6,79 Cent. Da es in der Prognose noch Unsicherheiten gibt, geht Agora nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur von einem Wert zwischen 6,7 und 6,9 Cent pro Kilowattstunde aus. Damit bleibt der deutliche Anstieg aus, mit dem Experten noch vor einem Jahr gerechnet hatten.
■■ Wer ein Elektroauto als Dienstwagen
auch privat nutzt, kann bald mit Steuervorteilen rechnen. Das Bundeskabinett beschloss eine milliardenschwere Förderung. Die große Koalition erwartet einen Schub bei der weiterhin schleppenden Nachfrage nach E-Autos. Bisher muss ein Arbeitnehmer, der seinen Firmenwagen privat nutzt, monatlich ein Prozent des Listenpreises als geldwerten Vorteil versteuern – für Elektro- und Hybridfahrzeuge soll es künftig einen halbierten Satz von 0,5 Prozent geben.
■■ Der weltgrößte Rückversicherer Mu-
nich Re will aus dem klimaschädlichen Kohlegeschäft aussteigen. Das betrifft sowohl die Kapitalanlagen des Konzerns als auch die Versicherung von Kohlekraftwerken, wie Vorstandschef Joachim Wenning in der FAZ ankündigte. Dem-
Altmaier unter Druck nach will die Munich Re nicht mehr in Aktien oder Anleihen von Unternehmen investieren, die mehr als 30 Prozent ihres Umsatzes mit Kohle erzielen. ■■ Wasserstoff spielt in der Debatte um
die Energiewende bisher eine untergeordnete Rolle. Die Netzbetreiber Open Grid Europe und Amprion wollen das ändern und mit Ökostrom grünen Wasserstoff im industriellen Maßstab erzeugen. Beide Unternehmen wollen zusammen einen großvolumigen Elektrolyseur zur Wasserstoffgewinnung bauen und in die 100-Megawatt-Klasse vordringen.
■■ Noch steht der genaue Verlauf der
neuen Nord-Süd-Stromtrassen nicht fest, aber die Bauherren bestellen schon mal die Kabel. Vier Leitungen über drei Stromautobahnen sollen ab Mitte des nächsten Jahrzehnts vor allem Windstrom von Nord nach Süd liefern. Drei der Leitungen werden im Erdreich verlegt, eine über Land. Mehrere tausend Kilometer Kabel werden dafür benötigt.
■■ „Energiewende gelingt nur mit Ener-
gieforschung”, betont Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD). Der Masterplan Energieforschung im Energieland Sachsen sei Teil dieses Prozesses. Ziel sei, Forschungsergebnisse wirtschaftlich zu nutzen. Dabei will der Wirtschaftsminister in Deutschland ganz vorne mitspielen: „Allein im Jahr 2015 wurden 21 Millionen Euro an Landesmitteln in die Energieforschung in Sachsen investiert – das ist Platz vier im Bundesvergleich und vor allen anderen Bundesländern im Osten”, sagt er. Mit der besseren Vernetzung und Förderung von Energieforschung soll Sachsen künftig zu den drei führenden Ländern im Bund aufschließen.
Die deutsche Energiewirtschaft wirft der Bundesregierung Untätigkeit und Konzeptlosigkeit in Sachen Energiewende vor. Stefan Kapferer, Chef des Bundesverbandes der Energieund Wasserwirtschaft, zielt auf Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ab und spricht von „Stillstand“. Seit Wochen streite sich die große Koalition über Sonderausschreibungen für erneuerbare Energien, die Förderung der Kraft- Wärme-Kopplung in der Stromerzeugung und über den Netzausbau – „und am Ende passiert nichts“, so Kapferer. Auch ein Thema beim Ostdeutschen Energieforum in Leipzig. Was schlecht läuft in Deutschland, aber auch gut, lesen Sie hier in Kürze.
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■■ Das
■■ Wenig Fortschritte gab es nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft zuletzt bei der Senkung der gesamten deutschen Treibhausgasemissionen. Vor vier Jahren war gut die Hälfte der zwischen 2010 und 2014 geplanten Einsparungen realisiert. Seitdem ist die Geschwindigkeit des Klimaschutzes zurückgegangen, sodass bis heute nur 28 Prozent der Emissionsminderung erreicht wurden, die von 2010 bis 2017 notwendig gewesen wären, um bei gleicher Geschwindigkeit das Ziel für 2020 zu erreichen. ■■ Mit der Konzentration vor allem auf
Ökostrom wird die Energiewende in Deutschland schwerlich gelingen. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie der bundeseigenen Deutschen-Energie-Agentur (Dena). Dena-Chef Andreas Kuhlmann appellierte an die Bundesregierung, einen möglichst breiten Ansatz zu wählen, der viele unterschiedliche Technologien wie Wasserstoff und die Umwandlung von Ökostrom in synthetische Energieträger und Kraftstoffe beteilige. ■■ Stichwort
Kraftstoffe: Die Energieexpertin Claudia Kemfert fordert eine Reformierung der Besteuerung von Energie in Deutschland. Eine konsequent auf Klimaschutz ausgerichtete Steuerreform solle vor allem die Nutzung von Heizöl, Diesel und Benzin „deutlich unwirtschaftlicher“ machen. Allein mit der Anhebung der Dieselsteuer auf das Niveau der Benzinsteuer könnten zusätzliche Steuereinnahmen von bis zu neun Milliarden Euro generiert werden. Diese Steuereinnahmen könnten für den Umbau der Energienetze, die Förderung von Elektroautos und ihrer Lade-Infrastruktur sowie zur För-
Fotos (2): dpa
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Einstiegsberatung und Information zu betrieblicher Energieeffizienz, erneuerbaren Energien, verfügbaren Förderungen und Finanzierungshilfen Unterstützung bei allen abfall- und immissionsschutzrechtlichen Fragestellungen Vermittlung von Beratern und Sachverständigen Förderung des Technologietransfers zwischen Wissenschaft und Wirtschaft Interessenvertretung der Unternehmen bei innovations-, energie- und umweltpolitischen Themen bietet die IHK Energiewende und Klimaschutz“ tive itia dsin stan ttel „Mi der r tne Als Par t die nächsten te für mehr Energieeffizienz und zeig zu Leipzig Informationen und Produk tionen: en Energiewende. Weitere Informa Schritte auf dem Weg zur persönlich rgiewende.de ene www.mittelstand-
ßerdem zur Aufgabe gemacht, den Strompreisnachteil der deutschen Industrie gegenüber dem europäischen Durchschnitt nicht zu groß werden zu lassen. Ziel verfehlt: Lagen die Mehrkosten für die hiesigen Unternehmen im Jahre 2010 noch bei zwölf Prozent, waren es 2014 bereits 25 Prozent. Ende 2017 zahlte die deutsche Industrie im Schnitt 30 Prozent mehr für Strom als die europäischen Nachbarn.
