René Neuenschwander
Die Reformatoren
Die Reformatoren
René Neuenschwander
Eine Reise durch die Zeit für diejenigen, die gerade vorhaben, die Stadt Calvins zu besichtigen, oder für alle, die einfach mehr über diese Glaubensmänner wissen möchten, die uns vorangegangen sind.
Die Reformatoren
Diese 10 Kurzporträts, die zwischen 2004 und 2007 in der Zeitschrift Bibel-Info veröffentlicht wurden, führen uns in die Reformationszeit zurück. Gewählt wurden die Hauptfiguren dieser bewegten Zeit, die auch auf der bekannten Reformationsmauer in Genf abgebildet sind.
Ihr Einfluss ist seit 1517 spürbar
René Neuenschwander hat 25 Jahre lang als Journalist bei einer Redaktion gearbeitet. Sein erstes Buch hat er 2004 in französischer Sprache veröffentlicht.
René Neuenschwander 7.90 CHF / 6.90 € ISBN 978-2-8260-5017-9
René Neuenschwander
Die Reformatoren Ihr Einfluss ist seit 1517 spürbar
Die Bibelverse sind aus der Schlachter-Ăœbersetzung 2000 entnommen.
Š und Verlag: La Maison de la Bible, 2011 2. Ausgabe 2016 Ch. de Praz-Roussy 4bis CH-1032 Romanel-sur-Lausanne E-mail: info@bible.ch Internet: www.hausderbibel.ch ISBN Papierausgabe 978-2-8260-5017-9 ISBN Papierausgabe POD 978-2-8260-5001-8 ISBN epub-Format 978-2-8260-0327-4 ISBN pdf-Format 978-2-8260-9689-4
Gedruckt in Frankreich bei Sepec
Inhaltsverzeichnis
Einleitung ................................................................ 7 1. Waldes aus Lyon ................................................. 9 2. John Wycliff ....................................................... 15 3. Jan Hus ............................................................. 21 4. Martin Luther ...................................................... 27 5. Ulrich Zwingli . . ..................................................... 33 6. Guillaume Farel . . ................................................. 39 7. Johannes Calvin ................................................. 45 8. Pierre Viret ......................................................... 51 9. John Knox . . ........................................................ 57 10. Théodore de Bèze ............................................... 65
1. Waldes aus Lyon (1140-1217)
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Der erste Vorläufer der Reformation
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ie Reformationsmauer, die am Anfang des 20. Jahrhunderts in Genf errichtet wurde, ehrt rund zwanzig wichtige Persönlichkeiten, die die Bewegung der Reformation prägten. Als erster wollen wir den ältesten Vorläufer der Reformatoren kennen lernen: Petrus Waldes aus Lyon. Petrus Waldes oder Waldo war ein reicher Lyoner Kaufmann. Damals, zu Beginn des 12. Jahrhunderts, war das Volk ungebildet; sogar die Adligen und Ritter konnten weder schreiben noch lesen. Die einzigen Ausnahmen waren Kirchenleute und Händler, die letzteren, weil das Handelsgeschäft gewisse Kenntnisse erforderte. So war auch Waldes des Lesens und Schreibens kundig. Als gescheiter, frommer, gesitteter Mann, der Gutes tat, wurde er von allen geachtet. Er hatte die Schriften der Kirchenväter gelesen und festgestellt, wie sehr die römische Kirche sich vom Christentum entfernt hatte, namentlich durch das Dogma der Transsubstantiation (Wandlung im sog. Messopfer) und die Anbetung der Hostie. Von da an hatte er das Verlangen, die Heilige Schrift zu lesen. Gründlich aufgeweckt wurde sein Gewissen, als er eines Abends mit einigen Freunden zu Tisch saß und einer von ihnen unerwartet tot umfiel. Da stellte sich ihm die Frage, ob er selber bereit wäre, Gott zu begegnen, wenn er jetzt sterben würde! Er vertraute diese Not seinem Beichtvater an, der ihm antwortete, das beste Mittel, sein Heil sicherzustellen, sei zu handeln, wie Jesus es dem reichen Jüngling vorgeschlagen hatte: „Verkaufe all
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deinen Besitz und gib den Erlös den Armen.“ Das tat Waldes: Er gab seiner Frau und seiner Tochter, was sie zum Leben benötigten, bezahlte alles, was er schuldig war, und verteilte den Rest.
