Schnipsel als Marketing

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| 30. Juni 2016

Schnipsel als Marketing

stephanie Pörnbacher

Management

Snapchat Der Messaging-Dienst ist bei jungen Menschen sehr populär. Eine Chance für Firmen?

S

stefan mair und tim höfinghoff

napchat hat sich zu einem kulturellen Phänomen entwickelt, von dem zu behaupten, dass man es nicht verstehe, fast schon schick ist: Zu kompliziert die Anwendung, zu kurzlebig die Videos, die sich nach kurzer Zeit selbst vernichten – das alles sei eher was für Teenager. Also können Firmen Snapchat vernachlässigen? Die rasant wachsenden Nutzerzahlen der App geben eine deutliche Antwort: Mehr als 100 Mil­ lionen tägliche Nutzer laden pro Sekunde 9000 Snaps, also Kurzvideos und Bilder, ins Netzwerk hoch. In der Schweiz sind laut einer Nutzerstudie aus dem Jahr 2015 knapp 60 Prozent der 14- bis 19-Jährigen auf Snapchat aktiv. Tendenz steigend. Facebook gilt bei diesen Jüngeren inzwischen als Plattform von gestern, auf der sich vor allem ihre Eltern und Grosseltern austoben. Das Konzept hinter Snapchat: Jeder Nutzer der App erstellt aus den vielen Videoschnipseln seine persönliche Story, die von anderen Nutzern angeschaut wird. Spontan und ungeschönt erhalten Zuschauer Einblicke in unzählige Accounts. Doch was bringt eine Präsenz bei Snapchat den Firmen wie IWC und Coca Cola Schweiz, die bereits ein Snapchat-Profil haben? «Ganz ein-

fach: Nähe zum Kunden», sagt Manuel Nappo, Leiter des Center for Digital Business an der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich: «Die Möglichkeit, Nachrichten mit Emojis und perso­ nalisierten Notizen, Verzierungen und Filtern anzureichern, ermöglicht ­einen emotionalen und direkten Zugang zur eigenen Zielgruppe.» Die ­Atmosphäre auf Snapchat sei locker und entspannt, die User wollten unterhalten werden, so Nappo.

IWC als Vorreitermarke Wenn eine Firma ihre lockere Unternehmenskultur präsentieren will, eigne sich Snapchat dafür hervorragend. So können Vorgesetzte oder Mitarbeitende von Teammeetings, Events oder Firmenausflügen snappen und damit potenziellen Bewerbern oder Kunden einen ungefilterten Einblick in die Unternehmenskultur geben. Bisher nutzen Schweizer Firmen die App vor allem dazu, für Sonder­ aktionen oder Neueröffnungen von Shops zu werben. So machte es die Modekette H&M bei der Eröffnung ­eines neuen Flagship-Store in Genf. Die Luxusuhrenmarke IWC will auf ihrem Kanal eine jüngere Zielgruppe für die Marke begeistern. Das machen die Marketingverantwortlichen von IWC, indem sie über Snapchat Einblick in verschiedene Events von IWC bieten, zu denen die meist minder-

Tipps und Tricks  Previews Viele Firmen nutzen Snapchat, um neue oder in Kürze lancierte Produkte ­anzuteasern.  Rabatte Manche Firmen streuen Rabattcodes in ihre Snapchat-Inhalte und ver­ suchen so, die Followerzahl zu steigern.  Contests Kunden werden aufgefordert, ihr bestes Bild mit dem jeweiligen Produkt auf Snapchat zu veröffentlichen.

jährigen Snapchat-Nutzer eher keinen Zugang haben. «Die Schweizer Unternehmen hinken beim Thema Snapchat, wie so oft, leider noch etwas nach», sagt Digitalfachmann Nappo. «Im deutschsprachigen Raum finde ich vor allem die Autovermietung Sixt besonders spannend.» Wenn Nutzer die Inhalte des Accounts @SixtDE verfolgen, sehen sie Videos von einem Foto-Shooting mit einem BMW i8 oder Einblicke in einen Testtag mit einem neuen Wagen. Das klingt zwar nicht wahnsinnig innovativ. Der Social-Media-Teamleiter von Sixt, Oliver Stock, sagt aber: «Wir sind damit auf grosse Resonanz gestossen, obwohl wir Snapchat bis-

