EINST UND JETZT S A C H S E N - A N H A LT
CULT URC ON medien
Frank Mangelsdorf (Hg.)
EINST uND JETZT SachSEN-aNhalT
Texte: Hanne Bahra
ISBN 978-3-941092-74-7 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. CULTURCON medien Bernd Oeljeschläger Choriner Straße 1, 10119 Berlin Telefon 030 / 34398440, Telefax 030 / 34398442 Ottostraße 5, 27793 Wildeshausen Telefon 04431 / 9559878, Telefax 04431 / 9559879 www.culturcon.de Redaktion: MOZ-Redaktion GmbH Andreas Oppermann (Projektleitung), Gitta Dietrich (Redaktion) Gestaltung: Katja Gusovius, Berlin Druck: Silber Druck OHG, Niestetal Berlin / Wildeshausen 2011 Alle Rechte vorbehalten.
Mit freundlicher Unterstützung von:
grusswort
Sachsen-Anhalt war noch vor gut 20 Jahren ein Grenzland – inzwischen ist es in die Mitte Deutschlands gerückt. Das Bindestrich-Land mit seiner traditionsreichen Kulturlandschaft überrascht mit seiner Vielfalt. Neuerungen und Umbrüche prägen seine Geschichte und hinterließen Spuren weit über die Region hinaus. So wurde etwa im Jahre 919 in Quedlinburg mit der Königswahl Heinrichs I. die Basis für das Deutsche Reich gelegt. 1517 begann in Wittenberg die Reformation. Große Geister – Frauen wie Männer – beeinflussten mit ihrem aufklärerischem Werk die Welt: die Reformatoren Martin Luther und Philipp Melanchthon, die Prinzessin von Anhalt-Zerbst, die als russische Zarin Katharina die Große die Geschicke eines Weltreiches in die Hand nahm, Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau, der Schöpfer des Wörlitzer Gartenreiches, der Bauhausdirektor Walter Gropius oder auch der geniale Flugzeugkonstrukteur Hugo Junkers.
Sachsen-Anhalt hat sich in den zurückliegenden Jahren aus schwierigen Phasen herausgearbeitet und an vielen Orten auch aus belastetem Erbe einen Nutzen ganz besonderer Art gezogen. Beispielsweise in und um Bitterfeld, wo eine ganze Region zum Sinnbild für den Frevel an der Umwelt geworden war und wo inzwischen wieder grüne Naherholungsgebiete Menschen von überall her anlocken. Mensch, Natur und Industrie gehen in diesem Landstrich zwischen Altmark und Harz überraschende Wechselwirkungen ein. Auf den folgenden Seiten können Sie sich davon überzeugen. Frank Mangelsdorf Chefredakteur der Märkischen Oderzeitung
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Monaten auf dem ehemaligen Atomkraftwerksgelände Europas größtes und modernstes Zellstoffwerk errichtete. Das rund eine Milliarde Euro teure Werk, mit 275 Mio Euro von der Europäischen Union, dem Bund und dem Land gefördert, zählte Bis in die 1960er Jahre war Niedergörne bei Arne-
zu den größten industriellen Investitionsvorhaben in
burg ein stilles Straßendorf, direkt an der Elbe, mit
den neuen Bundesländern. „Ein Leuchtturmprojekt“,
120 Einwohnern, viel Vieh und reparaturbedürftigen
wie es der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder
Gehöften. Doch dann beschloss man, in dem dünn-
bei der Grundsteinlegung 2002 nannte. 2004 ging das
besiedelten Flecken das größte Kernkraftwerk der
Werk in Betrieb, das auch in ökologischer Hinsicht
DDR zu errichten. Die Bewohner von Niedergörne
eine überragende Rolle spielt. Energie liefert das un-
wurden umgesiedelt, die Häuser und die mittelalter-
ternehmenseigene Biomassekraftwerk, das größte
liche Dorfkirche abgerissen. Ab 1988 ragten 150 Meter
Zentraleuropas. Mit einer Leistung von 100 Megawatt
hohe Kühltürme in den Himmel der östlichen Altmark.
