Manfred Grund Mitglied des Deutschen Bundestages
Deutscher Bundestag 18. Wahlperiode / 106. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 21. Mai 2015
Rede des Abgeordneten Manfred Grund in der Aussprache zur „Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: zum Gipfel Östliche Partnerschaft am 21./22. Mai 2015 in Riga, zum G-7-Gipfel am 7./8. Juni 2015 in Elmau und zum EUCELAC-Gipfel am 10./11. Juni 2015 in Brüssel“ Original-Protokoll 18/106, S. 10050 f.
Berlin, 22. Mai 2015 Manfred Grund, MdB Platz der Republik 1 11011 Berlin Telefon: +49 30 227-78014 manfred.grund@bundestag.de
Präsident Dr. Norbert Lammert: Ich erteile das Wort dem Kollegen Manfred Grund für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU) Manfred Grund (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anfang der 2000er-Jahre, also vor ungefähr 15 Jahren, habe ich an einer Konferenz im Rahmen des Programms „Partnerschaft für den Frieden“ teilgenommen. Auf dieser Konferenz waren Botschafter nahezu aller europäischen Staaten, also auch aus den Transformationsländern Ost- und Mitteleuropas vertreten, und auch verschiedene Militärs. Während der Konferenz ergriff ein russischer General das Wort und stellte die Frage, ob denn nicht jedermann klar sehe, dass sich mit der Osterweiterung der Europäischen Union und der NATO diese nach Osten, an die Grenzen Russlands verschieben und damit die Interessen Russlands verletzt würden.
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Es war spannend, zu erleben, wer dem russischen General antwortete. Kein EU- oder NATO-Botschafter ergriff das Wort. Es stand ein polnischer General auf, und er sagte, nicht die Europäische Union und die NATO würden nach Osten verschoben, um Russland zu beeinträchtigen, sondern Europa finde nach dem Ende des Kalten Kriegs und dem Fall des Eisernen Vorhangs seine Mitte wieder. – Meine Damen und Herren, was für ein Bild! Nach dem Ende der Teilung Europas findet dieses Europa seine Mitte wieder. Und selbstverständlich gehören Warschau, Krakau, Riga und Budapest zu Europas Mitte – wie schon vor der Teilung Europas, wie schon vor dem Kalten Krieg.
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Im Kalten Krieg war Europa geteilt in Interessenssphären und Machtblöcke: hier EWG, dort RGW, hier NATO, dort Staaten des Warschauer Paktes. In den Jahren nach 1990 schien diese Teilung aufgehoben. Europa konnte zusammenfinden. Interessenssphären und Machtpolitik hat niemand von uns, niemand in Europa, wirklich vermisst. Doch spätestens mit der Annexion der Krim und dem militärischen Eingreifen Russlands in der Ukraine ist die Machtpolitik, ist die Hegemonialpolitik wieder auf die europäische Tagesordnung zurückgekehrt. Auch der bevorstehende Gipfel der Östlichen Partnerschaft in Riga bleibt davon nicht verschont.
Die Deutsche Presse-Agentur, dpa, vermeldete gestern: „Vor dem Gipfel der Östlichen Partnerschaft in Riga hat der russische Außenminister Sergej Lawrow die EU mit Nachdruck davor gewarnt, Russlands Interessen zu schaden.“ Was aber sind Russlands Interessen, und warum sind es – offensichtlich – nicht die gemeinsamen europäischen Interessen, und wie könnte ein Ausgleich dieser Interessen aussehen? Meine Damen und Herren, beim heute Abend in der lettischen Hauptstadt Riga beginnenden Treffen der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union mit den Vertretern sechs östlicher Nachbarländer geht es um die Bilanz, die Verbesserung und Vertiefung der 2009 beschlossenen Östlichen Partnerschaft. Zur Östlichen Partnerschaft gehören die Ukraine, Weißrussland, Moldau, Georgien, Armenien und Aserbaidschan. Diese Staaten gehören zu Europa oder verorten sich selbst zu Europa und orientieren sich an der europäischen Entwicklung. Sie haben aber auf absehbare Zeit keine Beitrittsperspektive zur Europäischen Union. Mit der Östlichen Partnerschaft macht die Europäische Union diesen Staaten ein Modernisierungsangebot, ein Modernisierungsangebot durch Stärkung der Rechtsstaatlichkeit, zur Bekämpfung der Korruption, für gute Regierungsführung, ein
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Angebot zur gesellschaftlichen Modernisierung durch Stärkung der Zivilgesellschaft, ein Angebot zur wirtschaftlichen Modernisierung durch weitgehende Integration in den EU-Markt. Es geht also um Stabilität, und es geht um wirtschaftliche Entwicklung. Wieso innere Stabilität und wirtschaftliche Prosperität in den Ländern der Östlichen Partnerschaft russischen Interessen zuwiderlaufen sollten, ist für uns nicht so leicht nachzuvollziehen. Könnte es sein, dass Moskau die Westorientierung seiner Nachbarn deshalb ablehnt, weil deren rechtsstaatliche und demokratische Modernisierung eine Herausforderung für das eigene politische System ist? (Beifall bei der CDU/CSU – Michael Grosse Brömer [CDU/CSU]: Sehr gute Frage!) Macht Putin die erfolgreiche politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung Polens Angst, weil er hier in seinem eigenen Land die größten Defizite aufzuweisen hat? Meine Damen und Herren, mit Georgien, der Republik Moldau und der Ukraine hat die EU Assoziierungsabkommen abgeschlossen. Dies sind ambitionierte Programme für Reformen. Daran gilt es ohne Abstriche festzuhalten. Es bleiben Belarus, Armenien und Aserbaidschan. Mit Armenien hatte die Europäische Union ebenso ein Assoziierungsabkommen ausgehandelt, doch hat sich Armenien wegen innen- und außenpolitischer Zwänge der von Russland dominierten Eurasischen Wirtschaftsunion angeschlossen. Auch Belarus ist Mitglied in dieser Eurasischen Wirtschaftsunion. Aserbaidschan – auch das wurde erwähnt – sucht noch einen eigenen Weg. Auf diese unterschiedlichen Positionierungen wird die Europäische
