64. Berlinale in der MOZ

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Schauspiel-Elite im Anmarsch Kurz vor Kinostart kommen die Stars der Gangster-Komödie „American Hustle“ zur Berlinale Klappe, die

Morgens haben sich alle lieb

KINO-KOPF

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„Bergmann ist zu verquer“

Noch sechs Tage, dann läuft „American Hustle“ auch schon in den Kinos an. Trotzdem lässt es sich die Berlinale nicht nehmen, die Stars des mit vielen Vorschusslorbeeren bedachten Oscar-Favoriten über den roten Teppich des Friedrichstadt-Palastes defilieren zu lassen. Aber sei es ihnen gegönnt! „American Hustle“ ist schließlich ein Schauspielerfilm. Amy Adams (l.), Bradley Cooper (2.v.l.), Jennifer Lawrence, Jeremy Renner (M.) – sie alle haben sich für David O. Russells Gangster-Komödie unfassbare 70er-Jahre-Kostüme und grauenhafte Frisuren verpassen lassen.

Frau Sell, was war Ihr frühestes Kinoerlebnis? Da erwischen Sie mich auf dem falschen Fuß. Als Kind habe ich, ehrlich gesagt, eher ferngesehen. Das Kino kam recht spät, und die wunderschönen Defa-Filme habe ich erst nach der Wende entdeckt. Als Teenager fand ich aber „Silkwood“ mit Meryl Streep faszinierend. Welcher Film ist Ihr absoluter Liebling? Als Filmhistorikerin habe ich eher einen Blick auf alte Filme. Beeindruckend finde ich, dass zum Beispiel die Filme von Ernst Lubitsch noch funktionieren. „Serenade zu dritt“ von 1933 glänzt immer noch durch seinen sprühenden, erfrischenden Witz. Welche Rolle in einem Film würden Sie selbst gern übernehmen? Obwohl ich den europäischen Film bevorzuge, fallen mir da die beiden Rollen aus dem Roadmovie „Thelma & Louise“ ein. Andere Frauenrollen – zum Beispiel bei Ingmar Bergman – sind nicht so attraktiv. Die sind so verquer. Sind Sie in diesem Jahr bei der Berlinale anzutreffen? Ich werde wahrscheinlich zur Aufführung der rekonstruierten Fassung von „Das Cabinett des Dr. Caligari“ gehen. Da bin ich natürlich als Filmhistorikerin sehr gespannt drauf. Zumal auch wieder die Originalmusik zum Einsatz kommen soll. Katrin Sell Filmhistorikerin, hält im HauptmannMuseum Erkner regelmäßig Vorträge

SPLITTER Gedenken an Schell, Hoffman und Jancsó Im Gedenken an die jüngst gestorbenen Schauspieler Philip Seymour Hoffman, Maximilian Schell und den Regisseur Miklós Jancsó ergänzt die Berlinale ihr Programm. Zusätzlich laufen „Meine Schwester Maria“ über Schells Schwester (9.2., 15 Uhr) und „Capote“ (11.2., 21 Uhr) mit Hoffman in der Hauptrolle. Ein Beitrag aus Jancsós Werk, „Ungarn 2011“, ist auf der Webseite des Festivals zu sehen: www.berlinale.de. (MZV)

Wes Anderson mag München lieber Normalerweise verkünden amerikanische Filmleute gerne „I love Bööörlin“, wenn sie in der Hauptstadt sind. Von Wes Anderson ist mal was anderes zu hören: Er hat ein Herz für München. Ihm gefalle, dass die Stadt ein wenig aus der Zeit gefallen sei. Sie habe „sich einen bayerischen Charakter bewahrt“, sagte Anderson dem Zeit Magazin. (dpa)

Doch Christian Bale (2.v.r.) überstrahlt die versammelte Schauspiel-Elite als bierbäuchiger Gauner. Er ist der Betrüger, der sich gezwungen sieht, mit dem FBI zusammenzuarbeiten, als sie ihn und seine große Liebe (Adams) auf frischer Tat ertappen. Was nun folgt, ist ein heillos überfrachteter Spaß, dem die Freude am Filmemachen in jeder seiner 138 Minuten anzumerken ist. (sir) Heute, 21 Uhr, Friedrichstadt-Palast; Sonnabend, 21.30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele; ausführliche Kritik zum Kinostart am 13.2.

Foto: Tobis

Wes Andersons „Grand Budapest Hotel“ ist ein kleines Meisterwerk und ein würdiger Festivalstart

Von Gitta Dietrich Die lilafarbene Uniform ist maßgeschneidert, das Haar perfekt gescheitelt, und dann dieser unverwechselbare schwere ParfümDuft, der ihm schon vorauseilt. Mit grandioser Anmut wandelt Concierge Monsieur Gustave (Ralph Fiennes) durch sein Refugium – durch das „Grand Budapest Hotel“, gelegen im Bergort Nebelsbad in der fiktiven Republik Zubrowka. Sein persönlicher Service gilt den älteren, betuchten und vor allem blonden Damen, die für ihn „würziger, eben geschmackvoller“ als die junger Dinger seien. Im Inneren wohl eher „unsicher und bedürftig“, bringt er mit moralisch-angehauchter Prosa seine Untergebenen auf den rechten Weg. So auch Protegé Zero (Tony Revolori), den neuen Lobby Boy. Die Geschichte gerät zur Farce, als Gustave unverschuldet der Erbschleicherei bezichtet wird.

Mit „Grand Budapest Hotel“ ist Regisseur Wes Anderson, dem Experten für skurrile Verbandelungen, erneut ein kleines Meisterwerk gelungen – wohl sein bestes. Mit Stechschritt durch eine wundersame Welt: Schnell geschnitten, versprüht der 100-minütige Film alles andere als Langeweile. Keinen Moment des Zurücklehnens gönnt der Texaner seinem Publikum. Jede Geste, jedes Wort sind bis ins kleinste Detail choreografiert. Auf mehreren Spielebenen skizziert er minutiös ein Tableau verschrobener Persönlichkeiten und setzt sie vor opulenter Ausstattung in Szene – ein Fest für die Sinne, für welches sich das Studio Babelsberg verantwortlich zeigt. Der rote Samt scheint schier von der Leinwand zu quellen. Gedreht wurde hauptsächlich im verschneiten Görlitz; eine ideale Spielkulisse bietet sich dort für die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen.

Ein überaus fotogenes Leben „Yves Saint Laurent“ eröffnet das Panorama Berlin (sir) Der Zoo Palast ist zurück im Kreis der BerlinaleKinos. Er soll zum Hort der Sektion Panorama werden, die sich als Schaufenster in die Welt etablierter Filmemacher versteht. Zum Auftakt hat sich das Festival ein Schmuckstück von einem Film ausgesucht: die Biografie „Yves Saint Laurent“. Das Werk bietet schöne Menschen in schönen Kulissen und noch schöneren Kostümen. Im Zentrum stehen die 20 Jahre des Aufstiegs und Durchbruchs des Modeschöpfers und seine Freude an der Selbstzerstörung. Dass das Ganze nicht nach Mummenschanz aussieht, verdankt „Yves Saint Laurent“ seinen hervorragenden Darstellern. Der 24-jährige Pierre Niney fängt die Zerrissenheit des mit Talent gesegneten Laurents gut ein. Auch Guillaume Gallienne ist großartig in der Rolle

des Pierre Bergé. Er spielt den Lebensgefährten und Manager Laurents nuanciert, mit wunderbarem Understatement. Überhaupt: Das Geschehen ist mit Gespür und Eleganz inszeniert. Schnitt, Kamera, Musik, nichts drängt in den Vordergrund. Nichts wagt aber auch einen Ausbruch aus dem bewährten Filmbiografie-Schema. Die Szenen folgen größtenteils chronologisch aufeinander, dazu kommentiert Bergé aus dem Off das Geschehen. Der Zuschauer wird an die Hand genommen und entlang der Schaufenster eines überaus fotogenen Lebens geführt. Vorstellungen: heute, 18 Uhr, Zoo Palast 1; Sonnabend, 8.2., 10 Uhr, Cinemaxx 7; Sonntag, 9.2., 14.30 Uhr, Cubix 9; Sonntag, 16.2., 21.30 Uhr, Zoo Palast 1

Meister und Muse: Laurent (Pierre Niney) nestelt am Outfit von Victoire (Charlotte Le Bon). Foto: Tibo & Anouchka, SquareOne/Universum

Das „Who is Who“ Hollywoods: Wes Andersen spickt seinen Film mit Stars – so auch Adrian Brody. Foto: Twentieth Century Fox Die Besetzungsliste liest sich wie ein „Who is Who“ Hollywoods, von Jeff Goldblum bis Owen Wilson haben alle ihren Auftritt. Andersen hat zudem seine Lieblingsschauspieler um sich geschart. So dürfen Edward Norton und Dauermuse Bill Murray brillieren. Zur Groteske gezeichnet ist die herrliche Tilda

Swinton, die nur schwer unter ihrer Altersmaske auszumachen ist. Willem Dafoe bringt als Bösewicht Advokaten und Katzen um die Ecke. Der Witz des Films resultiert oft aus dem deutschenglischen Sprachgewirr. Da darf man sich über Textstellen wie ein hölzernes „gespannt wie ein Flitzebogen“ amüsieren.

Doch allen voran ist natürlich Fiennes das Herz des Films, ihm wurde die Rolle des Concierge auf dem Leib geschrieben, wie Andersen auf der Pressekonferenz verriet. Dem Charme Gustaves kann man sich nicht entziehen, insbesondere wenn er seine Fassade, sein distinguiertes Gehabe, mit einem kraftvollen „ach, sch… drauf“ für einen Moment sausen lässt. Mit dem „Grand Budapest Hotel“ in Lubitsch-Manier hat die Berlinale einen würdigen Eröffnungsfilm gefunden, der nicht nur mit einer Riege von Stars glänzt, sondern vor allem durch seine unkonventionelle Machart überzeugt. Dass der Film im Wettbewerb läuft ist wohl verdient. In Andersons Fantasiewelt muss man einfach eintauchen. Heute, 12 und 18 Uhr, Friedrichstadt-Palast; heute, 19 Uhr, Haus der Berliner Festspiele; Sonnabend, 21.30 Uhr, Eva-Lichtspiele

Experimente mit starken Kontrasten Licht- und Schattenspiele im Film bei der Retrospektive

Berlin (mph) Die Retrospektive der Berlinale ist ausnahmsweise keiner Person und keinem Genre gewidmet, sondern einem filmischen Gestaltungsmittel: der Beleuchtung. Unter dem Motto „Ästhetik der Schatten“ werden 40 europäische, japanische und amerikanische Filme aus den Jahren 1915 bis 1950 gezeigt, die sich durch besondere Beleuchtungsstile auszeichnen und in denen die Licht-und-Schattenspiele mal poetische, mal heitere, mal bedrohliche Wirkungen entfalten. In Schwarz-Weiß-Dramen wie Friedrich Wilhelm Murnaus Liebesfilm „Sunrise“ (1927) und Orson Welles’ „Citizen Kane“ (1941) spielt die ausgeklü-

gelte Lichtdramaturgie eine entscheidende Rolle für die atmosphärische Gestaltung der Filme. Insbesondere im deutschen Stummfilmdrama experimentierten die Filmschaffenden mit starken Kontrasten. Über die „Dirnentragödie“ mit Stummfilmstar Asta Nielsen schrieb die Kritikerin Lotte H. Eisner nach ihrer Uraufführung 1927, dass „Laternenlicht von düsteren Ecken herströmt, halbdunkle Hausflure sich geheimnisvoll auftun“. Für den Horrorklassiker „Das Cabinet des Dr. Caligari“ (1920), der als brandneue Digitalkopie am Sonntag mit Live-Orgelmusik aufgeführt wird (am 12.2., 23 Uhr, auch auf Arte), malten

twas verschroben ist die Berlinale-Jury ja schon. Gestern haben sich die acht Film-Größen präsentiert. Michel Gondry völlig durch den Wind, dauernd den Faden verlierend. Die talentiertfeurige Aktrice Greta Gerwig unduldsam auf die Herausforderung jiepernd. Und dann der zweifache Oscargewinner im feinen Woll-Sacko, der wie ein Schuljunge seinen Stuhl zurechtrückt, hier und da mimische Zuckungen hat und eine Journalistin süffisant abkanzelt, weil sie ihn einen Ex-Charlottenburger nennt.

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Stechschritt durchs Wunderland

Grütters ermuntert zu mehr Mut Zum Auftakt der Berlinale hat die neue Kulturstaatsministerin Monika Grütters Künstler zu Kritik und Ungeduld ermuntert. „Kunst darf und soll Zumutung sein. Und wenn sie darüber auch noch unterhält, umso besser“, sagte die CDUPolitikerin zur Eröffnung des Festivals. (dpa)

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die Ausstatter sogar künstliche Schatten direkt auf die schräg gebauten Kulissen. Die von der Deutschen Kinemathek Berlin mit dem New Yorker Museum of Modern Art kuratierte Retrospektive verweist durch die Auswahl der Filme auf internationale Querverbindungen. Die japanischen Vor- und Nachkriegsfilme, die hierzulande teils noch nie zu sehen waren, bilden einen Schwerpunkt der Reihe. An ihnen ist die Weiterentwicklung von hell-harmloser zu düster-dramatischer Ausleuchtung besonders gut erkennbar. Retrospektive bis 16.2., Programm: www.berlinale.de

ie Rede ist von Christoph Waltz, der bereits im vorigen Jahr in Cannes urteilen durfte. Einen offensichtlichen Unterschied gäbe es zu Berlin, den fehlenden Strand. Naja, dafür wage die Berlinale mehr, meint er fast schon verschämt. Jury-Chef James Schamus ist der BigDaddy der Truppe und findet, die sei wie eine Familie: Abends werde man sich heftig streiten, um am Morgen festzustellen wie sehr man sich doch lieb habe. Bleibt zu hoffen, dass es am Ende keine „unüberbrückbaren Differenzen“ gibt, die zur Scheidung führen. Mehr zu diesem Thema: www.moz.de/berlinale

Gitta Dietrich

Alternativen zum Festival

Parallel zur Berlinale finden in der Hauptstadt zwei weitere Filmfestivals statt. Die Genrenale konzentriert sich am 12. Februar auf den deutschen Genrefilm. Die Boddinale zeigt bis 16. Februar LowBudget-Produktionen. (MZV) www.boddinale.de www.genrenale.de

FILM-Wertung Grand Budapest Hotel (USA/Deutschland)

★★★★★ 5 Sterne: herausragend, 4 Sterne: sehenswert, 3 Sterne: annehmbar, 2 Sterne: uninteressant, 1 Stern: indiskutabel

Tiefes Interesse fürs Elend Festival würdigt Regisseur Ken Loach mit Goldenem Ehrenbären und einer Filmreihe Von Katrin Hartmann Berlin (MZV) Er ist einer der wenigen Regisseure, die dem Ruf aus Hollywood widerstanden haben. Irgendwie auch undenkbar, dass ein Film des Engländers Ken Loach in die US-Schickeria passt. Seine Werke beschreiben eine andere Welt: Armut, Gewalt, die Lebensverhältnisse der Arbeiterklasse. Ohne zu werten, spielt er den Unsichtbaren hinter der Kamera, der alle Charaktere und ihre Situationen genau betrachtet. Dadurch kann sich der Zuschauer mit den Protagonisten identifizieren. „Sozialen Realismus“ nennen Kenner diesen Stil. Loachs tiefes Interesse für Menschen und sein soziales Engagement werden am 13. Februar mit dem Goldenen Ehrenbären gewürdigt. „Wir ehren Ken Loach als Regisseur, und wir ver-

ehren ihn als einen Menschen, der in seinen Filmen oft humorvoll gesellschaftliche Missstände widerspiegelt“, so Berlinale-Direktor Dieter Kosslick. Angefangen hat alles in Nuneaton unweit von Brimingham. Weil sich sein Vater in einer Fabrik in die Führungsetage hocharbeitet, lernt Loach zu schätzen, was es heißt in einem warmen Bett zu schlafen und einen vollen Kühlschrank zu haben. Obwohl er sich anfangs der vom Vater gewünschten Jura-Karriere zuwendet, wechselt er bald das Fach und wird Regisseur. Zunächst im Theater, dann bei der BBC. 1966 sorgt er mit seinem ersten TVDrama für Aufsehen. Nachdem „Cathy Come Home“ über die Bildschirme geflimmert ist, folgen unzählige Anrufe, sodass die Telefonleitungen der BBC zusammenbrechen. Alle wollen der Ar-

Ken Loach

Foto: dpa

beiterfamilie helfen, die in dem Doku-Drama in die Obdachlosigkeit abgleitet. Die Auswirkungen des Films sind so stark, dass der soziale Wohnungsbau auf die politische Agenda gesetzt wird. Mit dem Film „Kes“ gelingt ihm 1969 der Durchbruch. Eine

rührende Geschichte über einen Jungen und seine einzige Freude – einen Turmfalken. Nach einer Pause während der ThatcherJahre schafft es Loach 1993 trotz Verbote und geringer Einkünfte „Raining Stones“ zu vollenden. Verzweifelt versucht darin ein arbeitsloser Vater den Wunsch seiner Tochter zu erfüllen: ein Kommunionskleid. Die Berlinale-Hommage zeigt weitere Loach-Filme wie „Ladybird Ladybird“, „Mein Name ist Joe“, „The Navigators“ und „Looking for Eric“. Auch in seinen aktuellen Produktionen versteht es der 77-Jährige, das Publikum mit einer authentischen Geschichte, Laiendarstellern und Humor auf soziale Missstände aufmerksam zu machen. Programm der Hommage: www.berlinale.de


Klappe, die

Ein paar Sekunden Ruhe

KINO-KOPF

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enn die Jury da ist und endlich das Licht ausgeht, dann gibt es vor den Wettbewerbsfilmen eine bemerkenswerte Situation. Ein kurzer Vorspann läuft. Obwohl völlig unnötig, weist er darauf hin, dass dieser Film von der Berlinale präsentiert wird. Der bekannte Bär ist vor rotem Hintergrund zu sehen, dazu so etwas wie ein Feuerwerk und Musik mit reichlich Pathos.

