Digitale Lotsen

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| 13. November 2014

Management

Trends

Blick in die Glaskugel Futurist Pero Mićić erklärt, wie er Firmen die Zukunft voraussagt. Seite 30

Digitale Lotsen

Brigitta Garcia Lopez

Trend Warum immer mehr Firmen den Posten des Chief Digital Officer schaffen.

W

sein wird. 1000 dieser elektronischen Häuptlinge soll es bis Ende des Jahres enn Mona Brühlmann weltweit geben, behauptet der Berufsverihre Visitenkarte auf band CDO Club. den Tisch legt, erntet Dass die Stelle gerade jetzt geschaffen sie oft überraschte Bli- wird, hat einen einfachen Grund: Die socke. Denn darauf steht genannte digitale Transformation ist in ein Titel, den kaum jemand kennt: Chief vollem Gange. Unternehmen suchen hänDigital Officer (CDO). «Manche fragen deringend nach Wegen, die neuen Mögdann, ob ich immer die neuesten Geräte lichkeiten von Smartphone, mobilem Inhabe», sagt Brühlmann. Doch mit iPhone ternet und Sozialen Medien für ihr Ge& Co. hat ihre Arbeit nur mittelbar zu tun. schäft zu nutzen. Oder ihr Geschäft damit Die 43-Jährige leitet seit Anfang des Jahres sogar völlig neu zu erfinden. Für diesen dibei der Notenstein Privatbank, St. Gallen, gitalen Umbau braucht es einen Bauleiter – den CDO eben. «Im klassidas Digital Office. Diese neu schen Management gibt es geschaffene Abteilung ist mit keinen Bereich, der das Mitarbeitern aus IT und Der CDO findet Thema ganzheitlich ange­ Kommunikation besetzt und heraus, welche hen kann», erklärt Ma­nuel P. soll die zukünftige digitale Chancen die Nappo, Leiter des Center for Strategie des TraditionshauDigital Business an der HWZ ses erarbeiten. Das bedeutet ­Digitalisierung Hochschule für Wirtschaft, in der aktuellen Pionierphabringt. Zürich. Der Wissenschafter se vor allem: Recherchieren, empfiehlt allen UnternehWissen sammeln, den Puls des Netzes fühlen. «Wir schauen uns an, men, den Posten eines CDO einzurichten. welche Trends von Bedeutung sein könn- «Sie brauchen eine zentrale Innovationsfiten», erklärt Brühlmann. Wobei sich ihr gur, die das Wissen zusammenträgt und Team bewusst nicht nur auf den Finanz- die Ressourcen freigibt», so Nappo. Bislang allerdings muss man die Digisektor konzentriert. Airlines, Krankenkassen, Suchmaschinen – sie hat alles auf talchefs mit der Lupe suchen. Lediglich in dem Schirm, was sich in der Wirtschaft di- Medienhäusern und Werbeagenturen, gital tut. «Wir müssen über den Tellerrand beide besonders stark von der Online-Revolution betroffen, hat sich die Position hinausschauen», sagt die Managerin. schon etabliert. Gruner & Jahr, Ringier, Notenstein als Vorreiterin Grey oder AZ Medien haben schon einen Immer mehr Unternehmen gehen wie CDO ernannt. Die Schweizer Wirtschaft Notenstein vor: Sie benennen einen CDO greift die Idee ebenfalls zaghaft auf, aller– einen Top-Kader, der ausschliesslich da- dings wird nicht immer ein neues Mafür zuständig ist, den Weg in die digitale nagementressort geschaffen. Bei der UBS Zukunft zu weisen. 30 Prozent aller Unter- Schweiz kümmert sich Andreas Kubli seit nehmen erwarten, dass sich dieses Be- letztem Jahr um die Themen Multichanrufsbild in den kommenden Jahren ver- nel Management & Digitalization. Der breiten wird, ergab eine Umfrage von wohl bekannteste CDO dürfte momentan Swiss Post Solutions im deutschen Sprach- Adam Brotman von Starbucks sein; die raum. Die Marktforscher von Gartner Kaffeehauskette hat den neuen Chefposrechnen damit, dass langfristig in jedem ten 2012 geschaffen. Der Top-Manager ist vierten Unternehmen ein CDO zu finden unter anderem für den Internetauftritt, Constantin Gillies

Was tut ein Chief Digital Officer?  Aufgabe Der CDO hat die Aufgabe, traditionell-analoge Geschäftsmodelle in digitale oder Multi-Channel-Modelle zu überführen.  Schneller Wandel Er verantwortet die Entwicklung der Firma in Bereichen, die sich besonders schnell verändern, wie mobile Anwendungen, Social Media und internetbasiertes Marketing.  Mehr als IT Im Unterschied zum Chief Information Officer erfordert die Stelle eines CDO einen ­Schwer­punkt im kaufmännischen und Marketingbereich.  Alleskönner Ein CDO hat eine ­abteilungsübergreifende Querschnittsaufgabe und sollte im ­besten Fall Erfahrung mit ChangeManagement-Prozessen haben.

