Ostdeutsches Energieforum August 2017 - Sonderausgabe der Leipziger Volkszeitung

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Anzeigen-Sonderveröffentlichung • 29. August 2017

ENERGIE

Mit Schwung in die Wende Bis zu 100 000 Umdrehungen pro Minute. Zentrifugalkräfte, die ausreichen, um abzuheben – Fidget Spinner wie dieses Titelseitenmotiv sind wahre Energiebündel. Im besten Fall konzentrieren sie Kräfte, im schlechtesten sorgen sie für ihren Zerfall. Eine Gefahr, die gerade der Energiewende droht. ­Deshalb treffen sich heute mehr als 350 Teilnehmer aus Politik, Energiewirtschaft, Wissenschaft und Mittelstand zum ­ 6. Ostdeutschen Energieforum in Leipzig, um ein klares Signal vor der Bundestagswahl nach Berlin zu senden: Ein „Weiter so“ ist unverantwortlich. Warum die Energiewende ins Stocken geraten ist und was zu tun ist, um energiepolitisch die Kurve zu kriegen, thematisiert dieses LVZ Extra.


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Wirrwarr Energiewende – die Zwischenbilanz, 17 Jahre nach Öffnung des Strommarkts, ist ernüchternd. Der Ausbau des Stromnetzes geht zu langsam, die Suche nach ­Speicher-Technologien läuft schleppend, der Zuwachs erneuerbarer Energien ist teuer ­erkauft, die grüne Jobmaschine stottert. Die Energiewende ist ins Stocken geraten.

Deutsche verbrauchen mehr Energie Die gute Wirtschaftsentwicklung und etwas niedrigere Temperaturen zu Jahres­beginn haben die Energienachfrage in Deutschland im ersten Halb­jahr angeregt. Der Verbrauch stieg nach Berechnungen der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen gegenüber dem Vor­jahreszeitraum um 0,8 Prozent auf 1 911 668 Gigawattstunden. Die erneuerbaren Energien steigerten ihren Beitrag zum gesamten Energieverbrauch im ersten Halbjahr 2017 um mehr als sechs Prozent. Die Stromeinspeisung aus Wind- und Photovoltaikanlagen legte um 19 und 14 Prozent zu. Der Steinkohleverbrauch sank um 6,7 Prozent, dagegen stieg der Absatz von Braunkohle um knapp drei Prozent. 35 Prozent des verbrauchten Stroms stammte zwar aus regenerativen Anlagen, gemessen am gesamten deutschen Energieverbrauch betrug ihr Anteil aber lediglich knapp 14 Prozent.

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Viel Wind – um was eigentlich? M

enschen mittleren Alters können sich noch daran erinnern, wie die Landschaften in Deutschland vor dem Siegeszug der Windenergie aussahen. Den hätte vor 30 Jahren, als der erste deutsche Windpark ans Netz ging, kaum jemand erwartet. Fast 28 000 Wind­ räder drehen sich in Deutschland an Land und erzeugen rund 13 Prozent des Stroms. Ein wichtiger Baustein der Energiewende – und eine unerwartete Erfolgsgeschichte, die vor 30 Jahren an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste begann. Mit einem Hebelzug setzte der damalige Kieler Ministerpräsident Uwe Barschel (CDU) am 24. August 1987 den ersten deutschen Windenergiepark im Kaiser-Wilhelm-Koog in Gang und schlug ein neues Kapitel in der deutschen Energiepolitik auf. „Ständigen Wind von vorn“, wünschte der Ministerpräsident, der nur wenig später im Zentrum einer Affäre stand, die ihn das Leben kosten sollte. Doch der Wind wehte nicht an diesem Tag, die Rotoren standen still. Technisch gesehen war der erste Windpark aus heutiger Perspektive ein Witz. Die Leistung der Windräder wurde damals noch in Kilowatt gemessen und das stärkste Modell im Kaiser-Wilhelm­Koog kam auf 55 Kilowatt. Die Nabenhöhe lag bei 20 Metern, heute sind es 120 bis 140 Meter. Alle 30 Windräder zusammen schafften 1000 Kilowatt, also ein Megawatt. Heute leistet ein einziges Windkraftwerk an Land locker das Vierfache, auf See auch das Sechs- bis Achtfache. Die Leistung der Landanlagen hat sich ungefähr um den Faktor 80 erhöht – eine technische Umwälzung, die kaum jemand erwartet hat.

Tendenz rückläufig Heute stehen vier moderne Windkraftanlagen im Kaiser-Wilhelm-Koog und erzeugen Strom. Windenergie leistet nicht nur ihren Beitrag zur Energieversorgung. Vielmehr sind deutsche Hersteller auch auf den Weltmärkten präsent und die Branche steht für rund 143 000 Arbeitsplätze. „Deutschland ist Weltmarktführer in dieser so wichtigen Zukunftstechnologie“, sagt Hermann Albers, Präsident des Bundesverbandes Windenergie. Doch ob es in dem gleichen Tempo weitergeht, scheint fraglich. Schon lange werden Windkraftanlagen in der Bevölkerung nicht mehr nur als umweltfreundliche Energiequelle wahrgenommen, sondern auch als Belastung. Sie seien eine Verschandelung des Landschaftsbildes,

eine Todesfalle für Vögel und die Betriebsgeräusche und der Schattenwurf der drehenden Rotoren eine andauernde Belästigung – so lauten die häufigsten Vorwürfe. „Die Menschen lassen sich am besten dann überzeugen, wenn sie aktiv in die Projekte einbezogen werden“, sagt Albers. Bürgerwindparks, Energie­ genossenschaften und kommunale Beteiligungsmodelle seien dafür der richtige Weg. Zudem sind die Probleme der Stromspeicherung immer noch nicht gelöst, sodass bei Flaute konventionelle Kraftwerke oder Importstrom die Versorgung sicherstellen. Nachdem Jahr für Jahr immer mehr neue Anlagen gebaut wurden, war die Tendenz im vergangenen Jahr erstmals rückläufig. Wegen der geänderten Regeln zu erneuerbaren Energien rechnet der Bundesverband Windenergie mit geringeren Ausbauzahlen in den kommenden Jahren. Doch wenn man sich die Zahlen genauer anschaut, sieht die Bilanz der deutschen Energiewende gar nicht mehr so gut aus. Zwar gibt es in Deutschland heute viel mehr Ökostrom als noch im Jahr 2000. Doch die CO2-Emissionen aus der Verbrennung von Kohle und Gas sind im Vergleich zum Jahr 2000 um ­gerade mal 6,5 Prozent gesunken. Im selben Zeit­ raum ist der Anteil erneuerbarer Energien bei der Stromproduktion in Deutschland aber von 6,5 auf 29,0 Prozent gestiegen! Warum? Weil der saubere Ökostrom nicht etwa schmutzigen Kohlestrom ersetzt hat, sondern vor allem Atomkraftwerke, die in den vergangenen Jahren abgeschaltet wurden. Das zeigt ein Blick in die Statistiken. Im Jahr 2000 produzierten deutsche Atom­kraftwerke fast 170 Terawattstunden. Im Jahr 2016 war der Output nur noch halb so groß. Braunkohlekraftwerke hingegen lieferten 2016 sogar etwas mehr Strom als im Jahr 2000 – und zwar 150 anstelle von 148 Terawattstunden. Für die CO2-Bilanz ist das schlecht. Denn eine Terawattstunde Braunkohlestrom bedeutet einen Ausstoß von einer Million Tonnen CO2 – bei Atomstrom sind es bei der gleichen Strommenge nicht einmal ein Zwanzigstel davon. Und so kommt es, dass die deutsche Strombranche trotz eines weltweit beispiellosen Öko­ strombooms bei den Emissionen kaum besser wird. Gäbe es großtechnisch verfügbare Energiespeicher, die den Wind- und Solarstrom stunden- oder sogar tageweise puffern könnten, wäre eine CO2-arme

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Stromproduktion kein Problem. Aber solange das nicht der Fall ist, werden die Kohle- und Gaskraftwerke weiterlaufen. Denn Privathaushalte wie Industrie brauchen Strom – rund um die Uhr, egal ob die Sonne scheint und der Wind kräftig bläst oder nicht. Noch vor ein paar Jahren galt die Energiewende als praktisch kostenloser Selbstläufer, dessen Erfolg nur von der Kohle- und Atomlobby blockiert wurde. Heute sind Deutschlands Energiekonzerne zerschlagen und zu Übernahmekandidaten geworden. Die Hälfte der Atomkraftwerke ist abgeschaltet.

Teurer Irrweg Doch obwohl die Bremser weg sind, geht der Energiewende die Luft aus. Wie kann das sein? Etwas hilflos schieben Ökostrom-Protagonisten wie die Abteilungsleiterin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, Claudia ­Kemfert, die Schuld auf ein „fossiles Imperium“, das da noch irgendwo im Verborgenen wirkt, dem aber auch Kemfert so recht keine Namen mehr zuordnen kann.

Auch die Chefs führender Wirtschaftsforschungsinstitute sprechen immer schonungsloser von „Deutschlands teurem Energie-Irrweg“ oder der „Energiewende ins Nichts“ – und belegen ihr Urteil mit detaillierten Studien. In den Bundesländern treten die neuen Regierungskoalitionen beim Windkraftausbau bereits auf die Bremse, obwohl nach Meinung von Klimaschützern das Tempo ­eigentlich mehr als verdoppelt werden müsste. Nach Berichten der Welt am Sonntag fordert der „Berliner Kreis der Union“ die Abschaffung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, weil es „kontraproduktiv“ sei und seine Folgen international „abschreckend“ wirkten. Selbst SPD-Minister schließen sich dieser Forderung an und bekommen dafür Applaus von der FDP. „Die Energiewende verliert an Zauber“, konstatieren die externen Beobachter der Neuen Zürcher Zeitung. Die Schweizer Journalisten stellen in Deutschland eine „von Illusionen und Mythen geprägte Diskussion“ fest: „Die Erfolgsmeldungen wirken wie Durchhalteparolen.“

Sachsen Schlusslicht beim Windrad-Bau In Sachsen sind zuletzt weniger neue Windräder gebaut worden als in allen anderen deutschen Flächenländern. Im ersten Halbjahr 2017 entstanden zehn neue Anlagen im Freistaat, wie der Maschinenbauverband VDMA und der Bundesverband Windenergie (BWE) mitteilten. In ganz Deutschland waren es 790. Damit trug Sachsen nur 1,4 Prozent zum bundesweiten Leistungsausbau in der Windenergie bei. Dafür waren die neuen sächsischen Wind­räder im Schnitt die leistungsstärksten. Insgesamt stehen in Sachsen den Angaben zufolge 889 Windräder, in ganz Deutschland sind es knapp 28 000. Damit befinden sich rechnerisch drei von hundert Anlagen im Freistaat. Spitzenreiter unter den Bundesländern sind Niedersachsen mit rund 5900 Windrädern, Brandenburg mit rund 3700 Windrädern und Schleswig-Holstein mit rund 3600 Windrädern.

