Maloja | Eigene Wege gehen | Leseprobe - Kapitel 4

Page 1

KAPITEL 4

... DANN DIE MARKE

Es ist ein Sommertag 2008 ‒ schwül und heiß, wie so oft im Juli am Bodensee ‒, an dem Maloja eine Entscheidung trifft, die zu korrigieren Jahre dauern wird. Friedrichshafen ist damals einmal im Jahr das Mekka der Outdoorbranche, und am Messestand von Maloja herrscht reges Treiben, als ein smarter Typ mit gewinnendem Lächeln nach dem Geschäftsführer verlangt. Er stellt sich als Einkäufer von Amazon vor und fragt, warum Maloja seine großartigen Produkte denn nur indirekt über andere Verkäufer bei Amazon vertreiben ließe. „Das können wir von Amazon doch auch direkt als Händler“, meint er und zählt eine ganze Reihe von Vorteilen auf. Bei Maloja hat man sich bis dahin kaum mit Plattformen als Vertriebskanal beschäftigt, aber die Argumente klingen schlüssig. Und wenn Maloja-Produkte ohnehin auf deren Marktplatz gehandelt werden, dann kann man darüber nachdenken, es Amazon direkt machen zu lassen. Etliche Gespräche später einigt man sich auf einen gemeinsamen Versuch, der schließlich rund neun Jahre lang dauern wird. „Am Anfang wurden wir von den Amazon-Einkäufern persönlich betreut und als besonderer Kunde wertgeschätzt. Das funktionierte die erste Zeit gut“, sagt Klaus, „zudem war die Präsentation unsere Produkte besser als zuvor, und Amazon erwies sich als preisstabiler Partner.“

64

65


Doch fünf Jahre später führt Amazon ein neues Softwaresystem ein, das enormen Mehraufwand für die Kunden bedeutet. Zudem scheint die dialogische Kommunikation zunehmend der einseitigen Ankündigung neuer Verpackungsvorschriften und Lieferbedingungen zu weichen. Nichtkonformes Verhalten wird jetzt mit ersten Strafen sanktioniert. „Und auch beim Liquiditätsmanagement wurde Amazon zunehmend erfinderisch“, erinnert sich Klaus. „Nicht nur, dass Rechnungen erst einen Monat nach Fälligkeit beglichen wurden, jetzt zeigte die Software regelmäßig an, dass es zu einzelnen Rechnungen noch Klärungsbedarf gäbe. Klärung bedeutete jetzt, dass wir versuchen mussten, mit einem IT-System zu kommunizieren. Menschliche Ansprechpartner waren offenbar zu teuer geworden und sollten nicht auf Kosten von Amazons Liquidität gehen. So kam es immer häufiger vor, dass Rechnungen erst nach drei bis vier Monaten beglichen wurden. Amazon war dennoch der Überzeugung, dass dies selbstverständlich unter Skontoabzug erfolgen muss.“ Bald kommt es zu Abzügen wegen angeblich fehlender Teile. Das setzt sich auch fort, nachdem Maloja seine Logistiker anhält, Amazon-Sendungen doppelt zu kontrollieren. Was vorher ein Geschäft auf gegenseitiger Basis war, fühlt sich für Maloja allmählich als Daumenschraube an, die von der anderen Seite mehr und mehr angezogen wird. Insbesondere die immer kleineren Zeitfenster für die Anlieferung neuer Produkte sind logistisch kaum zuverlässig zu erreichen. „Die Strafe folgte jeweils auf dem Fuß“, sagt Klaus. „Widerspruch war zwar möglich, aber dazu musste im Amazon-System ein Fall eröffnet werden, den üblicherweise ein Mitarbeiter in Indien per E-Mail als unbegründet abwies. Solange wir direkten Kontakt zum Einkauf hatten, erreichten wir dennoch regelmäßig einen Erlass der Strafen“, fasst Klaus zusammen. „Selbst fehlerhafte Skonti wurden erstattet.“ Doch 2016 ändert sich auch hier die Lage. Persönliche Betreuung im Einkauf ist ab jetzt nur noch Großkunden vorbehalten. Kunden mit Umsätzen unterhalb der Millionengrenze wird kein direkter Einkäufer mehr zugeordnet.

66

Klaus und Peter ziehen die Notbremse, analysieren die Entwicklung und überprüfen, ob das durchaus lukrative Amazon-Geschäft überhaupt noch im Einklang mit Maloja-Werten steht. Das Resultat: „Nachdem wir die Situation schon einige Zeit beobachtet haben, sind wir zur Auffassung gekommen, dass eine partnerschaftliche Zusammenarbeit, wie wir sie üblicherweise mit unseren Händlern pflegen, nicht mehr möglich ist.“ Zwei Jahre nach Beendigung der Zusammenarbeit kommt eine E-Mail von Amazon ‒ mutmaßlich vom Algorithmus persönlich: „Sehr geehrter Lieferant, um unsere Partnerschaft weiterhin auszubauen, haben wir bei Amazon einen neuen Organisationsrahmen entwickelt, um Ihre Bedürfnisse besser zu verstehen und aufzuzeigen, wo Ihr Unternehmen Wachstumschancen hat. […] Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass Ihr Unternehmen den Goldstatus erreicht hat. Wir danken Ihnen für Ihre Partnerschaft mit Amazon und erkennen das Engagement Ihres Unternehmens an.“ Den Goldstatus – laut Amazon die zweithöchste Stufe auf einer fünfstufigen Lieferantenskala – hatte sich Maloja offenbar in den knapp zwei Jahren erarbeitet, in denen man kein einziges Teil mehr an Amazon geliefert hatte. Klaus nennt die Zusammenarbeit mit Amazon rückblickend „einen klaren Fehler in unserer Firmenhistorie. Wir bedauern, einen wenn auch kleinen Beitrag dazu geleistet zu haben, dass Amazon immer stärker wurde und seine Marktmacht heute schamlos ausnutzen kann. Für unser Verständnis einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit ist das wie ein Schlag ins Gesicht. Unsere Mitarbeiter haben wir inzwischen aufgefordert, keine Firmenbestellungen mehr bei Amazon zu tätigen.“ Weil Maloja ungefähr zur gleichen Zeit die Zusammenarbeit mit REI, einem großen US-amerikanischen Outdoor-Filialisten, einstellt, wird 2017 das einzige Jahr in der Maloja-Unternehmensgeschichte mit einem kleinen operativen Minus von einem Prozent. „Aber manchmal muss man einen Schritt zurückgehen, um etwas Größeres zu erreichen.“ „Es ist, wie wenn man auf unbekannten Trails im Wald unterwegs ist,“ verdeutlicht Peter, „da musst du immer damit rechnen, dich zu verfahren. Was machst du dann? Du hältst inne, drehst um und probierst einen neuen Weg.“

