Thesis Book Shehrie Islamaj HS 20

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Der unvoreingenommene Blick

Verhaltensstrategien für einen Umgang mit der Agglomeration von Luzern

Thesisbuch Herbstsemester 2020 von Shehrie Islamaj


Thesisbuch Herbstsemester 2020 Der unvoreingenommene Blick Verhaltensstrategien für einen Umgang mit der Agglomeration von Luzern Verfasserin Shehrie Islamaj Kauffmannweg 29 6003 Luzern Begleitung Thesisbuch Prof. Dr. Oliver Dufner Begleitung Thesisprojekt Prof. Dieter Geissbühler Richard Zemp (Forschung CCTP) Buchdruck/ Buchbinder Gegendruck GmbH Neustadtstrasse 26 6003 Luzern

Lucerne University of Applied Sciences and Arts HOCHSCHULE LUZERN Technik & Architektur Technikumstrasse 21 6048 Horw Master in Architektur Herbstsemester 2020 Datum: 13.01.2021


Abstract Die vorliegende Arbeit befasst sich im Rahmen des freien Thesissemesters mit der Thematik des zukünftigen Umgangs mit den Schweizer Agglomerationen. Seit den 1950er Jahren, als sich die Schweizer Haushalte Auto, Fernseher und Waschmaschine anschafften, wächst die Agglomeration unkontrolliert.1 Von einigen als Unort2 bezeichnet, der weder soziale, noch architektonische Qualitäten besitzt, wirkt die Agglomeration auf andere vielmehr als eine noch befremdliche und gleichzeitig faszinierende, Form der zukünftigen Stadt.3 Tatsache ist, dass sie-im Gegensatz zur Kernstadt-für breite Bevölkerungsschichten einen bezahlbaren Lebensraum darstellt. Klar ist, es bedarf an Strategien und Antworten für einen möglichen Umgang mit der heutigen Situation der Agglomeration. Über die Philosophie der Phänomenologie wird ein eigener Zugang zum Thema erarbeitet. Die phänomenologische Philosophie, welche auf einen naiven Weltbezug abzielt, wird mit einer intuitiven Herangehensweise des Entwerfens mittels Collagen, Skizzen sowie Modellen ergänzt. Somit wird der gängige Entwurfsprozess fortlaufend durch eine unvoreingenommene Sichtweise reflektiert, um auf diese Weise möglichst an die «Sache selbst»4 zu gelangen. Ziel ist es, vorurteilslos ein Verständnis für die vorgefundene Situation der Agglomeration zu erhalten, um daraus Strategien eines zukünftigen Umgangs abzuleiten. Als Anwendungsbeispiel dient das Quartier Meierhöfli in Emmenbrücke. Über die phänomenologische Annäherung anhand von Spaziergängen wird klar, dass offene Parkflächen ein typisches Phänomen der Agglomeration sind und dass ein grosses Potenzial in deren Weiterentwicklung liegt. Diese Flächen erfahren in dieser Arbeit grössere Eingriffe durch Neubauten, die das Quartier ergänzen und mit den Umräumen interagieren. Weitere, kleinste Eingriffe, werden in schriftlicher sowie bildlicher Form in der Arbeit festgehalten. Sie sind als weiterführende Gedanken der gesamtheitlichen Entwicklung des Quartiers zu verstehen. Die Voreingenommenheit gegenüber der Agglomeration wird in dieser Arbeit abgelegt.

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Alder 2014. Unort: in diesem Text als bewusst wertendes Wort ausgewählt, um die Voreingenommenheit gegenüber der Agglomeration zu unterstreichen. Lampugnani 2007, S.7. Lampugnani 2007, S. 7. Steinmann 2016. 1


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Eine literarische Einladung «Es ist vor einigen Jahren von der Gemeinde ein Masterplan gemacht worden. Der Masterplan über das Quartier war daneben! Ich bin in dieser Planungskommission gewesen als betroffener Bürger. Und ich bin einige Male dabei gewesen bei den Sitzungen, und es ist grundsätzlich darum gegangen, eigentlich wollte man das ganze Quartier abräumen, um es dann wieder neu aufzubauen. Und man wollte das Quartier weiter nach hinten schieben [in Richtung Reuss], um mehr Freiraum zu schaffen. Einen Teil des Quartiers wie den Seetalplatz bebauen. Es ist natürlich auf sehr, sehr starken Widerstand gestossen. Weil es hat viele private Hausbesitzer da. Und die sind natürlich gar nicht dafür gewesen. Unser Nachbar, die Firma Anliker, hat das eigentlich sehr begrüsst am Anfang. Haben nachher aber gesehen, dass auch ihr Verwaltungsgebäude und ihre Gebäude müssten dann auch weg. Weil diese auch neu angesiedelt und neu gebaut werden. Das wollten sie dann natürlich gar nicht. Und dann ist es dann ganz plötzlich im Sand verlaufen. Also man kennt sich eigentlich schon. Also mir scheint es, die «Gewerbler» untereinander kennen sich eigentlich alle, die wenigen welche noch da sind. Also die Gewerbebetriebe sind schon eher weniger. Ich meine da vorne haben wir ein Fernsehgeschäft, weisst Du, klar den Bruno kennt man, der liefert auch den Fernseher wenn man mal einen braucht. Man hat einen Bäcker, den Marcel, gleich nebenan. Wobei er hat seinen Laden ja nicht immer offen, weil das rendiert nicht mehr hier im Quartier. 5


Und mir scheint, wir sind an so einer tollen Lage hier, wir sind wenige hundert Meter vom Naherholungsgebiet, Reuss entfernt. Wir können spazieren gehen abwärts oder aufwärts, wir haben Velowege in die Stadt [Luzern] hinein. Alles ist in Gehdistanz; Bahnhof, Bus und alle Einkaufmöglichkeiten, man hat alles da. Sogar das Shopping Center, wo man sich auch aufhalten kann in der Mall. Wenn man mal Lust hat an einem Regentag, als Pensionierter oder als Junger, ich finde das recht gut. Die Gemeindeverwaltung hat ja lange den Kontakt zu Luzern sehr sehr gesucht, hat aber eigentlich den Bürger nicht erreicht. Also der Bürger ist eigentlich für sich. Und ich habe schon vor Jahren vorgeschlagen das wir eine Stadt werden müssten, Stadt Emmen. Hat sich dann aber nie durchgesetzt. Es ist einfach Emmen, und Emmen ist eigenständig und soll eigenständig bleiben. Es hat auch eine gewisse Identität. Klar wir haben eine sehr grosse Geschichte von der Industrie, wir haben die Viscose, welche ein Rumpfding ist, wir haben das Eisenwerk da gehabt, welches auch am «särbeln» [auseinanderfallen] ist, wir haben grosse Industriebetriebe da gehabt, welche natürlich ihre Leute auch dahingezogen haben. Die sind natürlich nicht mehr, heute ist eigentlich die Agglo, die Agglo ist Mittelstand. Das sind normale Leute, es sind natürlich auch Leute welche weniger Kapital haben, weniger finanzkräftig sind. Die sind natürlich fast ein wenig geplagt, dadurch das heute ein altes Haus, in welchem sie eine Wohnung hatten für 600 Fr., das wird nachher abgerissen und neue Häuser gebaut, in welcher eine 2-Zimmer Wohnung 1500 Fr. kostet. Die vermögen das schlichtweg nicht mehr. 6


Also Qualitäten vom Quartier, es ist sehr sehr ruhig, es ist ruhiger als in manchem Villenquartier am Abend oder am Samstag, Sonntag. Qualität ist, man hat eine super Anbindung an den ÖV, eine super Anbindung an die Autobahn. Man kann auf alle Seiten auf die Autobahn. Ich wohne in Hergiswil ich gehe über den Mittag kurz Nachhause und bin in sechs bis acht Minuten hinten, es ist perfekt, es könnte nicht besser sein. Also ich finde zum Arbeiten und Wohnen ist es hier gut. Ich meine sie können eigentlich jegliches Vergnügen sei es Kino oder Theater oder was auch immer oder Konzert, können sie in kürze erreichen. Ob mit dem ÖV, ob zu Fuss, ob mit dem Auto. Das ist ein riesiger Vorteil. Meine Kinder haben gesagt sie wollen hier nie weg. Als ich nach Hergiswil gezogen bin, woooah dorthin wollen sie nie. Nie, nie, das sei am Arsch der Welt. Hier hätten sie alles.»

*Hans-Peter Hagmann, 64, war über 30 Jahre wohnhaft und arbeitet noch heute im Meierhöfli Quartier

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Abb. 01 Zwei Damen speisen im Zwischenraum zweier parkierter Autos.

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Vom Potenzial der Leere und dem bezahlbaren Lebensraum In der Vorarbeit des vergangenen Semesters (FS 2020) setzte ich mich mit der Frage nach dem Verhältnis von Leere und Fülle (unbebautem- und bebautem Raum) in der Agglomeration auseinander sowie dessen Potenzial für den Erhalt und die Weiterentwicklung des bezahlbaren Lebensraums. Vom ursprünglichen Thema redefine affordable housing ausgehend, welches vom CCTP als mögliche Vertiefung angeboten wurde, entwickelte sich der Begriff während der Vorarbeit sprachlich zum bezahlbaren Lebensraum weiter. Die Arbeit ging von der These aus, dass das Verhältnis von der Leere zur Fülle in den Agglomerationen in einem Ungleichgewicht steht, da die Leerräume (öffentlichen Zwischenräume) in den vergangenen Jahrzenten vernachlässigt wurden. In diesen, wenig strukturierten Räumen der Agglomeration, empfiehlt es sich den Blick über die fiktiven Parzellengrenzen hinaus zu werfen und den Ort als Gesamtheit zu betrachten. Als gleichwertiger Raum und Gegenstück zur Fülle soll der Leerraum in die Betrachtung aktiv miteinbezogen werden. Durch einen sorgfältigen Umgang dieses Wechselspiels resultieren Leerräume nicht in Resträumen zwischen geplanter Fülle, sondern sind ergänzende und unterstützende Elemente und fester Bestandteil der Gesamtkomposition und -konzeption. Die im vergangenen Semester aufgearbeiteten Thematiken zum Potenzial der Leere und des bezahlbaren Lebensraumes in der Agglomeration dienten als Vorbereitung und Einführung der Thesisarbeit und werden in veränderter Form weiter vertieft. Konkret geht es um die Stärkung der öffentlichen Zwischenräume und deren Vernetzung durch bauliche Eingriffe, in Form von Infrastrukturen und neuen Nutzungsangeboten.

