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Meine Schule war ganz normal. Das behaupten...

Mark Thomas-Ißbrücker

https://plus.google.com/+MarkThomasIßbrücke...

Öffentlich

30.08.2013

Meine Schule war ganz normal. Das behaupten zumindest die anderen. Ich persönlich halte sie im Rückblick für ein tiefrotes Drachennest, aber das diskutieren wir noch. Wer sich also dafür interessiert, wie es an einer "ganz normalen Schule" im Honecker-Reich der 80er Jahre abgegangen ist, hier einige Einblicke vom Zeitzeugen: Frau P., Stabü-Lehrerin und Pionierleiterin. Rannte immer in FDJ-Bluse und mit Thälmann-Halstuch rum. "Seid bereit". Und "Freundschaft". Aber das war halt der Dresscode. So wie der Nadelstreifenanzug für die Jungs im Banken-Vorstand. Der Unterschied zur Jeans: Bei der sind die Nieten drauf statt drin. Frau P. hat uns dargelegt, wie SED-Politik funktioniert: "Das Politbüro trifft die notwendigen Entscheidungen für die planmäßige Weiterentwicklung von Staat und Wirtschaft. Und es ist die Aufgabe von uns, den einfachen Parteimitgliedern, den Menschen diese Politik zu erklären." Also die bekannte Tour: Die Linie von oben wird nach unten durchgedrückt. Mit Überzeugungsarbeit. Und Russenpanzern. Dass dann Gorbatschow antritt, Offenheit und Umgestaltung proklamiert, die Breschnew-Doktrin außer Kraft setzt und die Marionetten-Regierung in Ostberlin dem Volkszorn und damit ihrem Schicksal überlässt, diese Weiterentwicklung war weniger planmäßig. Musste den Menschen aber nicht groß erklärt werden. Wenigstens was. Von Frau P. war noch mehr zu erfahren: Der sozialistische Staat betrieb Devisenspekulation im westlichen Finanzsystem. Im Zusammenhang mit dem Milliardenkredit von den Spezl'n von Franz Josef Strauß für die DDR 1983 hatte sie erläutert, dass der Kredit zu relativ geringen Zinsen zu haben war und dann, bei amerikanischen Banken angelegt, deutlich höhere Erträge abwirft. Gut, heute wissen wir, es war Schalck-Golodkowski, der sich um solche Dinge kümmerte. Trotzdem �nde ich im Nachhinein bemerkenswert, wie genau sie seinerzeit über den Fluss des Kapitals im Kapitalismus informiert war; und in welcher Weise KoKo das nutzt. Gestützt auf derart fundierte Kenntnisse ist sie heute sicher im Bereich Anlageberatung tätig. Wahrscheinlich in Nadelstreifen. _

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Und AG Umweltgestaltung bei Frau R. - dank ständigen morgendlichen Zuspätkommens schon bestens bekannt. "Wenn du heute nach Hause gehst, dann dreh' dich doch nochmal um. Und schau dir deine Schule an. Und frage dich: 'Das ist meine Schule; was kann ich tun, um sie noch schöner zu machen?' " Spruchbänder: "Meine Hand für mein Produkt. Wir lernen für den Frieden. Vorwärts zum XXIII. Parteitag der KPdSU." Oder Plakate und Losungen, in die Fenster gehängt. War schon klar, worauf sie hinaus wollte.

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Meine Schule war ganz normal. Das behaupten...

