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16 Donnerstag, 14. Juni 2018 MOZ

Botschafter mit Taktstock

Frankfurter Stadtbote

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Frankfurter auf Zeit – ein Abschiedsspaziergang mit Howard Griffiths

Elf Jahre lang hat Howard Griffiths das Brandenburgische Staatsorchester geleitet. Am Freitag verabschiedet er sich mit Der in England geborene und in der Schweiz seinem letzten Philharmonischen Konzert von der Konzerthalle. In lebende Dirigent mit familiärer Verbindung Zukunft will der 68-Jährige mehr Zeit mit seiner Frau Semra in zur Türkei ist für Frankfurt auch ein seinem Haus und Garten am Zürichsee verbringen. Doch wenn Botschafter. Ob auf Tourneen, er von seinen Engagements unter anderem in Belgrad, Wien und Gastspielen oder mit seinen in viele China berichtet, klingt es nicht nach einer Ruhephase. Außerdem Sprachen übersetzten Musik-Märchen. will er Animationsfilme zu seinen Orchestergeschichten entwickeln, mit seinem Orchester Camerata Schweiz arbeiten, die Nachwuchsarbeit fortführen. Ehe er die Stadt verlässt, spazierte Frauke Adesiyan mit ihm zu den Orten in Frankfurt, die ihm am Herzen liegen.

Mehrfach trat Howard Griffiths mit dem Staatsorchester in der Schweiz auf – hier in Zürich. Gastauftritte in Istanbul wurden 2016 nach einem Anschlag abgesagt. Griffiths reiste allein.

Fotos (2): Tobias Tanzyna

Vielfach üb ersetzt: Das O Hexe und d er Maestro“ rchestermärchen „Die gibt es inzw auf Englisch is , Türkisch un d Schweizerd chen auch nische und eutsch. Polserbische V er sionen sind in Arbeit. Repro: Kath rin Hellert-Kn

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Vor seinem Hotel. Rund 500 Nächte, das hat Howard Griffiths überschlagen, hat er in den vergangenen Jahren im City Park Hotel verbracht. Er kennt jede Mitarbeiterin und sie kennen seine Vorlieben. Hausschuhe, Wasser, Blumen und Obst stehen im Zimmer bereit, wenn er anreist – immer in dem selben Zimmer. Morgens frühstückt er gern hier und schaut aus dem Fenster. „Dann sehe ich all die Studenten vorbei laufen und ihre Professoren gleich dazu“, berichtet er kopfschüttelnd über den täglichen Pendlerzug von Berlin nach Frankfurt und umgekehrt. Auch viele der Musiker seines Orchesters fahren hin und her. Allerdings aufgrund der Konzerttermine zu ganz anderen Zeiten, als Vorlesungen stattfinden. Wenn Griffiths mit dem Flugzeug in Berlin landet – meist aus Im schattigen Garten vom Eins Be. Jeder Spaziergang braucht eine Pause, Howard Griffiths legt sie bevorzugt im Garten des Restaurants Eins Be ein. Auch hier kennt man ihn bestens. „Das Thai Curry mit weniger Fleisch und mehr Gemüse, dazu eine Apfelschorle“, kennt Piotr Marek Skark sofort die Wünsche seines Gastes, während Kochgeräusche und Essensdüfte aus dem Küchenfenster ins Freie dringen. Viele Künstler und Freunde habe

der Schweiz kommend – wird er meist von einem Taxiunternehmen abgeholt und nach Frankfurt gefahren. Hier angekommen geht es direkt ins Hotel, wo er

nachts meist sehr spät schläft, dafür aber gern tagsüber ein Mittagsschläfchen zwischen den Proben hält. Den Weg vom Hotel zur Konzerthalle geht Griffiths am liebsten zu Fuß. „Das dauert zwölf Minuten, aber nur, wenn ich nicht an der Oder sondern durch die Stadt laufe.“ Regnet es oder hat er schwere Partituren für das nächste Konzert dabei, dann nimmt er sich lieber ein Taxi zur Konzerthalle. Dann verpasst er aber den Weg quer durch den Gertraudenpark, den Blick auf die Kirche mit der besonderen Geschichte und das Aufblitzen der Kießlinghäuser mit ihrer Rosenpracht dahinter. Ein Anblick, den der Brite sehr mag. „Der Park am Anger ist sehr schön. Er erinnert mich schon fast an englische Gärten meiner Kindheit“, erzählt er.