Umwelt, Klima, Energie – Was wollen die Parteien? Ein Umweltministerium hat Deutschland erst seit gut drei Jahrzehnten – seit der Atomkatastrophe von Tschernobyl 1986. Verkehr, Landwirtschaft, Energiepolitik, diese Ressorts haben alle irgendwie mit Klima- und Naturschutz zu tun. Aber wie sehr müssen sie sich danach richten? Das sehen die Parteien im Bundestagswahlkampf ganz unterschiedlich.

Kohleausstieg Lieblingsthema der Grünen, die die 20 schmutzigsten Kraftwerke gleich abschalten und den kompletten Ausstieg bis 2030 wollen. Die Union hat das Thema erstmals im Programm: „Der langfristige Ausstieg aus der Braunkohle muss parallel zu einer konkreten neuen Strukturentwicklung verlaufen“, heißt es da wenig konkret. Noch schwerer tut sich die SPD: „Der Strukturwandel in der Energiewirtschaft wird sich fortsetzen“ – von Ausstieg ist nicht die Rede, die Sozialdemokraten fürchten da Probleme mit ihren Wählern. Die Linke dagegen will den letzten Meiler bis 2035 vom Netz nehmen. Die FDP warnt lediglich vor „nationalen Alleingängen“. Allein die AfD schreibt ­explizit, dass es Kohlekraftwerke weiter brauche.

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Pariser Klimaabkommen Alle Parteien bekennen sich dazu – bis auf die AfD, sie will es aufkündigen. Kein Wunder: Die Rechtspopulisten ziehen im Programm auch den menschengemachten Klimawandel in Zweifel, über den in der Wissenschaft weitestgehend Einigkeit herrscht.

E-Autos SPD und Union wollen die Elektromobilität voranbringen, gehen aber nicht ins Detail – in der großen Koalition haben sie gemeinsam Kaufprämien eingeführt. Diese will die Linke zum Beispiel auf Handwerker, soziale Dienste und Taxen beschränken und sonst lieber den öffentlichen Verkehr fördern. Die Grünen wollen ab 2030 nur noch abgasfreie Autos neu zulassen und gehen damit eindeutig am weitesten.

Ökostrom-Ausbau Die Grünen wollen den Ökostrom-Anteil bis 2030 auf 100 Prozent steigern, die Linke bis 2040. Die SPD schreibt: „Spätestens 2050 müssen wir Energie weitestgehend treibhausgasneutral erzeugen“. Union und SPD hatten im Erneuerbare-­ Energien-Gesetz (EEG) einen Ausbaupfad festgelegt, den die Opposition für zu wenig ehrgeizig hielt. Die Linke will außerdem Industrierabatte bei der Energiewende abschaffen. Die AfD dagegen will die Förderung der Erneuerbaren zurückfahren und das EEG „ersatzlos streichen“. Auch die FDP ist dafür, „das Dauersubventionssystem“ zu beenden.

CO2-Preise und Emissionshandel Das sind Instrumente, um fossile Energien teurer zu machen und Ökoenergie zu stärken. Die Grünen wollen eine ­eigene CO2-Bepreisung, ohne Zahlen zu nennen. Die Linke fordert, drei Milliarden überschüssige CO2-Zertifikate stillzulegen, um den Emissionshandel der EU neu zu beleben. Auch die SPD will den Handel wieder zum Klimaschutz-Instrument machen – und über europäische Mindestpreise verhandeln, falls das nicht klappt. Die FDP ist ausdrücklich gegen Mindestpreise, sondern will einen möglichst weltweiten Emissionshandel.

Schutz von Wäldern Die SPD will den Anteil der Flächen mit natürlicher Waldentwicklung auf fünf Prozent der Waldfläche erhöhen – das ist eigentlich schon jetzt ein Ziel der Bundesregierung. Die FDP will dieses Ziel „auf den Prüfstand“ stellen zugunsten von mehr Forstwirtschaft. Die Grünen dagegen wollen „Wildnis zulassen“ und die Entwicklung von Urwäldern fördern.

Schutz von Wasser und Böden Die Grünen und die Linken wollen die Menge von Gülle und anderem Dünger, die über Böden in Flüsse und Seen gelangt, grundsätzlich reduzieren. Die SPD plant auch, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Dünger „auf das unbedingt notwendige Maß“ zu reduzieren und das Bundesbodenschutzgesetz zu novellieren.


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Wann, wenn nicht jetzt? Das 6. Ostdeutsche Energieforum versteht sich als Denkfabrik für die Energiewende. Initiatoren und Teilnehmer über ihre Beweggründe und Forderungen.

KRISTIAN KIRPAL...

HARTMUT BUNSEN...

PATRICK GRAICHEN...

...Präsident der Industrie- und Handelskammer zu Leipzig und Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft der drei sächsischen IHKs: Manchmal geht alles ziemlich schnell – im politischen Betrieb. War im Januar dieses Jahres die Vereinheitlichung der Übertragungsnetzentgelte durch eine geänderte Kabinettsvorlage wieder einmal in weite Ferne gerückt, so zügig hatte dann doch der Bundestag sechs Monate später ein Netzentgeltmodernisierungs­ gesetz beschlossen. Die Übertragungsnetzentgelte sollen nun bis Ende 2022 deutschlandweit angeglichen werden – ein Gebot der Wettbewerbsfairness für unsere ostdeutschen Unternehmen und ein längst überfälliger Schritt im Gesamtprozess der Energiewende. Über viele Jahre war dies nicht nur Kernthema und eine zentrale ­Forderung der Wirtschaftsvertreter beim Ostdeutschen Energieforum, sondern bedeutet zugleich einen wichtigen Schritt für mehr Energiewende-Akzeptanz. Bei aller Euphorie – die Vereinheitlichung der Übertragungsnetzentgelte ist keine Garantie für stabile oder sinkende Stromkosten für den Endverbraucher. Das gesamte Finanzierungssystem muss daher in seiner grundsätzlichen Ausrichtung überprüft werden, um die Belastungen für die Stromkunden nachhaltig zu reduzieren. Die Bezahlbarkeit von Strom und eine verlässliche, sichere Energieversorgung sind für die Gesamtwirtschaft fundamental – wohl wissend, dass die Energiewende ambitionierte Ziele verfolgt. Daran reihen sich Themenfelder wie die Sektorkopplung, dezentrale Versorgungsstrukturen, Energieeffizienz, Digitalisierung, Elektromobilität und der Schutz von (Netz/Erzeuger-) Infrastruktur gegen Cyberkriminalität. Die Dimensionen lassen sich dabei nur erahnen.

...Sprecher der Interessengemeinschaft der Unternehmerverbände Ostdeutschlands und Berlins: Ich freue mich auf das 6. Ostdeutsche Energieforum, weil es erstmals unmittelbar vor einer Bundestagswahl stattfindet und wir damit den politischen Akteuren auf den Zahn fühlen können. Die Vertreter der verschiedenen Parteien sollen uns darlegen, wie sie die Energiewende zum Erfolg führen wollen. Deshalb sind wir stolz, dass wir neben den Ministerpräsidenten, Energie- und Wirtschafts­ minister der ostdeutschen Länder, den Kanzleramtschef Peter Altmeier sowie Fraktions- und Parteispitzen begrüßen dürfen. Dass Vertreter der anderen Partei nicht anwesend sind, liegt nicht an uns – sie waren eingeladen. Viele Fragen der Energiewende sind aus Sicht des Mittelstandes ungelöst. Wir können heute weder sagen, wie sich die Energiepreise entwickeln, noch vorhersehen, ob uns eine Energiewende im Heizungskeller oder auf der Straße gelingt. Mit Blick auf die Senkung des C02-Wertes treten wir seit Jahren auf der Stelle. Darüber werden wir auf den Podien diskutieren. Ziel muss es sein, dass Ostdeutschland mit einer Stimme spricht und wahrgenommen wird. Bei der bundesweiten Angleichung der Netzentgelte ist uns dies in diesem Jahr als wesentliche Forderung der vorangegangenen Foren endlich gelungen. Natürlich dürfen wir bei allen Risiken nicht die Chancen aus dem Blick verlieren. Dabei dürfen wir nichts schön reden, sondern eine klare Analyse der IST-Situa­tion wagen. Wir brauchen klare und mutige Entscheidungen und auch mal das Ein­ geständnis, dass etwas schief gegangen ist. Nur mit einem pragmatischen Vorgehen können wir alle und ganz besonders der Mittelstand gewinnen.

