Tradition schlägt Agilität

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HANDELSZEITUNG | Nr. 11 | 12. März 2020

Innovation Tradition schlägt Agilität

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egacy ist out. Agility ist in. Legacy ist von gestern. Agility ist die Zukunft. Wenn man von Unternehmen spricht, mag diese Theorie stimmen. Doch gilt sie auch für Nationen? Und was heisst das für ein Modell mit Entstehungsdatum 1291? Es ist unübersehbar: Wir sind im Konflikt der Tech-Systeme. Im Clash um die Vorherrschaft in der digitalen Welt. In der blauen Ecke: die USA. Langfristig bestrebt, ihre wirtschaftliche Spitzenposition und Machtstellung zu erhalten. Kaum etwas hat die agilen, amerikanischen Tech-Giganten in ihrem rasanten Wachstum aufgehalten. Weder im Heimmarkt noch im Rest der Welt. Auch die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen dürften kaum mehr als Retuschen zur Folge haben; denn es geht um sehr viel. Zu lukrativ und einflussreich sind die ­weitestgehend unregulierten Kräfte im Silicon Valley.

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agilen Anpassungsprozesse zwischen hart konkurrenzierenden Tech-Mächten behaupten zu können. Oder ist dies zu kurz gedacht? Manuel P. Nappo Director Institute for Digital Business, HWZ

«Nur Konsens, Chancengleichheit und Vertrauen zeitigen langfristig Erfolg.»

Chinas Firmen haben ihre ausgeklügelte Erkennungssoftware platziert In der roten Ecke: China. Durch High-End-Innovationen, gepaart mit zügiger, autoritärer Politik, will das Reich der Mitte seinen Aufstieg an die Spitze weiter vorantreiben. Wirtschaftswachstum nach strategischem Kalkül und operativer Cleverness. Doch der digitale Machtanspruch der Volksrepublik geht darüber hinaus. Nicht nur Daten im eigenen Land werden umfassend erhoben und ausgewertet: Chinesische Unternehmen haben ihre ausgeklügelte Erkennungssoftware samt Nutzungsalgorithmen bereits auch in anderen Staaten verwandter Couleur platziert. Big Brother is going to watch everybody. Und die Schweiz? Konsensorientierung und Bedachtsamkeit sowie eine föderalistische, partizipative Politkultur charakterisieren unser Tun und Lassen. Nicht eben adäquate Attribute, um sich in einem Zeitalter der hohen Veränderungsgeschwindigkeit und der

Diversität, Bildungsstärke und Findigkeit sind entscheidend Kommt es bei der Beurteilung der Wettbewerbs­ fähigkeit nicht mindestens ebenso auf die Nachhaltigkeitspotenziale einer Gesellschaft an? Die Antwort hängt wohl vom Betrachtungszeitraum ab. Ich bin überzeugt, dass nur Konsens, Chancengleichheit und Vertrauen langfristig Erfolg zeitigen. Eine Kultur, in welcher Co-Creation Tradition hat und nicht ein Buzzword ist. Eine Rechtsordnung, welche Freiheit, Gleichberech­tigung und Solidarität verbindet. Eine Bevölkerung, die immer wieder durch Diversität, Bildungsstärke, Findigkeit und Engagement auffällt. Eine Volkswirtschaft, die in ihrer Dezentralität immer wieder Flexibilität beweist. Ein Staat, der eine im internationalen Vergleich hervorragende öffentliche Verwaltung aufweist. Ein System, welches sich die Zeit nimmt, umfängliche Regulierungen mit Schutzrechten für das Individuum durchzudenken. Eine Staatsform, die selten die schnellste ist, dafür generationenübergreifend wirkt, und die hohen internationale Bewunderung findet. Die positiven Puzzleteile hierzulande reichen zwar nicht aus, ein Spital in zehn Tagen hinzuklotzen oder ­innert weniger Jahre einen demokratiegefährdenden Technologiegiganten entstehen zu lassen. Sie reichen ­jedoch aus, ein stimmiges Bild zu schaffen, das auch in Jahrzehnten noch sehens- und lebenswert ist. Bauen wir also auf die Vorteile, die wir als System/Gesellschaft/Nation Schweiz haben. Setzen wir darauf, entwickeln wir sie und stärken wir unsere Wettbewerbsfähigkeit im Zusammenhang mit digitalen Technologien nach un­serer Façon. Unsere Swiss Legacy war, ist und bleibt die ­Erfolgsformel zum Bestehen neben den Giganten.

