handelszeitung | Nr. 35 | 1. September 2016
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Digitale Wirtschaft Die Revolution frisst ihre Kinder
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eBron James ist gemäss der ame rikanischen Sportzeitschrift «Sports Illustrated» der wertvollste Basketballspieler unserer Zeit. Doch «King James», wie er von seinen Fans genannt wird, begann sein Leben auf dem harten Boden der Realität, in einem armen Viertel der Industriestadt Akrion im Nordosten von Ohio. Seine Mutter war 16, als James auf die Welt kam. Sein Vater hatte die beiden bereits zuvor verlassen. Was hat James' American Dream mit Unternehmen und digital zu tun hat? Ganz einfach: James hat nicht aufgehört, hart und diszipliniert zu trainieren, sobald er oben angekommen ist. Im Gegenteil: Seine beispielhafte Karriere beruht auf knallharter Arbeit – jeden Tag aufs Neue. Any given day.
Wer sich nicht weiterentwickelt, stirbt aus
Manuel P. Nappo Leiter Center for Digital Business, Hochschule für Wirtschaft Zürich
«Konsumenten werden neue Produkte über Nacht annehmen. Ohne dass die Platzhirsche Zeit zum Reagieren haben.»
Dass die Besten der Besten meist diejenigen sind, die am unermüdlichsten an ihren Leistungen feilen, gilt für fast alle Bereiche im Leben. So auch in der Wirtschaft, speziell im digitalen Sektor. Wer sich auf den Lorbeeren vergangener Erfolge ausruht, ist schnell weg vom Fenster. Nur: Wohin die digitale Transformation in Zukunft steuert, wissen nicht mal die Klassenbesten so recht. Nicht ohne Grund hat Mark Zuckerberg bei Facebook in den vergangenen Jahren deshalb mit Geld nur so um sich geschmissen und WhatsApp, Instagram und gleich auch noch die Virtual-Reality-Firma Oculus dazugekauft. Frei nach dem Motto: Wer sich nicht weiterent wickelt, stirbt aus.
Dass es auch anders geht, zeigt Netflix. Einst als DVD-Verleih gestartet, hat der OnlineStreaming-Service heute 81 Millionen Nutzer und investiert jährlich 5 Milliarden Dollar in die Produktion von Videomaterial. Netflix gilt als Musterdisruptor. Doch nun gerät das System ins Stocken. Andere Streaming-Plattformen wie Hulu drängen auf den Markt und die Studios beginnen die Kosten für ihre Shows in die Höhe zu schrauben oder gar gleich eigene StreamingApps zu entwickeln. Das Ergebnis? Netflix muss regelmässig Schulden machen, um flüssig zu bleiben. Der Umsatz ist zwar hoch – rund 2 Milliarden Dollar im ersten Quartal dieses Jahres. Doch der Gewinn betrug zur gleichen Zeit «nur» 28 Millionen Dollar. Die Lösung? Noch mehr Kundenzuwachs oder teurere Abos? Letzteres könnte zu einer Abwanderung der Nutzer führen. Und selbst wenn es zu höheren Einnahmen führte, würden die Partnerunternehmen wohl einen Teil des Zusatzeinnahmenkuchens für sich beanspruchen. Und das würde den finanziellen Teufelskreis nur weiter antreiben. Vor einem ähnlichen Problem stand Apple mit seinem iTunes-Geschäftsmodell. Vor rund 15 Jahren stellte der Noch-Computerhersteller die Musikbranche auf den Kopf: Plötzlich lud man sich die Lieblingssongs zu Hause vom Internet auf den iPod, anstatt zum Plattenladen an der Ecke zu spazieren. Eine Entwicklung, die im Musikgeschäft einem Erdbeben gleichkam. Doch nach dieser bahnbrechenden Inno vation wurde Apple etwas gar gemütlich. Während ein schwedisches Startup mit dem Geschäftsmodell des Musik-Streamings die Musikbranche revolutionierte, musste man bei
Apple die Musik immer noch downloaden. Als Tim Cook aufwachte, war der Zug bereits ab gefahren. Das vermeintlich unfehlbare Unternehmen Apple lief das Risiko, von Spotify «disrupted» zu werden. Dass man dann mit Apple Music schliesslich doch noch einen vergleichbaren Dienst lancierte, brachte dem einstigen First-Mover eher Spott als Lob.