■■ Die Hoffnung der Landesregierung in
Mecklenburg-Vorpommern auf Akzeptanzsteigerung für neue Windparks durch das Bürger- und Gemeindebeteiligungsgesetz hat sich bislang nicht erfüllt. Das Gesetz, das Kommunen und deren Bewohnern eine Unternehmensbeteiligung an benachbarten Windparks ermöglicht, sei noch kein einziges Mal zur Anwendung gekommen.
■■ Der
Bau eines Pumpspeicherkraftwerks im Thüringer Wald durch die Aachener Trianel-Gruppe ist endgültig gestoppt. Das Projekt, für das Investitionen von mehr als einer Milliarde Euro an der Schmalwassertalsperre bei Tambach-Dietharz veranschlagt worden waren, werde nicht weiter verfolgt, sagte Trianel-Sprecherin Nadja Thomas. Sie bestätigte damit Medienberichte, wonach das Unternehmen generell keine Pumpspeicher-Projekte mehr verfolgt. Die Trianel GmbH und die hinter ihr stehenden 36 Stadtwerke hätten so entscheiden, „weil die energiepolischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für solche Großprojekte nicht gegeben sind“.
Die Batteriezelle ist das Herzstück des Elektroautos. Deutsche Autokonzerne haben ihre Bedeutung zu spät erkannt. Jetzt sind sie von Lieferanten aus Asien abhängig.
Wie, weiß die
Erstansprechpartner für Unternehmen zu Innovation und Umwelt:
■■ Die Bundesregierung hatte es sich au-
Vorteil: China
Gewinne können auch wachsen, ohne dass die Natur eingeht.
wirtschaft-bewegen.de/innovation-umwelt
von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) persönlich formulierte Ziel, die EEG-Umlage zur Förderung von Ökostrom solle nicht das Niveau von 3,5 Cent pro Kilowattstunde überschreiten, wurde beim heutigen Iststand von 6,9 Cent dramatisch verfehlt.
n Thüringen wird eine der größten Batteriezellen-Fabriken für Elektroautos in Europa gebaut. Als erster Kunde des neuen Werks bei Erfurt vergab BMW einen Milliarden-Auftrag an die Chinesen. Doch nicht nur Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) fragt sich: „Kann es gut gehen, wenn wir als ein Kontinent, der Autos herstellt, die Batteriezellen aus Asien kaufen?“ Merkel hatte vor dem Besuch von Chinas Premier Li Keqiang gesagt: „Solche Schlüsselindustrien dürfen wir nicht aufgeben.“
Woher bekommen die Autobauer bisher Batterien? VW, Daimler und BMW kaufen Zellen in Asien und bauen sie dann selbst zu Akkus für ihre Elektroautos zusammen. Panasonic in Japan, LG, Samsung und SK in Korea, CATL und BYD in China – der Markt sei „eher ein Oligopol mit höchstens zehn dominierenden Anbietern“, so Branchenexperte Jörn Neuhausen von der Beratung PWC. Immerhin: „Aktuell gibt es genug Wettbewerb, und alle Autohersteller kaufen ihre Zellen bei mehreren Herstellern ein, damit kein Monopol entsteht.“ Batterieexperte Kai-Christian Möller von der Fraunhofer-Gesellschaft sagt: „Jeder Autobauer hat mehrere Lieferanten. Korea und Japan sind sehr stabil, da sind wahrscheinlich keine Lieferengpässe, keine Zollschranken zu befürchten.“
Werden sie auch künftig beliefert? Das ist die große Frage. „Wer wird als Erster beliefert, wenn die Stückzahlen gewaltig hochgehen sollten“, fragt der bayerische IG-Metall-Chef und BMW- Aufsichtsrat Jürgen Wechsler. Die Produzenten könnten eines Tages die Lieferung einzelner Zellen einstellen, Autobauer bekämen nur noch fertige Batteriepakete. „Das ist unsere Angst.“ Eine chinesische Zellfabrik in Thüringen sei gut, aber die deutsche Industrie müsse Schlüsseltechnik selbst produzieren. „Wenn wir die Batteriezelle aufgeben, weil wir sie ja geliefert bekommen, sind wir irgendwann weg.“ Die Batterie macht gut ein Drittel der Wertschöpfung eines E-Autos aus, sie bestimmt Leistung und Reichweite. Autobauer versuchen daher, den Spieß umzudrehen: Sie entwickeln in Pilotanlagen selbst Zellen und wollen die Zulieferer zu Auftragsfertigern machen. Ist der Bau von Batteriezellen profitabel? Entstehen Stellen? „Die Gewinnmargen bei Zellen sind gering, da ist nicht viel Gewinn zu machen. Teuer sind die Rohstoffe“, sagt Möller. Wegen der Strompreise sei eine Zellfertigung in Deutschland „nur denkbar, wenn die Fabrik von der EEG-Umlage befreit und subventioniert würde“, meint Neuhausen. Mit der Umlage wird der Ausbau der erneuerbaren Energien finanziert. Northvolt baut mit Siemens ein Werk in Schweden, wo Strom ein