Rettung aus Gnade Doch dies verschaffte Waldes keinen Frieden im Herzen. Die Lehre von der Rettung durch gute Werke stellte ihn nicht zufrieden. Er dürstete danach, die Bibel kennen zu lernen, die es damals nur auf Latein gab. Mit Hilfe von zwei Priestern unternahm er es, sie in die französische Alltagssprache seiner Zeit zu übersetzen. Dabei ging ihm auf, worin das Heil zu finden war: im Glauben an den Herrn Jesus, gestorben für unsere Sünden, aus seiner Gnade allein. Nun drängte es ihn, die Gute Nachricht zu verkünden. Sein Haus wurde zu einer florierenden Schule und zu einer Herberge, wo die Armen, die Unterweisung suchten, Unterkunft und Verpflegung fanden. Schrittweise schulte er Jünger, die dann zu zweit hinaus auf die Straßen und Plätze gingen und das Evangelium predigten. Sie wurden angehört und gewannen Seelen. Da Waldes und die Seinen die Irrtümer Roms verurteilten – u. a. lehnten sie das Fegefeuer, den Ablasshandel, den Heiligenkult und die Praktiken der katholischen Priester –, befahl ihnen der Klerus unter Androhung der Exkommunikation sowie der Verurteilung und Verbrennung als Ketzer, ihr Lehren einzustellen. Der Lyoner Erzbischof wollte sogar Waldes verhaften lassen, doch hatte dieser so zahlreiche Freunde in der Stadt, dass er drei Jahre lang im Geheimen weiter die Gläubigen lehren und ermutigen konnte.
Die Armen aus Lyon Papst Alexander III. exkommunizierte Waldes und gebot dem Erzbischof, mit äußerster Härte gegen ihn und seine Jünger vorzugehen. So sah sich Waldes gezwungen, mit einer Anzahl
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von Gleichgesinnten zu fliehen. Sie fanden Zuflucht in kleinen christlichen Gemeinschaften, die mit Rom nicht einverstanden waren; diese waren zahlreich, vom Süden Italiens bis nach Norddeutschland, und hatten Verbindung untereinander. In Gottes Hand waren die Flüchtlinge, die man „die Armen aus Lyon“ nannte, ein Mittel, um das Evangelium in den Gegenden, durch die sie zogen, zu verbreiten. Im Piemont schlossen sie sich anderen Verbannten an, die nach dem Lyoner Prediger „Waldenser“ genannt wurden, und sie brachten ihnen die Bibel, die sie mit Sorgfalt wieder und wieder kopiert hatten. Die Inquisition setzte die Verfolgung mit Hartnäckigkeit und Grausamkeit fort und überwältigte schließlich diese Grüppchen zerstreuter Christen, die sich Rom nicht unterordnen wollten. Sie wünschten ja, in der katholischen Kirche zu bleiben, während sie ihren neu entdeckten Glauben weitersagten, was Rom freilich nicht dulden konnte. Nur in den Tälern des Piemonts überlebten sie, obschon es auch dort schlimme Verfolgung durch ihre Feinde gab. Petrus Waldes selbst begab sich zunächst mit einigen seiner Jünger nach Südfrankreich, dann musste er erneut flüchten und zog in die Picardie, nach Deutschland und schließlich nach Böhmen, wobei er stetig für den Herrn wirkte. Hier beendete er in Frieden seine Tage. Über 300 Jahre vor der Proklamation von Luthers 95 Thesen keimten dank Petrus Waldes die ersten Früchte der späteren Reformation.