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«Die Corona-Krise ist eine Warnung an die Regierungen.» Lucrezia Reichlin Professorin für Wirtschaftswissenschaften, London Business School

teme, der Arbeitsbeziehungen sowie der Solidaritätsmechanismen in der EU auf die Probe stellen wird. Und wenn die Pandemie nicht mit einer aggressiven und rechtzeitigen politischen Reaktion konfrontiert wird, werden ihre Auswirkungen wahrscheinlich lang anhaltend sein, insbesondere wenn Verstärkungsmechanismen aktiviert werden.

Dauert die Krise länger, werden wir das in den Bilanzen der Banken sehen Solche Mechanismen wirken über den Finanzsektor. Zwar sind die Banken heute besser kapitalisiert als 2008, als die letzte Finanzkrise ausbrach. Aber einige Länder haben immer noch Schwächen und die Widerstands­ fähigkeit von KMU ist nach wie vor zweifelhaft. In der verarbeitenden Industrie leiden die KMU bereits jetzt. Im Falle einer langen Krise werden ihre Probleme in den Bilanzen der Banken landen.

Ein Brief an die Männer RICCARDA MECKLENBURG

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iebe Männer, den Frauentag feierten wir mit Artikeln, Sendungen, Aktivitäten zur bestehenden Diskriminierung von Frauen in Gesellschaft, Kultur und Arbeitswelt. Wer ein aufmerksamer Zeitgenosse ist, weiss, dass es noch einiges zu tun gibt, um Gleichberechtigung hinzubekommen. Aber es gibt etwas sehr Perfides und Zerstörerisches unter uns Frauen, das ebenfalls die Diversität in Unternehmen bremst. Und da könntet ihr – liebe Männer, liebe Chefs – etwas machen: Frauen haben ein paar Schwächen, und dies wissen Männer auszunutzen. Zwei Stichwörter: Stutenbissigkeit und Bienenköniginnensyndrom. Ja, wir sind in den tiefen Niederungen von Neid, Eifersucht, In­ trigen, Hass und teuflischen Allmacht­ fantasien gelandet. Aus der Evolution wissen wir: Männer greifen zum Zweihänder, Frauen nutzen die Intrige, um unlieb­ same Konkurrentinnen zu eliminieren. Beide haben es auf ihre Weise perfektioniert. Nur ist der Einsatz des Zweihänders

«Es gibt sehr Perfides unter uns Frauen.» durch ­Gesetze verboten. Die Intrige dagegen wird nur durch Ethik und Moral sanktioniert. Daher haben sich etliche Männer inzwischen ebenfalls für dieses Kampfmittel begeistern lassen. Aber das ist jetzt eine Randnotiz und wird nur zur Vollständigkeit erwähnt. Es geht mir um die fiesen Frauen, die aus Neid ihre erfolgreichen Kolleginnen oder Chefinnen mit Intrigen fertigmachen und deren Karrieren ruinieren. Ja, tun Sie jetzt nicht so: Das gibt es! Nix Sisterhood, Solidarität und so. Und Sie wissen genau, wovon ich spreche.

Corona Was Europa jetzt tun muss ie Corona-Epidemie ist nicht irgendein Stresstest. Zunächst einmal wird sie wahrscheinlich die ganze Welt betreffen und zu einer synchronisierten Wachstumsverlangsamung oder sogar Rezession führen. Synchronisierte Rezessionen sind praktisch immer tiefer und länger andauernd als Abschwünge, die einzelne Volkswirtschaften betreffen. Da alle EU-Mitgliedstaaten mit einem schweren Schock konfrontiert sind, werden sie sich gegenseitig weit weniger helfen können als während der 2010 beginnenden Krise in der Euro-Zone. Sicherlich hat Italien bisher am meisten gelitten. Aber frühere Übertragungsmuster in anderen Ländern deuten darauf hin, dass sich das Virus weiterhin in Europa ausbreiten und jedes Land unter wachsenden Belastungen leiden wird. Es ist unmöglich, genau zu sagen, wie sich die Epidemie entwickeln wird. Und diese Ungewissheit wird die wirtschaftlichen Auswirkungen nur noch verstärken, da sie Investitionen und den Konsum der Haushalte untergraben wird. Sicherlich können die Folgen eines Schocks von kurzer Dauer sein. Doch während China die Neuinfektionen unter Kontrolle gebracht zu haben scheint, steigt die Zahl der Fälle andernorts weiter an. Wenn sich dies nicht bald ändert, werden die wirtschaftlichen Auswirkungen wohl nicht von vorübergehender Dauer sein. Wahrscheinlicher ist, dass der Corona-Schock die Widerstandsfähigkeit der öffentlichen Gesundheitssys-