erzeugt es den gesamten Eigenbedarf an Strom und
Drei Jahre später wurde die Baustelle, in die bisher 5,8
speist darüber hinaus große Mengen in das öffentli-
Milliarden Mark investiert worden waren, stillgelegt.
che Stromnetz ein. Für die Zellstoffgewinnung wird
Aus der größten Industriebaustelle Ostdeutschlands
ausschließlich Nadelholz, also heimischer Rohstoff
wurde eine 650 Hektar große Industriebrache, aus
eingesetzt. Auf die Herstellung von 645 000 Ton-
der sich nun ein konventioneller Kraftwerkstandort
nen Zellstoff pro Jahr ausgelegt, bietet die Zellstoff
sowie ein Industrie- und Gewerbepark entwickeln
Stendal GmbH, die nach wie vor mehrheitlich zur
sollte. Wichtiger Partner bei diesem schwierigen
Mercer International Group gehört, rund 600 Arbeits-
Transfomationsprozess war die amerikanisch-ka-
plätze, für annähernd 1 000 weitere Arbeitsplätze im
nadische Mercer International Group, die in nur 23
Umfeld setzte sie Impulse.
ArnEburg ZELLstoff stEndAL gmbh
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Kaum eine Stadt Sachsen-Anhalts erwachte derart
chen. „Trotzdem sieht es in Aschersleben nicht nach
geschunden aus dem städtebaulichen Koma der DDR-
Abbruch sondern nach Aufbruch aus,“ konstatierte
Jahre und keine andere hat derart wagemutig mit den
die Süddeutsche Zeitung. Aschersleben gilt heute
Möglichkeiten eines Neubeginns experimentiert. Als
als Prototyp einer Stadt, die ihren Schrumpfungs-
Durchfahrtsort gleich an mehreren Bundesstraßen
prozess planvoll gestaltet. Die gewonnenen Freiräu-
gelegen, hatte Aschersleben kaum noch einen Ruf zu
me im Straßenabschnitt Hinter dem Zoll wurden zu
verlieren – aber viele Einwohner. Von 34 000 Einwoh-
Kunsträumen. Hybridwalls aus soliden haushohen
nern im Jahr 1989 wanderten bis 2010 jährlich durch-
Stahlrahmen, bespannt mit 60 Quadratmeter großen
schnittlich rund 500 ab. Jede sechste Wohnung stand
Bildern, Reproduktionen von Gegenwartskünstlern
leer. Leerstand vor allem entlang der Durchgangs-
wie dem britischen Maler Christopher Winter, füllen
straße, an der sich die Bundeststraßen B 6, B 180 und
nun die Baulücken der Ortsdurchfahrt. So entstand
B 185 kreuzen. Der täglich von 17 000 Autos befahre-
weltweit die erste DRIVE THRU GALLERY, eine Durch-
ne Straßengürtel rings um die Altstadt war dreckig
fahrtsgalerie mit wechselnden Ausstellungen, die
und laut. Baulücken klafften zwischen trostlosen
immerhin nun täglich mindestens 17 000 Besucher –
Fassaden. Ein abschreckendes Entree hinter dem
oder besser – Befahrer verbuchen kann. Die Stadt in-
die architekturhistorisch wertvolle Bausubstanz der
stallierte dort, wo bislang niemand mehr gerne mehr
Altstadt verborgen blieb – ein großer Imageverlust.
hinsehen wollte, wahre Hingucker. Nicht von allen un-
Nach dem Motto „Von außen nach innen – Konzen-
kritisch betrachtet. Immerhin 400 000 Euro wurden
tration auf den Kern“ wurden in Aschersleben über
in dieses Projekt der „Internationalen Bauausstellung
1 200 Wohneinheiten abgerissen, vor allem im Plat-
IBA Stadtumbau 2010“ investiert. Doch so gelang es,
tenbaugebiet. Aber auch die marode Bausubstanz am
aus einer Problemzone eine spannende Schnittstelle
Rand der Stadt sollte zugunsten des Stadtkerns wei-
zwischen Innenstadt und Randbereich zu schaffen.