lang kaum promotet haben. Bereits am ersten Tag zählten wir mehr als 1000 Views. Wir wurden während der Drehpause sogar von Passanten angesprochen, die @SixtDE auf Snapchat folgen.» 1000 Views für eine Marketingkampagne klingt zunächst nach einer überschaubaren Zahl, verglichen mit hohen Reichweiten, die andere Marketingaktionen erreichen. Social-Media-Experten argumentieren aber, dass es ein wesentliches Merkmal gebe, das Snapchat von anderen Kanälen unterscheide. Die Nutzer seien bei Snapchat viel aufmerksamer, während etwa bei Facebook nur schnell über den Feed gescrollt wird – und zwar an zahlreichen Inhalten einfach vorbei. Weil es auf Snapchat keinen Feed, also eine Oberfläche wie bei Face­book, gibt, sei die Aufmerksamkeit des Nutzers fokussierter, zudem würden die Videos bei Snapchat stets bildschirmfüllend betrachtet.

Bloss nicht langweilen Durch diesen starken Aufmerksamkeitsfokus sind Firmen aber besonders herausgefordert. Mit öden oder irrelevanten Inhalten die Nutzer zu langweilen, das kann sich auf Snapchat schneller schädlich auswirken als auf anderen Plattformen. Ist Snapchat daher nur eine Plattform für Marketingprofis, die sich keinerlei Fehler erlauben? «Wenn der

Chef die Zeit findet, zu snapchatten, umso besser», erklärt Manuel Nappo. Besonders für Firmen sei ein pas­ sender Mix entscheidend für erfolg­ reiches Snapchatting: «Ob mal das Backoffice, der Empfang oder die ­ Marketingabteilung postet – alle mit kreativen Ideen sind willkommen.» Snapchat sei so einfach zu bedienen, dass es nicht unbedingt einen SocialMedia-Manager dazu brauche. Bei den Problemen, die vor allem manche ältere Nutzer (also im Fall von Snapchat alle, die über 20 Jahre alt sind) mit der Nutzung der App haben, kann auf eine kurze Schulung aber wohl nicht verzichtet werden. Ein Punkt, der ebenfalls für Snapchat spricht: Inhalte vernichten sich nach kurzer Zeit, spätestens nach 24 Stunden von selbst. Gefeit vor Hackerattacken oder Datenschutzproblemen ist der Dienst aber nicht. 2013 erbeuteten Hacker Millionen von Userdaten bei Snapchat. 2014 wurden Hunderttausende Bilder der Snapchat-Nutzer gestohlen. Und nicht zu vergessen: Auch Snapchat selbst behält sich das Recht vor, «jederzeit aus beliebigen Gründen auf Inhalte zuzugreifen, ­diese einzusehen und zu löschen.» In Sachen Datensammelwut steht Snapchat seinen Social-Media-Vorgängern also in nichts nach. Mehr zum Thema www.handelszeitung.ch/snapchat

Wie firmen Snapchat einsetzen Aer Lingus Als eine der ersten Airlines setzt die irische Aer Lingus auf regelmäs­ sige Snapchat-Beiträge. Die Kurzvideos handeln beispielsweise von Einweihungen neuer Flugzeuge. Immer wieder wird aus dem Cockpit gesnapt.

Amazon Der OnlineVersandhändler weist in seinen SnapchatBeiträgen immer wieder auf besonders günstige Deals und Angebote hin. Dadurch sollen vor allem die Millionen Teenager auf Snapchat zum Kauf motiviert werden.

Amorana Der Schweizer Online-Shop für Erotikartikel präsentiert sich auf Snapchat eher auf spielerische Art und Weise. So gibt es etwa Einblicke in die Lagerhallen der Firma oder Snaps aus der Produktion der Erotikartikel.

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IWC Die Schweizer Luxus-Uhrenmarke IWC nutzt ihren SnapchatKanal vor allem als Möglichkeit, potenziellen Kunden einen Einblick bei verschiedenen IWC-Events zu liefern. Auch hier ist vor allem eine junge Zielgruppe im Visier.

Marriott Hotels Die Marriott-Gruppe war das erste Hotellerie­ unternehmen, das sich einen Account bei Snapchat zugelegt hat. Fotos und Videos, die auf Snapchat geteilt werden, werden auch auf Facebook zweitverwertet.


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