...Direktor Agora Energiewende In den vergangenen zehn Jahren ist der Stromverbrauch in Deutschland um nur vier Prozent gesunken, der Wärmebedarf von Gebäuden um elf Prozent. Der Verkehr verschlingt sogar etwas mehr Energie als früher, die auch noch fast vollständig aus Erdöl stammt. Die „allgemein akzeptierte große Bedeutung der Energieeffizienz“, heißt es in der Studie, habe bisher kaum politische Folgen. Was schlagen Sie vor? Unsere aktuelle Studie „Energiewende 2030 – The Big Picture“ zeigt: Die Energiewende funktioniert nur, wenn wir unseren Energie­ verbrauch deutlich senken. Das gilt besonders für den Verkehr und die Wärme. Der Grund ist einfach: So viele Erneuerbare Energien können wir gar nicht bauen, wie wir bräuchten, um den heutigen Energiebedarf zu decken. Energieeffizienz ist zudem oft der kostengünstigste Klimaschutz, denn jede eingesparte Kilowattstunde bedeutet weniger Brennstoffe, weniger Kraftwerke und weniger Netze. Damit endlich was passiert, brauchen wir ein Energieeffizienzgesetz – analog zum Erneuerbare-Energien-Gesetz. Es würde „Efficiency First“ zum Leitprinzip für alle energierelevanten Gesetze etablieren und Effizienzziele für Strom, Wärme und Verkehr festschreiben. Zudem würden darin klare Maßnahmen beschlossen, die die Effizienz voranbringen, beispielsweise die steuerliche Absetzbarkeit für Gebäudedämmung, Ausschreibungen für Förderprogramme, Bürgschaftsprogramme für Effizienz-­Investitionen und die Festschreibung von hohen Effizienzstandards für neue Häuser und Produkte. Wer die Energiewende will, der muss bei Effizienz jetzt endlich Ernst machen! Sie plädieren für den Kohleausstieg und einen Mindestpreis für Kohlendioxid, wie er etwa in Großbritannien gilt. Lassen sich so auch die Energiekosten halten? Wegen des Kohleausstiegs muss man sich beim Thema Energiekosten keine Sorgen machen. Alle Studien, die zu diesem Thema

gemacht wurden, zeigen: Ein Kohleausstieg in Deutschland erhöht die Strompreise nur um etwa 0,2 bis 0,3 Cent pro Kilowattstunde – das sind weniger als ein Prozent der Haushaltsstrompreise. Bei einem Mindestpreis für Kohlendioxid muss man genauer hinschauen, gerade auch für die Industrie, denn da hängt es von der Höhe des Mindestpreises ab. Aber auch hier sind die Effekte überschaubar, weil dann ja automatisch die EEG-Umlage sinken würde. Klimaschutz und stabile Strompreise sind keine Gegensätze. Wer etwas anderes behauptet, betreibt unseriöse Stimmungsmache. Techniken wie „Power-to-Gas oder „Power-to-Liquid“ werden immer wieder als Heilsbringer propagiert. Dabei wird ein Teil erneuerbaren Stroms dazu genutzt, künstliche Heiz- und Kraftstoffe herzustellen. Sind diese Strategien des Rätsels Lösung? Power-to-Gas und Power-to-Liquid sind vielversprechende Zukunftstechnologien für eine vollständig dekarbonisierte Energieversorgung – aber noch sind sie relativ teuer. Sie werden auch aufgrund der Umwandlungsverluste immer teurer bleiben als die direkte Nutzung von Wind- und Solarstrom. Deswegen sind sie keine Heils­bringer. Trotzdem werden sie wichtig sein für die Industrie, den Schiffs- und Luft­ verkehr, Teile des Güterverkehrs und als Brennstoff für CO2-freie Gaskraftwerke. Ab 2030 sehe ich für diese Technologien große Märkte kommen. Eines Tages werden die arabischen Länder uns nicht mehr Erdöl und Erdgas verkaufen, sondern aus Solarstrom hergestellte synthetische Kraft- und Heizstoffe. Das ist aber noch Zukunftsmusik. Bis 2030 sollten wir uns auf die kostengünstigen Optionen konzentrieren, die wir jetzt schon haben: Wind- und Solarenergie kosten nur noch fünf bis sechs Cent pro Kilowattstunde – und damit weniger als Strom aus neuen Kohle- oder Gaskraftwerken. Das hätte doch vor zehn Jahren keiner vorhergesagt.

RALPH WEHRSPOHN...

PETER FRANKE...

...Leiter Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS, Halle (Saale): Im Bausektor kann aus meiner Sicht noch sehr viel für die Energieeffizienz erreicht werden. Ich sehe dabei drei Schwerpunkte: höhere Innovationsgeschwindigkeit, Wirtschaftlichkeit und Vernetzung. Der erste Punkt verweist auf die langen Innovationszyklen im Bau, die bei 20 bis 50 Jahren liegen. Auch deshalb lagen die erreichten Effizienzsteigerungen zuletzt unter den gesteckten Zielen. Neue Werkstoffe, aber auch der Abbau von Hemmnissen bei der Produktzulassung können hier für größere Erfolge sorgen. Die Wirtschaftlichkeit sollte beim Bemühen um nachhaltiges Bauen kein Gegensatz, sondern ein Ansporn sein. Jeder Bauherr, ob bei Neubau oder Sanierung, steht vor der Frage: Wie viel Grün kann ich mir leisten? Deshalb muss es gelingen, innovative Lösungen – etwa Dämmmaterialien aus nachwachsenden Rohstoffen oder Brennstoffzellen zur Erzeugung von Strom und Wärme – zu marktfähigen Preisen zu entwickeln. Auch die Möglichkeiten der Ver-­ netzung bieten in dieser Hinsicht Chancen. Gebäude, Verkehr, Wärme, Strom, Privathaushalte, Gewerbe und Industrie – für eine optimale Hebelwirkung muss das ganzheitlich betrachtet werden. Diesen Ansatz verfolgen wir beispielsweise im Projekt „halle.neu-stadt2050“, in dem wir die Ver­netzung vorantreiben und auch die Nutzerakzeptanz berücksichtigen. Damit setzen wir ein Beispiel, wie auf kommunaler Ebene zum Erfolg der Energiewende beigetragen werden kann. Die Digitalisierung wird die Potenziale solcher Ideen noch erheblich vergrößern. Ich erwarte mir vom 6. Ost­deutschen Energieforum, dass solche Gedanken weiterentwickelt werden und die Entscheider in der Politik erkennen, dass eine leistungsfähige, anwendungsorientierte und mit anderen Disziplinen gut vernetzte Werkstoffforschung die Voraussetzung ist, um die nötigen Fortschritte erzielen zu können.

...Vizepräsident der Bundesnetzagentur: Es ist der Bundesnetzagentur und mir persönlich ein wichtiges Anliegen, die Herausforderungen der Energiewende insbesondere mit den Akteuren aus den ostdeutschen Bundesländern zu besprechen. Die Energiewende bietet für die ostdeutschen Bundesländer Chancen. Sie kann Wertschöpfung und Arbeitsplätze schaffen. Insbesondere die Digitalisierung ermöglicht neue Geschäftsmodelle und kann die Sektorkopplung, beispielsweise zwischen Wärme und Strom oder Strom und Verkehr vereinfachen und beschleunigen. Die Energiewende ist aber auch eine Herausforderung. Insbesondere im Norden und Osten müssen die Übertragungsnetze für die hohe Einspeisung aus Erneuerbaren und insbesondere aus Windkraft ausgebaut werden. Dieser Strom muss in den Süden und Westen transportiert werden können, damit er deutschlandweit ausreichend zur Verfügung steht. Damit es aber nicht zu einseitigen Belastungen kommt, sollen die Kosten möglichst gerecht verteilt werden. Ein Beitrag hierzu wird die schrittweise Vereinheitlichung der Entgelte für die Nutzung der Übertragungsnetze ab 2019 leisten. Eine nachhaltige Entlastung der Verbraucher kann nur gelingen, wenn die Energiewende effizient ausgestaltet wird. Hierbei sollte im Interesse der Verbraucher auf den Wettbewerb gesetzt werden. Die Politik sollte der Versuchung widerstehen, bestimmte Technologien einseitig zu fördern oder zu bevorzugen. Eine wichtige Voraussetzung für einen einheitlichen, wettbewerblich organisierten Strommarkt ist schließlich eine ausreichend ausgebaute Netzinfrastruktur auch auf der regionalen und örtlichen Ebene.

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Deutsche Unternehmen klagen über zu hohe Strompreise. Sie fordern eine schnelle Senkung – und zwar über eine niedrigere Ökostrom-Umlage. „Die deutschen Mittelständler zahlen die höchsten Strompreise in der EU, doppelt so viel wie ihre französischen Kollegen“, sagte der Präsident des Deutschen Industrieund Handelskammertags (DIHK), Eric Schweitzer, dem Handelsblatt. Der DIHK sehe „sofortigen Handlungsbedarf, zumal die Kosten in den kommenden Jahren noch einmal deutlich ansteigen werden“. Mit der Umlage sollen erneuerbare Energien gefördert werden. Sie wird laut Bundeswirtschaftsministerium zu knapp zwei Dritteln von der Wirtschaft und zu gut einem Drittel von privaten Haushalten finanziert. Einige Unternehmen erhalten Rabatte. Der Vorstand habe deshalb ein Positionspapier mit Sofortmaßnahmen zur Senkung der sogenannten Ökostrom-­ Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-­ Gesetz (EEG) beschlossen. So soll das ­ Stromsteueraufkommen von rund sieben Milliarden Euro zur Senkung der EEG-­ Umlage eingesetzt werden. Die Umlage würde dadurch von derzeit 6,88 Cent je Kilowattstunde Strom auf 4,7 Cent sinken. Dies wäre eine „spürbare und kurzfristige Entlastung für Wirtschaft und Verbraucher“, sagte Schweitzer. Auch die Handwerker gehen auf die Barrikaden. Ein Heidelberger Bäcker offerierte jüngst seine Rechnungen: Er zahlt pro Jahr inzwischen einen sechsstelligen Betrag für Stromnebenkosten. Allein die EEG-Umlage hat sich für ihn in den vergangenen 15 Jahren von ursprünglich 5330 Euro versiebzehnfacht auf 89 440 Euro. Geld, das Wettbewerber – die von der EEG-Umlage befreiten Teiglingswerke der Brotindustrie – nicht zahlen müssen. Die Klage des Heidelberger Bäckers steht stellvertretend für den großen Unmut, der sich im Bäckerhandwerk mit ­seinen fast 11 800 Betrieben und rund 270 000 Beschäftigten aufgestaut hat. Denn auch deutlich kleinere Mittelständler geraten wegen der EEG-­ Umlage unter Druck. Weil die Kostensituation in anderen Branchen nur graduell, aber nicht grundsätzlich anders ist, geht der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) jetzt auf Konfrontation. Das Präsidium des einflussreichen Wirtschaftsverbandes beschloss im Namen von einer Million Mitgliedsbetrieben und 5,45 Millionen Beschäftigten ein Forderungspapier zur radikalen Reform der Ökostromförderung.

