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MOZ Sonnabend/Sonntag, 10./11. Februar 2018

Journal

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„Mein Brecht“

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r war mir das erste Mal in der Schule begegnet. Es ging um die Interpretation eines selbst ausgewählten Gedichtes. Im Bücherschrank meiner Mutter fand ich ein InselBändchen mit Balladen und Gedichten von Bertolt Brecht. Eines zog mich sofort in den Bann: „Der Rauch“ Das kleine Haus unter Bäumen am See Vom Dach steigt Rauch Fehlte er wie trostlos dann wären Haus, Bäume und See.“ Ich hatte mich mit Lyrik noch nicht so richtig angefreundet. Überhaupt spielte Literatur in meiner gerade überschäumenden Pubertät keine große Rolle. Mein Wortschatz war aufs Wesentliche reduziert. Vielleicht war das der Auslöser, als ich das Gedicht las. Die Reduktion, die Schärfe der Worte und der Rhythmus gefielen mir. Keine Schnörkel und kein Zuckerguss, sondern klare Zeilen, zwischen denen ich lesen konnte. Später besuchte ich seine Stücke, fuhr in das „kleine Haus am See“, zeichnete meine ersten Entwürfe zu den Balladen, die mich nicht mehr losließen und versuchte, Brecht zu verstehen. Bis heute hat sich das nicht geändert. Ich glaube, es liegt an der Bildergewalt seiner Gedichte. Der in Falkenberg (Märkisch-Oderland) lebende Zeichner Matthias Friedrich Muecke bekam für sein Buch zu Bertolt Brechts „Surabaya-Johnny“ 2013 den BrandenburgiMatthias F. Muecke, schen Kunstpreis in Zeichner der Kategorie Grafik Foto: Matthias Lubisch zugesprochen.

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ch kenne kaum einen Autor, der sich so sehr um die Veränderbarkeit des Menschen und die Notwendigkeit dazu verdient gemacht hätte wie Bertolt Brecht. Wenn wir ihm Glauben schenken dürfen, ist die Welt noch zu retten. Dieses Vermächtnis ist natürlich nicht jahreszeitbezogen und wird hoffentlich auch die Zeiten überdauern. Dass er fragmentarisch gelesen werden kann und außerdem weitergedacht werden soll und muss, stammt von ihm selbst. Ein weiterer Aufruf an die, die seine Texte gebrauchen, der mir Respekt abverlangt. Und nebenbei, er ist mir, gerade was den Gebrauch auf der Bühne angeht, näher als Heiner Müller, da er immerhin Theater erzwingt. Ich wünsche Brecht zum Geburtstag, dass er sich aus den Zwängen der ideologischen Instrumentalisierung befreien kann, um ihn auch weit nach dem Zusammenbruch des Ostblocks wieder neu lesen zu können. Hier in Cottbus habe ich 1994 sein Stück „Baal“ mit Tänzern auf die Bühne gebracht. Es war eine sehr inspirierte Arbeit, die zur Disposition stellte, was der Brechttext bei mir und den Darstellern bewirkte, wie er unsere schöpferische Kraft befreite. Diese Arbeit zeigte, wie wir den Text für unsere Entwicklung nutzen konnten und nicht, wie gut wir ihn gelernt hatten. Aber was könnten wir heute noch von Brecht lernen? Vielleicht: wie man dialektisch denkt und wie man dieses Denken kritisch gegen sich selbst auszurichten vermag. Der Platz für all seine schwierigen Seiten ist an dieser Stelle zu sehr begrenzt. Der Regisseur, Bühnenbildner, Lichtdesigner und Autor Jo Fabian ist seit Beginn der Spielzeit 2017/2018 Schauspieldirektor am Staatstheater Cottbus.

Jo Fabian, Regisseur und Schauspieldirektor Foto: Marlies Kross

Bildgewaltige Gedichte: Seite aus „Surabaya-Johnny“ (2013), originalgrafisches Buch von Matthias Friedrich Muecke nach einem Text von Bertolt Brecht

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ür mich, die ich in der DDR aufgewachsen bin, war Brecht immer präsent. Lange vor meiner Deutschlehrerin an der Oberschule wurde er uns in der Grundschule beigebracht. Bis heute liebe ich das kleine Kinder-Gedicht „Die Vögel warten im Winter vor dem Fenster“ mit der wunderschönen Zeile: „Sperling komm nach vorn, Sperling, hier ist dein Korn. Und besten Dank für die Arbeit.“ Unsere Schulchöre hatten das „Einheitsfrontlied“, das „Solidaritätslied“, die „Bitten der Kinder“, das „Aufbaulied der FDJ“ und die „Kinderhymne“ im Repertoire. Natürlich war das in diesen Zeiten ein recht einseitiger Brecht, mit erhobener Faust als von den Funktionären am meisten geliebt. Der junge, der Antibürger, der sinnliche, oder gar erotische fehlte natürlich. Reduzierung fand freilich auch im