Zehntel des deutschen Preises kostet. Arbeitsplätze schaffen die hochautomatisierten Werke nicht viele. So werden CATL in Thüringen etwa 600 Mitarbeiter reichen. Der Konzern will bis 2022 rund 240 Millionen Euro investieren. Was spricht für eine Zellfabrik in Deutschland? „Wenn in fünf Jahren Millionen E-Autos gebaut werden, muss es auch in Europa Zellfabriken geben“, sagt Neuhausen. Ein Akku für ein E-Auto wiegt eine halbe Tonne. Der Transport der brennbaren Zellen ist aufwendig und teuer, von Asien nach Deutschland dauert es per Schiff einen Monat. Eine Lieferung just zu dem Zeitpunkt, zu dem der Autobauer die Zellen braucht, ist da nicht garantiert. Warum sind deutsche Autobauer und Zulieferer nicht dabei? Deutschland habe seine Batterieproduktion vor Jahren auch aus Umweltschutzgründen „vom Hof gejagt“, meint Wechsler. Asiatische Elektrokonzerne stiegen in die Elektrochemie ein, weil sie Batteriezellen für Handys und Laptops brauchten. Inzwischen haben sie sich viel Know-how erarbeitet – „das ist Hightech“, so Möller. Soll Deutschland noch einsteigen? „Lithium-Ionen-Batterien werden mindestens 20 Jahre noch das Maß der Dinge sein“, sagt Möller. Die deutschen Autobauer müssten ihre Herstellung im Detail verstehen. „Dafür muss man nicht gleich eine Gigafactory aufbauen.“ Die Autokonzerne investieren gerade kräftig in E-Autos und Digitalisierung – und Elektrochemie ist nicht gerade ihre Kernkompetenz. Vielleicht biete die übernächste Batteriegeneration einen Einstiegspunkt, so BMW-Vorstand Markus Duesmann. Vorerst bestellt BMW bei den Chinesen: Zellen im Wert von 1,5 Milliarden Euro sollen von 2021 an aus der CATL-Fabrik in Erfurt kommen, so Duesmann. Zellen für weitere 2,5 Milliarden Euro kauft BMW bei CATL in China. Der Autozulieferer Bosch erwägt keinen Einstieg in die Zellenproduktion: 20 Milliarden Euro wären nötig, um einen wettbewerbsfähigen Marktanteil zu erreichen. Ob sich das je rechnen würde, sei fraglich, hieß es aus Stuttgart.
Ostdeutsches EnergiEforum
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„Echte Energiewende geht nur digital“ enviaM-Gruppe entwickelt gemeinsam mit Partnern Internet der Energie in Ostdeutschland
Frage: Das Ostdeutsche Energieforum stellt in diesem Jahr die Leitfrage, wie wir die Energiewende auf Kurs bringen? Haben wir uns denn verlaufen? Andreas Auerbach: Nein, das würde ich so nicht sagen. Gerade in Ostdeutschland sind wir bei der Energiewende Vorreiter und auf einem guten Weg. So werden in unserem Netzgebiet bereits heute durchschnittlich knapp 100 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Energien gedeckt. Wir haben mit der Stromwende allerdings erst einen Teil der Strecke geschafft. Um beim Klimaschutz weiter voranzukommen, benötigen wir dringend eine Wärme- und Verkehrswende. Denn auf den Wärme- und Verkehrsbereich entfallen 80 Prozent des Primärenergieverbrauchs in Deutschland. Wir müssen deshalb auch hier den Schalter umlegen und mit Strom und Gas aus erneuerbaren Energien heizen und fahren. Dazu ist der Strom- mit dem Wärme- und Verkehrssektor zu koppeln. Sehr wichtig ist dabei die Potenziale des Gassektors auszuschöpfen, die bislang vernachlässigt werden. Was sagt die Bundesregierung dazu? Ziehen Politik und Energiewirtschaft an einem Strang? Wir haben bei der Politik lange dafür geworben, aus der bisherigen Stromwende eine echte Energiewende zu machen und den Verkehrs- und Wärmesektor mit einzubeziehen. Es freut uns sehr, dass dies im aktuellen Koalitionsvertrag Früchte trägt. Die Bundesregierung hat sich dort klar zur Sektorkopplung bekannt. Dieser Versicherung müssen allerdings Taten folgen. Wir stehen dazu mit unseren Vorschlägen in den Startlöchern und freuen uns auf einen konstruktiven Dialog mit den Verantwortlichen in Bund und Ländern. Was genau stellen Sie sich vor? Ein erster Schritt ist aus unserer Sicht
die Gleichberechtigung von Strom, Gas und Öl bei Steuern und Abgaben, um Strom im Verkehrs- und Wärmebereich konkurrenzfähig zu machen. Denkbar wäre hier zum Beispiel eine Abschaffung der Stromsteuer. Ebenso wichtig für die Umsetzung der Sektorkopplung ist es, über den Preis Anreize zu schaffen, Strom flexibler zu nutzen. Es muss sich für die Kunden lohnen, Strom aus Sonne, Wind und anderen erneuerbaren Energiequellen zu verbrauchen, wenn dieser im Überfluss zur Verfügung steht.
