handelszeitung | Nr. 13 | 27. März 2014
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Datenschutz Mythos Privatsphäre
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ie amerikanische Verfassung schützt die Privatsphäre genau so wie das schweizerische Zivilgesetzbuch. Trotzdem scheint sie zusehends zur Chimäre zu verfallen – sodass plötzlich die Frage im Raum steht: Ist Privatsphäre überhaupt noch zeitgemäss? Diese garantiert nämlich, dass ein Mensch in einem nicht öffentlichen Raum unbehelligt von äusseren Einflüssen sein Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit wahrnehmen kann. Dass sich dieser Begriff im Laufe der Geschichte gewandelt hat, liegt auf der Hand. Zwar wurde schon im antiken Rom über das Verhältnis von individuellem Wohl und Gemeinwohl diskutiert. Die Privatsphäre war jedoch höchstens einer kleinen Elite vorbehalten. Dass das Thema im Mittelalter absolut keine Bedeutung hatte, überrascht genauso wenig wie die Tatsache, dass unsere heutige Vorstellung von Privatsphäre mit dem Aufkommen von Humanismus und Liberalismus zusammenhängt.
Manuel Nappo Leiter Fachstelle Social Media Management, HWZ Zürich
«Wenn man es genau betrachtet, geht es um ein einziges Prinzip: Kontrolle. Der Mensch will Kontrolle darüber, was er teilt und mit wem.»
Der Staat sollte die Bürger schützen und nicht ausspionieren Mit dem Datenschutz, der eng mit der Privatsphäre verknüpft ist, steht die Idee im Zentrum, dass jeder Mensch selbst entscheiden kann, wem wann welche seiner persönlichen Daten zugänglich sein sollen. Dass ausgerechnet der Staat, der seine Bürger schützen sollte, dazu neigt, diese zu beobachten, ist nichts Neues. Schon im Zeitalter des Feudalismus, später im Faschismus und im Kommunismus stellte die herrschende Elite im Namen des Gemeinwohls individuelle Freiheitsrechte zurück. Mit seinen Enthüllungen im Jahr 2013 zeigte Edward Snowden, dass ein Staat nicht
nur die eigenen Bürger ausspioniert, sondern auch jene anderer Staaten – auch das ist nichts Neues. Die bahnbrechende Innovation war vielmehr, dass der Staat nicht nur auf die eigenen Ressourcen zurückgriff. Der US-Abhördienst NSA zapfte die gewaltigen Datensammlungen von privaten Firmen wie Google an. Möglich ist dies, weil der gesamte Datenverkehr der Welt in die USA und nicht aus den USA geht. Jedes Foto, jeder Kommentar, jeder Link wird auf amerikanischem Boden abgespeichert. Nur 5 Prozent der Daten über einen Nutzer gibt dieser selber preis. Die restlichen Informationen stammen von seinen Kontakten, die ihn taggen oder die ihr Adressbuch synchronisieren. Der User merkt dabei zu spät oder gar nicht, welche Daten gesammelt werden. Er erfährt es eigentlich erst dann, wenn es eine Sicherheitslücke gibt – und dann ist es bereits zu spät. Das Bedenkliche an dieser Verknüpfung ist, dass dabei private Daten einer Regierung zur Verfügung gestellt werden. Und obwohl diese nur Gutes damit bezwecken mag, gibt es keine Garantie, dass die nächste Regierung die gleichen guten Absichten haben wird. Julian Assange definierte diesen Vorgang als «beispiellosen Reichtumsdiebstahl. Denn Wissen ist Macht.» Paradoxerweise hat die NSA bewirkt, dass unsere Daten sicherer wurden. Die SnowdenEnthüllungen brachten börsenkotierte Firmen in die Öffentlichkeit. Eine denkbar schlechte Publicity. Die Betroffenen avisierten die Verantwortlichen ihrer Datenzentren, die Kommunikationen zu verschlüsseln. Für die Sicherheitsexperten der Tech-Firmen ist es mittlerweile zur Ehrensache geworden, ihre Plattformen vor Eingriffen zu sichern. Dies schützt uns vor den Hackern, die beim Amazon-Login oder im Star-
bucks-Wifi unsere Kreditkartendaten kopieren. Ohne Snowden hätten Unternehmen diese Lücken nicht so schnell korrigiert.