Unort Agglomeration – unsere heutige Sicht Von vielen Architekt*innen als Unort und «als ohnehin nicht mehr zu retten»5 abgetan wird ein zukünftig wichtiges Entwicklungsgebiet, welches seit Jahren nach Antworten verlangt, nicht nur vernachlässigt, sondern regelrecht stillgeschwiegen. Der Begriff der Agglomeration ist abgeleitet vom Lateinischen agglomerare «fest anschliessen»6 und wird im Schweizerischen als Ausdruck für Anhäufung, Zusammenballung oder Ballungsgebiet7 gebraucht. Die offiziell kommunizierte Definition, laut dem Bundesamt für Statistik (BFS), lautet heute wie folgt: «Agglomerationen sind Ansammlungen von Gemeinden mit städtischem Charakter mit insgesamt mehr als 20‘000 Einwohnern/-innen (inklusive Äquivalenten aus Logiernächten). Sie bestehen aus einem dichten Kern und haben im Regelfall einen 5 6 7

Lampugnani 2007, S.7. Pons (26.12.2020). Duden (26.12.2020). 9


Gürtel. Für die Abgrenzung der Gürtel werden Daten zur Intensität der Pendlerverflechtung verwendet.»8 Somit sind nach dieser Definition die Kernstädte samt allen angrenzenden Gemeinden gemeint, die den oben aufgeführten Kriterien entsprechen. In dieser Arbeit stehen jedoch die an die Kernstädte grenzenden Gebiete im Fokus, da die Problematik des Unorts die Kernstädte ausschliesst.

Seit Jahren ist die Agglomeration ein Begriff, der ein Gebiet beschreibt, welches seine Zuordnung und Definition noch nicht gefunden hat, eine von Zonenplänen und Parzellengrenzen bestimmte Ansammlung von Einzelbauten.9 Sie ist vermeintlich anonym, kein Ort den man kennt. Einwohnerstatistiken zufolge, längst als Städte zu definieren, verstehen sich die meisten Agglomerationen als Dörfer.10 Man grüsst sich, anders als in den Städten in denen die Gepflogenheiten weitaus anonymerer Natur sind. Die Agglomeration ist alles andere als anonym, denn sie birgt einen warmen, persönlichen, sich kennenden Umgang unter den Menschen und steht im kompletten Gegensatz zu den bekannten Städten mit ihren anonymen Begegnungen.

Obwohl sich die Mehrheit der Architekt*innen in ihrer Praxis in genau diesen Räumen bewegt, ist es eine Thematik, die in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt aufgegriffen wurde, um gleich darauf wieder in Vergessenheit zu geraten. Verschiedenste Publikationen befassen sich mit der Realität und den damit einhergehenden Fragen der unkontrollierten Zersiedelung auf und hatten die Absicht, eine Neufokussierung vorzuschlagen-wenn auch mit wenig Erfolg. Die Agglomeration kümmert jeden und trotzdem kümmert sich keiner um sie. «Schaut man in, sagen wir, Aarau aus dem Fenster, dann fühlt man eine tiefe Trauer in sich hochsteigen. Eine derart rücksichtslose architektonische Mischung aus Sattheit, Gemütlichkeit und Pragmatismus beleidigt das Auge, dass man – um es mit den Worten von Jimi Hendrix auszudrücken – nicht weiss, «ob man kotzen oder schlafen soll».»11 Es sind unterschiedliche Haltungen zum suburbanen Raum spürbar, die sich auf zwei grundlegende Positionen aufteilen lassen. Eine sieht den suburbanen Raum als einen Unort, der weder soziale noch architektonische Qualitäten aufweist und diese niemals entwickeln wird. Die andere hingegen sieht den suburbanen Raum als eine zu Beginn möglicherweise befremdende, gleichzeitig faszinierende Form der Stadt der Gegenwart.12 8 9 10 11 12

BFS (12.01.2021). Lütjens/ Padmanabhan 2015, S.109. Althaus 2020, S.24. Rau 2016. Lampugnani, 2007. S. 7. 10


«Wir lieben die Stadt. Wir lieben Strassen, Plätze, Fassaden und reiche, komplexe Innenräume. Wir lieben eine verfeinerte, urbane Architektur- die Vorstellung von Kontinuität und Zeit. In unserer beruflichen Wirklichkeit werden wir jedoch fast ausschliesslich mit Projekten betraut, welche sich ausserhalb der Stadtzentren befinden. Wir planen und bauen in Gebieten, die keine klare Ordnung in sich tragen, an Orten, die- weder städtisch noch ländlich- sich in einem fragmentarischen und undefinierten Dazwischen befinden.»13

«Nirgends wächst und verändert sich die Schweiz so rasant wie in den Agglomerationen am Rand der grossen Städte.»14 Der Agglomeration mit Positivität, Freude und Hoffnung entgegenzutreten, ermöglicht eine viel reichhaltigere Auseinandersetzung mit ihr und erzielt bessere Eingriffe für eine wünschenswerte Entwicklung. Diese positive Sichtweise wurde schon in der bildenden Kunst auf die Peripherie angewandt und löste im realistischen Maler, Edward Hopper, eine Faszination für Vorortarchitekturen und Strasseninfrastrukturen aus.15

Abb. 02 Portrait of Orleans. Edward Hopper, 1950.

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Lütjens/ Padmanabhan 2015, S.109. Kurz und Züger 2019, S.1. Lampugnani, 2007. S. 7. 11


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Entstehung (Problem) der Agglomeration Bereits 1763 beschreibt der Genfer Schriftsteller JeanJacques Rousseau die Schweiz16 als «eine grosse Stadt, die sich in dreizehn Quartieren unterteilt, […]. Die Quartiere sind unterschiedlich dicht besiedelt, allerdings immer dicht genug, dass man sich in der Stadt wähnt.»17 Über 200 Jahre später charakterisiert André Corboz die Schweiz als eine Hyperstadt, als ein Gebilde mit mehreren Zentren, welches von uns nicht als Ganzes fassbar ist, da wir es als «zersplitterten Raum» wahrnehmen, der «durch seine starke Heterogenität schon wieder homogen erscheint.»18 Wie in vielen anderen europäischen Ländern ging die Industrialisierung vom Land aus, was Ende des 19. Jahrhunderts zu «dezentralisierten städtischen Strukturen»19 führte. Diese überdauerten selbst die industrielle Revolution und dehnten sich, ausgehend von den Industriegebieten, in Agglomerationen aus.20 Das kleingliedrige Land ist somit «weniger von einzelnen Grossstädten als vielmehr von der wachsenden Besiedlung des ganzen Mittellandes geprägt.»21 1955 wurde dieses Geschehen von Lucius Burckhardt, Max Frisch und Markus Kutter im Rahmen der Diskussion mit dem Titel achtung: die Schweiz kritisch analysiert. Die Zersiedelung schritt trotz allem weiter voran und die klare Trennung von Stadt und Land verschwand in einer bebauten Masse.22 Das Ganze geschah planlos, «mit Ausnahme der Nationalstrassen.»23 Für die Mehrheit der Bevölkerung hat sich das dicht besiedelte, nutzungsdurchmischte Mittelland zum alltäglichen Lebensraum entwickelt. Die Steigerung der Mobilität durch das 1990 eröffnete Zürcher S-Bahn-Netz24 und der Ausbau leistungsfähiger Strassen stärkte die Verbindung vom grünen Wohnort in der Agglomeration und den in den Kernstädten liegenden Arbeitsplätzen. Diese Trennung von Wohnen und Arbeiten verstärkte die Entwicklung der Zersiedelung.25 In seiner sehr direkten und radikalen Publikation, Bauen als Umweltzerstörung, die im Jahre 1973 erschien, bringt Rolf Keller eine fundamentale Kritik am Bauen an. Er kritisiert das Bauen zu jener Zeit als «rücksichtsloses Nebeneinanderreihen und Ansammeln von kurzlebigen Wegwurfbauten», die von einer Anfangs harmlosen Dissonanz ausgehend in «Agglomerations- und Wegwerflandschaften» ausarten.26

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ETH Studio Basel 2016, S.19. Rey 2007, S.9. Corboz 2003, S.9. ETH Studio Basel 2016, S.19. ETH Studio Basel 2016, S.19. Huber Nivevergelt 2014, S.14. Huber Nivevergelt 2014, S.15. Huber Nivevergelt 2014, S.14-15. Huber Nivevergelt 2014, S.16. Rey 2007, S.9. Keller 1977, S.14. 14


In dieser Arbeit verstehe ich die Agglomeration als ein an die Kernstadt anschliessendes (Ballungs)Gebiet, welches seinen Ursprung in den 1950er Jahren findet, als viele Schweizer Haushalte sich ein Auto zulegten. Mit der Annahme des um 1958 aufgestellten Referendums zu einem ausgedehnten Autobahnnetz, entstand eine landesweit verbesserte Verbindung, die eine räumliche Zerstreuung von Arbeiten und Wohnen zur Folge hatte.27

Abb. 03 Das Quartier Meierhöfli in der Publikation: Bauen als Umweltzerstörung von Rolf Keller, 1977.

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ETH Studio Basel 2015, S.23. 15


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Abb.04 Luftaufnahme vom Meierhöfli Quartier in Emmenbrücke, 1952.

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Abb.05 Übersicht über das Quartier Meierhöfli in Emmenbrücke.

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Abb.06 Schemaskizze der Nutzungsdurchmischung im Meierhöfli.

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Fallbeispiel Meierhöfli und seine Eigenheiten Da die Gemeinde Emmen sich inmitten einer Ortsplanrevision befindet, scheint mir die Untersuchung dieser Agglomerationsgemeinde von Luzern sinnvoll. Mit dem Vorhaben Luzern Nord ist rund um den Seetalplatz viel im Entstehen. Dieser liegt, vom Zugdamm abgeschirmt, direkt neben dem Meierhöfli Quartier. Das Meierhöfli war im Rahmen der Ortsplanrevision in den vergangenen Jahren ein wichtiges Untersuchungsgebiet der Gemeinde. Im Jahre 2017 fand eine eigenständige Studie des Quartiers statt, deren Erkenntnisse in die noch andauernde Ortsplanrevision einflossen. Die Gemeinde Emmen liegt nördlich der Stadt Luzern und grenzt an die Gemeinden Luzern, Littau, Ebikon, Buchrain und Rothenburg an. Sie gliedert sich in die beiden Teile Emmen und Emmenbrücke. Die einst für den mittelalterlichen Gotthardverkehr wichtige Brücke, die über die Emme führte, heute als Zollbrücke bekannt, ist die Namensgeberin für den oberen Gemeindeteil, Emmenbrücke.28 Aufgrund der Lage der Hauptverkehrsachsen, der Industriebetriebe sowie der Fabriken entstand im Ortsteil Emmenbrücke ein grösseres Wachstum mit umfassendem Angebot an Arbeitsplätzen, Dienstleistungen und Kultur.29 Der Ortsteil Emmen blieb eher dörflich, was heute noch spürbar ist. Das Meierhöfli befindet sich am südlichen Ende der Gemeinde Emmen, im Ortsteil Emmenbrücke und grenzt an die Gemeinden Luzern und Ebikon an. Im Süden von Emme und Reuss gefasst, nördlich von der Seetalstrasse zerschnitten und im Westen von der Eisenbahn abgeschirmt, ist das Quartier beinahe eine autonome Insel in der Gemeinde. Das Meierhöfli ist baulich sowie sozial gesehen ein sehr heterogenes Gebiet. Kaum ein Ort in Emmen zeichnet sich durch so eine starke Verwebung von Wohnen, Arbeiten und Grünraum aus. Der daraus entstehende Kontrast aus Gewerbe, Industrie und Wohnen verleiht dem Quartier seine Spannung und Einzigartigkeit. Das Quartier ist durch den naheliegenden Bahnhof Emmenbrücke, die Busverbindungen entlang der Seetalstrasse und die direkte Anbindung an die Autobahn gut erschlossen. Die Nähe zum Naherholungsgebiet Reuss bietet die Möglichkeit eines Kulissenwechsels. Mit den Entwicklungen von Luzern Nord verstärkt sich die Anbindung an das Stadtzentrum von Luzern. Das Verhältnis von Industrie, Produktion, Dienstleistung und Wohnen ist im Meierhöfli nahezu ausgeglichen. Genau dieser Zustand der Nutzungsüberlagerung im Quartier wird im heutigen Städtebaudiskurs viel diskutiert und als erstrebenswert angesehen. Dieser Qualität der Agglomerationen sollte demnach Sorge getragen werden. Diese absolute Vielfalt der Durchmischung sollte in ihrer Qualität und architektonischen Artikulierung gestärkt werden. 28 29