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2. John Wycliff (ca. 1330-1384)
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Er gab dem englischen Volk die Bibel in seiner Sprache
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ohn Wycliff aus England ist nach Petrus Waldes aus Lyon ein weiterer Vorläufer der Reformation. Im 13. Jahrhundert hatte die römische Kirche England unterworfen, aber es bestanden einige Konflikte zwischen dem König und dem Papst, weil der König sich weigerte, auf die Forderung des Papstes, ihn als seinen Lehnsherren zu akzeptieren, einzugehen. Etliche Vorläufer der Reformation gingen aus diesem Land hervor. Noch vor Wycliffs Auftreten erhoben sich mehrere englische Bischöfe gegen die Herrschaft Roms, insbesondere Robert Grosse-Teste, ein Gelehrter, der die Heilige Schrift im Grundtext las, ihre Absolutheit anerkannte und sie über den Papst stellte. Er leistete heftigen Widerstand gegen Innozenz III. In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts lebte in England ein Mann namens Bradwardine, ein weiterer frommer Prälat und Gelehrter. Er hatte sich ebenfalls der wertvollen Lehre der Gnade zugewandt und sprach sich gegen die Handlungen der römischen Kirche aus. Er wurde, kurz bevor er 1349 starb, zum Erzbischof von Canterbury ernannt. John Wycliff konnte noch von seiner Lehre profitieren. Im Jahre 1345, als er noch Student war, wurden Asien, Europa und auch England von einer schrecklichen Pest heimgesucht. Dieses Ereignis wühlte den jungen Mann zutiefst auf, denn er hielt es für ein Gericht Gottes. Erschüttert im Angesicht seiner Sünden und in Erwartung des Gerichtes fragte er Gott, was er tun sollte. Gott antwortete ihm durch die Heilige Schrift, indem er ihm
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das Heil durch Gnade offenbarte. Wycliff fand den Frieden wieder und war entschlossen, den anderen mitzuteilen, was er gelernt hatte. Nachdem er zum Direktor des Balliol College in Oxford ernannt worden war, erklärte und erläuterte er seinen Studenten die Lehre des Glaubens und am Sonntag predigte er in einer einfachen Sprache vor dem Volk. Er beschuldigte den Klerus, die Heilige Schrift aus der Kirche entfernt zu haben, und forderte ihn auf, das Wort Gottes wieder einzuführen. Er erhob sich energisch gegen die „Bettelmönche“, die sowohl Arme als auch Reiche plünderten und in Saus und Braus lebten. Er widersetzte sich auch entschieden Papst Urbanus V., der vom König Eduard III. Feudalsteuern forderte und von ihm verlangte, dass er sich als sein Vasalle unterwarf. Wycliff wurde schließlich zum Rektor der Kirche in Lutterworth ernannt und er begann mit Kühnheit seine Lehren der Reformation der Kirche zu predigen. „Das Evangelium ist die einzige Quelle der Religion“, behauptete er und stellte sich somit energisch gegen das Papsttum. Seine Worte alarmierten den Klerus und der Bischof von London beschuldigte ihn der Ketzerei. Er wurde zwei Mal aufgefordert, vor einer Versammlung des Klerus zu erscheinen. Die Rettung seines Lebens verdankte er das erste Mal zwei einflussreichen Fürsten und das zweite Mal dem Eingreifen der königlichen Mutter, die eine Fortführung der Gerichtsverhandlungen verbot. Wycliff verkündete darauf: „Ich habe die Absicht und den Wunsch, durch die Gnade Gottes ein echter Christ zu sein und, solange ich atme, das Gesetz Christi zu bekennen und zu verteidigen.“ Von da an gab er sich ganz der Verbreitung des Evangeliums hin, bildete Jünger aus, die man auch „Armenpriester“ nannte und die durchs ganze Land bis zum kleinsten Dörfchen zogen, um zu predigen, von Almosen lebten und das Evangelium in jede Ecke des Landes brachten. Daraufhin führte der Klerus ein Gesetz ein, das allen Beamten befahl, diese Prediger ins Gefängnis zu werfen. Das Volk