Bewusstsein muss sich erst bilden wie beim Umweltschutz Ein gesundes demokratisches Staatswesen sollte die Privatsphäre der Bürger sichern und die Transparenz sicherstellen. Dem war in letzter Zeit nicht immer so. Zwar ist das Bewusstsein der Konsumenten im Bereich Datenschutz noch zu wenig ausgeprägt. So liest kaum ein Nutzer die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des iTunes Store durch. Trotzdem: Snowdens Enthüllungen haben auch in den USA eine starke Diskussion entfacht – und diese wird nicht so schnell abflachen. Privatsphäre ist kein absoluter Begriff, sondern in stetiger Entwicklung und im jeweiligen Kontext zu verstehen. Denn nicht jede Information über uns ist «privat». Das sieht man am eigenen Beispiel sehr gut. Was man der Ehefrau erzählt, ist nicht dasselbe, wie das, was man den Kindern, den Arbeits- oder Sportkollegen erzählt. Privatsphäre setzt eine Relation voraus. Und wenn man es genau betrachtet, geht es um ein einziges Prinzip: Kontrolle. Der Mensch will Kontrolle darüber, was er teilt und mit wem. Dabei fällt mir eine Parallele zum Thema Umweltschutz auf. Auch dieses Bewusstsein musste sich im Laufe der Zeit entwickeln und festigen. Analog dazu werden wir in den nächsten Jahren eine Datenschutz-Bewegung erleben. Oder mit den Worten von MeMe Jacobs Rasmussen, Chief Privacy Officer bei Adobe Systems: «If big data is the new oil, then privacy is the new green.»
Anlegerschutz Gefahr der Bevormundung
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ie Finanzkrise und die damit verbundenen Verluste, die viele Anleger zu beklagen hatten, liessen den Ruf nach einem adäquaten Anlegerschutz allerorts erstarken. In der Tat kommt zeitgemässen rechtlichen Rahmenbedingungen gerade in der Schweiz höchste Bedeutung zu. Das weltweit bedeutendste grenzüberschreitende Vermögensverwaltungszentrum soll Schweizern wie ausländischen Anlegern klare Regeln im Umgang mit ihrem Finanzdienstleister garantieren.
Zeitgemässes Regelwerk soll Rechtssicherheit schaffen Auch müssen Kunden davon ausgehen können, dass eine bestimmte Dienstleistung stets den gleichen Regeln unterliegt, unabhängig davon, ob sie von einer Bank, einer Versicherung oder einem unabhängigen Anlageberater erbracht wird. Zudem soll ein zeitgemässes Regelwerk Rechtssicherheit schaffen. So wird es als Grundlage für eine vertrauensbasierte Zusammenarbeit zwischen Aufsichtsbehörden und regulierten Instituten dienen. Bekanntlich ist Kunde nicht gleich Kunde: Anleger unterscheiden sich aufgrund der Grösse ihres Vermögens, aufgrund ihres Risikoappetits
«Der informierte Kunde ist verantwortlich für seine Entscheide.» Christian Wiesendanger Leiter Wealth Management Schweiz, UBS Zürich
oder aufgrund ihrer Erwartungen an den Beratungsumfang. Diese Unterschiede gilt es im Rahmen eines modernen Kundenschutzes einerseits zu beachten, anderseits in den Details der entsprechenden Regulierungen aber auch anlegerfreundlich zu gestalten. Im Sinne der liberalen Rechtstradition der Schweiz sollen sich neue Regeln also an zwei Grundprinzipien messen lassen. Erstens: Banken beraten ihre Kunden transparent, aber ohne übertriebenen Formalismus. Zweitens: Kunden entscheiden informiert und selbstverantwortlich über ihre Vermögensanlagen Werden diese Leitprinzipien in der Umsetzung nicht beachtet, bewirkt man das Gegenteil von dem, was man ursprünglich anstrebte. In
Deutschland und Grossbritannien zum Beispiel haben sehr aufwendige Protokollierungspflichten dazu geführt, dass Banken aus Kostengründen teilweise keine Anlageberatung mehr anbieten. Kunden müssen entweder Anlegerentscheide ohne Beratung treffen oder der Bank ein Vermögensverwaltungsmandat erteilen. Damit verkehrt sich der angestrebte Kundenschutz geradezu in sein Gegenteil. Ebenfalls könnten übertriebene Kundenprofilierungsoder Produktedokumentationsvorschriften eine Kostenexplosion bewirken, die für kleinere Institute nicht mehr tragbar ist. Deren Verschwinden wäre wohl eine der unvermeidlichen Folgen, und der Wettbewerb zwischen Instituten – nach wie vor eine der besten Grund-
lagen für wirksamen Anlegerschutz – wäre nachhaltig kompromittiert. Anderseits ist der informierte und mündige Kunde verantwortlich für seine Anlageentscheide. Er hat über den Zugang zu den relevanten Bankinformationen die Mittel in der Hand, seine Anliegen im Bedarfsfall auf dem Rechtsweg zu verfolgen. Sollte dieses Prinzip durch neue zivilprozessrechtliche Mittel wie Beweislast umkehr, die Zulassung von Gruppen- oder Verbandsklagen oder gar durch Prozessvorfinanzierung in Frage gestellt werden, wären Banken veranlasst, jedes Detail der Zusammenarbeit mit dem Kunden zu regeln, wie das in den USA heute schon der Fall ist, oder bestimmten Kundengruppen gar keine Anlagegeschäfte mehr anzubieten.