Bühlmann 1975, S.7. Bühlmann 1975, S.7. 21


Die Agglomeration wird für üblich als eine einzige anonyme Masse gesehen. Einzelne Ortschaften und Quartiere gehen darin unter, man kennt sie nicht. Überraschenderweise kennt man das Meierhöfli. Unter den Architekt*innen liegt das hauptsächlich am Standort des Hauptsitzes der Firma Anliker, der sich inmitten des Quartiers befindet.

Antithese Luzern Nord und – Süd Das benachbarte Gebiet am Seetalplatz, besser bekannt unter dem Vorhaben Luzern Nord, ist eines der beiden grössten Entwicklungsgebiete rund um Luzern. In beiden Fällen handelt es sich um gemeindeübergreifende Projekte. Die Entwicklungen um Luzern Nord und -Süd stellen zu Beginn ein Ideal auf, einen Masterplan mit der Absicht neue attraktive Orte zu schaffen. Qualitativ hochwertige Lebensräume sowie pulsierende Wirtschaftszentren werden angepriesen. Es werden Wohnungen, Arbeitsplätze, Kulturangebote sowie teilweise Studienplätze geplant. Eine grosse Nutzungsdurchmischung scheint der Schlüssel zum Erfolg für diese Gebiete zu sein. Sprich, eine Nutzungsdurchmischung, wie sie im Falle des Meierhöflis im Grunde genommen schon vorhanden ist. Es entstehen teilweise komplette Überschreibungen von Ortsteilen, die so ihr vorheriges Wesen verlieren. Hinzu kommen die immer gleichen Architekturen, die überall stehen könnten: sie sind anonym und auswechselbar.

Künstlerischer Zugang zur Agglomeration Spannende Zugänge zur Agglomeration werden durch verschiedene künstlerische Arbeiten gewährt. Wie beispielsweise durch eine der bekanntesten Siedlungen, Agglomeration von Peter Fischli und David Weiss. Die direkte und gewöhnliche Perspektive aus der Augenhöhe, welche die beiden Künstler «auf die realste all unserer Lebenswelten zwischen Stadt und Land»30 wählen, zeichnet die Arbeit aus und verleiht ihr ihre Authentizität.31 Die Serie Siedlungen, Agglomeration von Fischli und Weiss zeigt eine kohärente Agglomerationswelt in ihren bunten Farben, gegliedert in den vier Jahreszeiten. Es handelt sich jedoch um die Agglomeration der 1970er und 80er Jahre. Wenn man heute in diese Agglomerationen fährt, trifft man auf eine viel inkohärentere, komplexere und vielschichtigere Situation, als sie dies zu der Zeit der Aufnahmen war. Neu-, Umbau und die Nachverdichtung der letzten Jahre haben zu einer Mehrdeutigkeit dieser Orte geführt.32 30 31 32

Edition Patrick Frey 1993. Edition Patrick Frey 1993. Lütjens/ Padmanabhan 2015, S.109. 22


Abb. 07, 08 Fotografie aus der Arbeit Siedlungen, Agglomeration, von Fischli und Weiss, 1993.

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Abb. 09, 10 Fotografie aus der Arbeit Mittelland von Michael Blaser, 2007-2010.

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Weitere, neuere Arbeiten, die sich mit der Situation der Agglomeration auseinandersetzen sind jene von Michael Blaser. Sein künstlerisches Interesse gilt dem Alltäglichen, dem Vertrauten sowie dem fast schon Unspektakulären und somit Unbeachteten.33 Mittelland nennt sich eine der Arbeiten die zwischen 20072010 entstanden ist. Diese zeigt Fotografien von Streifzügen durch das Schweizer Mittelland. «Der Künstler präsentiert uns eine Schweiz des Mittelmasses, die zwischen urbaner Identität und provinziellem Charakter oszilliert; zwischen Stadt und Land, Natur und Zersiedelung, öffentlichem und privatem Raum.»34 Trotz der kritischen Absicht dieser Arbeiten, sind die Fotografien in solch eine melancholische Stimmung getaucht und strahlen eine Ästhetik aus, welche es dem Betrachter schwer macht, sich auf die kritischen und die vom Künstler dargestellten Defizite der Agglomeration zu konzentrieren. In all diesen Arbeiten liegt die Schwierigkeit in der Abgrenzung von Fotografie und gebauter Realität. Die Lichtstimmungen unterstreichen die Eintönigkeit der Agglomeration, hüllen sie gleichzeitig in ein rätselhaftes Licht. Verblüffend ist auch die Selbstverständlichkeit dieser Bilder, die von einer angenommenen Normalität zeugen. Diese fotografischen Arbeiten unterstreichen geradezu die von den Architekt*innen vorhandene Aversion der Agglomeration. Aufgrund des präzisen Handwerks der Fotografen zeigen diese auch eine verwunschene Stimmung, die einen anderswertigen Blick auf einen Ort werfen, den man zu kennen scheint. Genau dieser Moment der Neuentdeckung von Stimmungen an Orten die man kennt oder zu kennen glaubt, hilft, die eigene Abneigung abzulegen, sich ihnen gegenüber nicht zu verschliessen und sie nicht zu negieren. «In der austauschbaren Gebrauchsarchitektur, in der die Funktion die Form bestimmt, den akkurat getrimmten Rasenflächen, adretten Balkonbepflanzungen, genormten Abfallcontainern und Garagenplätzen vor Ein- und Mehrfamilienhäusern, sind die menschlichen Spuren auszumachen. Die domestizierten Landschaften mit ihren Infrastrukturen sind ungeschönte Spiegelbilder unserer Gesellschaft.»35 «Auffallend ist auch der Egoismus der einzelnen Bürger, der sich auch in der Architektur manifestiert. Die individuellen architektonischen Bauwünsche und Ideen werden höher gewichtet, als das Bedürfnis eines stimmigen Landschaftsbilds. So bleiben viele Privatbauten für immer ein Fremdkörper in ihrer Umgebung. Der grenzenlose Wildwuchs treibt manch ästhetisch veranlagten Menschen in die Fassungslosigkeit.»36

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Blaser, S.14. Blaser, S.14. Blaser, S.14. Blaser, S.3. 25


Anderer Zugang 1970 erkannte Lucius Burckhardt, «dass eine neue Methode der Erfahrung der zeitgenössischen Siedlungslandschaft notwendig geworden sei. Es gelte nun, die neuen Zonen, die durch das Zusammenwachsen von Stadt und Land entstanden seien, in der Begehung aufmerksam zu betrachten und im Bewusstsein, um gespeicherte mentale Landschaftsbilder zu analysieren.»37 Er beabsichtigte eine veränderte Wahrnehmung der Städte und Landschaften. Durch die Auflösung der Grenze zwischen Stadt und Land entstand für Burckhardt ein verfälschtes Problem des Landschaftsbildes.38 Die Arbeit von Annemarie Burckhardt, Ansichtskarten- Beiträge zu einer documenta urbana, Kassel von 1982 dokumentiert die fotografische Umsetzung von «Lucius Burckhardts Prinzip der direkten Erfahrung urbanisierter Landschaften.»39 Auf unterschiedlichen Spaziergängen hält Annemarie Burckhardt die Stadt Kassel fotografisch fest, die gezeichnet vom Krieg und geprägt vom Wiederaufbau keinem Ideal entsprach. «Man musste ja mit dieser Stadt umgehen […]. Und dann musste man einfach lernen, […] das Hässliche schön finden. Dann fängt man halt an zu fotografieren. Bei mir fing’s überhaupt so an, dass ich mal von der Hochschule nach Hause ging und einfach alles, was mich stört, fotografiert habe.»40 Es wird klar, dass die Auswahl ihrer Motive eher unkonventionellen Ursprungs ist. Sie sucht gezielt nach den unspektakulären Orten, gar nach dem Hässlichen. Der Fokus auf die ausser Acht gelassenen Orte kann als «ein Instrument sowohl der Sichtbarmachung bisher verborgener Teile […] als auch ein Instrument der Kritik der konventionellen Wahrnehmung selbst»41 verstanden werden. Caspar Schärer, der sich selbst (in Anlehnung an den «Stadtwanderer» Benedikt Loderer) als «Agglowanderer» bezeichnet, appelierte im Jahr 2018 an alle Architekt*innen. Anstelle einer Bekehrung der Agglomeration zur «Stadt», was seiner Meinung nach von vielen Architekt*innen angestrebt werde, rät der Generalsekretär des BSA «Vergesst für einmal die Ästhetik und schaut einfach nur hin, geniesst die Weite und reibt euch an der Unverfrorenheit, wie in der Agglo die Differenz zur Schau getragen wird. […] Die Agglo braucht euch, aber ihr müsst sie zu euch reinlassen»42

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Huber Nivevergelt 2014, S.216. Huber Nivevergelt 2014, S.216. Huber Nivevergelt 2014, S.216. Huber Nivevergelt 2014, S.218. Huber Nivevergelt 2014, S.218. Schärer 2018, S.49. 26


Phänomenologie als unvoreingenommener Blick-beschreiben statt analysieren Ich versuche mich in diesem Semester an der Philosophie der Phänomenologie. Doch schon beim Lesen des ersten Satzes in MerleauPontys Phänomenologie der Wahrnehmung fühle ich mich vor den Kopf gestossen. In der Hoffnung dieses durch und durch komplexe Thema zu verstehen, ist die Erkenntnis der Einleitung, dass die Frage nach der Definition der Phänomenologie auch «ein halbes Jahrhundert nach dem Erscheinen von Husserls ersten Werken» ausbleibt, frustrierend.43 Also greife ich nach allem, was mich aufklärt und halte mich daran fest. Das Interview mit dem Preisträger des Prix Meret Oppenheim, Martin Steinmann, im Jahre 2016 ist für mich der Schlüssel für den