67


Markenführung, was ist das? Gewiss fällt die Entscheidung gegen das Geschäftsmodell im Stile Amazons seinerzeit aus einer Wertekollision und der daraus resultierenden Unzufriedenheit heraus. Doch eigentlich geht es um Tieferes: Mit der Entscheidung gegen Amazon revidiert Maloja den Fehler, die Kontrolle über seine Markenführung ein Stück weit aufgegeben zu haben und damit der eigenen Philosophie untreu geworden zu sein. Es gibt viele Arten, eine Marke konsequent zu führen. Die Vermarkter von Traditionsprodukten in der Lebensmittelindustrie wie beispielsweise Coca-Cola setzen darauf, das Produkt nie zu ändern und es dafür umso aggressiver mit großen Teilen des Umsatzes über alle Kanäle zu bewerben. Über eine hohe Penetranz meißelt sich die Botschaft „Kauf mich!“ in den Kopf der Zielgruppe. Eine Art Heavy-Metal-Marketing mit Hochenergiebeschallung ohne Unterlass. Maloja dagegen ändert sein Produkt mit jeder neuen Kollektion und bewirbt es im klassischen Sinne nicht: keine Einbahnstraßenkommunikation, wie sie über Printanzeigen in Outdoormagazinen, Rundfunk- oder Plakatwerbung stattfindet. „Wir suchen nach einfallsreicheren Lösungen“, sagt Klaus, „wie wir mit Redaktionen gut zusammenarbeiten können.“ Partneraktionen von Maloja mit Bikemagazinen umfassen zum Beispiel gemeinsam entwickelte Produkte oder die Vorstellung neuer Bikerouten. Klaus ist überzeugt, dass eine Marke wie Maloja an Attraktion verliert, wenn sie zu aggressiv beworben wird. Er hat Verständnis dafür, dass die Magazine davon leben, aber vom klassischen Werbungschalten hält er wenig, auch wenn Maloja dadurch vielleicht zu dem einen oder anderen Test mehr eingeladen würde.

Die Marke ist das Produkt Gemeinsam haben Maloja und viele Familienunternehmen unter den Traditionsvermarktern den unbedingten Willen zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit gegenüber Investoren- und Bankgeld sowie die wertbewusste, 68

stabile Preispolitik. Ihre Produkte werden nicht verramscht. Der entscheidende Unterschied liegt aber in der Markenphilosophie und im Kundenbild. Push-Marketing im Stile traditioneller Markenartikler macht das Produkt zur Marke und setzt ganz darauf, dieses Produkt mit aller Macht in die Welt hinauszuposaunen, bis jedem die Ohren klingeln. Es ist ein lauter Außenauftritt, dessen Ziel das Übertönen ist. Der Kunde verliert sich im Marketinglärm und kauft das Produkt schließlich auch deshalb, weil ihm kein anderes mehr präsent ist. Maloja dagegen macht die Marke zum Produkt. Die Chiemgauer haben das Pull-Marketing nicht erfunden, aber sie interpretieren es auf eigene Weise. „Wir wollen uns finden lassen, wollen neugierig machen“, erläutert Klaus. „Wenn Menschen eine Marke selbst entdeckt haben, dann ist das wie ein kleiner Schatz, den man gefunden hat. Dann trage ich die Produkte mit Stolz und erzähle Freunden, meiner Familie und Kollegen davon. Was ich in der Fernseh- oder Printwerbung gesehen habe, trage ich doch nicht weiter, das kennt doch schon jeder.“ Übertragen auf die Welt der Klänge handelt es sich bei dieser Markenphilosophie um Musik, die ganz bewusst mit ruhigen Passagen und gezielt gesetzten Pausen arbeitet.

Maloja-Marketing trägt eine ruhige Handschrift Bei Maloja kommt alles etwas leiser daher. Das zeigt sich beim Messeauftritt, im Katalog, im Showroom und bei der Ladeneinrichtung der Flagship Stores. Die Maloja-Außendarstellung und -Kollektionspräsentationen fallen auf, weil sie eine besondere Note haben, nicht weil sie so plakativ und laut wären. Diesen Markenauftritt verkörpert bei Maloja Andreas, genannt Andy, der Marketingverantwortliche. Eher untypisch für diese Rolle und den Aufgabenbereich, ist Andy ein Freund leiser Töne und muss sich im Prinzip nur vergegenwärtigen, wie er eine Aktion oder Kampagne selbst umsetzen würde, um zu wissen, wie er es auch für Maloja am besten machen sollte. Er sieht sich selbst nicht als Mann der ersten Reihe und schafft es gerade

69


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.