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Apokryphe Landschaften
Schließung des Marburger Kunstvereins
rum dieser Titel? Die Motive der Ausstellung im Marburger Kunstverein sind durchweg Landschaften: Bergpanoramen, Gletscher, Wasserwogen und Gischt, filigranes Astwerk und steinige Küstenformationen. Der Begriff „apokryph“ meint „düster, verborgen, geheimnisvoll“ - und tatsächlich haben die Werke Sven Drühls etwas Verstörendes und erscheinen unwirklich. „Apokryphen“ sind jene religiösen Texte, die nicht zum Bibelkanon gehören, also als solche nicht anerkannt wurden. Sven Drühl (1968 in Nassau geboren, lebt in Berlin) arbeitet seit 2001 nach Vorbildern - unter anderem aus dem Kanon der romantischen Landschaftsmalerei – und reflektiert somit die seit der Zitat-wütigen Postmoderne viel diskutierte Frage nach der Autorschaft des Bildes, nach der Auffassung von Echtheit und Originalität in der Kunst. Jedes Vorbild ist in den Titeln der Werke von Sven Drühl immer durch die Angabe der jeweiligen Künstlerinitialen kenntlich: Die Titel lauten etwa E.T.C. (als Verweis auf Edward Theodore Compton) oder A.E.K. (für Anton Eduard Kieldrup). Sven Drühl verarbeitet mal das ganze Bild, mal nur einen Ausschnitt daraus, kombiniert auch mehrere Bilder eines Malers oder bisweilen sogar bis zu neun verschiedene Bilder unterschiedlicher Künstler. Man könnte dieses Verfahren „Hommage“ nennen oder es mit dem Bastard-Pop vergleichen, einem Mitte der 90er Jahre entstandenen Phänomen, Zur Eindämmung der CoronaPandemie sind seit dem 2. November 2020 Museen und Ausstellungsorte geschlossen. Sobald diese Schutzmaßnahme aufgehoben wird, zeigt der Marburger Kunstverein die Ausstellung „Sven Drühl. Apokryphe Landschaften“ für einen Zeitraum von sechs Wochen.
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Sven Drühl Foto: Carola Schneider
„Sven Drühl. Apokryphe Landschaften“
Ausstellung im Marburger Kunstverein
Apokryphe Landschaften? Wa-
www.marburger-kunstverein.de
bei dem per Sampling Musikcollagen aus verschiedenen Musikstükken zusammengemischt werden. Seit einigen Jahren bezieht sich Sven Drühl nicht nur auf romantische Landschaftsbilder, sondern verwendet auch japanische Holzschnitte, Fotografien von Wolfgang Tilmanns oder Sebastião Salgado, computererzeugte Bilder von Gerhard Mantz und Vektordatei-Hintergründe von Computerspielen. Beim Gang durch die Ausstellung lässt sich kaum unterscheiden, welche Werke einen
S.D.E.T. (Oil), 2020, 140 x 100 cm, Öl und
Lack auf Leinwand. Fotos: Sven Drühl
E.T.C., 2018, 210 x 180 cm, Öl und Silikon auf Leinwand S.D.G.M., 2016, 160 x 115 cm, Lack auf Leinwand
DARKER III, 2019, 50 x 50 x 140 cm, Mixed Material
Bezug zu realen Naturvorbildern haben und welche auf eine Quelle rein virtueller Machart rekurrieren. Die meisten der gezeigten Bilder gehen auf virtuelle Vorbilder zurück. Sie sind im Titel gekennzeichnet als C.G.T. (Computer Graphic Texture) oder E.T. (Electronic Texture). Verblüffend ist, dass sie dennoch die Illusion natürlicher Landschaften erzeugen. Aus künstlichen Welten entstehen also Bilder, die vorgeben, Natur zu meinen, doch jeglicher Referenz zu ihr entbehren. Sven Drühl spricht von „Antimalerei mit malerischen Mitteln“. Alle seine Techniken seien „eine Art Verweigerung der klassischen Malerei“. Einige in Öl gemalte Bilder zeigen Silikon-Spuren als Konturen, bei den meisten in Lack oder in Ölfarbe und Lack kommen Klebefolien zum Einsatz, die nach den Vorlagen Sven Drühls per Schneide-Plotter für ihn produziert werden. Früher hat er sie selbst zugeschnitten, doch seine Bilder wurden immer komplexer – die Schablone eines großen Bildes besteht aus rund 27.000 teils winzigsten Einzelsegmenten! Bei drei Werkgruppen verzichtet Sven Drühl komplett auf Farbigkeit: 2005 begann er mit den ersten Bilder der Serie „Undead“ in Silikon und schwarzer Ölfarbe, die in vielen Nuancen – je nach Lichteinfall - vibriert und schimmert. Für die artifiziellen Konstrukte der „Black“-Serie verwendet der Künstler Tafellack, Mattlack und Glanzlack der RAL-Farbe 9005 "Tiefschwarz". In Glanzlack setzt er beispielsweise Baumwipfel und filigrane Verästelungen vor die Fläche des matten Nachthimmels. Hier und bei den seit 2019 entstehenden Skulpturen der DARKERSerie zeigen sich die „Nachtseiten der Natur“. Sven Drühl hüllt die Berge in Trauerflor - ein Abgesang auf die Idylle der Bergwelt und ihre Mythen von der Allmacht der Natur. Berge und Gletscher sind genauso wie unsere Wälder und Gewässer starken Veränderungen durch den Klimawandel ausgesetzt. Vielleicht ist die Macht der Bilder in einer Ausstellung wie dieser sogar stärker als die immer fragiler werdende Schöpfung? Carola Schneider
Sven Drühl. Apokryphe Landschaften Marburger Kunstverein
Zur Ausstellung erscheint bei Hatje Cantz ein Katalog zum Subskriptionspreis von 25,–€.