Alles im grünen Bereich? Von wegen! Drei Kemfert-Thesen, die gegen den Strich bürsten

Claudia Kemfert

Foto: dpa

Wirtschaft will bei Ökostrom-Umlage entlastet werden

Der Umbau der Energieversorgung stockt, beklagt Claudia Kemfert, der Ausbau ist gebremst, die Spielräume schließen sich. Es seien zu viele alte Kraftwerke am Netz und produzierten Überschüsse. Ein verbindlicher Kohleausstieg bis 2040 müsse her. Energieintensive Unternehmen profitierten vom billigen Strompreis auf Kosten der Verbraucher. Die müssten fatalerweise die Kosten des Netzausbaus tragen wie auch die der Abwrackprämien, die auf den Strompreis draufgelegt werden, als müsse das sein, als habe der Staat nicht seinerzeit alle Kosten und Risiken der Atomindustrie auf seine Schultern genommen, um den Verbrauchern billigen Strom zu garantieren. Kemfert, 49 Jahre alt, Professorin für Energiewirtschaft und Chefin des Energie-­­­und Umweltbereichs am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, thematisiert die Folgen dieser Entwicklung in ihrem neuen Buch „Das fossile Imperium schlägt zurück“. Die LVZ ließ drei provokante Thesen aus dem Buch von Kemfert kommentieren. Die Energiewende ist nicht wegen der Erneuerbaren teuer, sondern weil wir zu lange an der alten Infrastruktur festhalten. „Derzeit sind zu viele konventionelle Kraftwerke am Netz und produzieren zu viel Strom. Das senkt den Strompreis an der Börse und erhöht die EEG-Umlage unverhältnismäßig. Die Politik hat alten, ineffizienten Kohlekraftwerken eine Abwrackprämie zugestanden, die jetzt den Strompreis weiter unnötig erhöht. Schuld daran sind Wirtschaft und Politik, die viel zu lange am vergangenen Energiesystem festhalten. Kohlestrom verursacht Umweltund Klimaschäden, die Atomenergie gigantische Kosten für Rückbau der Kraftwerke und Lagerung des Atommülls. Dieser Kosten-Tsunami wird heimlich von den Stromkunden bezahlt und der Energiewende untergeschoben. Energieintensive Unternehmen müssen die EEG-Umlage nicht zahlen, derzeit auch noch vom super-billigen Strompreis profitieren – die privaten Verbraucher müssen deren Anteil auch noch übernehmen. Hinzu kommt ein völlig überdimensionierter Netzausbau – für den Überschuss

an Strom, der erzeugt wird, eben weil die ineffizienten Kohlekraftwerke noch am Netz sind. Auch den Netzausbau zahlen die Verbraucher. Die Energiewende ist nicht wegen der Erneuerbaren teuer, sondern weil wir viel zu lange an der alten Infrastruktur festhalten. So müssen die jungen Energien quasi die Rente für die ohnehin jahrzehntelang gepäppelten alten Energien bezahlen. Wir finanzieren die Vergangenheit, statt in die Zukunft zu investieren.“ Wir brauchen Mindestkapazitäten gegen Blackouts genauso wenig wie Butterberge gegen den Hunger. „Es wird ja hartnäckig der ,Mythos Grund­ last‘ verbreitet: Kohlekraftwerke seien nötig, um die Versorgung sicherzustellen. Das wird gern behauptet, ist aber falsch. Wir brauchen Must-Run-Kapazitäten gegen Blackouts genauso wenig wie den Butterberg gegen Hunger. Und wir brauchen für die erneuerbaren Energien auch keinen Netzausbau: Zwei von drei neuen Trassen dienen dem Transport von Kohlestrom! Wenn man die Energiewende wirklich will und die Ziele der Bundesregierung zum Umbau des Energiesystems Ernst nimmt, dann muss man die konventionellen Kraftwerke nach und nach abschalten. Dass der Atomausstieg beschlossen wurde, ist gut und richtig, aber wir müssen auch an die besonders klimaschädliche Kohle ran.“ Wenn wir alle neuen technischen Möglichkeiten nutzten, bräuchten wir keine Kohlekraftwerke. „Wir brauchen flexiblere, dezentrale Strukturen, auch auf regionaler Ebene. Digital gesteuerte Netze, durch die sich Stroman­ gebot und -nachfrage flexibel aneinander anpassen. Die Erneuerbaren müssen so aufeinander abgestimmt werden, dass sie zu jeder Zeit Versorgungssicherheit garantieren können. Das geht auch mit Solar, Wind, Biomasse und Wasserkraft – und mit den entsprechenden Speichern. Die Technik dafür gibt es: In Hamburg beispielsweise denkt man über einen riesigen unterirdischen Wärmespeicher nach, der Sonnenenergie aufnehmen soll, aber auch die Abwärme von Fabriken und Rechenzentren. Im Winter will man Wärme aus der überhitzten Elbe gewinnen. Wenn wir all die neuen Möglichkeiten nutzten, bräuchten wir weder Kohlekraftwerke für die Grundlast noch überdimensionierte, viel zu teure neue Stromleitungen zwischen Nord- und Süddeutschland.“

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OSTDEUTSCHES ENERGIEFORUM

Am Pulsschlag der Stromflüsse im Osten

Investitionen ins Netz Bis 2022 werden die deutschen Kernkraftwerke schrittweise außer Betrieb genommen – und auch andere konventionelle Kraftwerke werden stillgelegt. Diesen Wandel zeichnet auch das Stromnetz nach: Insgesamt müssen in den nächsten Jahren mehr als 7500 Kilometer im Übertragungsnetz optimiert, verstärkt oder neu gebaut werden. Eine besondere Rolle spielen hierbei die Höchstspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen (HGÜ-Leitungen), die sogenannten Stromautobahnen, wie SuedLink oder SuedOstLink. Auch der Ausbau der Verbindungen zu europäischen Nachbarn wird immer wichtiger, denn die Energiewende muss europäisch gedacht werden. So kann man etwa Wasserkraft in Skandinavien und den Alpenländern mit Windkraft und Photovoltaik in Deutschland verbinden und Kosten senken. Während früher der Strom in einer Einbahnstraße vom Kraftwerk

Blick in die Schaltzentrale des Netzbetreibers 50Hertz

über die Übertragungsnetze und die Verteilernetze bis zum Verbraucher floss, müssen die Netze heute Stromtransport mit Gegenverkehr bewältigen, da Strom nicht nur von „oben nach unten“, sondern auch von „unten nach oben“ fließt. Um Erzeugung und Verbrauch bedarfs- und verbrauchs­ orientiert aufeinander abzustimmen, muss das Stromnetz also „intelligenter“ beziehungsweise „smarter“ werden. Zahlen und Fakten: Vier Übertragungsnetzbetreiber (50Hertz, Amprion, Tennet, TransnetBW) gibt es in Deutschland. jedoch mit 400 kV betrieben. 35 000 Kilimeter gesamlänge haben die großen Übertragungsnetze. Bis 44 Milliarden Euro prognostizieren die Netzbetreiber für Investitionen ins Netz (In- und Offshore) bis 2025. 1,1 Millionen Kilometer Länge hat das Niederspannungsnetz, über das der Strom an die Endverbraucher verteilt wird.

Foto: dpa

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s leuchtet rot, es leuchtet grün, ein Signal ertönt plötzlich: Hier in einer modernen Warte in einem Industrieund Gewerbegebiet bei Berlin blinkt es auf einer riesigen Wand an vielen Stellen. Der Stromfluss in den großen Übertragungsnetzen in ganz Ostdeutschland und im Raum Hamburg ist in Echtzeit abgebildet. In welchem Netzabschnitt gibt es gerade ein Problem? Wie groß ist das Ausmaß? Experten sitzen an Computern, telefonieren und beratschlagen die Lage. Hier im brandenburgischen Neuenhagen hält der Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz die Fäden zusammen. Immer häufiger ist nach Unternehmensangaben die Abstimmung mit den Nachbarländern Polen und Tschechien notwendig. „Die Zusammenarbeit mit dem Ausland wird immer komplexer“, sagt der 50Hertz-Geschäftsführer für Märkte und Systembetrieb, Dirk Biermann. Der Manager steht vor der Wand in der Netzwarte und deutet auf eine rote Leitung. Es geht um eine Verbindung vom Raum Chemnitz nach Tschechien, die wegen Umbauarbeiten zu diesem Zeitpunkt gerade außer Betrieb ist. Alles nach Plan. Aber in einer unweit davon verlaufenden Leitung ins Nachbarland gibt es ein Problem. „Es läuft mehr Strom nach Tschechien als prognostiziert war“, sagt Biermann. Die Fachleute müssen sich nun mit den tschechischen Kollegen abstimmen, damit es in einigen Stunden nicht zu einer Überlastung kommt. Ein Übertragungsnetzbetreiber – neben 50Hertz gibt es noch drei weitere in Deutschland – hat die Aufgabe, die großen Stromleitungen in Betrieb zu halten und die Netze auszubauen. Es geht also nicht um alle Stromleitungen in Deutschland. Von den Übertragungsnetzen gehen kleinteiligere Netze in Kommunen und Dörfer ab, für die 50Hertz nicht zuständig ist. In dem Gebiet, das der Netzbetreiber betreut, leben nach Unternehmensangaben rund 18 Millionen Menschen. Dass die Zusammenarbeit mit den Nachbarländern Polen und Tschechien intensiver geworden ist, wird auf den Ausbau der erneuerbaren Energien und den zugleich schleppender als geplant verlaufenden Netzausbau in Deutschland zurückgeführt. Windkraft-Energie aus dem Norden etwa muss in südliche Bundesländer geleitet werden. In den Grenzregionen nimmt der Strom immer wieder auch den Weg über Leitungen der Nachbarländer gen Süden, weil hierzulande bislang noch zusätzliche Leitungen fehlen, wie Biermann erläutert. Das Ganze führte schon zu viel Unmut. Tschechien hatte jahrelang über eine Überlastung des eigenen Netzes geklagt. Zu kritischen Zeiten soll demnach sogar ein Blackout gedroht haben. 50Hertz und der tschechische Übertragungsnetzbetreiber CEPS entschieden sich deshalb zu einer Art Steuerungs-­ Funktion an den Ländergrenzen. Phasenschiebertransformatoren heißen die Anlagen in der Fachsprache. Sie funktionieren wie Ventile, die den Stromfluss regulieren können. Im deutschen Grenzgebiet sind laut 50Hertz sechs dieser Transformatoren vorgesehen. Am Standort Röhrsdorf in Sachsen zwei, die voraussichtlich in diesem Herbst in Betrieb gehen werden. Am Standort Vierraden im brandenburgischen Grenzgebiet zu Polen vier Stück, von de-

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Teure Noteingriffe ins Stromnetz Deutschland an der Schwelle zum Blackout?