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schau dir deine Schule an. Und frage dich: 'Das ist meine Schule; was kann ich tun, um sie noch schöner zu machen?' " Spruchbänder: "Meine Hand für mein Produkt. Wir lernen für den Frieden. Vorwärts zum XXIII. Parteitag der KPdSU." Oder Plakate und Losungen, in die Fenster gehängt. War schon klar, worauf sie hinaus wollte. Hä? Schöner machen? Bin ich vielleicht Friseur? Oder Zuhälter; und die Schule ist meine Nutte, und wird aufgehübscht, damit sie gut Rendite einbringt? Hohe Preise bei der Rassekatzenschau? Bieder, kleingeistig und spießbürgerlich. Das war das Klima in B.V.'s zehnklassigem allgemeinbildendem polytechnischem Kloster-Kindergarten. Nur: Mit solch einer Weltsicht schafft man keine neue Gesellschaft und keinen neuen Menschen. Auf ebendiese Art hatte es die Heilige Mutter Kirche schon zweitausend Jahre lang versucht. Bekanntlich mit mäßigem Erfolg. Und Ihr wolltet viel schlauer sein, mit Eurer wissenschaftlichen Weltanschauung und Eurem Erkenntnisoptimismus der Arbeiterklasse, und habt Euch doch noch viel dümmer angestellt. Klassenziel verfehlt, liebe Vorhut der Proletariats! Schon lange vor Herbst '89. Später dann AG Elektronik mit Herrn K. Die übliche Sprücheklopferei, am laufenden Band: Wissenschaftlich-technischer Fortschritt, sozialistische Automatisierung, Effektivierung, Rationalisierung. Haben wir in den zwei Jahren eigentlich irgendwas Elektronisches zustande gekriegt? Nicht, dass ich wüsste. Naja, er war SED-Parteisekretär. Was will man erwarten? Im Lebenslauf sah's gut aus. Und aus PA wussten wir ja schon: das war alles, worauf's ankam. Sehr effektiv. "Effekthascherisch" trifft's noch besser. Was das angeht, konnte man allerdings viel von ihm lernen. Danke Herr K., das nützt mir bis heute! Und wird's auch weiterhin... ___ ESP bei Herrn K.; als wir in die 9. kamen, gab's neue Lehrpläne, digitale Schaltungstechnik. Da stand der vor der Klasse, ganz aufgeregt, hat sich ereifert: "Jetzt haben wir einen neuen Lehrplan, alles hat sich geändert. Und nun musste ich euren Vorgängern, denen, die jetzt in der 10. sind, das sagen: 'Alles, was ich euch letztes Jahr beigebracht habe, ist jetzt falsch. Alles! Ist alles anders. Ist alles neu!' " Er war richtig gehend aufgelöst. Zum Totlachen. Nun machen Sie sich mal nicht verrückt, Herr K.! Genosse Parteisekretär. Ganz entspannt. Niemand, Genosse K., interessiert sich für das, was Sie zu erzählen haben. Oder letztes Jahr zu erzählen hatten. Geschweige denn für Ihrer Worte Wahrheitsgehalt. Ob's um ESP geht oder um sonst irgendwas. Da macht auch der Abschlussjahrgang '85 keine Ausnahme. Da dürfen Sie ganz beruhigt sein. 2 von 7

Im Jahr darauf mündliche Prüfung. Dreiphasen-Wechselspannung. "Bauen Sie mal eine Dreiecksschaltung auf." Wenn das alles ist. Heimspiel, mit verbundenen Augen, wenn gewünscht. Stecke die Kabel zusammen, nochmal kurz gecheckt - einschalten. Eine

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Im Jahr darauf mündliche Prüfung. Dreiphasen-Wechselspannung. "Bauen Sie mal eine Dreiecksschaltung auf." Wenn das alles ist. Heimspiel, mit verbundenen Augen, wenn gewünscht. Stecke die Kabel zusammen, nochmal kurz gecheckt - einschalten. Eine Lampe leuchtet hell, die anderen beiden nur halb. Schaltung nochmal überprüft: die war i.O. Sage zum Prüfer, war nicht K., sondern einer von 'ner anderen Schule: "Da ist eine Phase tot." Der guckt mich groß an, faucht: "Was ihr immer für Mist baut!" Reißt meine Schaltung auseinander, baut sie neu, schaltet ein - dasselbe Ergebnis. Er glotzt verwirrt. "Ich sag' doch: Hier an diesem Pol liegt keine Spannung an", und hab's ihm gezeigt. Sucht er ein Voltmeter herbei, misst nach. Siehe da - genau so war's. Da war an der Stromversorgung tatsächlich eine Phase tot. In der mündlichen Abschlussprüfung. Durchgebrannte Sicherung. Das hatten die vorher nicht kontrolliert! Welch gutes Gefühl, von derart fähigen Kräften unterrichtet worden zu sein.

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Mark Thomas-Ißbrücker Begriffserklärung: Stabü - Staatsbürgerkunde (soz. Gesellschaftskunde) ESP - Einführung in die sozialistische Produktion (Wirtschaftskunde) PA - Produktionsarbeit (Praktische Ausbildung im Industriebetrieb) AG - Fakultative Nachmittagskurse zu div. Themen Fehlt was? Einfach fragen.

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