„Zehn Jahre im Wanderkino“ Herr Winkelkotte, was war Ihr frühestes Kinoerlebnis? Das war die Realverfilmung vom „Dschungelbuch“ von Zoltan Korda. In den frühen 60ern in Westdeutschland, wie man heute sagt. Der hat mich nachhaltig beeindruckt. Welcher Film ist Ihr absoluter Liebling? Bis 1993 bin ich zehn Jahre mit einem Wanderkino durch die Lande gezogen. Es gab da einen Film, den habe ich immer wieder gern gesehen und gern gezeigt: Das war „Leuchte, mein Stern, leuchte“. Welche Rolle in einem Film würden Sie selbst gern übernehmen? Eigentlich wäre man doch gern ein cooler Typ, der einen guten Coup landet. Aber ich könnte mir auch vorstellen, einen Taxifahrer zu spielen. Sind Sie in diesem Jahr bei der Berlinale anzutreffen? Dieses Jahr bin ich wahrscheinlich nicht mehr dabei. Früher habe ich dort einmal gearbeitet. Dann ist viel digitalisiert worden, ein Haufen von Mitarbeitern wurde eingespart. Da war auch ich dabei. Thomas WinkelkoTTe organisiert das Kinoprogramm im Theater am Rand in Zollbrücke

Parabel gegen den Krieg Berlin (gd) Die Kamera ruht auf seinem Gesicht – Angst, Zweifel und Ausweglosigkeit spiegeln sich in den Augen des britischen Rekruten Gary. Wird er die Nacht im Feindesland überleben? Der Wettbewerbsbeitrag „’71“ von Regisseur Yann Demange arbeitet den Nordirland-Konflikt in schmerzvollen Bildern auf. Das geteilte Belfast gleicht einem Schlachtfeld. Kopflosigkeit allenthalben, Feuer in den Straßen und Mütter, die ihre Kinder an die Hand nehmen. Kinder, die später selbst zu Mördern werden. Blicke und oftmals bedrückende Stille sagen in „’71“ mehr als Worte. Eine universelle Antikriegsparabel, die berührt. Sonnabend, 9.30 Uhr Zoo Palast, 15 Uhr, Friedrichstadt-Palast, 19 Uhr, Haus der Berliner Festspiele; Sonntag, 18 Uhr, Berlinale-Palast

K Ungleiches Gespann: Wolf Loulou und Kaninchen Tom sind tatsächlich beste Freunde.

Foto: 2013 Prima Linea Productions/France 3 Cinéma/ Belvision

Augenschmaus für junge Cineasten Sektionen für den Nachwuchs setzen auf Animationsfilme und ungewöhnliche Erzählweisen

Von BarBara Breuer Berlin. Zwei Kumpel, ein Ziel, und los geht die Fahrt: Der junge Wolf Loulou und sein Freund Tom, das Kaninchen, wollen Loulous totgeglaubte Mutter finden. Sie soll weit weg leben in Wolfenberg. Das ist gar kein heimeliger Ort: Grausame Raubtiere lassen dort ihrem Hunger freien Lauf. Doch der alte Herrscher hofiert Loulou und will aus ihm einen „echten Wolf“ und anscheinend seinen Nachfolger machen. Währenddessen wittert Tom hinter der vermeintlichen Freundlichkeit des Herrschers Gefahr. Der liebevoll reduziert gezeichnete Trickfilm „Loulou, das unglaubliche Geheimnis“ ist in wundervolles Licht getaucht. Die ab sieben Jahren empfohlene Geschichte um eine starke Freund-

schaft zweier ungleicher Tiere ist jedoch nichts für ängstliche Gemüter. Zu gruselig ist die Atmosphäre auf dem Schloss mit seinem Blut trinkenden Herrscher. Am Freitag hat die französische Produktion die Sektion Generation Kplus der Berlinale eröffnet. 1660 Beiträge hat Sektionsleiterin Maryanne Redpath mit ihrem Team gesichtet, um die ungewöhnlichsten und schönsten 60 Kurz- und Langfilme aus 35 Ländern für das Rennen um den Gläsernen Bären zu finden. „Wir haben einen qualitativ außergewöhnlich hochwertigen Jahrgang an Animationsfilmen“, erklärt Redpath, „und deshalb zeigen wir diese Filme auch schwerpunktmäßig.“ So sind bei der inzwischen 37. Kinderfilmschau fast die Hälfte aller langen Filme animiert. Und wie es

sich für ein Filmfestival gehört, gibt es nicht nur niedliche Tierchen. Stattdessen kämpft „Tante Hilda“ gegen Genmanipulation und Jack, in dessen Brust eine Uhr und kein Herz schlägt („Jack und das Kuckucksuhrenherz“),

Beinahe jeder zweite Beitrag bei Generation Kplus ist animiert verliebt sich, obwohl er das eigentlich gar nicht darf. Anders in der Reihe Generation 14plus, die dieses Jahr vor allem Coming-of-Age-Filme abseits konventioneller Sehgewohnheiten zur Aufführung bringt. „Wir suchen immer nach Überraschungen, Entdeckungen

und haben viele Beiträge gefunden, die formal sehr auffällig sind“, so Redpath. Den Auftakt macht Regisseur Stuart Murdoch, Sänger der schottischen Band „Belle and Sebastian“, mit seinem Debüt „God Help the Girl“. Im Zentrum des Musicals steht die 25-jährige Eve. Sie ist magersüchtig und flieht aus dem Krankenhaus, um sich der Musik zu widmen. Als der Gitarrist James sie singen hört, verliebt er sich in ihre Stimme. Und so ist der feminine Nerd sofort dabei, als Eve mit ihm und seiner Gesangsschülerin Kessie eine Band gründen will. Die Mädchen tragen tolle Kleider im 60er-Jahre-Stil, gemeinsam schlendern sie durch Glasgow, gehen paddeln und singen viel. Leider fehlt es den Figuren an Tiefgang, um über die gesamte Filmlänge zu fesseln.

Den Nachwuchs zieht es in die Welt Maximilian Leos „Hüter meines Bruders“ eröffnet Perspektive Deutsches Kino Berlin (mpu) „Was ist so geil an Pietschis Leben?“ Eigentlich ahnt Gregor (Sebastian Zimmler) die Antwort. Er will sie nur nicht wahrhaben. Pietschi (Robert Finster) ist frei. Er hat keinen festen Job, keine feste Freundin, keinen festen Rhythmus. Sein Leben ist völlig anders als das seines Bruders Georg. Der ist erfolgreicher Arzt und glücklicher Ehemann. Georg ist zufrieden. Bis er sich auf die Suche nach seinem Bruder macht. Mit Pietschis Verschwinden beginnt „Hüter meines Bruders“, der Eröffnungsfilm der Perspektive Deutsches Kino. Als die Brüder wie jedes Jahr Segeln gehen wollen, macht sich Pietschi aus dem Staub. Während Georg ihn sucht, taucht er in dessen Leben ein. Er bezieht seine Wohnung, schläft erst in Pietschis Bett und dann mit seiner Ex-Freundin. Er weiß genau, was so geil ist an Pietschis Le-

Gerät aus der Spur: Gregor (Sebastian Zimmler) taucht in das Leben seines Bruders ein. Foto: Matteo Cocco ben. Er weiß nur nicht, ob es auch ihm liegen würde. Die Suche nach Pietschi wird mehr und mehr zur Suche nach sich selbst. „Hüter meines Bruders“ von Maximlian Leo sei ein „typischer Perspektive-Film“, kündigte Sektionsleiterin Linda Söff-

ker an. Typisch insofern, als oft Themen wie die eigene Familie, Trennungen und Verluste verhandelt werden. In diesem Jahr komme ein weiteres Motiv hinzu: Viele junge Filmemacher finden ihre Geschichten im Ausland. „Man merkt, dass die

Welt zusammenrückt und die Flüge immer billiger werden“, sagt Söffker. Die Reisen führen bis nach Indien und Afrika. Zwei Dokumentationen wurden in Kirgisien gedreht. Alle 14 Filme vereint, füllen „die große Leinwand – durch ihre Geschichten und durch ihre Bildgewalt“, so die Sektionschefin. Dass das nicht mit Opulenz einhergehen muss, zeigt „Hüter meines Bruders“. Obwohl die Bildsprache von einem klaren Farbkonzept geprägt ist, drängt sie nicht in den Vordergrund. Sparsam eingesetzt, ergänzt sie die Geschichte: Je dunkler das Blau wird, desto tiefer versinkt Gregor in Pietschis Leben – und desto mehr verliert er sich. Hüter meines Bruders: Sonnabend, 13 Uhr, Colosseum 1, 20 Uhr, Hebbel am Ufer 1, 20.30 Uhr, Cinemaxx 1, Sonntag, 21.30 Uhr, Toni & Tonino

Das gelingt mutigeren Regisseuren weitaus besser. So wie Bas Devos mit seiner Produktion „Violet“. Darin muss Protagonist Jesse den Mord an seinem besten Freund verarbeiten, für den er sich schuldig fühlt. Einerseits hält der Regisseur den Zuschauer durch seine experimentelle Erzählweise auf Abstand, andererseits macht er durch den ungewöhnlichen Einsatz von Geräuschen spürbar, wie sich der Jungen in sein Innerstes zurückzieht. Filme wie dieser treffen nicht den Geschmack der Masse. Aber ihre Macher verlassen ausgetretene Pfade und schaffen so cineastische Erlebnisse auf die sich heranwachsende BerlinaleBesucher freuen können. Programm der Generation: www.berlinale.de

Das schwere einfache Leben Berlin (mpu) 18 Jahre im Gefängnis haben William Garnett (Forest Whitaker) geläutert. Der verurteilte Mörder aus „Two Men in Town“ wünscht sich nichts mehr als ein einfaches Leben: Familie, Haus, Rasen und Rasenmäher. Trotz treuer Freundin und resoluter Bewährungshelferin wird ihm das nicht gelingen. Zwei Männer stellen sich ihm in den Weg. „Two Men in Town“ erzählt Garnetts Geschichte in großen Bildern. Die weite Landschaft wird in endlosen Panoramen eingefangen, die Menschen darin sind zierlich. So groß wie die Bilder ist die Geschichte des Films dann allerdings doch nicht. Ein erwartbarer Schritt folgt auf den nächsten. Das nimmt Garnetts Schicksal nichts von seiner Dramatik, dem Film aber seine Spannung. Sonnabend, 9.30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele, 12 und 21 Uhr, Friedrichstadt-Palast

Last auf schmalen Schultern

Berlin (MZV) Zweiter Festivaltag, erster deutscher Beitrag im Rennen um den Goldenen Bären. Den wird es für „Jack“ wohl nicht geben. Einen Silbernen hätte Hauptdarsteller Ivo Pietzcker aber durchaus verdient. Der Elfjährige trägt das dokumentarisch angehauchte Drama auf seinen schmalen Schultern. Er spielt Jack, einen verantwortungsbewussten Jungen, der mit seiner alleinerziehenden Mutter Sanna (Luise Heyer) und dem jüngeren Bruder Manuel in Berlin lebt. Sanna ist überfordert mit den Kindern. Nicht dass sie die beiden schlecht behandeln würde. Wenn sie da ist, zeigt sie Einfühlungsvermögen und geht

liebevoll mit den beiden um. Wenn sie da ist. Sanna aber will nichts von ihrer jugendlichen Freiheit preisgeben. Sie ist lange mit Freunden unterwegs, bringt häufig Männer mit nach Hause. Jack ist das alles andere als recht. Trotzdem tut er, was getan werden muss. Er kümmert sich um Manuel (Georg Arms) und kann einen Unfall daheim doch nicht verhindern. Das Jugendamt greift ein, Jack muss in ein Heim. Dort hält er es nicht lange aus: Ein älterer Junge schikaniert und quält ihn, bis Jack seinen Peiniger im Affekt mit einem Ast niederstreckt. Der Junge ist ohnmächtig und Jack schockiert über seine Tat. Er läuft fort, zurück in die Stadt. Seinen Bruder findet er recht bald, die

Mutter hat ihn bei einer Freundin abgegeben. Für einen Tag, wie sie sagte. Als sie verschwunden bleibt, machen sich Jack und Manuel auf die Suche. Regisseur Edward Berger findet das richtige Maß. Schauspielführung, Dialoge, Kamera, Musik: Das weiß alles zu überzeugen. Dabei ist seine zurückhaltende Inszenierung dem Sozialen Realismus des auf der Berlinale geehrten Ken Loach nicht unähnlich. Das Problem liegt in der Glaubwürdigkeit des Plots. Schon dass zwei Kinder mit Sack und Pack tagelang durch Berlin irren, ohne Hilfe angeboten zu bekommen, macht einen stutzig. Dass aber sämtliche Bekanntschaften der Mutter die beiden ausnahms-

Mehr zu diesem Thema: www.moz.de/berlinale

Mathias Puddig

SPLITTER Jury besucht die Kanzlerin

Die Berlinale-Jury unter Vorsitz von US-Produzent James Schamus ist als Gesprächspartner gefragt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die acht Mitglieder für Donnerstag zu einem Empfang ins Kanzleramt geladen. Bereits am Sonntag gibt es das traditionelle Mittagessen mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). (dpa)

Scorsese zeigt unfertiges Werk

Kurz vor Ende der Berlinale wird Regisseur Martin Scorsese das Festival beehren. Der Macher von Meilensteinen wie „Taxi Driver“ gewährt einen ersten, 90-minütigen Einblick in sein aktuelles Projekt „Untitled New York Review of Books Documentary“. Der Dokumentarfilm porträtiert eine Zeitschrift für amerikanische Zeitgeschichte. (MZV)

Freitag, 15 Uhr, Haus der Berliner Festspiele

Grand Budapest Hotel (USA/Deutschland)

los zurückweisen, ist wirklich schwer zu glauben. Ein Umstand, der auf Dauer frustriert und den Zuschauer auf Distanz gehen lässt. Doch dank Ivo Pietzcker und seinen überzeugenden Kollegen lässt einen der Ausgang der Geschichte dann doch nicht kalt. „Jack“ ist Pietzckers erster Einsatz auf der Leinwand. „Das Schauspielern macht mir extrem viel Spaß“, sagt er auf der Pressekonferenz im Stile eines Profis und fügt an: „Aber ich sehe das nicht so als meine Bestimmung an.“ Also doch keine Karriere beim Film? Es wäre ein Jammer. Sonnabend, 9.30 und 18 Uhr, Friedrichstadt-Palast, 12.30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele

itschig und überflüssig, würde man meinen. Aber nur, solange man nicht dabei gewesen ist. Läuft der Vorspann erst einmal, herrscht nämlich Ruhe im Saal. Kein aufgezwungenes Schweigen, sondern eine entspannte Stille. Selbst das sonst bei der Berlinale permanente Hüsteln verstummt. Jetzt ist der Moment, zu hoffen, dass genau dieser Streifen derjenige ist, der alle umhauen wird. Die Hoffnung ist bei der Berlinale rot – und manchmal viel zu kurz. Sind Bär und Feuerwerk nämlich verschwunden, ist man nicht nur mit der Wirklichkeit des Films konfrontiert. Auch das Hüsteln fängt wieder an.

FILM-Wertung

Im ersten von vier deutschen Wettbewerbsbeiträgen betritt ein junges Talent die Filmbühne

Von Simon Rayß

2.

★★★★★ Jack (Deutschland)

★★★ Two Men in Town (Frankreich/Alg./USA/Bel.)

★★★ ’71 (Großbritannien)

★★★

Vertauschte Rollen: Jack (Ivo Pietzcker) trägt mehr Verantwortung als seine junge Mutter (Luise Heyer). Foto: Jens Harant

5 Sterne: herausragend, 4 Sterne: sehenswert, 3 Sterne: annehmbar, 2 Sterne: uninteressant, 1 Stern: indiskutabel


Auf dem Teppich top, im Kino Flop Berlin (gd) Da gab George Clooney am Sonnabend auf der Pressekonferenz vergeblich den Sonnyboy. Sein heiß erwarteter und auf der Berlinale außer Konkurrenz gestarteter Film „Monuments Men“ enttäuscht leider auf ganzer Linie. Bei dem in der Region gedrehten Hochglanzstreifen über eine Truppe von Kunstexperten der US-Army, die von den Nazis verschleppte Kunstschätze aufspüren sollen, hakt es an allen Enden. Patriotisch zieht man in den Kampf, untermalt mit Disney-Musik. Da kümmert es nicht, wenn der eine oder andere schlecht inszeniert auf der Strecke bleibt. Am mangelhaften Drehbuch kann selbst die hervorragende Besetzung von Matt Damon bis Bill Murray nichts ausrichten. Das war von Charmeur Clooney und seiner mitangereisten Starriege nicht wegzulächeln. Schade – aber dafür sorgten die Hochkaräter für den gewünschten Glamour und kreischende Fans auf dem roten Teppich.