Aus Vertrauensbeziehung darf kein Misstrauen entstehen Und es wäre wohl nur eine Frage der Zeit, bis die gleichen zivilprozessrechtlichen Mittel auch den Arzt, den Bauhandwerker sowie alle anderen Wirtschaftssektoren treffen würden. Aus Vertrauensbeziehungen mit liberal gestalteten Sicherheitsnetzen entstünden Misstrauensbeziehungen, geprägt von Bevormundung und Verboten.
Dialog
@ HZ Nr. 12 20.3.2014 «Bundesbeamte verdienen mehr als Banker» Es wird wohl niemand bestreiten, dass wir auch beim Bund hochqualifizierte Mitarbeitende brauchen. Im Gegensatz zur Privatwirtschaft wird beim Bund kein einziger Akademiker «reich» und entsprechend muss die Attraktivität des Arbeitgebers mit anderen Massnahmen sichergestellt werden – beispielsweise mit höheren Durchschnittsgehältern.
wirken. Davon merkt man aber nichts. Stattdessen gibt es immer mehr Korruptionsfälle. Mir tut jeder Franken weh, den ich als direkte Bundessteuer bezahlen muss. Auch die automatischen Lohnerhöhungen sollten endlich gestoppt werden. Alle zwei Jahre eine individuelle Dass die Bundesangestell- Lohnerhöhung, aber auch ten zu viel verdienen, weiss nur dann, wenn die entman ja schon lange. Aber sprechende Leistung erdiese Löhne sind doch bracht worden ist. wirklich nur mehr übertrie- R. Zwicky ben. Wenn es scheinbar so viele Akademiker und «Hochqualifizierte» hat, sollte sich dies ja auch auf das Arbeitsergebnis ausZur Verdeutlichung: Der Jurist in der Bank kann Millionenboni garnieren, der Jurist im Bundesamt für Justiz maximal 15 Prozent seines Jahresgehalts. Aber was solls, solche Artikel haben beim steuerzahlenden Bürger immer gezogen. Armin Hug
HZ Nr. 12 20.3.2014 «Joseph E. Stiglitz» Stiglitz ganz aktuell und wenig ermutigend zum Wochenbeginn in der «Handelszeitung». Finde ich richtig (aber eben nicht gut). Wolfgang Gierls HZ Nr. 12 20.3.2014 «Die mächtigsten Unternehmen der Schweiz» 64 der heutigen Top 100 Unternehmen der Schweiz gab es 1975 noch nicht, schreibt @Handelszeitung Laurent Dietrich
HZ Nr. 12 20.3.2014 «Bundesbeamte verdienen mehr als Banker» Bundesbeamte verdienen mehr als Banker (wobei man – im Gegensatz zu Beamten – sein Geld einer Bank freiwillig gibt). Simon Scherrer
Was soll man dazu sagen ...? Gönnen wir es ihnen ... @Handelszeitung: Bundesbeamte verdienen mehr als Banker. Mario Marti
HZ Nr. 12 20.3.2014 «Die Geschäfte von Uli Hoeness» Uli Hoeness ist ein Bauernopfer, um die Machenschaften von Adidas und die Dummheit der beteiligten Banken zu vertuschen. Dummheit deshalb, weil man heutzutage nur einen berühmten Namen braucht, um solche Freiheiten wie Hoeness zu bekommen. Ob eine Qualifizierung vorliegt, ist uninteressant. Ruth Gehring
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