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hingegen beschützte sie und verhinderte oftmals, dass sie verhaftet wurden. Seine Anstrengung, zu evangelisieren, und seine Tätigkeit als Professor in Oxford erschöpften John Wycliff und brachten ihn an den Rand des Todes. Der Klerus schickte deshalb eine Gesandtschaft von vier religiösen Ordensträgern, die von vier Ratsherren begleitet wurden, zu ihm. Sie hatten den Auftrag, ihn zum Widerruf aller seiner Lehren zu zwingen. Er weigerte sich und bekräftigte: „Ich werde nicht sterben, sondern weiterleben und ich werde weiterhin die schändliche Lebensweise der Mönche anprangern.“ Entgegen aller Erwartungen erholte sich Wycliff wieder und er konnte sich ganz dem Werk, das ihm am meisten am Herzen lag, widmen, nämlich den Engländern das zu geben, was bis jetzt niemand besaß, die Bibel in ihrer eigenen Sprache. Weil er weder Griechisch noch Hebräisch konnte, war er gezwungen, die Vulgata für seine Übersetzung zu benützen. Er arbeitete während zehn Jahren, wobei er von ein paar Freunden unterstützt wurde, bis sein Werk schließlich im Jahre 1380 beendet war und kopiert wurde, um verbreitet zu werden. Der Andrang übertraf alle seine Erwartungen, doch diese Verbreitung brachte ihm auch den Hass der Kirche ein, für die die Herausgabe einer englischen Bibel, die das ganze Volk und sogar die Frauen lesen konnten (!), bedeutete, „die Perle den Schweinen vor die Füße zu werfen“. Einige der Kleriker stellten sogar die Kirche über das Evangelium. Eine Bibel erreichte auch den Palast und wurde von Königin Anna von Luxemburg, Gattin des Königs Richard II., leidenschaftlich studiert. Parteigänger und Kritiker dieses Werkes jedoch widersetzten sich heftig und im Oberhaus wurde sogar darüber diskutiert, alle bestehenden Manuskripte zu beschlagnahmen. Wycliff erhob sich gleichermaßen gegen die Lehre der Transsubstantiation und wurde nicht müde, die Irrtümer des Papsttums anzuprangern, was unzählige Angriffe seitens des Klerus und sogar des Königs zur Folge hatte. Und selbst als
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seine Freunde ihn mehr und mehr verließen, weil sie die fortdauernden Verfolgungen nicht mehr aushielten, wurde sein Glaube an Christus und an die Vormacht des Evangeliums über jede andere menschliche Lehre niemals geschwächt. Als er eine Aufforderung erhielt, vor dem Papst Urbanus VI. zu erscheinen, der von England anerkannt wurde, während die anderen Ländern zu Clemens VII. hielten, gehorchte er nicht, denn seine Gesundheit war sehr instabil, sondern sandte ihm brieflich seine Überzeugungen. Weil Papst Urbanus VI. zu beschäftigt war, gegen seinen Rivalen Clemens VII. vorzugehen, ließ er ihn in Frieden, und so konnte John Wycliff die Zeit bis zu seinem Tod in Ruhe verbringen, inmitten seiner Gemeindemitglieder. Er schrieb noch den Trialog, eine Unterhaltung zwischen drei imaginären Personen: die Wahrheit, die Lüge und die Intelligenz. Am 31. Dezember 1384 schlief er friedlich ein. Um sich für die Unfähigkeit der Kirche, Wycliff noch zu seinen Lebzeiten zu besiegen, zu rächen, befahl das Konzil von Konstanz von 1415, seine Überreste zu verbrennen, was man 1428 auch getan hat. Seine Asche wurde in einen Bach geworfen. So hat John Wycliff mehr als ein Jahrhundert nach dem Franzosen Petrus Waldes einen wichtigen Grundstein zur Basis der Reformation in England gelegt. Nach seinem Tod setzten seine Anhänger, die man auch die „Lollards“ nannte, sein Werk im gesamten Königreich fort. Sie sandten sogar ein Schreiben an das Parlament, in dem sie die Abschaffung des Priesterzölibats, der Transsubstantiation, des Gebets für die Toten, der Opferung für die Götzenbilder und der Beichte forderten. Sie wurden anschließend der Ketzerei beschuldigt und viele von ihnen wurden zu Märtyrern.
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