KINO-KOPF

„20 Jahre war ich Dauergast“ Herr Bretschneider, was war Ihr frühestes Kinoerlebnis? Als ich fünf oder sechs Jahre alt war, gab es bei uns im Dorf ein Kino. Da bin ich zwei Mal in der Woche mit meiner Oma hingegangen. Die ersten Filme, an die ich mich erinnern kann, waren „Der Sänger von Capri“ über den Tenor Mario Lanza, „Flipper“ und der sowjetische Film „Rette sich, wer kann“. Welcher Film ist Ihr absoluter Liebling? Ich mag das Kino bestimmter Länder. So gibt es beispielsweise eine Reihe von Defa-Filmen, die mich begeistern. Den einen Lieblingsfilm könnte ich nicht nennen. Aber die „Blues Brothers“ sehe ich eigentlich immer gern. Welche Rolle in einem Film würden Sie selbst gern übernehmen? Nun ja, mir fallen mehrere Schauspielerinnen ein, an deren Seite ich gerne spielen würde. Greta Gerwig zum Beispiel oder Corinna Harfouch. Frauen, die meine Unfähigkeit zu überstrahlen wüssten. Sind Sie in diesem Jahr bei der Berlinale anzutreffen? 20 Jahre lang war ich ununterbrochen dort, seit fünf Jahren aber nicht mehr. Vielleicht schaue ich bei der Premierenfeier zu „Kreuzweg“ vorbei. Jürgen Bretschneider vom Projekt Filmernst, organisiert die Schulkinowochen in Brandenburg

Ausführliche Kritik folgt zum Kinostart am 20.2. Haben gut lachen: George Clooney (v.l.), Jean Dujardin und Matt Damon freuen sich über den Medienrummel, den sie mit ihrer Anreise in Berlin ausgelöst haben. Foto: dpa

Mehr Bilder zum Thema: www.moz.de/berlinale

Aus dem Publikum ins Rampenlicht Maria Dragus wird bei der diesjährigen Berlinale als deutscher Shootingstar gefeiert Von BarBara Breuer Berlin. Maria Dragus kennt viele Facetten der Filmfestspiele Berlin: Als Zuschauerin hat sie sich früher oft in die langen Warteschlangen eingereiht. Im vergangenen Jahr war sie Teilnehmerin der „Berlinale Talents“, wo Schauspieler Profis treffen und in Workshops von ihnen lernen dürfen. Den bisherigen Höhepunkt aber hält die diesjährige Berlinale für die 20-jährige Nachwuchsschauspielerin bereit: Heute wird sie zum deutschen Shootingstar 2014 gekürt. Maria Dragus kann sich noch gut an den Tag erinnern, als sie davon erfahren hat: „Ich saß gerade in der Maske, als meine Agentin mich anrief und mir erzählte, dass ich als Shootingstar ausgewählt wurde. Da bin ich vor Freude fast aus den Latschen gekippt.“ Ganz überraschend ist

Maria Dragus

Foto: Barbara Breuer

es aber nicht, dass die gebürtige Freibergerin sich auf Deutschlands wichtigstem Filmfestival präsentieren darf. Immerhin hat sie schon mit Michael Haneke

gedreht und 2010 für ihre Rolle als gedemütigte Pfarrerstochter in „Das weiße Band“ den Deutschen Filmpreis erhalten. Die junge Frau wirkt immer noch überwältigt davon, was in den vergangenen Jahren beruflich alles so passiert ist. Wenn Maria Dragus von dem Moment erzählt, als sie in Cannes „Das weiße Band“ zum ersten Mal gesehen hat, bekommt sie auf den Armen Gänsehaut. Eigentlich, war ihre Karriere nicht großartig geplant. Durch eine Freundin kam die damalige Schülerin der Dresdener Palucca Hochschule für Tanz auf die Idee, sich bei einer CastingAgentur anzumelden. Zuerst waren es nur kleine Rollen, dann das Vorsprechen für „Das weiße Band“. „Ich hatte einen Riesenrespekt vor dem Mythos ,Hanneke‘, bin zitternd vor ihn getreten und habe den Text vergessen“, sagt Maria Dragus.

Der Regisseur gab ihr trotzdem eine Chance – und sie bekam die Rolle. So machte die damals 13-Jährige am Set neben Burkhart Klaußner erste Gehversuche und übte mit Susanne Lothar in den Pausen ihren Text. Besonders reizen die Autodidaktin inzwischen Rollen, in denen sie anders sein kann als sie selbst. Wie in Bettina Blümners „Scherbenpark“ als Kaugummi kauende Teenagerin in Leoparden-Leggins, die unbedingt geschwängert werden will. Oder in Friederike Jehns „Draußen ist Sommer“, wo sie als heranwachsende Wanda versucht, die entzweiten Eltern zu einem erneuten Miteinander zu bewegen. Das muss Maria Dragus bei ihren eigenen Eltern nicht. Ihr Vater, ein rumänischer Solocellist, und ihre Mutter, eine sächsische Tänzerin, haben sie und ihre jüngeren Geschwister Josef und Pa-

raschiva stets gemeinsam unterstützt: „Sie haben uns immer die Richtung einschlagen lassen, in die wir gehen wollen“, sagt sie. Von ihrem Vater hat Maria Dragus Rumänisch gelernt und die Liebe zu Land und Leuten mitbekommen. Oft hat sie ihre Ferien bei den Großeltern nahe der moldawischen Grenze verbracht. „Mich stört, dass im Westen immer noch so viele Vorurteile über Rumänen kursieren. Die meisten Menschen dort arbeiten hart für ein besseres Leben“, sagt sie. Auch sie ist fleißig, büffelt per Fernstudium für ihr Abitur, tanzt, um fit zu bleiben, und dreht neue Filme. Und wenn die Zeit noch reicht, schreibt die 20-Jährige Drehbücher. „Zurzeit beschäftige ich mich mit dem Thema Fremdsein“, erzählt sie. „Besonders interessiert mich, warum Menschen für einige Leute offener als für andere sind.“

Pius-Bruderschaft, der die junge Maria auf ihre Kommunion vorbereitet. Gott ist ihr alles, der Gedanke, sich ihrem Glauben zu opfern, beherrscht sie ganz. Regisseur Dietrich Brüggemann („Drei Zimmer/Küche/Bad“) zeigt ihre Hingabe in 14 Kapiteln, benannt nach den Stationen, die Jesus auf dem Weg zur Kreuzigung absolviert hat. Jedes Kapitel fängt Brüggemann in einer Einstellung ein, die Kamera bewegt er kaum, auf Musik verzichtet er ganz. Diese Reduktion soll Marias Verzicht spiegeln, führt aber dazu, dass der Film unter der Last seiner

schematischen Inszenierung ächzt. Das Geschehen wirkt hölzern, die Dialoge unnatürlich. Zugute halten aber muss man „Kreuzweg“ seine eindrucksvolle Hauptdarstellerin. Die 14-jährige Lea van Acken macht glaubwürdig, wie sich eine junge Seele in einem Labyrinth aus Fanatismus heillos verlaufen kann. „Die geliebten Schwestern“, heute, 17 Uhr, Adria; „Kreuzweg“, heute, 9.30 und 18 Uhr, Friedrichstadt-Palast; 22.30 Uhr, International; Donnerstag, 21.30 Uhr, Thalia; Sonntag, 9.30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele

Festival fordert erste Opfer

G

esund kann das nicht sein. Für jeden Film stürzt Christian Bale seinen Körper in ein anderes Martyrium. 2004, „The Machinist“: runterhungern auf 55 Kilo. 2005, „Batman Beginns“: Muskelmassen rauf. 2010, „The Fighter“: erneut Heroin-Look. 2012, „The Dark Knight Rises“: Muskelmassen wieder rauf. Nun „American Hustle“: Muskeln weg, Bierbauch dran. Und wie sitzt er bei der Pressekonferenz? Schlank und rank, als wäre die leichteste Übung, solch ein Anhängsel wieder loszuwerden.

D

as kann man wohl den Einsatz eines wahrhaft Filmverrückten nennen. Ähnlichen Einsatz zeigen auch die Journalistenkollegen. Nach dem ersten Festivalwochenende weicht das Rot von den Wangen, Schlafmangel zeichnet sich in glasigen Augen und den Schatten darunter ab. Der ideale Look für eine Hauptrolle im nächsten Zombiefilm.

Simon Rayß

SPLITTER Filmfest zeigt Fernsehserie

Am Sonntag um 15 Uhr werden im Haus der Berliner Festspiele die ersten zwei Folgen der zweiten Staffel der TVProduktion „House of Cards“ zu sehen sein. Kevin Spacey spielt in der US-Serie einen rabiaten Politiker. (MZV)

Der Produzent und Verleiher Karl „Baumi“ Baumgartner („Bella Martha“) ist Träger des Ehrenpreises Berlinale Kamera. Der Südtiroler erhielt die Auszeichnung am Sonnabend für seine Verbundenheit mit dem Festival. (dpa)

Schauspieler Florian Stetter ist gleich bei zwei Wettbewerbsfilmen dabei der leidenschaftlichen Caroline (Hannah Herzsprung). Um die Dreiecksbeziehung ins Kino zu bringen, geht Graf, der für Krimis wie „Im Angesicht des Verbrechens“ bekannt ist, in die Vollen. Er nutzt kraftvolle Musik, Überblendungen, einen Erzähler und lässt die Figuren Briefe direkt in die Kamera einsprechen. Das schrammt immer wieder an unfreiwilliger Komik vorbei, vermag aber im Lauf der 170 Minuten zunehmend zu fesseln. Einen Part ganz anderer Art hat Florian Stetter in „Kreuzweg“ übernommen. Er spielt einen Pfarrer der erzkonservativen

3.

Ehrenpreis geht an Produzenten

Tausche Dichterrobe gegen Priestergewand Berlin (sir) Kaum ein Festivaltag vergeht, ohne dass ein deutscher Beitrag ins Rennen um den Goldenen Bären geht. Dabei verbindet die höchst unterschiedlichen Vertreter des Wochenendes neben künstlerischem Wagemut auch ein Schauspieler: Florian Stetter. Am Sonnabend ist der 36-Jährige als Schiller zu sehen, der sich in Dominik Grafs Melodrama „Die geliebten Schwestern“ in ein Geschwisterpaar verliebt. Eine historisch belegte Konstellation: der aufstrebende Dichter, hin- und hergerissen zwischen der überlegten Charlotte (Henriette Confurius) und

Klappe, die

FILM-Wertung Grand Budapest Hotel (USA/Deutschland)

★★★★★ Glaubensfragen: Maria (Lea van Acken) sucht geistige Führung bei Pater Weber (Florian Stetter). Foto: Berlinale

Jack (Deutschland)

★★★

Geschürte Angst

Lauern auf den Skandal

Two Men in Town (Frankreich/Alg./USA/Bel.)

Berlin (gd) „History of Fear“ ist ein Sittengemälde eines Landes in Paranoia. Reiche schotten sich am Rand der Großstadt gegen die unteren Schichten ab. Sie fürchten ominöse Gestalten, die in ihre Swimmingpool-Idylle einbrechen könnten. Vor einigen Jahren schürte die Politik in Argentinien während der Wirtschaftskrise die Ängste der Menschen, die Gesellschaft driftete auseinander. Vor diesem Hintergrund spielt das Debüt von Benjamin Naishtat. Bilder- und Klangwelten bestimmen die Ästhetik des Filmes. Durch diesen Fokus verliert sich jedoch jeglicher Handlungsstrang.

Die Langfassung von Lars von Triers heiß ersehntem „Nymphomaniac Vol. I“ hat mehr zu bieten als Sexszenen

’71 (Großbritannien)

Montag, 13 Uhr, Zoo Palast 1; 15.30, Friedrichstadt-Palast; 19 Uhr, Haus der Berliner Festspiele

Von Mathias Puddig Berlin (MZV) Nach zahlreichen Kloß-im-Hals-Filmen hat der Sonntag Abwechslung versprochen. Lars von Triers „Nymphomaniac Vol. 1“ feierte die Weltpremiere seiner ungekürzten Fassung. Nicht wenige hatten sich einen verruchten ArthousePorno versprochen. Deshalb zuerst die Zahlen: Verteilt auf 145 Minuten gibt es sechs Mal Sex in Nahaufnahmen, dazu 33 Fotos von Penissen und eine gynäkologische Untersuchung. Den Film darauf zu reduzieren, wird ihm jedoch nicht gerecht. Denn neben Sex geht es ums Fliegenfischen, Edgar Allen Poe, den Hamster Betty und Bachs polyphone Orgelwerke. Der rote Faden ist das Leben von Joe, einer Frau um die 50. Sie wird von

Ménage à trois: Joe (Charlotte Gainsbourg) mit Liebhabern Charlotte Gainsbourg gespielt. Bewusstlos wird sie von einem Unbekannten von der Straße aufgelesen. Er pflegt sie, und sie erzählt ihm ihre Geschichte: Schon als Mädchen wusste sie, dass sie

Foto: dpa

vom Sex besessen ist. Also nahm sie sich so viele Männer, wie sie kriegen konnte, und verzichtete auf Beziehungen. In fünf Kapiteln, in denen Stacy Martin die Rolle der jun-

gen Joe spielt, blickt der Film auf ihr Leben zurück; drei weitere folgen im zweiten Teil. Sie sei ein schlechter Mensch, sagt Joe von sich. Lars von Trier sieht das offenbar anders. Der Däne wirft einen geradezu zärtlichen Blick auf seine Heldin. Er verurteilt sie nicht, sondern zeigt tieftraurige Episoden, aber auch groteske und brüllend komische. „Nymphomaniac“ ist garantiert kein Porno. Vielmehr ist er dessen Gegenteil. Er zeigt nicht nur leeren, gefühllosen Sex, er weist auch auf die Leere hin. Ein Meisterstück, weil Sex schwieriger zu zeigen sei als Gewalt, wie Produzentin Louise Vesth auf der Pressekonferenz betont. Für Verwirrung sorgt Schauspieler Shia LaBeouf, der einen Liebhaber spielt und ein paar Plätze neben Vesth sitzt. Unrasiert, mit Base-

★★★

cap und Kaugummi im Mund zitiert er den Fußballer Eric Cantona: „Die Möwen folgen dem Fischkutter, weil sie glauben, dass die Sardinen wieder ins Wasser geworfen werden.“ Cantona hatte sich vor Jahrzehnten mit diesen Worten beschwert, dass die Journalisten immer nur auf Skandale lauerten. Von einem Skandal kann bei der Pressekonferenz hingegen keine Rede sein. Von Trier war sowieso bloß gekommen, um Fotos schießen zu lassen, nicht um Fragen zu beantworten. LaBeoufs Auftritt war unnötig – und dem wunderbaren Film vollkommen unangemessen. Heute, 12 Uhr, Friedrichstadt-Palast; 21.30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele, Sonntag , 21 Uhr, Berlinale Palast

★★★ Die Geliebten Schwestern (Deutschland/Österreich)

★★★ Kreuzweg (Deu./Fra.)

★★ History of Fear (Arg./Uruguay/Deu./Fra.)

★★ 5 Sterne: herausragend, 4 Sterne: sehenswert, 3 Sterne: annehmbar, 2 Sterne: uninteressant, 1 Stern: indiskutabel


Klappe, die

Eine Papiertüte stiehlt die Show

KINO-KOPF

A

ngesichts der ungewöhnlich warmen Temperaturen bleiben Kopfbedeckungen dieser Tage eigentlich im Schrank. Bei der Berlinale hingegen sind sie hip – besonders bei den angereisten Promis. So beglückte uns Bill Murray, wohl notgedrungen angesichts einer unansehnlichen Schramme am Kopf, mit Hut oder lässig verrutschtem Wollmützchen. Tilda Swinton begeisterte zum Auftakt mit einem explodierten Frisuren-Mob.

„Alle werden dort sein“ Herr Anders, was war Ihr frühestes Kinoerlebnis? Das war „In 80 Tagen um die Welt“ im Kino in Tharandt bei Dresden. Welcher Film ist Ihr absoluter Liebling? Den gibt es nicht. Sehr gern schaue ich mit meinen Kindern „Sneakers – Die Lautlosen“: Das ist keine große Kunst, aber ein wunderbarer Film. Obwohl aus den frühen Neunzigern ist er auch heute noch interessant. Aktuelle Probleme mit der NSA werden da schon angedeutet.

Mit Vernunft kommt er nicht weiter: Der brandenburgische Dorfpolizist Jakob (Michel Diercks) verdrängt seine Begierden erfolgreich, bis sie Gestalt annehmen. Dem Samurai (Pit Bukowski) kann er sich nicht mehr entziehen. Foto: Salzgeber

Jagdszenen am Jägerzaun

Welche Rolle in einem Film würden Sie selbst gern übernehmen? Argus Filch, den Hausmeister aus „Harry Potter“. Sind Sie in diesem Jahr bei der Berlinale anzutreffen? Wahrscheinlich schon. Entscheidend ist für mich, die Kollegen von anderen Festivals zu treffen. Die Leute vom österreichischen Festival „Der neue Heimatfilm“ sind mit denen vom Fußballfilmfestival „11 Millimeter“ befreundet. Und die werden alle dort sein. Kenneth Anders leitet das Filmfest „Provinziale“ in Eberswalde

Rächer auf dem Schneepflug Berlin (sir) Blutrot färbt sich der Schnee in der kleinen Stadt, in die Hans Petter Moland seine Schwarze Komödie „In Order of Disappearance“ gelegt hat. In dieser Einöde treffen eine norwegische und eine serbische Verbrecherbande auf einen stoischen Rächer. Der Schneepflugführer Nils (Stellan Skarsgård) hat seinen Sohn an die Gangster verloren und bringt nun einen nach dem anderen um die Ecke. Der Norweger Moland erzählt das mit Gespür für Timing und skurrile Figuren. Seine grelle Gewalt wird es zartbesaiteten Kinogängern jedoch schwer machen, den pointierten Witz zu genießen. Heute, 9 und 21.30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele, 12.30 Uhr, Friedrichstadt-Palast; Mittwoch, 18.30 Uhr, Passage; Sonntag, 18 Uhr, Friedrichstadt-Palast

SPLITTER Junge Fotografen testen sich Roter Teppich, große Stars oder ein Blick hinter die Kulissen – 13 junge Fotografen haben die Möglichkeit, sich bei der Berlinale als Profis zu testen. Die Arbeiten werden unter dem Motto „Close up“ ab Sonntag in einer Open-AirSchau vor dem Amerika Haus gezeigt. (dpa)

Dominik Graf lernt von Filmkritikern Regisseur Dominik Graf verfolgt das Kritiker-Echo gelassen „Ich bekomme es mit, und picke mir aus den Kritiken das heraus, bei dem ich mir sage: Da kann ich etwas lernen. Entweder über Kritiker oder über meinen Film.“ Graf tritt mit „Die geliebten Schwestern“ im Wettbewerb an. (dpa)

4.