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Was die EU deshalb jetzt wirklich braucht, ist ein k­ oordinierter fiskalischer Impuls, der ihre gemeinsame ­Finanzierungskraft nutzt. Die Corona-Krise bietet ihr die Gelegenheit, einen leistungsfähigen Krisenmanagementmechanismus zu schaffen, der die Ressourcen der Mitgliedstaaten bündelt und in eine koordinierte Finanzpolitik lenkt. Die Idee eines solchen «Versicherungsfonds» ist nicht neu: Mehrere Ökonomen haben sich nach der letzten Krise für diese Idee eingesetzt. Jetzt ist der Moment für die EU, rasch koordinierte Massnahmen zu ergreifen und die Dynamik zu nutzen, um die Institutionen aufzubauen, die sie braucht, um beim nächsten Mal noch effektiver zu handeln. Corona sollte als eindringliche Warnung an die Regierungen dienen. Die Kombination aus Umweltzerstörung und tiefer wirtschaftlicher Verflechtung hat die Welt anfälliger denn je für plötzliche, grossflächige Schocks gemacht. Die EU ist es ihren Bürgern schuldig, dafür zu sorgen, dass sie darauf reagieren kann.

Wie viele Männer haben genussvoll den Zickenkrieg im Büro beobachtet und cool lächelnd die Weiberkalamitäten als Steigbügel für die eigene Karriere genutzt? Meine Bitte an Sie: Schreiten Sie aktiv ein, wenn der Hühnerstall gerade dabei ist, seine goldene Eier legende Gans zu zerhacken. Oder einzelne Chefinnen andere Begabte nicht neben sich ertragen können. Denn auch das ist ein Grund, wa­ rum talentierte engagierte Frauen plötzlich aus Unternehmen verschwinden, in einigen Fällen zu Kündigungen genötigt werden oder mit Burnout die Krankenversicherungen belasten. Das wäre meine Bitte, um das Thema Diversität in Unternehmen zu verbessern: Manchmal brauchen Frauen Schutz vor Frauen. So traurig das ist. Riccarda Mecklenburg, Vorstand Verband Frauenunternehmen, Founder Crowdconsul.ch.

DIALOG

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Fassade zu reinigen. Nun der Bericht seiner Aufsichtsbehörde mit Klartext. Die Parteien, die seine WieHZ Nr. 10 5.3.2020 derwahl durchgewunken «Bundesanwalt Lauber haben, werden sich wundern, wie Lauber erneut in ist untragbar» Ist die Schweiz zur Banaden Kampf mit allen Mitnenrepublik geworden? teln um die öffentliche Der fehlbare Bundesanwalt Meinung einsteigen wird konnte seine Aufsichtsund leider noch lange die kommission öffentlich an- Institution Bundesanwaltgreifen, sich einen Star­ schaft, die auch für den anwalt besorgen, um gegen Wirtschaftsstandort bedeueinen Bundesrichter vorzu- tungsvoll ist, grundlegend gehen, und sich eine teure erschüttert und damit auch PR-Agentur leisten, die in unseren Rechtsstaat. Roger Schärer Bundesbern und in Strafverfolgungskreisen für Lauber einen Strahlenkranz anzündet, um seine

HZ Nr. 10 5.3.2020 «Konzernverantwortungs­ initia­tive: Praktisch wir­kungslos» Die #Handelszeitung schreibt, die #Konzernverantwortungsinitiative sei praktisch wirkungslos. ­Warum genau will @economiesuisse dann Millionen Franken für die Gegenkampagne ausgeben? Mir scheint, die «Handelszeitung» konstruiert da ein ­Argument. Lutz Fischer-Lamprecht @LuFiLaCH

HZ Nr. 10 5.3.2020 «Wenn das Ungeheuer aufwacht» So schlimm wird der #Börsencrash, wenn das #Ungeheuer aufwacht; via @handelszeitung. Die #SNB hat fast eine #Billion #Dollar Vermögen in den Büchern – was ausreichen würde, um jede einzelne Aktie im #SMI zu kaufen. H. Philip Pulver @HPPulver

HZ online 5.3.2020 «Veranstalter müssen Risiko abschätzen» Absolut richtiger Entscheid. Wenn die Anzahl der Erkrankungen ausartet, wird es eng auf der Intensivstation, und gerade bei diesem Virus ist die Anzahl der Leute, die eine Sauerstoffunterstützung oder gar einen Platz in der Intensivstation brauchen, hoch! ­Jeder muss Verantwortung übernehmen, um die Schwächeren zu schützen Susanne Stigliano

Ein Entscheid, der hilft, eine Pandemie zu verhindern. Schade für die, die es trifft! Aber was, wenn dieser Entscheid nicht gefällt worden wäre. Die Unmut, nicht gehandelt zu haben, wäre noch grösser! Toni Odermatt Flughäfen, Einkaufszentren, Bahnhöfe – da zählt man immer mehr als tausend Leute. Und jetzt dann noch mehr, weil, wo willst hin, wenn sonst nix mehr läuft. Mirko Bleuer

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