mobile Anwendungen, Soziale Medien und das Unterhaltungsprogramm in den Filialen zuständig. Aber können nicht andere Führungskräfte diese Aufgaben miterledigen – der Chief Marketing Officer (CMO) oder der Chief Technology Officer (CTO)? «Natürlich übernimmt der CTO diese Aufgaben in einigen Unternehmen schon», sagt Wissenschafter Nappo. Dennoch hält er die Schaffung eines komplett neuen Ressorts für sinnvoll. Es gehe bei IT-Projekten nicht mehr allein um Technik – um Software oder Datenbanken –, sondern zunehmend auch um weiche Faktoren wie die Frage: Können wir mithilfe des mobilen Internets die Kundenerfahrung verbessern? «Für solche Fragestellungen ist der CTO als reiner Techniker nicht der Richti-

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ge», so Nappo. Vom Chief Digital Officer wird deshalb mehr erwartet – vor allem Überblick. «Es geht nicht nur darum, E-Commerce oder digitales Marketing voranzutreiben, sondern zu schauen, wo überall durch die Digitalisierung neue Möglichkeiten – oder auch Risiken – für das Geschäft entstehen», sagt Dwight Cribb, Personalberater aus Hamburg. Er ist auf die digitale Wirtschaft spezialisiert und weiss, welche F ­ ähigkeiten Top-Manager hier besitzen müssen. «Wichtig sind einerseits tech­nisches Verständnis und Neugierde, anderseits muss die Person auch Kenntnisse im Change Management mitbringen.» ­Gerade in Grossorganisationen sei schliesslich Beharrlichkeit gefragt, um Strukturen aufzubrechen. Dass für den Job des CDO nur junge Kandidaten, die mit Online-Medien gross geworden sind, infrage kommen, findet Cribb übrigens nicht. «Im Gegenteil: Die jeweilige Person braucht auch E ­ rfahrung und ein gewisses Mass an Skepsis.» Wie schwierig es ist, einen solchen Typus von Chef zu finden, weiss der Headhunter aus seiner täglichen Arbeit. «Die Kandidaten sind schon rar», sagt Cribb. Aktuell sucht er im Auftrag eines gros­sen Mittelständlers nach einem CDO, der sich in der Servicewirtschaft auskennt. Ein Manager, der sich für den Posten empfehlen will, muss vor allem Erfolge vorweisen können. «Wir suchen Leute, die schon einmal gewinnbringend Technologie eingeführt haben», erklärt Cribb. Er gibt ein Beispiel: Ein Unternehmen hat seine ­Aussendienstler mit Tablet-PC ausgestattet, sodass schon vor Ort beim Kunden verbindliche Angebote gemacht und rechtskräf­tige Verträge aufgesetzt werden können. Ein Manager, der ein solches Projekt geleitet hat, würde sich für eine CDOPosition empfehlen. Auch Managerin Brühlmann von Notenstein kann einen solchen sogenannten Track Record aufweisen. «Ich bin seit 15

Jahren digital unterwegs», sagt die gelernte Typografin. Ihre Karrierestationen: Ausbildung zur Webdesignerin, Einstieg in eine Agentur, Programmierung von Webseiten, Aufstieg in die Geschäftsleitung, dann Wechsel in den Finanzsektor. Sie vereint Technik-Know-how mit Marketingwissen – genau die Mischung, nach der Unternehmen bei der Besetzung einer CDO-Stelle suchen.

In einigen Jahren etabliert Die wenigen Kader, die heute schon in dieser Position tätig sind, glauben fest daran, dass der heute noch exotische Chief Digital Officer in einigen Jahren so etabliert sein wird wie der Personalvorstand oder Finanzchefs. Doch es sind auch Zweifel angebracht. In den USA etwa ist der Siegeszug des elektronischen Leitwolfs teilweise schon ins Stocken gekommen. Top-Werbeagenturen wie Young & Rubicam und TBWA etwa haben den Posten schon wieder aufgelöst. Nicht wenige halten ihn schon jetzt für überholt. Ihr Argument: Die Digitalisierung des Geschäfts sollte die Aufgabe jedes Top-Managers sein, es braucht kein eigenes Ressort. Nappo vom Center for Digital Business sieht den CDO eher als Übergangsphänomen. «Er fungiert als eine Art von Fährmann, der die Organisation ans neue Ufer bringt.» Er vergleicht die Entwicklung mit der von Social Media: Für viele Firmen sind Facebook & Co. noch Neuland, und vielerorts wird gefordert, einen zentralen Social Media Manager auf das Thema anzusetzen. Doch nach und nach werden die Rufe leiser. «Es setzt sich die Erkenntnis durch, dass alle Social Media beherrschen müssen», so Nappo. Ähnlich wird das Schicksal des Chief Digital Officer ablaufen. Nappo bezweifelt, dass es den Posten in 20 oder 30 Jahren noch gibt – ganz einfach, weil bis dahin ­tatsächlich jedes Geschäft ein digitales ­Geschäft ist.


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