Einstieg in diese vielfältige Thematik. «Die Phänomenologie versucht alles auszuschliessen was ein Vorwissen darstellt. Um möglichst nahe an die «Sache selbst» zu kommen.»44 Seine Erläuterung anhand des Thonet Stuhls auf welchem sein Gegenüber sitzt, ist einleuchtend. Ob dieser Stuhl ein Thonet Stuhl ist, sei nicht von Bedeutung. Die Form, die noch keine Bedeutung und keine Zuweisung besitzt, ist das Entscheidende. Das ist die «Sache selbst». Beim Betrachten des Stuhls bleibt es nicht bei einer Interaktion von Subjekt und Objekt. Der Stuhl, wird zum Subjekt, das mit dem Betrachter in einen Dialog tritt.45

Als Phänomen gilt im bildungssprachlichen Gebrauch etwas, was sich beobachten oder wahrnehmen lässt, eine Erscheinung. Gleich der Philosophie, in welcher das Phänomen als etwas das sich den Sinnen zeigt, erscheint; «der sich der Erkenntnis darbietende Bewusstseinsinhalt». 46 «Die Phänomenologie vom altgriechischen phainómenon, deutsch ‚Sichtbares, Erscheinung‘ und lógos ‚Rede‘, ‚Lehre‘ ist eine philosophische Strömung, deren Vertreter den Ursprung der Erkenntnisgewinnung in unmittelbar gegebenen Erscheinungen, den Phänomenen, sehen.»47 Nach der Definition von Husserl handelt es sich um eine «Wissenschaft, Lehre, die von der geistigen Anschauung des Wesens der Gegenstände oder Sachverhalte ausgeht, die die geistig-intuitive Wesensschau (anstelle rationaler Erkenntnis) vertritt»48 Vereinfacht ausgedrückt, handelt es sich bei der Phänomenologie um die Lehre der Wesensforschung49 oder wie Husserl es zu definieren vermochte: «Es gilt zu beschreiben, nicht zu analysieren und zu erklären»50. 43 Merleau-Ponty 1974, S.3. 44 Steinmann 2016. 45 Steinmann 2016. 46 Duden (12.01.2021). 47 Wikipedia. 48 Duden (12.01.2021) 49 Merleau-Ponty 1974, S.3. 50 Merleau-Ponty 1974, S.4. 27


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Edmund Husserl (1859-1938) gilt als der Begründer der Phänomenologie51, in welcher es ihm um die «radikal vorurteilsfreie Erkenntnis»52 ging. Hierbei handelt es sich nicht um neuartige Ideale in der Philosophie, seit jeher will sich die Philosophie durch ihre Vorurteilslosigkeit vom schlichten Meinen distanzieren.53 Sie ist der Überzeugung, dass Meinungen stets situationsbedingten Schwankungen unterliegen und Erkenntnisse frei von «subjektiven Befangenheiten» sein sollten, damit diese «objektiv und dauerhaft» sein können.54 Ziel ist es zu beschreiben und nicht zu erklären und zu analysieren.55 Durch das Ausschliessen von allem was zu einer Art von Vorwissen beiträgt, entsteht die Möglichkeit «möglichst nahe an die «Sache selbst» zu gelangen.»56 Die phänomenologische Philosophie zielt auf einen naiven Weltbezug ab.57 Dieser setzt die von den Architekt*innen vergessene, voraussetzungslose Betrachtung unserer Umwelt voraus.58 Ausschlaggeber für viele verfasste Werke einer Phänomenologie in der Architektur scheint der Aufsatz von Heidegger aus dem Jahre 1951 mit dem Titel, Bauen Wohnen Denken zu sein. In welchem er, Christian Norberg- Schulz zufolge, «die existentiellen Grundstrukturen zu den Funktionen Bauen und Wohnen in Beziehung setzt.»59 Mit seinem Werk Genius Loci: Landschaft, Lebensraum, Baukunst zeigt Christian Norberg-Schulz einen ersten Schritt zu einer Phänomenologie der Architektur auf, «zu einer Theorie, die Architektur in konkreten existentiellen Kategorien versteht.»60

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Husserl 2020, S.5. Husserl 2020, S.13. Husserl 2020, S.13. Husserl 2020, S.13. Merleau-Ponty 1974. S.4. Steinmann 2016. Merleau-Ponty 1974. S.3. Venturi 2014, S.12. Norberg-Schulz 1982, S.6. Norberg-Schulz 1982, S.5. 30


«Juhani Pallasmaa und ich begannen uns über die Phänomenologie der Architektur auszutauschen, […] Ich erinnere mich noch gut an ein Gespräch über die Schriften Merleau-Pontys und darüber, wie sich diese auch hinsichtlich der Erfahrung von Raumfolgen, Strukturen, Material und Licht in der Architektur interpretieren lassen.»61 Die einführenden Worte von Steven Holl in das Werk Die Augen der Haut von Juhani Pallasmaa sind nostalgisch und gleichwohl sehr bestimmt. Das Werk Pallasmaas welches aus dem Buch Fragen der Wahrnehmung: Eine Phänomenologie der Architektur hervorging, bietet einen raschen Überblick und unterstreicht die «Begründung für die Dringlichkeit einer Auseinandersetzung mit den phänomenologischen Dimensionen menschlicher Erfahrung in Architektur.»62 Er stützte sich in seinen Schriften stark auf die Ansätze von Maurice Merleau-Ponty und versuchte diese auf die Architektur zu übertragen. Weitere Architekt*innen greifen die Ansätze der Ur-Väter der Phänomenologischen Philosophie auf, wie beispielsweise Inaki Abalos. Dieser leitet sein Werk mit der Idee des Buches ein, verschiedene Spaziergänge durch «imaginäre Häuser» zu machen, mit dem Versuch durch die «Entprofessionalisierung des Blickes» die notwendige Vereinfachung zu erhalten, um wieder vermehrt Dinge beschreiben und beobachten zu können, statt diese zu analysieren.63 Das Kapitel, Picasso on vacation: the phenomenological house, greift die essentiellen Punkte der Schriften zur Phänomenologie von Merleau-Ponty und Husserl auf, wie beispielsweise die «eidetische Reduktion» Husslers, eine Technik, die das Vergessen jedes Vorurteils besagt, um das Wesen einer Sache erfassbar zu machen.64 «Von dem zu lernen, was uns überall umgibt, ist für den Architekten eine Form des revolutionären Avantgardismus. Das hat allerdings nichts mit der üblichen Art von Avantgardismus zu tun. […] … es wäre aber ein toleranterer Weg, bedeutete sich zu fragen, wie wir eigentlich die Dinge um uns herum wahrnehmen. […] kalte Wut und ein verachtungsvoller Blick sind nicht genug.»65

Diese geschichtliche Aufarbeitung der Phänomenologie bringt für mich die Erkenntnis, dass die Idee der Reduktion der gebauten Umwelt, in diesem Fall der Agglomeration, eine hilfreiche Methode für die Überwindung

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unserer Unvoreingenommenheit sein könnte. Die Idee, alles Vorwissen abzulegen das den Blick trübt, um den Ort mit neuen Augen zu betrachten welchem man jegliche Qualität abspricht, finde ich spannend.

Holl 2013, S.7-8. Holl 2013, S.8. Abalos 2017, S.15-16. Abalos 2017, S.113. Venturi 2014, S.12. 31


Spaziergänge zur Charakterisierung von (Zwischen)räumen Beim Durchschreiten des Quartiers fällt es mir schwer, die Brille der Voreingenommenheit abzulegen und die ganze Umgebung neu zu betrachten. Die stetige Wiederholung der Spaziergänge versetzt mich in einen meditativen Zustand. Ich stelle ab, sehe alltägliche Dinge losgelöst vom Kontext. Ähnlich dem Phänomen vom wiederholten Aussprechen eines Wortes, das durch die Repetition seine Bedeutung verliert und zu einem Klang wird, der mir so fremd vorkommt und die Vertrautheit des Wortes komplett verliert. Nun kann das Wort alles bedeuten.

sen, die senkrecht auf diese Längsachsen treffen, eröffnen verschiedene Blicke. Die Querbezüge entstehen auch in den Durchdringungen der Gewerbebauten, die so (gewollte oder ungewollte) Blicke in ihre Hinterhöfe zulassen: Enfiladen durch Hallen. Beim Entlanglaufen alternieren, je nach Öffnungsverhalten der Hallen, geschlossene Fassaden mit offenen Zwischenräumen hin zum nicht sichtbaren Reussufer. Die Fassaden wirken fragmentarisch aneinandergereiht, trotz ähnlicher Materialien. Dieser Reichtum an Materialien unterstreicht die Heterogenität des Quartiers. Die Häuser orientieren sich meistens zu den Querstrassen hin, weg von den Längsachsen Spaziergänge geben mir die Möglichkeit, einen Ort aus einer mir bekannten und alltäglich und verleihen diesen ihre intime, private Stimmung. Ein den Spaziergang stetig begleitender wichtigen Perspektive zu erleben. Sie wirken entschleunigend in einer heute hektischen Zeit. bruchstückhafter Eindruck, welcher durch den Wechsel von dichten Situationen und der Die Spaziergänge beinhalten für mich eine ähnliche Herangehensweise wie die Phänome- kompletten Leere entsteht, erinnert an grosssnologie. Beim Spazieren habe ich nicht den tädtische Situationen. Die aufgeschüttete Anspruch die Welt, die an mir vorbeizieht, Bahnlinie trennt das Quartier spürbar von der vollständig zu entschlüsseln. Diese bewegten gegenüberliegenden Seite ab, ähnlich einer Bilder vermitteln mir eine Stimmung des Stadtmauer. Ortes. Bei einem weiteren Durchgang ist mir die Der extreme Reichtum an Formen und Stimmung bekannt und es fallen mir Sachen Materialien lässt einen grossen Spielraum für auf, die ich beschreiben kann, wie aus kindlichen Analogien zu, welche in die verschiedenen Augen ganz ohne Vorwissen. Situationen hineininterpretiert werden können. So funktioniert für mich die Verwebung Diese Analogien nicht als direkte Übertragung der Philosophie der Phänomenologie mit dem zu verstehen, sondern vielmehr als für mich alltäglichen Akt des Spaziergangs. schöne und reizvolle Referenzen, die eine Positivität in den Entwurfsprozess bringen. Wie beispielsweise die Holzschuppen, die auf den Brachen Leichte Konstruktionen, Fahrzeugunterstände bilden einen Kontrast zu den geschlosse- stehen und bei mir Erinnerungen an das Gemälde Cobb’s Barns, South Truro von Edward nen Lochfassaden, die zu Dutzenden im Hopper hervorrufen. Quartier anzutreffen sind. Sie wirken temporär, Die Massstabssprünge, welche im Situaihre Patina zeugt jedoch von Dauerhaftigkeit. Bäume, grosse und kleine, sind im ganzen tionsmodell auffallen, sind während der Quartier vor den Häusern platziert und Spaziergänge spürbar, jedoch übermannen die tauchen diese in ihre schützenden Schatten und grossen Gewerbestrukturen die umliegenden lassen keine Blicke in die private und verwund- Wohnhäuser nicht. Ihre in die Länge gezogenen, bare Innenwelt der Häuser dringen. horizontalen Fassaden gehen durch die Repetition der Materialien sowie dem stetig gleichen Überall stehen Sachen herum. Fahrzeuge, die ihre Ordnung innerhalb der Strassenmarkie- Rhythmus in eine Monotonie über, welche Ruhe ausstrahlt. rungen finden, Müllcontainer, die in mit Holzstämmen gepfählten Rechtecken untergebracht werden, lassen auf den menschenleeren Die Grenze vom Strassenraum zum Haus Strassen die Präsenz der Anwohner erahnen. gliedert sich in eine Aneinanderreihung verDie auffällig langen Doppellinien aus den Plänen schiedener Schichten. Ausgehend von diesem sind während der räumlichen Durchschreitung setzen sie sich, mit diversen Abweichungen noch stärker spürbar. Das Wegnetz ist streng je nach Situation, wie folgt zusammen: Strasse, orthogonal organisiert. Kleinere, intimere StrasTrottoir, Brüstung mit aufgesetztem Zaun, 32