Midnight Movies werden mit „Der Samurai“ und „Tape 13“ wiederbelebt

Von Mathias Puddig Berlin (MZV) Mit verdrängtem Verlangen ist das so eine Sache. Anfangs klappt das vielleicht noch ganz gut. Doch auf Dauer bahnen sich die Begierden ihren Weg. Sieht man sich dann plötzlich mit den eigenen Abgründen konfrontiert, können sie einen ins Alptraumhafte reißen. Genau das passiert dem brandenburgischen Dorfpolizisten Jakob (Michel Diercks). Der harmlose Held aus Till Kleinerts „Der Samurai“ versucht, immer alles richtig zu machen. Als Vertreter von Recht und Ordnung steht er für Vernunft – manchmal etwas zu sehr. Nicht nur seine Altersgenossen in dem kleinen Nest

machen sich über ihn lustig, wenn er mal wieder kurz davor ist, jemanden wegen einer Lappalie zu verhaften. Dass es in Jakob brodelt, ahnt er selbst nicht einmal. Bis ein merkwürdiger Mann im weißen Kleid, mit verfilztem Haar, knallrotem Lippenstift und Samuraischwert in den Wäldern auftaucht. „Bist Du bereit für die Taufe?“, fragt der Samurai (Pit Bukowski). Als hätte dieser eine Wahl. Das Gemetzel, das der Samurai anschließend veranstaltet, wird Jakob nicht aufhalten können. Geradezu hilflos beteuert er: „Das ist mein Revier.“ Als wenn er noch die Kontrolle hätte! Der Samurai macht ihm Angst. Doch er ist zugleich verführerisch.

Mit Kleinerts „Der Samurai“ und Axel Steins „Tape 13“ werden bei der Berlinale die Midnight Movies wiederbelebt, eine Reihe von Genrefilmen, die den einen oder anderen Streifen schon zum Kult werden ließ. Wobei „wiederbelebt“ hier nur auf „Der Samurai“ zutrifft. Steins Regiedebüt orientiert sich zwar an dem großen „Blair Witch Project“ und vermag auch zu erschrecken. Mitunter kommt der Streifen allerdings arg schlicht und gewollt daher. Für richtigen Grusel braucht es etwas mehr. „Der Samurai“ hingegen ist eine Wucht. Im Horror und im Western wildernd, schafft Kleinert eine eigene Stimmung zwischen Splatter und Homoerotik

Todkrankes Objekt der Begierde Altmeister Alain Resnais bringt Theaterstück auf die Leinwand Berlin (gd) Amateure proben für ein Theaterstück. Dort hinein bricht die Nachricht, dass Freund George schwer erkrankt ist und sterben wird. Vor allem für die Frauen gerät die Welt aus den Fugen. Heimliche Wünsche und Sehnsüchte brechen auf, in deren Mittelpunkt George als Objekt der Begierde für Verwicklungen sorgt. Mit „Life of Riley“ („Aimer, boire et chanter“) hat Alain Resnais bereits zum dritten Mal eine Bühnenvorlage des britischen Boulevardautors Alan Ayckbourn für eine Verfilmung gewählt. Die Komödie will jedoch nicht zünden. Vor allem zu lange Szenen-Übergänge ermüden.

Ein kleiner Trost: Auch Simeon (André Dussollier) kann Monica (Sandrine Kiberlain) kaum helfen. Foto: A. Borrel

Heute, 13 Uhr, Zoo Palast, 15.30 Uhr, Friedrichstadt-Palast; Mittwoch, 22 Uhr, Haus der Berliner Festspiele

und spielt mit Berliner Vorstellungen vom Leben auf dem Land. „Hast Du Angst vor den Leuten?“, fragt der Samurai den Polizisten. Er erwischt genau den wunden Punkt. Dass sein Film „Der Samurai“ eine Abrechnung mit Brandenburg ist, weist Regisseur Kleinert dennoch zurück. Eine „Angstliebe und zugleich eine große Sehnsucht“ verbinden ihn mit dem Umland, sagt er. Den Film versteht er als „verquere Liebeserklärung“. Er wisse, dass er an Grenzen gegangen ist. „Sonst würde das Ganze ja auch keinen Spaß machen.“ Doch die Statisten, die er auch an Drehorten wie Basdorf, Bernöwe, Briese, Neuendorf, Mittenwalde und Zühls-

dorf gefunden hat, nahmen das eher lustig. „Sie haben gerne mitgemacht und uns auch ihre Vorgärten zur Verfügung gestellt.“ Sie werden trotzdem gestaunt haben, als Kleinerts Team anfing, nachts einen Plastikflamingo in einem der Vorgärten niederzustrecken, dann das ganze Dorf zu verwüsten und anschließend eine Handvoll Einheimischer vor dem Feuerwehrgebäude zu köpfen. Doch so ist das eben mit verdrängten Begierden. Brechen sie sich erst einmal Bahn, kann der befreiende Akt ungeheuer alptraumhaft sein. „Der Samurai“: Mittwoch; „Tape 13“: heute und Freitag, jeweils 23 Uhr im Cinemaxx 1

Mehr sehen ohne Bilder

Experimenteller Film über blinden Masseur Berlin (tja) Seit er blind ist, sehe er einiges mehr als zuvor, sagt Yiguang. Der Masseur hat seine Sehkraft bei einem Bergwerksunglück in China eingebüßt, arbeitet seither in einem Massagesalon in Nanjing. Hier spielt der chinesisch-französischen Wettbewerbsbeitrag „Tui Na“. In ihm erhört und ertastet sich der Zuschauer das Unsichtbare – Geräusche, Gerüche, Sehnsüchte, Emotionen. Letztere schwängern wenig sinnlich die Luft in „Tui Na“. Die Kamera blinzelt zwei Stunden in das Leben der blinden Salon-Mitarbeiter. Unter ihnen der etwa 20-jährige Ma (Huang Xuan). Als Kind verlor er sein Augenlicht und seine Mutter. Nach einem Selbstmordversuch findet er Halt als Masseur in Nanjing. Dort trifft er unter anderem auf Doktor Wang (Guo

Xiaodong) und dessen Verlobte Kong (Zhang Lei), zu der sich Ma hingezogen fühlt. Die blinden und nichtblinden Darsteller, mit denen Regisseur Lou Ye arbeitete, agieren einfühlsam. Dennoch überbrücken sie kaum die unsichtbare Distanz zwischen der Welt der Sehenden und der Blinden. Mit einer extrem sensiblen Tonspur und experimentellem Kameraeinsatz skizziert Lou Ye das Leben in China. Um tiefer zu blicken, mag es helfen, die Augen auf den Roman von Bi Feiyu zu lenken, den Lou Ye adaptiert hat. So lässt der Regisseur einen in manchen Augenblicken beinahe blind zurück. Heute, 12 Uhr, Haus der Berliner Festspiele, 18 Uhr, FriedrichstadtPalast; Sonntag, 18.30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele

Zum Wochenende Partys statt Pause Stars, Filmemacher und viel Trubel bei den Galas und Empfängen der Berlinale Von Max-Peter Heyne Berlin. Was wäre die Berlinale ohne ihre Partys und Empfänge? Für viele Filmschaffende sind sie der wichtigste Teil der Berlinale, denn in der Film- und Fernsehbranche ist persönliche Begegnungen und gegenseitiges Vertrauen immer noch das wichtigste Kriterium, wenn gemeinsame Produktionen eingefädelt werden. Außerdem gilt die Kreativwirtschaft zunehmend als Aushängeschild für die Vitalität eines Landes. Deshalb lädt jede Vertretung eines Bundeslandes und nahezu jede ausländische Botschaft in Berlin zur Sause ein. Die deutschen Förderinstitutionen, etwa das Medienboard Berlin-Brandenburg, verbinden die großen Empfänge mit einer Leistungsschau ihrer geförderten Filme.

Begehrte Gäste waren vor allem jene Filmschaffende, deren Werke im Wettbewerb laufen. Dazu zählen Regisseurin Feo Aladag und ihr Hauptdarsteller Ronald Zehrfeld, der im Kriegsdrama „Zwischen Welten“ einen deutschen Kommandant der Afghanistan-Schutztruppe spielt. Die NRW-Filmstiftung hat zwar die Nase vorn, was die Anzahl der geförderten Filme im Berlinale-Programm betrifft. Dafür ist der Promi-Faktor beim Medienboard-Empfang noch um einiges größer. Schließlich ziehen immer mehr Schauspieler an die Spree. Angesichts der Enge, die im Ritz Carlton am Potsdamer Platz herrschte, könnte man meinen, es muss beim nächsten Mal aufs Tempelhofer Feld ausgewichen werden – zumal auch das Rauchverbot schnell wieder fiel. Zu den Hunderten Gästen zählt

auch das Filmteam der Komödie „Fuck ju, Göhte“ , das angesichts des großen Kinoerfolges in der Lage war, Medienboard-Chefin Kirsten Niehuus den Förderkredit zurückzuzahlen. Neben Film- und Fernsehstars wie Nina Hoss, Daniel Brühl, Florian David Fitz, Christiane Paul und den jeweils hochschwangeren Aktricen Yvonne Catterfeld („Sputnik“) und Karoline Schuch („Hannas Reise“) tummelten sich auch viele Filmemacher in der Menge. Regisseur Aron Lehmann freut sich, dass seine Komödie übers Filmemachen, „Kohlhaas oder Die Verhältnismäßigkeit der Mittel“ im März auf DVD erscheint. Er plant bereits seinen nächsten Film, „ein Roadmovie“, wie er sagt. Mehr zu diesem Thema: www.moz.de/berlinale

G

anz neu ist die braune Papiertüte. Nachdem er schon seinen Auftritt bei der Pressekonferenz mit einem denkwürdigen ÉricCantona-Zitat vorzeitig beendet hatte, flanierte der „Nymphomaniac“-Darsteller Shia LaBeouf damit auf dem Roten Teppich und stahl allen die Show. Er hat sogar selbst Hand an sein Modell gelegt, peppte es trendy mit der Aufschrift „I’m not famous anymore“ („Ich bin nicht mehr berühmt“) auf – wohl als Anspielung auf den jüngsten Skandal um ihn. Im Dezember hatte der „Transformers“-Star zugeben müssen, sich für einen Kurzfilm reichlich bei Kollegen bedient zu haben. Ob es der LaBeouf-Papiertüten-Trend in die Boutiquen schafft, ist es also äußerst zweifelhaft. Solcherlei bizarre Variante des Kopfschmucks wird wohl auch in Zukunft den durchgeknallten Größen der Filmindustrie vorbehalten sein.

Gitta Dietrich

FILM-Wertung Grand Budapest Hotel (USA/Deutschland)

★★★★★ Jack (Deutschland)

★★★ Two Men in Town (Frankreich/Alg./USA/Bel.)

★★★ ’71 (Großbritannien)

★★★ Die Geliebten Schwestern (Deutschland/Österreich)

★★★ Kreuzweg (Deu./Fra.)

★★ History of Fear (Arg./Uruguay/Deu./Fra.)

★★ Blind Massage (Frankreich/VR China)

★★★ In Order of Disappearance (Norwegen/Schweden/ Dänemark)

★★★ Life of Riley (Frankreich)

★★

Stars und Sternchen beim Medienboard: Regisseur Leander Haußmann und Lebensgefährtin Annika Kuhl Foto: Christine Kisorsy

5 Sterne: herausragend, 4 Sterne: sehenswert, 3 Sterne: annehmbar, 2 Sterne: uninteressant, 1 Stern: indiskutabel


„Wir sind alle Tiere“

Klappe, die

Der Schlaf der Gestressten

Schauspieler Stellan Skarsgård darüber, wie er sich und seinen inneren Teufel fit hält

KINO-KOPF

„Um Ideen zu sammeln“

G

erade als „Nymphomanin“ Charlotte Gainsbourg auf der Leinwand detailliert ihre Entjungferung schildert, spüre ich sanft den Kopf des Nebenmannes auf meiner Schulter. Der Gute ist eingenickt. Diagnose: Überdosis Film. Das kann schon mal passieren auf der Berlinale, bei der das Angebot so reichhaltig ist, dass manch einer meint, vier Filme am Tag sehen zu müssen.

Frau Kabel, was war Ihr frühestes Kinoerlebnis? Mein erster Kinobesuch war 1954 in Ilmenau. Ich habe „Wenn der weiße Flieder wieder blüht“ gesehen. Welcher Film ist Ihr absoluter Liebling? Da gibt es viele. Einer davon ist „Wer früher stirbt, ist länger tot“. Auch „Lotte in Weimar“ und „Herr Zwilling und Frau Zuckermann“ sind auf der Liste. Aber eigentlich sind es so viele, die kann man gar nicht alle nennen. Welche Rolle in einem Film würden Sie selbst gern übernehmen? Naja, vielleicht die Lehrerin in „Wer früher stirbt, ist länger tot“. Aber eigentlich habe ich keine schauspielerischen Ambitionen. Sind Sie in diesem Jahr bei der Berlinale anzutreffen? Ja, aber nur bei einer brancheninternen Veranstaltung. Die AG Kino zeigt Filme, die demnächst anlaufen. Da können wir für das Programm des Kleinen Kinos Ideen sammeln. Brigitte KaBel veranstaltet in Frankfurt regelmäßig das Kleine Kino

Nimmermüde: Stellan Skarsgård genießt die Arbeit am Filmset. Also wird er weiter drehen. Foto: dpa

Stellan Skarsgård ist der berühmteste Schauspieler Schwedens. Auf der Berlinale ist er gleich mit zwei Filmen im Wettbewerb vertreten: mit Lars von Triers „Nymphomaniac“ und der Schwarzen Komödie „In Order of Disappearance“ von Hans Petter Moland. Simon Rayß hat am Rande des Festivals mit ihm gesprochen. Herr Skarsgård, vier Filme mit Hans Petter Moland, sechs mit Lars von Trier: Was macht die Arbeit mit diesen beiden Regisseuren aus? Die Gemeinsamkeit ist, dass beide den Schauspielern viel Freiraum lassen. Aber Hans Petters Art mit der Kamera zu arbeiten, ist viel traditioneller. Von Trier lässt einen einfach von der Kette und folgt einem. Ich bin sehr glücklich, sie beide hier in Berlin zu haben. Sie sind Freunde, und ich empfinde die gleiche kreative Atmosphäre, wenn ich mit ihnen arbeite.

Jedes Jahr machen Sie mehr und mehr Filme. Werden Sie nicht irgendwann müde? Müde werde ich nicht. Einfach weil ich es so genieße. Ich bin gerne am Set. Ich mag die Energie. Den ganzen Tag bin ich am Set und laufe auf und ab. Damit halte ich mich fit. (lacht) „In Order of Disappearance“ hat einen sehr schwarzen Humor. Ist das auch Ihre Art von Komik? Ja, absolut. Ich denke, man sollte über alles lachen können.

D

Je mehr Tabus dabei gebrochen werden, umso besser. Der Film ist schon gewalttätig, und der Held macht mit Sicherheit nicht das Richtige – er bringt Leute um. Das Wichtige für mich aber war, dass alle Figuren echte Menschen sind. Jede einzelne ist mit Einfühlungsvermögen geschrieben. Die Gewalt in diesem Film, der Sex in „Nymphomaniac“: Sehen Sie die Gefahr, dass die Produktionen auf diese Bestandteile reduziert werden?

Zur Person Stellan Skarsgård wurde in seiner schwedischen Heimat durch eine Fernsehserie schon als Teenager berühmt. Sein internationaler Durchbruch gelang ihm auf der Berlinale: 1982 erhielt er den Silbernen Bären für seine Rolle als „Der einfäl-

tige Mörder“. Seit mittlerweile 25 Jahren ist Skarsgård auch in Hollywood erfolgreich. Die Spezialität des 1,91 Meter großen Hühnen sind tragende Nebenrollen wie in „Good Will Hunting“, „Mamma Mia!“ und zuletzt „Der Medicus“. (MZV)

Das glaube ich nicht. Die Sexualität in „Nymphomaniac“ ist nur so lange interessant, bis man den Film gesehen hat. Da ist das dann genauso interessant, als würde man Menschen beim Brei-Essen zusehen. Es ist einfach nicht sexy, man kann sich darauf keinen runterholen. Es wird einfach eine menschliche Verhaltensweise porträtiert, und die ist zufällig Sex. Was „In Order“ angeht, wollte Hans Petter durchaus einen brutalen Film machen. Die Gewalt sollte einfach nicht angenehm sein. Er gibt dem Publikum aber auch die Möglichkeit, über die Gewalt zu lachen. Das ist ein interessanter Konflikt. Sie sind Vater von acht Kindern. Können Sie mit dem Vater von „In Order of Disappearance“ mitempfinden, der seinen ermordeten Sohn rächt? Natürlich kann ich das. Vorstellen kann man sich diesen Hass leicht. Wichtig ist aber, dass

wir anerkennen, dass wir alle zu dieser Gewalt im Stande sind. Wir sind alle Tiere, eingehüllt in mehrere Schichten von Anstand und Sittlichkeit. Nur wenn man das erkennt, kann man auch daran arbeiten ihn nicht herauszulassen, diesen verdammten Teufel. Sie waren auf der ganzen Welt auf Festivals. Was macht die Berlinale besonders? Es ist eines der größten Filmfeste, definitiv. Vielleicht nicht so glitzernd wie Cannes. Aber intellektuell ist es das beste Festival der Welt. Schon im Wettbewerb dabei zu sein, ist toll. Ob wir was gewinnen oder nicht, kommt da an zweiter Stelle. Sobald ein Film fertig ist, beschäftige ich mich eigentlich nicht mehr viel mit ihm. Wenn ich ihn mag, mache ich die Pressearbeit gern. Und diese beiden hier mag ich.