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eine erste künstlerische Begegnung mit einem Text von Brecht war tatsächlich erst „Der kaukasische Kreidekreis“, mit dem wir am Berliner Ensemble im Herbst 2017 Premiere hatten. Davor hatte ich natürlich Stücke von ihm gelesen, aber ich kam nie in den Genuss, sie auch zu spielen. Speziell beim Kreidekreis hat mich diese unglaubliche Geschichte über den Mut und die Stärke dieser Grusche überrascht und berührt. Das ist so modern wie diese Frau geschrieben ist, wie willensstark und selbstlos sie durch die Welt geht und ihr eigenes Wohl hintenan stellt. Brecht schafft es, „die kleinen Menschen“ in „ganz große Geschichten“ zu setzten, sie damit dem Unmöglichen auszusetzen, und dadurch können sie wachsen, scheitern, hinfallen und wieder aufstehen. Als Gegenpol beschreibt Brecht dann den Richter Azdak, in dem wir heute natürlich auch ein Bild für Korruption, Machtmissbrauch, Rechtswillkür sehen können, und das ist in unserer Gegenwart genauso aktuell und wichtig zu erzählen wie damals. Das Kind, das Grusche durch den Abend trägt, steht für mich heute für Demokra-

Westen statt, dort gern mit dem anderen Vorzeichen des Antibürgerlichen, das er bekannterweise grandios besetzt hatte in der „Hauspostille“ und anderen frühen Sammlungen. Ja, und heute haben Fundamental-Feministinnen und pseudofeministische Männer eben den Frauenhasser Brecht entdeckt. Größter Blödsinn vielleicht von allen Einseitigkeiten, mit denen gegen einen der größten deutschen Dichter vorgegangen wurde und wird. Aber den kleinzukriegen, da muss man halt sehr früh aufstehen. Brecht ist für mich der Dichter geblieben und hat meine gesamte Bühnenarbeit geprägt, seit meinem ersten BrechtAbend 1982. Plätze, Brecht zu zeigen, gibt es immer noch, jedenfalls, wenn man nicht reich werden will. Er ist ja aktueller denn je und von der Zeit eingeholt worden, sicher zu seinem und gewiss meinem Leid-

tie, für Europa, für die Hoffnung auf ein friedliches Miteinander, und genau deshalb muss man diesen Text auch heute spielen und für Zuschauer sinnlich erfahrbar machen. Es ist ein großes Geschenk, sich diesem Autor und seinen Geschichten auszuliefern. Michael Thalheimer, der Regisseur des Abends, hat uns Spielern als Leitmotiv durch den Abend den wunderbaren Satz gesagt: „Die Frage ist nicht mehr nur: Wem gehört das Kind? Die Frage ist: Wem gehört die Welt?“ Die österreichische Film- und Theaterschauspielerin Stefanie Reinsperger ist derzeit am Berliner Ensemble engagiert, wo sie in Brechts „Der kaukasische Kreidekreis“ als Magd Grusche Vachnadze zu sehen ist.

Gina Pietsch, Musikerin Foto: Karl-Heinz Arendsee wesen. Daraus erwachsen sind die Bedürfnisse nach künstlerischer Bestätigung von Unzufriedenheit mit Lebensverhältnissen, sprich, der größer werdenden Schere zwischen Arm und Reich. Die damit verbundene Zunahme von Neofaschismus ist deutlich spürbar. Gerade Brecht wird da wieder gebraucht, denn seine Faschismusreflexionen gehören

sicher zu den prägnantesten, die die deutsche Literatur hervorgebracht hat. Und um nicht stehen zu bleiben bei der Historie, ist für uns und unser Publikum alles interessant, was sich mit heutiger Sprache und Gedankenwelt anschließt an die Fragen der Zeit. Und es gibt keine Frage der Zeit, die der Klassiker Brecht nicht in überragender, oft prophetischer Weise behandelt hat. Das hat Ursachen: Schon in frühester Zeit gezielt für die Emanzipation der Unteren schreibend, den Krieg hassend schon als Gymnasiast und später mit einer Jüdin verheiratet, trieben ihn die Nazis durch sieben Länder. Was jeder ins Exil Getriebene heute empfindet, in Brechts Texten steht es zu lesen. 13 Jahre war er Ausländer und fühlte sich auch so. Ausgewiesen aus diesem Land, wo er ungern war, Amerika, will