Grünfläche, Kiesstreifen und Haus. Speziellere, konstruktiv aufwändigere Architekturen sind in der gleichförmigen Masse, bestehend aus Blechfassaden und verputzten Aussenwärmedämmungen leicht aufzufinden. Sie stechen heraus; sei es in ihrer Ausformulierung und Gliederung der Fassade oder ihrer Materialität. Sie wirken isoliert, anders als die umliegenden Bauten. Die Orthogonalität des Strassennetzes spiegelt sich auch in der stringenten Anordnung und Ausrichtung der Gebäude zum Strassenraum hin wieder. Diese räumlichen Erfahrungen und Merkmale können stellvertretend für viele weitere Agglomerationen, ähnlich der von Emmenbrücke, verstanden werden.

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Entschlüsselung der Mitte Bei jedem weiteren Durchgang der drei Spaziergänge fällt mir die Mitte im Quartier auf. Jeder der Spaziergänge führt von einer anderen Richtung her an ihr vorbei. Für deren Entschlüsselung ist jede der drei Strecken von Bedeutung. Diese unglaubliche Weite, ausgehend von der grossen Wiese über die asphaltierte Parkfläche hinweg, ist eine einmalige Situation im Quartier. Es ist ruhig und es passiert wenig. Die verrosteten Tore auf der Wiese scheinen ein Überbleibsel einer Generation von Kindern, die weitergezogen sind.

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Diese Spannung der Mitte wird durch die Gegenüberstellung von Wohnen und Gewerbe verstärkt. Sie scheint mir falsch. Ich verstehe diese beiden Hauptakteure mehr als Partner, die miteinander agieren, sich ergänzen. Hinzu kommt dieses Unbehagen beim Betreten der Rasenfläche. Ich fühle mich ausgestellt, im Zentrum des unsichtbaren Geschehens, beobachtet von den Bewohnern, die möglicherweise hinter ihren schützenden Vorhängen hervorschielen. Dieses Unbehagen möchte ich gerne entschärfen.


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Abb. 01 Übersicht der drei Spaziergänge durch das Quartier.

Abb. 11 Übersicht der drei Spaziergänge durch das Quartier.

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Abb. 12-91 Fotografien aus dem Spaziergang A.

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Abb. 92 Collage aus Parkplätzen und Autos.

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Phänomen Parkflächen Beim Durchschreiten des Quartiers fallen mir die Unmengen an offenen Parkflächen auf, die mit Fahrzeugen übersäht sind. Dieser Anblick wirft mich gedanklich zurück in meine Kindheit, zurück ins Zürcher Oberland in die Siedlung, in der ich aufgewachsen bin. In dieser Siedlung voll von Spielplätzen und Wiesen, mit einem Bach, in dem wir Staudämme bauten und Bäume, die wir bis auf ihre Krone erklommen. Doch nichts ging über unseren liebsten Ort, dem Parkfeld an der Siedlungseinfahrt. Hier wurden Spiele gespielt, die einzig und allein auf die Parkfelder zugeschnitten waren. Ich verfalle in eine Art von Tagtraum, sehe mich als Kind auf der riesigen Parkfläche. Mit meinen Rollschuhen flitze ich von einem Parkplatz auf den anderen zum sicheren Hafen. Auf den Feldern bin ich unantastbar beim Fangen spielen. Die parkierten Autos machen das Spiel spannender, komplizierter. Hie und da knallt wieder einer von uns dagegen, schürft sich was auf. Es macht Spass, aber wir beobachten stets die Balkone, von denen uns unsere Mütter gerne ermahnen; wir sollen doch lieber wieder auf die Spielplätze zurück. Ich erinnere mich auch an den Zirkus, der jährlich Halt auf unserem Dorfparkplatz machte. Auch Bilder vom Mercato di Porta Portese in Rom überfallen mich, wo jeden Sonntag ganze Strassenzüge und Parkplätze zum wöchentlichen Markt umfunktioniert wurden. Ich bin wieder im Meierhöfli, lasse die Eindrücke, die ich erfahre mit meinen Erinnerungen verschmelzen. Mir gefällt der Gedanke, dass dieser einfache und einer einzigen Nutzung zugewiesene Ort der Parkierung, solch eine Vielfalt an weiteren versteckten Möglichkeiten birgt.

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Die Dichte an freien Parkflächen im Quartier ist auffallend hoch und ein in den Kernstädten kaum mehr auffindbares Phänomen. Ihre Monofunktionalität lässt keine weiteren Geschehnisse zu ausser derjenigen des anonymen Ankommens sowie des Verlassens. Wenn man sich die Fahrzeuge jedoch wegdenkt und diese weite Fläche von ihrer zugeschriebenen Funktion loslöst, eröffnen sich unzählige Möglichkeiten von Bespielbarkeiten. Ähnlich der Parkfläche aus meiner Kindheit, bei welcher auf spielerische Weise eine Diversität der Nutzbarkeit der Fläche sichtbar wurde. Das Phänomen der Parkfläche offenbarte dieses Jahr, auf Grund der momentanen Pandemie, auch in den Kernstädten sein Potenzial. Verschiedenen Gewerben sowie Gastronomiebetrieben wurde die räumliche Erweiterung ihrer Lokale auf die angrenzenden Parkflächen gewährt, um so eine Kompensation, der zwischenzeitlich beschränkten Belegung der Lokalflächen zu ermöglichen. Was anfangs als Zwischennutzung angedacht war, regt nun zu einer Überlegung für eine permanente Strategie an. In der Agglomeration, genauer im Meierhöfli, wäre es mehr die Frage nach einer Umnutzung oder Umverteilung von Nutzungen. Die Angemessenheit und Sinnhaftigkeit der hohen Anzahl an reinen Parkflächen im Quartier ist fragwürdig. Insbesondere in der heutigen Zeit, in welcher sich die Frage nach einer angemessenen bebauten Dichte aufdrängt.



Abb. 93 Markierte Parkflächen im Meierhöfli.

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Abb. 94 Erste Ideenskizze zu den grösseren Eingriffen auf den Parkflächen.

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Idee des grösseren Eingriffs Die Idee des grösseren Eingriffs entsteht während den Spaziergängen durch das Meierhöfli. Während diesen kommt die Erkenntnis des Phänomens der Parkflächen auf, die grossflächig im Quartier vorhanden sind. Grosse Flächen, meistens asphaltiert, die der reinen Parkierung verschiedenster Fahrzeuge dienen. Meine Kindheitserinnerungen bestärken die Idee, eines grösseren Eingriffs. In diesen Flächen liegt ein weitaus grösseres Potenzial als jenes der reinen Abstellung von Fahrzeugen.

Im Rahmen der vorliegenden Arbeit werden drei grössere Eingriffe vertiefter behandelt und schliesslich zu einem architektonischen Projekt ausformuliert. Diese drei Eingriffe befinden sich in der Quartiersmitte; sie sind um die grosse Wiese platziert. Mit dem Ziel etwas Kraftvolles, Positives und Optimistisches an dem Ort zu planen, soll das Gebaute einschliessend sein und alle Beobachtungen miteinbeziehen und sich explizit mit der Umgebung in Beziehung setzen. Die Eingriffe sollen den Ort und seine vorhandenen Auch in der heutigen, wichtigen Diskussion Qualitäten stärken, diese unterstreichen. zur Dichte scheinen mir diese Unmengen an Deshalb ist nebst dem Projekt auch die Interakeinseitig genutzten Flächen nicht gerechtfertigt. tion und das, was der Eingriff im Ort auslöst von Interesse. Zudem zeigt die momentane Pandemielage, in der wir uns befinden, dass eine angemessene Dichte erstrebenswert ist. Eine in welcher Das Programm der grösseren Eingriffe stellt wir künftige Situationen wie die jetzige besser eine Verwebung von Gewerbe und Wohnen handhaben können. dar, wie sie heute im Quartier noch nicht vorhanden ist. Die aufgeladene Gegenüberstellung Die Eingriffe werden in einem Modellausvon Gewerbe und Wohnen, die um die Wiese in schnitt des Quartiers gesamtheitlich angedacht. der Quartiersmitte vorhanden ist, wird entschärft. Bricolage; Auseinandersetzung mit dem Vorgefundenen Collagen als isolierte Betrachtung Die Collage bietet sich in der Arbeit als weiteres, nützliches Werkzeug an. Sie funktioniert aus der phänomenologischen Betrachtungsweise, sowie den Spaziergängen heraus. Das Medium bietet die Möglichkeit, die Spaziergänge auf einen spezifischen Moment einzufrieren, um diesen in seine Einzelteile zu zersetzen, zu beschreiben und zu verstehen. In der Manier des Bricoleurs66 entstehen Bilder, die sich ausschliesslich aus im Quartier vorgefundenen Elementen zusammensetzen. Es sind Kippbilder von ausgewählten Orten, an denen eine Veränderung geprüft wird. Diese Veränderungen setzen sich aus schon vorhandenen Architekturen zusammen, nehmen so die vorhandene Sprache des Quartiers auf. Sie werden aussagekräftiger, da sie schon ein klareres Bild ergeben. Diese Collagen überspringen die Abstraktion reiner sprachloser Volumetrien, die in dieser Überprüfung keinen Sinn machen, da die Agglomeration kein 66

abstrakter, sondern ein reeller, kontroverser und teilweise auch malerischer Ort ist. Die Arbeit mit der Collage unterstützt das Prozesshafte, die Annäherung an das Vorgefundene und wird in dieser Arbeit als Instrument genutzt. Dabei ist nicht das Resultat, die Collage, ist von Wichtigkeit, sondern die Erkenntnisse, die aus ihr gewonnen werden.