Karten für die verbliebenen Vorstellungen werden online täglich ab 10 Uhr verkauft: www.berlinale.de

„Praia do Futuro“ ist ein Schatz am Wettbewerbsstrand

Heute, 12 Uhr, FriedrichstadtPalast; Sonntag, 21.30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele

Preis der Filmkritik für „Die andere Heimat“ Die Hunsrück-Geschichte „Die andere Heimat“ von Edgar Reitz ist vom Verband der Filmkritik zum besten Film des Jahres gekürt worden. „Der Film verbindet visuelle Klarheit, erzählerische Dichte und epische Breite“, befand die Jury. Gernot Roll erhielt für den Film den Preis als bester Kameramann. Die Auszeichnung wird seit mehr als 50 Jahren ausschließlich von professionellen Filmkritikern vergeben. (dpa)

Pierce Brosnan singt Geburtstagsständchen Pierce Brosnan hat bei der Berlinale eine Kostprobe seiner Gesangskünste gegeben. Nach der Premiere seines neuen Filmes „A Long Way Down“ stimmte er am Montagabend auf der Bühne des Friedrichstadt-Palastes ein Geburtstagsständchen für Regisseur Pascal Chaumeil an. Hunderte Premierengäste folgten seiner Aufforderung und fielen in sein „Happy Birthday, Dear Pascal...“ ein. (dpa)

Der Überlebende: Konrad (Clemens Schick, Foto) wird vor dem Ertrinken gerettet. Sein Freund Heiko versinkt im Meer. Foto: Alexandre Ermel

Zwei Fremde in Afghanistan

SPLITTER

„Zwischen Welten“ wagt sich an ein schwieriges Thema und trifft doch den richtigen Ton Von Simon Rayß Berlin (MZV) Lange Jahre hat sich Feo Aladag gänzlich der Schauspielerei verschrieben. Die Österreicherin spielt in Krimiserien und dem „Bergdoktor“, bevor sie sich 2010 hinter die Kamera wagt. In „Die Fremde“ erzählt sie die Geschichte einer Frau türkischer Abstammung, die sich in Deutschland um ein selbstbestimmtes Leben bemüht. Auch ihr zweiter Film beschäftigt sich mit einer Erfahrung von Fremdheit, diesmal in Afghanistan. Hier befindet sich der Bundeswehrhauptmann Jesper auf Auslandseinsatz. Er hat das Kommando über einen deutschen Trupp, der die einheimischen Streitkräfte unterstützen und die Bevölkerung schützen soll. Es ist sein zweiter Einsatz in Afghanistan, eine Familie in Deutschland hat er nicht. Auch sein Bruder war am Hindukusch und ist nach einem Selbstmordattentat nicht mehr nach Hause gekommen. Jespers Dolmetscher wiederum ist in Afghanistan zu Hause – trotzdem steht er zwischen den

Zum zweiten Mal am Hindukusch: Bundeswehrhauptmann Jesper (Ronald Zehrfeld) Foto: Independent Artists Filmproduktion Fronten. Tarik ist ein Ausgestoßener. Einige Landsleute sehen in ihm einen Verräter und bedrohen ihn. Tarik aber arbeitet weiter mit den Deutschen zusammen und hofft auf ein Visum. Unter den Bundeswehrsoldaten ist er aber ebenso wenig will-

260 000 Karten verkauft

Heute, 18 Uhr, FriedrichstadtPalast; 22.30 Uhr, International; Sonntag, 12.30 Uhr, Berlinale Palast

„Stratos“ scheitert an seiner Redundanz

Berlin (tja) Angst, Mut, Liebe, tief und aufgewühlt wie das Meer, Romantik, Tragik und Erotik – das spült der brasilianische Regisseur Karim Aïnouz als Schatz an den Wettbewerbsstrand. In „Praia do Futuro“ verzichtet der in Berlin lebende Aïnouz auf Gute-Laune-SambaKlischees über Brasilien. Präzise, ruhige Bilder, darunter viele Berlin-Aufnahmen, tragen wie Wellen über 106 Minuten das Abenteuer, auf das sich Hauptfigur Donato (Wagner Moura) einlässt. Der erfahrene, gut gebaute Rettungsschwimmer verliert den ertrinkenden Heiko vor der Küste

Simon Rayß

von Praia do Futuro (Strand der Zukunft) an den Atlantik. Konrad, Heikos Easy-Rider-Freund, überlebt unverletzt. Donato versenkt seine Vergangenheit, folgt Konrad nach Berlin. Intensiv ist ihre romantische Liebe, bis sie im Großstadtmeer untergeht und Donatos kleiner Bruder Ayrton (Jesuita Barbosa) auftaucht. Ein wunderbarer Film über Helden, die neugierig-kompromisslos neue Ufer erkunden.

Neue Ufer erkunden

rode Gesellschaft, zeigt im kriminellen Milieu den skrupellosen Umgang miteinander. Immer wieder wird auf Stratos eingeredet, er wird beschimpft und gedemütigt. Mit stoischer Miene erträgt er es. An dieser Redundanz hapert der Erzählfluss. Die auf 137 Minuten ausgewalzte Geschichte langweilt schnell. Schade vor allem um den Darsteller des Stratos, Vangelis Mourikis, der durchaus zu fesseln weiß.

Mehr zu diesem Thema: www.moz.de/berlinale

abei lohnt die Enthaltsamkeit. Sie erspart Ausflüge in verunglückte Erstlingswerke und bewahrt dem Kinogänger genug Stehvermögen, um Lars von Triers Festivalhöhepunkt nicht zu verschlafen. Der lässt gerade Uma Thurman als gehörnte Ehefrau über die Leinwand wüten. Sie schreit, der Nebenmann schreckt hoch. Ihm entfährt ein kurzes, schnaubendes Lachen – und schon ist er wieder hinübergedämmert in den Schlaf der Gestressten.

Berlin (MZV) Bis zur Halbzeit hat die Berlinale 260 000 Tickets verkauft. Der Besucherandrang sei „erneut überwältigend“, ließ das Festival am Dienstag mitteilen. Zahlreiche Eintrittskarten seien in diesem Jahr nicht über die Ladentheke gegangen, sondern über den neuen Service „print@ home“ gekauft worden. „Wir freuen uns über volle Kinosäle und neugierige Besucher, die auch in diesem Jahr wieder voller Begeisterung auf filmische Entdeckungsreisen gehen und die Berlinale zu diesem ganz besonderen Ereignis machen“, so Festivaldirektor Dieter Kosslick.

Eine Frage der Ehre Berlin (gd) Nach außen ist er angepasst, nachts schuftet Stratos in einer Backfabrik. Am Tag entpuppt er sich jedoch als Auftragskiller. Kühl zieht er die Waffe, gewissenlos drückt er ab. Das tut er, um den Gefängnisausbruch von Leonidas zu finanzieren. Der rettete ihm einst das Leben. Für Stratos ist es eine Frage der Ehre, sich zu revanchieren. Als er das Geld beisammen hat, wird Leonidas jedoch in eine Falle gelockt. Im griechischen Wettbewerbsbeitrag „Stratos“ („To Mikro Psari“) blickt Regisseur Yannis Economidis in eine ma-

5.

kommen. Nur Jesper zeigt Interesse für den jungen Afghanen. Mit Ronald Zehrfeld und Mohsin Ahmady tragen zwei grundverschiedene Schauspieler diesen einfach gehaltenen, geradlinig erzählten Film. Für Ahmady ist es sein erster Einsatz

als Schauspieler, der Ausflug zur Berlinale seine erste Reise aus Afghanistan. Zehrfeld hingegen ist das Rampenlicht gewöhnt. Auch für den Wettbewerbsfilm „Die geliebten Schwestern“ schritt er über den roten Teppich. Mit „Zwischen Welten“ hat Feo Aladag erneut eines schwierigen Themas aufgegriffen und trifft abermals den richtigen Ton. An Stellen, an denen der Film die Moralkeule zu schwingen droht, verzichtet sie auf einfache Antworten. Nach der Pressevorführung gibt es dennoch einige Buhrufe. Ein weiterer aufrichtiger Bundeswehrsoldat im Zentrum eines deutschen Films ist wohl nicht für jeden zu akzeptieren. Ein Einwand, dem „Zwischen Welten“ mit erfrischender Konsequenz entgegentritt: Der menschelnde Hauptmann folgt auch in der Struktur des Militärs zu allererst seinem Gewissen – und scheitert folgerichtig. Heute, 9.30 und 15.30 Uhr, Friedrichstadt-Palast, sowie 19.30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele; Sonntag, 15.30 Uhr, Berlinale Palast

FILM-Wertung Grand Budapest Hotel (USA/Deutschland)

Blind Massage (Frankreich/VR China)

★★★★★

★★★

Jack (Deutschland)

In Order of Disappearance (Norwegen/Schweden/ Dänemark)

★★★ Two Men in Town (Frankreich/Alg./USA/Bel.)

★★★ ’71 (Großbritannien)

★★★ Die Geliebten Schwestern (Deutschland/Österreich)

★★★ Kreuzweg (Deutschland/Frankreich)

★★ History of Fear (Argentinien/Uruguay/ Deutschland/Frankreich)

★★

★★★ Life of Riley (Frankreich)

★★ Praia do Futuro (Brasilien/ Deutschland)

★★★★ Zwischen Welten (Deutschland)

★★★★ Stratos (Griechenland/Deutschland/ Zypern)

★★ 5 Sterne: herausragend, 4 Sterne: sehenswert, 3 Sterne: annehmbar, 2 Sterne: uninteressant, 1 Stern: indiskutabel


Kamasutra in 3D Abseits von rotem Teppich und Goldenem Bären trifft sich die Branche auf dem European Film Market Von Simon Rayß

KINO-KOPF

„Schon da gewesen“ Frau Kunst, was war Ihr frühestes Kinoerlebnis? Eine Aufführung des Films „Ferien auf Saltkrokan“, einer Verfilmung nach Astrid Lindgren. Welcher Film ist Ihr absoluter Liebling? „Manche mögen’s heiß“ von Billy Wilder. Welche Rolle in einem Film würden Sie selbst gern übernehmen? Das wäre die Rolle der Miranda Priestly in „Der Teufel trägt Prada“. Meryl Streep spielt sie. Sind Sie in diesem Jahr bei der Berlinale anzutreffen? Schon am Wochenende bin ich beim Empfang des Medienboard Berlin-Brandenburg und bei der Paula-Preisverleihung gewesen. Sabine KunSt

Berlin (MZV) Der Martin-Gropius-Baus ist erfüllt von babylonischem Stimmengewirr. Menschen in Sacko und Hemdkragen schieben sich durch das Gewühl, sitzen, verhandeln, telefonieren, essen und hacken auf die Tastaturen ihrer Laptops ein. An ihrem Hals baumelt ein Ausweis, ein so genanntes Badge, das ihnen Zutritt zum European Film Market, kurz EFM, gewährt. Der findet jedes Jahr im Februar als Teil der Berlinale statt und verwandelt den Museumskomplex unweit des Potsdamer Platzes in einen gewaltigen Marktplatz. Banner der verschiedenen Landeskinos schmücken die Säulen des hohen Atriums. Der Geruch der frischgedruckten Flyer und Branchenmagazine liegt in der Luft – muffig und neu zugleich, wie in einem gerade gekauften Auto. Ihre Reise haben die Gäste des EFM nicht zum Vergnügen angetreten. Sie wollen Geschäfte abschließen, Produktionen ankaufen, Rechte verkaufen und für Filmideen potente Geldgeber finden. „Der European Film Market ist Networking“, fasst Beki Probst zusammen. Seit 26 Jahren ist die gebürtige Türkin mit Wohnsitz in Bern Herrin des EFM, der in ihren Augen wie jeder andere Markt auch funktioniert. „Auf einem Markt gibt es Leute, die einen Stand aufbauen, um ihre Produkte zu präsentieren“, erklärt die charmante Dame in einer Mischung

ist Brandenburgs Ministerin für Wissenschaft und Kultur

Hölzerne Mörderjagd Berlin (gd) Leichenteilfunde verbreiten Ende der 90erJahre in einer nordchinesischen Kleinstadt Angst und Schrecken. Jahre später geschehen weitere Morde. Einen klassischen Krimi hat Diao Yinan mit „Black Coal, Thin Ice“ („Bai Ri Yan Huo“) verfilmt. Seine Zutaten sind zwei Einzelgänger, ein grummeliger Ex-Polizist und eine Femme Fatale. Die Schreckensfälle stehen mit ihr in Verbindung. Im damaligen Fall noch offiziell ermittelnd, verfolgt Zhang Zili die scheinbar unschuldige Wu Zhizhen auf eigene Faust, verfällt ihr. Regisseur Diao schafft mit seinen Bildern eine unterkühlte Atmosphäre, die Winterkälte kriecht regelrecht von der Leinwand. Die Geschichte wird hingegen sehr harmlos erzählt, hier und da gespickt mit blutigen Momenten. Die Figuren bleiben hölzern, Mitgefühl wird nicht geweckt. Heute, 12 und 21 Uhr, Friedrichstadt-Palast, 19 Uhr, Haus der Berliner Festspiele; Sonntag, 12.15 Uhr, Haus der Berliner Festspiele

Grande Dame des EFM: Beki Probst Foto: dpa

Klappe, die

Ikone gegen Homophobie

R

egisseur Karim Aïnouz zeigt in seinem Berlinale Beitrag „Praia do Futuro“ Sex zwischen Männern. Trotz Erotik, nackter Haut und wohl geformter Männerhintern dominiert das Thema Homosexualität den Film nicht. Vielmehr will Aïnouz das Schwulsein als eine normale Form der Liebe verstanden wissen. So setzt der in Berlin lebende brasilianische Regisseur unaufgeregt mit Körpersprache ein politisches Zeichen.

U

Buntes Treiben: Wo sonst Kunstwerke ausgestellt sind, suchen Vertriebsgesellschaften aus aller Herren Länder Abnehmer für ihre mehr oder weniger kunstvollen Filme. Foto: dpa aus Deutsch, Englisch und Französisch. „Dann gibt es Leute, die zum Markt gehen, um etwas zu kaufen. Und wieder andere, die einfach Neuigkeiten erfahren wollen. Genauso läuft es hier auch.“ Seit Beki Probst dabei ist, sind Markt und Festival gewaltig gewachsen – „wie siamesische Zwillinge“, wie sie sagt. „Der Umzug an den Potsdamer Platz vor 14 Jahren hat dem Festival eine andere Dimension gegeben. Berlin ist inzwischen ein Must-Be in der Branche“, erklärt sie und schiebt ein paar Zahlen hinterher: 8000 Teilnehmer sind mittlerweile beim EFM dabei, aus 65 Ländern. Aus den Seitengängen dröhnt dumpf der Showdown eines zu-

künftigen Kassenschlagers. In einem Labyrinth aus Stellwänden haben die Vertriebsgesellschaften ihre Stände aufgebaut, einige gar geschlossene Räume improvisiert. „Für ein wenig Privatsphäre“, sagt Beki Probst. Dort bekommen die Vertreter der Verleih-Firmen erste Ausschnitte der brandneuen Streifen zu sehen. „Das sind nicht unbedingt fertige Filme“, stellt die Marktleiterin klar. Oft würden einfach nur sogenannte Promo-Views gezeigt. Neben den Filmausschnitten sollen unzählige Poster auf kommende Großproduktionen und die obligatorischen Berlinale-Beiträge neugierig machen. Wohin der Besucher seinen Blick auch wendet: Überall schauen Schön-

„Aloft“ verliert sich in Symbolik

ser Handlungsstrang von einem zweiten, in dem der gesunde Sohn (Cillian Murphy), inzwischen erwachsen, sich auf die Reise zu seiner Mutter macht. Zu der hat er keinen Kontakt mehr, wohl auch, weil sie selbst Wunderheilerin geworden ist. „Aloft“ ergötzt sich an der eigenen Rätselhaftigkeit. Das Handlungsgestrüpp lichtet sich derart schleppend, dass der Zuschauer, als er die Geschichte durchschaut, das Interesse längst verloren hat. Dazu ist die Inszenierung zu prätentiös und „Aloft“ einfach zu langweilig. Heute, 12 und 21 Uhr, Friedrichstadt-Palast; Heute, 19 Uhr und Sonntag, 12.15 Uhr, Haus der Berliner Festspiele

Schlöndorff verfilmt den Kampf um Paris 1944 als Psychokrimi / Erstmals „Baal“ wieder gezeigt

Zähes Ringen: Nazi-General von Choltitz (Niels Arestrup) und der schwedische Diplomat Nordling (André Dussollier) Foto: Jerome Prebois Befehl: „Paris darf nicht oder nur als Trümmerfeld in die Hand des Feindes fallen.“ Da gelingt es dem schwedischen Diplomaten Raoul Nordling (André Dussollier), den Stadtkommandan-

ten von dem Befehl abzubringen. Katastrophe abgesagt. „Der Film ist weitgehend fiktiv, aber genau das hat mich gereizt“, erzählt Schlöndorff. „Dieser General hat bisher jeden

sucher am Sony Center ab und bringen sie von einem EFMStandort zum anderen: MartinGropius-Bau, Hotel Marriott, immer im Kreis, jedes Jahr aufs Neue. Zuverlässig wie Beki Probst, die auch jenseits der 70 immer wieder einen neuen European Film Market organisiert. „Ich betrachte jedes Jahr als neue Herausforderung“, sagt sie. Die Branche sei sehr dynamisch, da müsse man beweglich bleiben. Aber warum tut sie sich das noch an? Beki Probst hat darauf eine so einfache wie einleuchtende Antwort: „Film ist halt meine Droge.“ Mehr zu diesem Thema: www.moz.de/berlinale

