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Wir brauchen Entlastungen für den Mittelstand

Die Wirtschaft muss weiterhin von der Politik unterstützt werden. Sie muss sich aber auch selbst auf mögliche weitere Krisen vorbereiten, sagen Mittelstandspräsident Mario Ohoven und TelekomGeschäftsführer Hagen Rickmann.

Mario Ohoven

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Präsident BVMW und Präsident European Enterpreneurs (CEA-PME)

Mario Ohoven ist seit 1998 Präsident des BVMW und seit 2002 Präsident des europäischen Dachverbands nationaler Mittelstandsvereinigungen CEA-PME. Als Sohn einer traditionsreichen Unternehmerfamilie ist der gelernte Banker seit mehr als 30 Jahren im Bereich Vermögensanlagen tätig. Ohoven ist bekannt für seine Wirtschafts- und Kapitalmarktprognosen. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, zuletzt wurde er 2019 für sein Lebenswerk mit dem „Mittelstandspreis der Medien“ geehrt. Sein Bestseller-Buch „Die Magie des Power-Selling“ wurde in zwölf Sprachen übersetzt. D ie Bundesregierung unterstützt die deutsche Wirtschaft

mit zuvor unvorstellbaren Milliardensummen. Ist das grundsätzlich der richtige Weg?

Mario Ohoven: Das Maßnahmenpaket ist der richtige Ansatz. Allerdings baut es zu sehr auf den privaten Konsum. Viele Verbraucher fürchten um ihren Arbeitsplatz, da kauft niemand teure Konsumgüter. Deshalb wird der Effekt der befristeten Mehrwertsteuersenkung weitgehend verpuffen. Für die Klein- und Mittelbetriebe bedeutet es zusätzlichen bürokratischen Aufwand und somit Kosten. Der Fokus sollte stattdessen auf der Liquiditätssicherung der Unternehmen liegen. Hier ist die Bundesregierung gefordert: Sie muss endlich die überfällige Reform der Unternehmensbesteuerung anpacken. Hagen Rickmann: Das Konjunkturpaket kann und wird der Wirtschaft sicher helfen. Zwei Dinge sind jetzt wichtig: Erstens, dass viel Geld in die Förderung von Digitalisierungsprojekten fließt, damit

Unternehmen einen Anreiz zur Transformation haben. Viele Mittelständler müssten sich dringend um die Digitalisierung ihrer Prozesse und um eine entsprechende Qualifizierung ihrer Mitarbeitern kümmern, sie scheuen aber den finanziellen Aufwand. Zweitens, dass diese Förderungen auch leicht in Anspruch genommen werden können. Konkret heißt das: Abbau von Bürokratie. Hierbei sollte die Wirtschaft der Politik beratend zur Seite stehen – sie weiß eher, wie man regulatorische Systeme schlanker macht.

Welche Erkenntnisse sollten die Unternehmen aus der Coronakrise mitnehmen? Und wie können sie sich gegen eine neue Krise wappnen?

Ohoven: Die Unternehmen sollten jetzt verstärkt auf die Erschließung neuer Märkte im Ausland und auf eine Diversifizierung ihrer Lieferketten setzen, um ihre Abhängigkeit zu verringern. Das geht nicht ohne die Politik. Was wir jetzt brauchen, sind Entlastungen für den Mittelstand, vor allem bei Abgaben und Auflagen. Das belastet Klein- und Mittelbetriebe stärker als Großunternehmen. Steuern, Abgaben und Bürokratie gehören insgesamt auf den Prüfstand. Rickmann: Die Corona-Pandemie ist primär ein wirtschaftliches Desaster, keine Frage. Sie ist aber sekundär auch ein Weckruf. Viele Unternehmen haben technische Umstellungen vor sich hergeschoben, weil das Geschäft gut lief und eine Restrukturierung nicht nötig schien. Dann mussten plötzlich über Nacht die Abläufe digitalisiert werden. Die Krise hat gezeigt, wie wichtig Digitalisierung für Unternehmen jeder Größe ist.

Müssen die Mittelständler sich neue digitale Geschäftsmodelle überlegen, um in Zukunft überleben zu können?