Bricoleur: ein von Claude Lévi-Strauss eingeführter Begriff, der sich vom französischen Wort bricoler (basteln) ableitet. Er steht für das Arbeiten mit vorgefundenen Elementen und Materialien. 57


Abb. 95 Skizze zur Studie des Ausdrucks der Markthalle.

Abb. 96 Collage der Markthalle mit eingesetztem Probehaus von Enzmann Fischer.

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Abb. 97 Collage Autokino.

Abb. 98 Collage: Blick aus der Wiese auf die Südfassade der Zeile.

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Abb. 99, 100 Place Léon Aucoc, Bordeaux, Lacaton & Vassal.

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Idee des kleinsten Eingriffs «Deshalb besteht der kleinste Eingriff zunächst einmal darin, die vorhandene Situation ästhetisch zu verstehen.»67 Die kleineren Eingriffe knüpfen durch ihre Direktheit und Einfachheit an der Idee des bezahlbaren Lebensraumes an. Ein Beispiel für solch einen kleinstmöglichen Eingriff bildet das Projekt der Pariser Architekt*innen Lacaton und Vassal am Place Léon Aucoc in Bordeaux. Anstelle einer kompletten Umgestaltung des Platzes, wie von der Stadt sowie den Anwohnern gewünscht, überzeugten die Architekt*innen alle Beteiligten von einer weitaus einfacheren Lösung. Die Architekt*innen waren in diesem Falle überzeugt, dass das vorgesehene Geld besser in den Unterhalt und die Pflege des Place Léon Aucoc fliessen sollte. Der Auftrag wurde nicht abgelehnt, jedoch erkannten die Architekt*innen das schon vorhandene Potenzial des Ortes und ihr Projekt bestand «in der Änderung der Wahrnehmung des Vorhandenen: Im Erkennen, Wertschätzen, Vermitteln und Weiterentwickeln von Qualitäten. Der bis heute unveränderte und beliebte Platz zeugt von der Richtigkeit dieses Ansatzes.»68 Folgend, in einigen Worten von Lacaton und Vassal, ein Beschrieb des Prozesses sowie zu ihrer Intervention am Place Léon Aucoc in Bordeaux: «On our first visit we get the feeling that this square is already beautiful because of it‘s authenticity, lacking in sophistication. It possesses the beauty of what is obvious, necessary, right. Its meaning emerges directly. People seem at home here in an atmosphere of harmony and tranquillity formed over many years. […] Quality, charm, life exist. The square is already beautiful. As a project we‘ve proposed doing nothing apart from some simple and rapid maintenance works - replacing the gravel, cleaning the square more often, treating the lime trees, slightly modifying the traffic- of a kind to improve use of the square and to satisfy the locals.»69 Der Prozess sowie der Einblick in die Gedankengänge der Architekt*innen zeugen von einer unvoreingenommenen Betrachtung und Stärkung des Vorgefundenen. Genau diese Unvoreingenommenheit, davon bin ich überzeugt, könnte eine Strategie für die Agglomeration bilden. Denn genau diese voraussetzungslose Betrachtung verschiedenster Situationen ist den Architekt*innen über die Jahre abhandengekommen. Die Möglichkeit während des Entwurfsprozesses zu einer Erkenntnis zu kommen, bei welcher sich herausstellt, dass man schlussendlich praktisch in nichts eingreift und die vorgefundene Situation in ihrer Qualität zu stärken, könnte nicht nur ein spannender Gedankengang sein, sondern eine effektive Verhaltensstrategie werden. 67 68 69

Burckhardt 2013, S.149. Petzet 2016. Lacaton/ Vassal (12.01.2021). 61


Der kleinste Eingriff In einer Reihe von Collagen halte ich verschiedene kleinste Eingriffe fest. Beim Flanieren fallen mir diverse Situationen auf, die ich weiterdenke. Es sind Situationen, die mir gefallen, aber momentan im Quartier untergehen und andere die mir weniger gut gefallen und ich mir eine Aufwertung vorstellen kann. Diese Collagen sind als Gedanken zu verstehen. Es sind Skizzen verschiedener Situationen, kleine Geschichten, die um die grosse Mitte kreisen.

Die einfachen Markierungen der Parkplätze werden spielerisch weitergemalt (Abb. 103, 104). Das einfache Rechteck weicht und es entstehen verschiedenste Bilder, die den Strassenraum aufwerten und ihn auch für den/die Fussgänger*in zugänglich machen.

Entlang der Reuss wird das Flussufer komplett von den Gewerbebetrieben genutzt. Der Raum zur Strasse wird von grossen Hallen abgewcke freigeben. Diese sind beliebig, nicht absichtlich. Diese faszinierenden Momente In diesem spezifischen Beispiel (Abb. 101, 102) könnten kontrollierter und bewusster stattfinden. An Wochenenden werden die Tore tagsüber wird der Hauszugang durch die Verdoppelung geöffnet und stärken die Verwebung vom des Blumenbeets stärker artikuliert. Er wird klarer, wirkt nicht mehr zufällig und neben das Quartier und dem Naherholungsgebiet. Es entsteht die Möglichkeit einer Durchquerung Parkfeld gedrängt. und einer neuen Perspektive auf das Quartier. Die Möglichkeit mittels kleinster Eingriffe die Qualitäten des Quartiers hervorzuheben, zeigt, dass diese ansatzweise schon vorhanden sind. Sie müssen jedoch erkannt werden um sie verstärkt hervorheben zu können.

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Abb. 101 Bestehende Situation.

Abb. 102 Collage des kleinen Eingriffs.

Abb. 103 Bestehende Situation.

Abb. 104 Collage des kleinen Eingriffs.

Abb. 105 Bestehende Situation.

Abb. 106 Collage des kleinen Eingriffs.

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Abb. 107 Axonometrie, Übersicht der grösseren Eingriffe.

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Abb. 108 Collage von Stegmitte.

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Der gebaute Spaziergang Die Querbewegung zu den Längsachsen wird durch die Weiterführung des Steges verstärkt, der über den Damm hinweg bis hin zur Reuss führt. Der Steg ermöglicht einen neuen Blickwinkel auf das umliegende Gewerbe sowie die grosszügige Freifläche. Er stärkt die, heute kaum vorhandene, Verbindung von Reuss und Quartier und lässt eine physische und visuelle Verwebung zu. Ein filigraner Aufgang auf der asphaltierten Parkfläche bildet den Auftakt des Stegs. Der Zeilenbau ist vom Steg aus zugänglich und bietet den Passanten einen Einblick in das Geschehen der Gewerbehalle. An der Zeile vorbei, weitet sich der Raum über der freien Wiese aus und eröffnet den Blick über das Quartier. Rechts zeigt sich das Sheddach der Markthalle aus einer ungewohnten Perspektive. Auf halbem Weg springt der Steg um den folgenden Bauten auszuweichen. Der Versatz wird in Querrichtung verbunden und es entsteht eine Blickrichtung in die gewohnten Längsachsen des Quartiers, jedoch auf einer anderen Höhe. Das letzte Stück ermöglicht einen ungefilterten Blick auf die Reuss und die gegenüberliegende Landschaft. Der Steg überbrückt den Damm und den Veloweg. Eine Auskragung nach dem Treppenabgang gibt einem die letzte Möglichkeit in die Ferne zu blicken, der Reuss auf- und abwärts zu folgen bis diese hinter dem Chaos aus Strassenbrücken verschwindet. Der Steg ist eine filigrane Figur, die sich durch die Landschaft zieht und die in ihrem Ausdruck einen Kontrast zu den beiden Bauten, Markthalle und Zeile, bildet. Das Werkzeug des Spaziergangs bleibt somit nicht als Theorie in Schriftform gefangen, sondern entwickelt sich zum konkreten Entwurf und einer raumhaltigen Struktur. «»Das da«, sagte die Krähe, »ist es.« Und sie zeigte mit dem Flügel ringsherum. »Oooh«, rief der kleine Tiger, »ist daaaas schön! Nicht wahr, Bär?« »Viel schöner als alles, was ich in meinem ganzen Leben gesehen habe«, sagte der kleine Bär. Was sie sahen, war aber gar nichts anderes als das Land und der Fluss, wo sie immer gewohnt hatten.»70

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Janosch 2010, S.9. 69


Vorgefundenes, Materialien und Konstruktionen Die Vielfalt an Materialien und Farben im Quartier ist überwältigend. Von meterlangen, geschlossenen Profilblechfassaden über hölzerne Schuppen, bis hin zu einfachen verputzten Aussenwärmedämmungen ist alles vorhanden. Es ist eine starke Differenz der Materialien spürbar, die mit den Gebäudegrössen sowie deren Nutzung einhergeht. Die grossen Gewerbehallen zeigen sich in sehr natürlichen Farbtönen, oftmals naturgetreu der Farbe des verbauten Materials, was bei den Wohnhäusern nicht der Fall ist. Der Verputz bietet eine grosse Bandbreite an Farben, diese wird im Quartier vollumfänglich genutzt. Dieses Wechselspiel der Materialien und Dimensionen der Bauten gleicht einer gebauten Collage. Beim Flanieren, entlang der Längsachsen ziehen diese wie Filmstreifen an mir vorbei. Die Architektursprache im Quartier ist frei. Sie ist weder von einer sichtbaren Bautradition geprägt noch von einem spezifischen Material. Die Fotografie des Upper Lawn zeigt das Haus inmitten des Bauprozesses. Der Ausdruck der schweren, archaischen Mauern im Erdgeschoss, sowie die filigrane aufgehängte Holzkonstruktion, welche auf diese Schwere aufgesetzt wird, fasziniert. Dieser unfertige, imperfekte Zustand des Hauses steht als Sinnbild für die Struktur und den Ausdruck der grösseren Eingriffe. Die Einfachheit, sowie Klarheit der Struktur, ist bestechend und passt durch ihre Authentizität ins Quartier.

Abb. 109 Upper Lawn Pavilion. Smithsons, 1961.

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Abb. 110-133 Fotografien aus dem Spaziergang B.

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Abb. 134 Erste Skizzen und Gedanken zu der Gestaltung der grösseren Eingriffe.