er schon hierher gebracht, berichtet Howard Griffiths. Wenn er nicht hier einkehrt, isst er gern im Fratelli oder im Café am Kleistpark. Manchmal gibt es auch nur Käse und Früchte im Hotelzimmer. „Dann mache ich ein Picknick“, scherzt der Dirigent. Doch hier, im Garten mit Blick auf das alte StraßenbahnDepot fühlt Griffiths sich sichtlich wohl. Er plaudert mit Christine Hellert vom Orchester über

seine Tochter Claire, die gerade ihre erste Ausstellung plant und über all die Engagements, die auf ihn warten. Außerdem überlegen sie, wann eine Abschiedsfeier mit den Kolleginnen stattfinden kann – natürlich im Eins Be. Als Christine Hellert etwas ungläubig an Griffiths vorbei zum Fahrradständer guckt, wo der Restaurant-Betreiber Skark gerade die Reifen von Griffiths’ Rad aufpumpt, winkt der Dirigent ab. „Das macht er immer.“

500 Nächte: So oft schlief der Dirigent am Gertraudenpark.

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Besonderer Service: Piotr Marek Skark serviert dem Maestro und seiner Begleitung Christine Hellert nicht nur Thai Curry, er pumpt auch Griffiths’ Fahrradreifen auf.

Im Olympiahain. Dass hier an die Frankfurter Olympiasieger erinnert wird, weiß Howard Griffiths gar nicht, er erfährt es bei diesem Abschiedsspaziergang. Doch auch ohne diese Information mag er die Fußgängerallee zwischen Rathaus und Oderufer. Ganz anders als in der Magistrale fühle man sich hier wohl. „Nicht alles ist in Frankfurt gelungen nach dem Krieg“, formuliert es Griffiths freundlich. Die Karl-Marx-Straße empfinde er als „absolut stimmungslos“. Man habe der Stadt ein Stück weit ihr Herz heraus gerissen. Er habe nichts gegen Neubauten, die Ergänzung zum historischen Kleist-Museum findet er zum Beispiel gelungen. Mit zusammengezogenen Augenbrauen schaut er hingegen auf das heruntergekommene leerstehende Schulgebäude an der Bischofstraße. Die Idee, hier ein Hotel zu bauen findet er „nicht schlecht“. Doch ihm kommt noch ein besserer Einfall. „Hier könnte sie doch stehen, die Oderphilharmonie. Hier wäre ein repräsentativer Eingang, die Besucher laufen direkt auf die Oder zu“, berauscht sich der Dirigent an seinem spontanen Einfall. Verbunden mit einem guten Hotel, das würde für ihn Sinn er-

Das Oderufer. Das Fahrrad hat Howard Griffiths in seinem Dirigentenzimmer der Konzerthalle neben dem Flügel stehen. Mit einem Schloss gesichert. „Damit es mir die Gastdirigenten nicht wegnehmen“, sagt er, grinst und schon ist man mittendrin im Griffiths-Humor, der die vergangenen Jahre Frankfurter Musiker und Konzertbesucher begeistert hat. Allen Ernstes wurde ihm ein Fahrrad geklaut, allerdings vor der Konzerthalle, nicht darin. Deshalb steht es nun im Büro, wenn er nicht am Oderufer entlangfährt, manchmal bis nach Lebus.

Diese Fluss-Szenerie gefällt dem Dirigenten an Frankfurt besonders. „Die Weitsicht, die Bewegung, die verschiedenen Stimmungen“, schwärmt er und wundert sich beim Spaziergang entlang der Oder über die Ruhe. „Ich bin erstaunt, wie wenig die Promenade benutzt wird, es ist doch so schön“, sagt er und schaut bewundernd auf den Oderspeicher. „Diese alten Gebäude noch dazu, hier lebt Geschichte.“ Etwas weiter am Ufer entlang ruft er ein herzliches Hallo in das Gränzkaffee am Packhof, wo die Mitarbeiterin die Stühle und Tische auf-