„The Third Side of the River“ sieht schön aus, bleibt aber eintönig Berlin (mpu) Wann ist ein Mann ein Mann? Herbert Grönemeyer fragte das schon in den 80er-Jahren, und die argentinische Regisseurin Celina Murga sucht in ihrem Film „The Third Side of the River“ ebenfalls die Antwort. Klar ist: Nicolás, Celina Murgas jugendlicher Held, ist noch keiner. Viel zu groß ist die Verantwortung, die sein Stiefvater ihm aufbürdet. Der Schüler soll die Ranch führen und sich auf seine Arzt-Karriere vorbereiten. Nicolás erstickt an den Aufgaben. Bis er schließlich ausbricht. Das alles filmt Celina Murga anständig ab, für schöne Bilder hat sie ein Händchen. Für den Plot leider nicht, denn Nicolás’ Geschichte kommt arg eintönig daher. Was in ihm vorgeht,

Katastrophe abgesagt

Berlin (dpa) Volker Schlöndorff gilt als Experte für die dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte. In seinem neuen Film „Diplomatie“ greift der 74-jährige Regiestar ein Thema auf, das in Deutschland fast in Vergessenheit geraten ist – das Ringen um Paris im August 1944. Nach einem Theaterstück von Cyril Gély macht Schlöndorff daraus ein hochspannendes, brillant erzähltes Psychoduell. „Eigentlich hatte ich nie wieder einen Film über den Zweiten Weltkrieg und die Nazis machen wollen“, gestand der Regisseur vor der Berlinale-Premiere am Mittwoch. „Aber ich liebe Paris. Es ging um eine Herzensangelegenheit, da konnte ich nicht Nein sagen.“ Hauptfigur ist der deutsche General Dietrich von Choltitz, großartig gespielt von Niels Arestrup. Angesichts des Vormarsches der Alliierten hat er von Hitler den

heiten, Stars und Schund von den Wänden zurück. Obskure Werke wie „Black Water Vampire“, „She-Wolf Rising“ und „Kamasutra 3D“ suchen mit Plakaten, die nicht viel der Fantasie überlassen, nach risikofreudigen Käufern. Draußen, auf den Stufen des Martin-Gropius-Baus, schnappen Käufer, Verkäufer und Neugierige frische Luft, andere erholen sich bei einer Zigarette. Hierher verirrt sich auch der ein oder andere Tourist – die heiligen Hallen jenseits der gläsernen MuseumsDrehtür aber sind für sie noch bis zum Wochenende Tabu. Auch in die schwarzen Kleinbusse, die EFM-Shuttles, dürfen nur Geschäftsleute hinein. Die Shuttles holen die Markt-Be-

Ersticken an Verantwortung

Schweine und Wunder Berlin (sir) „Was soll das?“ Das fragen sich die Figuren in Claudia Llosas Wettbewerbsfilm „Aloft“ ein ums andere Mal. Dem Publikum geht es ähnlich. Die Peruanerin, 2009 für „Eine Perle Ewigkeit“ mit dem Goldenen Bären prämiert, benutzt gerne symbolhafte Bilder. So zeigt sie groß die Geburt eines Schweins und schneidet dann zum Sex zweier Schweinezüchter. Auf zwei Zeitebenen entwickelt die Regisseurin ihre Geschichte. Jennifer Connelly spielt die alleinerziehende Mutter, die von Berufs wegen Schweine zur Welt bringt. Einer ihrer Söhne ist krank, also bringt sie ihn zu einem Wunderheiler, an den sie aber nicht glaubt. Unterbrochen wird die-

6.

Befehl skrupellos ausgeführt. Was hat ihn dazu gebracht, seine Meinung zu ändern?“ Tatsächlich hat es mehrere Gespräche zwischen dem General und dem Emissär gegeben. Im Film sind diese Treffen auf die alles entscheidenden Stunden verdichtet. Durch einen Zufall ist bei der Berlinale auch noch zweiter, völlig anderer Film des Oscar-Preisträgers vertreten. Erstmals seit 44 Jahren konnte seine BrechtVerfilmung „Baal“ wieder gezeigt werden. Nach nur einer TV-Ausstrahlung hatte die Brecht-Witwe Helene Weigel eine weitere Verwertung verboten. Die Erben hoben den Bann jetzt auf – sie ließen sich überzeugen, dass der Film auch dokumentarische Bedeutung habe. Freitag, 21.30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele; Sonnabend, 18 Uhr, Cubix

Schlecht gelaunt: Nicolás (Alian Devetac) Foto: Tresmilmundos Cine

durch seine großen, furchtvollen Augen in sein Inneres blicken. Einem scheinbar grundlos miesepetrigen Jugendlichen zuzusehen, bringt allerdings weder Spaß noch Erkenntnis. Dabei wäre alles so einfach. Würde Nicolás einfach mal den Mund aufmachen, sich einem Freund oder einer der hier völlig marginalisierten Frauenfiguren anvertrauen, ließen sich seine Sorgen im Nu lösen. In Celina Murgas 80er-Jahre-Männerbild findet so etwas jedoch offenbar keinen Platz. Sie traut den Männern wenig zu.

wird lange nicht verraten. Die Handlung macht es nicht explizit, und Hauptdarsteller Alian Devetac lässt die Zuschauer nicht

Heute, 13 Uhr, Zoo Palast, 15 Uhr, Friedrichstadt-Palast, 22.30 Uhr, International; Sonntag, 17.30 Uhr, Zoo Palast

nbeabsichtigt politisch aktuell prangt auf dem Rücken von „Praia do Futuro“-Darsteller Clemens Schick das Tattoo einer russischen Ikone. Es sei seins, nicht das eines Körperdoubles, sagt Schick. Zufällig lässt es sich als Zeichen gegen die Homophobie der russischen Regierung gerade jetzt zur Olympiade in Sotschi deuten. Deutlicher und beabsichtigt zeigt dagegen Rainbow Flame Berlin Flagge. Wie ein Tattoo leuchtet die Regenbogenflahne vor einer olympischen Flamme am Potsdamer Platz, verkörpert so ein Zeichen für Toleranz gegenüber gleichgeschlechtlicher Liebe.

Antje Jusepeitis

SPLITTER Berlinale feiert Ken Loach

Zwar nicht überraschend, aber doch verdient wird heute der erste Goldene Bär überreicht. Ken Loach wird für sein Lebenswerk geehrt. „Wir verehren ihn als einen Menschen, der in seinen Filmen oft humorvoll gesellschaftliche Missstände widerspiegelt“, schwärmte Dieter Kosslick vorab. (dpa/MZV)

Die Stars im eigenen Wohnzimmer

Um bei den Berlinale-Pressekonferenzen dabei zu sein, braucht man keinen Pressezugang. Alle Zusammenkünfte sind live und archiviert auch online zu sehen. (MZV) http:www.berlinale.de

FILM-Wertung Grand Budapest Hotel (USA/Deutschland)

★★★★★

History of Fear (Argentinien/Uruguay/ Deutschland/Frankreich)

Jack (Deutschland)

★★

★★★

Blind Massage (Frankreich/VR China)

Two Men in Town (Frankreich/Algerien/ USA/Belgien)

★★★ ’71 (Großbritannien)

★★★ Die Geliebten Schwestern (Deutschland/Österreich)

★★★

★★★ In Order of Disappearance (Norwegen/Schweden/ Dänemark)

★★★ Life of Riley (Frankreich)

★★

Zwischen Welten (Deutschland)

★★★★ Stratos (Griechenland/Deutschland/ Zypern)

★★ The Third Side of the River (Argentinien/Deutschland/ Niederlande)

★ Aloft (Spanien/Kanada/ Frankreich)

Kreuzweg (Deutschland/Frankreich)

Praia do Futuro (Brasilien/Deutschland)

Black Coal, Thin Ice (VR China/Hongkong)

★★

★★★★

★★

5 Sterne: herausragend, 4 Sterne: sehenswert, 3 Sterne: annehmbar, 2 Sterne: uninteressant, 1 Stern: indiskutabel


Klappe, die

Unsichtbares Handwerk

KINO-KOPF

G

roße Geschichten sollen bei der Berlinale erzählt werden. In Filmen, deren Bilder für sich sprechen. Oft genug sprechen aber doch die Figuren, und fast genauso oft in einer Sprache, die der Zuschauer nicht versteht. Dass er dem Film trotzdem folgt, hat er den Menschen zu verdanken, die ihn untertiteln. Ein unterschätztes Handwerk, denn es ist unsichtbar.

„Kino ist ein Zauberland“ Herr Görner, was war Ihr frühestes Kinoerlebnis? Das war der russische Märchenfilm „Das Zauberpferdchen“. Das Pferd war wunderbar, der Film tricktechnisch sehr gelungen. Zum ersten Mal habe ich begriffen, was Kino für ein Zauberland ist. Welcher Film ist Ihr absoluter Liebling? Ich bin auf jeden Film neugierig. „Grand Budapest Hotel“ hat mich schwer beeindruckt. Wenn ich sehe, wie Regisseur Wes Anderson die historischen Normen verlässt und in ein Fantasieland eintaucht, dann begeistert mich das. Welche Rolle in einem Film würden Sie selbst gern übernehmen? Das weiß ich gar nicht. Da ich ja Sachse bin, könnte das nur eine sächsische Figur sein. (lacht) Sind Sie in diesem Jahr bei der Berlinale anzutreffen? Ich gehe zum neuen Film meines Freundes Volker Schlöndorff, „Diplomatie“. Außerdem haben wir von der Deutschen Filmakademie im Zoo Palast Säle reserviert, in denen wir die nominierten Filme für den Deutschen Filmpreis zeigen – noch bevor wir mit ihnen wieder nach Bad Freienwalde kommen. EbErhard GörnEr Autor und Regisseur, organisiert das „LolaFestival“ in Bad Freienwalde

Brutalo-Eastern statt Italowestern Berlin (sir) Wir haben einen Gewinner! Nein, einen Bären wird „No Man’s Land“ („Wu ren qu“) nicht bekommen. Dafür wäre dem chinesischen Wettbewerbsfilm ein Preis für die lustigsten Verleihfilmchen sicher. Schlachtengetümmel, Arbeiter-und-Bauern-Pathos und ein aufgeblasener Affe: Noch bevor die brutale Italowestern-Hommage begonnen hat, ist die Freude groß im Publikum. Leider hat das Werk selbst, das die Kinolandschaft zwischen „U-Turn“, „Mad Max“ und den Sergio-LeoneEpen plündert, die Leute nicht bei Laune halten können. Die Geschichte eines aalglatten Anwalts, der in der Peripherie Chinas einen Schurken vor dem Knast bewahrt und auf dem Rückweg durch die Steppe versehentlich dessen Komplizen überfährt, bedient sich durchaus gekonnt bei den Versatzstücken des Genres. Die Hitze flirrt schön über dem endlos geradeaus führenden Highway, auf dem sich der Anwalt bei seinen Vertuschungsversuchen immer weiter ins Unheil manövriert. Dazu spielt die Mariachi-Trompete und dengelt die Westerngitarre. Das Spiel mit den Klischees zieht der Film aber derart konsequent durch, dass es schnell vorhersehbar wird. Was bleibt, ist eine schwarzhumorige Fanveranstaltung. Mehr nicht.

U

Bewährter Schauplatz: Bisher gab es Kulinarisches Kino vor allem im vornehmen Spiegelzelt. Jetzt sorgt die Street-Food-Meile für eine preiswerte Alternative.

Auch Cineasten müssen essen

Foto: Berlinale

ntertitel fallen erst auf, wenn sie schlecht gemacht sind. Mit Grauen erinnern sich Zuschauer an die vergangene Berlinale, als die Doku „Boundary“ einen thailändisch-kambodschanischen Grenzkonflikt erklären wollte. Die Untertitel kamen und gingen viel zu schnell, verfasst in fürchterlichem Englisch. Das Publikum quatschte entweder oder schlief. Das Schnarchen war auch ohne Übersetzung deutlich zu verstehen.

Neben Sterneköchen gibt es in diesem Jahr auch Straßenkost beim Kulinarischen Kino Von Gitta Dietrich Berlin. „It’s great“, brubbelt Keith Miller mit vollem Mund und beißt noch einmal gierig von seinem Burger mit gerupftem Schweinenackenfleisch ab. So wie dem Briten geht es vielen Berlinale-Besuchern. Zwischen Doku, Kurzfilm und überlangem Kinostreifen lassen sie es sich im neuen Street-Food-Bereich auf dem Festivalgelände am Potsdamer Platz munden. Hier stehen sechs Verköstigungswagen mit außergewöhnlichen Leckereien. Die gesunden und nachhaltigen Kleinigkeiten der Kreuzberger Markthalle Neun haben Kultcharakter. Für die koreanischen Ramensuppen, Ceviche oder peruanischen Maismehltörtchen steht man Schlange. Die Idee für die Kooperation hatte Festivalleiter Dieter Kosslick, der eine kostengünstige Alternative suchte in der Sektion Kulinarisches Kino mit ihren bisher so stattlichen Eintrittspreisen von 85 Euro. Bereits zum achten

Mal bekochen in dieser Sonderreihe Sterneköche von Tim Raue bis zu den Roca-Brüdern im Spiegelzelt gegenüber vom MartinGropius-Bau das Publikum, anschließend werden Filme rund ums Schlemmen gezeigt. Das ist nicht jedermanns Sache. Für das weniger betuchte Publikum ist das „Essen auf der Straße“, in Kooperation mit Slow Food Berlin, nun eine wunderbare Ergänzung. „Sonst gab es nur etwas zum gehobenen Preis. Viele Leute kommen zurück, um sich bei uns zu bedanken“, sagt Alex Wolf von „Glut und Späne“, die mit Fischköstlichkeiten wie Lachs und Shrimps (rund 7 Euro) locken. „Echt toll, sonst gab es für den schnellen Hunger nur minderwertige Sachen“, meint Zsazsa von Ammon, die beruflich auf dem Filmfest unterwegs ist. Gerade genießt sie einen Guglhupf vom Café 9. Die Käsespätzle-Portion (5 Euro) von der rollenden Küche „Heißer Hobel“ war ihr doch zu klein, obwohl die mit gerösteten Zwiebeln,

schwarzem Pfeffer und Schnittlauch appetitlich aussieht. „Unser Käse ist etwas besonderes“, verrät der Allgäuer Florian Rohrmoser. Aus der Heimatkäserei der Familie stamme die Hauptzutat. Für die Premiere im Herzen Berlins haben er und seine Partnerin Myriam Touka einen alten DDR-Campingwagen flott gemacht. „Zuerst flogen die Einbauschränke raus, wir mussten ihn komplett entkernen.“ Aber wichtiger sei das Essen, das frisch und mit viel Liebe zubereitet werde, genau wie im benachbarten Barbecue-Stand von Anna Lai. Aufgeregt springt die quirlige Italienerin hin und her, behebt einen technischen Defekt an der Kasse und kümmert sich anschließend freudestrahlend um die Kunden. Arbeit sei die Berlinale weniger, man treffe Leute aus aller Welt, meint sie. Das Fleisch für ihre Spezialitäten (ab 6,50 Euro) stammt von artgerecht gehaltenen Schweinen und Rindern. Mit Eichenund Kirschholz wird es bis zu

Chefin am Grill: Anna Lai vorm Barbecue-Stand Foto: Gitta Dietrich 16 Stunden sanft gegart und erhält so seine rauchig-würzige Geschmacksnote. Freund Tobias Bürger kümmere sich wäh-

Wie die Zeit vergeht

Grand Budapest Hotel (USA/Deutschland)

Richard Linklater filmt für „Boyhood“ einen Jungen zwölf Jahre beim Größerwerden Von Mathias Puddig Berlin (MZV) Ob er denke, er sei etwas Besonderes, wird Mason (Ellar Coltrane) als Jugendlicher gefragt. Er verneint, und hat wohl recht. Masons Geschich te ist keine besondere. Als Kind erträgt er seine anstrengende Schwester, als Jugendlicher bricht erst seine Stimme und dann sein Herz. Er erlebt Höhen und Tiefen wie andere auch. Doch gerade das macht Richard Linklaters „Boyhood“ zu einem sehr besonderen Film. Vor mehr als einem Jahrzehnt ist Linklater mit dem Beginn von

„Boyhood“ ein großes Risiko eingegangen. Das Heranwachsen eines Jungen wollte er porträtieren. Die Rollen sollten stets von denselben Darstellern gespielt werden. Zwölf Jahre brauchte er für die Low-Budget-Produktion, eine Zeit, in der die Figuren und ihre Schauspieler heranwuchsen. Die Crew traf sich einmal im Jahr, um ein weiteres Kapitel im Leben von Masons Familie zu drehen. Jahr für Jahr wuchs das Material und wurde neu geschnitten. „Boyhood“ ist schließlich 164 Minuten lang. Riskant war die Produktion aber nicht nur wegen des Bud-

gets, sondern auch wegen der Darsteller. Würden sie, die als Kinder ins Projekt eingestiegen sind, die ganze Zeit mitspielen? Ob ihre Figur nicht sterben dürfe, fragte Linklaters Tochter Lorelei, die Masons Schwester Samantha spielt, einmal während ihrer Pubertät. Linklater lehnte ab: „Zu dramatisch.“ Dramatisch kommt dieser Film in der Tat nicht daher. Stattdessen wirft er einen ruhigen, intensiven und tief bewegenden Blick in das Leben einer Familie. Man lacht mit ihnen, und es gibt Kritiker, die gestern auch mit ihnen geweint haben.

rend der turbulenten BerlinaleZeit um den Stammplatz. „Und er sorgt für Nachschub“, erzählt sie. „In der Markthalle ist es nie langweilig, wie ein Spielplatz für Erwachsene.“ Anna Lai koordiniert für die Markthalle Neun eine weitere Gaumen-Premiere: das „Kulinarische Kino goes Kiez“ – mit 35 Euro auch etwas für den schmalen Geldbeutel. Heute Abend wird im Eiszeit-Kino nach dem Dokumentarfilm „Die Ritter der Lagune“ über Berufsfischer aus der Südtoskana ein Drei-Gänge-Menü serviert. Zirka 140 Leute finden dort Platz, um sich unter anderem Fischsuppe mit warmem Kastanienbrot schmecken zu lassen. Die Produkte werden sogar von den Film-Akteuren mitgebracht. „So gibt es Bottarga – das ist gepresster Meeräschenrogen und Räucherfisch“, sagt Anna Lai, aber soweit denkt sie noch gar nicht. Zunächst müssen jede Menge BBQ-Sandwiches an die Meute vor ihrem Imbiss verteilt werden.

