Italien für Fortgeschrittene
Montefeltro Mit Hügeln in allen Grüntönen, Trüffeln und wildem Spargel im Überfluss, mittelalterlichen Dörfern und der stolzen Renaissance-Stadt Urbino ist Montefeltro ein unwiderstehlicher Teil der Marken. Tex t & Foto s Anne miq u e de Kro o n
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rasgrün, Moosgrün, Smaragdgrün, Olivgrün, Flaschengrün, Tannengrün – es scheint, als ließen sich alle Grüntöne der Erde in den Hügeln von Montefeltro wiederfinden. Diese historisch-geografische Region mit einer Gesamtfläche von rund 1.800 Quadratkilometern und ca. 100.000 Einwohnern befindet sich in der Provinz Pesaro und Urbino in Le Marche (Marken). Der Anblick ist eine Wonne und man fragt sich, warum dieser Landstrich so wenig bekannt ist. Laura Sabbatini vom Reiseveranstalter Marcheholiday hat darauf eine Antwort: „Montefeltro und die Marken sind den Kennern vorbe-
ein kardinalsrotes Oberteil mit Kappe, doch was sofort ins Auge springt, ist seine Silhouette: Federico fehlt das Nasenbein. Glaubt man der Überlieferung, hat er sich den Nasenrücken operativ entfernen lassen. Bei einem Schwertkampf soll er ein Auge verloren haben und da er sich in ständiger Lebensgefahr wähnte und mit dem Tode bedroht sah, versuchte er mit diesem Eingriff sein Gesichtsfeld zu vergrößern. Das Originalgemälde des Herzogs – ein Diptychon mit seiner Frau Battista Sforza – hängt übrigens in den Uffizien in Florenz. Cristina ist Fremdenführerin im Palazzo Ducale von Urbino und während der Füh-
Das einzige Geräusch, das wir hören, ist das Rauschen des Baches im Tal. „Es ist ein ganz anderes Leben, im Rhythmus der Natur.“ halten. Jemand, der zum ersten Mal Italien besucht, der fährt nach Rom, Venedig oder in die Toskana. Erst danach geraten Gebiete wie die Marken und Montefeltro in den Blick.“ Bei der Ankunft an meinem Bestimmungsort beginnt es bereits zu dämmern. Im Abendlicht durchwühlen Wildschweine neben der Straße den Boden. Ob sie wohl auf der Suche nach Trüffeln sind?
Im Profil Vorige Seite: auf dem Weg von Urbania nach Urbino via Pieve di Cagna. Rechte Seite, im Uhrzeigersinn: die Brüder Remedia; das Hotel-Restaurant Antico Furlo; Trüffelhund Chicca.
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Diesem unbekannten Fleckchen in den Marken verdankt Federico da Montefeltro, Herzog von Urbino, seinen Namen. Bestimmt denken Sie jetzt, dass Sie niemanden aus dieser Gegend kennen und erst recht keinen Adligen aus dem 15. Jahrhundert, doch das Antlitz dieses Herzogs ist sehr bekannt. Sein Profil wurde von niemand Geringerem als Piero della Francesca verewigt. Federico trägt
rung hängen die Menschen an ihren grellrot geschminkten Lippen. „Bevor Federico da Montefeltro diesen Palast erbauen ließ, kannte man nur Burgen und Festungen. Doch Federico beschäftigte sich nicht mit Kriegsführung und Verteidigung. Sein Leben stand im Zeichen der Kultur. In der Renaissance – die in Italien früher begann als im übrigen Europa und von der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts bis in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts reichte – war Urbino Hauptstadt. Zu Federicos Zeiten war Urbino sogar größer als Florenz oder Rom.“ Federico da Montefeltro ist übrigens nicht der einzige, der mit seinem Profil diesen Landstrich geprägt hat. In der Nähe von Furlo haben Anhänger Benito Mussolinis 1936 sein Antlitz in eine 180 Meter breite Felswand gehauen. Man erzählt sich, dass der Diktator von sei- >
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„Dies ist die italienische Küche in Reinkultur: saisonal, mit einfachsten Zutaten, die die Küchenchefs möglichst für sich selbst sprechen lassen.“ nem Porträt wenig angetan gewesen sei: Es wirke, als ob er schlafe, während doch bekannt sei, dass „Mussolini non dorme, ma veglia sui destini d’Italia“ (Mussolini schläft nie, denn er wacht über das Schicksal Italiens). Widerstandskämpfer haben später seine Nase gesprengt und seitdem wuchern Sträucher und Bäume auf dem Haupt des „Duce“.
