Manfred Grund Mitglied des Deutschen Bundestages
Deutscher Bundestag 17. Wahlperiode / 146. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 1. Dezember 2011
zu Protokoll gegebene Rede des Abgeordneten Manfred Grund in der Debatte „Die OSZE ausbauen und stärken“ (Tagesordnungspunkt 13) Original-Protokoll 17/146, S. 17544 f.
Berlin, 9. Dezember 2011
Manfred Grund (CDU/CSU):
Manfred Grund, MdB Platz der Republik 1 11011 Berlin Telefon: +49 30 227-78014 Fax: +49 30 227-76374 manfred.grund@bundestag.de
Der vorliegende Antrag weist ein grundlegendes Defizit auf: Er geht über Gemeinplätze nicht hinaus. Er erschöpft sich darin, altbekannte Probleme zu beschreiben, bietet aber keine neuen Lösungen. Das ist zu wenig für einen solchen Antrag. Dabei handelt es sich um ein wichtiges Thema. Nach wie vor ist die OSZE die einzige umfassende Sicherheitsorganisation im euroatlantischen Raum. Als solche ist sie bislang unentbehrlich. Daher können wir der grundsätzlichen Intention, die OSZE wieder zu stärken, nur zustimmen; denn es ist ja richtig, dass sich die OSZE in einer latenten Krise befindet. Zwar leistet die OSZE in ihrer humanitären Dimension und besonders mit ihren Wahlbeobachtungsmissionen eine wichtige Funktion. Doch den nach dem Kalten Krieg in der Charta von Paris formulierten Anspruch, eine funktionierende Sicherheitsarchitektur in Europa zu schaffen, hat die OSZE nicht erfüllen können. Die schwelenden Konflikte um Abchasien und Südossetien, Berg-Karabach und Transnistrien hat sie nicht überwinden können. Auch die Rüstungskontrolle befindet sich vorerst in einer Sackgasse: Aufgrund der fortdauernden russischen Truppenpräsenz in Georgien und Moldau hat die NATO die Ratifikation des AKSE-Vertrages abgelehnt. Russland hat im Gegenzug die Anwendung des KSE-Vertrages ausgesetzt. Wenn es um die Sicherheit in Europa geht, ist die OSZE heute weitgehend nur noch ein gemeinsames Forum. Deshalb ist es auch nicht ganz unverständlich, wenn Russland und einige andere Länder an der OSZE eine zu einseitige Orientierung auf die humanitäre Dimension kritisieren.
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Im Dezember fand der Gipfel von Astana statt. Das war immerhin das erste Gipfeltreffen der OSZE seit mehr als zehn Jahren. Der Gipfel von Astana sollte der OSZE neues Gewicht verleihen. Er war auch kein Misserfolg. Denn trotz der langjährigen Kontroversen um die Ausgestaltung der humanitären Dimension haben die Mitgliedsstaaten den gesamten Rechtsbestand der OSZE, einschließlich der menschrechtlichen, demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien, ausdrücklich bestätigt. Doch die Verständigung auf einen Aktionsplan zur Reform der OSZE ist zunächst gescheitert – vor allem an Differenzen über die schwelenden Konflikte. Nach wie vor haben wir im Bereich der zwischenstaatlichen Sicherheit ein starkes Integrationsgefälle in Europa. Wir haben eine enge sicherheitspolitische Zusammenarbeit in der NATO und zunehmend auch in der EU. Die osteuropäischen Länder und gerade auch Russland sind in diese Sicherheitsarchitektur aber nur unzureichend eingebunden. Es ist berechtigt, dass Russland diese mangelnde Einbindung kritisiert. Präsident Medwedew hat deshalb seinen Vorschlag für einen neuen Sicherheitsvertrag vorgelegt. Der vorliegende Antrag weist nicht zu Unrecht darauf hin, dass der russische Vertragsentwurf keine befriedigende Antwort zur Rolle der NATO und der EU in einer künftigen europäischen Sicherheitsarchitektur bietet. Im Übrigen bietet er auch keine Antwort zum Verhältnis zwischen der humanitären und der zwischenstaatlichen Dimension von Sicherheit. Diese wichtige Frage beantwortet aber auch der vorliegende Antrag nicht. Er übergeht sie einfach. Aber das bedeutet sicher nicht, dass wir die Vorschläge des russischen Präsidenten abtun sollten. Präsident Medwedew hat eine Diskussion begonnen; und er hat dabei zunächst vor allem die russischen Interessen formuliert. Das ist auch völlig legitim. Wir sollten diese Diskussion mit Russland ernsthaft führen. Die OSZE hat sie im sogenannten Korfu-Prozess aufgenommen. Sie muss aber auch mit den anderen sicherheitspolitisch relevanten Organisationen in Europa geführt worden. Der vorliegende Antrag betont das Erfordernis, den Dialog über die künftige Sicherheitsarchitektur mit Russland auch im NATO-RusslandRat zu führen. Zugleich aber wird die Rolle der EU dabei mit Schweigen übergangen. Dabei liegt mit der Meseberger Initiative inzwischen ein gemeinsamer Vorschlag von Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Medwedew vor, einen institutionalisierten Dialog über die künftige Sicherheitsarchitektur auch zwischen der EU und Russland aufzunehmen. Als Voraussetzung wollen beide Seiten
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zunächst gemeinsam Fortschritte bei der Lösung des Transnistrienkonfliktes erreichen. Sicherlich wird sich auch dieses Ziel nicht einfach und von heute auf morgen erreichen lassen. Trotzdem erscheint mir dieser Weg, bei konkreten Problemen anzufangen, der richtige Weg zu sein. Allein mit neuen oder geänderten Verträgen werden wir noch keine bessere Sicherheitsarchitektur in Europa schaffen, keine nachhaltige Stärkung der OSZE und auch keine bessere Einbeziehung Russlands erreichen. Dafür müssen wir vielmehr eine Agenda gemeinsamer Ziele entwickeln. Wir müssen die Fähigkeit zur praktischen Zusammenarbeit erproben. Anders als der vorliegende Antrag hat die Meseberger Initiative dafür einen neuen Ansatz eröffnet.