Die Zentrale des Stromnetzbetreibers 50Hertz Transmission in Neuenhagen. Foto: dpa

nen zwei bereits vor Ort sind und Mitte 2018 in Betrieb gehen sollen. Derzeit werde am Umspannwerk Vierraden noch gebaut. Zwei weitere Transformatoren sollen dann voraussichtlich 2020 folgen. Und wie ist die Lage in Tschechien? Im Umspannwerk in Hradec bei Chomutov (Komotau) ist im Juli der letzte von vier Transformatoren eingetroffen, wie es vom Übertragungsnetzbetreiber CEPS heißt. Der Transport der jeweils 300 Tonnen schweren Kolosse war eine besondere Herausforderung: Der Weg führt vom Hersteller in Italien über den Hafen in Venedig per Schiff nach Hamburg und von

dort über die Elbe nach Tschechien. Für das letzte Stück auf der Straße musste wegen des hohen Gewichts eigens eine Behelfsbrücke gebaut werden. Die ersten beiden Transformatoren sind bereits seit Januar im Probebetrieb. Im ersten Jahresquartal nutzte der Betreiber CEPS die neue Möglichkeit der Strombegrenzung an 48 Tagen. Es seien Hunderttausende Euro eingespart worden, die ansonsten zur Stabilisierung des Netzes ausgegeben hätten werden müssen, in dem zum Beispiel Kraftwerke zwangsabgeschaltet werden. Von Hradec führen zwei 400-Kilovolt-­

Hochspannungsleitungen nach Sachsen, die 1976 im Rahmen des damaligen Ostblock-Netzes „Mir“ (Frieden) in Betrieb genommen worden waren. „Die Transformatoren ermöglichen es, den Fluss der elektrischen Energie in den üblichen Grenzen zu halten“, teilte CEPS-Vorstandschef Jan Kalina mit. Tschechien lässt sich die sogenannten Phasenschiebertransformatoren umgerechnet rund 76 Millionen Euro kosten. Bezogen auf ganz Deutschland werden nicht nur im Osten Phasenschiebertransformatoren an Grenzen zu Nachbarländern eingesetzt, um ungeplante Leistungsflüsse zu reduzieren.

An der Nordsee Windstrom im Überfluss, im Süden Mangel, wenn die Kernenergie abgeschaltet wird: Die regionale Unwucht der Energiewende setzt die Netze immer mehr unter Druck. Netzmanager drücken beim Ausbau aufs Tempo. Der Stromnetzbetreiber Tennet musste in den ersten vier Monaten des Jahres deutlich mehr Noteingriffe zur Stabilisierung des Stromflusses in Deutschland vornehmen. Die Kosten seien zu Jahresbeginn auch wegen des windreichen Januars im Vorjahresvergleich um mindestens 50 Prozent gestiegen, sagte Tennet-Deutschlandchef Urban Keussen. „Die Anspannung im Netz ist hoch, und sie wird mit der Abschaltung weiterer Kernkraftwerke noch zunehmen“, betonte Keussen. Die Kosten für die Netzeingriffe lagen 2015 bereits bei rund einer Milliarde Euro bundesweit, davon etwa 700 Millionen Euro im Tennet-Netzgebiet, das in der Mitte Deutschlands von Schleswig-­ Holstein bis zum Süden Bayerns reicht. Im windschwachen Jahr 2016 sank der Aufwand bei Tennet nur leicht auf 660 Millionen Euro. Jetzt steigt er wieder deutlich. Die Eingriffskosten könnten nach der Abschaltung der letzten Atomkraftwerke 2022 laut Bundesnetzagentur auf bis zu vier Milliarden Euro bundesweit im Jahr anwachsen. Zahlen muss das der Verbraucher über den Strompreis. Solange Leitungen fehlen, um Windstrom von Norden nach Süden zu bringen, müssen vor allem im Herbst und Winter immer wieder Windparks gegen Kostenerstattung abgeschaltet und kon-

ventionelle Reservekraftwerke im Süden Deutschlands oder in Österreich hochgefahren werden. Deutlich gestiegene Eingriffskosten hatte Anfang Juni auch der Netzbetreiber Amprion gemeldet. Am 18. Januar etwa hatte Amprion nach Informationen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Netzagentur und das Wirtschaftsministerium in einer Alarm­mail auf den „temporären Verlust der n-1-sicheren Netzführung“ hingewiesen. Das bedeutet, dass das Netz ohne den ansonsten vorgeschriebenen Sicherheitspuffer gefahren wurde. Amprion steht zum Netzausbau. Dafür habe man seit 2009 den Rekordbetrag von drei Milliarden Euro investiert und werde das weiterhin tun. Bis 2026 wolle allein Amprion, als einer von vier deutschen Transportnetzbetreibern, weitere 5,6 Milliarden Euro für den Netzausbau ausgeben. Gut 200 Kilometer des Netzausbaus seien inzwischen fertiggestellt, weitere 200 Kilometer befinden sich im Bau und weitere 1000 Kilometer in Planung. Doch hänge der Erfolg der Energiewende nicht allein am Ausbau des Netzes, sagte Hans-Jürgen Brick, der kaufmännische Geschäftsführer. „Wir brauchen mehr Transparenz, Flexibilität und eine echte Integration der erneuerbaren Energien in den Markt, damit wir die Kosten dämpfen können.“ Als zu niedrig beklagte er indes den von der Bundesnetzagentur ab 2019 zugestandenen Zinssatz auf Eigenkapital von 6,91 Prozent. Aktuell liegt er bei 9,05 Prozent. Der niedrige Zinssatz passe nicht zu den notwendigen Investitionen.

„Wir wollen das Internet der Energie mit Partnern aus der Region umsetzen“ enviaM-Chef Tim Hartmann spricht sich für Weiterentwicklung der Energiewende zu einer Wärme- und Verkehrswende aus wollen. Unser Anliegen ist es, Energie­erzeuger und Energieverbraucher miteinander zu verbinden und den Stromsektor mit dem Wärme- und Verkehrssektor zu verknüpfen. Auf diese Weise wollen wir die Energieversorgung intelligenter und effizienter machen. Dafür benötigen wir die Daten der Energieerzeuger und Energieverbraucher. Ohne ein Zusammenspiel mit ihnen ist die Digitalisierung nicht machbar.

Sie werben bei öffentlichen Auftritten immer wieder für mehr Partnerschaft bei der Beantwortung der Energiefragen von morgen. Warum? Tim Hartmann: Die Energiewende ist sehr anspruchsvoll. Auf sich allein gestellt, kann niemand die UmTim Hartmann, setzung dieser Jahrhundertaufgabe Fruchtet Ihr Appell? enviaM Vorstandschef Das Interesse von Partnern aus der bewerkstelligen. Energieerzeuger, Region, mit uns die Vision vom -verbraucher, -versorger und viele andere Akteure müssen „Die Energiewende muss sich von Internet der Energie zu verbeim Wandel der Energiever- einer reinen Stromwende zu einer wirklichen, wächst stetig. Ein sorgung zusammenarbeiten. Wärme- und Verkehrswende ­Beispiel ist unsere Anwender­ Dies gilt umso mehr mit Blick gemeinschaft für intelligente weiterentwickeln.“ auf die bevorstehende WeiterMesssysteme. Ihr gehören mehr entwicklung der Energiewenals 50 Netz­betreiber aus Ostde von einer reinen Stromwende zu einer Wärme- deutschland an, die sich gemeinsam mit der Umund Verkehrswende, die aus Klimaschutzgründen setzung der gesetzlichen und technischen Vorgaben befassen und die neuen Messgeräte testen. Die zwingend notwendig ist. intelligenten Systeme sind ein wichtiger Baustein Eine Schlüsselrolle für die Weiterentwicklung der für die Digitalisierung der Energieversorgung. Sie Energiewende spielt die Digitalisierung. Wie wichtig werden bis 2032 bei allen Stromkunden mit einem ist hier ein partnerschaftlicher Umgang miteinander? Jahresverbrauch von mehr als 6000 KilowattstunDie Digitalisierung ist ein Paradebeispiel dafür, wie den eingebaut. Anders als ihre Vorgänger können wichtig Partnerschaften bei der Gestaltung der intelligente Messsysteme kommunizieren. Sie Zukunft der Energieversorgung sind. Wir betonen übertragen Verbrauchsdaten vom Stromkunden deshalb ausdrücklich, dass wir unsere Vision von zum Netzbetreiber und Energieversorger. Genau benötigen wir fürs Internet der der Digitalisierung, das Internet der Energie, ge- diese Daten ­ meinsam mit Partnern in Ostdeutschland umsetzen Energie.

Foto: dpa

Tim Hartmann, Vorstandsvorsitzender des führenden regionalen Energiedienstleisters in Ostdeutschland, enviaM, setzt bei der Weiter­ ent­ wicklung der Energiewende verstärkt auf Z ­ usammenarbeit.

Intelligente Messsysteme sind ein wichtiger Baustein für die Digitalisierung der Energieversorgung. Der enviaM-Netzbetreiber MITNETZ STROM hat eine Anwendergemeinschaft gegründet, in der sich das Unternehmen gemeinsam mit mehr als 50 anderen Netzbetreibern auf die Einführung vorbereitet. Foto: Thomas Goethe

Soll die Wärme- und Verkehrswende funktionieren, werden wir künftig verstärkt mit Strom aus erneuerbaren Energien heizen und fahren. Dazu muss die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien weiter ausgebaut werden. Sie gehen auch hier partnerschaftlich vor. Wie funktioniert das in der Praxis? Wir bieten Bürgern an, sich an unseren Windkraftund Photovoltaikanlagen zu attraktiven Konditionen finanziell zu beteiligen. Mehr als 500 haben dies bereits getan. Mit unserer neuen Internetplattform energie-partner.de wollen wir ihnen den Zugang zu unseren Projekten noch einfacher ­machen. Neben Bürgern können auch Kommunen und Stadtwerke Anteile an unseren Anlagen zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien ­erwerben. Auch sie machen davon rege Gebrauch.

der Ladesäulen und helfen bei der Suche nach ­einem geeigneten Standort.