stellt. „Das sind meine Freunde. Um eins machen sie auf, aber ich kriege auch schon vorher Kaffee“, lacht er. Howard Griffiths ist ein WasserMensch. Wenn ein Fluss, ein See, das Meer in der Nähe ist, fühlt er sich wohl. Aufgewachsen im englischen Hastings an der Straße von Dover waren ihm die verschiedenen Stimmungen am Wasser schon als Kind bekannt. Heute bewohnt er mit seiner Frau Semra, einer türkischen Bratschistin, ein Haus mit 600 Quadratmeter großem Garten an einem Hang zum Zürichsee. Hier, so ist sein Plan, will er

In der Marienkirche. Eine Station, die auf Griffiths LieblingsSpaziergang nicht fehlen darf, ist die Marienkirche. „Ist das nicht fantastisch?“ Der Dirigent steht inmitten des hohen Kirchenschiffes, schaut nach oben, dreht sich im Kreis während eine kleine Gruppe von Touristen gerade ihre Führung beendet. „Ich bewundere diesen Ort, 800 Jahre Geschichte“, schwärmt er. Wenn er Zeit habe, setze er sich gern vorn in den Chor und lasse das erhabene Gebäude auf sich wirken. „Die Stimmung hier ist unglaublich. Hier kann man als Mensch in sich gehen und Ruhe finden.“ Griffiths ist kein gläubiger Mann. Weder praktiziert der den von seinen Eltern vorgelebten christlichen Glauben noch die islamische Religion seiner langjährigen Wahlheimat Türkei. Dabei war er als Junge jeden Sonntag in der Kirche, als Chorknabe begleitete er den Gottesdienst, sein Vater spielte die Orgel. „Die Rituale der christlichen Religion Foto: Michael Benk sind schön“, findet er. Richtigen Sinn ergeben sie für ihn dennoch nicht. „Wir haben doch andere ab sofort viel mehr Zeit verbrin- Kenntnisse heute“, lautet seine gen. Zwischen Rosen, Salat, Fen- Überzeugung. Wenn er gebannt chel, Rhabarber und Himbeeren. den Erklärungen zu der Bilderbi„Im Mai will ich künftig gar keine bel auf den spektakulären GlasEngagements mehr annehmen, da fenstern folgt, dann wohl eher will ich endlich mal meinen Gar- aus historischem Interesse als ten am See blühen sehen“, nimmt aus religiöser Ehrfurcht. sich der Dirigent vor. Und auch hier in der Kirche hat Natürlich zieht es ihn auch im Ur- Howard Griffiths Freunde. Wachlaub ans Wasser. „Wir fahren jedes mann Eberhard Urban kommt Jahr im Sommer an das Ägäische hinter seinem Schreibtisch vor Meer. Das ist heilig“, sagt Griffiths und grüßt den Dirigenten herzund schaut noch einmal über die lich. Er zeigt ihm ein neues Verströmende Oder auf das tief grüne anstaltungsheft, auf dessen Titel Slubicer Ufer, bevor er in die Bi- Griffiths zu sehen ist. „Da stehe schofstraße einbiegt. ich auf dem Dach vom Oderturm,

Drei Dirigenten in 28 Jahren Seit der Eröffnung des Frankfurter Stadttheaters 1842 ist das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt in der Oderstadt und in Brandenburg präsent. Seinen heutigen Namen führt es seit September 2001. Howard Griffiths war der dritte Generalmusikdirektor, der das Brandenburgische Staatsorchester, vormals Philharmonisches Orchester, seit 1990 leitete. 2007 kam er als neuer Chefdirigent an die Oder. Mit elf Jahren blieb er am längsten. Griffiths war auf Heribert Beissel (3. Foto von links) gefolgt, der bis heute Ehrendirigent des Staatsorchesters ist und es erst jüngst wieder bei einem Frankfurter Konzert dirigierte. Beissel war im Februar 2001 zum neuen Chefdirigenten gewählt worden. Sein erstes Konzert gab er zur Einweihung des Kleist Forums. Er reiste mit dem Staatsorchester nach Japan, Spanien und Italien auf Tourneen. Erster Chefdirigent des Orchesters nach den politischen Umbrüchen von 1989/1990 war ab 1990 der Grieche Nikos Athinäos (Foto links). Zuvor hatte