Linklater und seine Darsteller bringen den Alltag einiger Menschen in Texas auf die Leinwand, und zugleich die Welt und wie sie sich verändert. Während die Mutter Olivia (Patricia Arquette) eine misslungene Ehe nach der anderen zu beklagen hat, werden klobige Handys durch iPhones ersetzt. Und wird „Boyhood“ zum Epos. Es ist ein großer Film, der einen Bären mehr als verdient hat. heute, 10 Uhr, Haus der Berliner Festspiele; 12.30 und 16.30 Uhr, Friedrichstadt-Palast; Sonntag, 21 Uhr, Friedrichstadt-Palast

★★★★★

SPLITTER Teddies für Mikesch und Praunheim

Auch in diesem Jahr wird wieder der schwul-lesbische Teddy-Award verliehen. Den Preis fürs Lebenswerk bekommen heute die Filmemacher Rosa von Praunheim und Elfi Mikesch. (dpa)

Bären-Verleihung läuft auf 3Sat

Wie die Eröffnung wird auch die Abschlussgala mitsamt Preisverleihung auf 3Sat übertragen. Beginn ist am Sonnabend um 19 Uhr. (MZV)

★★ Praia do Futuro (Brasilien/ Deutschland)

★★★

★★★★

Two Men in Town (Frankreich/Alg./USA/Bel.)

Zwischen Welten (Deutschland)

★★★

★★★★

’71 (Großbritannien)

★★★ Die Geliebten Schwestern (Deutschland/Österreich)

★★★

★★ History of Fear (Argentinien/Uruguay/ Deutschland/Frankreich)

★★ Blind Massage (Frankreich/VR China)

Foto: dpa

Life of Riley (Frankreich)

Jack (Deutschland)

Kreuzweg (Deutschland/Frankreich)

Ist der groß geworden: Ellar Coltrane verkörperte Jahr für Jahr die Hauptfigur des Films, Mason.

Mathias Puddig

FILM-Wertung

Heute, 9.30 Uhr, FriedrichstadtPalast; 13 Uhr, Zoo Palast; 22.30 Uhr, International; Sonntag, 12 Uhr, Friedrichstadt-Palast Mehr zu diesem Thema: www.moz.de/berlinale

7.

Stratos (Griechenland/Deutschland/ Zypern)

★★ The Third Side of the River (Argentinien/Deutschland/ Niederlande)

★ Aloft (Spanien/Kanada/ Frankreich)

★ Black Coal, Thin Ice (VR China/Hongkong)

★★

★★★

No Man’s Land (China)

In Order of Disappearance (Norwegen/Schweden/ Dänemark)

★★ Boyhood (USA)

★★★

★★★★★

5 Sterne: herausragend, 4 Sterne: sehenswert, 3 Sterne: annehmbar, 2 Sterne: uninteressant, 1 Stern: indiskutabel


SPLITTER

Märchenhafte Opulenz aus Babelsberg

„Das große Museum“ gewinnt Caligari-Preis

Außer Konkurrenz läuft die solide Märchenverfilmung „Die Schöne und das Biest“ KINO-KOPF

„Wäre gern die Eiserne Lady“ Frau Gramenz, was war Ihr frühestes Kinoerlebnis? Mein erstes Kinoerlebnis war 1961. Ich kann mich noch genau erinnern. Der Film hieß „Das singende, klingende Bäumchen“. Den schaue ich mir heute noch gerne an.

Ende gut, alles gut: Passend zum nahenden Filmfestfinale wurde das Volksmärchen „Die Schöne und das Biest“ („La belle et la bête“) mit Vincent Cassel und Nachwuchsstar Léa Seydoux in den Hauptrollen präsentiert. Glühwürmchen schwirren durch die Luft, um Schlossgeländer ranken sich prachtvolle Rosen, Tische biegen sich unter fetten Braten und anderen Schmausereien. Der französische Regisseur Christophe Gans hat für seine in der Bildsprache überbordende Interpretation die Babelsberger mit ins Boot geholt. Das deutsche Kreativteam hat detailverliebte Fantasiewelten für den soliden Familienfilm geschaffen, in dem sogar Yvonne Catterfeld als Prinzessin ihren Auftritt hat. Der Dreh in Potsdam war für den Regisseur eine emotionale Erfahrung. Als Verehrer der Stummfilm-Ära wandelte er nach Drehschluss auf den Spuren von „Metropolis“. „Ich war an der Wiege des Films“, so Gans auf der Pressekonferenz, noch immer beeindruckt. An dem Remake habe ihn nicht die Moral interessiert, sondern viel mehr der Kontrast zwischen Zivilisation und Natur. So leben die schöne Belle und ihr Prinz bis ans Ende ihrer Tage dann auch nicht im Schloss, sondern begnügen sich mit bäuerlichem Ambiente. (gd)

Dame in Rot: Der französische Nachwuchsstar Léa Seydoux verkörpert Belle. Foto: dpa

Welcher Film ist Ihr absoluter Liebling? Mein Liebling ist ein Film für die ganze Familie, der DisneyStreifen „König der Löwen“. Welche Rolle in einem Film würden Sie selbst gern übernehmen? Ich würde gerne die „Eiserne Lady“ spielen. Eine Rolle, in der Hollywoodstar Meryl Streep brilliert hat. Sind Sie in diesem Jahr bei der Berlinale anzutreffen? Leider bin ich nicht auf der Berlinale anzutreffen, weil es mir die Zeit nicht erlaubt. Monika GraMenz, Assistentin der Leitung des Union Filmtheaters Neuruppin

Der letzte Junggeselle Berlin (mpu) Zum Krieg taugt Itakura nicht, aber zur Hochzeit reicht es für den Künstlertypen noch. Für sein Vaterland soll er unter die Haube gebracht werden, doch er will einfach nicht. Die Frau seines Chefs soll ihn verkuppeln. Auch das gelingt nicht. Stattdessen greift sie selbst zu. Der japanische Film „The Little House“ („Chiisai ouchi“) erzählt eine Romanze vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs. Ein spannender Ansatz, vor allem auch, weil im Westen wenig bekannt ist, wie es den Japanern zwischen Pearl Harbour und Hiroshima im eigenen Land ergangen ist. Diesen Erzählstrang ertränkt Regisseur Yoji Yamada allerdings in Schmalz, sodass nicht viel davon übrig bleibt und die Liebesgeschichte selbst unfreiwillig komisch wird. Sonnabend, 9 und 15.15 Uhr, Friedrichstadt-Palast; 12.30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele

Klappe, die

Der österreichische Film „Das große Museum“ von Johannes Holzhausen ist Träger des Caligari-Filmpreises. Die mit 4000 Euro dotierte Auszeichnung wird seit 1985 vom Bundesverband Kommunaler Filmarbeit gemeinsam mit dem Magazin „Filmdienst“ an einen Forums-Beitrag vergeben. „Das große Museum“ blickt hinter die Kulissen des Kunsthistorischen Museums Wien. (dpa/MZV)

Nachwuchs-Filmer ausgezeichnet

Auch dieses Jahr gab es wieder eine Reihe für Nachwuchstalente, die Berlinale Talents. Dort ging es um die Kunst, Geschichten zu erzählen, und den Umgang mit Stoffen. Einige Preise wurden auch verliehen. Der mit 10 000 Euro dotierte „VFF Talent Highlight Pitch Award“ ging beispielsweise an Bavo Defurne aus Belgien für sein Projekt „Souvenir“, wie die Berlinale am Freitag mitteilte. (dpa)

FILM-Wertung

Leben am Rande der Gesellschaft Berlin (sir) Macondo – so heißt nicht nur der fiktive Handlungsort in Gabriel García Márquez’ „Hundert Jahre Einsamkeit“. Es ist auch der Name eines Flüchtlingsheims bei Wien. Und nun obendrein der Titel des österreichischen Wettbewerbsbeitrags. Der Film begleitet Ramasan durch seinen Alltag als Asylbewerber. Der elfjährige Tschetschene kümmert sich um seine Schwestern und versucht, seiner Mutter möglichst wenig Ärger zu machen. Das klappt gut, bis Isa auftaucht, ein Freund seines verstorbenen Vaters. Ramasan fühlt sich hingezogen zu dem gutmütigen Mann. Bis dieser die Rolle seines Vaters einzunehmen droht und Ramasans Mutter Gefallen an ihm findet. Die Gefühlsregungen der Figuren liegen verborgen in Blicken, winzigen Gesten, eingefangen von einer behutsamen Kamera, die Ramasan und seine Familie mit Zärtlichkeit beobachtet. Ramasan Minkailov spielt ihn mit einer Unmittelbarkeit, wie sie nur Kinder auf die Leinwand bringen. Dass „Macondo“ en passant den latenten Rassismus in der österreichischen Gesellschaft und das religiöse Leben der muslimischen Flüchtlinge einfängt, macht diesen wunderbaren Film endgültig zum Geheimfavoriten auf einen Bären. Sonnabend, 9.30 Uhr, Zoo Palast; 16 Uhr, Haus der Berliner Festspiele; 18.30 Uhr, Friedrichstadt-Palast; Sonntag, 22.30 Uhr, International

8.

„Wir packen es an“

Nach zehn Jahren Filmförderung wagt Medienboard-Chefin Kirsten Niehuus einen Ausblick Dass Brandenburg und Berlin so stark bei der Berlinale vertreten sind, liegt auch am Medienboard der beiden Länder. Kirsten Niehuus, Geschäftsführerin des Unternehmens für Filmförderung, erklärte Mathias Puddig, warum sich die Förderung lohnt. Frau Niehuus, mit „Grand Budapest Hotel“ und „Monuments Men“ zeigt die Berlinale zwei große Filme, die in der Region entstanden sind. Dem Filmland Brandenburg geht es gut, oder täuscht der Eindruck? Nach zehn Jahren Medienboard kann man sagen, dass sich das Filmland prächtig entwickelt hat. Wir haben das Studio Babelsberg und die Förderung. Die Filmemacher schätzen das. Unser Ziel muss es jetzt sein, das zu erhalten, was wir erreicht haben. Wie sieht es mit kleineren Produktionen aus? Das betrifft auch die kleineren. Film ist ja an sich ein sehr positiv besetztes Medium. Deshalb gibt es von vielen anderen Regionen auch Interesse, Filme zu unterstützen, anzusiedeln und zu akquirieren. Wir müssen uns anstrengen, um den Filmemachern – auch der kleineren Filme – die Möglichkeit zu geben, hier in der Region zu drehen. Hinter dem Medienboard stecken beide Länder, doch der Blick richtet sich oft nur nach Berlin. Was hat Brandenburg davon?

Ich glaube, das hat sich schon deutlich verschoben. Es gibt sehr viele Filme, die in Berlin und in Brandenburg gedreht werden. Minister Christoffers sagte, inzwischen habe sich das ganze Land zur Kulisse entwickelt. Er meint damit, dass nicht nur in Potsdam, sondern überall in Brandenburg Dreharbeiten stattfinden, zum Beispiel wurden die preisgekrönten Filme „Das weiße Band“ in Netzow und „Barbara“ in Kirchmöser gedreht. Brandenburg ist doch sicher mehr als Kulisse. Es gibt das Studio Babelsberg, die Filmhochschule in Potsdam ... Neinneinnein, er meint das im besten Sinne. Natürlich spielt die Infrastruktur eine Rolle, damit hier viel gedreht wird. Doch die Locations eben auch. Und was kostet das? 2013 hat das Medienboard insgesamt 29,3 Millionen Euro Förderung vergeben. 24,6 Millionen davon sind für die Filmförderung.

Lohnt sich diese Ausgabe denn? Kommt wieder was rein, oder ist das alles, nun ja, Kulisse? Über die vergangenen zehn Jahre, die es das Medienboard nun gibt, kann man ganz gut verfolgen, dass sich das für den Steuerzahler lohnt. Die Filmförderung hat in zehn Jahren durch 238 Millionen Euro Förderung nahezu eine Milliarde Euro an Investitionen in Berlin-Brandenburg ausgelöst. Was heißt das? Dass Film immer nur Glanz und Glamour und Stars ist, stimmt nicht. Dahinter steckt eine große Arbeitsanstrengung, und Filme schaffen damit relativ viele Arbeitsplätze. Filmförderung ist Kultur- aber auch Wirtschaftförderung. Jeder Förder-Euro, den wir vergeben, wird fünf Mal in der Region ausgegeben. Das ist keine Taschentrickserei, sondern wird überprüft und errechnet von der Investitionsbank des Landes Brandenburg. Jeder Produzent muss ausweisen, wo welche

Berlinale-Bilanz Kirsten Niehuus leitet als Geschäftsführerin die Abteilung Filmförderung des Medienboards Berlin-Brandenburg. Sie blickt auf ein erfolgreiches Jahr zurück. Allein bei der Berlinale sind derzeit 39 Medienboard-geförderte Filme zu sehen. Sieben Streifen nehmen sogar am Wettbewerb Teil. (MZV)

Kosten entstanden sind und wo der Rechnungssteller sitzt. Stichprobenartig wird das überprüft. So kann man das Verhältnis zwischen Förderung und Ausgaben in der Region feststellen. Wer genau profitiert davon? In den Schlussabrechnungen ist zu sehen, dass bei einer Filmproduktion viele Gewerke eingebunden sind, die man gar nicht mit Film in Verbindung bringt. Das sind Handwerker wie Tischler, Schneider, Maler. Es werden Autos angemietet, Hotels gebucht, in Restaurants gegessen. Das sind alles Branchen, die klassischerweise von einer Filmproduktion profitieren. Und die Filmemacher geben ja nicht nur das Fördergeld aus. Sie müssen den Rest auch finanzieren. Welches Fazit ziehen sie nach zehn Jahren Medienboard? Dass die Filmproduktion hier auf einem hohen Niveau stattfindet, kann man wohl sagen. Das ist nach zehn Jahren ein Superergebnis der Anstrengungen von den Filmemachern an erster Stelle, aber auch von der Politik und dem Medienboard. Wir haben insgesamt mehr als 500 Preise und Auszeichnungen gewonnen! Um die Spitzenposition zu halten, bedarf es weiter der Unterstützung künstlerischer Entfaltungsmöglichkeiten, filmpolitischer Weichenstellung und finanzieller Mittel. Es gibt viel zu tun, wir packen es an.

Kirsten Niehuus Foto: Christian Schulz

Das vollständige Interview: www.moz.de/berlinale

I

m Wettbewerb tauschten das Monumentale und das Banale ihre Rollen. Während „Monuments Men“ derb enttäuschte, hat Richard Linklater mit „Boyhood“ den Alltag einer texanischen Familie auf ein atemberaubendes künstlerisches Niveau gehoben. Mit Blick auf mittelmäßige Konkurrenten, etwa „Praia do futuro“ und „Two Men in Town“, sollte „Boyhood“ ein Bär sicher sein. Spannender als die Bärenjagd könnte deshalb der Panorama-Publikumspreis werden. Neben „Calvary“ hat diese Sektion eine ganze Reihe von Schmuckstücken versammelt. Und im Gegensatz zum Wettbewerb ist beim Panorama so gut wie sicher, dass von den Siegern noch zu hören sein wird. Mathias Puddig

D

as Berlinale-Orakel scheint dieses Jahr einen eindeutigen Favoriten auszuspucken. Richard Linklaters „Boyhood“, eine fiktionalisierte Langzeitdoku über das Erwachsenwerden in einer Normalo-Familie, ist für viele Kritiker als Preisträger für den Goldenen Bären bereits gesetzt. Abseits von bedeutungsschwangeren Luftnummern („Aloft“), harmlosen Altmeister-Ergüssen („Life of Riley“) und redundant inszenierten Streifen („Stratos“) überzeugt das immerhin dreistündige Werk durch seine Unaufgeregtheit.

Z

weifelsohne hat auch Wes Andersen mit „Grand Budapest Hotel“ wieder einmal seine Qualität als Ausnahme-Regisseur bewiesen. Jede Kameraeinstellung offenbart eine wahre Fundgrube an Abstrusitäten, welche man alle erst nach mehrmaligem Sehen zu entdecken vermag. Mein Geheimtipp: der vom Nordirland-Konflikt handelnde Film „‘71“. Yann Demanges entschlossene Bildsprache kommt ohne Kommentierung aus und wirkt noch Tage später nach. Gitta Dietrich

Jack (Deutschland)

★★★ Two Men in Town (Frankreich/Alg./USA/Bel.)

★★★ ’71 (Großbritannien)

★★★ Die geliebten Schwestern (Deutschland/Österreich)

★★★ Kreuzweg (Deu./Fra.)

★★ History of Fear (Arg./Uruguay/Deu./Fra.)

★★ Blind Massage (Fra./China)

★★★ In Order of Disappearance (Norwegen/Schw./Dän.)