Voraussetzung für die Verkehrswende ist der Ausbau der Elektromobilität. Hier sind sind Sie im Auftrag der Europäischen Metropolregion Mitteldeutschland unterwegs. Was genau tun Sie hier? Die Bundesregierung hat 2017 ein Förderprogramm für den Ausbau der Elektromobilität in Höhe von 300 Millionen Euro aufgelegt. Mit diesem soll der flächendeckende Aufbau der Lade infrastruktur vorangetrieben werden. Bis 2020 sollen bundesweit rund 15 000 neue Ladesäulen entstehen. Die Europäische Metropolregion Mitteldeutschland beteiligt sich am Förderprogramm. Sie hat uns beauftragt, Unternehmen, Kommunen und Stadtwerke in der Region, die eine öffentlich zugängliche Ladesäule errichten möchten, bei der Antragstellung zu unterstützen. Wir haben bereits zahlreiche Anträge bearbeitet. Auf Wunsch übernehmen wir auch Lieferung, Anschluss und Betrieb

Zwei gegen Zwei

Wollen wir die Klimaschutzziele erreichen, müssen wir effizienter mit Energie umgehen. Die Bundesregierung hat dazu aufgerufen, Energieeffizienzwerke zu gründen. Was halten Sie von der Idee? Wir unterstützen die Initiative der Bundesregierung. In Energieeffizienznetzwerken können die Beteiligten gemeinsam sehr gut voneinander lernen, wie man sorgsamer mit Energie umgeht. Wir haben deshalb vier Energieeffizienznetzwerke gegründet. Ihnen gehören rund 40 Unternehmen, Kommunen und Stadtwerke an, mit denen wir uns auf konkrete Energieeinsparziele verständigt ­haben.

Das Thema Partnerschaft ist auch beim Ostdeutschen Energieforum für Tim Hartmann ein wichtiges Anliegen. Im Diskussionspanel „Zwei gegen Zwei“ zum Thema „Dezentral versus zentral – wie weiter mit der Energiewende?“ wirbt der enviaM-Vorstandsvorsitzende im Streitgespräch mit Dr. Reiner Haseloff, Ministerpräsident des Landes-Sachsen-Anhalt, Wolfgang Tiefensee, Wirtschaftsminister des Landes Thüringen und Boris Schucht, Vorsitzender der Geschäftsführung der 50Hertz Transmission GmbH, für eine neue Form der Zusammenarbeit von Verteil­netzbetreibern und Übertragungsnetzbetreibern.


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„Als Verlierer sehen wir uns nicht“ Mibrag-Geschäftsführer Armin Eichholz plädiert für ernergiepolitischen Realismus Ein Umspannwerk des Netzbetreibers 50Hertz.

Fairness im System Ab 2019 sollen Netzentgelte angeglichen werden

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tromkunden in Ost- und Norddeutschland sollen bei den bundesweit noch unterschiedlich hohen Abgaben für die Stromnetze ab 2019 schrittweise entlastet werden. Union und SPD verständigten sich praktisch in letzter Minute doch noch auf einen Zeitplan für die von ostund norddeutschen Bundesländern geforderte Angleichung der Netzentgelte. Laut der Einigung sollen die Entgelte vom 1. Januar 2019 an schrittweise über die folgenden vier Jahre bundesweit einheitlich verteilt werden. Damit könnte der Anstieg der Strompreise im Osten und Norden gebremst werden. Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) erklärte: „Mit bundesweiten Übertragungsnetzentgelten verrin-

Strompreis Kostentreiber Netzentgelte: Obwohl die Strombeschaffungskosten im fünften Jahr in Serie sanken, müssen Stromkunden in Deutschland immer tiefer in die Tasche greifen. Anfang 2017 kletterte der Strompreis mit durch­schnittlich 29,16 Cent je Kilowattstunde auf ein Allzeithoch. Als Grund führt der Bundesverband der Energieund Wasserwirtschaft wachsende Beiträge und Gebühren an. Steuern, Abgaben und Posten wie die EEG-­ Umlagen machen 55 Prozent des Haushaltsstrompreises aus. Der Anteil für die Netznutzung ist mit durchschnittlich 26 Prozent inzwischen höher als der für die Beschaffung und den Vertrieb des Stroms, der mit 19 Prozent angegeben wird. Die Netz-­ entgelte werden von den bundesweit etwa 700 Betreibern allerdings regional erhoben und schwanken zwischen knapp 5 und fast 12 Cent je Kilowattstunde.

gern wir regionale Kostenunterschiede und sorgen für eine bessere Verteilungsgerechtigkeit bei den Stromkosten.“ Die Koalition hatte den neuen Ländern zugesagt, die Netzentgelte bundesweit anzugleichen. Bei einer solchen Neujustierung würden vor allem die nord- und ostdeutschen Länder entlastet, Kunden und Unternehmen unter anderem in Nordrhein-Westfalen müssten sich dagegen auf Belastungen einstellen. „Die Vereinheitlichung der Entgelte in Deutschland ist ein Gebot der Wettbewerbsfairness für unsere sächsischen Unternehmen und ein längst überfälliger Schritt im Gesamtprozess der Energiewende“, kommentierte Kristian Kirpal, Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) Leipzig. Ähnlich äußerte sich Gerald Grusser, Hauptgeschäftsführer der IHK Erfurt: „Wir begrüßen die Entwicklung hin zu mehr Gerechtigkeit in der Verteilung.“ Olivier Höbel, Bezirksleiter Berlin-­ Brandenburg-Sachsen der Industriegewerkschaft Metall, sagte, damit würden Standortnachteile und -risiken insbesondere für die energieintensive Industrie abgebaut. Dies sichere Arbeitsplätze in Ostdeutschland. Gegenwärtig sind die Strompreise in den neuen Bundesländern höher als im Westen und Süden der Republik. In den neuen Ländern wird mehr Strom aus erneuerbaren Energien produziert als benötigt. Die überschüssige Energie wird abtransportiert. Die Kosten des dafür erforderlichen Leitungsausbaus werden Verbrauchern wie Unternehmen im Osten aufgebürdet. Hier führen einheitliche Netzentgelte tendenziell zu einer Entlastung. Laut einer Kurz­analyse Denkfabrik Agora Energiewende zahlt eine Familie in Brandenburg bei einem Verbrauch von 3500 Kilowattstunden im Jahr 416 Euro Netzentgelt, in Bremen aber nur 196 Euro. Eine Bäckerei mit 80  000 Kilowattstunden berappt für die Netznutzung in der Uckermark 7974 Euro, in Bremen 2942 Euro.

Es ist kein Geheimnis, dass die fortschreitende Energiewende große Auswirkungen auf die Köhleförderer des Landes hat. Wie die Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft (Mibrag) damit umgeht, erklärt Dr. Armin Eichholz, Vorsitzender der Geschäftsführung Mibrag. Herr Dr. Eichholz, seit Juli 2016 sitzen Sie im Chefsessel von Mibrag und haben das Unternehmen damit in einer schwierigen Phase übernommen. In welcher Verfassung befindet sich Mibrag heute? Insbesondere der Einspeisevorrang von Wind und Sonne machen die Situation für alle deutschen Energieunternehmen und Kohleförderer zunehmend schwieriger. Dennoch benötigen wir sicheren und bezahlbaren Strom, auch wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Unter diesen Bedingungen ist es für uns eine große Kraftanstrengung, in der Region Arbeitsplätze und Ausbildungsmöglichkeiten abzusichern. Es bleibt unser Ziel, ein zuverlässiger Partner für die Region zu sein. Daher sind wir ungeachtet der politischen Situation und des schwierigen Marktumfelds entschlossen, uns weiter zu entwickeln und in die Zukunft zu investieren. Allein im letzten Jahr haben wir über 70 Millionen Euro für moderne Anlagen und Umwelttechnik ausgegeben. Sie haben die Energiewende als Hauptursache für die angespannte wirtschaftliche Situation bereits genannt. Ist Mibrag also ein Verlierer der Energiewende? Man muss kein ausgewiesener Energieexperte sein, um zu erkennen, dass der sinkende Kohleabsatz eine direkte Folge der Energiewende ist. Die Kraftwerke unserer Kunden sind zunehmend weniger ausgelastet und unser eigenes Kraftwerk im niedersächsischen Buschhaus mussten wir in die Sicherheitsbereitschaft überführen. Trotzdem, als Verlierer der Energiewende sehen wir uns ganz und gar nicht. Im Gegenteil, ohne uns und die heimische Braunkohle wäre die Energiewende nicht denkbar. Moderne Braunkohlekraftwerke sind heutzutage genauso flexibel wie Gaskraftwerke. Nur mit dieser Flexibilität kann die schwankende Einspeisung aus erneuerbaren Energien ausgeglichen werden. Und Braunkohle muss nicht importiert werden, sie ist die Energie mit Heimvorteil. Auch wenn Braunkohlekraftwerke als Brückentechnologie gebraucht werden, wird seitens der Politik ein Ende der

Dr. Armin Eichholz, Vorsitzender der Geschäftsführung MIBRAG

„Ein Verteufeln unseres heimischen Rohstoffs bringt uns nicht weiter.“

Braunkohleförderung perspektivisch angestrebt. Bedeutet das Ende der Braunkohleförderung auch das Ende für Mibrag? Heute eine Debatte über ein Ausstiegsdatum aus der Braunkohleförderung zu führen, halte ich für fahrlässig. Auch vor dem Hintergrund des Umwelt- und Klimaschutzes dürfen wir nicht ausblenden, dass Braunkohle gegenwärtig unverzichtbar für den Industriestandort Deutschland ist. Als Garant für eine sichere und bezahlbare Energieversorgung ist sie ein wichtiger Eckpfeiler unserer Energieversorgung. Im Gegensatz zur

Wind- und Solarenergie ist sie subventionsfrei und zuverlässig verfügbar. Es ist also nicht verwunderlich, dass jede vierte Kilowattstunde Strom in Deutschland aus der Braunkohle stammt. Als heimischer Rohstoff macht sie uns außerdem unabhängig von Importen aus dem Ausland. Ich bin mir sicher, die Braunkohle wird noch für lange Zeit eine große Bedeutung für unsere Versorgung mit Strom und Wärme haben. Ein Ende der Braunkohlenutzung zur Stromerzeugung bedeutet außerdem nicht zwangsläufig ein Ende der Braunkohleförderung. Große Potenziale sehen wir in der stofflichen Nutzung und planen hierzu gemeinsam mit Partnern aus der Forschung die Errichtung einer Pilotanlage. Als Mitglied der Europäischen Metropolregion Mitteldeutschland arbeiten wir zudem aktiv in einer Projektgruppe, die sich die stoffliche Nutzung der Braunkohle zur Aufgabe gemacht hat.