AschErsLEbEn drivE thru gALLEry
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Aschersleben kann Schule machen. Eine der heraus- „Konzentration auf den Kern“ gewann Aschersleben ragenden Baustellen des landesweiten Projekts „IBA
Schritt für Schritt wieder an Lebensqualität. Dafür
Stadtumbau 2010“ war die Entwicklung der ehema-
wurden insgesamt 44,6 Mio Euro Fördermittel aus
ligen Industriebrache des Papierverpackungsunter-
den Programmen „Städtebaulicher Denkmalschutz“
nehmens „VEB Optima“ zum Bildungszentrum Be-
und „Stadtsanierung“ genutzt. Mit einer Investitions-
stehornpark. Die älteste Stadt Sachsen-Anhalts bot
summe von 16,2 Mio Euro war das „Bildungszentrum
nach der politischen Wende ein trostloses Bild. Wäh-
Bestehornpark“ das größte Hochbauprojekt nach der
rend unter dem SED-Regime die Häuser innerhalb der
Wende. Vor rund 150 Jahren gründete hier Heinrich
alten Stadtmauer vernachlässigt wurden, wuchsen
Christian Bestehorn eine Papierwarenfabrik, bald eine
Neubauten am nördlichen Rand. Ganze Straßenzüge
der größten des Kontinents. 1945 enteignet, waren
der Altstadt wurden abgerissen, dafür drohten der
in dem neugegründeten volkseigenen Betrieb 1 000
über 1250 Jahre alten Stadt Plattenbauten des Typs
Menschen beschäftigt. Übrig blieb ein herunterge-
WBS 70. 1991 wurde ein 66 Hektar großes Sanie-
wirtschafteter Industriekoloss mit rußgeschwärzten
rungsgebiet für die südliche Altstadt festgelegt. Mit
Mauern und blinden Fenstern. Was Mangelwirtschaft
AschErsLEbEn bEstEhornpArk
in der DDR nicht schaffte, das erledigte der 1990 von der Treuhand eingesetzte West-Investor, der samt Inventar und Investitionsmittel schnell wieder verschwand. Ab 2007 wurde die riesige Industrieruine von 1911 im Auftrag der Stadt saniert: Von der Papierzur Denkfabrik: In den hohen, hellen Fabrikr辰umen wurde Platz f端r die Klassenzimmer einer Sekundarund einer privaten Berufsschule geschaffen. Eine Kreativwerkstatt im modernen Anbau, dem in das Gr端n der Landesgartenschau 2010 gebetteten sogenannten Riegel, steht allen Ascherslebener Sch端lern offen. Aschersleben setzt trotz demografischem Wandel auf ein neues Image als Bildungsstandort.
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Seit Jahrhunderten dominiert Schloss Ballenstedt, ein
versehenen Schlosskirche wurde nun sozialistisches
stolzes, dreiflügeliges Wohnschloss, das auf Kloster-
Gedankengut gepredigt. Als 1990 Prinz Eduard von
bauten aus dem 16. Jahrhundert gründet, die Silhouet- Anhalt versprach, das marode Gemäuer seiner Vorte der kleinen Stadt im Nordharz. Chronisten zufolge
fahren in ein Schlosshotel zu verwandeln, war das
wurde in Ballenstedt schon im 6. Jahrhundert von
leider auch nur ein Märchen. Seit 1991 wieder in kom-
den Vorfahren der Askanier eine Burg errichtet. Der
munalem Besitz, wurde die Schlossanlage zum Kul-
Name Albrecht der Bär, des Begründers des Hauses
turzentrum der Stadt saniert. In den Schlossräumen
Anhalt, später der Mark Brandenburg, leuchtet im frü-
informiert seit 2004 die Dauerausstellung „Die frühen
hen 12. Jahrhundert aus Ballenstedts Vergangenheit
Askanier im Harz“ über das Herrscherhaus, das zu den
auf. 1765 wurde das Schloss zur Residenz der anhal-
frühesten Dynastien des Mittelalters in Nord- und
tischen Fürsten. Von Weitem war dem hohen Haus
Mitteldeutschland zählt. Im Schlosspark, dem kunst-
die spätere Verwahrlosung nicht anzusehen. Doch
und formvollendeten Alterswerk Peter Joseph Lennés
wer sich 1990 dem Schlossberg näherte, sah zerbro-
(1789 – 1866), speit der Wasserdrache aus Zink wie-
chene Fensterscheiben und bröckelnde Fassaden.