Rickmann: Unbedingt. Wer sich heute nicht digital transformiert, findet morgen nicht mehr am Markt statt. Man muss sich doch nur einmal anschauen, wie Handelsbetriebe mit Onlineshop die Krise im Vergleich zu Handelsbetrieben ohne Onlineshop erlebt haben. Das war ein erheblicher Unterschied! Natürlich hatten alle immense Einbußen – aber Handelsunternehmen, die sich zuvor digitalisiert hatten, konnten das mit einem gestiegenen Online-Umsatz zum Teil auffangen. Ohoven: Digitale Vermarktung, die Automatisierung buchhalterischer Vorgänge, die Arbeitswelt – all das befindet sich momentan im Umbruch. Erfolg heißt bekanntlich sich ändern. Andererseits wäre es gefährlich, jedem Hype hinterherzujagen. Kleinere Unternehmen müssen erkennen, welche Lösungen individuell zu ihnen passen und wovon sie profitieren können. Wir unterstützen sie dabei, unter anderem mit unserem Kompetenzzentrum Mittelstand 4.0.

Besteht die Gefahr, dass Startups wegen der hohen Neuverschuldung des Staates in Zukunft zu wenig Unterstützung erhalten?

Rickmann: Ja, die Gefahr besteht. Dabei ist es gerade jetzt wichtig, dass jungen Unternehmen unter die Arme gegriffen wird, denn sie bereichern die Wirtschaft um neue Ideen und Geschäftsmodelle – das kann uns in künftigen Krisen sehr von Nutzen sein. Startups haben derzeit einen schweren Stand: Sie arbeiten in der Aufbauphase planmäßig defizitär, erfüllen insofern kaum die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Corona-Hilfen. Deshalb hat sich die Telekom die Förderung von Startups auf die Fahne geschrieben. Wir haben ein umfangreiches Programm aufgelegt, an dem derzeit knapp 500 Gründer teilnehmen. Ohoven: Bei der Unterstützung für Startups gibt es insgesamt noch viel Luft nach oben. Die Gründungsquote in Deutschland sinkt stetig, auch weil die politischen Rahmenbedingungen nicht gerade Lust auf Unternehmertum machen. Aktuell geht es allerdings erst einmal darum, möglichst vielen Unternehmen durch die Krise zu helfen.

Würde die deutsche Wirtschaft einen weiteren bundesweiten Lockdown verkraften?

Rickmann: Wahrscheinlich würde unsere Wirtschaft auch einen zweiten Lockdown verkraften, da die Ausgangslage jetzt eine andere ist als Anfang des Jahres – die Unternehmen sind vorgewarnt, und sie haben sich zum Teil digitalisiert. Neue Vertriebswege müssen nicht mehr in aller Eile konstruiert werden, sondern sind bei vielen Unternehmen jetzt vorhanden. Wir hoffen allerdings, dass eine „Deutschland-steht-still“-Neuauflage nicht notwendig sein wird. Ohoven: Ich bin da weniger optimistisch. Die wirtschaftlichen Auswirkungen eines zweiten Lockdowns sind überhaupt nicht abzusehen, zumal die Bundesregierung mit dem Corona-Hilfspaket von 1,2 Billionen Euro ihr Pulver verschossen hat. Zugleich ist sie auf europäischer Ebene neue finanzielle Verpflichtungen in großem Umfang eingegangen. Wir haben daher in unserem Brandbrief an die Kanzlerin im FOCUS von der Politik gefordert, einen zweiten Lockdown verbindlich auszuschließen.

Hagen Rickmann

Geschäftsführer Geschäftskunden Telekom Deutschland GmbH

Hagen Rickmann leitet den Geschäftskundenbereich der Telekom Deutschland und setzt sich insbesondere für die digitale Transformation des Mittelstands ein. Seit seinem Eintritt in den Konzern im Jahr 2009 war Rickmann in verschiedenen Führungspositionen für die Geschäftskundensparte T-Systems tätig. Zunächst übernahm er dort das Portfolio- und Innovationsmanagement, ab 2011 leitete er als Geschäftsführer den Bereich Service, von 2013 bis 2015 verantwortete er den Geschäftsführungsbereich Vertrieb und übernahm dann den Geschäftskundenbereich bei der Telekom Deutschland.