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Grösserer Eingriff – Zeile Die Zeile übernimmt eine ordnende Funktion im Meierhöfli. Sie trennt die grosse Parkfläche und die Grünfläche in zwei Aussenräume. Auf nordwestlicher Seite wird der Parkplatz gefasst und zu einem eigenständigen Raum ausformuliert. Von drei horizontalen Bändern geprägt, setzt sich die Fassade in Relation zum längsorientierten Feld. Sie erinnern an ferne Horizonte, an das prägnante, geometrische Tischtuch aus dem Gemälde Das letzte Abendmahl von Andrea del Castagno. Die Bänder sind aus gewellten Faserzementplatten. Hartes Licht wird in weiche Schatten gebrochen; sie folgen den Wellen. Betonierte Lisenen rhythmisieren die Südfassade. Sie wachsen über die Fassade hinaus und werden zu freistehenden Stützen, die zu einem schattenspendenden Gerüst verwachsen. In einer tieferen Schicht, den Lisenen untergeordnet, fächern sich horizontale und vertikale Flächen auf. Zwei unterschiedliche Fassaden die in den Seitenfassaden aufeinandertreffen und sich vereinen. Die Materialien sind nicht fremd, sie sind in verschiedensten Formen im Quartier anzutreffen, werden jedoch neu komponiert. So verortet sich der Neubau auf selbstverständliche Art und Weise im Quartier. Ein niederes, freies Erdgeschoss bietet abends Platz für die Parkierung von Fahrzeugen der Anwohner des Meierhöfli. Tagsüber funktioniert diese Fläche als räumliche Erweiterung der darüberliegenden Gewerbehalle - etwa für logistische Arbeiten oder Arbeiten, die im Aussenraum zu verrichten sind. Die Gewerbehalle ist ein grosszügiger Raum, in welchem verschiedenste Menschen zusammenkommen. Von handwerklichen Arbeitsgattungen über kleinere Atelierbetriebe findet sich hier Verschiedenes unter einem Dach. Dieser Raum stellt eine erste Verwebung vom reinen Gewerbe, welches im Quartier häufig anzutreffen ist, mit freischaffenden Menschen anderer Berufe dar. Der Gewerbehalle und den Wohnungen vorangestellt befindet sich eine Erschliessungsschicht, die eine thermische Zwischenzone zum Aussenraum bildet. Sie ist nicht nur Erschliessungsraum, sondern Ort des Aufenthaltes, der Begegnung sowie erweiternder Raum von Gewerbe und Wohnen.

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Mit der Treppe gelangt man von den unteren, niedrigeren Zwischenräumen der Gewerbehalle in den zweigeschossigen Raum vor den Wohnungen. Dieser kann im Sommer komplett geöffnet werden und funktioniert im Winter als geschützter Wintergarten der Wohnungen. Er ist unbeheizt und durchlässig, ein stetiger Luftaustausch ist somit gewährleistet und sorgt für ein angenehmes Zwischenklima. Vom gemeinschaftlichen Zwischenraum aus gelangt man stets in die Küche, sie belebt ihn und nimmt dessen Stimmung in sich auf. Die Küche kann von der restlichen Wohnung abgetrennt werden und bietet die Möglichkeit des kompletten Rückzugs. In südlicher Richtung eröffnet sich ein grosszügiger doppelgeschossiger Raum, der zum Wohnen einlädt. Dieser nimmt die Doppelgeschossigkeit des Zwischenraumes auf und lässt das Südlicht in die Wohnung strömen. Im darüber liegenden Geschoss befinden sich die Schlafzimmer sowie ein Galeriezimmer, das sich zum doppelgeschossigen Raum hin orientiert. Der gesamte Bau wird von zwölf Stützen getragen, die im Erdgeschoss und in der Gewerbehalle als Kreuzstützen ausformuliert sind. In den Wohngeschossen vereinfacht sich der Querschnitt der Stützen und zieht sich weiter bis unter das Dach. Die Stützen sind mit Unterzügen in beide Richtungen miteinander verbunden, sie weisen jedoch in Richtung der grösseren Spannweite einen höheren Querschnitt auf und gliedern so die Gewerbehalle zusätzlich.

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Abb. 135 Zeile angeschnitten mit Blick auf Steg und Markthalle.

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Abb. 136 Collage des überhohen Wohnraums in der Zeile.

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Abb. 137 Modellfoto von der Südfassade des Zeilenbaus.

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Abb. 138 Erdgeschoss im Massstab 1:300. GSEducationalVersion

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Abb. 139 1. Obergeschoss im Massstab 1:300.

EducationalVersion

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Abb. 140 3. Obergeschoss im Massstab 1:300. GSEducationalVersion

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Abb. 141 4. Obergeschoss im Massstab 1:300.

EducationalVersion

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Abb. 147 Längsschnitt im Massstab 1:300.

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Grösserer Eingriff – Markthalle Inmitten der umliegenden Wohnhäuser steht die Markthalle und macht es sich auf ihrem Platz gemütlich. Sie gliedert sich in zwei Teile, der im Erdgeschoss liegenden Markthalle und der darüber aufgehängten Kantine. Ähnlich dem Fahrrad- Rad von Marcel Duchamp stehen die unteren Betonwände bestimmt wie der Stuhl und bilden den Sockel. Die Stützen greifen über ins obere Geschoss der Kantine und halten wie das Fahrradgestell das hängende Rad, das obere Geschoss. Wie in Duchamps Werk stehen die beiden Teile in starkem Kontrast und bedingen sich so gegenseitig. Das steile Scheddach streckt sich empor, ähnlich sich sträubender Nackenhaare. Die Kantine ist, anders als die Markthalle, ein lichtdurchfluteter Raum. Das liegende Schalungsbild erinnert an die gestapelten Europaletten, die sich auf den freien Lagerflächen der Gewerbebauten finden lassen. Es entstehen Ornamente aus aufeinandertreffenden Fugen und Formen. Im Innern verbinden sich Schalungsbild und Aufputzleitungen und führen das Bild der Ornamente weiter. Das aufgefächerte Eternitkleid fällt unterschiedlich tief über die Betonwände, bricht die klaren Linien und weicht die harten Übergänge auf. Sie verbergen die farbigen Stoffmarkisen, die sich nur mit der Sonne zeigen. Primär entstehen durch die Auffächerung der Elemente unterschiedliche räumliche Situationen um das Haus. Es reagiert auf seine Umgebung. Die Markthalle ist zwischen zwei Wohnhäuser gesetzt und bildet den mittäglichen Treffpunkt des Quartiers. Im Erdgeschoss bietet eine grosszügige Hallenstruktur die Möglichkeit verschiedene Marktstände unterzubringen. Diese können frei in der Halle positioniert werden und den Raum unterschiedlich bespielen. Die Markthalle ist zur östlich liegenden Wiese orientiert. Dieser Blick offenbart sich dem Besucher jedoch erst beim Verlassen der Halle. Ansonsten ist der Raum sehr introvertiert und lebt von dem seitlich einfallenden Licht der hoch oben liegenden Fensterbänder. Im oberen Geschoss befindet sich die Kantine, die der Verpflegung dient. Es ist ein Ort des Zusammentreffens verschiedenster Menschen. Der Raum ist durch das Sheddach sowie die raumhaltigen Unterzüge gegliedert. Nach dem Treppenaufstieg öffnet sich der Raum, entgegengesetzt zur Halle, in Richtung der Schrebergärten. Die restlichen Öffnungen offenbaren dem Besucher ihren Ausblick erst beim Hinsetzen. Das Haus ist das Bindeglied der sich gegenüberstehenden Gewerbe- und Wohnbauten und komplettiert die offene Mitte.

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Abb. 148 Modellfoto von der Markthalle.

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Abb. 159 Collage vom Innenraum der Markthalle.

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EducationalVersion

Abb. 160 Erdgeschoss im Massstab 1:300.

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Abb. 161 Querschnitt im Massstab 1:300.

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Abb. 162 Modellfoto von Markthalle, Steg und Zeile.

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Abb.163-178 Fotografien aus dem Spaziergang C.

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Abb. 179-181 Grundrissplan, 2. Obergeschoss im Massstab 1:350.

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Abb. 182-184 Längsschnitt entlang des Stegs im Massstab 1:350.

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Das Kippmoment – ein Rückblick Aufgewachsen in einer Agglomerationsgemeinde, verlor ich diese mit den Jahren aus den Augen. Ich verfiel dem Zauber der Städte. Die momentane Situation der Pandemie, mit welcher viele Fragen aufkamen, vor allem aber jene nach der verträglichen Dichte in den Kernstädten, lenkte meinen Blick zurück auf die Konstellation, in welcher ich aufgewachsen bin; die durchlässige Agglomeration. Mit der Bearbeitung des Themas vom bezahlbaren Lebensraum im vergangenen Semester, entdeckte ich das Potenzial der Agglomeration andere Antworten auf die Frage der Dichte zu geben als die verdichteten und konzentrierten Kernstädte. Das Meierhöfli war ein dankbares Fallbeispiel. In Fahrraddistanz war es mir möglich den Ort jederzeit zu besuchen. Dieser Akt führte mich zum Werkzeug des Spaziergangs. Auf der Suche nach einem unvoreingenommenen Blick auf die stark voreingenommene Situation, Agglomeration, stiess ich auf die scheinbar unüberschaubare Philosophie der Phänomenologie. Die Idee, Gesehenes zu beschreiben, statt zu analysieren und durch möglichst kindliche Augen zu betrachten, war der Startschuss zu einer vielversprechenden Verhaltensstrategie für die Agglomeration. Die Spaziergänge und die Theorie der Phänomenologie entwickelten sich während der Arbeit zu einem unzertrennlichen Paar, welches sich ideal ergänzt. Ein meditatives Flanieren kombiniert mit der Reflexion zur Idee einer möglichen Haltung. Nebst den Spaziergängen und der Phänomenologie ergab sich auch die Collage als ein dankbares Werkzeug für das Festhalten einzelner Momente aus den Spaziergängen und als Überprüfung für erste Eingriffe im Quartier. Ganz in der Manier des Bricoleurs entstanden durch vorgefundene Architekturen und Elemente Bilder erster Ideen für das Quartier. Über die Spaziergänge fand ich den Anschluss ans Quartier. Ich lernte verschiedene Personen kennen, wie beispielsweise Herrn Hagmann, und entschlüsselte das Meierhöfli und seinen Geist für mich. Diese Zugänglichkeit war von grosser Wichtigkeit, da ich zu Beginn in meiner Voreingenommenheit statt der Nutzungsvielfalt und den vielen Qualitäten nur das Durcheinander in den vielen Eindrücken sah. Die Spaziergänge deckten das Phänomen der Parkflächen auf und mit diesem auch die Möglichkeit für grössere Eingriffe im Quartier. Somit spannte sich ein weites Netz an bebaubaren Flächen über das ganze Meierhöfli auf. Auf den drei festgelegten Spaziergängen entpuppte sich die Mitte mit der weiten, freien Wiese und der Parkfläche als Ort der Ausformulierung der grösseren Eingriffe.