„Wir dürfen bei der Energiewende nicht auf halber Strecke stehen bleiben“ Dr. Andreas Auerbach, Vorstand Vertrieb enviaM
Die Digitalisierung ist in aller Munde. Welche Rolle spielt sie für die Weiterentwicklung der Energiewende? Ganz einfach: Ohne Digitalisierung gibt es keine Energiewende. Denn Strom aus erneuerbaren Energien wie Sonne und Wind steht bekanntlich witterungsbedingt nur schwankend zur Verfügung. Gleichzeitig will ihn der Verbrau-
cher überall und jederzeit nutzen. Das passt nicht immer zusammen. Diesen Spagat können wir nur bewältigen, wenn wir Daten aus dem Strom-, Wärme- und Verkehrssektor erhalten. Mit ihnen ist es uns möglich, neue Technologien zu entwickeln, die den Stromfluss intelligent steuern. Sektorkopplung heißt daher auch Datenkopplung. Branchenkenner bezeichnen die Energiewende deshalb zu Recht als das größte IT-Projekt aller Zeiten. Wie stellt die enviaM-Gruppe die Weichen für die Digitalisierung? Digitalisierung heißt für uns Partnerschaft. Nur gemeinsam können wir das Internet der Energie in Ostdeutschland entwickeln. Davon sind wir fest überzeugt. Die enviaM-Gruppe wird sich künftig tiefgreifend verändern. Wir werden uns zu einem digitalen Infrastruktur- und Energiedienstleister wandeln. Hier machen wir rasche Fortschritte. Unsere digitale Produktwelt entwickelt sich gut, ist aber erst der Anfang. Neue Impulse wird uns die Zusammenarbeit mit dem Smart Infrastructure Hub in Leipzig bringen. Bei diesem handelt es sich um das bundesweite Zentrum für Digitalisierung der Energieversorgung in Deutschland. Hier arbeiten Unternehmen und Gründer zusammen, um
Umfrage
Energiespeicher haben höchste Priorität Die Entwicklung von Speichertechnologien für erneuerbare Energien ist für Energieversorger, Verkehrsbetriebe und Wohnungsgesellschaften in Ostdeutschland mit 83,1 Prozent die mit Abstand wichtigste Aufgabe für den Erfolg der Energiewende in den kommenden Jahren. Auf den Plätzen folgen der Ausbau der Stromnetze (45,8 Prozent) und der Elektromobilität (41,0 Prozent). Erstaunlich niedrig wird die verstärkte Förderung der Digitalisierung eingestuft, die nur 31,3 Prozent für dringlich halten. Zu diesem Ergebnis kommt eine Umfrage des Kompetenzzentrums Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge e. V. an der Universität Leipzig bei 83 Unternehmen der Energie-, Verkehrs- und Wohnungswirt-
schaft in Ostdeutschland im Auftrag der Energieversorger envia Mitteldeutsche Energie AG (enviaM), LVV Leipziger Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft mbH und VNG-Gruppe. Einen sehr hohen Stellenwert bei der Weiterentwicklung der Energiewende hat für alle Befragten die Bezahlbarkeit der Energieversorgung (77,1 Prozent). Fortschritte bei der Kostensenkung werden deutlich wichtiger eingestuft als bei der Versorgungssicherheit (34,9 Prozent) und beim Klimaschutz (13,3 Prozent). Das Ziel der Bundesregierung, die klimaschädlichen Treibhausgas-Emissionen bis 2050 um 95 Prozent gegenüber 1990 zu senken, hält die Mehrzahl der Umfrage-Teilnehmer (69,9 Prozent) für unrealistisch.
gemeinsam neue digitale Geschäftsideen zu entwickeln. Bieten Sie auch digitale Produkte für Privatkunden an? Aber sicher. Denn auch in den eigenen vier Wänden hält die Sektorkopplung Einzug. Sie wird unser Wohnen nachhaltig verändern. Leitbild ist das „vernetzte Haus“, das Strom, Wärme und Mobilität miteinander verbindet. Wir bieten unseren Privatkunden die dazu passenden Produkte. Ein Beispiel ist unser neues Energiemanagementsystem, das automatisch Stromerzeugung, -speicherung und -verbrauch steuert. Hauseigentümer kommen dabei voll auf ihre Kosten. Sie erhalten beim Kauf einer Photovoltaikanlage oder eines Stromspeichers das Energiemanagementsystem gratis hinzu. Wir reden ständig über Strom. Welche Rolle spielt Gas für die Energiewende? Der Energieträger Gas ist ein Multi talent. Seine Bedeutung wird sträflich unterschätzt. Gas ist den anderen konventionellen Energieträgern deutlich überlegen. Es ist sauber, sicher und preiswert. Gasleitungen und -speicher lassen sich ohne Um- und Ausbau für erneuerbare Energien nutzen. Moderne Gasbrennwertheizungen, die mit Biogas betrieben werden, heizen klimafreundlich. Auch Fahrzeuge lassen sich klimaschonend mit Biogas antreiben. Seine Vielseitigkeit macht Gas damit für die Strom-, Wärme- und Verkehrswende unentbehrlich. Als Gasversorger und -netzbetreiber bringen wir uns hier selbstverständlich entsprechend ein. Dezentralisierung, Dekarbonisierung, Digitalisierung – die Energieversorgung wird immer anspruchsvoller. Muten wir den Verbrauchern zu viel zu? Nein! Bürger und Unternehmen sind bereits einen weiten Weg mit uns gegangen und haben Enormes geleistet. Sie stehen nach wie vor hinter dem Ziel der Energiewende, dem Klimaschutz. Sie erwarten daher zu Recht, dass wir nicht auf halber Strecke stehen bleiben. Aber die Verbraucher fordern auch, dass wir die Energiewende besser managen und sie künftig sehr viel stärker als bisher vom Wandel der Energieversorgung profitieren. Sektorkopplung und Digitalisierung bieten dafür einmalige Chancen. Sie machen die Energiewende nicht nur sinnvoll, sondern sexy.