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Union bei der im Herbst anstehenden Neuausrichtung der Europäischen Nachbarschaftspolitik akzentuiert antworten müssen. Ich sehe zwei zentrale Herausforderungen: zum einen den Konflikt mit Russland, zum anderen die Schwierigkeit einer nachhaltigen Modernisierung dieser Partnerländer. Beides wird kurzfristig nicht zu bewältigen sein. Es wird Jahre in Anspruch nehmen. Wir brauchen dazu strategische Geduld, insbesondere im Umgang mit Russland. Wir müssen mit Russland in einen Dialog treten mit dem ambitionierten Ziel, die Gegensätze zwischen Europäischer Freihandelszone und Eurasischer Zollunion zu überwinden. Falls sich Lawrows Vorbehalte durch einen solchen Interessenausgleich erübrigen, wäre das ein Gewinn für alle Beteiligten, auch für Armenien, welches sich nach dem Beitritt zur Eurasischen Wirtschaftsunion viel von einer weiteren wirtschaftlichen Annäherung an die Europäische Union verspricht. Hierzu ist es aber nunmehr auf einen Dialog zwischen Eurasischer Wirtschaftsunion und EU angewiesen, weil es nicht mehr frei für sich selbst verhandeln kann. Ein solcher Dialog wird auch einen Hinweis darauf geben, ob die Eurasische Zollunion die Situation in ihren Mitgliedstaaten verbessern will oder lediglich dazu dient, die von Russland beanspruchte Einflusssphäre wirtschaftlich und politisch von der Europäischen Union abzuschotten. Aus all dem folgt, dass sich eine Weiterentwicklung der Östlichen Partnerschaft an zwei Prinzipien ausrichten sollte. Erstens: Differenzierung. Wir brauchen eine starke Differenzierung zwischen den einzelnen Ländern, und wir brauchen eine stärkere Differenzierung unserer Angebote. Zweitens: Flexibilität. Wir brauchen größere Flexibilität hinsichtlich unserer Fähigkeit, schnell und zielgerichtet auf neue Herausforderungen und Entwicklungen zu reagieren. An einem Punkt ist allerdings klare Kante angesagt, nämlich beim Kampf gegen Korruption und Oligarchenwirtschaft. Dieser Kampf muss in den Ländern Osteuropas selbst bestritten und gewonnen werden. Denn in den vergangenen zwei Jahrzehnten haben vor allem in der Ukraine und in Moldau oligarchische Strukturen die Politik dominiert. Eine systemische Korruption hat staatliche Institutionen praktisch weitgehend privatisiert. Das oligarchische System hat eine moderne Form des Feudalismus etabliert. Oligarchen verzichten nicht freiwillig auf Einfluss und Pfründe. Der Rechtsstaat muss gegen Oligarchen erzwungen werden, auch und gerade mit unserer Hilfe.
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(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Gelingt diese Systemwende in der Ukraine und in Moldau nicht – also Stärke des Rechts und nicht: Recht des Stärkeren –, dann wird das oligarchische System früher oder später zu einem staatlichen Zerfall führen, und dieser staatliche Zerfall der Ukraine und der Republik Moldau wird größere Sicherheitsrisiken in sich bergen als der heutige Konflikt mit Russland. Unser Signal muss klar sein: Europa bedeutet politische und wirtschaftliche Reformen, gesellschaftliche Modernisierung, sozialer Zusammenhalt. Es sind Demokratie und wirtschaftliche Perspektiven, was die Menschen in diesen Ländern von der Östlichen Partnerschaft erwarten. Wir wollen diese mit den Assoziierungsabkommen und den Instrumenten der Östlichen Partnerschaft ermöglichen, und wir halten einen Interessenausgleich mit Russland für möglich und notwendig, eben weil die Östliche Partnerschaft und die Europäische Nachbarschaftspolitik nicht gegen Russland gerichtet sind. Es gibt berechtigte Hoffnung, dass sich Russland dem für Anfang 2016 geplanten Inkrafttreten des Freihandelsabkommens der EU mit der Ukraine nicht widersetzen wird. Ein Interessenausgleich mit Russland sollte auch deshalb möglich sein, weil Sankt Petersburg und Moskau gar nicht so weit von der Mitte Europas entfernt sind. Der Bundeskanzlerin viel Erfolg für die Gespräche in Riga und Ihnen vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Präsident Dr. Norbert Lammert: Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentribüne haben der soeben aus Prag eingetroffene Präsident des Abgeordnetenhauses des Parlaments der Tschechischen Republik, Herr Jan Hamáček, und seine Delegation Platz genommen, die ich im Namen des ganzen Hauses herzlich bei uns begrüße. (Beifall) Lieber Kollege Hamáček, wir freuen uns über Ihren Besuch, wünschen Ihnen einen interessanten Aufenthalt in Berlin, und wir freuen uns auf die immer enger werdende Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Parlamenten.