sich das Orchester von Andreas Wilhelm getrennt. Das Philharmonische Orchester wurde unter Athinäos als erstes und einziges Kulturorchester des Landes Brandenburg als A-Orchester eingestuft. Athinäos reiste mit den Musikern nach Poznan, Litauen, Israel, Spanien und Russland. Nach zehn Jahren lief sein Vertrag aus, er wurde künstlerischer Direktor eines Konzerthauses in Thessaloniki. Ab der neuen Spielzeit leitet nun Jörg-Peter Weigle (Foto rechts) die künstlerischen Geschicke des Brandenburgischen Staatsorchesters. Weigle war zuletzt Professor für Chordirigieren an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin und leitete seit 1977 zahlreiche Orchester, unter anderem war er Chefdirigent der Dresdner Philharmonie und Stuttgarter Philharmoniker. Seine musikalische Ausbildung erhielt er beim Leipziger Thomanerchor. Fotos: Heinz Köhler, Winfried Mausolf (2), Tobias Tanzyna, Robert Iwanetz und Michael Benk

Letzte Auftritte in der Region Wer so viele Jahre an so exponierter Stelle gearbeitet hat, der muss sich auch ausgedehnt verabschieden. Nachdem beim letzten Gastspiel in Potsdam Rosenblätter regneten, ist der Dirigent noch bei drei Konzerten in der Region zu erleben.

Standort für die Oderphilharmonie? Im Gespräch mit Christine Hellert äußert Howard Griffiths eine spontane Idee. geben und wahrscheinlich käme er auch als Gastdirigent zurück. Das Brandenburgische Staatsorchester ist ihm nämlich durchaus ans Herz gewachsen. „Wenn wir etwas einüben, geht das so schnell, ich brauche nur noch einen Blick zu werfen und die Musiker verstehen mich“, berichtet er von der großen Vertrautheit. Seine Arbeit ähnele nun der einer Putzfrau. An anderer Stelle vergleicht er sich mit dem Fußball-

trainer Jürgen Klopp von seinem Lieblingsfußballclub Liverpool. „Wir haben den gleichen Job: Das Beste aus unserer Mannschaft rauszuholen.“ Seine „Mannschaft“ wird es auch sein, die er am meisten vermisst, wenn er sich nun aus Frankfurt verabschiedet. „Letztendlich sind doch die Menschen wichtiger als die Orte. Sie sind es, für die ich wiederkommen werde.“

Freitag, 15. Juni, 19.30 Uhr, Konzerthalle Frankfurt: Beim letzten Philharmonischen Konzert verabschiedet sich nicht nur Griffiths, sondern auch Orchesterintendant Peter Sauerbaum. Nach dem Konzert gibt es eine zünftige Abschieds-Party im Atrium.

23. Juni un d Chorin: Zwei 14. Juli, jeweils 16 U hr, m chester noch al dirigiert Griffiths das Kloster Staatsorb ei m C horin Juni gibt es die 2. Sinfo er Musiksommer. Im nie von Mah sam mit der ler Singakadem ie, im Juli Fi gemein lmmusiken. Foto: Th omas Burckh

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Einkehr: Howard Griffiths an seinem Lieblingsplatz in St. Marien. Fotos (4): Frauke Adesiyan hinter mir war nichts. Eine Horrorgeschichte“, erzählt er von dem Fotoshooting für das Bild. Ein Lächeln sei bei dieser Kulisse ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, denn – was weder Fotograf noch Pressesprecherin wussten – der Brite hat Höhenangst. Peter Urban drückt ihm das Heft mit dem „Horror“-Bild als Souvenir in die Hand und wünscht

ihm alles Gute. Vor der Kirchenpforte erzählt Griffiths, dass er schon bei seinen ersten Besuchen von dem Kirchenschiff gebannt gewesen sei. „Ich wollte hier so gern viele Konzerte geben. Aber es ist einfach zu kalt und der Raum ist überakustisch“, erklärt er, warum er seinen Wunsch nicht umsetzen konnte.

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