Faire Lieferketten – aber wie?

Der Welthandel macht Produkte günstiger, aber die Menschen am Anfang der Lieferkette zahlen oft einen hohen Preis. Deutsche Unternehmen sollen ihre Zulieferer in den Ursprungsländern stärker kontrollieren und dafür haften. Ein umstrittenes neues Gesetz nimmt nun 7.400 größere Unternehmen in die Verantwortung.

Im Jahr 2018 exportierten deutsche Firmen Waren im Wert von über 1,3 Billionen Euro. 60 Prozent der exportierten Güter enthalten Komponenten, die vorher im Ausland hergestellt wurden. Globale Lieferketten machen Vorprodukte und Vorleistungen günstiger. Doch halten Hersteller, Importeure, Zwischenhändler und Zulieferer die Standards eines fairen Produktkreislaufes ein? Sicherheitsvorkehrungen, Gesundheitsschutz, Hygiene am Arbeitsplatz, Schutzkleidung, Ruhezeiten sowie ausreichend Urlaub – all dies sind Faktoren, die am Produktionsstandort, bei den Warenumschlagsplätzen und während des Warentransportes die „faire“ Lieferkette definieren.

Von der Selbstverpflichtung zum Gesetz Menschenrechte sollen entlang den Liefer- und Wertschöpfungsketten eingehalten werden. Das verlangt der Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP), den das Bundeskabinett im Dezember 2016 verabschiedet hat. Arbeitsminister Hubertus Heil und Entwicklungsminister Gerd Müller setzten bislang auf eine „freiwillige Selbstverpflichtung“ für deutsche Unternehmen. Nun wird diese Selbstverpflichtung einem Lieferkettengesetz weichen, dem so genannten „Sorgfaltspflichtengesetz“. Es soll deutsche Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern dafür verantwortlich machen, dass Lieferanten im Ausland soziale und ökologische Mindeststandards einhalten. Das heißt, Unternehmen stehen fortan unter der zivilrechtlichen Haftung, Verletzungen von Standards bei Zulieferern zu vermeiden. Strafrechtliche Konsequenzen sind nicht vorgesehen. Nach den Plänen von Minister Heil sollen Unternehmen nicht haften, wenn sie sich ordentlich um die Einhaltung der Menschenrechte bei seinen Lieferketten bemühen. Potenzielle Kläger hingegen tragen die Beweislast, dass die Verletzung etwa von Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit und Eigentum bei Erfüllung der Sorgfaltspflichten vorhersehbar und vermeidbar gewesen wäre. Die beiden Minister wollen das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode auf den Weg bringen. Noch ist unklar, wie genau Ansprüche von Klägern justiziabel begründet werden sollen und Unternehmen nachweisen könnten, dass sie ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen. Der deutsche Mittelstand ist problembewusst Das Lieferkettengesetz richtet sich an große Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten. Doch dem deutschen Mittelstand ist das Problem offenbar bewusst: Das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) führte mit Unterstützung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales ein Ranking der Nachhaltigkeitsberichte von Großunternehmen und KMU durch. Dabei schneiden Mittelständler gut ab: Sie verbessern ihre Bewertungen stetig und verzeichnen Fortschritte gerade bei der Berichterstattung zur Lieferkettenverantwortung. Soziale unternehmerische Verantwortung liegt auch bei kleinen Firmen – und kann einen erheblichen Wettbewerbsvorteil darstellen.

Gut zu wissen

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n  Deutsche Verbraucher fragen fair gehandelte Produkte nach; diese erzielten 2018 einen Umsatz von 1,7 Milliarden Euro Laut Internationaler Arbeitsorganisation sterben täglich 6.400 Menschen am Arbeitsplatz Weltweit arbeiten trotz Verbots 75 Millionen Kinder Frankreich hat 2017 ein Lieferkettengesetz erlassen; es gilt für Unternehmen mit über 1.000 Mitarbeitern Das in Deutschland geplante haftungsbewehrte Lieferkettengesetz soll für Unternehmen ab 500 Beschäftigten gelten

Bernd Ratmeyer

Journalist

mittelstand@bvmw.de

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