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Europawahl-Ergebnis – Gift für den Mittelstand?

Es ist eine historische Demütigung für die Sozialdemokraten. Endgültig vorbei ist die Zeit, als Gerhard Schröder noch der Chefkoch in der rot-grünen Koalition war und den kleinen Partner breitbeinig als „Kellner“ verhöhnen konnte.

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Die Sozialdemokraten sind mittlerweile derart angeschlagen, desolater Verfassung, dass sie froh sein können, wenn sie überhaupt noch irgendwo mitregieren können. Sogar im SPD-treuen Bremen ist ihre historische Vormachtstellung Geschichte. Jetzt geht das altbekannte Spiel wieder los: Abrechnung mit dem Parteichef! Diesmal ist die erste weibliche Vorsitzende Andrea Nahles dran. Sie hat gekämpft und es trotzdem nicht geschafft, die Partei aus der Todesspirale herauszuführen.

Es droht die reale Gefahr, dass die Partei von Willy Brandt wie Frankreichs Sozialisten den Weg in die Bedeutungslosigkeit angetreten hat.

Auch die Union ist ein Verlierer dieser Europawahl. Die Arbeitsteilung von Parteivorsitzender und Kanzlerin hat den Wähler offenbar nicht überzeugt. Dazu kam ein Spitzenkandidat, der zwar viel Seriosität, aber wenig Charisma zu bieten hatte. Bis zum Wahltag kannte jeder dritte Wähler Manfred Weber nicht. Das reichte am Ende eben nicht für einen klaren Sieg.

Für die Grünen geriet die Europawahl dagegen zum Triumphzug. Die Partei, die in den 80ern als kleine Protestpartei gestartet ist, konnte sich in Metropolen wie Berlin und Hamburg noch vor die CDU setzen. Dieser Erfolg wird die bislang gekannte Machttektonik der Bundesrepublik fundamental verändern. Mit dieser politischen Kraft werden die Grünen sich auch die Frage stellen müssen, ob sie bereit sind für die ganz große Verantwortung und auch einen Kanzlerkandidaten aufstellen. Und sie werden beweisen müssen, dass sich wolkige Wohlfühlbotschaften am Ende auch in erfolgreiche Politik übertragen lassen.

Dass dies möglich sein kann, hat der erste grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg bewiesen. Allerdings gilt er als unbequem in seiner Partei und ist mit wichtigen Positionen nicht mehrheitsfähig. Für die Wirtschaft und den Mittelstand wird von Bedeutung sein, wieviel Kretschmann oder wieviel Habeck sich am Ende in der Partei durchsetzt. Die Lager sind beispielsweise beim Thema Enteignung oder Belastung der Wirtschaft noch weit auseinander. Blickt man auf ganz Europa, ist aus Sicht der mittelständischen Wirtschaft das Ergebnis zwiespältig. Mit dem Niedergang der großen Volksparteien schwindet ein Stück politische Stabilität. Zwar konnten die populistischen rechten Kräfte keinen europaweiten Erdrutsch auslösen, aber es ist eindeutig, dass sie vom Wähler gestärkt wurden und trotz einzelner Rückschläge wie in den Niederlanden auf dem Vormarsch sind. Le Pen hat Frankreichs Staatspräsident entzaubert und das beste Ergebnis geholt. Hier hat sich gezeigt, dass Macron seine Bewegung politisch stärken muss, wenn er langfristig an der Macht bleiben will.

Auch Italien, Europas wirtschaftliches Sorgenkind, hat die Rechten zur politisch stärksten Kraft gemacht. Das ist beunruhigend für eine exportorientierte Nation wie Deutschland, da Matteo Salvini mit seiner rechten Lega die europäische Rechte einen und gegen die Europäische Union in ihrer jetzigen Form in Stellung bringen will. Das bedeutet noch mehr Probleme für die europäische Führung und birgt die Gefahr politischer Unruhe.

Die wäre Gift für alle exportorientierten mittelständischenUnternehmen. Denn schon lange fallendie meisten wichtigen Entscheidungen für dieganze Branche überwiegend in Brüssel und Straßburg– und nicht mehr in Berlin. NationalistischeTendenzen mit schädlichen Auswirkungen fürWirtschaft und Handel würden den europäischenEinigungsprozess zurückwerfen und der Wirtschaftskraft der EU schaden.

Zwei Ergebnisse hat die Wahl jedoch, die durchausGrund zur Freude sind. Zum einen konnte die AfDin Deutschland mit ihrem populistischen Anti-Europa-Kursfür keinen Erdrutsch sorgen. Die Rechtenblieben deutschlandweit unter den Prognosen,nur im Osten wurden sie wirklich stark. Undgleichzeitig ist die Wahlbeteiligung der Deutschendeutlich gestiegen.

Das Interesse an Europa ist also größer geworden.Die Jungen sind offenbar wach geworden undwollen sich einmischen. Das sollten alle – auch diegroßen Wahlverlierer – durchaus als Chance begreifen.Dieses Interesse am gemeinsamen Europamüssen die proeuropäischen Kräfte jetzt nutzenund dürfen das Werben für Europa nicht bis zurnächsten Wahl wieder zu den Akten legen. Dassder Umweltschutz sich als Schlager im Wahlkampf entpuppt hat, bietet auch für die mittelständische Wirtschaft mindestens so viele Chancen wie Risiken. Deutsche Firmen zählen schließlich auch bei den Themen Nachhaltigkeit, Energieeffizienz und Umwelttechnologie zur absoluten Weltspitze.

Jörg Quoos, Chefredakteur der Zentralredaktion der FUNKE Mediengruppe

Foto: © picture alliance/Kay Nietfeld/dpa; picture alliance/dpa

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