der einen 16 Meter hohen Wasserstrahl. Der 29 Hek-
Das Kreuzgewölbe in der Krypta war mit Betonpfei-
tar große Garten mit einer im Renaissance-Stil ange-
lern abgestützt, ramponiertes Parkett und sperrige
legten Wasserachse aus fünf Bassins und Fontänen
DDR-Möbel befanden sich in unbewohnten Räumen.
konnte komplett wieder hergestellt werden. Ebenso
Das originale Inventar verschwand schon in den ers-
das Schlosstheater aus dem 18. Jahrhundert, in dem
ten Nachkriegsjahren, in denen Schloss Ballenstedt
Albert Lortzing seine „Undine“ dirigierte. Heute von
sowjetisches Lazarett und Landratsamt war. 1949
Gastensemblen genutzt, ist es die älteste bespielte
zog die Ingenieurschule für Forstwirtschaft in das
Bühne des Landes Sachsen-Anhalt.
Gebäude. In der mit Zwischenwänden- und decken
bALLEnstEdt schLoss bALLEnstEdt
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Als Elisabeth und Walter Kremer 1995 das alte Gut in
Besatzungsmacht enteignet. Alsbald dem volksei-
der Magdeburger Börde entdeckten, lag es versteckt
genen Gut Seehausen zugeschlagen, überstand die
hinter hohen Mauern und einem halb verfallenen
Kommende die DDR-Jahrzehnte nur mit gravierendem
Portal. Sein Schicksal schien besiegelt. Die jungen
Substanzverlust. Große Teile der unteren Hofanlage
Landwirte aus Nordrhein-Westfalen aber sahen die
wurden in den 1980er Jahren abgerissen, dem Rest
Schönheit der verlebten Fassaden und beschlossen,
drohte der Verfall. Elisabeth und Walter Kremer, die
ein Gebäude nach dem anderen wieder aufzubauen.
im Nachbarort bereits eine Pachthofstelle betrieben,
Mit Erfolg, die alte Kommende ist aus Ruinen wieder
begannen 1999 mit der Restaurierung des Fachwerk-
auferstanden und das Dorf Bergen hat seine Seele
ensembles samt Komturhaus, Rauchhaus, Kapelle
zurückgewonnen. Schon 1272 hatte der Deutsche Or-
und Glockenturm. Weihnachten 2005 läutete wieder
den das Dorf erworben und dort eine Kommende, eine
die alte Gutsglocke, die die Kremers im Magazin des
klosterähnliche Niederlassung, gegründet. 300 Jahre
Ummendorfer Museums ausfindig machen konnten.
später ließ der Ordensverwalter Johann von Lossow
Im Winter wurde gebaut, im Sommer hat die Feldar-
den Rittersitz mit Wohnhaus, Kapelle, Pfarrgebäude,
beit Vorrang, denn schließlich ist der Ackerbaubetrieb
Glocken- und Taubenturm zum Wohn- und Amtssitz
die Lebensgrundlage der Kremers. Der Gesamtinves-
ausbauen. Ab 1869 wurden auf dem inzwischen pri-
titionsbedarf allein für die Restaurierung dieses En-
vatisierten Gut vor allem Zuckerrüben angebaut und
sembles, die maßgeblich von der Deutschen Stiftung
verarbeitet. Die Familien Rabbethge und Giesecke,
Denkmalschutz und auch mit Mitteln aus dem Dorfer-
damals weit über die lokalen Grenzen hinaus bekannt
neuerungsprogramm gefördert wurde, belief sich auf
für die Züchtung von Zuckerrübensaatgut und Zu-
400 000 Euro. Insgesamt flossen in das Anwesen
ckerproduktion, wurden 1945 von der sowjetischen
mehr als eine Million Euro.
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