© Massimo Ripani/SIME/HOLLANDSE HOOGTE
Castello della Pieve
Linke Seite: Blick auf Urbino. Oben: Chefkoch Gabriele vom La Gioconda (Cagli) und eine seiner Kreationen.
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Auf einem der zahllosen Hügel von Montefeltro liegt Castello della Pieve, eine kleine mittelalterliche Burg, in der insgesamt neun Menschen wohnen. Einer von ihnen ist Bernardo Noberini, Miteigentümer und Koch des Country Relais Castello della Pieve und des dazugehörige Restaurant Il Girone dei Golosi. Bevor er sich ans Mittagessen macht, erzählt Bernardo, wie er an diesen idyllischen Ort geraten ist: „An meinem 40. Geburtstag hatte ich genug von meinem aufreibenden Job in Parma und bin mit meiner Frau und den damals noch kleinen Kindern hierher gezogen. Gastronomieerfahrung hatte ich zwar keine, doch mir war nach radikaler Veränderung. Und mir fehlte einfach die Geduld für kleine Schritte. Das macht keinen Sinn, denn dann verändert sich nichts. Meine Kinder nehme ich jedes Jahr mit in die große Stadt. Das finden sie großartig, doch sie bevorzugen die Freiheit, die sie zu Hause haben. Hier können sie den ganzen Tag draußen spielen und machen, was sie wollen.“ Als Bernardo kurz schweigt, ist das einzige Geräusch, das wir hören, das Rauschen des Baches im Tal. „Es ist ein ganz anderes Leben, im Rhythmus der Natur. Meine Lieblingsjahreszeit ist der Herbst. In der ersten Oktoberhälfte wechseln die Farben der Hügel von Grün nach Gelb und schließlich Rot. Es ist dann sehr
ruhig und noch herrlich warm“, schwärmt der sympathische Gastwirt. Das Menü, das Bernardo uns anschließend serviert, ist üppig, schlicht und äußerst geschmackvoll: Es gibt „Kuchen“ aus roten Kartoffeln aus Sompiano; Schinken aus Montefeltro; Kichererbsen mit Wurst, Dinkel und Rosmarin; frittiertes Brot (hauchdünn und leicht gesalzen); Käse mit Marmelade und Honig aus der Region; selbst gemachte Pasta mit goletta (eine Art Speck) und Tomate; Schweinefilet mit karamelisierten Äpfeln sowie einen Birnen-Schokoladenkuchen. Mit am Tisch sitzt Tine Roche von der Cambridge Cookery School. Sie ist ein großer Fan der regionalen Küche von Montefeltro und organisiert in der Region hin und wieder Kochkurse. Tine: „Dies ist die italienische Küche in Reinkultur: saisonal, mit einfachsten Zutaten, die die Küchenchefs möglichst für sich selbst sprechen lassen. Die Küche von Montefeltro ist selbst nach italienischen Maßstäben extrem regional. Spezielle Rezepte und Zutaten kennt man oft nur in einem bestimmten Dorf und in dem nächsten können sie schon wieder vollkommen unbekannt sein.“
Tartufo Bei der Trüffelsuche am folgenden Tag ist Tine wieder mit von der Partie. Sie hofft auf eine reiche Beute: „Hier wird natürlich viel mit Trüffeln gekocht; ihr Duft und ihr Geschmack sind einfach betörend und machen regelrecht süchtig. Es ist wie mit den besten Champagnern – sobald man Trüffel probiert hat, will man nichts anderes mehr.“ Bei Trüffelsuche denkt man an fallendes Laub und Wälder in Herbstfarben, doch in dieser Gegend scheinen fast das ganze Jahr hindurch Trüffel zu gedei- >
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hen. Die Könige unter den Trüffeln sind zweifelsohne der tartufo bianco pregiato und der tartufo nero pregiato, die köstlichen weißen und schwarzen Trüffel, die in den Herbst- und Wintermonaten gefunden werden. Aber auch im frühen Frühjahr (der tartufo bianchetto, der marzulo oder der tartufo nero d’inverno) und im Sommer (der tartufo nero d’estate) werden die unterirdisch wachsenden, knollenförmigen Pilze gesucht und gefunden. Giorgio und Fabrizio Remedia, mit allen Wassern gewaschene Trüffelsammler (tartufaio), wissen bestens Bescheid. Fabrizio: „Die eine Trüffelsorte ist mehr wert als die andere und manchmal wird versucht, einen Trüffel für eine teurere