Vergessen Sie den Glanz des Silicon Valley! Gehen Sie an die Arbeit! Frisst die digitale disruptive Revolution hier etwa ihre eigenen Kinder? Die Antwort lautet: Ja. Siehe: Telefon – SMS – WhatsApp oder TomTom – Google Maps oder Blackberry – Apple. Denn für alle gilt: «Disrupt or be disrupted.» Die Zeichen sind klar: Disruptionen sind unvermeidbar, ja schon fast ein Naturgesetz in der digitalen Welt und werden uns in den nächsten Jahren stetig begleiten. Mehr noch: Die Geschwindigkeit der Innovationen wird zunehmen. Und die Konsumenten werden nicht mehr Monate oder gar Jahre brauchen, um ein neues Produkt oder eine Dienstleistung anzunehmen. Nein. Es wird über Nacht geschehen, ohne dass die Platzhirsche darauf reagieren können. Weitsichtige Manager – oder sollte man sie Leader nennen? – tun gut daran, sich darauf einzustellen und ihre Geschäftsmodelle stetig zu erweitern und ebenso stetig auf die Probe zu stellen. Ein Prototyping-Perpetuum sozusagen. Vergessen Sie den Glanz des Silicon Valley. Die digitale Zukunft klingt eher wie LeBron James, nämlich so: «In Northeast Ohio, nothing is given. Everything is earned. You work for what you have.»
Geoblocking Bundesrat macht es sich zu einfach
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er online im Ausland bestellen will, der wird oft auf eine Schweizer Internetseite weitergeleitet. Dort sind die Preise dann in der Regel höher als im Ausland. Wenn Anbieter die ausländischen Nutzer automatisch auf einen jeweiligen nationalen Shop umleiten und dann dort ein abweichendes Produkte angebot mit abweichenden Preisen offerieren, dann ist das aber eine ungerechtfertigte Diskriminierung der Kunden. «Geoblocking» nennt sich diese Technik, mit der Anbieter Internet inhalte regional sperren könnnen.
Online-Einkäufer werden ihrem Herkunftsland zugeordnet Die Technik kam bis anhin vor allem für den Urheberschutz von Film und Fernsehen sowie für die Übertragung von Sportveranstaltungen zum Einsatz. Heute wird sie jedoch immer mehr dazu benutzt, Online-Einkäufer nach ihrem Herkunftsland zuzuordnen und in der Regel auf einen teuren heimischen Shop umzuleiten. Vor allem internationale Unternehmen versuchen damit gezielt, die höchsten Preise für ihre Produkte zu erzielen. Wenn ein nicht marktbeherrschendes Unternehmen einseitig beschliesst, seine Waren
«Wenn wir zuerst auf Antworten aus Brüssel warten, verlieren wir.» Elisabeth Schneider-Schneiter CVP-Nationalrätin
oder Dienstleistungen nicht im Ausland an zubieten, dann verstösst dies nicht gegen das Wettbewerbsrecht und gehört zur unternehmerischen Freiheit im Markt. Wenn «Geoblocking» jedoch auf Vereinbarungen zurückzuführen ist, muss genau geprüft werden, ob ein wettbewerbsschädigendes Verhalten vorliegt. Mit einer Motion fordere ich den Bundesrat auf, dieses Thema aktiv anzugehen und eine Task-Force «Digitaler Freihandel» einzusetzen. Die Politik soll dabei nicht in erster Linie neue Regulierungen schaffen, sondern ein Bewusstsein für Geoblocking entwickeln. Grundlage dafür wäre eine Auslegeordnung der Situation in der Schweiz sowie die Erarbeitung einer Strategie für allfällige Massnahmen. Eine TaskForce sollte die Entwicklungen in der EU und in anderen Staaten verfolgen und allenfalls auch versuchen, auf diese Prozesse einzuwirken.
Leider empfiehlt der Bundesrat nun diese Motion zur Ablehnung. Das Vorgehen der EU solle zuerst abgewartet werden, bevor gegen Handelshemmnisse wie das Geoblocking vorgegangen werden könne. Insofern sei es verfrüht zu handeln, führt er in seiner Antwort von letzter Woche aus. Bevor konkrete Massnahmen beschlossen werden, ist es sicher sinnvoll, die Entwicklung in der EU im Auge zu behalten. Die EU-Kommission beabsichtigt, Geoblocking im EU-Binnenmarkt bis spätestens Ende 2017 zu unterbinden. Schweizer Konsumenten profitieren aber nicht von diesem Entscheid. Deshalb stellt sich tatsächlich die Frage, was uns daran hindert, eine eigenständige und eingehende Analyse der Situation in der Schweiz zu ver anlassen. Die Wettbewerbsprobleme, welche durch den elektronischen Handel entstehen
können, müssen doch aus Sicht unseres Landes beurteilt werden können.