die den Sinn verstehen, das Handwerk beherrschen und sich den Autoren mit Demut nähern. Demut diesem gegenüber, hätte er selbst vielleicht gar nicht gern. Aber, nun 120 geworden und geblieben einer der größten Dichter, Lyriker und Theatermacher Deutschlands, weltberühmt, mit einer Hinterlassenschaft von 48 Dramen und 50 Dramenfragmenten, 2300 Gedichten, Romanen, Geschichten, sowie wesentlichen Werke zur Theorie des „epischen Theaters“, hätte er es verdient. Die Sängerin und Schauspielerin Gina Pietsch hat von ihren rund 70 Soloabenden knapp die Hälfte Brecht gewidmet. Über ihre Liebe zu dem Dramatiker schreibt sie auch in ihrer gerade im Verlag Neues Leben erschienenen Autobiografie, „Mein Dörfchen Welt“.

Ballade von den heutigen Mackies und der Welt Und die Mackies gibt’s noch immer haben mächtig sich vermehrt. Sind in allen hohen Ämtern dieser Welt und sehr begehrt. Ach die Dummheit ist so einfach faul und immer angenehm. Und die Wahrheit ist oft hässlich schwierig und meist unbequem. Und das Volk ist so wie immer wütend, doch ganz unbelehrt. Trottet unbeirrt zur Schlachtbank und ist wieder mal nichts wert. Heut steht keiner mehr im Dunkeln doch was nützt das ganze Licht. Vieles kann man heut’ erkennen aber ändern kann man nichts.

Stefanie Reinsperger, Schauspielerin Foto: K. Poblotzki

ihn auch in Europa niemand haben. Einziges Angebot für Arbeit und Leben macht ihm die sowjetische Besatzungszone und lässt ihn ab dem 22. Oktober 1948 miterleben und mitgestalten das Experiment DDR, von ihm genannt, seine „Mühen der Ebenen“. All dieser sehr modernen Erfahrungen wegen fiel es mir nie schwer, meine mittlerweile 33 Brecht-Abende und 375 Titel im Repertoire mit diesem „gesellschaftlichen Gebrauchswert“ auszustatten. Da ich über die vielen Jahre der Beschäftigung mit Brecht einiges über ihn weiß, traue ich mich mittlerweile auch, ihn auf der Bühne in meiner eigenen Weise zu sagen. Mein wichtigster Lehrer, Ekkehard Schall, hat mich damals dazu ermutigt, und heute sage ich meinen Schülern, es gibt für jeden Song so viele Interpretationsmöglichkeiten wie Menschen,

Foto: Soeren Stache

Maxi Pincus-Pamperin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Brecht-WeigelHaus. Bereits seit ihrer Kind-

Margret Brademann, Leiterin des Brecht-Weigel-Hauses

Das Brecht-Weigel-Haus in Buckow: Bertolt Brecht und Helene Maxi Pincus-Pamperin, wis- Weigel hatten den Ort 1952 als Sommersitz ausgewählt. Heute senschaftl. Mitarbeiterin ist er Gedenkstätte. Fotos: Thomas Berger, MOZ/Gerd Markert heit schreibt sie Gedichte – hier hat sie Brechts „Moritat von Mackie Messer“ aus der „Dreigroschenoper“ neu gefasst.

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n den vielen Jahren der Beschäftigung mit Brechts Werk ist es mir gelungen, viele Künstler und Autoren in Workshops, Aufführungen und Gesprächen zu inspirieren, Brechts Werk aus

ihrer eigenen Perspektive zu reflektieren (Pleinairwochen KÖzwölf bei Brecht seit 2007, Chansonwerkstätten, Schreibwerkstätten für Studenten und Schüler, Studentenpraktika ....). Dabei sind für mich Begriffe wie KUNST, GENUSS, VERGNÜGEN, VERANTWORTUNG, LEBENSKUNST zu Leitbildern geworden. Das folgende Brecht-Zitat aus dem

„Leben des Galilei“ ist der Maßstab meines Lebens und meiner Arbeit: „Das Denken gehört zu den größten Vergnügungen der menschlichen Rasse.“ Die Diplom-Historikerin und Museologin Margret Brademann ist seit 1993 Leiterin des Brecht-Weigel-Hauses in Buckow (Märkisch-Oderland).


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