„Der Hund, den wir damals hatten, war ein exzellenter Jäger; wir brauchten ihn nur aus dem Auto zu lassen und bald darauf kam er mit einem Trüffel zurück.“ Sorte durchgehen zu lassen. Doch sobald ich einen Trüffel probiert habe, weiß ich, um welche Sorte es sich handelt. Geschmack lässt sich nicht vortäuschen.“ Gemeinsam mit den beiden Trüffelbrüdern begeben wir uns also auf die Suche. Ihre Hündin Chicca, ein Deutsch Drahthaar, erledigt dabei die Hauptarbeit. Unermüdlich pendelt sie über das Feld und unter den Bäumen entlang. Sobald sie fündig geworden ist, ruft Giorgio sie und sie bringt ihm die Beute. Giorgio ist Trüffelsucher in dritter Generation: „Unser Vater ist jetzt 89, doch bis vor > Linke Seite: Gastlichkeit und Genuss gehen Hand in Hand; Einrichtung eines Landhauses von Marcheholiday; Balkon des Castello Brancaleoni mit Blick auf Piobbico.
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Tipps & Adressen
Übernachten ✦ Marcheholiday Marcheholiday hat ein großes Angebot an Landhäusern, restaurierten Bauernhöfen und Appartements in Montefeltro und den Marken. Ca‘ Quatrocchini zum Beispiel ist ein rustikales Landhaus mit einem Appartement, das auf einem Hügel liegt und über ein Schwimmbad verfügt. An kühleren Tagen in der Voroder Nachsaison kann man in der Wohnküche ein großes Kaminfeuer anmachen. www.marcheholiday.it ✦ Castello
della Pieve „Country Relais“ mit Charakter: neun Zimmer in einer Burg und ein gutes Restaurant. www.castellodellapieve.it ✦ Palazzo Ducale Mercatello Das Haus von Ottaviano Ubaldini della Carda, ein Stiefbruder Federicos, in Mercatello sul Metauro wurde vor kurzem erst restauriert und verfügt nunmehr über eine Suite, die man über www.airbnb. it anmieten kann. Oder man schreibt direkt eine E-Mail an den Neffen des Gastwirts Dr. Piero unter paolougolini@ bluewin.ch.
Essen ✦ Il Girone dei Golosi, Castello della Pieve Das Restaurant von Bernardo (s. Artikel) verfügt über eine wunderschöne Terrasse unter einem großen Baum. www.castellodellapieve.it
✦ La
Gioconda, Cagli Gutes Restaurant, in dem Kochen als eine Kunst aufgefasst wird. Chefkoch Gabriele kocht kreativ mit traditionellen und lokalen Zutaten. www.ristorantelagioconda.it ✦ Casa
Tintoria, Urbania Ein Tipp unserer Fremdenführerin Cristina. Slow Food aus der lokalen Küche. Donatella ist sowohl eine herzliche Gastgeberin, als auch eine begnadete Köchin. www.casatintoria.com Unternehmen ✦ Autoroute Am besten lässt sich Montefeltro mit dem Auto erobern. Die schönste Route von Urbania nach Urbino führt nicht über die Autobahn, sondern vorbei an Pieve di Cagna. ✦ Musik Im August werden samstag abends in der Chiesa di San Francesco und im Garten des Palazzo Donati in Mercatello sul Metauro klassische Konzerte angeboten. www.museodelmetauro.it ✦ Trüffelfestival Jährlich im Oktober stattfindendes Trüffelfestival in der „Trüffelhauptstadt“ Acqualagna. www.acqualagna.com ✦ Das
Bier von Collesi Statt eines lokalen Weines einfach mal ein lokal gebrautes Bier trinken. Das Bier von Collesi wird erst seit knapp sieben Jahren gebraut, hat aber >
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zwei Jahren ging er noch mit auf die Trüffelsuche. Früher quetschten wir uns mit alle Mann und Hund in den Fiat 500 und fuhren durch den Wald. Der Hund, den wir damals hatten, war ein exzellenter Jäger; wir brauchten ihn nur aus dem Auto zu lassen und bald darauf kam er mit einem Trüffel zurück. Der größte, den wir jemals gefunden haben, wog 1.170 Gramm.“ Nach Beendigung unserer Trüffeljagd tref-
Tipps & Adressen schon manchen Preis abgeräumt. Die Brauerei steht auf einer Anhöhe auf dem Landgut der Collesi, das sich seit 1870 in Familienbesitz befindet. Es gibt verschiedene Biersorten, die in hübsche Flaschen abgefüllt werden, darunter zwei Pale Ales und ein Triple Malt. www.collesi.com
✦ Mercatello
Mittelalterliche Dörfer Neben Urbino verfügt Montefeltro über eine Vielzahl an malerischen, historischen Orten.