Fotos (2): dpa
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ür eine Weiterentwicklung der Energiewende zu einer Wärme- und Verkehrswende wirbt Dr. Andreas Auerbach, Vertriebsvorstand des führenden regionalen Energiedienstleisters in Ostdeutschland, enviaM, beim Ostdeutschen Energieforum. Dabei spielt für ihn neben Strom auch Gas aus erneuerbaren Energien eine wichtige Rolle. Wir haben nachgefragt, was er sich davon verspricht.
Griff nach dem Netz Bundesregierung wehrt den Kauf von Anteilen am Ost-Netzbetreiber 50Hertz ab / KfW steigt jetzt ein
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in verlockendes Angebot: 20 Prozent am ostdeutschen Stromnetzbetreiber 50 Hertz standen zum Verkauf. Geld in solche Infrastruktur zu investieren, die verlässliche Rendite abwirft und in der modernste Technik steckt, gilt als lukrativ. Doch weder der finanzstarke Versicherungskonzern Allianz noch der Übertragungsnetzproduzent Siemens oder ein anderer deutscher Investor wollten zuschlagen. Wohl aber der chinesische Staatskonzern State Grid Corpaoration of China (SGCC). Die Bundesregierung verhinderte den Kauf in letzter Minute, in dem die staatliche Förderbank KfW den Anteil übernimmt. Fast eine Milliarde Euro lässt sich die KfW das kosten. „Die Bundesregierung hat aus sicherheitspolitischen Erwägungen ein hohes Interesse am Schutz kritischer Energieinfrastrukturen“, begründete das Bundeswirtschaftsministerium den Schritt. Das Ministerium sprach aber ausdrücklich von einer „Brückenlösung“. 50Hertz betreibt das fast 10 000 Kilometer lange Fern-Übertragungsnetz in den neuen Bundesländern, an dem auch die großen Braunkohlekraftwerke wie Lippendorf südlich von Leipzig und Boxberg in der Lausitz hängen. In Umspannwerken wird der Strom an die regionalen Netzbetreiber wie Mitnetz und Enso übergeben, die den Strom dann in die Haushalte bringen. 50Hertz – der Name steht für die Frequenz von Wechselstrom – war 2010 aus dem damaligen Vattenfall-Konzern herausgelöst worden, der das Ost-Stromnetz nach der Wende
von der Treuhand übernommen hatte. 50Hertz-Chef Boris Schucht zeigte sich erleichtert. „Der Einstieg der KfW als Minderheitsgesellschafter zeigt, wie elementar wichtig das Übertragungsnetz als Teil der kritischen Infrastruktur unseres Landes ist“, sagte er. „Dieses Engagement ist auch ein starkes Bekenntnis der Bundesregierung zur Energiewende in Deutschland, das wir sehr begrüßen.“ In Europa erwarb SGCC bereits Beteiligungen an den Stromnetzbetreibern Griechenlands, Portugals und Italiens. Auch in Australien und den Philippinen sind die Chinesen eingestiegen. Dabei verfolgt der Konzern die Vision eines weltumspannenden Energienetzes, das die Solarstromregionen des Äquators mit den Windkraftgebieten der Borealen Zone verbinden soll. Angesichts solcher weltumspannenden Ambitionen, die gut zum chinesischen Wirtschaftsprojekt einer „neuen Seidenstraße“ passen, sah die Bundesregierung womöglich langfristige sicherheitspolitische Interessen berührt. Schließlich ist auch der in Berlin ansässige Netzbetreiber 50Hertz involviert, wenn Bundesinnenministerium, Nachrichtendienste und andere Sicherheitsbehörden gemeinsam geheime Notfallpläne für den Fall eines Hackerangriffs oder Strom-Blackouts erstellen. Schon mit einer 20-Prozent-Beteiligung könnten chinesische Investoren schließlich einen Sitz im Aufsichtsrat verlangen – und damit ganz nahe an sensible Sicherheitsplanungen heranrücken.
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Was kommt nach der Kohle? Deutschland soll und muss aussteigen aus der Stromgewinnung aus Braunkohle, dem Klimaschutz zuliebe. Aber wann und wie? In diesen Fragen steckt politischer und sozialer Sprengstoff. Beantworten soll sie eine bunt gemischte Kommission – unter Zeitdruck.
A
ls CDU, CSU und SPD Anfang des Jahres über die Energiepolitik der künftigen großen Koalition verhandelten, da standen sich zwei Demonstranten-Lager gegenüber: Die Klimaschützer auf der einen Seite, die Kohlekumpel auf der anderen. Raus aus der Braunkohle, forderten die einen. Schützt unsere Jobs, forderten die anderen. Die Bundesregierung will beides unter einen Hut bekommen. Dafür hat sie ein 31-köpfiges Gremium eingesetzt, für das sich der Name Kohlekommission durchgesetzt hat. Offiziell heißt sie Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“. Warum überhaupt Kohleausstieg? Deutschland hat sich national und international zum Kampf gegen die Erderwärmung verpflichtet – insbesondere im Klimaschutzabkommen von Paris. Ohne den Ausstieg aus der Braunkohle ist das nicht zu machen.