★★★ Life of Riley (Frankreich)

★★ Praia do futuro (Brasilien/ Deutschland)

★★★★ Zwischen Welten (Deu.)

★★★★ Stratos (Griechenland/Deu./Zypern)

★★

★ Aloft (Spanien/Kanada/Fra.)

Kurz vor der Preisverleihung legen sich unsere Festival-Korrespondenten auf ihre Favoriten fest

enn diese Berlinale auch nicht herausragend war, so brachte sie doch Überraschungen mit sich. „The Kidnapping of Michel Houellebecq“ zeigte im Forum, wie komisch der französische Autor-Zyniker sein kann. Der Panorama-Beitrag „Calvary“ präsentierte einen Geistlichen, der trotz und nicht wegen seiner Kirche mit großer Integrität beeindruckt.

★★★★★

The Third Side of the River (Argentinien/Deutschland/ Niederlande)

Das Rennen um den Goldenen Bären scheint schon gelaufen

W

Grand Budapest Hotel (USA/Deutschland)

E

igentlich sollte in der Sektion Generation das Kinderfilmfest steigen. Doch auch der Wettbewerb war fest in der Hand des Nachwuchses. Ein Segen, denn was die jüngsten Darsteller so auf die Leinwand brachten, war immer überzeugend – manchmal gar begeisternd. Ivo „Jack“ Pietzcker beeindruckte als Heimatloser auf den Straßen Berlins. Auch die schematische Inszenierung von „Kreuzweg“ vermochte Lea van Ackens Martyrium nicht die Wucht zu nehmen.

D

och wenn es um die Bären geht, werden wohl die Letzten die Ersten sein. Ellar Coltrane hatte in „Boyhood“ erst am Donnerstag seinen großen Auftritt. Dass der Mammutfilm der große Gewinner wird, gilt vielen als ausgemachte Sache. Wenn sie da die Rechnung mal nicht ohne Ramasan Minkailov gemacht haben. Der brilliert im dokumentarischschlichten „Macondo“, den die Jury sogar erst am letzten Wettbewerbstag zu sehen bekam. Wie sie sich auch immer entscheiden wird – glitzernde Bären und jubelnde Kinder sind uns sicher. Simon Rayß

Black Coal, Thin Ice (VR China/Hongkong)

★★ No Man’s Land (China)

★★ Boyhood (USA)

★★★★★ Macondo (Österreich)

★★★★★ The Little House (Japan)

★★ 5 Sterne: herausragend, 4 Sterne: sehenswert, 3 Sterne: annehmbar, 2 Sterne: uninteressant, 1 Stern: indiskutabel


Klappe, die

letzte

Die schönsten Momente

KINO-KOPF

D

ie Absperrgitter sind verschwunden, der Rote Teppich eingerollt – die letzten Spuren des Filmfestes beseitigt. Die Autogrammjäger sitzen zu Hause auf dem Sofa und das gestresste Kinopersonal gönnt sich eine wohl verdiente Pause. Der Potsdamer Platz liegt wieder im Dornröschenschlaf. Dort hat das Herz der Berlinale pulsiert, Leute aus aller Herren Länder begegneten sich ohne Scheu. In welch’ abstruse Situationen geriet man in den vergangenen zehn Tagen?

„Gefährlich und schnell“ Herr Grund, was war Ihr frühestes Kinoerlebnis? Schon in frühster Kindheit bin ich mit dem Medium Kino in Berührung gekommen. Der Film an den ich mich sofort erinnern kann ist „Titanic“, den ich zusammen mit meinen Eltern 1998 im Alter von zehn Jahren im Buckower Kino gesehen habe. Welcher Film ist Ihr absoluter Liebling? Es gab viele tolle Filme in den vergangenen Jahren, ganz weit vorne steht für mich der Film „Inception“ mit Leonardo DiCaprio. Die Story ist so verschachtelt, dass man ihn mehrmals schauen muss um ihn wirklich zu verstehen.

D Überrascht vom Ruhm: Nicht nur für den chinesischen Regisseur Diao Yinan kam der doppelte Sieg im Berlinale-Wettbewerb unerwartet. Auch Kritiker und Zuschauer hatten seinen Film „Black Coal, Thin Ice“ nicht auf der Rechnung. Foto: AFP

Triumph für das chinesische Kino

Welche Rolle in einem Film würden Sie selbst gern übernehmen? Die Rolle des Geheimagenten „James Bond“ würde mich schon interessieren – gefährliche Aufträge, schnelle Autos, hübsche Frauen..

„Black Coal, Thin Ice“ gewinnt Goldenen und Silbernen Bären / Favoriten bleiben hinter Erwartungen zurück Von Mathias Puddig, ElkE VogEl und PEtEr Claus Berlin (MZV/dpa) Die großen Favoriten sind bei der Berlinale durchgefallen. Stattdessen ist Asien der Gewinner des Wettbewerbs. Mit dem Goldenen Bären für den besten Film hat die Jury am Sonnabend den düsteren chinesischen Thriller „Black Coal, Thin Ice“ geehrt. Dieser zeichnet ein finsteres Bild vom Alltag im gegenwärtigen China: Gefühle zählen in der verästelten Detektivgeschichte nicht. Weitere Bären verlieh die Jury an den chinesischen Kameramann Zeng Jian für seine Arbeit an „Blind Massage“ und an die japanische Schauspielerin Haru Kuroki für ihre Rolle in „The Little House“. Zunächst sprachlos betrat Regisseur Diao Yinan die Bühne des Berlinale-Palastes. Lange Sekunden vergingen, bis er sich bedanken konnte: „Ein Traum ist wahr geworden.“ Nach der Verleihung erklärte er seine Reaktion: „Ich musste mich erst einmal einen Augenblick sammeln, denn von so einem großen Preis wie hier bei der Berlinale habe ich bislang nur träumen können.“ Er versteht die Auszeichnung auch als eine Aufforderung an zukünftige Filmemacher seines Landes: „Der chinesische Filmmarkt ist ein sehr großer. Wir sind weltweit bereits der zweitgrößte“, erklärt er. „Ich bin mir sicher, dass diese Größe auch zu mehr Vielfalt führen wird, dass es in Zukunft eine Vielzahl von Formen und Genres für verschiedenste Teilmärkte geben wird.“

Waren Sie in diesem Jahr bei der Berlinale anzutreffen? War ich leider wegen der Verpflichtungen im Buckower Kino nicht, eventuell klappt es ja im nächsten Jahr. PhiliPP Grund betreibt mit seinem Bruder Stefan die Parklichtspiele Buckow

Bill Murray ist beeindruckt

Berlin (AFP) Schauspieler Bill Murray hat sich beeindruckt gezeigt vom Umgang der Deutschen mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit. „Die Leute reden darüber, im Fernsehen läuft irgendwo stets eine Doku über die Zeit. Da gibt es kein Verleugnen oder Verdrängen, man setzt sich damit auseinander“, sagte Murray dem Magazin „Focus“. Positiv aufgefallen seien ihm auch „all die Plaketten und Inschriften auf Gebäuden, die darüber aufklären, was früher dort war oder wer von hier deportiert wurde“. Murray hat für die Dreharbeiten von „Monuments Men“ und „Grand Budapest Hotel“ insgesamt fünf Monate in Deutschland verbracht.

Sein Hauptdarsteller Fan Liao, der kurz zuvor mit dem Silbernen Bären geehrt worden war, gab sich lockerer: Er habe seiner Mutter versprochen, nicht eher aus Berlin abzureisen, bis er einen Bären in den Händen hält, berichtete er in seiner Dankesrede. Dabei ist die doppelte Ehrung von „Black Coal, Thin Ice“ alles andere als erwartbar gewesen. Nicht nur die Buchmacher sahen andere Filme weiter vorn.

Wes Andersons Komödie „Grand Budapest Hotel“ zum Beispiel, mit dem die Berlinale eröffnet worden war, stand ebenso höher im Kurs bei Zuschauern und Kritikern wie Richard Linklaters Coming-of-AgeFilm „Boyhood“. Beide wurden nach ihren Aufführungen jeweils mit langanhaltendem Applaus bedacht – und doch mussten sich die Amerikaner mit den Silbernen Bären für die beste Regie (Linklater) beziehungsweise mit

Preisträger der 64. Berlinale Offizielle Jurys ■ Goldener Bär für den besten Film: „Black Coal, Thin Ice“ ■ Silberner Bär – Großer Preis der Jury: „The Grand Budapest Hotel“ ■ Silberner Bär – Regie: Richard Linklater für „Boyhood“ ■ Silberner Bär – Darstellerin: Haru Kuroki, „The Little House“ ■ Silberner Bär – Darsteller: Liao Fan, „Black Coal, Thin Ice“ ■ Silberner Bär – Bestes Drehbuch: Dietrich Brüggemann/ Anna Brüggemann für „Kreuzweg“ ■ Silberner Bär – Herausragende künstlerische Leistung: Zeng Jian (Kamera) für „Blind Massage“ ■ Bester Erstlingsfilm: „Güeros“ ■ Preise der Jurys Generation – Kinderjury: Gläserner Bär – Film: „The Fort“

Gläserner Bär – Kurzfilm: „Sprout“ ■ Internationale Jury von Generation Kplus Großer Preis„Natural Sciences“ Spezialpreis „My Own Personal Moose“ ■ Jugendjury Generation 14plus: Gläserner Bär – Film: „52 Tuesdays“ Gläserner Bär – Kurzfilm: „Mike“ ■ Internationale Jury von Generation 14plus Großer Preis: Violet“ Spezialpreis:„Winter Morning“

Unabhängige Jurys ■ Preise der ökumenischen Jury Wettbewerb: „Kreuzweg“ Panorama: „Calvary“ Forum: „At Home“ ■ Preise der Fipresci Jury Wettbewerb: „Life of Riley“ Panorama:„The Way He Looks“ Forum: „Forma“

Zeit zum Nachsitzen

Demnächst in Ihrem Kino: „Die zwei Gesichter des Januars“ mit Kirsten Dunst startet am 29. Mai. Foto: Studiocanal auf der Berlinale zum ersten Mal seit 1969 zu sehen war, und die Verfilmung des „Hundertjährigen, der aus dem Fenster stieg

und verschwand“ sind bereits im März zu sehen. Am 20. März haben sie ihre Kinostarts, gleichzeitig mit „Kreuzweg“, dem Ge-

■ Preis der Gilde deutscher Filmkunsttheater: „Boyhood“ ■ Teddy Awards: Spielfilm „The Way He Looks“ Dokumentar-/Essayfilm:„Der Kreis“ Kurzfilm: „Mondial 2010“ Teddy Jury Award:„Pierrot Lunaire“ ■ DFJW-Preis Dialogue en Perspective: „Anderswo“ ■ Caligari-Filmpreis: „Das große Museum“ ■ Friedensfilmpreis: „We Come as Friends“

Leser- und Publikumspreise ■ Panorama-Publikumspreise: Spielfilm: „Difret“ Dokumentarfilm: „Der Kreis“ ■ Leserjury der „Berliner Morgenpost“: „Boyhood“ ■ Leserjury des „Tagesspiegels“: „Velvet Terrorists“ (MZV)

weg“ über religiösen Fanatismus den Silbernen Bären für das beste Drehbuch. Ein verdienter Preis für das formal strenge Werk, das sich an den 14 Stationen des Kreuzweges von Jesus Christus orientiert. „Es war für uns so wichtig, diesen Film zu machen“, sagte Anna Brüggemann. Die Auszeichnung sei eine Ermutigung, weiter Filme zu drehen, meinte ihr Bruder. Für Ermutigung dürfte auch sorgen, dass „Kreuzweg“ darüber hinaus einen der unabhängigen Preise gewonnen hat. Die ökumenische Jury zeichnete ihn als besten Film aus. Überhaupt lohnt ein Blick auf die zahlreichen unabhängigen und Publikumspreise, um das Bild der 64. Berlinale abzurunden. Mit dem irischen Film „Calvary“ hat die ökumenische Jury jenen Film ausgezeichnet, der neben „Boyhood“ bereits beim Sundance Festival für Aufsehen gesorgt hat. Gleich mehrfach wurde der brasilianische Panorama-Beitrag „The Way He Looks“ ausgezeichnet, der mit großer Leichtigkeit von einem blinden 15-Jährigen erzählt, der sich seines Handicaps zum Trotz für ein selbstbestimmtes Leben entscheidet. Auch die Dokumentation „Der Kreis“ über eine Schwulenzeitschrift in den 1940er-Jahren erhielt zwei Preise, darunter den viel beachteten Panorama-Publikumspreis. Es sind wohl eher Filme wie dieser, die von der 64. Berlinale bleiben. Mehr Infos und Bilder: www.moz.de/berlinale

E

in Gutes hat der Schritt in das normale Leben, der Kaffeeverbrauch wird sich dramatisch minimieren. Morgens reibt man sich nicht mehr der Schlaf aus den Augen und treibt den Koffeinpegel nach oben, nur um in dunklen Sälen das Glück zu finden. Was bleibt, ist etwas Wehmut. Sehnsucht nach dem Trubel, den Menschen, den Gesprächen und nicht zu vergessen – nach den Filmen, die für schönsten Momente sorgten.

Gitta Dietrich

Neuer Besucherrekord

Berlin (MZV) In ihrem 64. Jahr kann die Berlinale erneut einen Zuschauerrekord vermelden. Wie die Veranstalter mitteilten, sind 330 000 Kinokarten verkauft worden. Mehr als 400 Filme waren in diesem Jahr bei dem Festival zu sehen.

FILM-Wertung

Viele Berlinale-Filme kommen bald regulär in die Kinos

Berlin (mpu) Die 64. Berlinale ist Geschichte, und – trotz aller Kritik – sie hat Lust auf Film gemacht. Zahlreiche Streifen, die bei dem Filmfest ihre Premieren feierten, sind bald auch regulär in den Kinos zu sehen. Einige Starts stehen schon fest. Bereits in der vergangenen Woche ist „American Hustle“ in den deutschen Kinos angelaufen. Ihm folgen am kommenden Donnerstag George Clooneys Abenteuerfilm „Monuments Men – Ungewöhnliche Helden“ und Lars von Triers „Nymphomaniac Vol. 1“ – letzterer allerdings in der rund 30 Minuten kürzeren Fassung. Teil zwei des Monumentalwerks um eine sexsüchtige Frau startet am 3. April. Das nächste Berlinale-Meisterwerk folgt am 6. März mit Wes Andersons „Grand Budapest Hotel“, dem Gewinner des Großen Preises der Jury. Auch Volker Schlöndorffs „Baal“, der

dem Großen Preis der Jury (Anderson) begnügen. Der österreichische Beitrag „Macondo“ über einen tschetschenischen Flüchtlingsjungen, der sich in Wien zwischen Flughafengelände, Autobahn und Donauufer durchschlägt, ging gleich ganz leer aus. Große Freude gab es hingegen bei den Deutschen, die mit vier Filmen in den Wettbewerb gestartet waren. Die Geschwister Anna und Dietrich Brüggemann holten für das Drama „Kreuz

a unterhielten sich Besucher rein prophylaktisch im holprigen Englisch, um später amüsiert festzustellen, dass beide der deutschen Sprache mächtig sind. Da stritt man lautstark um einen Sitzplatz mit Beinfreiheit, spürte den Kopf des schlafenden Nachbarn auf der eigenen Schulter oder teilte einen sogenannten „Lovechair“ (Sitze ohne Zwischenlehne!) mit verschrobenen Männern im Schneidersitz. Kinogänger müssen sich daran gewöhnen, dass es nunmehr keine zwei Stunden an der TicketKasse dauert und vier Filme an einem Tag passé sind.

winner des Silbernen Bären für das beste Drehbuch. „Zwischen Welten“, ein weiterer deutscher Wettbewerbsfilm, folgt in der Woche darauf. Auch für „Die geliebten Schwestern“ steht der Start schon fest: am 31. Juli ist es soweit. Einzig wann „Jack“ in die Kinos kommt, ist noch unklar. Einen Verleih hat Edward Bergers Drama gefunden, doch der kündigt den Start bislang für „demnächst“ an. Ebenso sieht es mit „Boyhood“ aus: ein Verleih ist da, der Starttermin noch unklar. „Yves Saint Laurent“, der Eröffnungsfilm der Sektion Panorama“, ist ab 17. April in den Kinos zu sehen, der PerspektiveStreifen „Zeit der Kannibalen“ ab 24. April, und „Stereo“ mit Moritz Bleibtreu und Jürgen Vogel ab 1. Mai. Zahlreiche Filme folgen in den Monaten darauf. So hat auch der in Brandenburg gedrehte „Der Samurai“ bereits einen Verleih gefunden.

Grand Budapest Hotel (USA/ Deutschland)

Blind Massage (Fra./China)

★★★

★★★★★ Jack (Deutschland)

In Order of Disappearance (Norwegen/Schw./Dän.)

★★★

★★★

Two Men in Town (Frankreich/Alg./USA/Bel.)

Life of Riley (Frankreich)

★★★ ’71 (Großbritannien)

★★★ Die geliebten Schwestern (Deutschland/Österreich)

★★ Praia do futuro (Brasilien/ Deutschland)

★★★★ Zwischen Welten (Deu.)

★★★★

★★★

Stratos (Griechenland/Deu./Zypern)

Kreuzweg (Deu./Fra.)

★★

★★ History of Fear (Arg./Uruguay/Deu./Fra.)

The Third Side of the River (Argentinien/Deutschland/ Niederlande)

★★

Aloft (Spanien/Kanada/Fra.)

★ Black Coal, Thin Ice (VR China/Hongkong)

★★ No Man’s Land (China)

★★ Boyhood (USA)

★★★★★ Macondo (Österreich)

★★★★★ The Little House (Japan)

★★ 5 Sterne: herausragend, 4 Sterne: sehenswert, 3 Sterne: annehmbar, 2 Sterne: uninteressant, 1 Stern: indiskutabel


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