Digitalisierung stellt Politik vor unlösbare Herausforderungen Geoblocking ist ein typisches Beispiel, wie die Digitalisierung die Politik vor schier un lösbare Herausforderungen stellt. Zwar wird immer betont, dass die Digitalisierung zur treibenden Kraft für Innovationen werde. Aber in Wirklichkeit sind die Chancen und Risiken der digitalen Transformation in ihrer ganzen Dimension noch nicht erkannt. Das Verschwinden der Printmedien, selbstfahrende Autos, die neuen Technologien für Finanztransaktionen (Fintech), operierende Roboter oder eben auch die Geoblocking-Mani pulationen sind nur einige wenige Beispiele, wie wir von Innovationen eingeholt werden können. Damit wir von diesen Innovationen nicht überholt werden, tun wir gut daran, bei diesen Digitalisierungsprozessen ganz vorne dabei zu sein – nicht nur damit unsere Konsumenten nicht zu den Geprellten gehören, sondern auch um weiterhin als Innovationstreiber an der Spitze zu bleiben. Wenn wir bei allen diesen Themen zuerst auf Antworten aus Brüssel warten, dann haben wir bereits verloren.
Dialog
@ HZ Nr. 34 25.8.2016 «Interview mit dem CEO von Bühler» Viele sehr unsympathische Aussagen des neuen CEO von Bühler. Ich kann vor allem von Top-Managern nicht mehr lesen, wie sie den starken Franken als Entschuldigung für verpasste Innovationen, schlechtes und kurzsichtiges Gesamtmanagement heranziehen. Die Aussage, wonach über Nacht die Kosten 20 Prozent höher gewesen wären, ist schlicht nicht korrekt. Es
waren nie mehr als 16,6 Prozent und es hat sich seit langem bei etwa 9 Prozent eingependelt. Max Meier HZ Nr. 34 25.8.2016 «Stift-Order der Post» Nicht vergessen, Frau Ruoff hat einen hohen Leistungsanteil im Lohn und möchte jetzt endlich die Million knacken. Schade, dass Frau Ruoff vergisst, dass auch Caran d’Ache zu ihrem Umsatz beiträgt und nicht der Lieferant aus dem Nachbarstaat. Jean Paul
HZ Nr. 34 25.8.2016 «Wie Ältere das Wissen an Junge weitergeben» Interessante Studienergebnisse: «Wissenstransfer in Firmen: Teilen macht klüger» in der @Handelszeitung. Jochen Robes @jrobes HZ Nr. 34 25.8.2016 «Interview mit dem CEO von Bühler» Der Korruptionssumpf von Peru reicht bis in die Schweiz. Victor D. Manriquez @vmanriquez
HZ Nr. 34 25.8.2016 «Die Digitalisierung erfasst die Anwälte» Ein Tabu bricht: Roboter ersetzen Rechtsanwälte. Simon Ahammer @simmuc
Ein Tabu bricht: Roboter ersetzen Rechtsanwälte – zu #Legaltech in der Schweiz. Tom Klindt @TomKlindt
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Korrigendum HZ Nr. 34 25.8.2016 Im Interview mit Vivian Bologna, Kommunika HZ Nr. 34 25.8.2016 tionschef der Gewerk«Die fragile Zukunft schaft des Verkehrsper der Euro-Zone» sonals SEV, hat sich ein Danke für den Bericht. Viel- Übersetzungsfehler ein leicht könnte man über geschlichen. Das richtige diesen Indikator und die Zitat lautet: «Ich liebe Entwicklung regelmässig be- die Zugstrecke Bern– richten. Interessant wäre es, Lausanne. Die vielfältige zu erfahren, welche Gewich- Landschaft ist grossartig, te den Indexwert besonders und der Blick auf den beeinflussen. Welchen EinGenfersee (nicht Neuenfluss hat die Flüchtlingsim burgersee, Anm. d. Remigration auf die Indexwer- daktion) ist atemberaute? Profitiert Deutschland bend.» Wir entschuldigen von seinen h ohen Flüchtuns für den Fehler. lingsaufnahmen? Chris Lam
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