Aber ist das Ende der Braunkohleförderung zur Energieerzeugung nicht längst politisch besiegelt? So lange Transport- und Speicherprobleme in der Energieversorgung durch Erneuerbare nicht gelöst sind, ist die Diskussion um einen Ausstieg aus der Braunkohle aus unserer Sicht unseriös. Wir treten dafür ein, dass die Debatte ehrlicher geführt wird. Noch benötigen wir die Kohle. Abbauflächen und bergmännisches Wissen müssen gesichert werden. Nur so können wir für alle geopolitischen Entwicklungen gewappnet sein

und zukünftigen Generationen die Entscheidung selbst überlassen, ob der heimische Rohstoff genutzt werden soll. Daran knüpft sich unweigerlich die Frage nach der Zukunft der Region Mitteldeutschland. Sieht sich Mibrag hier in der Verantwortung? Unsere wichtigste Aufgabe ist und bleibt es, für Beschäftigung zu sorgen und vor allem der jungen Generation Perspektiven zu bieten. Auch für die Nutzung der Tagebauflächen nach dem Ende des Braunkohleabbaus sehen wir vielfältige Möglichkeiten, um attraktive Lebensräume zu schaffen und Standorte für erneuerbare Energien zu erschließen. Für die Zukunft der Region ist aber auch entscheidend, welche Pläne die tschechische EPH als Eigentümer von Mibrag verfolgt. Gibt es Überlegungen, Mibrag und die von der EPH kürzlich erworbene LEAG zusammenzulegen? Nein, von Seiten der EPH wird keine Fusion zwischen Mibrag und LEAG angestrebt. Beide Unternehmen sind eigenständige Gesellschaften, die selbst Verantwortung dafür tragen, sich am Markt zu behaupten. Die anstehende Bundestagswahl könnte die Klimaschutz- und Anti-Kohle-Debatte noch einmal verschärfen. Welche Erwartungen verknüpfen Sie mit der Bundestagswahl? Zunächst hoffen wir, dass die energiepolitische Vernunft und Realismus auch unter verschärften Wahlkampfbedingungen die Oberhand behalten werden. Parteipolitische Interessen dürfen nicht die Notwendigkeit einer sicheren, bezahlbaren und unabhängigen Energieversorgung überlagern. Für die Zeit nach der Wahl wünschen wir uns von einer neuen Bundesregierung vor allem die Bereitschaft für eine offene Debatte. Eine allein auf den Klimaschutz reduzierte Betrachtung kann dem Industriestandort Deutschland nicht gerecht werden. Die verheerenden Konsequenzen, die ein vorschneller Ausstieg aus dem Braunkohleabbau für diese und andere Regionen hätte, müssen gesehen werden. Wer jetzt mit Scheu­ klappen auf den Augen den schnellen Ausstieg aus der Braunkohle fordert, der übersieht diese Folgen und obendrein auch die Zukunftschancen, die mit der Braunkohle einhergehen. Ein Verteufeln unseres heimischen Rohstoffs bringt uns hier und heute nicht weiter. Anzeige

Gas geben für den Klimaschutz VNG: Die Energiewende funktioniert – wenn der Erdgas-Einsatz steigt Deutschland steht vor großen Herausforderungen: Obwohl das Land beim Klimaschutz globaler Vorreiter unter den großen Industrienationen ist, scheint die Energiewende ins Stocken geraten zu sein. Bei genauerem Hinsehen verfehlt Deutschland trotz des Ausbaus der erneuerbaren Energien seine Klimaziele. Das Gelingen der Energiewende wäre jedoch nicht nur für Deutschland, sondern auch international ein wichtiges Signal. Es gilt zu beweisen, dass die Energiewende funktioniert, ohne das wirtschaftliche und soziale Gefüge zu beschädigen. Nach der Wahl im September wird die nächste Bundesregierung mehr denn je gefordert sein, Reformen im Rahmen ihrer Umwelt- und Energiepolitik auf den Weg zu bringen.

Gas – gut für die Heizung, gut für unser Klima Die Energieexperten der VNG-Gruppe sind davon überzeugt: Nur mit einem verstärkten Einsatz von Gas in allen Sektoren können die Klimaziele tatsächlich erreicht werden. Denn durch seinen geringen CO2-Ausstoß und seine hohe Effizienz sorgt Erdgas für ein erhebliches CO2-Reduktionspotenzial beim Heizen, in der Stromerzeugung und im Verkehr.

Einsatz von Erdgas geschaffen werden. Denn beim Klimaschutz im Heizungskeller spielt Erdgas eine Schlüsselrolle. Es verbrennt deutlich sauberer als Öl, emittiert weder Feinstaub noch Stickoxide und verursacht geringe CO2-Emissionen. Bereits heute gibt es hocheffiziente Gasheizungen, die sich sehr gut mit Erneuerbaren Energien kombinieren lassen. Die Kopplung von Gasbrennwertheizungen mit Solarthermie, der Einsatz von Gas-Wärmepumpen oder Brennstoffzellen zeigen aus Sicht der VNG, dass Gas auch „grün“ kann und zukunftsfähig ist. Ulf Heitmüller, Vorstandsvorsitzender VNG

„Gas kann einen entscheidenden Beitrag zum Weg in ein grünes Energiesystem leisten.“ Zwei Beispiele: Im Wärmemarkt sind die CO2-Emissionen seit Jahren konstant. Abhilfe könnte sowohl mit der Modernisierung von Heizungsanlagen – 70 Prozent entsprechen nicht dem Stand der Technik – als auch mit dem verstärkten

Mit einem nutzbaren Arbeitsgasvolumen von fast einer Milliarde Kubikmetern in 33 Kavernen ist der Untergrundgasspeicher Bernburg der viertgrößte Kavernenspeicher Europas. Foto: VNG Gasspeicher | Torsten Proß/Jürgen Jeibmann

Gewinne können auch wachsen, ohne dass die Natur eingeht.

Gasnetze und Speicher – Kern der Energiewende Auch die bestehende Gasinfrastruktur, also Netze und Speicher, hält große Potentiale bereit. Aufgrund ihrer „Energiewendefähigkeit“ kann die bestehende Gasinfrastruktur selbst zum strategischen Partner des Klimaschutzes werden. Denn wo heute Erdgas fließt, können schon bald Erneuerbare Gase die gleiche Dienstleistung erbringen. So lässt sich neben Bioerdgas mit Hilfe der Power­-toGas-Technologie auch überschüssiger Windstrom in das Gasnetz einspeisen und langfristig speichern. Zum Vergleich: Bereits heute könnte in den vorhandenen Gasnetzen und Speichern mehr als die gesamte Jahresproduktion der Erneuerbaren Energien im Strombereich eingelagert werden. Dieses gewaltige Potenzial gilt es zu nutzen, um die Versorgungssicherheit auch dann zu gewährleisten, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. So ließen sich die Kosten für den Ausbau der Stromnetze reduzieren und damit der Energiewende insgesamt.

Gas als Klimaschutzmotor der Energiewende „Der Weg in ein grünes Energiesystem wird erfolgreich sein, wenn er auf Bewährtem aufbaut, Innovationen fördert, die Menschen und ihre Lebenswirklichkeit mitnimmt und die Kosten möglichst gering bleiben. Gas und die Gasinfrastruktur können hierbei einen entscheidenden Beitrag leisten. Kurzum: Gas kann Energiewende“, resümiert Ulf Heitmüller, Vorstandsvorsitzender der VNG.

Wie, weiß die

wirtschaft-bewegen.de/innovation-umwelt

Erstansprechpartner für Unternehmen zu Innovation und Umwelt:  Einstiegsberatung und Information zu betrieblicher Energieeffizienz, erneuerbaren Energien, verfügbaren Förderungen und Finanzierungshilfen  Unterstützung bei allen abfall- und immissionsschutzrechtlichen Fragestellungen  Vermittlung von Beratern und Sachverständigen  Förderung des Technologietransfers zwischen Wissenschaft und Wirtschaft  Interessenvertretung der Unternehmen bei innovations-, energie- und umweltpolitischen Themen bietet die IHK Energiewende und Klimaschutz“ tive itia dsin stan ttel „Mi der r tne Als Par t die nächsten te für mehr Energieeffizienz und zeig zu Leipzig Informationen und Produk tionen: en Energiewende. Weitere Informa Schritte auf dem Weg zur persönlich rgiewende.de ene www.mittelstand-


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Was dieselt denn da? Die Forschung an E-Fuels, den künstlichen Kraftstoffen, gewinnt an Fahrt

Ein Ingenieur für erneuerbare Energien und Umwelttechnik vor dem Konvertierungs­ reaktor (blau) der Sunfire GmbH Dresden. Foto: dpa

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in Wunder würde natürlich alles leichter machen. Der mühsame Weg zum Elektroauto, die teure Entwicklung von Batterien, die größere Reichweite ermöglichen, skeptische Kunden, denen das E-Mobil bisher zu teuer ist – den Autobauern dürfte eine Technologie willkommen sein, die helfen könnte, die Zeit bis zum Durchbruch zu überbrücken. Auftritt des „Wunder-­ Diesels“, eines synthetischen Kraftstoffs, der bei der Verbrennung nicht mehr CO2 ausstößt, als bei seiner Produktion verbraucht wurde. Spätestens seitdem die Grünen über ein Aus des Verbrennungsmotors ab 2030 orakeln, wird ein solches Wunder von der Branche wohl insgeheim herbeigesehnt. Über „faszinierende Perspektiven“ jubelte jüngst der Cheflobbyist der deutschen Autobranche, Matthias Wissmann. Aber das Ganze dürfte noch etwas auf sich warten lassen. Audi-Experte Hermann Pengg beispielsweise geht davon aus, dass aus erneuerbaren Stromquellen produzierter E-Diesel in den kommenden fünf bis zehn Jahren bei den Herstellungskosten noch immer mehr als doppelt so teuer sein dürfte wie herkömmlicher Diesel. Dennoch nehmen die Hersteller und Zulieferer die synthetischen Kraftstoffe

ernst. Und sie forschen mit aller Macht. Volkswagen sieht das Potenzial, solche Technologien in großem Maßstab umzusetzen, als durchaus realistisch an, wie Sprecher Peter Weisheit erklärt. Was sind eigentlich E-Fuels? Dabei geht es um künstliche Kraftstoffe, die idealerweise aus erneuerbarem Strom hergestellt sein sollten, erklärt Stefan ­Pischinger vom Lehrstuhl für Verbrennungskraftmaschinen an der RWTH Aachen. Die Rede ist von der „Power-­toGas“- oder „Power-to-Fuels“-Methode. Das bedeutet: Per Elektrolyse wird aus Wasser und erneuerbarem Strom zunächst Wasserstoff erzeugt. In Verbindung mit CO2 kann dann Methan hergestellt werden – das wie Erdgas als Kraftstoff dient. Auch Flüssigkraftstoffe wie synthetisches Benzin oder Diesel sind denkbar. Oder, beliebt bei Forschern, sogenannte Oxymethylenether (OME). In einem ersten Schritt könnten E-Fuels herkömmlichem Dieselkraftstoff beigemischt werden, sagt Pischinger. Der Vorteil: Auch bei Autos, die schon auf der Straße sind, sinke auf diese Weise der Ausstoß des klimaschädlichen CO2 – und das, ohne an Autos oder Tankstellen etwas zu verändern. Vorausgesetzt, der benötigte Strom stammt aus erneuerbaren Quellen und der notwendige