Warum gibt es diese Kommission? Der Kohleausstieg ist eine Mammutaufgabe. Was passiert mit den Menschen, die ihre Arbeit verlieren? Wie wird die Stromversorgung gesichert? Was passiert mit alten Tagebauen? Müssen die Energiekonzerne entschädigt werden, und wenn ja, wie? Dafür braucht es Fachwissen, aber es müssen auch verschiedene Gruppen der Gesellschaft beteiligt werden, um einen Konsens zu erreichen. Wer sitzt in der Kommission? Das Gremium hat vier Vorsitzende. Für die ostdeutschen Kohleländer Brandenburg und Sachen stehen die Ex-Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD) und Stanislaw Tillich (CDU). Dritter Co-Chef ist der bestens vernetzte Bahn-Vorstand Ronald Pofalla. Der frühere CDU-Generalsekretär und Kanzleramtsminister kommt aus dem Kohleland Nordrhein-Westfalen. Für die Interessen der Umweltverbände steht als vierte im Bunde die Volkswirtin Barbara Praetorius, früher Vize-Direktorin der Denkfabrik Agora Energiewende. Daneben sind Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften und Wissenschaft sowie von Umweltverbänden und Kommunen in dem Gremium. Wer ist im Bund zuständig? Gleich vier Minister: Peter Altmaier (CDU/Wirtschaft), Svenja Schulze (SPD/
Umwelt), Hubertus Heil (SPD/Arbeit) und Horst Seehofer (CSU/Inneres und Heimat). Was sind Aufgaben und Zeitplan der Kommission? Es geht um den Strukturwandel in den Kohleregionen, vor allem in der Lausitz, im mitteldeutschen Braunkohlerevier und im rheinischen Revier. Die Kommission soll bis Ende Oktober konkrete Perspektiven für neue Jobs schaffen. Vorschläge, wie Deutschland möglichst nah an sein Klimaschutzziel für das Jahr 2020 herankommen kann, sollen bis zum Beginn der UN-Klimakonferenz in Polen am 3. Dezember vorliegen. Ende des Jahres ist dann der Abschlussbericht fällig – inklusive Ausstiegsplan und Enddatum für den Strom aus Braunkohle. Was sind die Streitpunkte? Greenpeace etwa will den Ausstieg schon bis 2030. Umweltschützer pochen auch auf ein sofortiges Aus für besonders schmutzige Kraftwerke – vielen ist der schnelle Einstieg in den Ausstieg wichtiger als ein Enddatum, weil es auf jede nicht ausgestoßene Tonne CO2 ankomme. Vertreter der Wirtschaft und der Kohleländer halten dagegen, es sei ausgeschlossen, innerhalb weniger Jahre den Energiebedarf durch Wind und Sonne zu decken, da Deutschland bis 2022 auch noch aus der Atomkraft aussteige. Wie viele Jobs hängen an der Braunkohle? Laut Bundesverband Braunkohle (Debriv) waren 2017 in den deutschen 900 MenBraunkohlerevieren rund 20 schen beschäftigt, davon die meisten (rund 8600) in der Lausitz in Ostdeutsch-
land. Der Verband geht aber davon aus, dass insgesamt 70 000 Arbeitsplätze direkt und indirekt von der Braunkohle abhängen. Und was für neue Arbeitsplätze könnten entstehen? Arbeitsminister Heil nennt als Beispiel die Produktion von Batteriezellen. Welche Ziele hat Deutschland im Klimaschutz überhaupt? Es gibt das nationale Ziel, bis 2020 den CO2-Ausstoß um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 zu reduzieren. Bis 2030 sollen es 55 Prozent weniger sein, bis 2050 sogar 80 bis 95 Prozent. Auch die EU hat Ziele: 20 Prozent Reduktion bis 2020, 40 Prozent weniger bis 2030 und 80 bis 95 Prozent bis 2050. Kompliziert wird es, weil die auf Staaten heruntergebrochenen EU-Ziele sich auf das Vergleichsjahr 2005 beziehen. Drohen Stromausfälle, wenn Kraftwerke abgeschaltet werden? Klar ist, dass mehr Ökostromanlagen und Stromnetze gebaut werden müssen. Schon jetzt deckt Deutschland an manchen Tagen seinen Strombedarf rein rechnerisch zu einem sehr großen Anteil aus Ökostrom. Wenn allerdings die Sonne nicht scheint und es windstill ist, Stichwort „Dunkelflaute“, geht die Ökostrom-Produktion zurück. 2017 lag der Erneuerbaren-Anteil bei 36 Prozent, etwa gleichauf mit der Braun- und Steinkohle. Nach Berechnungen der Bundesnetzagentur könnte bis 2030 die Hälfte der Kohlemeiler vom Netz, ohne dass Versorgungssicherheit in Gefahr gerät. Allerdings müsse dazu unter anderem der Netzausbau vorankommen.
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Ostdeutsches EnergiEforum
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Alles Gute kommt von unten W
In der Schorfheide forschen Wissenschaftler des Geoforschungszentrums Potsdam in der Tiefe. Unter der Erdoberfläche brodelt und dampft es. Eine scheinbar ungeheures Potenzial an Wärme schlummert im Erdinneren, nahezu unbegrenzt verfügbar. eheizt. In Sachsen wird bereits die Westsächsische Hochschule Zwickau mit Erdwärme b In Berlin das Reichstagsgebäude am Platz der Republik.