✦ Piobbico
✦ Cagli
Sie schwärmt vom erdigen Geschmack der kostbaren Knollen: weiße Trüffel eignen sich besser für Gerichte mit Butter, schwarze eher für Gerichte mit Olivenöl.
Cagli hat einen schönen zentralen Platz und einen wuchtigen Turm (Torrione). Das Stadttheater aus dem Jahre 1816 ist ein Traum aus Samt und filigranem Holzschnitzwerk, auf dem Vorhang prangt Kaiser Barbarossa. Wie ein Besucher einst schrieb: „Eine Bonbonniere voller Geschichte.“ ✦ Sant’Angelo
fen wir Emanuela Bartolucci von Aqualagna, ein Betrieb, der Trüffel in Saucen, Tapenaden und Ölen verarbeitet. Sie schwärmt von dem erdigen Geschmack der kostbaren Knollen und erklärt, dass weiße Trüffel sich besser für Gerichte, die mit Butter zubereitet werden, eignen, während die schwarzen Trüffel – die, so Emanuela, süßer sind und nach Kakao und Haselnüssen duften – eher für Gerichte mit Olivenöl verwendet werden. An diesem Abend essen wir unter anderem Lasagne mit wildem Spargel, Artischocken, Erbsen und die Trüffel, die wir heute Morgen gefunden haben. Das Diner markiert das Ende der Entdeckungstour zu den Hügeln, Menschen und Trüffeln von Montefeltro. Es schmeckt auf jeden Fall nach mehr... ✦
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in Vado Mit kaum mehr als 4.000 vadesi ist Sant‘Angelo in Vado ein ruhiges kleines Städtchen. Aufregend war allerdings, als unter einem Acker die Reste einer römischen Villa aus dem 1. Jh. n. Chr. entdeckt wurden. Der Grundriss mit seinen prächtigen Bodenmosaiken ist sehr gut erhalten geblieben. Im Eingangsbereich sieht man zum Beispiel Neptun mit seiner Frau Amphitrite umringt von drei Delfinen, einen Bacchus und Porträts der Hausbesitzer sowie einige Tierdarstellungen und geometrische Motive. www.domusdelmito.com
sul Metauro Mercatello sul Metauro, ein alter Marktstandort am Fluss Metauro, verfügt über ein pittoreskes historisches Zentrum mit einem Stadttor, mittelalterlichen Gassen und einem wunderschönen Platz, der von einer Kirche und zahlreichen Palazzi umgeben ist.
Am Stadtrand von Piobbico steht das Castello Brancaleoni mit seinen 130 Zimmern. Man kann dort heiraten, ein Handwerksmuseum besuchen sowie Wandmalereien, Fossilien und das Skelett eines ausgestorbenen Riesenbärs bestaunen. www.castellobrancaleoni.it ✦ Gubbio
Der Tipp eines einheimischen Landschaftsfotografen: „Fahr nach Gubbio, da ist es viel schöner als in Urbino.“ Gubbio liegt ungefähr 65 Kilometer südlich von Urbino, im Nordosten der Provinz Perugia.
Das entzückende Stadttheater in Cagli.