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Drei dieser Eingriffe wurden im Rahmen der Arbeit vertiefter bearbeitet. Einer der drei Eingriffe entwickelte sich zur Zeile mit Gewerbehalle und Wohnungen. Ein weiterer, zur Markthalle mit darüber liegender Kantine und das verbindende Element aller Komponenten, bildet der Steg. Dieser lässt die theoretischen Spaziergänge zum konkreten Entwurf werden und wird zum räumlichen Spaziergang. Das stetige Eintauchen ins Quartier und das Entwerfen der grösseren Eingriffe entwickelten sich zu einem stetigen Wechselspiel und war während des ganzen Prozesses von zentraler Bedeutung. Daneben fanden auf den Spaziergängen auch die kleineren Eingriffe ihre Berechtigung in der Arbeit. Diese entspringen der Idee des kleinsten Eingriffs, (Burckhardt) der in der Intervention am Place de Aucoc in Bordeax der Pariser Architek*innen Lacaton und Vassal die, für mich, perfekte Verkörperung findet. Diese Eingriffe flossen in Form von Collagen und Texten in die Arbeit und sind ergänzende Gedankengänge zu den grösseren, ausformulierten Projekten und greifen durch ihre Einfachheit die Idee des bezahlbaren Lebensraumes auf. Die Projekte sind mit den Plänen, Bildern und den textlichen Auseinandersetzungen in der Arbeit dokumentiert und als eine mögliche Ausformulierung meiner Erkenntnisse für den Ort zu verstehen. Mir scheint der Prozess und die Auseinandersetzung der verschiedenen Werkzeuge auf theoretischer und entwerferischer Ebene die wichtigste Lehre aus diesem Semester. Auf der Suche nach einem unvoreingenommenen Blick auf eine voreingenommene Situation, stiess ich auf die Spaziergänge und die Idee einer phänomenologischen Betrachtung der gebauten Umwelt in der Agglomeration. Diese Herangehensweise ist ungewohnt und bedarf an Übung. Jedoch bin ich der Überzeugung, dass eine Sensibilität gegenüber dem Vorgefundenen von extremer Wichtigkeit ist, um nicht, wie beispielsweise auf dem Seetalplatz, einen globalen, anonymen Ort zu schaffen. Wir müssen uns von festgefahrenen Bildern und Ideen einer «idealen Stadt» befreien um so zu einem kreativen Impuls zu kommen. Die Arbeit entpuppt sich zwischendurch als eine Arbeit voller subjektiver Elemente. Sie zeigt jedoch einen persönlichen Umgang und eine Übersetzung der erarbeiteten Werkzeuge auf eine reale Agglomerationswelt.

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Spaziergang – Verlassen des Quartiers Die verwilderte Wiese, voller Stauden, benetzt vom morgendlichen Tau liegt vor mir. Ähnlich einer von Piete Oudolf gestalteten Landschaft. Die ganze Umgebung ist in diesen mystischen Dunst gehüllt. Doch hier oben ist alles klar. Alles erwacht, langsam. Der Platz vor dem Haus wird immer voller. Mehr und mehr farbiges Metall bedeckt die sonst so friedlich, leere Asphaltfläche. Der Bäcker, Metzger und der Bauer beliefern die Markthalle, bereiten alles für den mittäglichen Ansturm vor. Alles ist wach. Bereit den Tag zu bestreiten. Und ich entferne mich mit jedem meiner Schritte vom Geschehen. Wandere hinaus aus dem Quartier. Lasse alles hinter mir. Auf neuem Wege, durch andere Augen. Die neue Perspektive beflügelt. Ich freue mich auf meinen nächsten Besuch.

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Abb.04 Luftaufnahme vom Meierhöfli Quartier in Emmenbrücke, 1952. Aus: http://ba.e-pics.ethz. ch/#1610466698480_11 (30.12.2020).

Abb. S.3 Flickstellen im Asphalt. Von: Autorin 2020.

Abb.05 Übersicht über das Quartier Meierhöfli in Emmenbrücke. Aus: Google Earth (30.12.2020).

Abb. 01 Zwei Damen speisen im Zwischenraum zweier parkierter Autos. Aus: Hertzberger, Herman: Lessons for students in architecture. Rotterdam 2005. Abb. 02 Portrait of Orleans. Edward Hopper, 1950. Aus: https://www.bazonline.ch/das-inneremuseum-i-785963459694 (30.12.2020). Abb. S.12 Cobb’s Barns, South Truro. Edward Hopper 1930-1933. Aus: https://whitney.org/collection/ works/5865 (30.12.2020). Abb. S.13 Holzscheune auf einer Brache im Meierhöfli. Von: Autorin 2020.

Abb.06 Schemaskizze der Nutzungsdurchmischung im Meierhöfli. Von: Autorin, 2020. Abb. 07, 08 Fotografie aus der Arbeit Siedlungen, Agglomeration, von Fischli und Weiss, 1993. Aus: Fischli, Peter/ Weiss, David: Siedlungen, Agglomeration. Zürich 1993. Abb. 09, 10 Fotografie aus der Arbeit Mittelland von Michael Blaser, 2007-2010. Aus: http://www.michaelblaser.net/gartenstadt-2/ (30.12.2020).

Abb. S.28 Monolith aus Space Odyssey, Stanley Kubrick, 2001. Aus: https://robinwestenra.blogspot. Abb. 03 com/2018/10/more-on-perfectly-rectangularDas Quartier Meierhöfli in der Publikation: Bauen als Umweltzerstörung von Rolf Keller, 1977. iceberg.html (30.12.2020). Aus: Keller, Rolf: Bauen als Umweltzerstörung. Alarmbilder einer Un-Architektur der Gegenwart. Zürich 1977. 122


Abb. S.29 Abb. 96 Monolith im Quartier. Transformatorenhaus im Collage der Markthalle mit eingesetztem Meierhöfli. Probehaus von Enzmann Fischer. Von: Autorin, 2020. Von: Autorin, 2020. Abb. S.34 Stadtmauer von Sabbioneta, Italien. Aus: http://www.bellalombardia.regione. lombardia.it/lbltext/?tipoVista=02&idBene=9261 (30.12.2020).

Abb. 97 Collage Autokino. Von: Autorin, 2020. Abb. 98 Collage: Blick aus der Wiese auf die Südfassade der Zeile. Von: Autorin, 2020.

Abb. S.35 Zugdamm im Meierhöfli. Von: Autorin, 2020.

Abb. 99, 100 Place Léon Aucoc, Bordeaux, Lacaton & Vassal. Aus: https://www.lacatonvassal.com/index. php?idp=37# (30.12.2020).

Abb. 11 Übersicht der drei Spaziergänge durch das Quartier. Von: Autorin, 2020.

Abb. 101 Bestehende Situation. Von: Autorin, 2020.

Abb. 12-91 Fotografien aus dem Spaziergang A. Von: Autorin, 2020.

Abb. 102 Collage des kleinen Eingriffs. Von: Autorin, 2020.

Abb. 92 Von: Autorin, 2020. Collage aus Parkplätzen und Autos. Von: Autorin, 2020.

Abb. 103 Bestehende Situation. Von: Autorin, 2020.

Abb. 93 Markierte Parkflächen im Meierhöfli. Von: Autorin, 2020. Abb. S.54 Palazzo Guadagni, Florenz, Italien. https://www.rulit.me/books/bolshaya-sovetskaya-enciklopediya-fl-read-88831-21.html (30.12.2020).

Abb. 104 Collage des kleinen Eingriffs. Von: Autorin, 2020. Abb. 105 Bestehende Situation. Von: Autorin, 2020.

Abb. S.55 Gebäude im Meierhöfliquartier. Von: Autorin, 2020.

Abb. 106 Collage des kleinen Eingriffs. Von: Autorin, 2020.

Abb. 94 Erste Ideenskizze zu den grösseren Eingriffen auf den Parkflächen. Von: Autorin, 2020.

Abb. S.64 Blick durch Gewerbehalle. Von: Autorin, 2020.

Abb. 95 Skizze zur Studie des Ausdrucks der Markthalle. Von: Autorin, 2020.

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Abb. S.65 Villa Katsura, Kyoto. Aus: https://www.pineca.com/blog/diy/ (30.12.2020).


Abb. 107 Abb. 140 Axonometrie, Übersicht der grösseren Eingriffe. 3. Obergeschoss im Massstab 1:300. Von: Autorin, 2020. Von: Autorin, 2020. Abb. 108 Collage von Stegmitte. Von: Autorin, 2020.

Abb. 141 4. Obergeschoss im Massstab 1:300. Von: Autorin, 2020. Abb. 147 Längsschnitt im Massstab 1:300. Von: Autorin, 2020.

Abb. 109 Upper Lawn Pavilion. Smithsons, 1961. Lichtenstein, Claude/ Schregenberger, Thomas: As found. Die Entdeckung des Gewöhnlichen. Abb. 148 Zürich 2001. Modellfoto von der Markthalle. Von: Autorin, 2020. Abb. 110-133 Fotografien aus dem Spaziergang B. Abb. 159 Von: Autorin, 2020. Collage vom Innenraum der Markthalle. Von: Autorin, 2020. Abb. S.74 Porta Pia, Rom, Italien. Abb. 160 Erdgeschoss im Massstab 1:300. Aus: https://www.nev.it/nev/2020/12/21/ porta-pia-centocinquanta-anni-dopo/ Von: Autorin, 2020. (30.12.2020). Abb. 161 Querschnitt im Massstab 1:300. Abb. S.75 Fotografie von einem Tor im Meierhöfli. Von: Autorin, 2020. Von: Autorin, 2020. Abb. 162 Abb. 134 Modellfoto von Markthalle, Steg und Zeile. Erste Skizzen und Gedanken zu der Gestaltung Von: Autorin, 2020. der grösseren Eingriffe. Von: Autorin, 2020. Abb. S.100 Basilica di Sant’ Andrea, Mantua, Italien. Abb. 135 Aus: https://www.pinterest.ch/ pin/758152918497652366/ (30.12.2020). Zeile angeschnitten mit Blick auf Steg und Markthalle. Von: Autorin, 2020. Abb. S.101 Fotografie von Hauseingängen im Meierhöfli. Abb. 136 Von: Autorin, 2020. Collage des überhohen Wohnraums in der Zeile. Abb.163-178 Fotografien aus dem Spaziergang C. Von: Autorin, 2020. Von: Autorin, 2020. Abb. 137 Modellfoto von der Südfassade des Zeilenbaus. Abb. 179-181 Grundrissplan, 2. Obergeschoss im Massstab Von: Autorin, 2020. 1:350. Von: Autorin, 2020. Abb. 138 Erdgeschoss im Massstab 1:300. Abb. 182-184 Von: Autorin, 2020. Längsschnitt entlang des Stegs im Massstab 1:350. Abb. 139 Von: Autorin, 2020. 1. Obergeschoss im Massstab 1:300. Von: Autorin, 2020. 124


Redlichkeitserklärung

Hiermit versichere ich, dass die vorliegende Arbeit mit dem Titel: Der unvoreingenommene Blick Verhaltensstrategien für einen Umgang mit der Agglomeration von Luzern selbstständig durch mich verfasst worden ist, dass keine anderen Quellen und Hilfsmittel als die angegebenen benutzt worden sind und dass die Stellen der Arbeit, die anderen Werken –auch elektronischen Medien – dem Wortlaut oder Sinn nach entnommen wurden, unter Angabe der Quelle als Entlehnung kenntlich gemacht worden sind.

Shehrie Islamaj Luzern, 13.01.2021



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