er in Waren an der Müritz das erste deutsche Geothermie- Heizwerk sucht, muss sich durch fragen. Die Piloteinrichtung für geothermische Heizanlagen – entstanden 1984 – steht in einem typischen ostdeutschen Plattenbaugebiet. Hinweise auf die saubere Energiequelle im Stadtgebiet: Fehlanzeige. Dabei hat das 63 Grad warme Thermalwasser aus besondere Herausforderung stellt auch 1550 Meter Tiefe auch dafür gesorgt, die Nachhaltigkeit dar“, sagt Huendass Waren sich mit dem Status „Heil- ges. „Beispielsweise: Wie lange kann bad“ schmücken kann. „Das ist für un- heißes Wasser aus dem Reservoir gesere Entwicklung enorm wichtig“, be- fördert werden.“ Europaweit leiten die tont Bürgermeister Norbert Möller Potsdamer Wissenschaftler Forschungs (SPD). Die jodhaltige Thermalsole der projekte. Stadtwerke ist gesundheitsfördernd, Bei der Erzeugung von Strom gibt wird in Warener Kurhotel angewandt es für die Geothermie Nachholbedarf: und als Badesalz verschickt. Sie hat einen Anteil von 0,16 Prozent Geothermie ist ein großer Hoffnungs- an der Stromerzeugung aus erneuerträger. Die alternative Wärmequelle baren Energien. scheint aus Sicht von Befürwortern unerschöpflich. Je näher es zum Erdkern „Berlin könnte zehn geht, desto heißer wird es. An die Erdoberfläche transportierte Energie wärmt Prozent des Wohngebäude, Verwaltungsbauten oder Wärmebedarfs aus Schwimmbäder. Auch die UmwandGeothermie lung in Strom ist möglich. Aus Sicht des Bundesministeriums für Wirtschaft ziehen.“ und Energie soll die Geothermie künfProf. Ernst Huenges, tig eine wichtige Rolle im Mix der reGFZ Potsdam generativen Energien spielen. Der Bedarf Deutschlands ließe sich damit um Oberflächennahe Anlagen für Einzel ein Vielfaches decken, heißt es. Doch trotz aller Vorzüge kommt die gebäude sind hingegen gefragter. Bei Nutzung in Deutschland nicht so richtig der Wärmeleistung liegt Deutschland auf in Gang – vor allem nicht bei der Tiefen Platz vier mit 2848 Megawatt. Platz 1 geothermie mit Bohrtiefen von etwa besetzt China mit 11 870 Megawatt. Das 3000 bis 6000 Metern, wenn es um den Bohrloch, mit dem in Tiefen von 100 Bau von Geothermie-Kraftwerken bis 400 Meter vorgedrungen werde, sei nur so groß wie eine CD und verstecke geht. In der brandenburgischen Schorf- sich meist unter dem Rasen im Vorgarheide haben seit 2001 Wissenschaftler ten, sagt Gregor Dilger, Sprecher des des Geoforschungszentrums Potsdam Bundesverbandes Geothermie. „Das ist (GFZ) zwei 4000 Meter tiefe Bohrun- ein großer Vorteil: Geothermie vergen angebracht und den Standort zu schandelt nicht die Landschaft“, sagt er. Derzeit arbeiten in Deutschland einer Forschungsplattform ausgebaut. „Wir entwickeln planungssichere Tech mehr als 350 000 oberflächennahe Geonologien der Erkundung, der Erschlie- thermieanlagen mit Wärmepumpen in ßung und der Nutzung der geothermi- Einfamilienhäusern, die Erdwärme nutschen Reservoirs“, sagt Prof. Ernst zen. Heute könnten bereits knapp 60 Huenges, Leiter des Forschungsberei- Prozent des Wärmebedarfs in Deutschches Geothermische Energiesysteme. land mit Geothermie gedeckt werden, Aus der Tiefe wurden in der Schorf- sagte Dilger. Die hohen Steuern und heide für Forschungszwecke etwa Abgaben auf die Strompreise behinder150 Grad warmer Wasserdampf zu ten das jedoch bislang. Neue Anlagen Tage gefördert, analysiert und wieder in Eigenheimen fördert der Bund mittin den Untergrund eingepumpt. Die lerweile mit mindestens 4000 Euro – bei 000 Forschung dient dazu, auch für das durchschnittlichen Kosten von 10 Norddeutsche Becken, in dem der bis 15 000 Euro. Die Effizienz sei aber abhängig von Standort liegt, die heimische Energiequelle Erdwärme zu entwickeln. „Eine der Qualität der Bohrung, den Anlagen
Rund 1700 Wohnungen, Schulen und Kitas werden versorgt. „Damit sparen wird pro Jahr 500 000 Liter Heizöl“, beschreibt er einen weiteren Vorzug. Seit Inbetriebnahme sei das Thermalwasser nicht einmal ein Zehntel Grad kälter geworden. Die Erfahrungen von der Müritz sind in viele Projekte der Geothermieexperten aus Neubrandenburg eingeflossen.
Unscheinbar: Das Warener Heizwerk.
Aus der Tiefe wird in der Schorfheide für Forschungszwecke etwa 150 Grad warmer Wasserdampf zu Tage gefördert. Fotos (3): dpa
und der Wärmeverteilung im Haus, dämpft der BUND-Geothermie-Experte Werner Neumann überzogene Hoffnungen. Priorität sollte die Einsparung von Energie, die Dämmung der Gebäude und die Wärmerückgewinnung ha-
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Wir im Osten entwickeln die:
ben. „Statt mehr Strom zum Heizen zu verbrauchen, muss er umweltfreundlich erzeugt werden“, sagt er. „Auf Wärme aus der Erde ist immer Verlass“, sagt der Geschäftsführer der Stadtwerke Waren, Eckhart Jäntsch.