Kohlenstoff aus Biomasse oder Kohlen­ dioxid aus der Luft. Beim heute in Deutschland vorherrschenden Strom-Mix

Vor einer neuen Anlage zur Schlackebadvergasung hält ein Diplomingenieur von der TU Bergakademie Freiberg eine Flasche mit synthetisch hergestelltem Benzin. Foto: dpa

dürfte dies also noch Zukunftsmusik sein. Autoexperten sind denn auch skeptisch. Auch die Brennstoffzelle sei ein

Verkehr der Zukunft Tschüss Benziner, Adieu Diesel: 3,4 Millionen Autos werden in Deutschland jährlich neu zugelassen. Derzeit sind 46 Millionen Pkw unterwegs, davon nur 34 000 Elektroautos und 165 000 Hybrid-­ Fahrzeuge. Sollten von 2030 an nur noch Wagen mit emissionsfreien Antrieben verkauft werden, dürfte ihr Anteil schon vorher schnell steigen. Unklar ist, wie schnell. Das Beratungsunternehmen Accenture rechnet wie auch die Gewerkschaft IG Metall damit, dass 2030 bereits ein Drittel aller Autos in Deutschland vollelektrisch fahren. Die Bundesnetzagentur ist in ihrem Szenario für eine schnelle Energie- und Verkehrswende konservativer. Sie erwartet, dass im Jahr 2030 rund sieben Millionen Elektrofahrzeuge unterwegs sind. Diese Flotte würde dann gut vier Prozent des heutigen Stromver-

brauchs benötigen. Der Gesamtverbrauch könnte trotzdem in etwa konstant bleiben, sofern eintritt, was die Netzagentur annimmt: Viele Geräte werden effizienter und könnten den E-Auto-Verbrauch ausgleichen. Dazu kommt, dass das Strom-­ netz künftig intelligent gesteuert werden soll: Dass also beispielsweise nicht alle Autos, die an der Steckdose hängen, gleichzeitig laden. Wenn künftig Millionen Deutsche ihre Elektroautos parallel aufladen wollen, würde das nicht nur die Stromerzeugung strapazieren, sondern auch die heutigen Netze überfordern, heißt es von den Stromversorgern. Das gilt besonders dann, wenn sich Schnellladestationen mit bis zu 350 Kilowatt Ladeleistung verbreiten, wie sie die Autokonzerne an Schnellstraßen errichten wollen.

„ewiges Zukunftsmodell“, kritisiert Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen. Außerdem sei das Verfahren teuer und: „China als größter Markt der Welt wird es nicht nehmen.“ Denn dort setze man mittlerweile voll auf die Elektromobilität. Dudenhöffer spricht von einem Ablenkungsmanöver, das die Lage beim Stickoxid-Ausstoß nicht verbessere, und einem Versuch, Zeit zu gewinnen: „Das wird es bei uns langfristig genauso wenig geben wie die Brennstoffzelle.“ Willi Diez vom Institut für Automobilwirtschaft in Geislingen sieht die Hersteller gut beraten, nur wenige Optionen zur Reife zu bringen und sich dabei auf E-Autos zu konzentrieren. Doch der Aachener Wissenschaftler widerspricht. Pischinger erklärt, mit Oxymethylenether sei eine völlig rußfreie Verbrennung möglich, damit könnten die Abgasrückführungsraten von Dieseln gesteigert werden, die Emission von Stickoxiden lasse sich reduzieren. Wegen der vollständigeren Verbrennung von synthetischen Kraftstoffen könne der Wirkungsgrad gesteigert werden: Neue Brennverfahren sollten ermöglichen, dass der Verbrennungsmotor hier Werte von über 50 Prozent erreicht. Für die Autobauer könnten die syn-

thetischen Kraftstoffe also die Lösung sein, um bis zum Durchbruch der E-Mobilität und bei sinkendem Dieselanteil an den Autoverkäufen trotzdem die künftig strengeren CO2-Grenzwerte einzuhalten. Nach den Worten von Audi-Mann Pengg liegt das CO2-Emissionsniveau um etwa 80 Prozent unter dem herkömmlicher Kraftstoffe. „Erste Messungen legen nahe, dass der Kraftstoff auch bei NOx-­ Emissionen besser als herkömmlicher Diesel ist“, sagt er. Volkswagen sieht in E-Gas und E-Fuels „erhebliches Potenzial“, wie ein Sprecher sagt. Ohnehin will Europas größter Autobauer gasgetriebene Fahrzeuge voranbringen. Audi sieht sich bereits im i­ndustriellen Maßstab unterwegs – die VW-Tochter betreibt im niedersächsischen Werlte eine sogenannte Powerto-­Gas-Anlage. Mit deren Produktion sollen rund 1500 Autos klimaneutral fahren können. Realistische Zukunftsversion oder doch alles nur ein Hype? Es wäre nicht das erste Mal. Schon vor einigen Jahren brandete die Diskussion über die Beimischung von aus Pflanzen oder Pflanzenresten gewonnenem Biosprit hoch. Doch die Methode setzte sich nicht durch, der Kunde war dagegen. Alles nur ein Hype – damals.

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Die größte Batterie der Welt Energieversorger EWE will Salzkavernen zum größten Stromspeicher der Welt umbauen

Akku geladen. Mit Kohle. Jede 4. Kilowattstunde Strom wird in Deutschland aus Braunkohle erzeugt.

Der Oldenburger Energieversorger EWE plant den Bau der nach eigenen Angaben „größten Batterie der Welt“. Sie soll eine Leistung von bis zu 120 Megawatt erreichen und bis zu 700 Megawattstunden speichern. EWE, einer der größten Versorger in Deutschland, will dafür Salz­ kavernen nutzen. Kavernen sind große, unterirdische Hohlräume. Mit einem neuen technischen Verfahren sei es möglich, Elektrizität in großen Mengen umweltfreundlich in salzigem Wasser zu speichern, nachdem es mit speziellen Kunststoffen angereichert worden sei, sagte der zuständige Geschäftsführer Peter Schmidt der Frankfurter ­Allgemeinen Zeitung. „Wir planen den Bau der größten Batterie der Welt“, sagte Schmidt. Damit könnte erstmals Strom aus erneuerbaren Energiequellen, etwa Windstrom von der Küste, in bisher nicht gekannten Größenordnungen gespeichert werden und ein großes Problem der Energiewende behoben werden. Im Labormaßstab seien die Versuche geglückt, im Herbst wolle EWE einen großen Prototypen errichten. Im Jahre 2023 könnte dann die erste große Batterie in Betrieb genommen werden, die groß genug sei, eine Großstadt wie Berlin für eine Stunde mit Strom zu versorgen – oder ganz Oldenburg einen Tag lang. Die Pilotanlage, die laut heutigen Schätzungen zwischen 100 und 120 Millionen Euro kosten wird, soll aus zwei mittelgroßen Salzkavernen von jeweils 100 000 Kubikmetern Volumen bestehen, das entspricht einem Würfel von gut 46 Metern Kantenlänge. Die zusammen mit mehreren Kooperationspartnern wie etwa der Friedrich Schiller Universität Jena entwickelte Technologie biete zahlreiche Vorteile. „Die Selbstentladung geht gegen Null, die Lösung ist nicht brennbar und sie kann 20 Jahre benutzt werden.“ Gleichzeitig müssten keine seltenen Erden aus anderen Ländern importiert werden. Denkbar sei auch ein Einsatz als Notfallversorgung. Schwierig sei etwa die Vermarktung. Im Moment stünden

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Stromspeicher in einer gesetzlichen Doppelrolle: Sie seien Stromletztverbraucher und Erzeugungsanlage. Sie würden besteuert wie Kraftwerk und Verbraucher. Für die EWE könnte der Bau der größten Batterie der Welt auch einen Verlust bedeuten. „Wenn wir mit dieser Technik auf den Markt gehen, geht der Strompreis runter – das führt zu einem Preisverfall.“ Bisher nicht abgenommener Strom werde auf einmal gebraucht. Seit etwa Mitte der Sechzigerjahre des vorigen Jahrhunderts werden Salzkavernen in Deutschland sowohl in horizontal gelagerten hinreichend dicken Salzschichten als auch in Salzkissen oder Salzstöcken über bis zu 2000 Meter tiefe Bohrungen ausgesolt. Durchschnittlich große Kavernen sind bis 300 Meter hoch,

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bei einem Durchmesser von rund 60 Meter. Diese Größe entspricht einem Volumen von rund 500 000 bis 800 000 Kubikmeter. Bei den Salzkavernen können Produktions- und Speicherkavernen unterschieden werden. Erstere dienen der Gewinnung der Sole zur Herstellung von Steinsalz oder zur Nutzung der Sole als Rohstoff zur Weiterverarbeitung in chemischen Fabriken. Letztere dienen zur Speicherung von gasförmigen und flüssigen Kohlenwasserstoffen sowie auch Druckluft oder auch Kohlendioxid. Darüber hinaus werden derzeit auch Nutzungsmöglichkeiten von ausgesolten Salzkavernen zur untertägigen Deponierung von Rest- und Abfallstoffen diskutiert.

Content/Fotos: dpa, Lutz Zimmermann, Guido Werner, Fraunhofer/Jürgen Lösel, Agora Energiewende, Mibrag/R. Weisflog Titelbild: P4444/E.ON Energie/fotolia.com Kontakt: serviceredaktion@lvz.de Layout: Sonderthemen-Technik/Anne Bittner Redaktionsschluss: 18.08.2017 nächste Ausgabe: 05. Dezember 2017


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