In Sachsen wird unter anderem die Westsächsische Hochschule Zwickau mit warmem Wasser beheizt. Für das Heizkraftwerk kommt es aus einem 625 Meter tiefen Bohrloch im Schacht eines ehemaligen Steinkohlebergbaus. Auch im Berliner Reichstagsgebäude spielt Geothermie seit Jahren eine Rolle. Dort werden zwei tiefere Schichten als Speicher für Wärme und Kälte genutzt. Für den Potsdamer Forscher Huenges ist es ohne weiteres möglich, dass die Hauptstadt in absehbarer Zeit zumindest zehn Prozent der Wärme über Geothermie bezieht. „Ich bin für Berlin optimistisch, dass es nahezu flächendeckend mindestens eine Heißwasser führende Schicht gibt, die nur erschlossen werden muss.“
Hintergrund
Chance für Berlin Das sehr große Potenzial der Geothermie ist noch nicht annähernd genutzt. Der deutsche Wärmemarkt wird aktuell dagegen fast ausschließlich über fossile Energieträger bedient. Er macht die Hälfte des Gesamtenergiebedarfs aus, die andere Hälfte wird für Strom und Verkehr benötigt. Das Ziel einer Dekarbonisierung des Wärmemarktes kann nur über die Umstellung auf erneuerbare Energieträger erreicht werden. Das würde nicht nur zu einer CO₂ Reduktion auf rund 60 Prozent, wie beim Übergang von Gas auf Kohle, führen, sondern bei einer Umstellung von Kohle auf solar-, bio- oder geothermische Wärme könnten weit unter zehn Prozent erreicht werden. Voraussetzung dabei ist, dass die Wärmequellen innerstädtisch zur Verfügung stehen, nach Möglichkeit ohne verlustreiche lange Strecken der Wärmenetze aus Außenbezirken. In Berlin gibt es beispielsweise einen Wärmebedarf von rund 35 Terawattstunden pro Jahr. In überschaubarer Zeit werden sich etwa zwei Terawattstunden, also rund fünf Prozent davon, aus Geothermie bereitstellen lassen. Mit jeweils rund 2000 Quadratmetern Fläche in der verdichteten Innenstadtzone lassen sich mehrere abgelenkte Förder- und Schluckbohrungen erstellen, sodass größere Wärmemengen in die gegebenen Heiznetze eingespeist werden können.
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Die Gasinfrastruktur (Leitungen und Speicher) bilden, wie hier zu sehen mit der Gasspeicheranlage in Bad Lauchstädt, die Kernelemente einer erfolgreichen Sektorenkopplung. Foto: VNG
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ie „Sektorenkopplung“ ist heute das Trendwort der Energiewende: Es gibt kaum eine energiepolitische Diskussion, in der nicht über die Verknüpfung der Märkte für Strom, Wärme, Verkehr und Industrie gesprochen wird. Eines ist dabei unstrittig: Die Verknüpfung dieser verschiedenen Sektoren gilt als äußerst komplex. Das spiegelt sich auch in der Vielzahl der dazu erschienenen Untersuchungen wider. Mehr als 3000 Studienseiten sind in den vergangenen Jahren entstanden. Um hier eine höhere Transparenz zu erhalten, hat VNG bei dem Analyse- und Beratungshaus enervis eine Meta-Studie in Auftrag gegeben, die die Ergebnisse der zehn relevantesten Studien zum Thema Sektorenkopplung (unter anderem Fraunhofer, dena, BDI) zusammenfasst.
Gas bleibt dauerhaft ein wichtiger Energieträger Ein Schwerpunkt der Analyse ist die Bedeutung von Gas – als fossiles Gas, Biomethan, Wasserstoff oder synthetisches Methan (Power-to-Gas) – für die Sektorenkopplung. Für den Diskurs zur Energiewende bietet die Meta-Studie drei zentrale Erkenntnisse: ■■ Für das Erreichen der Klimaschutzzie-
le in den Sektoren Strom, Wärme, Verkehr und Industrie wird Gas auf Dauer eine wichtige Rolle behalten.
■■ Durch die Sektorenkopplung macht
Gas das gesamte Energiesystem flexibler. Darum sollte schon in den 2020er
Jahren mit dem Aufbau der Infrastruktur für Power-to-Gas begonnen werden. ■■ Die Energiewelt der Zukunft ist offen.
Deshalb muss die bestehende Gasinfrastruktur aus Leitungen und Speichern erhalten bleiben.
Auch in 2050 gibt es eine hohe Nachfrage nach Gas Die zehn in dieser Meta-Studie betrachteten Studien verdeutlichen, dass die Gasnachfrage umso mehr sinkt, je höher das angenommene CO2-Reduktionsziel ist. Die Mehrheit der analysierten Studien geht davon aus, dass es selbst bei den ambitionierten politi-
„Gas und die Gasinfrastruktur werden ein wichtiger Teil des zukünftigen Energiesystems sein.“ Ulf Heitmüller, Vorstandsvorsitzender VNG AG
schen Klimaschutzzielen von 80 bis zu 95 Prozent (Stichwort „Dekarbonisierung“) noch im Jahr 2050 eine relevante Gasnachfrage von mehr als 600 TWh geben wird. Gefragt bleibt Gas vor allem für die Wärmeerzeugung, in der Metallverarbeitung oder der Chemi-
eindustrie, die besonders hohe Temperaturen erfordern.
Technologieoffene Infrastrukturpolitik ist kostengünstiger Die Meta-Studie hebt einen weiteren zentralen Vorteil des bestehenden Gasnetzes und der -speicher hervor: Das Flexibilitätspotenzial der Gasinfrastruktur bietet eine große Chance, die Kosten der Energiewende insbesondere gegenüber einer vollständig elektrischen Welt zu begrenzen. „Diesen entscheidenden Bonus sollten wir daher dauerhaft erhalten und nicht leichtfertig abschreiben. Die Energiewende kann nur mit Gas gelingen“, sagt Ulf Heitmüller, Vorstandsvorsitzender der VNG. Mehr als 3000 Studienseiten versuchen, die Energiewelt im Jahr 2050 zu beschreiben. Es wird deutlich, dass niemand weiß, wie diese Welt dann tatsächlich aussieht und welche Technologien führend sein werden. Nahezu allen Prognosen und Szenarien ist jedoch gemein, dass Gas und die Gas infrastruktur ein wichtiger Teil des zukünftigen Energiesystems sein werden. „Damit Gas aber seine Stärken in all seinen Facetten ausspielen und für eine funktionierende Sektorenkopplung sorgen kann, ist eine technologieoffene Zukunft die wesentliche Grundlage“, so Heitmüller. Politische Vorfestlegungen, welche Energieträger und Technologien in den Sektoren dominieren sollen, könnten daher schnell in einer Sackgasse enden.